Siegfrieds Körper als "Corpus Delicti" im Nibelungenlied. Ein Hinweis auf den Täter?


Hausarbeit, 2021

14 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Tod in der mittelhochdeutschen Literatur

2 Wahrheitsfindung im Mittelalter

3 Aspekte der Wahrheitsfindung im Nibelungenlied
3.1 Die Farbsymbolik bei der Tötung Siegfrieds
3.2 Die Bahrprobe

4 Folgen des Mordes für Hagen von Tronje

3 Fazit

1 Tod in der mittelhochdeutschen Literatur

Da der Tod ein unvermeidbarer Teil des Lebens ist, wird er dementsprechend auch oftmals in der Literatur behandelt. Vor allem in der mittelhochdeutschen Literatur geht es wiederholt um Aventiuren, in denen Zweikämpfe bestritten werden und der Widersacher getötet wird. Diese Zweikämpfe sind meist von höfischer Art und durch die Umstände gerechtfertigt. Doch neben gerechtfertigten Tötungen spielt auch Mord manchmal eine Rolle, wie es zum Beispiel bei der Tötung Siegfrieds im Nibelungenlied der Fall ist.

Die vorliegende Hausarbeit setzt sich mit der Wahrheitsfindung nach Siegfrieds Ermordung auseinander. Dabei liegen vor allem die körperlichen Aspekte wie die Farben der getragenen Kleidung und der Leichnam des Getöteten im Fokus. Es soll geklärt werden, ob der Körper Siegfrieds als sogenannter „Corpus Delicti" fungiert und welche Konsequenzen die Ermordung Siegfrieds nach sich zieht.

Das Ziel dieser Hausarbeit ist es dementsprechend aufzuzeigen, inwiefern der Körper des Helden Hagen von Tronje als Mörder überführt und ob er als sicheres Beweismittel anerkannt werden kann.

Um dieses Ziel zu erreichen, wird zunächst erklärt, was heutzutage unter einem „Corpus Delicti" verstanden wird. Außerdem wird der generelle Ablauf der Wahrheitsfindung im mittelalterlichen Recht kurz skizziert. Im nächsten Schritt wird die Rolle der Kleidung, die Hagen, Gunther und Siegfried während des Mordanschlags auf Siegfried tragen, genauer betrachtet, woraufhin eine kurze Analyse und Interpretation der Bahrprobe im Münster erfolgt. Daraufhin werden eventuelle Konsequenzen, die Hagen von Tronje aufgrund des Mordes erfährt, aufgezeigt.

Beendet wird die Arbeit mit einem Fazit.

2 Wahrheitsfindung im Mittelalter

Um sich mit der Fragestellung dieser Hausarbeit auseinandersetzen zu können, ist ein Exkurs zur Wahrheitsfindung im Mittelalter und dem Begriff „Corpus Delicti" unabdingbar.

Der „Corpus Delicti" hat heutzutage keine eigenständige Bedeutung mehr in gerichtlichen Prozessen. Vielmehr wird umgangssprachlich das Beweisstück, das letztendlich auch zur Überführung des Täters führt, als „Corpus Delicti" bezeichnet.1 Dies ist auch der Gebrauch des Wortes, auf welchen in dieser Arbeit zurückgegriffen wird.

Da diese Hausarbeit sich mit der Tötung Siegfrieds beschäftigt, bezeichnet der Begriff „Wahrheitsfindung" in diesem Fall die Ermittlung des Täters. Es handelt sich also um einen Prozess innerhalb des mittelalterlichen Rechtswesens. Im Gegensatz zur heutigen Zeit sind Religion und Recht im Mittelalter jedoch nicht voneinander getrennt, sondern sogar eng miteinander verbunden.2

In der mittelalterlichen Rechtsfindung bezieht man sich vor allem auf Zeugenaussagen und Urkunden, welche - wenn nötig - auch vereidigt werden. Reichen die vorhandenen Beweismittel allerdings nicht zur Rechtsprechung aus, wird auf das sogenannte Ordal zurückgegriffen. Das bedeutet, es kommt zu einem Gottesurteil, um den Täter der Tat zu überführen.3

Bei einem Gottesurteil wird der Angeklagte oder auch beide Parteien, also der Kläger und der Angeklagte, auf eine Probe gestellt.4 Diese Proben werden durch die gegebene göttliche Ordnung gerechtfertigt, da im Mittelalter die Vorstellung existiert, dass ein Verbrechen die göttliche Ordnung verletzt und somit als direktes Vergehen gegen Gott gewertet werden kann. Dadurch entrückt der Täter aus der gegebenen Ordnung, was durch das Gottesurteil sichtbar gemacht werden soll, indem Gott selbst bei einer dieser Proben ein Zeichen setzt oder etwas geschehen lässt, was den Täter als solchen enttarnt.5

Da sie allerdings das letzte Mittel zur Wahrheitsfindung sind, finden Gottesurteile vergleichsweise selten statt. Außerdem werden sie meist in der Öffentlichkeit ausgetragen, damit es möglichst viele Zeugen für das Urteil Gottes gibt, weshalb sie durchaus eine Attraktion für die Bevölkerung darstellen.6

Ein Beispiel für eine solches Gottesurteil ist die Bahrprobe, bei der der Leichnam des Opfers selbst den Täter überführt. Sie spielt Nibelungenlied eine wichtige Rolle, weshalb in einem der folgenden Kapitel genauer auf den Ablauf einer solchen Probe eingegangen wird.

3. Aspekte der Wahrheitsfindung im Nibelungenlied

3.1 Die Farbsymbolik bei der Tötung Siegfrieds

Da die Arbeit sich damit beschäftigen soll, welche Rolle Siegfrieds Körper in Bezug auf die Wahrheitsfindung während und nach seiner Tötung spielt, wird auch die Kleidung betrachtet, die Gunther, Hagen und Siegfried in der 16. Aventiure tragen.

Siegfrieds Jagdausrüstung wird über mehrere Verse hinweg ausführlich beschrieben.7 Der Erzähler berichtet, noch nie Von bezzerm pirschgew&te8 gehört zu haben, und zählt Siegfrieds zahlreiche und kostbare Waffen auf.9 Außerdem erfährt der Rezipient, dass Siegfried schwarz gekleidet ist, denn der Held trägt einen roc von swawrzem pfellel.10 Gunthers und Hagens Kleidung hingegen wird erst bei dem Wettrennen zur Quelle in Vers 973 erwähnt, wobei die Beschreibung auch sehr oberflächlich ausfällt. Auf die Ausrüstung der beiden Figuren wird nicht eingegangen. Es wird lediglich erzählt, dass sie darunter weiße Hemden tragen.11

Diese Farbkonstellation kommt im Nibelungenlied schon in einer früheren Aventiure vor. Denn bei der Ankunft auf Isenstein tragen Gunther und Siegfried weiße Kleider, während Hagen schwarz gekleidet ist.12 Es ändert sich hier lediglich die Tatsache, welche Figuren sich in den beiden Aventiuren farblich abgrenzen. Bei der Brautwerbung auf

Isenstein sind Siegfried und Hagen durch ihre weiße Kleidung sichtbare Verbündete.13 Sie gewinnen die Wettkämpfe gegen Brünhild gemeinsam, indem sie zusammenarbeiten. Im Gegensatz dazu scheint Hagen dem ganzen Unterfangen gegenüber eher pessimistisch eingestellt zu sein und fürchtet um sein Leben. So fragt er sich beispielsweise, wie selbst der tfvel uz der helle14 diesen Wettstreit unverletzt überleben sollte.

Doch bei der Tötung Siegfrieds ist nun Siegfried derjenige, der sich durch seine schwarze Kleidung abgrenzt, während Hagen und Gunther hier durch ihre weißen Hemden als Verbündete markiert werden. Es lässt sich also eine Veränderung in der Beziehung zwischen den einzelnen Figuren feststellen, indem Gunther, der vorerst immer auf Siegfrieds Seite stand, sich nun auf Hagen und dessen Pläne verlässt.

Dabei sind auch die Farben selbst interessant und es bietet sich an, die gegebene Farbsymbolik weiter zu analysieren. Denn in der mittelalterlichen Literatur des 12. und 13. Jahrhunderts spielen Farben eine wichtige Rolle. Sie dienen nicht nur der Ästhetik, sondern erleichtern den Rezipienten eine eigene visuelle Vorstellung des Vorgetragenen und vermitteln darüber hinaus auch einen eigenen Sinn.15

Siegfrieds schwarzes Jagdgewand kann als eine Vorausdeutung auf seinen bevorstehenden Tod angesehen werden,16 da „Schwarz als Farbe der Sünde, des Todes [und] der Trauer"17 bezeichnet wird. Im Kontrast dazu sind Hagen und Gunther mit ihren weißen Hemden in der Farbe der Reinheit, Tugend und Unschuld gekleidet.18 Dies scheint in Bezug auf die Wahrheitsfindung, also auf die Ermittlung des Mörders, problematisch, da die weiße Kleidung Hagens und Gunthers im ersten Augenblick deren Unschuld impliziert. Daher ist es erforderlich, sich über mögliche Gründe für diese bestimmte Farbgebung bewusst zu werden. Verschiedene Interpretationen sind dabei vor allem von den unterschiedlichen Sichtweisen der Figuren oder auch von der Intention des Autors abhängig.

So wäre es beispielsweise denkbar, dass die weiße Kleidung als eine Art „Tarnung" zu verstehen ist. Doch ob Gunther und Hagen sich bewusst in Unschuld kleiden oder ob der Autor mit der Farbgebung lediglich die hinterhältige Art und Weise, auf die Siegfried ermordet wird, betonen möchte, bleibt bei dieser Interpretationsweise ungeklärt.

Falls die beiden Figuren sich bei der Jagd vorsätzlich in Weiß gekleidet haben, könnten sie dies - wie bereits erwähnt - machen, um sich zu tarnen. Allerdings wäre es auch denkbar, dass sie sich symbolisch in Unschuld kleiden, da sie sich selbst im Recht sehen und sich dementsprechend als unschuldig erachten. Es wäre dann also ein Indikator dafür, dass Hagen und Gunther den Mord an Siegfried für gerechtfertigt halten.

Wenn man die Situation jedoch aus Siegfrieds Sichtweise heraus betrachtet, könnte die weiße Kleidung auch ein Zeichen für Siegfrieds Unwissenheit sein. Dieser bemerkt von der Falle, die Gunther und Hagen ihm stellen, bis zuletzt nichts und wiegt sich an der Quelle in vollkommener Sicherheit. Nicht ein einziges Mal kommt ihm in den Sinn, dass seine Begleiter ihm Schaden zufügen könnten.19

Jedoch ist es wichtig zu betonen, dass die Gründe für die Farbgebung nicht sicher ermittelt werden können und es sich hierbei nur um denkbare Interpretationen handelt. Allerdings gibt es bei der, im ersten Augenblick widersprüchlich erscheinenden, Farbgebung auch einen Moment der Auflösung. Denn als Hagen Siegfried mit dem Ger ersticht, spritzt das Blut aus seiner Wunde an Hagens Kleidung.20 Hagens weißes Hemd, und damit auch seine symbolische Unschuld, ist dementsprechend mit Blut befleckt. In diesem Moment ist es also Siegfrieds Körper, der seinen Mörder sichtbar als solchen kennzeichnet. Auffällig ist dabei vor allem, dass diese Kennzeichnung nur Hagen trifft und Gunther keine große Beachtung geschenkt wird, obwohl dieser von der geplanten Ermordung gewusst hat.

[...]


1 Vgl. Creifelds, Carl, Weber, Klaus, Aichberger, Thomas, Cassardt, Gunnar, Dankelmann, Helmut, Fuchs, Julian, Groh, Gunnar, Hakenberg, Michael, Kortstock, Ulf, Schmidt, Andrea & Werner, Raik: Rechtswörterbuch. München 23. Auflage 2019.

2 Vgl. Dinzelbacher, Peter: Das fremde Mittelalter. Gottesurteile und Tierprozesse. Essen 2006, S. 22.

3 Vgl. ebd., S.30.

4 Vgl. Glitsch, Heinrich: Gottesurteile. Leipzig: Voigtländer 1915 (Bd. 44), S. 6.

5 Vgl. Nottarp, Hermann: Gottesurteilstudien. München 1956, S. 17

6 Vgl. Dinzelbacher 2006, S.39.

7 Vgl. Das Nibelungenlied. Nach der St. Galler Handschrift. Herausgegeben und erläutert von Hermann Reichert. Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage. Berlin 2017 (= De Gruyter Texte), V. 948-953.

8 Das Nibelungenlied, V. 949.

9 Vgl. ebd., V. 948, V. 950 & V. 953.

10 Ebd., V. 949.

11 Vgl. ebd., V. 973.

12 Vgl. ebd., V. 397-400.

13 Vgl. Krass, Andreas: Siegfrieds Sichtbarkeit. Der vestimentäre Code im Nibelungenlied sowie in Thea von Harbous Nibelungenbuch und in Fritz Langs Film Die Nibelungen, in: Bedekovic, Natasa, Andreas Krass und Astrid Lembke (Hrsg.): Durchkreuzte Helden. Das »Nibelungenlied« und Fritz Langs Film »Die Nibelungen« im Licht der Intersektionalitätsforschung. Bielefeld 2014 (= GenderCodes 17), S. 244.

14 Das Nibelungenlied, V.440.

15 Vgl. Oster, Carolin: Die Farben höfischer Körper. Farbattribuierung und höfische Identität in mittelhochdeutschen Artus- und Tristanromanen. Berlin 2014 (= Literatur - Theorie - Geschichte 6), S.10.

16 Vgl. Krass 2014, S. 243.

17 Oster 2014, S. 52.

18 Vgl. ebd.

19 Vgl. Das Nibelungenlied, V. 973-978.

20 Vgl. ebd., V. 978.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Siegfrieds Körper als "Corpus Delicti" im Nibelungenlied. Ein Hinweis auf den Täter?
Hochschule
Universität Regensburg
Note
1,7
Autor
Jahr
2021
Seiten
14
Katalognummer
V1020321
ISBN (eBook)
9783346412980
ISBN (Buch)
9783346412997
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Interpretation mittelhochdeutscher Texte, Nibelungenlied, Siegfried, Mittelhochdeutsch
Arbeit zitieren
Henrike Runge (Autor:in), 2021, Siegfrieds Körper als "Corpus Delicti" im Nibelungenlied. Ein Hinweis auf den Täter?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1020321

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