Gesundheitliche Folgen der zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland


Hausarbeit, 2019

22 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Public Health Relevanz

2. Atypische Beschäftigungsformen
2.1. Der „typisch“ atypisch Beschäftigte
2.2. Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse
2.3. Entwicklung atypischer Beschäftigungsverhältnisse

3. Das Gratifikationskrisenmodell nach Siegrist

4. Definition von Prekarität
4.1. Risiken prekärer Beschäftigungsverhältnisse
4.2. Auswirkungen prekärer Beschäftigung auf die Gesundheit

5. Fazit und Handlungsempfehlung

Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Public Health Relevanz

Die Erwerbsarbeit nimmt in der heutigen Gesellschaft eine zentrale Rolle im Leben der Bevölkerung ein. Für viele Menschen ist es die Hauptquelle zur Sicherung des eigenen Lebensunterhalts (Kroll, Müters, Dragano, 2011). Trotz aktueller Wandlungsprozesse stellt Erwerbsarbeit somit noch immer einen gesellschaftlichen Integrationsmechanismus dar. Erwerbsarbeit bedeutet heute mehr als materielle Existenzsicherung. Vielmehr ist es ein Zeichen für soziale Sicherung, sozialen Status und Sinnhaftigkeit des Lebens. Diese Funktionen erfüllen jedoch immer weniger Beschäftigungsverhältnisse (Gefken, Stockem, Böhnke, 2015). Aktuell sind in Deutschland ca. 45,1 Millionen Menschen erwerbstätig, das ist eine Erwerbstätigenquote von 75,9 % (Statistisches Bundesamt, 2018b). Die Zahl der abhängig Beschäftigten, die keinem regulären Normalarbeitsverhältnis, sondern befristeten Beschäftigungen, Leiharbeit, geringfügigen Beschäftigungen oder Teilzeitarbeit nachgehen, nimmt stetig zu. Immer häufiger verbreiten sich daher Beschäftigungsformen, die nur ein geringes Maß an sozialer Sicherheit aufweisen und somit die soziale Teilhabe und die Zukunftsgestaltung erschweren (Klenner, 2011).

Atypische Beschäftigungsverhältnisse sind heute jedoch keine Ausnahme mehr. Zwischen 1991 und 2017 stieg die Anzahl atypisch Beschäftigter von 4,4 auf 7,7 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2017). Diese Entwicklung wäre weniger besorgniserregend, wenn sie nicht mit hohen Prekaritätsrisiken verbunden wäre. Geringe Löhne, ein schlechter Zugang zu Weiterbildungen, Beschäftigungsinstabilität und hohe Arbeitsbelastungen gehören zum Alltag atypisch Beschäftigter (Seifert & Keller, 2011). Als problematisch ist zudem die Entwicklung zu sehen, dass Normalarbeitsverhältnisse immer mehr verdrängt oder aufgelöst werden und insgesamt schlechtere Arbeitsbedingungen zunehmen. Atypische Beschäftigungen fördern zunehmend das Problem der Armut, wiederkehrender Arbeitslosigkeit und wachsenden Gesundheitsproblemen, anstatt Brücken in die reguläre Beschäftigung zu bauen (Eichhorst, Marx, Thode, 2010). Prekarität wird immer häufiger als eine Art Machtgefälle bezeichnet, da sich die zunehmende Unsicherheit disziplinierend auf die Beschäftigten auswirkt (Klenner, 2011). Das Normalarbeitsverhältnis stellt heute den abnehmenden Regelfall dar, atypische Beschäftigungen hingegen den zunehmenden Ausnahmefall (Seifert & Keller, 2011). Die aktuellen Wandlungsprozesse der Arbeitswelt führen daher immer öfter zu einer Verschiebung des Belastungsspektrums und steigern die physischen und psychomentalen Beanspruchungen (Siegrist & Dragano, 2008).

In dieser Arbeit soll daher auf die Ausmaße und die Entwicklung prekärer Beschäftigungsverhältnisse mit Hilfe der Fragestellung „Welche gesundheitlichen Folgen entstehen durch die zunehmenden prekären Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland?“ eingegangen werden. Dabei werden die drei besonders umstrittenen Beschäftigungsverhältnisse, die befristete Beschäftigung, die Leih- und Zeitarbeit und die geringfügige Beschäftigung sowie die weit verbreitete Form der Teilzeitbeschäftigung, näher betrachtet und die Folgen prekärer Beschäftigung für die Gesundheit erläutert. Dazu werden nun zunächst die Formen atypischer Beschäftigung erläutert, um anschließend den „typisch“ atypisch Beschäftigten zu betrachten und die Verbreitung und Entwicklung dieser Beschäftigungsverhältnisse aufzuführen. Im anschließenden Kapitel wird das Gratifikationskrisenmodell von Siegrist genutzt, um die Belastungen von Prekarität näher zu betrachten und anschließend in den Themenblock Prekarität und die daraus entstehenden Risiken einzuleiten. Abschließend erfolgt ein Fazit mit Handlungsempfehlungen. Zur besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf geschlechtsspezifische Formulierungen verzichtet. Sämtliche personenbezogenen Bezeichnungen sind geschlechtsneutral zu verstehen.

2. Atypische Beschäftigungsformen

Als atypische Beschäftigungsverhältnisse gelten Beschäftigungen, die nicht den Standards eines Normalarbeitsverhältnisses entsprechen. Ein Normalarbeitsverhältnis zeichnet sich aus durch eine Vollzeitbeschäftigung, eine unbefristete Tätigkeit, eine abhängige Beschäftigung, die Integration in das soziale Sicherungssystem, einen Arbeitsvertrag und die direkte Anstellung in einem Unternehmen. Weicht eine Tätigkeit im Kern von diesen am Arbeitsmarkt üblichen Standards ab, handelt es sich um eine atypische Beschäftigung (Hünefeld, 2016). Zu den atypischen Beschäftigungs-verhältnissen können daher zeitlich befristete Beschäftigungsverhältnisse ohne Kündigungsschutz, Teilzeitbeschäftigungen, Arbeiten ohne allgemein üblichen Sozialversicherungsschutz wie z.B. Minijobs oder Beschäftigungen mit einem geringen Monats- oder Stundenlohn gezählt werden (Eichhorst, Marx, Thode, 2010). Zusätzlich hat in den letzten Jahren die neue Erwerbsform der Mehrfachbeschäftigung zugenommen. Diese Beschäftigten haben neben dem Normalarbeitsverhältnis mindestens eine weitere Beschäftigung, die häufig atypisch ist oder sie führen mehrere atypische Beschäftigungen aus. Damit gehören auch Multijobber häufig zu den atypisch Beschäftigten (Hünefeld, 2016). Unter den Begriff atypischer Beschäftigung fallen eine Vielzahl von Beschäftigungsformen. Zu den Kernformen atypischer Beschäftigungs-verhältnisse gehören jedoch die geringfügige Beschäftigung, Leih- und Zeitarbeit, befristete Beschäftigungen sowie Teilzeitarbeit (Keller & Seifert, 2013) welche nun weiter erläutert werden.

Geringfügige Beschäftigung

Zu den geringfügigen Beschäftigungen gehören geringfügig entlohnte oder kurzfristige Beschäftigungen (Minijobs), die regelmäßig nicht mehr als 450 Euro im Monat erbringen (Hans Böckler Stiftung, 2016). Das Arbeitsverhältnis ist steuerfrei und die Beschäftigten zahlen keine Beiträge zu den sozialen Sicherungssystemen, haben jedoch auch keinen Anspruch auf Leistungen aus den Sozialversicherungen (Hense, 2018)

Leih- und Zeitarbeit

Leih- und Zeitarbeit zeichnet sich dadurch aus, dass sie auf einer Dreiecksbeziehung zwischen Leiharbeitsfirma, Leiharbeiter und dem entleihenden Unternehmen beruht. Leiharbeit liegt dann vor, wenn Arbeitnehmer von einem Arbeitgeber einem Dritten gegen Entgelt für begrenzte Zeit überlassen werden (Bundeszentrale für politische Bildung, 2013). Merkmale der Leiharbeit sind in der Regel ein eingeschränktes Mitbestimmungsrecht, Niedriglöhne und eine starke Kopplung des Arbeitseinsatzes an den Marktbedingungen (Hense, 2018).

Befristete Beschäftigung

Eine befristete Beschäftigung ist ein Arbeitsverhältnis, das für eine bestimmte, begrenzte Zeit geschlossen wurde. Anders als bei den anderen atypischen Beschäftigungsverhältnissen steht nicht das Einkommensrisiko im Vordergrund sondern eine reduzierte Absicherung (Keller & Seifert, 2013). Vor allem jüngere Erwerbstätige bzw. Personen unter 25 Jahren erhalten häufig befristete Arbeitsverträge (Hense, 2018).

Teilzeitarbeit

Als Teilzeitarbeit gilt eine Beschäftigung, die einen Arbeitnehmer vereinbarungsgemäß nicht voll, sondern zu einer tariflich festgesetzten Arbeitszeit in Anspruch nimmt (Hans Böckler Stiftung, 2016). Die festgesetzte Wochenarbeitszeit kann dabei unterschiedlich ausfallen. Teilzeitarbeit zählt dann zu den atypischen Beschäftigungen, wenn sie unter 20 Stunden pro Woche liegt. Teilzeitarbeit zählt zu den häufigsten atypischen Beschäftigungen (Keller & Seifert, 2013).

Anders als im Falle der Teilzeitbeschäftigung oder der geringfügigen Beschäftigung ist davon auszugehen, dass die befristete Beschäftigung und die Leiharbeit zu großen Teilen unfreiwillig eingegangen werden (Böhnke, Zeh, Link, 2015) Als Synonym für atypische Beschäftigung werden häufig die Begriffe „prekäre Beschäftigung“ oder „flexible Beschäftigungsverhältnisse“ verwendet. Bei dem Begriff „prekär“ muss allerdings berücksichtigt werden, dass es sich um einen wertenden Begriff handelt, der sich neben den Vertragsverhältnissen auf weitere Aspekte wie Lohn, Weiterbildungsmaßnahmen und Arbeitsbedingungen bezieht. Nicht jedes atypische Beschäftigungsverhältnis kann als prekär bezeichnet werden (Hünefeld, 2016). Auf das Thema Prekarität wird daher in Kapitel 4 genauer eingegangen. Atypische Beschäftigung kann dazu dienen, Arbeitslosigkeit zu beenden oder Familie und Beruf zu vereinbaren. Gleichzeitig kann sie jedoch für Instabilität und Ausgrenzung stehen, wenn sie keine langfristige Perspektive bietet (Böhnke et al., 2015). Im nachfolgenden Kapitel wird nun auf die Charakteristika atypisch Beschäftigter eingegangen.

2.1. Der „typisch“ atypisch Beschäftigte

Werden die Unterschiede in der Geschlechterverteilung betrachtet, so zeigt sich, dass atypische Beschäftigungsverhältnisse in allen drei Erwerbsphasen zu einem großen Teil von Frauen besetzt werden. In der Haupt- und Enderwerbsphase ist dies mit einem Frauenanteil von 95,9 bzw. 93,7 % nahezu ausschließlich der Fall (Böhnke et al., 2015). Die Gründe dafür sind vielfältig und reichen von klassischen Rollenmustern über unzureichenden Betreuungsmöglichkeiten für Kinder bis hin zu Steuervergünstigungen (Keller, 2018). Es gibt jedoch auch männerdominierte Formen wie die befristete Vollzeitbeschäftigung und die Zeitarbeit (Hans Böckler Stiftung, 2016). Ebenfalls häufig von atypischer Beschäftigung betroffen sind Berufsanfänger, junge Erwerbstätige (Schubert, 2015), Migranten, Alleinerziehende und gering Qualifizierte (Brinkmann, 2006). Zusätzlich unterscheidet sich auch die Altersstruktur der Beschäftigten. Während befristet Vollzeitbeschäftigte und befristet Teilzeitbeschäftigte mit im Durschnitt 35 Jahren die jüngeren Beschäftigten darstellen, sind unbefristet Teilzeitbeschäftigte mit durchschnittlich 45 Jahre die älteste Gruppe. Des Weiteren sind atypische Beschäftigungen vergleichsweise häufig an ein geringes Bildungsniveau gekoppelt. Dabei ist das Bildungsniveau bei befristeten Voll- und Teilzeitbeschäftigungen tendenziell höher gegenüber den geringfügig Beschäftigten und den Zeitarbeitenden (Hans Böckler Stiftung, 2016). Das differenzierte Bildungsniveau und der unterschiedliche Stundenumfang führen dazu, dass das Einkommen zwischen den Beschäftigungsformen stark variiert. Befristete Vollzeitbeschäftigte verdienen generell am meisten gefolgt von den Zeitarbeitenden. Daraus ergibt sich, dass befristet Vollzeitbeschäftigte häufig hochqualifizierte Tätigkeiten ausüben, während geringfügig Beschäftigte und Zeitarbeitende auffällig häufig der Gruppe der un- oder angelernten Arbeiter zugeordnet werden. Während sich atypische Beschäftigungen in einigen Branchen eher als Randbelegschaften darstellen, gelten sie in anderen Branchen als normal oder als Kernbelegschaft wie z.B. im Bereich des Handels oder der Gastronomie (Hans Böckler Stiftung, 2016). Insgesamt lebt die Mehrheit der atypisch Beschäftigten in einer Partnerschaft. Personen ohne Partner finden sich jedoch häufig bei den befristeten Vollzeitbeschäftigten während geringfügig Beschäftigte und Teilzeitbeschäftigte häufig verheiratet sind (Hans Böckler Stiftung, 2016). Nachfolgend wird nun die Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse aufgeführt.

2.2. Verbreitung atypischer Beschäftigungsverhältnisse

Die Gemeinsamkeit aller atypischer Beschäftigungen ist, dass sie seit den 1980er und 1990er Jahren deutlich angestiegen ist (Keller & Seifert, 2013). In Deutschland gab es 2002 ca. 6 Millionen atypisch Beschäftigte, 2017 waren es bereits ca. 7,7 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2017). 5,3 Millionen der atypisch Beschäftigten sind Frauen, 2,4 Millionen Männer. 1991 waren von 34 Millionen Erwerbstätigen 9 % der Männer und 23 % der Frauen atypisch beschäftigt, 2017 waren es von 37 Millionen Erwerbstätigen bereits 12 % der Männer und 31 % der Frauen (Statistisches Bundesamt, 2018a). Die Zahl der befristeten Beschäftigung stieg von 2000 bis 2017 von 2,3 Millionen auf 2,6 Millionen. Bei den Teilzeitbeschäftigten gab es zwischen 2000 bis 2017 eine Zunahme von 3,9 auf 4,8 Millionen Beschäftigte, das heißt eine Steigung um 23 %. Die Anzahl der geringfügig Beschäftigten erhöhte sich von 1,7 auf 2,2 Millionen. Die Zeitarbeit wurde deutlich später erfasst und erhöhte sich zwischen 2010 und 2017 von 743.000 auf 932.000 Beschäftigte (Statistisches Bundesamt, 2018a).

Von ca. 37 Millionen Beschäftigten waren 2017 4,8 Millionen teilzeitbeschäftigt, 2,6 Millionen befristet beschäftigt, 2,2 Millionen geringfügig beschäftigt und 932.000 als Zeitarbeiter tätig. Bei den Frauen ist die Teilzeitbeschäftigung mit 4 Millionen Beschäftigten am häufigsten verbreitet, gefolgt von der geringfügigen Beschäftigung mit 1,6 Millionen. Die Teilzeitarbeit ist damit längst zum weiblichen Normalarbeitsverhältnis geworden, denn über 80 % der Teilzeitbeschäftigten sind Frauen. Männer arbeiten hingegen am häufigsten in befristeten Beschäftigungen (1,3 Millionen), gefolgt von der Teilzeitbeschäftigung mit 708.000 Beschäftigten. Frauen arbeiten viermal häufiger in Teilzeitbeschäftigungen und dreimal häufiger in geringfügigen Beschäftigungen als Männer. Männer hingegen arbeiten doppelt so häufig als Leih- oder Zeitarbeiter wie Frauen (Statistisches Bundesamt, 2017).

Am häufigsten befristetet beschäftigt werden Personen zwischen 25 und 35 Jahren. Von insgesamt 1,7 Millionen atypisch Beschäftigten in dieser Altersgruppe entfallen 957.000 auf die befristete Beschäftigung. Das sind mehr als die Hälfte in dieser Altersgruppe. Ebenfalls auf diese Altersgruppe zutreffend ist die höchste Anzahl an Zeitarbeitern. Mit 266.000 ist der Anteil der Zeitarbeiter in der Altersgruppe der 25 bis 35-Jährigen am höchsten. Die höchste Anzahl Teilzeitarbeiter gibt es in der Altersgruppe von 45 bis 55 Jahren. Dort arbeiten 1,5 Millionen der 2,1 Millionen in Teilzeitarbeit. Eine geringfügige Beschäftigung tritt am häufigsten in der Altersgruppe der 55 bis 65-Jährigen auf. 688.000 der 1,6 Millionen sind geringfügig beschäftigt (Statistisches Bundesamt, 2017).

Ca. 6,3 Millionen der atypisch Beschäftigten sind deutsche Staatsangehörige, 691.000 kommen aus der EU und 704.000 aus anderen Ländern. Ca. 1,7 Millionen Menschen arbeiten in atypischen Beschäftigungen ohne Berufsabschluss, davon 1,1 Millionen als Teilzeitbeschäftigte. Am meist verbreitetsten sind atypische Beschäftigungen in den Branchen verarbeitendes Gewerbe/Abfallentsorgung/Bergbau mit 1,1 Millionen, im Handel mit 1,2 Millionen und im Gesundheits- und Sozialwesen mit 1,3 Millionen (Statistisches Bundesamt, 2017).

2.3. Entwicklung atypischer Beschäftigungsverhältnisse

Durch die Globalisierung und die dadurch erzeugten grenzüberschreitenden Märkte verstärkt sich die Arbeitsmigration und es entsteht eine verschärfte Konkurrenz um Lohnkosten. Die Produktion wird in Länder verlegt, die kostengünstiger produzieren und die Beschäftigten in Hochlohnländern müssen dies durch eine Intensivierung der Arbeit kompensieren. Vieles spricht dafür, dass der Rationalisierungsdruck im produzierenden Sektor wie auch im Dienstleistungsbereich in den vergangenen zwei Jahrzehnten zugenommen hat. Rationalisiert wird durch Restrukturierungen, das heißt Personalabbau, Zusammenschluss von Unternehmen oder Auslagerung bestimmter, nicht konkurrenzfähiger Unternehmensbereiche (Siegrist, 2015). Durch diese Entwicklungen greifen Befürchtungen von Arbeitsplatzunsicherheit um sich und zwar nicht nur in Randbelegschaften, sondern zunehmend auch in der Kernbelegschaft (Gallie, 2013). Diese Entwicklungen entstehen im Kontext gewandelter Beschäftigungsformen und Veränderungen in der Art und Weise wie Arbeit organisiert wird. Stichworte dieses Wandels sind erhöhte Flexibilität und Mobilität von Beschäftigung, gekennzeichnet durch Befristung von Arbeitsverträgen und temporäre Arbeitslosigkeit (Siegrist, 2015). Das bis vor Jahren noch übliche Normalarbeitsverhältnis unterliegt einer zunehmenden strukturellen Veränderung oder Auflösung. Neue Arbeitsformen sind zunehmend befristete Arbeitsverhältnisse, Zeit- oder Leiharbeit mit variablen Einsatzzeiten und Einsatzbereichen und dementsprechend verkleinerte Kernbelegschaften. Neben Deregulierung oder Entsicherung sind diese neuen Arbeitsformen durch die Strukturmerkmale Flexibilisierung, Entgrenzung und Subjektivierung von Erwerbsarbeit charakterisiert (Schubert, 2015). Flexibilisierung steht dabei für die Veränderungen in der Arbeitswelt, die für den Umgang mit Ungewissheit, Nichtsicherheit und mangelnde Planbarkeit stehen. Als Entgrenzung bezeichnet man das rasant zunehmende Hineingreifen von Erwerbsarbeit in die Erholungszeit und das Privatleben und das Gefühl der ständigen Erreichbarkeit. Subjektivierung bedeutet hingegen die Bereitschaft, die eigenen beruflichen Kompetenzen zu erweitern und sich Neuerungen im Berufsleben anzueignen. Subjektivierung erfordert daher von den Arbeitnehmern, ihr gesamtes Potenzial einzubringen und selbständig mit den Auswirkungen neuartiger Anforderungen fertigzuwerden. Es ist eine aufreibende Form der Eigenverantwortlichkeit bei der es um Flexibilität, Selbstkompetenz und den strategischen Einsatz von Privat- und Familienzeit geht. Wer diese modernen Kompetenzen nicht besitzt, ist nicht nur erwerbsmäßig sondern auch gesundheitlich gefährdet (Schubert, 2015).

Die Niedriglohnbeschäftigung hat in Deutschland in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Zusätzlich hat sich auch die Zeitarbeit als Randsegment im verarbeitenden Gewerbe etabliert und zwar nicht nur kurzfristig, sondern vermehrt als längerfristige Randbelegschaft der Industrie. Auch Minijobs als einzige Beschäftigung oder Nebentätigkeit sind wichtige Beschäftigungsformen in bestimmten Bereichen des Dienstleistungssektors in Deutschland geworden (Eichhorst et al., 2010). In der heutigen Arbeitswelt findet sich Flexibilisierung auf unterschiedlichsten Ebenen. Um sich den Bedürfnissen des Markts anzupassen, verfolgen Unternehmen Strategien der Entgrenzung von Arbeitszeiten und -formen sowie von Beschäftigungsverhältnissen. Normalarbeitsverhältnisse nehmen ab und es kommt zu einer Zunahme atypischer Beschäftigungsformen wie Teilzeitarbeit, befristete Beschäftigung, Leiharbeit und geringfügiger Beschäftigung (Badura, Ducki, Schröder, Klose, Meyer, 2018). Atypische Beschäftigungsformen erfüllen daher heute am Arbeitsmarkt verschiedene Funktionen. Sie können dazu dienen, Arbeitskosten zu senken und die Anpassungsfähigkeit des Arbeitseinsatzes zu erhöhen (Keller & Seifert, 2008). Unternehmen sind heute gezwungen, ihre Strukturen anzupassen und somit nimmt auch die Flexibilisierung der Arbeitsverhältnisse zu (Badura, Ducki, Schröder, Klose, Meyer, 2012). Neuste wissenschaftliche Erkenntnisse besagen, dass arbeitende Menschen ein erhöhtes Risiko für stressbedingte Erkrankungen haben, wenn sie für die erbrachte Leistung keine angemessene Anerkennung erhalten. Dabei geht es nicht allein um das Gehalt, sondern vor allem um die Wertschätzung der Arbeit, berufliche Weiterbildung und die Sicherheit des Arbeitsplatzes. Im Zuge der wirtschaftlichen Globalisierung haben Anerkennungskrisen daher deutlich zugenommen, wobei diese zwischen den verschiedenen Berufsgruppen stark variieren (Siegrist, 2015). Zur Verdeutlichung wird daher im nachfolgenden Kapitel das Gratifikationskrisenmodell von Johannes Siegrist, zur Erläuterung der bei atypischer Beschäftigung häufig auftretenden Krisen und ihrer Auswirkungen, herangezogen.

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Ende der Leseprobe aus 22 Seiten

Details

Titel
Gesundheitliche Folgen der zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,0
Autor
Jahr
2019
Seiten
22
Katalognummer
V1012031
ISBN (eBook)
9783346404176
ISBN (Buch)
9783346404183
Sprache
Deutsch
Schlagworte
prekäre Beschäftigung, Gratifikationskrisenmodell, Siegrist, Arbeitsbedingungen in Deutschland, gesundheitliche Folgen, atypische Beschäftigung, Prekarität
Arbeit zitieren
Daniela Kaminski (Autor:in), 2019, Gesundheitliche Folgen der zunehmend prekären Beschäftigungsverhältnisse in Deutschland, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012031

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