Vom Kurzfilm zum Bilderbuch. Eine Analyse der narrativen Muster in William Joyce's "Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore"


Hausarbeit (Hauptseminar), 2019

30 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore als animierter Kurzfilm

3. Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore als Bilderbuch

4. Schlussbetrachtung

6. Anlagen

1. Einleitung

Filme und Bilderbücher haben jeweils spezifische ästhetische Strukturen inne und erzählen Geschichten auf ihre eigene und individuelle Weise. Mit seinem Werk „Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore“ gelingt es William Joyce diese medienspezifischen Besonderheiten des Erzählens aufzuzeigen. Darüber hinaus stellt das Werk eine besondere Form der Adaption dar, denn die Geschichte des Buches nimmt ihren Anfang in einem Kurzfilm und wurde erst später als Bilderbuch herausgebracht.

Obwohl seit Beginn des 21. Jahrhunderts zunehmend Untersuchungen des Bilderbuches im literarischen Diskurs zu verzeichnen sind, bleibt eine „kontinuierliche und systematische Theorieerforschung“1 des Gegenstandsbereiches jedoch bislang aus. Die Gründe hierfür können zum einen darin liegen, dass die Bilderbücher eine Verbindungsstelle für viele verschiedene Forschungsrichtungen darstellen. Zum anderen führt Preuß2 in diesem Zusammenhang, die Hybridität des Mediums als möglichen Grund an, da „Bilderbücher eine Verknüpfung von Text- und Bildelementen [darstellen], die eine je eigene Ausdrucksform entstehen lässt.“. In den meisten wissenschaftlichen Aufsätzen wird zumeist nur eine Analyse hinsichtlich des pädagogisch-didaktischen Potenzials der Bilderbücher sowie eine inhaltliche Darstellung und Bewertung der Werke vorgenommen. Demgegenüber werden Aussagen über die narrativen Strukturen der Bilderbücher eher selten getroffen. Die zunehmende Erforschung audiovisueller Medientexte, hinsichtlich ihres narrativen Potenzials, beginnt verstärkt in der sogenannten postklassischen Narratologie.3 Hierbei werden nun auch „andere Medien als Träger von Erzählungen“4, wie zum Beispiel Filme und Musik, untersucht.

In der vorliegenden Arbeit soll die Frage untersucht werden, wie die Handlung durch die spezifischen Darstellungsmöglichkeiten der beiden Medien Kurzfilm und Bilderbuch gestaltet wird. Im ersten Teil soll der Film zunächst eingeordnet werden und das Handlungsgerüst aufgezeigt werden. Darauf folgt die Analyse des Films, wobei die visuelle und auditive Ebene getrennt voneinander betrachtet werden sollen. Der Film kommt ganz ohne Worte aus und erzählt die Geschichte durch Animation und Zeichentricktechniken verbindende Bilder, begleitet von einer das Geschehen kommentierenden und unterstützenden Musik. Die Korrelation von bewegten Bildern und Musik hat die Möglichkeit beim Rezipienten verschiedenste Wirkungen auszulösen. Durch das Ausbleiben der Sprache im Kurzfilm wird Musik zum Element der inhaltlichen Gestaltung. So kann die Bildebene durch Musik gefühlsmäßig bereichert werden, z.B. zur Untermalung der Stimmung oder zur Verdopplung von Bewegungen. Hierfür sollen die filmischen Gestaltungsmittel und deren Effekte auf die Narration untersucht werden. Im Gegensatz zum Film zeichnetet sich die Erzählstruktur im Bilderbuch durch den wechselseitigen Dialog zwischen den beiden Zeichensystemen Text und Bild aus. Daran knüpft die Analyse der Bild-Text-Interdependenzen im Bilderbuch an. In der Schlussbetrachtung sollen die gewonnenen Erkenntnisse dann zusammengefasst werden.

Da der Film im Gegensatz zu einem Text nicht so einfach verfügbar ist, bietet es sich die Erstellung eines Sequenzprotokolls an. Das im Anhang befindliche Sequenzprotokoll dient der Orientierung und wird verwendet, um auf bestimmte Stellen im Film vereinfacht zurückgreifen zu können.

2. Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore als animierter Kurzfilm

‚Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore‘ ist ein US-amerikanischer Film aus dem Jahr 2011 und wurde unter der Regie von William Joyce und Brandon Oldenburg gedreht. Der 15-minütige Filmes entstand in den Moonbot Studios und wurde mit zahlreichen Preisen, darunter auch dem Oscar in der Kategorie „Bester animierter Kurzfilm“, ausgezeichnet.

‚Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore‘ kann dem Genre des Kurzfilms zugeordnet werden. Im Hinblick auf das Kriterium der Dauer bzw. der Länge kann der Kurzfilm zunächst als Gegenstück zum langen Spielfilm definiert werden. Die Festlegung der maximalen Länge eines Kurzfilmes gestaltet sich jedoch schwierig, da keine allgemeingültige Zeitgrenze feststeht. So finden sich in der Literatur unterschiedliche Zeitangaben zur konkreten Dauer eines Kurzfilmes, die von 60, über 30 bis maximal 15 Minuten reichen5. „The Academy of Motion Picture Arts and Sciences“ legt für den Oskar nominierten Kurzfilm eine Zeitgrenze von unter 30 Minuten fest6. Mit einer Länge von 15 Minuten erfüllt der Film ‚Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore‘ dieses Kriterium der Zeitgrenze.

Ähnlich wie in der Literatur treten auch im Kurzfilm vielfältige Erscheinungsformen auf, die zu verschiedenen Gattungen zusammengefasst werden können. Die Gattungsbegriffe für den Kurzfilm sollten jedoch, bedingt durch einen kontinuierlichen Wandel, nicht als endgültig definiert, sondern als weitgefasste Bereiche gefasst werden7. Die am weitesten verbreitete Kurzfilmgattung ist der Animationsfilm:

Unter diesem Begriff werden all jene Filme subsumiert, denen ein bestimmtes gemeinsames Produktionsverfahren zugrunde liegt, nämlich die einzelbildweise Aufnahme von aufeinander bezogenen Bewegungsphasen, die in der filmischen Projektion einen kontinuierlichen Bewegungsablauf ergeben8.

Der Film ‚Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore‘ wurde sowohl mit Computeranimation als auch mit traditioneller 2D-Animation realisiert.

2.1. Handlungsgerüst

Der Aufbau eines Filmes erfolgt häufig nach dem Prinzip des aristotelischen Dramas und kann grob in drei Handlungsphasen, die Exposition, die Konfrontation und die Auflösung, unterteilt werden. Dieser Minimalaufbau einer Handlung unterscheidet sich im Kurzfilm nicht von den längeren Spielfilmformen. Aufgrund der begrenzten Zeitdauer im Kurzfilm unterscheidet sich dieser jedoch in seinen Möglichkeiten der Umsetzung der Handlungsstrukturen9. Es findet also eine Reduktion und Verdichtung der inhaltlichen und dramaturgischen Aspekte der Geschichte statt. Durch die geringere Erzählzeit im Kurzfilm muss der Einstiegsmoment des Films sorgfältig gewählt werden, sodass „alles, was für die Geschichte und ihr Thema wichtig ist, danach passiert […].“10. Aus diesem Grund ist es nicht notwendig, dass detaillierte Figuren- oder Schauplatzbeschreibungen am Anfang der Kurzfilme vorgenommen werden, da so die geringe Erzählzeit verbraucht werden würde. Demnach sollte eine Ausgangssituation genügen, die die Aufmerksamkeit der Zuschauer auf die folgende Handlung, welche durch ein auslösendes Ereignis in Gang gesetzt wird, lenkt. Während sich Langspielfilme häufig auf mehrere Konflikte innerhalb einer Handlung stützen, besteht der Kurzfilm meist nur aus einer einzigen Veränderung der Ausgangssituation11. Dieser Teil des Handlungsgerüstes, die Konfrontation, kann in unterschiedlichen Formen realisiert werden. So kann beispielsweise ein Konflikt zwischen zwei Parteien auftreten oder ein unerwartetes Ereignis einen Charakter in eine neue Situation versetzten12. Aufgrund der bereits erwähnten, geringeren Erzählzeit muss die Veränderung im Kurzfilm für den Zuschauer deutlich und schnell zu identifizieren sein. Diese Veränderung besteht jedoch nicht nur aus dem Problem, welches auftritt, sondern auch aus dem Umgang der Charaktere damit. Dabei kann eine zusätzliche Unterkategorien der Handlungsphase, das Ziel, unterschieden werden. Hierrunter versteht man, inwieweit sich die Handlungsrichtung durch das auslösende Ereignis verändert. Das Ende bzw. die Auflösung der Geschichte können im Kurzfilm sowohl geschlossene als auch offene Formen annehmen. So kann die letzte Einstellung im Film die Zuschauererwartungen, die im Laufe des Filmes aufgebaut wurden, erfüllen oder eine völlig neue Bedeutung auf die Handlung oder deren Zukunft, die nicht mehr gezeigt wird, werfen13.

So ergibt sich für den Film ‚Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore‘ folgendes Handlungsgerüst:

1. Akt (Exposition und Ausgangssituation): Mister Morris Lessmore sitzt, von Bücherstapeln umgeben, auf einem Balkon und schreibt Notizen in sein rotes (Tage-) Buch.
2. Akt (auslösendes Ereignis, Veränderung): Ein starker Sturm zieht auf, der sämtliche Buchstaben aus Morris Buch davon wehen lässt. Bald darauf wird auch Morris vom Sturm ergriffen und wie alle Häuser und Menschen um ihn herum davongetragen. Er landet in einer Schwarzweißwelt, nur sein Buch ist ihm geblieben. Ohne Heim, und ohne Hab und Gut macht er sich auf dem Weg hinaus aus der zerstörten Stadt.

2.1. (Ziel – In welche Richtung verändert das auslösende Ereignis?): Orientierungslos und ohne Ziel schaut er plötzlich in den Himmel und erblickt eine Frau, die von fliegenden Büchern getragen wird. Die Frau schickt ihm ein Buch herab und fliegt davon. Dieses fordert Morris auf ihm zu folgen. Das Buch führt ihn zu einer Bibliothek, voll mit fliegenden Büchern. Dort verbringt er nun sein Leben. Er ordnet die Bücher, repariert lose Seiten, hält alte Werke am Leben, indem er in ihnen liest, verleiht seine Bücher und bringt damit Farbe in den Alltag der Menschen. Am Abend bevor er sich in sein riesiges Buch zu Bett legt, beginnt er seine Geschichten in seinem Buch festzuhalten.

3. Akt (Endsituation - Auflösung): Die Jahre vergehen und Morris wird zu einem alten Mann. Als er sein Buch zu Ende geschrieben hat, kommt seine Zeit zu gehen. An der Schwelle des Hauses wird Morris von seinen fliegenden Büchern umkreist und verwandelt sich wieder in den jungen Mann, der einst das Haus zum ersten Mal betreten hat. Er erhebt sich in die Luft und wird von einigen Büchern davongetragen. Nur sein Buch lässt er im Haus zurück. Wenig später betritt ein kleines Mädchen die Bibliothek und wird von den Büchern freudig begrüßt. Sie setzt sich auf die Schwelle des Hauses und beginnt das Buch von Morris Lessmore zu lesen.

2.2. Visuelle Erzählinstanz

Nach Kuhn „entsteht der Prozess des filmischen Erzählens aus dem Zusammenspiel einer ‚zeigenden‘ visuellen Erzählinstanz [..] und einer, mehrerer oder keiner sprachlichen Erzählinstanz(en) […].“14. Die Erzählfunktion der bewegten Bilder ergibt sich durch die verschiedenen Gestaltungsmöglichkeit in Form der Kameraperspektive, der Einstellungsgröße sowie der Kamerabewegung. Des Weiteren ist zum Verstehen des filmischen Zeichensystems die Betrachtung mehrerer zusammenhängender Einstellungen in ihrer Gesamtwirkung erforderlich. Da in Animationsfilmen die Bildaufnahmen zum größten Teil am Computer entstehen, kann von einer Kamera nur im übertragenen Sinn gesprochen werden:

„Das, was als Kamera bezeichnet wird, ist letztendlich ein metaphorischer Ausdruck für die Betrachterperspektive der durch die Kamera- und Tonarbeit implizierten Erzählinstanz des Films“15.

Im Folgenden soll der Film „Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore“ auf seine medienspezifischen Gestaltungsmöglichkeiten untersucht werden:16

Exposition

Die erste Sequenz beginnt in einer totalen Einstellungsgröße (Vgl. Joyce/Oldenburg. USA 2011: 0:38-1:04). Dadurch wird dem Zuschauer ein Überblick über den unmittelbaren Ort des Geschehens gegeben und eine räumliche Orientierung ermöglicht. Die erste Einstellung zeigt den Ausschnitt einer Stadt in der Vogelperspektive, wobei sich im Mittelpunkt des Bildes ein Hotel befindet, auf dessen Balkon die Konturen einer Person zu erkennen sind. Durch den horizontalen Kameraschwenk und -zoom befindet sich der Zuschauer nun auf Augenhöhe mit der Person, die zuvor nur schemenhaft erkennbar war. Die offene Bildkomposition lässt den Betrachter am Geschehen teilhaben. Durch die Halbtotale Einstellungsgröße wird die Aufmerksamkeit des Zuschauers auf die Person, Morris Lessmore, gelenkt und die unmittelbare Umgebung von Morris wird deutlich. Dieser sitzt auf einem Balkon, umgeben von zahlreichen Bücherstapeln und schreibt etwas in ein Buch.

Auslösendes Ereignis

Die Halbtotale Einstellungsgröße bleibt zunächst auch zu Beginn der zweiten Sequenz bestehen (Vgl. ebd. 1:05-1:23). Der Zuschauer sieht wie zunächst Zeitungsblätter und ein Fernseher am Protagonisten vorbeiziehen und schließlich auch seine Bücher von Wind ergriffen werden. Durch den Wechsel zur subjektiven Kamera, wird das Geschehen aus der Perspektive des Protagonisten gezeigt, der mitansehen muss, wie die Buchstaben aus seinem Buch davon wehen. Daraufhin wechselt die Einstellungsgröße zur Nahaufnahme. Diese eignet sich dazu, die innere Befindlichkeit einer Person, durch die Erfassung der mimischen und gestischen Ausdrucksweisen, hervorzuheben. Die Nahaufnahme führt den Blick des Zuschauers eng an Morris heran, der ratlos und voller Entsetzen mit ansehen muss wie immer mehr Buchstaben aus seinem Buch davon geweht werden. Die darauffolgende Szene beginnt mit einem Kameraschwenk nach oben, mit dessen Hilfe mehr Handlungsraum erfasst wird (Vgl. Joyce/Oldenburg. USA 2011: 1:05-1:23). Durch die Halbtotale Einstellungsgröße wird für den Betrachter die Stärke des Sturms ersichtlich. Die Subsequenz zeigt, wie ein Mann auf seinem Fahrrad durch die Luft gewirbelt wird und auch die Buchstaben des Hotels werden nach und nach vom Wind erfasst. In der nächsten Einstellung wird der Blick des Zuschauers, durch einen Kameraschwenk, zurück auf Morris Lessmore gelenkt. Auch dieser wird nun vom Sturm erfasst und durch die Stadt geweht. Die Kamera folgt Morris in einer Parallelfahrt und bewegt sich in leichter Untersicht mit diesem mit. Durch die Kamerafahrt erhält die Handlung, im Gegensatz zur feststehenden Kamera, eine steigende Dynamik und der Zuschauer wird aktiv in das Geschehen hineingezogen. Die zweite Subsequenz beginnt mit einer totalen Einstellungsgröße (Vgl. ebd.: 1:24-2:29). Durch diese Perspektive wird der Blick des Zuschauers auf einen Ausschnitt der Stadt gerichtet. Nach und nach werden die Häuser vom Sturm ergriffen und fliegen davon. Die Szene wechselt und zeigt Morris Lessmore in totaler Einstellungsgröße, der versucht, sich auf einem durch die Lüfte fliegendem Haus, zu halten. Der Bildausschnitt wird durch den Kamerazoom verkleinert, wodurch eine Veränderung der Raumwirkung entsteht. So entfernen sich Morris und das Haus immer mehr vom Betrachter, bis sie schließlich in einem schwarzen Loch verschwunden sind. Die folgende Szene beginnt ebenfalls in der totalen Einstellungsgröße, sodass dem Zuschauer eine räumliche Orientierung ermöglicht wird (Vgl. ebd.). Zunächst ist nur eine schwarzweiße Landschaft sichtbar, doch nach und nach fallen immer mehr Häuser vom Himmel, und auch der Protagonist Morris Lessmore aus einer Haustür heraus. Diese Subsequenz (Vgl. ebd.) stellt einen Bezug zum Kinderbuch „Der Zauberer von Oz“ von Lyman Frank Baum her. In diesem wird Dorothy von einem Wirbelsturm erfasst und mitsamt dem Haus in das Land Oz transportiert. Hierbei handelt es sich um eine intermediale Einzelreferenz. Der Film verweist auf Element und Strukturen des Kinderbuches, thematisiert diese jedoch mit seinen spezifischen Mitteln17. Die darauffolgende Einstellung ist durch einen Wechsel von subjektiver Kamera und Nahaufnahme gekennzeichnet. Hierdurch wird der Zuschauer näher an die Hauptfigur, deren Wahrnehmung und Gefühlslage herangebracht. Morris hat durch den Sturm sein zu Hause und all sein Hab und Gut verloren, lediglich sein Buch ist ihm noch geblieben. Die Kameraperspektive wechselt in der nächsten Subsequenz zur Totalen und der Zuschauer bekommt einen ersten Überblick über das Ausmaß des Sturmes gezeigt (Vgl. Joyce/Oldenburg. USA 2011: 2:30- 3:47). Das Chaos und die Zerstörung, die der Sturm angerrichtet hat, werden durch die nächste Einstellung noch deutlicher. Die Kamera bewegt sich zusammen mit Morris Lessmore durch die zerstörte Stadt. Durch diese Parallelfahrt wird der Zuschauer wieder aktiv in das Geschehen hineinbewegt. Am Ende der Subsequenz findet eine weitere Veränderung der Raumwirkung statt (Vgl. ebd.). Morris Lessmore läuft aus der zerstörten Stadt hinaus und ist mit zunehmender Entfernung immer kleiner im Bildausschnitt zu sehen.

Ziel

Während die vorherigen Sequenzen fast immer in der Normalperspektive gefilmt wurden, findet zu Beginn der dritten Sequenz ein Wechsel zwischen Ober- und Untersicht statt (Vgl. ebd.: 3:48 –4:40). So trifft der Protagonist Morris Lessmore auf eine Frau, die von fliegenden Büchern getragen wird. Morris wird hierbei in der Obersicht gezeigt, wohingegen die Frau aus der Untersicht dargestellt wird. Nach Mikos vermittelt die Perspektive der Obersicht eine gewisse Unterlegenheit oder auch Unwissenheit, wohingegen die Untersicht Personen bedeutender, mächtiger oder auch allwissender erscheinen lässt18. Fasziniert von der Frau mit den fliegenden Büchern, versucht die Hauptfigur auch mit seinem Buch in den Himmel aufzusteigen, aber sein eigenes Buch trägt ihn nicht. Daraufhin schickt die fliegende Frau ihm ein Buch mit einer Geschichte über Humpty Dumpty herunter. Dieser Bezug zur Figur des britischen Kinderreimes stellt eine weitere intermediale Einzelreferenz dar. Die Sequenz endet mit einer Halbtotalen Einstellung. Hierdurch wird der Handlungsraum, der durch seine farblichen Kontraste gekennzeichnet ist, näher in den Blick genommen. Der Zaun in der Mitte des Bildausschnittes bildet hierbei eine Grenze zwischen Schwarzweiß- und Farbwelt. Die vierte Sequenz (Vgl. ebd.: 4:41-6:48) beginnt mit einer totalen Einstellungsgröße, wodurch dem Betrachter zunächst wieder eine räumliche Orientierung im Geschehen ermöglicht wird. Das Buch führt Morris Lessmore zu einer Bibliothek, die von zahlreichen fliegenden Büchern umgeben ist. Die darauffolgende Szene ist wieder durch einen Wechsel zwischen der subjektiven Kamera und Nahaufnahmen gekennzeichnet (Vgl. ebd.). Hierdurch wird der Zuschauer wieder näher an die Hauptfigur und dessen Wahrnehmung herangeführt. Morris betritt zögernd die Bibliothek und schaut sich neugierig in seiner neuen Umgebung um. Dieses zögernde und unsichere Verhalten wird des Weiteren durch die Parallelfahrt verstärkt. Durch diese wird dem Betrachter das Gefühl gegeben, den Raum gemeinsam mit Morris zu betrachten. Zu Beginn der fünften Sequenz wird häufig mit Kamerafahrten gearbeitet, wodurch das Geschehen eine zusätzliche Dynamik erhält (Vgl. Joyce/Oldenburg. USA 2011: 6:49-7:41). Der Zuschauer bekommt das Gefühl an Morris neuem Leben und seinem turbulenten Alltag mit den Büchern teilzuhaben. Die darauffolgende Subsequenz ist durch einen häufigen und schnellen Wechsel zwischen die Einstellungsgrößen Nahe und Halbtotale, sowie der subjektiven Kamera gekennzeichnet (Vgl. ebd.: 7:42 -8:47). Morris Lessmore sitzt an seinem Schreibtisch und versucht ein altes Buch am Leben zu erhalten, dessen Seiten zerrissen und ausgefallen sind. Um ihn herum warten die Bücher voller Spannung den Ausgang dieses Geschehens ab. Hierdurch wird die Aufmerksamkeit des Betrachters sowohl auf die Umgebung als auch auf Morris innere Befindlichkeit gelenkt. Die einzige Möglichkeit für Morris das alte Buch zu retten, besteht darin es zu lesen. Dieser taucht voll und ganz in die Geschichte des alten Buches ein. Mithilfe der Kamerafahrt wird der Zuschauer in das Geschehen mit einbezogen. Es ist Abend geworden und Morris sitzt, sichtlich ergriffen von der gerade gelesenen Geschichte, auf seinem Bett. Dabei kommt ihm die Idee, seine Erlebnisse und Geschichten aufzuschreiben. Hierbei fokalisiert die Kamera zunächst Morris und zoomt dann auf das im Hintergrund liegende Buch, wodurch Morris nur noch unscharf zu erkennen ist.

Endsituation

Die Darstellung der Endsituation erfolgt durch eine Raffung der Geschehnisse, da die Dauer der erzählten Zeit kürzer als die der Erzählzeit ist. Die folgende Sequenz ist durch eine Wiederholung und einen Wechsel von Situationen (Vgl. ebd.: 10:03 -11:17), die Morris neues Leben im Haus der fliegenden Bücher beschreiben, gekennzeichnet. So werden mehrere Szenen in einer totalen Einstellungsgröße gezeigt, in denen Morris, an einem Baum gelehnt, im Garten sitzt und schreibt. Andere Szenen wiederum veranschaulichen in einer halbtotalen Einstellungsgröße und einer over the sholder Perspektive wie Morris seine Bücher verleiht und damit Farbe in das Leben der Menschen bringt. In der darauffolgenden Subsequenz wechselt die Kamera zur subjektiven Perspektive des Protagonisten und zeigt Morris, der mit dem Schreiben des letzten Satzes sein Buch beendet hat (Vgl. ebd.: 11:18 -12:42). Es folgt ein Wechsel der Kameraeinstellungen zwischen der Haltotalen und der Nahaufnahme, wodurch die verschiedenen Gefühlslagen der beiden Figuren verdeutlicht werden. Mit Hilfe der parallelen Kamerafahrt begleitet der Betrachter Morris auf seinem letzten Weg durch das Haus der fliegenden Bücher. Die nachfolgende Szene zeigt Morris in einer halbtotalen Einstellungsgröße auf der Schwelle des Hauses. Dabei wird der Protagonist in einem starken Gegenlicht dargestellt, sodass nur seine Konturen erkennbar sind. Durch diese besondere Farbgestaltung, mithilfe von Licht und Helligkeit, welche zugleich als Symbol für Hoffnung und neues Leben gelten können, erhält die dargestellten Abschiedsszene eine besonders emotionale Wirkung. Die darauffolgende Einstellung zeigt wie Morris sich zurück in einen jungen Mann verwandelt und von seinen Büchern hinauf in den Himmel getragen wird (Vgl. Joyce/Oldenburg. USA 2011: 12:43 -13:08). Dabei wechselt die Kamera in die Unteransicht und zeigt die Szene aus der subjektiven Perspektive der fliegenden Bücher. In der letzten Subsequenz erfolgt ein Kamerazoom auf die zurückgebliebenen Bücher bis hin zur Nahaufnahme, wodurch deren Trauer über den Abschied von Morris erkennbar wird. Die Visualisierung dieser Gefühlslage wird durch den Wechsel zur halbtotalen Einstellungsgröße und der Kamerafahrt verstärkt. So zeigt die Szene wie sich die Bücher mit langsamen Schritten und einer geduckten Haltung zurück ins Haus begeben. Durch einen Kameraschwenk wird der Blick der Zuschauer in der darauffolgenden Einstellung auf eine Szene außerhalb der Bibliothek, gerichtet. Diese zeigt ein nur unscharf zu erkennendes Mädchen, welches sich auf das Hause der fliegenden Bücher zubewegt (Vgl. ebd.: 13:09 – 13:46). Die Kamera wechselt zu einer totalen Einstellungsgröße, die das Mädchen, auf der Schwelle des Hauses sitzend, in Oberansicht zeigt, hin zur subjektiven Kamera. Die letzte Einstellung zeigt ein Bild von Morris im Haus der fliegenden Bücher, welches langsam ausgeblendet wird (Vgl. ebd.: 13:47 – 14:02).

[...]


1 Thiele 2003, S. 36

2 Vgl. Preuß 2015, S. 61

3 Friedmann 2017, S. 9

4 Vgl. ebd.

5 Heinrich 1997, S.28

6 ebd.

7 ebd., S. 22

8 Vgl. Festivalkatalog Hamburg 1993, S 101, zitiert nach Heinrich 1997, S. 28

9 Heinrich 1997, S.62

10 Vgl. ebd., S.64

11 ebd., S. 70

12 Ebd., S. 69

13 Heinrich 1997, S. 68

14 Vgl. Kuhn 2011, S. 85

15 Vgl. Kurwinkel 2013, S. 114

16 Alle Angaben im Folgenden beziehen sich auf The Fantastic Flying Books of Mr. Morris Lessmore. Regie: William Joyce/Brandon Oldenburg. USA. 2011

17 Rajewsky 2002, S. 73

18 Mikos 2003, S.145

Ende der Leseprobe aus 30 Seiten

Details

Titel
Vom Kurzfilm zum Bilderbuch. Eine Analyse der narrativen Muster in William Joyce's "Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore"
Hochschule
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg
Note
1,0
Jahr
2019
Seiten
30
Katalognummer
V1025929
ISBN (eBook)
9783346427441
ISBN (Buch)
9783346427458
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore, Filmanalyse, Buchanalyse, Bilderbuch, intermedial, Vergleich
Arbeit zitieren
Anonym, 2019, Vom Kurzfilm zum Bilderbuch. Eine Analyse der narrativen Muster in William Joyce's "Die fliegenden Bücher des Mister Morris Lessmore", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1025929

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