Behandlungs- und Bewältigungsmethoden bei Prüfungsängstlichkeit


Diplomarbeit, 2002

151 Seiten, Note: befriedigend


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung
1.1. Anlass und Problem der Arbeit
1.2. Fragestellung
1.3. Zur Materialabgrenzung
1.4. Zur Methode
1.5. Zum Aufbau
1.6. Angrenzende Problematiken, die hier nicht behandelt werden

2. Prüfungsängstlichkeit als Angststörung
2.1. Definition des Begriffs Angststörung
2.2. Klassifikation verschiedener Angststörungen
2.2.1. Agoraphobie
2.2.2. Soziale Phobien
2.2.3. Generalisierte Angststörung
2.2.4. Panikstörungen
2.2.5. Prüfungsängstlichkeit
2.3. Lerntheoretische Ansätze zur Entstehung von Prüfungsängstlichkeit
2.3.1. Die Psychoanalyse
2.3.2. Kognitions- und handlungstheoretische Ansätze
2.3.3. Reiz – Reaktionstheorien
2.3.4. Theorien zum Verhältnis von Prüfungsängstlichkeit und Leistung
2.4. Der neurobiologische Ansatz zur Entstehung von Prüfungsängstlichkeit
2.4.1. Die Stressreaktion des Körpers
2.5. Zusammenfassung

3. Angstbehandlungs- und Bewältigungsstrategien bei Prüfungsängstlichkeit
3.1. Therapeutenzentrierte Behandlungsmethoden
3.1.1 Verhaltenstherapie
3.1.1.1. Entstehungsgeschichte
3.1.1.2. Methodik
3.1.1.3. Indikation
3.1.1.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.1.1.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.1.2. Neurolinguistisches Programmieren
3.1.2.1. Entstehungsgeschichte
3.1.2.2. Methodik
3.1.2.3. Indikation
3.1.2.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.1.2.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.1.3. Lernstrategietraining
3.1.3.1. Entstehungsgeschichte
3.1.3.2. Methodik
3.1.3.3. Indikation
3.1.3.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.1.3.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.2. Behandlungsmethoden mit Verwendungsmöglichkeit in der Selbsttherapie
3.2.1 Progressive Muskelentspannung
3.2.1.1. Entstehungsgeschichte
3.2.1.2. Methodik
3.2.1.3. Indikation
3.2.1.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.2.1.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.2.2. Autogenes Training
3.2.2.1. Entstehungsgeschichte
3.2.2.2. Methodik
3.2.2.3. Indikation
3.2.2.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.2.2.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.2.3. Klinische Hypnose und Selbsthypnose
3.2.3.1. Entstehungsgeschichte
3.2.3.2. Methodik
3.2.3.3. Indikation
3.2.3.4. Lerntheoretische Begründung für den Einsatz bei Prüfungsangst
3.2.3.5. Überprüfung der Wirksamkeit
3.3 Zusammenfassung

4. Umsetzungsmöglichkeiten der Therapiemethoden in die pädagogische Praxis am Beispiel von Schulen
4.1. Verhaltenstherapie
4.2. Neurolinguistisches Programmieren
4.3. Lernstrategietraining
4.4. Progressive Muskelentspannung
4.5. Autogenes Training
4.6. Klinische Hypnose und Selbsthypnose

5. Schlussbemerkung

Literaturverzeichnis

Quellenangabe für Abbildungen

Anhang

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Inhaltliche und methodische Einführung

1.1. Anlass für eine Arbeit zum Thema "Bewältigungsmöglichkeiten von Prüfungsängstlichkeit"

Angst vor einer bevorstehenden Prüfung, sei es im schulischen, im sportlichen oder in jedem anderen leistungsfordernden Bereich eines Menschen, kennt jeder - zumindest in Ansätzen. Der Grad der Ausprägung mag unterschiedlich sein, jedoch das Gefühl der Nervosität, die erhöhte Aktivität des Organismus und der spürbare Verlust der Konzentrationsfähigkeit kurz bevor die Prüfung beginnt, mag bei jedem Menschen gleich anmuten.

Versetzen Sie sich in die Lage eines Prüflings: stellen Sie sich vor, Sie stehen kurz, etwa 30 Minuten, vor einer wichtigen Prüfung, die darüber entscheiden wird, ob Sie ihre Ausbildung abschließen werden oder nicht. Sie haben gut gelernt, das ist keine Frage. Sie kennen die Prüfer, aber Sie wissen nicht, ob sie sich heute anders verhalten werden, ob sie gut gelaunt sind oder ob Sie sich nicht auf ihr Wohlwollen verlassen können.

Sie haben nur noch einen Gedanken: "Hoffentlich schaffe ich es!". Die Nervosität steigt - nur noch 10 Minuten. Die Gedanken beginnen zu fliegen - Sie stellen sich vor, was gleich geschehen könnte: Sie betreten den Raum, die Prüfer mustern Sie (alleine das steigert schon die Nervosität!), Sie setzen sich und dann - können Sie sich an nichts mehr erinnern Eine Panikwelle steigt in Ihnen auf. Der absolute Horror eines Prüflings könnte ausgerechnet Ihnen passieren - ein vollkommener Blackout!

Die Angst kriecht Ihnen bei dieser Vorstellung den Nacken hoch, Sie bekommen Bauchschmerzen, die Gedanken überschlagen sich, die Hände werden feucht, das Herz rast.

Die Tür geht auf, und Sie werden in den Prüfungsraum gerufen...

In diesem Augenblick sollte dem Prüfling nur noch ein Gedanke durch den Kopf gehen: Ich entspanne mich, ich werde ganz ruhig.

Im Idealfall wird diese Suggestion sofortige Wirkung zeigen, aber wie man aus der alltäglichen Praxis an Schulen und Hochschulen weiß, ist diese Methode meist nicht von Erfolg gekrönt.

Da, wie in dem eben geschilderten Fall der Entwicklung von Prüfungsangst, oft keine konkrete Möglichkeit der Gegenregulierung beim einzelnen "Subjekt" vorhanden zu sein scheint, ist es Thema dieser Arbeit, dem Leser Möglichkeiten zur Bewältigung der Prüfungsangst in konkreten Situationen aufzuzeigen. Außerdem werden Ansätze zur therapeutischen Behandlung bei "chronischer" Prüfungsangst (Prüfungsängstlichkeit) vorgestellt, die sich im Hinblick auf die Einbindung in die pädagogische Praxis als relevant erweisen. Diese Behandlungsmöglichkeiten werden auch auf ihre Verwendbarkeit in der Selbsttherapie hin untersucht.

Als wichtig stuft die Autorin dieser Arbeit das Aufzeigen und Erlernen von Bewältigungsstrategien gegen Angst schon in frühen, Leistungssituationen ein, da die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen, speziell im Hinblick auf die Entwicklungen in der Arbeitsmarktpolitik (vgl. Wettbewerbskriterien der Wirtschaft, Arbeitslosenzahlen, die neuesten Untersuchungen bezüglich des deutschen Schulsystems, etc), eine Selektionsmöglichkeit bei "generell ängstlicheren Menschen" erkennen lässt. Um dem entgegenwirken zu können, hält die Autorin es für prinzipiell wichtig, über individuelle Stressregulierungsmöglichkeiten zu verfügen. Diese können sich nicht nur auf Leistungssituationen günstig auswirken, sondern ermöglichen insgesamt einen positiven Einfluss auf die Persönlichkeit des Individuums.

1.2. Fragestellung

Die Hauptfrage dieser Arbeit lautet: Welche Behandlungs- und Bewältigungsstrategien existieren bei der Therapie von Prüfungsängstlichkeit ?

Hieraus ergeben sich folgende differenzierende Fragestellungen: Inwiefern lassen sich die vorgestellten Methoden in der Eigentherapie im konkreten Situationsfall anwenden? Welche Methoden sollen nur in Zusammenarbeit mit einem Therapeuten praktiziert werden? Lassen sich die vorgestellten Methoden anhand der lerntheoretischen und neurobiologischen Ansätze zur Entstehung von Prüfungsängstlichkeit auf ihre Wirksamkeit überprüfen? Ist eine Kombination verschiedener Bewältigungsmethoden möglich? Und wenn ja, wann? Inwiefern lassen sich die vorgestellten Behandlungs- und Bewältigungsmethoden in der pädagogischen Praxis an Schulen integrieren? Diese Arbeit geht auf die obigen Fragestellungen auf der Basis des gewählten Untersuchungsschwerpunktes „prüfungsängstliche Kinder und junge Erwachsene im Schulalter (6–18 Jahre)“ ein.

1.3. Zur Materialabgrenzung

In dieser Literaturarbeit wurde zur Einführung in die jeweiligen Therapiemethoden neben einigen populärwissenschaftlichen Werken hauptsächlich Primär- und Sekundärliteratur von experimentellen Untersuchungen und den daraus entwickelten theoretischen Abhandlungen für eine Erklärung zur Entstehung von Prüfungsängstlichkeit, sowie für die ausführliche Studie der Therapiemethoden, verwendet.

Beim Internetstudium entdeckte die Autorin regulär zugängliche Dissertationen zu den verschiedenen Therapiemethoden im Hinblick auf ihre Verwendung bei Prüfungsängstlichkeit, die erst in jüngster Zeit veröffentlicht wurden. Die Dissertationen sind meist experimenteller und empirischer Natur und geben interessante Hinweise für die Wirksamkeit der verwendeten Methode bei Prüfungsängstlichkeit. Aus diesem Grund sind einige Ergebnisse dieser Arbeiten auch in Kapitel 3 dieser Arbeit wiederzufinden.

1.4. Zur Methode

Da das Ziel dieser Arbeit die Darstellung und Untersuchung von wirksamen Bewältigungsmethoden für Prüfungsängstliche ist, wird zwangsläufig von einer selbstständigen empirischen Untersuchung abgesehen und stattdessen eine Untersuchung und Sortierung der bereits vorhandenen wissenschaftlichen Literatur vorgenommen.

Es war der Autorin in der Kürze der Zeit nicht möglich, alle vorhandene Literatur zu sichten. Sie möchte sich an dieser Stelle entschuldigen, wenn dem Leser weitere Literaturquellen bekannt sind, diese aber nicht erwähnt werden. Die Autorin erhebt bei der von ihr erwähnten Literatur in dieser Arbeit keinen Anspruch auf Vollständigkeit.

Ein mögliches Problem kann bei der Verwendung des Begriffs der Wirksamkeitsforschung entstehen. Die Frage, ab wann die Wirksamkeit einer Methode qualitativ und quantitativ bewiesen ist, ist in der gängigen Literatur nicht umfassend beantwortet (vgl, Grawe, 1994, und Revenstorf, 1983). Im Laufe der Arbeit stellte sich der Autorin unter anderem die Frage, ob eine Methode als wirksam gesichert ist, wenn hierzu „nur“ bis zu 5 Forschungsarbeiten existieren. Zu diesem Problem fand sich im deutschen Sprachraum lediglich eine Aussage. Der Wissenschaftliche Beirat für Psychotherapie äußert sich folgendermaßen: „Der Wirkungsnachweis für einen Anwendungsbereich kann in der Regel dann als gegeben gelten, wenn in mindestens drei unabhängigen, methodisch adäquaten Studien die Wirksamkeit für Störungen aus diesem Bereich nachgewiesen ist.“ (Anwendungsbereiche von Psychotherapie bei Kindern und Jugendlichen, Ergänzungsschreiben zu einem Artikel im deutschen Ärzteblatt 1 / 2000, S. 59).

Diese Aussage ähnelt den Bestimmungen der American Psychological Association zu diesem Thema.

In Kapitel 5 (in der Zusammenfassung) erfolgt unter anderem ein Exkurs zum Thema Therapieforschung (Effektivitätsforschung und Weiterentwicklung). Zum einen, um den Leser in das Themengebiet einzuführen und zum anderen, weil sich das Thema als sehr relevant für die Überprüfung der einzelnen Methoden zum Thema Prüfungsängstlichkeit erwiesen hat. Leider müssen viele Fragen unbeantwortet bleiben, da sonst der Rahmen der Arbeit gesprengt würde (siehe Kapitel 1.6.).

1.5. Zum Aufbau

Vor dem eigentlichen Hauptteil soll zunächst der Begriff Prüfungsängstlichkeit dem Leser vorgestellt werden. Hier wird gezeigt, wie er ihn einzuordnen hat, wie der Begriff im Allgemeinen definiert wird und, wie er aus der medizinisch-psychologischen Perspektive abzugrenzen und einzugliedern ist.

Des Weiteren sollen verschiedene lerntheoretische (z. B. die Psychoanalyse, Reiz-Reaktionstheorien, das klassische Konditionieren nach Pawlow) und neurobiologische (die Stressreaktion des Körpers, die Entstehung von Angstprozessen im Gehirn) Forschungsansätze dem Leser die Möglichkeit bieten, sich einen Einblick in die Entstehung der Prüfungsängstlichkeit zu verschaffen.

Wie bereits erwähnt, soll von der Vollständigkeit der hier vorgestellten Ansätze abgesehen werden. Es wurden nur diejenigen ausgewählt, welche zur Klärung der eingangs beschriebenen Fragestellungen dienen.

Im darauf folgenden Kapitel (Kapitel 3) werden zwei Kategorien der Bewältigungs- und Behandlungsmethoden vorgestellt: die erste beinhaltet vorwiegend Methoden, welche auch geeignet sind, selbständig und ohne Aufsicht des Therapeuten angewandt zu werden. Hierzu gehören das Autogene Training, die Progressive Muskelentspannung und die Selbsthypnose.

Die zweite Kategorie beinhaltet Methoden, welche nicht ohne die Anwesenheit eines Therapeuten oder Kursleiters durchgeführt werden können oder durchgeführt werden sollten. Hierzu zählen die Verhaltenstherapie, Stütz- und Primärstrategien nach Küpfer und das Neurolinguistische Programmieren.

Die vorgestellten Methoden werden kritisch nach deren Entwicklung aus den in Kapitel 2 erläuterten lerntheoretischen Ansätzen hin untersucht. Dies dient nicht nur als Grundlage für die Beweisführung eines möglichen Erfolgs der Methode bei der Behandlung von Prüfungsängstlichkeit (siehe Wirksamkeitsforschung), sondern soll einen direkten Bezug zur pädagogischen Praxis ermöglichen.

Außerdem soll geklärt werden, ob aufgrund der medizinisch-psychologischen Indikation eine Kombination der Behandlungsmethoden sinnvoll sein kann.

Kapitel 2 und 3 werden zum besseren Verständnis des Lesers durch eine Zusammenfassung abgeschlossen.

Kapitel 4 versucht, die gewonnenen Erkenntnisse aus den Kapiteln 2 und 3 zusammenzufassen. Anhand der Erkenntnisse soll überprüft werden, wie sich die Therapiemethoden in die pädagogische Praxis von Schulen und anderen Institutionen integrieren lassen.

Eine allgemeine Zusammenfassung der gesamten Arbeit in Kapitel 5 soll dem Leser die Möglichkeit bieten, alle gewonnenen Erkenntnisse noch einmal zu reflektieren. Außerdem erfolgt ein Ausblick auf mögliche Anwendungsbereiche der vorgestellten Methoden aus der Sicht der Autorin, ein kurzer Einblick in weitere Behandlungsmethoden und ein Exkurs in das Gebiet der Wirksamkeitsforschung und in das Problem professioneller Behandlung und Laientherapie.

1.6. Angrenzende Problematiken, die hier nicht behandelt werden

Problematiken sind in diesem Fall Themengebiete, die mit dem Feld der Behandlungsmöglichkeiten von Prüfungsängstlichkeit in engem Kontakt stehen, aber deshalb nicht in dieser Arbeit behandelt werden, da sie die von der Autorin gesteckten Grenzen überschreiten würden.

Zu diesen Themengebieten zählen

1. die Prüfungsangstdisposition des Prüfers (Leidet der Prüfer unter Prüfungsängstlichkeit? Wie geht der Prüfer mit der Prüfungssituation und seiner eigenen Prüfungsangst um? Welche Wechselwirkung entsteht dadurch im Verhalten zum Prüfling? Prüfer können z.B. unter der Angst leiden, von Prüfungsbeisitzern als schlechte Prüfer beurteilt zu werden.)
2. die allgemeinen Unterschiede in der Ausprägung der unterschiedlichen Persönlichkeitsstrukturen von Menschen (Welche Unterschiede existieren? Welche Untersuchungen sind in der Persönlichkeitspsychologie gemacht worden? Welche Konsequenzen haben diese Unterschiede auf die Entwicklung von Behandlungsmethoden und Bewältigungsstrategien?)
3. interkulturelle Unterschiede in der Ausprägung von Prüfungsängstlichkeit (Unterschiede in der Sozialisation von Kindern, unterschiedliche Wertecharakteristika in den verschiedenen Kulturen, etc.)
4. die Wirksamkeitsforschung (Entstehungsgeschichte, Problematik der Quantität von Wirksamkeitsuntersuchungen, etc.).
5. die ausführliche Beschreibung der Kombinierbarkeit der verschiedenen Methoden und deren unterschiedliche Wirksamkeit im Gegensatz zu der Verwendung der Methoden als eigenständige Therapie (Diesem Thema wird zwar ein kurzer Abschnitt in der Zusammenfassung von Kapitel 3 gewidmet, jedoch nur um die Kombinierbarkeit anhand der Entwicklung, Methodik und Entstehungsgeschichte zu beweisen. Eine Überprüfung der Studien zur Wirksamkeit von Kombitherapien würde den Rahmen der Arbeit sprengen.).

2. Prüfungsängstlichkeit – eine Subkategorie der allgemeinen Angststörung

2.1. Definition des Begriffs Angststörung

Angst wird im Allgemeinen als beklemmender und quälender Gefühlszustand beschrieben, der als Reaktion auf eine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung folgt (Brockhaus-Enzyklopädie, 1995, S. 36)

Die Angst ist dabei von körperlichen Symptomen begleitet, die durch das vegetative Nervensystem beeinflusst werden. Hierzu zählen beispielsweise Unruhe, Erregung, Herzklopfen, Schweißausbrüche, Bewusstseinsstörungen und Schwindel.

Sigmund Freuds wissenschaftliche Abhandlungen über das Thema Angst gehören zu den ersten bekannten Veröffentlichungen in diesem noch relativ jungen Forschungsgebiet. Freud definiert Angst als „bestimmter situationsverändernder, intraindividuell variierender affektiver Zustand des Organismus“, welcher „durch erhöhte Aktivität des autonomen Nervensystems sowie durch die Selbstwahrnehmung von Erregung, das Gefühl von Angespanntsein, ein Erlebnis des Bedrohtwerdens und verstärkte Besorgnis gekennzeichnet ist“ (Krohne, H. W.; 1996, S. 8).

Freud erkannte erstmals den Unterschied zwischen einer „berechtigten“ und einer „unberechtigten“ Angst. Er unterstellte der „unberechtigten“ Angst eine krankhafte Ausprägung (Unkontrollierbarkeit und Unvorhersehbarkeit in ihrem Auftreten) und ordnete sie der Kategorie der Neurosen zu (vgl. Freud, S.; 1923). In seinem 1895 veröffentlichen Artikel „Über die Berechtigung von der Neurasthenie einen bestimmten Symptomenkomplex als Angstneurose abzutrennen“ definiert Freud erstmals in der Geschichte der Wissenschaft die „Klinische Symptomatologie der Angstneurose“. Hierzu zählt er die oben genannten Symptome. Besonderes Gewicht legt Freud auf das Erscheinen des Schwindels, die erhöhte Darmtätigkeit inklusive kurzfristiger Darmerkrankungen (z.B. Diarrhöen, Erbrechen) und vor allem auf den Unterschied (bei Untersuchungen von Angsterscheinungen) zwischen einer aktuellen, vorübergehenden Angst- Emotion und der Angst als Persönlichkeitsmerkmal.

Die aktuelle Angstemotion wird in neueren Ansätzen der Angstforschung als „intraindividuell (innerhalb eines Individuums) variierender affektiver Zustand (state) des Organismus verstanden, der durch spezifische Ausprägungen auf physiologischen, verhaltensmäßig-expressiven und subjektiven Parametern gekennzeichnet ist“ (Krohne, H. W., 1996, S. 5)

Die Angst entsteht in diesem Fall durch spezifische Erregungsprozesse, die durch das autonome Nervensystem gesteuert werden und durch individuell verschiedene Regulationsprozesse wieder abgebaut werden können. Die kognitiven Reaktionen des Erregungsprozesses werden im Allgemeinen schneller ausgelöst als die physiologischen Reaktionen (vgl. Epstein, S., 1962 / Lacey, J. I., 1959). Anders formuliert bedeutet dies, dass - neben der erhöhten Aktivität des autonomen Nervensystems - die kognitiven Prozesse der Selbstbewertung und –wahrnehmung sowie der Situationsbewertung aktuelle Angstemotionen entstehen lassen.

Bei der Verwendung der Angst als Persönlichkeitsmerkmal spricht man in der Angstforschung von dem Begriff „Ängstlichkeit“. Nach Ansicht von Spielberger (1972) erleben prinzipiell ängstliche Menschen manche Situationen (Prüfungssituationen, etc.) als bedrohlicher und reagieren physiologisch stärker als generell „nichtängstliche“ Personen. Spielberger nennt das Persönlichkeitsmerkmal "Angst" in seinen Arbeiten "trait“.

Im ICD – 10 (Internationale statistische Klassifikation von Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme) wird eine ängstliche Persönlichkeit folgendermaßen beschrieben: ängstliche Personen weisen ein ständiges Gefühl der Anspannung und Besorgtheit auf, sie sind überzeugt davon, unattraktiv, unbeholfen und minderwertig zu sein, sie fürchten sich fortwährend vor Kritik und Zurückweisung und vermeiden dadurch persönliche Kontakte, sie führen einen eingeschränkten Lebensstil, um ihr Bedürfnis nach Sicherheit befriedigen zu können (vgl. Dilling et al., 1993). Diese Definition des ICD – 10 entspricht den diagnostischen Kriterien des DSM-IV (Diagnostik and Statistical Manual of Mental Disorders) für eine „vermeidend-selbstunsichere Persönlichkeitsstörung“.

Der Begriff Ängstlichkeit wird in dieser Arbeit nach den Definitionen von Spielbergers „State – Trait - Angstmodell“ (vgl. Spielberger, C. D., 1972) verwendet. Wie im Titelthema dieser Arbeit formuliert, richtet diese Untersuchung ihr Augenmerk nur auf Angst als Persönlichkeitsmerkmal, wobei im Besonderen die Prüfungsangst fokussiert wird.

2.2 Klassifikation und Abgrenzung verschiedener Angststörungen gegenüber der Prüfungsängstlichkeit

In Zuge der Suche nach einer einheitlichen Klassifizierung unterschiedlicher Angstausprägungen kam es zu einer internationalen Kompromisslösung. 1990 wurde erstmals das neue Diagnoseschema ICD-10 der Weltgesundheitsorganisation (WHO), an dem 140 Mitgliedsstaaten beteiligt waren, herausgegeben. Entwickelt nach den Schemata der US-amerikanischen Forschung und in Anlehnung an das in Amerika entwickelte DSM-IV, gelang jedoch nicht die empirisch-forschungsbezogene Fundierung der psychiatrischen Diagnostik, wie es dem amerikanischen Diagnoseschema zu entnehmen ist.

Das ICD-10 unterteilt Angststörungen in zwei Gruppen: die phobischen Störungen und „sonstige“ Angststörungen.

Phobische Störungen werden in drei große Gruppen untergliedert: die Agoraphobie (ohne und mit Panikstörung), soziale Phobien und spezifische (isolierte) Phobien. Unter „sonstige“ Phobien fallen die aus der Zeit von Sigmund Freud stammenden Differenzierungen in eine generalisierte Angststörung und eine Panikstörung. Anders als die Phobien sind Angststörungen nicht auf bestimmte Umgebungssituationen begrenzt.

Phobien und „sonstige“ Angststörungen können, gemäß ICD-10, auch in mehrfacher Kombination miteinander diagnostiziert werden (z.B. Panikstörung mit Agoraphobie oder ohne, Agoraphobie ohne Panikstörung, soziale Phobie mit Agoraphobie, etc.).

An dieser Stelle werden einige phobische Störungen und sonstige Angststörungen näher vorgestellt, respektive ein- und voneinander abgegrenzt.

2.2.1. Agoraphobie

Der Begriff der Phobie kommt aus dem Griechischen und bedeutet „Furcht“.

Phobien werden von der Wissenschaft in fünf Bereiche unterteilt. Sie entstehen aus Befürchtungen

1. bezüglich spezifischer Orte und Naturereignisse (Höhen, Abgründe, geschlossene Räume, Dunkelheit, Gewitter, etc.)
2. bezüglich spezifischer Situationen und Tätigkeiten (Angst vorm Auto fahren, vor Menschenmengen, Schlangen an Kaufhauskassen, Flugangst, auf Partys gehen, alleine aus dem Haus gehen, etc.)
3. bezüglich bestimmter Tiere (Mäuse, Ratten, Schlangen, Spinnen, Insekten, etc.)
4. bezüglich spezifischer Krankheitserreger und Krankheiten (Bakterien, Viren, Schmutz, Herz-Kreislauf-Störungen, Krebs, Blut, Zahnarztbesuche, etc.) und
5. bezüglich bestimmter Körpersymptome, die auf Krankheiten hindeuten können.

(erhöhter Puls, Atembeschwerden, Schwitzen, Schwindelgefühl, Magenschmerzen, etc.) (Lückert, H.-R./Lückert, I., 2000, S. 121).

Aus der Therapieforschung geht hervor, bei Phobikern sei immer wieder festzustellen, dass vorausgegangene Unsicherheiten und Minderwertigkeitsgefühle die Entstehung und Manifestierung von Phobien maßgeblich beeinflussen. Situationen, die das ohnehin lädierte Selbstwertgefühl verringern könnten, werden bedrohlicher eingestuft als von Menschen mit einem gesunden Selbstwertgefühl (Mentzos, 1984).

Der Agoraphobiker hat, wie das griechische Wort „agora“ (Marktplatz) besagt, Angst, über Plätze zu gehen, Läden, Kaufhäuser und Bürogebäude zu betreten, sich an Orten mit geschlossenen Fenstern aufzuhalten, etc.. Demzufolge werden alle Örtlichkeiten gemieden, welche eine angstauslösende Situation forcieren könnten.

Charakteristisch ist, dass die phobisch besetzten Orte alle außerhalb des eigenen Wohnbereichs liegen. Das Persönlichkeitsprofil zeichnet sich folgendermaßen ab: Agoraphobiker sind erhöht sensitiv und verfügen nicht über entsprechende intrapsychische Verarbeitungsmöglichkeiten, um mit belastenden Situationen (Stress, Prüfungssituationen, Anforderungen im Beruf) umgehen zu können. Sie reagieren intensiver als andere Menschen auf äußere und innere Reize, was die Stressanfälligkeit noch erhöht.

Agoraphobien können außerdem mit oder ohne Panikstörungen (den „sonstigen“ Angststörungen zugeordnet) auftreten. Die Häufigkeit von Panikattacken ist allerdings nicht linear zu den phobischen Angstzuständen zu sehen, sondern unterliegt dem allgemeinen Gesundheitszustand des Individuums und dessen TagesfaVon. Die Schwankungen entstehen aufgrund von Unsicherheit, Unvorhersagbarkeit und dem Hilflosigkeitsgefühl der Patienten.

Bei Agoraphobikern sind meist zwei Arten von Ängsten anzutreffen:

Der Patient hat Angst vor Panikattacken oder einer panikartigen Symptomatik. Ausgelöst wird die Angst durch das Auftreten einer Panikattacke bei Beginn der Phobie. Die Angst vor Orten wird zusätzlich mit der Erfahrung der symptomatischen Reaktion des Körpers gekoppelt. Diese negative Erwartungshaltung führt zu wiederholten Attacken, welche die phobischen Ängste verstärken. Der Patient vermeidet zunehmend Örtlichkeiten, die ihm keinen, wie auch immer gearteten, Schutz bieten, wie z. B. eine Mauer, Vertrauenspersonen, das eigene Auto, etc..

Auf der anderen Seite verstärkt sich durch die Symptomatik der Panikattacke die Angst vor sozialer Auffälligkeit. Der Phobiker unterliegt dem Irrglauben, andere könnten seine Furcht, den Schweiß, das Zittern und Herzrasen erahnen und tendiert somit, als Vermeidungsverhalten, zur sozialen Isolation (vgl. Wlazo, 1995, S. 18).

Wichtig bei der Diagnostik ist das eindeutige Erkennen der Agoraphobie. Oftmals verbirgt sich hinter der Symptomatik eine soziale Phobie. Unterscheiden lassen sich diese zwei Arten folgendermaßen:

Die Angst vor Menschenansammlungen tritt bei beiden Arten gleichermaßen auf. Jedoch sind bei der sozialen Phobie die Menschen an sich der Auslöser der Angstreaktion., bei der Agoraphobie ist es die Angst, den Ort nicht rechtzeitig verlassen zu können.

Anders als bei der sozialen Phobie kreisen die Befürchtungen des Agoraphobikers ständig um die eigene Sicherheit und Gesundheit. Der Agoraphobiker leidet unter der Vorstellung, die Kontrolle über das Bewusstsein und den eigenen Organismus verlieren zu können, ohne dass er sich um mögliche Reaktionen von anwesenden Menschen kümmert. Die Befürchtungen der sozialen Phobiker beziehen sich auf die möglichen negativen Bewertungen seiner Handlungen von Seiten der Umwelt.

Das auslösende Moment für eine Angstreaktion ist bei beiden Arten unterschiedlicher Natur: während der Agoraphobiker eher darunter leidet, dass ihm keine Bezugspersonen rasch zu Hilfe eilen können, leidet der Sozialphobiker eher unter der „scheinbaren“ Beobachtung seiner sozialen Umwelt und meidet diese.

2.2.2. Die soziale Phobie

Eine soziale Phobie entsteht durch die Furcht vor der Beurteilung durch Menschen in verhältnismäßig kleinen Gruppen. Die Phobie tritt nicht bei der Begegnung mit Menschenmengen auf. Die soziale Phobie charakterisiert sich durch eine dauerhafte, unangemessene Furcht und Vermeidung von Situationen, in denen der Patient mit der möglichen Bewertung seiner Mitmenschen konfrontiert sein könnte. Die Patienten leiden unter der Angst, sich der Lächerlichkeit preisgeben zu müssen oder durch "nicht norm-konformes" Verhalten aufzufallen.

Zu den typischen Situationen, in denen soziale Ängste auftreten können, zählen das Halten einer Rede in der Öffentlichkeit, die Teilnahme an Tests und Wettbewerben, das Kennenlernen fremder Menschen, der Besuch öffentlicher Toiletten, die Teilnahme an Bewerbungsgesprächen oder die Teilnahme an Partys, Treffen oder Ähnlichem.

Marks unterscheidet zwei Arten von behandlungsrelevanten sozialen Ängsten:

a) die Sozialphobie im Sinne einer angstbedingten Hemmung und
b) die Sozialphobie als Folge eines sozialen Kompetenzdefizits (vgl. Margraf & Rudolf, 1995, S. 24).

Soziale Kompetenzdefizite äußern sich durch oft lebenslange Schwierigkeiten, soziale Kontakte zu knüpfen, obwohl durchaus der Wunsch danach besteht. Als Folge des "Versagens" entstehen beim Patienten weitere Kontaktängste, die im sozialen Rückzug enden.

Eine andere Unterscheidung in der Behandlung macht das amerikanische Diagnoseschema DSM-IV; hier wird nach dem Ausmaß der Generalisierung in zwei Arten von sozialen Phobien gegliedert:

a) soziale Phobien bei Leistungstypen

(Es entsteht eine nicht-generalisierte Phobie, die im engeren Sinn der Einteilung von Marks entspricht. Ängste beziehen sich nur auf Leistungssituationen. Als Auslöser für die Erkrankung dient oft der Spott von Mitmenschen in Leistungssituationen, wie zum Beispiel bei einem Referat oder bei Turnübungen.)

b) soziale Phobien als generalisierte Angst

(Es besteht ein Sozialkompetenzdefizit. Daraus entstehen Angstsituationen in vielfältigsten Konfrontationen mit der sozialen Umwelt.) è auch ängstlich-vermeidende Persönlichkeitsstörung (nach ICD-10) genannt.

2.2.3. Die generalisierte Angststörung

Die generalisierte Angststörung ist eine anhaltende Angst, welche nicht auf bestimmte Situationen oder Gegenstände beschränkt ist, sondern frei "flottierend" auftritt. Charakteristisch für diese Angststörung ist die andauernde, übertriebene und unrealistische Angst bezüglich vielfältiger Aspekte des Lebens. Zudem besteht ein andauerndes erhöhtes Angstniveau, welches nicht in Panikattacken mündet, sondern mit motorischer Anspannung und vegetativen Symptomen verbunden ist. Das ICD-10 katalogisiert diesbezüglich folgende Symptomatik für die generalisierte Angststörung:

Als Befürchtungen werden die Sorge über zukünftiges Unglück, Nervosität und sich daraus ergebende Konzentrationsschwierigkeiten angeführt. Zu den motorischen Spannungen zählen körperliche Unruhe, Spannungskopfschmerzen, Zittern und eine ständige muskuläre Anspannung. Die vegetativen Symptome äußern sich in Schwindel, Atemnot, Herzrasen, Schwitzen, Hitzewallungen, Magen-Darm-Beschwerden, Harndrang, Mundtrockenheit sowie Ein- und Durchschlafstörungen (vgl. Dilling et al., 1993, S. 162).

Die Ängste einer generalisierten Angststörung weisen vielfältige Inhalte auf und sind somit nicht mit den begrenzten Ängsten der anderen Angststörungen gleichzusetzen. Im Vergleich mit Panikpatienten klagen Patienten mit einer generalisierten Angststörung "nur" über Übelkeit, Kopfschmerzen und Schlafstörungen.

Gegenüber Sozialphobikern, welche sich "nur" vor Menschen und Kontakten scheuen, entwickelt der Patient im Fall der generalisierten Angststörung Ängste unabhängig von sozialen Situationen. Auch anders als bei Patienten mit Ängsten und depressiven Verstimmungen klagen die Patienten hier weniger über Selbstmordgedanken oder Interessenverlust. Dauert die Störung länger als ein Jahr an, können sich andere Angststörungen ebenfalls entwickeln. Insbesondere das Entstehen einer sozialen Phobie wurde festgestellt; hinzukommen ein Alkohol- und Medikamentenmissbrauch sowie Persönlichkeitsstörungen (vgl. Morschintzky, 1998).

2.2.4. Die Panikstörung

Die Panikstörung gehört zu den Angststörungen, die am längsten bekannt sind. Freud beschreibt sie schon präzise in seinem bereits erwähnten Artikel über die Angstneurose (siehe Kapitel 2.1.).

Als Gegenstand eigenständiger Diagnose wurde die Panikstörung allerdings erst 1980 in das amerikanische Diagnoseschema DSM-IV aufgenommen.

Morschitzky (1998) definiert eine Panikattacke folgendermaßen:

„Eine Panikattacke ist eine abgrenzbare Periode intensiver Angst und starken Unbehagens und besteht aus mehreren, plötzlich und unerwartet (...),scheinbar ohne Ursachen in objektiv ungefährlichen Situationen auftretenden somatischen und kognitiven Symptomen von subjektiv oft lebensbedrohlichem Charakter.“ (Morschitzky, 1998, S. 39)

Zu den Symptomen der Panikattacke gehören der beschleunigte Herzschlag, Schwitzen, Zittern, Atemnot, Erstickungsgefühle, Schmerzen in der Brust, Übelkeit und Durchfall, Schwindel, Unsicherheit, Derealisation, Depersonalisation, Angst zu sterben, Kribbelgefühle in den äußeren Gliedmaßen und Hitzewallungen.

Unter einer Panikstörung versteht man das wiederholte, unerwartete Auftreten von Panikattacken.

Die Panikstörung entwickelt sich aus dem traumatischen Erlebnis der Hilflosigkeit und Unsicherheit bei der ersten Panikattacke heraus. Die entwickelte Symptomatik wird als lebensbedrohlich eingestuft und lässt die Neigung zur hypochondrischen Beobachtung des Organismus steigen. Selbst ein negativer Befund durch eingehende Untersuchungen bei Ärzten lässt die Angst vor einer lebensbedrohlichen Krankheit nicht verschwinden.

Anders als bei phobischen oder agoraphobischen Angstreaktionen richtet sich die Aufmerksamkeit des Patienten nicht auf Ereignisse oder Situationen außerhalb, sondern auf Reaktionen innerhalb des eigenen Organismus. Bestimmte Symptome, wie Schwitzen und Schwindel, auch heißes oder schwüles Wetter, begünstigen das Entstehen einer Panikattacke.

Die Existenz einer Panikstörung führt beim Patienten zu einer Demoralisierung, da er nicht in der Lage ist, die Panikattacke selbstständig zu bewältigen. Außerdem entwickeln sich Ängste, „verrückt“ zu werden, d. h. die Kontrolle über Körper und Geist zu verlieren. Aufgrund der wiederkehrenden Symptomatik neigen die Patienten zu drastischen Veränderungen in der Lebensführung (Arbeitsunfähigkeit, Veränderungen im familiären Zusammenleben, etc.). Hieraus entstehen wiederum Erwartungsängste und ein Vermeidungsverhalten. Aus einer Panikattacke entwickelt sich eine Panikstörung mit sozialphobischen oder / und agoraphobischen Tendenzen.

Als Auslöser für die erste Panikattacke gilt im Allgemeinen ein erhöhtes Stressniveau. Erhöhte Stressbelastungen entwickeln sich aus familiären, beruflichen, finanziellen, körperlichen oder psychischen Konflikten. Die erste Attacke entsteht für gewöhnlich aus einer Kombination zweier Arten von Stressfaktoren: zum einen aus körperlichen Belastungen (z.B. niedriger Blutdruck, Allergien, Schwangerschaft, Koffein-Konsum, Alkohol- und Drogenmissbrauch, etc.) und zum anderen aus einer psychosozialen Belastung (z.B. durch Todesfälle, Trennungserlebnisse, Kündigungen im Beruf, etc.).

Von anderen Arten der Angststörung unterscheidet sich die Panikstörung durch eine ausgeprägtere Symptomatik, einen akuteren Zeitverlauf der auftretenden Symptome, die Unmittelbarkeit der befürchteten Gefahren (z.B. die Todesangst), eine Unvorhersehbarkeit der Angstanfälle und durch eine höhere Bedeutung interner, angstauslösender Reize (vgl. Morschitzky, 1998, S. 56).

2.2.5. Prüfungsängstlichkeit

Bei der Eingrenzung und Definition der „Prüfungsangst“ unterscheidet die Forschung, wie bei der Definition des Oberbegriffs Angst, in latente und situationsabhängige Prüfungsängste. Man verwendet den Begriff Prüfungsangst für situationsabhängige Angsterscheinungen und den Begriff Prüfungsängstlichkeit für die latente Ausprägung in der Persönlichkeit des Individuums (vgl. Spielberger, 1972).

Beide Formen der Angst stellen sich bei Leistungsanforderungen ein, die als selbstwertbedrohlich eingeschätzt werden. Küpfer definiert Prüfungsängstlichkeit als „die überdauernde Besorgtheit und Aufgeregtheit angesichts von Leistungsanforderungen, die als selbstwertbedrohlich eingeschätzt werden“ (Küpfer, 1997, S. 18).

Als Persönlichkeitsmerkmal betrachtet, wird bei Prüfungsängstlichkeit seit den Arbeiten von Liebert und Morris (1967) zwischen einer emotionalen und einer kognitiven Angstkomponente unterschieden. Die kognitive Komponente bezeichnet die Besorgtheit angesichts der Erwartung von Misserfolg in einer Prüfung. Die emotionale Komponente bezeichnet die Aufgeregtheit des Körpers (Anspannung der Muskulatur) und die Wahrnehmung autonomer Erregung (z. B. Magenschmerzen vor einer Prüfung).

Wichtig ist bei Untersuchungen die Unterscheidung der wahrgenommenen und der tatsächlichen physiologischen Erregung. Deffenbachers (1986) Untersuchungsergebnisse zeigen, dass die beiden Merkmale nicht gleichzusetzen sind.

Seine Resultate belegen, dass die autonomen Erregungen für die Entwicklung von Prüfungsängstlichkeit von geringerer Bedeutung sind als die kognitiven Prozesse. Die Untersuchungen von Holroyd und Appel (1980) belegen dies ebenfalls und scheinen die handlungstheoretisch orientierte Forschungslinie der Autoren zu rechtfertigen.

Ängste werden in der Forschung grundsätzlich in leistungsbezogene und nicht-leistungsbezogene Ängste unterschieden.

Im Teilgebiet der leistungsbezogenen Angstforschung werden vorwiegend die Begriffe Prüfungsängstlichkeit, Prüfungsangst und auch die Begriffe Leistungsängstlichkeit, Schulängstlichkeit und Examensängstlichkeit untersucht. Den höchsten Generalitätsgrad dieser Angstdispositionen zeigt allerdings die Leistungsängstlichkeit, da sie auch leistungsthematisch divergierende Ängste, wie Sexualängstlichkeit oder Berufsängstlichkeit (beide beinhalten auch die Prüfungsängstlichkeit), miteinbezieht. Allerdings wird dem Begriff Prüfungsängstlichkeit in der Forschung der Vorzug gegeben, wie die überwältigende Mehrzahl der diagnostischen Verfahren (vgl. Rost & Schermer, 1987, Hembree, 1988, Schwarzer, 1990) belegt.

Die strenge Unterteilung in leistungs- und nichtleistungsbezogene Ängste entspricht der Kategorisierung des DSM-IV für soziale Phobien. Bei genauerer Betrachtung der Symptomatik der Prüfungsängstlichkeit, lässt sich feststellen, dass die einzelnen Angstformen ineinandergreifen. Als Beispiel hierfür dient die Betrachtung von Prüfungsängstlichkeit und sozialen Ängsten. Hier zeigt sich, was ihre Ausprägung angeht, eine deutliche Überlappung der beiden Angstformen. Buss (1980) fasst die Überschneidungscharakteristika folgendermaßen zusammen:

Scham, Schüchternheit, Verlegenheit und Publikumsängstlichkeit äußern sich gleichermaßen stark bei Prüfungsängstlichkeit und Sozialphobie.

Auch aus den Erläuterungen bezüglich der Symptomatik von Panikattacken lassen sich Parallelen herstellen. Wie schon in Kapitel 2.2.1. erwähnt, können Panikattacken in Kombination mit andern Phobien auftreten, so auch mit der Sozialphobie, welche aufgrund ihrer Charakteristika wiederum eng mit Prüfungsängstlichkeit korreliert.

Aus den gewonnenen Erkenntnissen lässt sich die Vermutung ableiten, dass Prüfungsängstlichkeit und andere Phobien sowie Angststörungen nicht als alleinige Dispositionen des Patienten zu erwarten sind, sondern dass sich aufgrund des Krankheitsverlaufes immer Kombinationen verschiedener Angstformen entwickeln.

Weitere Angsterkrankungen (wie Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen oder substanzinduzierte Angststörungen) werden in dieser Arbeit nicht erwähnt und erläutert, da sie für die Eingrenzung und Definition von Prüfungsängstlichkeit nicht von Bedeutung sind und auch für deren Behandlungsmöglichkeiten keine Rolle spielen.

Wichtig für das Thema dieser Arbeit ist die Feststellung, dass einerseits Prüfungsängstlichkeit nicht nur aus leistungsbezogenen Ängsten resultiert, sondern andererseits ein großes Maß an generalisierten und sozialen Angstkognitionen das Leistungs- und Lernverhalten von Menschen mit beeinflusst.

2.3. Lerntheoretische Erklärungsmodelle für die Entstehung von Angststörungen und Prüfungsängstlichkeit

2.3.1. Die Psychoanalyse

Sigmund Freud, als Begründer der Psychoanalyse, war maßgeblich an der Entwicklung von Theorien zur Entstehung der Angst beteiligt.

In der Literatur werden zwei Angsttheorien von Freud unterschieden, die auf einem "neurophysiologischen" und einem " psychologischen" Angstmodell basieren.

Seine erste Angsttheorie zentriert Freud um den Begriff der Angstneurose. Damit ist eine Disposition des Individuums gemeint, welche in dieser Arbeit bereits als frei flottierende Angst (vgl. Krohne, 1996) bezeichnet wird. Inhaltlich ist die frei flottierende Angst mit dem Begriff der Angstneurose nach Freud gleichzusetzen.

Als Ursache dieser Disposition sei die Blockierung von Sexualspannungen anzusehen. Freud geht davon aus, dass Sexualspannungen im Normalfall einen Weg finden, sich zu entladen (nämlich sexuell). Bestehe diese Möglichkeit nicht, versuche das Individuum die Spannung "umzuleiten". Freud gibt hiermit kognitiven Prozessen innerhalb des Spannungsaufbaus und der Reduktion durchaus eine Präsenz.

Durch diesen Umleitungsprozess bilde sich Angst, welche "sich auf Grund inadäquater sexueller Abfuhr oder traumatischer äußerer Stimulation akkumuliert hat" (Michels et al., 1985, S. 598).

Zu den wichtigsten Erscheinungen der entstandenen neurotischen Angst zählt Freud die allgemeine Reizbarkeit, eine grundlegende Ängstlichkeit und eine gesteigerte angstvolle Erwartungshaltung. Hinzu kommt eine Tendenz, häufig in akute Angstaffekte auszubrechen (Angstattacken). Das gesteigerte Angstniveau des Individuums ist gleichgesetzt mit seiner Triebhaftigkeit.

In seiner - mehr als dreißig Jahre später formulierten - zweiten Angsttheorie konkretisiert Freud seine Idee vom Ursprung und Sinn der Ängstlichkeit und wendet sich vom Hauptinhalt der sexuellen Triebhaftigkeit ab. Das zentrale Konzept stellt hier der psychische Konflikt dar, welcher auf "unbewussten" Phantasien des Kindes von Gefahren basieren soll. Über diese Konflikthaftigkeit setzt Freud sein Dreiinstanzenmodell des ES, ICH und ÜBER-ICH. Das Es präsentiert die Triebhaftigkeit, das Über-Ich die moralische Instanz des Individuums und das Ich die regulierende Instanz zwischen Es und Über-Ich.

Auch in dieser Theorie unterscheidet Freud zwischen einer "normalen" Angst (Realangst) und einer Angst als Disposition (neurotische Angst). Allerdings arbeitet er in diesen Arbeiten die Gemeinsamkeiten beider Angstformen heraus:

[...]

Ende der Leseprobe aus 151 Seiten

Details

Titel
Behandlungs- und Bewältigungsmethoden bei Prüfungsängstlichkeit
Hochschule
Johannes Gutenberg-Universität Mainz  (Pädagogisches Institut)
Note
befriedigend
Autor
Jahr
2002
Seiten
151
Katalognummer
V10208
ISBN (eBook)
9783638167048
Dateigröße
972 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Behandlungs-, Bewältigungsmethoden, Prüfungsängstlichkeit
Arbeit zitieren
Kerstin Dederichs (Autor:in), 2002, Behandlungs- und Bewältigungsmethoden bei Prüfungsängstlichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/10208

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