Stereotype, Rassismus und Humor. Philosophische Analyse zur moralischen Ambivalenz von Blason populaire-Humor


Bachelorarbeit, 2019

43 Seiten, Note: 2,1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Humor und Witz
2.1 Begrifflichkeiten: Lachen, Humor undWitz
2.2 Traditionelle Humortheorien
2.2.1 Überlegenheitstheorie
2.2.2 Entspannungstheorie
2.2.3 Inkongruenztheorie
2.3 Analyse: Witz und Witzkommunikation
2.3.1 Erfolg und Misserfolg eines Witzes
2.3.2 Ethnische Witze oder die Blason populaire

3. Stereotype und Rassismus
3.1 Racial und Racist Stereotypes
3.2 Rassismus-Versuch einer Definition

4. Stereotype, Rassismus und Humor
4.1 Witz und Moral
4.1.1 Blason populaire-Witze: Eine Analyse
4.1.2 Stereotype und Moral
4.1.3 Zwischen Witz und Wirklichkeit
4.1.4 Ich lache, also bin ich?
4.2 Schluss mit lustig?

5. Fazit

6. Quellenverzeichnis

1. Einleitung

Humor kann schockieren, beleidigen, verletzen und sogar als Entschuldigung dienen. Und dennoch wird Humor fortlaufend als etwas Positives gehandelt (vgl. Kuipers, 1971, S. 7). Die gegenwärtige Humorforschung konzentriert sich daher insbesondere auf kognitive, emotionale und soziale Vorteile des Humors und des Lachens. So wird Letzteres im gesellschaftlichen Konsens etwa als „die beste Medizin“ angesehen (vgl. Pérez, 2016, S. 928).

Diese Arbeit soll jedoch die Kehrseite unseres Vergnügens aufzeigen. Während das Phänomen Humor im Vergleich zu anderen Themenfeldern von der Philosophie bislang ehervernachlässigtwurde (vgl. Anderson, 2015, S. 501; Pérez, 2016, S. 929; Shaw, 2010, S. 112), gilt hier das Hauptinteresse einer spezifischen Form des Humors: dem Blason populaire-Witz. Ziel ist es, den Witz aus seinem gewöhnlichen Spaßmodus herauszunehmen und in einen philosophischen Diskurs einzubetten. Die Schwierigkeit dabei besteht in der Polysemie von Witzen. Sie können verschiedene Funktionen und Bedeutungen zur gleichen Zeit haben, was wiederum zahlreiche Interpretationsmöglichkeiten offen lässt. Humor stellt somit generell eine äußerst ambivalente Kommunikationsform dar (vgl. Kuipers, 1971, S. 9).

Vor diesem Hintergrund soll in der vorliegenden Arbeit untersucht werden, inwiefern Blason populaire-Witze, womöglich besser bekannt als ethnische Witze, moralische Relevanz haben können. Zur Realisierung dieses Vorhabens wird folgendermaßen vorgegangen:

Kapitel 2 bildet den theoretischen Rahmen, der für die Untersuchungen im späteren Verlauf grundlegend ist. Es werden daher zunächst die Begriffe Lachen, Humor und Witz eingeführt und erläutert (2.1), um anschließend drei traditionelle Theorien des Humors herauszuarbeiten (2.2). In einem nächsten Schritt richtet sich der Fokus dann auf die verbalisierte Humorform des Witzes (2.3). Dabei soll geklärt werden, von welchen Komponenten der Erfolg eines Witzes im Allgemeinen abhängt. Daraufhin wird in Anknüpfung an die Charakterisierung des ethnischen Witzes der in dieser Arbeit präferierte Terminus der Blason populaire vorgestellt.

Nationale oder .ethnische' Stereotype stellen ein wesentliches Element von Blason populaire-Witzen dar. Demnach illustriert Kapitel 3, wie die besagten Stereotype von tatsächlich rassistischen Stereotypen zu unterscheiden sind (3.1). Hierfür ist es zudem notwendig, einen adäquaten Erklärungsansatz des Rassismusbegriffs darzulegen (3.2). Dieser kurze Einblick in die Thematik von Stereotypen und Rassismus hilft uns auch dabei, in Kapitel 4 die moralische Problematik von Blason populaire-Witzen zu erschließen.

Demzufolge stellt Kapitel 4 den Schwerpunkt dieser Arbeit dar. Im ersten Abschnitt werden ausgewählte Blason populaire-Witze anhand ihrer verwendeten Stereotype analysiert und evaluiert (4.1.1). Indem die moralische Verwerflichkeit von Stereotypen herausgearbeitet wird (4.1.2), kann darauf aufbauend zur kritischen Diskussion von Blason populaire-Witzen übergeleitet werden (4.1.3). Dabei gilt es zudem zu klären, wie sich die im Vorangegangenen erörterte Problematik zum Erzähler1 und Publikum (4.1.4) sowie zur Aufrechterhaltung des Blason populaire- Witzes verhält (4.2). Die Arbeit schließt in Kapitel 5 mit einem Fazit.

2. Humor und Witz

Gegenstand dieses Kapitels soll zunächst die Frage danach sein, was genau unter Humor und Witz zu verstehen ist und inwiefern die beiden Begriffe sowohl voneinander als auch vom Lachen abzugrenzen sind. Sobald wir wissen, was Humor eigentlich ist, können wir uns im darauffolgenden Kapitel seiner Funktionsweise zuwenden. Hierfür werden drei traditionelle Humortheorien vorgestellt.

2.1 Begrifflichkeiten: Lachen, Humor und Witz

Lachen

Beschäftigt man sich mit dem Phänomen Humor, so begegnet man zwangsläufig auch dem Begriff des Lachens. Dabei muss nicht jedes Lachen eine Reaktion auf etwas Humorvolles sein (vgl. Morreall, 1987, S. 5). Ebenso kann man etwas lustig finden, ohne darüber zu lachen. Es ist also bislang unklar, ob zwischen Lachen und Humor irgendeine notwendige Beziehung besteht (vgl. Shaw, 2010, S. 113).

Rein physisch betrachtet handelt es sich beim Lachen um eine „ausdrückende Mimik, bei der der Mund in die Breite gezogen wird, die Zähne sichtbar werden und um die Augen Fältchen entstehen“, oftmals begleitet von stoßweise hervorgebrachten, unartikulierten Lauten (Duden online, 2018). Über diese pathologische Beschreibung hinausgehend gilt das Lachen als eine unfreiwillige oder teilweise freiwillige Antwort auf einen Stimulus. Die einfachste Form von Stimuli sind sensorischer Art, wie etwa ein durch Kitzeln hervorgerufenes Lachen (vgl. Morreall, 1987, S. 4).

Dennoch werden die Terme Lachen und Humor oftmals synonym verwendet. So sind mit der Bezeichnung „Theorien des Lachens“ häufig auch Humortheorien gemeint. Zwischen den beiden Begriffen besteht jedoch durchaus ein Unterschied. Das Lachen (und Lächeln) gilt als der womöglich offensichtlichste Indikator einer Humorerfahrung, im Gegensatz zum Humor stellt es aber eine anatomisch und physiologisch beobachtbare Aktivität dar (vgl. Apte, 1985, S. 14).

Humor

Humor ist hingegen eine amüsante kognitive Aktivität, die durch einen bestimmten Stimulus auftritt (vgl. Shaw, 2010, S. 113). Mahadev L. Apte spezifiziert das etwas stärker und fasst unter den Humorbegriff an erster Stelle eine „cognitive, often unconscious experience involving internal redefining of sociocultural reality and resulting in a mirthful state of mind“, zweitens „external sociocultural factors that trigger this cognitive experience“, drittens „the pleasure derived from the cognitive experience labeled 'humor'“, und schließlich viertens „the external manifestations of the cognitive experience and the resultant pleasure, expressed through mirthful laughter and smiling“ (Apte, 1985, S. 14). Humor spielt sich also in einem bestimmten soziokulturellen Setting ab und wird von selbigem beeinflusst. Das Lachen stellt hierbei dann die physiologische Reaktion auf den Humor dar.

Neben dieser starken Fokussierung auf die kognitive Komponente kann Humor zudem in Analogie zum Spiel betrachtet werden. Das ist so zu verstehen, dass Humor einen sogenannten play frame hat, der das Spielverhalten vom ernsten Verhalten abgrenzt. Das, was sich innerhalb dieses Rahmens abspielt, ist nicht echt. Der Spielrahmen gibt sich oftmals durch bestimmte nonverbale Hinweise zu erkennen, die in der Regel am Anfang einer humorvollen Sequenz platziert sind, wie etwa „a voice quality, a body movement or posture, a lifted eyebrow“ oder „any of the various things people do to indicate fantasy to one another“ (Fry, 1963, S. 138). Humor kann überdies in unterschiedlichen Formen realisiert werden. So wird er hinsichtlich des verwendeten Mediums als visueller, physischer oder verbaler Humor klassifiziert. Für den weiteren Verlauf dieser Arbeit ist jedoch nur die letzte der drei genanten Formen relevant. Verbaler Humor wird sowohl durch mündliche als auch schriftliche Sprache erzeugt und kann in seiner Länge von sehr kurz (z.B. Einzeiler) bis zu extrem lang (z.B. lustiger Roman) variieren (vgl. Taylor, 2014, S. 351).

Witz

Zur Kategorie des verbalen Humors zählt der Witz. Das Humorvolle entfaltet sich dabei meistens erst am Ende des Witzes in einer äußerst präzisen Konklusion, der sogenannten punch line. Selbigen Terminus bezeichnen wir im Deutschen auch als „Pointe“. Der Pointe voraus geht ein Setup, in dem sich eine bestimmte Erzählung oder Fragestellung entwickelt. Es wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die punch line eines (witzigen) Witzes in einem widersprüchlichen Verhältnis zum Setup stehen sollte (vgl. Attardo, 2014, S. 417; Cohen, 1999, S. 1f.). Darauf wird in Kapitel 2.2 näher eingegangen.

Sucht man nach einer Begriffsbestimmung von Witz, lassen sich im Wesentlichen zwei Bedeutungen finden: der Witz als eine Art Text und der Witz als Talent bzw. Vermögen (vgl. Attardo, 2014, S. 417). Ursprünglich gehört das Wort <Witz> zum Wortfeld <Wissen> und wurde im deutschen Sprachraum als Übersetzung für den lateinischen Terminus <ingenium> verwendet, was so viel wie (schöpferische) Begabung oder Erfindungsgabe bedeutet. Somit folgt der Begriff des Witzes ebenfalls dem englischen <wit>, das bereits seit der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts das lateinische <ingenium> übersetzt hat. Erst im 19. Jahrhundert setzt sich bei der Begriffsbedeutung des Witzes die Komponente des Scherzes durch (vgl. Gabriel, 2018, o.S.).

Witze können als „canned jokes“, „situation jokes“ oder „practical jokes“ charakterisiert werden. Zur ersten Kategorie, den canned jokes, zählen Witze, die sich nicht auf eine laufende Interaktion beziehen. Einfacher formuliert gelten diese Witze als die Wiederholung und Weiterverarbeitung eines bereits bestehenden Textes und werden in .gekünstelter' Weise durch einen Sprecher präsentiert. Situation jokes, oder auch spontaneous jokes entstehen hingegen im Zuge einer laufenden interpersonellen Situation bzw. Interaktion. Sie sind, wie der Name schon ahnen lässt, improvisiert und werden ohne vorausgehende Probe verbalisiert. Und schließlich gibt es noch practical jokes, die mit einem Streich zu vergleichen sind, da hierbei eher physische Handlungen im Vordergrund stehen (vgl. Fry, 1963, S. 41ff.). Im Rahmen dieser Arbeit liegen jedoch nur canned jokes im Fokus der Untersuchungen.

Das Vorangegangene hat zum einen zu zeigen versucht, wie die drei Begrifflichkeiten Lachen, Humor und Witz zu bestimmen sind. Zum anderen wurde herausgearbeitet, in welcher Beziehung die drei Phänomene zueinander stehen. So gilt das Lachen als physiologisch beobachtbare Reaktion auf den Humor, während der Witz eine verbalisierte Form des Humors bildet.

Im Folgenden werden drei Theorien vorgestellt, die womöglich etwas mehr Einsicht in die Spielregeln des Humors bringen können.

2.2 Traditionelle Humortheorien

In der gegenwärtigen Humorforschung wird grundsätzlich zwischen drei Theorien unterschieden, die da lauten Überlegenheitstheorie, Entspannungstheorie und Inkongruenztheorie. Jede dieser Theorien soll dabei helfen, die funktionellen Aspekte von Humor zu erklären.

2.2.1 Überlegenheitstheorie

Der Überlegenheitstheorie zufolge liegt das Humorvolle in der Überlegenheit, die man gegenüber einer anderen Person empfindet. Der Humorproduzent gilt dabei immer als überlegen, das Witzobjekt ist somit unterlegen. Dieser Ansatz geht zurück auf Plato und Aristoteles und stellt die älteste der drei Humortheorien dar (vgl. Shaw, 2010, S. 114). Thomas Hobbes knüpft daran an und formuliert die These der Überlegenheitstheorie schließlich aus: ,, I may therefore conclude, that the passion of laughter is nothing else but sudden glory arising from sudden conception of some eminency in ourselves, by comparison with the infirmity of others, or with our own formerly“ (Hobbes, 1987, S. 19).

Folgt man also der hobb'schen Humortheorie, müssten für ein durch Humor ausgelöstes Lachen zwei Aspekte stets gegeben sein, nämlich: 1) Wir vergleichen uns selbst mit jemand anderem oder mit unserem früheren Selbst und 2) wir beurteilen uns selbst im Zuge dieses Vergleichs als übergeordnet. Dem kann jedoch entgegnet werden, dass keiner der beiden Kriterien eine notwendige Bedingung für Humor zu sein scheint. Nicht jede Humorerfahrung steht im Zusammenhang mit Personen, daher findet auch nicht zwangsläufig ein Vergleich mit einem anderen Individuum statt. Selbst wenn man über eine andere Person lacht, muss man sich dabei nicht mit dieser Person vergleichen (vgl. Morreall, 2009, S. 243). Man kann beispielsweise einen Komiker lustig finden, der etwas imitiert, ebenso kann ein Schuh, den man im Kühlschrank findet, durchaus humorvoll sein. Die Empfindung eines .plötzlichen Ruhms', so wie es Hobbes formuliert, kann in diesen Fällen keinesfalls als Ausgangspunkt des Lachens bzw. des Humors bestimmt werden.

Es gibt viele weitere Situationen, in denen man lacht oder etwas lustig findet, ohne dass man sich selbst in Abgrenzung zu seinem Gegenüber bewertet und daraufhin ein Überlegenheitsgefühl entsteht (vgl. Morreall, 1987, S. 129f.). Die Überlegenheitstheorie ist somit als generelle Theorie des Humors unzureichend.

2.2.2 Entspannungstheorie

Die Entspannungstheorie beschreibt Humor mithilfe einer eher physiologischen Herangehensweise. Dieser Theorie zufolge ist Humor als ein Prozess anzusehen, bei dem angestaute mentale Energie abgelassen wird. Herbert Spencer und Sigmund Freud sind an dieser Stelle als Hauptvertreter zu nennen. In Spencers Version entspricht Humor dem Freilassen von Nervosität. Solche nervösen Erregungen tendieren stets dazu, muskuläre Bewegungen hervorzurufen. Als eine Art physiologische Bewegung kann das Lachen dann dazu dienen, diese Anspannung freizusetzen (vgl. Spencer, 1911, S. 299ff.).

Freuds Auffassung der Entspannungstheorie zeigt sie sich etwas komplexer. Demnach dienen Witze als Sicherheitsventil für verbotene oder unangemessene Gefühle und Gedanken. Wenn wir in Witzen also das ausdrücken, was gewöhnlich verboten ist, wird die für die Unterdrückung solcher Empfindungen vorgesehene Energie in Form von Lachen abgebaut (vgl. Freud, 1905, o.S., zitiert nach Morreall, 1987, S. 111).

Auch die Entspannungstheorie erscheint als unzureichend, um Humor in seiner Gesamtheit zu erfassen. Die Theorie ist zwar durchaus auf Witze anwendbar, denn hierbei werden durch das Setup Erwartungen und somit gewisse Energien geschürt, die durch die punch line aufgelöst werden. Doch wie verhält es sich mit ganz unbeabsichtigten humorvollen Bemerkungen? Unsere Reaktionen auf Humor verlaufen meistens zu schnell, als dass sie angestaute mentale Energien abbauen könnten (vgl. Shaw, 2010, S. 118). So erscheint es eher unwahrscheinlich, dass wir jedes mal, wenn wir lachen, überschüssige Energien freisetzen. Es ist vielmehr anzunehmen, dass Humor mehr ist, als nur ein Energieabbau.

2.2.3 Inkongruenztheorie

Die Inkongruenztheorie gilt in der gegenwärtigen Debatte als die am stärksten anerkannte Humortheorie. Anders als die Überlegenheits- und Entspannungstheorie charakterisiert die Inkongruenztheorie das formale Objekt des Humors. Es wird demnach analysiert, was besagtes Objekt benötigt, um eine humorvolle Reaktion auszulösen. Ihren Grundgedanken zieht die Theorie im Wesentlichen aus den Überlegungen Kants, Schopenhauers und Kierkegaards. So geht sie davon aus, dass die Grundlage von Humor die Inkongruenz ist. Inkongruenz meint hier das Abweichen von Regularitäten oder Normen. Das, was uns amüsiert, ist das Zusammenstößen der eigenen Erwartungshaltung mit dem, was tatsächlich eintritt. Werden diese Erwartungen nicht oder auf andere Weise erfüllt, entstehen Unstimmigkeiten, die zumeist auch als absurd empfunden werden können (vgl. Morreall, 1987, S. 6).

Im Vergleich zu den bereits behandelten Humortheorien bietet die Inkongruenztheorie einige Vorteile. Denn bestimmte Formen des Humors, die durch die anderen Theorien nicht abgedeckt werden, kann dieser Ansatz erklären:

We enjoy puns because they toy with linguistic norms. We enjoy impersonations because they involve one person assuming the voice and mannerisms of another. We enjoy surreal humor because it presents us with raw incongruities in the form of absurdities. We enjoy dirty jokes because they violate social norms. Often, humor is performed by comedians with unusual physical features, such as clowns, comedians who dress eccentrically [...], overweight comedians [...], short comedians [...], or comedy duos in which the straight man's normality is used to accentuate the funny man's eccentricity. (Shaw, 2010, S. 116)

Es muss letztlich noch die Einschränkung gemacht werden, dass nicht jede Inkongruenz als angenehm oder amüsant angesehen wird. Eine Inkongruenz, die negative Emotionen wie Angst, Wut oder Empörung in einer Person evoziert, bringt keine humorvolle Reaktion hervor (vgl. Morreall, 1987, S. 130).

Obwohl sich die Inkongruenztheorie der funktionellen Essenz von Humor in großen Schritten nähert, finden sich auch hier einige Einwände. Dazu zählt zum einen, dass wir durchaus etwas lustig finden können, auch wenn es vorhersehbar ist. Ein Beispiel hierfür ist die populäre Illustration des Ausrutschens auf der Bananenschale. Der Ausgang dieses Slapstick-Gags ist wohl den meisten bereits bekannt, dennoch muss erdadurch nicht weniger lustig sein (vgl Shaw, 2010, S. 116).

Daran anknüpfend ergibt sich eine weitere Kritik. Die Inkongruenztheorie kann die Langlebigkeit von Humor nicht erklären. Vor allem Witze können noch immer lustig sein, sogar nachdem sie mehrmals erzählt wurden. Im Fall des BananenschalenGags kann diese Theorie also keine Antwort darauf geben, warum manche Personen immerwieder aufs Neue von einem solch ,alten Witz' amüsiert sind (vgl. ebd.).

Abschließend ist zu sagen, dass weder die Inkongruenztheorie, noch die Entspannungstheorie oder die Überlegenheitstheorie für eine ganzheitliche Humortheorie ausreichend ist. Dennoch beinhaltet jeder Ansatz wichtige Aspekte des Humors. So müssen sich Überlegenheit, Entspannung und Inkongruenz nicht ausschließen, sondern können oftmals Zusammenwirken, sich gegenseitig verstärken oder abschwächen (vgl. Kotthoff, 2006, S. 9). Indem man also die drei verschiedenen Ansätze vereint, kommt man dem Ziel einer vollständigen Theorie des Humors zumindest etwas näher.

Der Fokus dieser Arbeit verengt sich nun auf eine spezielle, verbale Realisierung von Humor: dem Witz. In den nächsten beiden Kapiteln werden daher funktionelle sowie inhaltliche Strukturen herausgearbeitet, die sich konkret auf Witze beziehen.

2.3. Analyse: Witz und Witzkommunikation

Humor im Allgemeinen, und der Witz im Speziellen, stellt ein soziales Phänomen dar. Es handelt sich also um eine Kommunikationsform, die in soziale Beziehungen eingebettet ist und somit verschiedene Individuen involviert. Witze leben vom ständigen Weitererzählen, sodass sie in jeder Interaktion wieder umgestaltet werden. Das macht den Witz zum „social event“, und nicht etwa zu einer individuellen Kreation. Kommunikation zeichnet sich generell durch einen Sender und einen Empfänger aus. Mit Witzen verhält sich das gleich: Der Witzerzähler sendet den Witz an einen Empfänger, also den Zuhörer des Witzes (vgl. Kuipers, 1971, S. 6f.).

Vor diesem Hintergrund bildete sich der Bergriff der Witzkommunikation heraus. Er wurde im Rahmen dieser Arbeit neu eingeführt und ist in Anlehnung an Helga Kotthoffs Term der Scherzkommunikation entstanden. Hierbei werden kommunikative Prozesse beschrieben, die sogenannte „nichternste Interaktionsmodalitäten“ beinhalten (vgl. Kotthoff, 2006, S. 8). Die Bezeichnung der Witzkommunikation soll die gleiche Bedeutung wie die Scherzkommunikation umfassen, jedoch mit der minimalen Präzisierung auf die Funktionsweise von Witzen. Daher erschien die Umformulierung von Kotthoffs Terminus für das Anliegen dieser Arbeit doch als passender.

Witze sollen uns - wie jegliche Formen des Humors - amüsieren und im besten Fall zum Lachen bringen. Einen ,guten' Witz zum richtigen Zeitpunkt zu erzählen ist an bestimmte Bedingungen geknüpft. Was hierbei als ,guter' Humor gilt, kann je nach Kontext unterschiedlich sein (vgl. Kuipers, 1971, S. 1ff.). Es ist also die Frage zu stellen, wie diese alltägliche Interaktion des Witzemachens funktioniert: Wann ist ein Witz erfolgreich und wann nicht?

2.3.1 Erfolg und Misserfolg einesWitzes

Der Witz setzt immer ein Publikum voraus. Darum kann man den Witz auch nicht bei sich behalten. Für sich allein ist man nicht witzig. (Goethe, 1889, S. 239)

Mit Rückblick auf Kapitel 2.1 setzt sich ein Witz wie folgt zusammen: Der Witz ist ein humorvoller Text, bestehend aus einem Setup und einer punch line. Das Setup wird dabei durch die punch line bzw. Pointe am Ende aufgelöst. Oftmals steht die Erzählung oder Fragestellung, also das Setup, in einem diskursiven Verhältnis zur Pointe. An dieser Stelle kommt die bereits bekannte Inkongruenztheorie (Kapitel 2.2.3) ins Spiel. Das, was hier den Humor erzeugt, ist die Inkongruenz zwischen den durch das Setup entwickelten Erwartungen und der tatsächlichen Pointe, die diese Erwartungen wiederum nicht erfüllt. Ein Witz kann zudem schriftlich oder mündlich realisiert werden (vgl. Attardo, 2014, S. 417).

Humor ist als eine Art Spiel anzusehen und wird durch einen sogenannten play frame begrenzt. Im speziellen Fall von Witzen wissen wir zumindest durch die punch line, wann dieser Spielrahmen beendet ist. Das Setup kann hingegen ohne jeglichen Verweis auf den anschließenden Spielmodus entwickelt werden. Erst die Pointe schafft Klarheit darüber, dass das Gesagte nicht ernst, sondern als Spaß gemeint war. Man kann einen Witz aber durchaus auch einleiten („Kennst du diesen Witz schon?“), wodurch der Übergang ins Spielverhalten offensichtlich wird (vgl Kuipers, 1971, S.9). Doch würde derWitz dadurch nicht an Lustigkeit einbüßen?

Fragen wie diese behandelt Ted Cohen in Jokes. Philosophical Thoughts on Joking Matters. Darin untersucht er, von welchen Bedingungen der Erfolg eines Witzes abhängt. Was Cohen unter einem „erfolgreichen“ Witz versteht, wird nicht explizit ausformuliert. Demnach schreibt er einem Witz lediglich Erfolg zu, wenn er, der Witz, verstanden wird (vgl. Cohen, 1999, S. 12). Dies kann allerdings noch weiter spezifiziert werden. Im Rahmen dieser Arbeit bedeutet daher ein gelungener Witz, dass die Pointe des Witzes verstanden und als lustig empfunden wird.

Noch bevor Cohen die hierfür erforderlichen Bedingungen herausarbeitet, unterscheidet er zunächst zwischen einem „pure joke“ und „conditional joke“. Erstere Form stellt den Idealwitz dar, für dessen Erfolg keinerlei Voraussetzungen gegeben sein müssen. Es liegt nahe, dass ein solcher Witz nicht existiert. So geht Cohen davon aus, dass es sich bei allen Witzen um die zweite Form, also conditional jokes, handelt: „A conditional joke is one that can work only with certain audiences, and typically is meant only for those audiences.“ Weiterhin sagt er, dass ,,[t]he audience must supply something in order either to get the joke or to be amused by it. That something is the condition [Hervorhebung im Original] on which the success of the joke depends“ (Cohen, 1999, S. 12).

Hermetische Witze

Je nach Witz sind verschiedene Arten an Bedingungen voraussetzend, um die Pointe zu verstehen und diese idealerweise auch noch lustig zu finden. Wird für das Verständnis des Witzes ein bestimmtes Hintergrundwissen oder bestimmte Ansichten seitens der Zuhörerschaft benötigt, nennt Cohen dies einen hermetischen Witz. Dazu zählen beispielsweise solche Witze, die spezifisches Hintergrundwissen über eine Berufsgruppe erfordern. Innerhalb dieser Kategorie gibt es wiederum verschiedene Nuancen von leicht hermetisch bis stark hermetisch. Man nehme folgenden Philosophenwitz (vgl. ebd., S. 12ff.):

The president of a small college desires to improve his school's academic reputation. He is told that the best way to do this is to create at least a few first-rank departments. It would be good to work on the mathematics department, he is told, because that would not be too expensive. Mathematicians do not require laboratories or even much equipment. All they need are pencils, paper, and wastebaskets. It might be even better to work on the philosophy department. The philosophers don't need wastebaskets. (ebd., S. 14)

Urn die punch line dieses Witzes zu verstehen, muss man weder Philosoph sein, noch detailliertes Wissen zur Philosophie haben. Allenfalls muss man laut Cohen gewissermaßen mit der Annahme vertraut sein, dass Philosophen eine „professional license" haben, um sagen zu dürfen, was immer sie wollen, denn „there is no way to prove them wrong, and so they are permitted to do anything they can get away with“ (ebd.). Da für diesen Witz ein eher oberflächliches Hintergrundwissen benötigt wird, fällt er in die Kategorie des leicht hermetischen Witzes.

Zumindest eine etwas vertiefte Wissensgrundlage verlangen stark hermetische Witze. Dabei muss es sich nicht immer etwa um den Fachjargon einer Berufsgruppe handeln, maßgeblich ist die signifikante Kenntnis einer spezifischen Thematik. Darüber hinaus erfordern einige hermetische Witze in erster Instanz kein bestimmtes Wissen oder bestimmte Überzeugungen, aber ein Bewusstsein dafür, was Cohen „commonplaces“ nennt (vgl. ebd., S. 15ff.).

Abe and his friend Sol are out for a walk together in a part of town they haven't been in. Passing a Christian church, they notice a curious sign in front saying „$ 1,000 to anyone who will convert.“ „I wonder what that's about,“ says Abe. „I think I'll go in and have a look. I'll be back in a minute; just wait for me.“

Sol sits on a sidewalk bench and waits patiently for nearly half an hour, and then Abe reappears.

„Well,“ asks Sol, „what are they up to? Who are they trying to convert? Why do they care? Did you get the $ 1,000?“

Indignantly, Abe replies, „Money. That's all you people care about.“ (ebd., S. 27)

Für den Erfolg dieses Witzes sind zwei Aspekte voraussetzend. Die Zuhörerschaft muss zunächst einmal ,Abe' und ,Sol' als jüdische Namen erkennen. Dazu muss das Publikum (oder der Erzähler) zwar nicht tatsächlich glauben, dass das Interesse von Juden allein im Geld liegt, ausschlaggebend ist jedoch, dass der Zuhörerschaft dieser commonplace bekannt ist (vgl. ebd.).

Affektive Witze

Eine weitere Bedingung, die für einen Witz erforderlich sein kann, sind die Gefühle, Präferenzen und Abneigungen des Publikums. Witze, die von diesen Faktoren abhängen, sind nach Cohen als affektive Witze zu bezeichnen. Sie werden in der Regel von sehr vielen Personen verstanden, ihr Erfolg ist aber an die affektiven Dispositionen derZuhörenden gebunden (vgl. ebd., S. 21), wie in diesem Witz : The thing about German food is that no matter how much you eat, an hour later you are hungry for the power. (ebd.)

[...]


1 Hier und im Folgenden umfassen alle männlichen Personenbezeichnungen alle Geschlechter.

Ende der Leseprobe aus 43 Seiten

Details

Titel
Stereotype, Rassismus und Humor. Philosophische Analyse zur moralischen Ambivalenz von Blason populaire-Humor
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
2,1
Autor
Jahr
2019
Seiten
43
Katalognummer
V1012533
ISBN (eBook)
9783346405241
ISBN (Buch)
9783346405258
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Humor, Witze, Diskriminierung, Rassismus, Stereotype, Sprache
Arbeit zitieren
Saphira Lopes (Autor:in), 2019, Stereotype, Rassismus und Humor. Philosophische Analyse zur moralischen Ambivalenz von Blason populaire-Humor, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1012533

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