Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, einen Überblick über verschiedene Sinndefinitionen und -theorien sowie über die Forschung zu Sinnsuche und gefundenem Sinn zu schaffen. Hierfür wurden theoretische Perspektiven und empirische Befunde ausgewählt, die eine hohe Anerkennung unter Wissenschaftlern erfahren (z.B. Qualität der Fachzeitschriften, Zitationshäufigkeit) und thematisch unterschiedliche Teilbereiche von Lebenssinn abdecken. Dabei wurde weniger der Anspruch auf Vollständigkeit verfolgt. Stattdessen wurde versucht, die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven und empirischen Befunde auf verständliche Weise miteinander zu verknüpfen
In dem ersten Kapitel dieser Arbeit werden verschiedene Definitionen von Lebenssinn zusammengefasst und integriert. Kapitel 2 beleuchtet drei theoretische Perspektiven auf Sinn: Die existentialistische Perspektive bietet den historisch ersten psychologischen Erklärungsversuch zu Sinn. Die kognitive Perspektive untersucht Sinn im Kontext von negativen Lebensereignissen und die narrative Perspektive erklärt, wie Sinn in unterschiedlichen Lebensphasen konstruiert wird.
In Kapitel 3 werden theoretische Ansätze und empirische Befunde zu Sinnsuche vorgestellt. Verschiedene theoretische Ansätze erklären, warum und wann Menschen nach Sinn suchen, wer nach Sinn sucht und welche Auswirkungen Sinnsuche haben kann. Kapitel 4 beinhaltet theoretische Ansätze und empirische Befunde zu gefundenem Sinn. Hierin wird insbesondere auf die Forschung zu Lebensbedeutungen von Tatjana Schnell und Kollegen sowie auf deren Entwicklung des Fragebogens zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn eingegangen.
In Kapitel 5 werden die wichtigsten Erkenntnisse der bisherigen Sinnforschung zusammengefasst, kritisch beurteilt und zukünftiger Forschungsbedarf aufgezeigt.
Inhaltsverzeichnis
1 Sinn definieren
1.1 Wortherkunft
1.2 Eindimensionale Sinndefinitionen
1.3 Mehrdimensionale Sinndefinitionen
1.4 Weitere Sinndimensionen
1.5 Zwischenfazit
1.6 Fragen zur Reflektion
2 Sinn theoretisch verstehen
2.1 Existentialistische Perspektive
2.2 Rezension der existentialistischen Perspektive
2.3 Kognitive Perspektive
2.4 Rezension der kognitiven Perspektive
2.5 Narrative Perspektive
2.6 Rezension der narrativen Perspektive
2.7 Zwischenfazit
2.8 Fragen zur Reflektion
3 Sinn suchen
3.1 Theoretische Perspektiven auf Sinnsuche
3.2 Definition und Messung
3.3 Forschung zu Zusammenhangen mit Sinnsuche
3.4 Kritik am Meaning in Life Questionnaire
3.5 Aktuelle theoretische Erklarungsansatze
3.6 Sinnsuche nach negativen Lebensereignissen
3.7 Zwischenfazit
3.8 Fragen zur Reflektion
4 Sinn finden
4.1 Theoretische Perspektiven auf gefundenen Sinn
4.2 Definition und Messung von Sinnquellen, Sinnerfullung und Sinnkrisen
4.3 Forschung mit dem Fragebogen zu Lebensbedeutungen und Lebenssinn
4.4 Forschung zu Zusammenhangen mit gefundenem Sinn
4.5 Zwischenfazit
4.6 Fragen zur Reflektion
5 Fazit
5.1 Zusammenfassung des aktuellen Forschungsstands
5.2 Zukunftiger Forschungsbedarf
6 Literatur
Lebenssinn - eine psychologische Betrachtung
„[D]ie Frage nach dem Sinn des Lebens [ist] die dringlichste aller Fragen ..." (Albert Camus)
Die Frage nach dem Sinn des Lebens beschaftigt Philosophen und Theologen1 seit Jahrhunderten. Verschiedene philosophische Stromungen und Religionen haben eine unterschiedliche Auffassung davon, worin der Sinn des Lebens liegt. Fur Aristoteles bestand der Sinn des Lebens in der Erlangung von Gluckseligkeit. Ein gluckliches Leben beinhaltet, unsere individuellen Begabungen unter guten auReren Bedingungen zu entfalten, selbstbestimmt und verantwortlich zu handeln und uns dabei gerecht gegenuber unseren Mitmenschen zu verhalten (Schnell, 2016). Die Stoiker betrachteten den Sinn des Lebens dagegen im Erreichen der stoischen Ruhe. Die stoische Ruhe steht fur ein Leben im Einklang mit der Welt und der menschlichen Natur und ist unempfindlich gegenuber Schicksals- schlagen, Begierde, Lust oder Schmerz (Breitenstein & Rohbeck, 2011). Fur Albert Camus, einem Vertreter der Existenzphilosophie, ist das Leben angesichts seiner Verganglichkeit absurd und hat keinen inharenten Sinn. Unsere Aufgabe besteht Camus zufolge darin, die Absurditat des Lebens auszuhalten, indem wir ihm selbst einen Sinn geben (Camus, 1959).
Im Christentum besteht der Sinn des Lebens in der Nachfolge Jesu, der zu den Glaubigen spricht: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben" (Bibel, 2017, Joh 14,6). Nach der Bibel sollen wir in Gemeinschaft mit Gott leben, BuRe tun und an unsere Erlosung durch Jesus glauben. AuRerdem bieten die zehn Gebote konkrete Handlungsempfehlungen fur ein sinnvolles Leben. Der Islam betrachtet den Sinn des Lebens im Dienen von Allah. Die wichtigsten Regeln fur ein sinnvolles Leben stellen die funf Saulen des Islam dar. Sie setzen sich aus dem Glaubensbekenntnis, Beten, Fasten, der sozialen Pflichtabgabe und der Pilgerfahrt nach Mekka zusammen. Im Hinduismus unterscheidet sich das Verstandnis vom Sinn des Lebens zwischen verschiedenen Stromungen. Die vier Lebensziele des Hinduismus umfassen materiellen Besitz als Grundlage fur ein gutes Leben, Liebe und Lust, Pflichterfullung in Beruf und Gesellschaft und schlieRlich die Erlosung. Die Erlosung steht u.a. fur die Verbindung mit dem kosmischen Bewusstsein, dem Brahman (Wehr, 2002).
Uber die Jahrhunderte hinweg hat die Frage nach dem Sinn des Lebens nichts an Relevanz und Aktualitat eingebuRt. Die Suche nach Sinn gilt als „Megatrend des 21. Jahrhunderts" (Pattakos, 2011, S. 201). Die Bezeichnung „Generation Y" (sprich „why?", deutsche Ubersetzung: „warum?") charakterisiert eine ganze Generation, die dazu neigt, Dinge zu hinterfragen und den Sinn dahinter zu suchen (Bund, 2014). Auch die konstant hohen Verkaufszahlen von Beitragen, die sich ausgehend von unterschiedlichen Disziplinen mit dem Sinn des Lebens auseinandersetzen, wie z.B. Viktor Frankls „Man's Search for Meaning", zeugen von der hohen und uberdauernden Relevanz des Themas.
Lebenssinn hat mittlerweile als Forschungsgegenstand Einzug in die Psychologie gehalten. Anders als die Philosophie oder Theologie beschaftigt sich die Psychologie nicht mit dem allgemeingultigen Sinn des Lebens. Diese Bezeichnung impliziert, dass es den einen Sinn fur jedes Leben gibt (Bordt, 2011). Als Wissenschaft vom Erleben und Verhalten des Menschen (Gerrig & Zimbardo, 2008) befasst sie sich dagegen mit dem personlichen Lebenssinn eines Menschen. Zum Beispiel erforscht sie, inwiefern sich Sinnquellen zwischen Menschen unterscheiden, und untersucht GesetzmaRigkeiten, welche Sinnquellen zum hochsten Sinnerleben fuhren (Kapitel 4). Ausgehend von dieser subjektiven Perspektive nehmen Psychologen an, dass jeder Einzelne von uns seinen ganz personlichen Sinn im Leben herstellen kann.
In der Sinnforschung herrscht eine groRe Vielfalt an theoretischen Perspektiven und methodischen Herangehensweisen. Diese umfassen u.a. neurophysiologische, sprachtheoretische, existentialistische, kognitiv-behaviorale und narrative Ansatze. Bisher fehlt eine integrative Theorie, die die verschiedenen Ansatze und Befunde verbinden und systematisieren kann. Vielmehr sammeln Fachbucher von teils betrachtlichem Umfang die thematisch sehr unterschiedlichen, isolierten Einzelbeitrage. Aufgrund der Fachsprache und detaillierten methodischen Darstellung richten sich die Beitrage uberwiegend an Psychologen und Vertreter verwandter Fachbereiche (z.B. Batthany & Russo- Netzer, 2014; Markman, Proulx, & Lindberg, 2013; Petzold & Orth, 2005).
Das Ziel dieser Arbeit besteht darin, einen Uberblick uber verschiedene Sinndefinitionen und -theorien sowie uber die Forschung zu Sinnsuche und gefundenem Sinn zu schaffen. Hierfur wurden theoretische Perspektiven und empirische Befunde ausgewahlt, die eine hohe Anerkennung unter Wissenschaftlern erfahren (z.B. Qualitat der Fachzeitschriften, Zitationshaufigkeit) und thematisch unterschiedliche Teilbereiche von Lebenssinn abdecken. Dabei wurde weniger der Anspruch auf Vollstandigkeit verfolgt. Stattdessen wurde versucht, die unterschiedlichen theoretischen Perspektiven und empirischen Befunde auf verstandliche Weise miteinander zu verknupfen. Aufgrund der hohen Aktualitat und Relevanz des Themas soll sich diese Arbeit nicht nur an Psychologen, sondern auch an interessierte Personen aus unterschiedlichen Disziplinen richten. Zugunsten einer besseren allgemeinen Verstandlichkeit wurde deshalb auf Fachbegriffe, detaillierte methodische Darstellungen etc. so weit wie moglich verzichtet, ohne hierbei die wissenschaftliche Fundierung zu vernachlassigen.
Um dem Leser ein moglichst umfassendes Verstandnis von Lebenssinn zu vermitteln, werden in Kapitel 1 verschiedene Definitionen von Lebenssinn zusammengefasst und integriert. Dieses Kapitel soll u.a. Antworten auf die Fragen geben: „Was bedeutet „Sinn"?", „Was verstehen wir unter einem sinnvollen Leben?" und „Ist Sinn ein Gedanke, ein Motiv oder ein Gefuhl?". In Kapitel 2 werden drei theoretische Perspektiven auf Sinn vorgestellt. Die existentialistische Perspektive bietet den historisch ersten psychologischen Erklarungsversuch zu Sinn. Die kognitive Perspektive untersucht Sinn im Kontext von negativen Lebensereignissen. Die narrative Perspektive erklart, wie wir Sinn in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens konstruieren. Dieses Kapitel soll u.a. Antworten auf die Fragen liefern: „Wie entsteht Sinn?", „Welches Menschenbild liegt unserem Streben nach Sinn zugrunde?" und „Welche Auswirkungen hat Sinn?". Kapitel 3 behandelt theoretische Ansatze und empirische Befunde zu Sinnsuche. Dieses Kapitel soll u.a. Antworten auf die Fragen geben: „Was verstehen wir unter Sinnsuche?", „Warum suchen wir nach Sinn?" und „Wer sucht nach Sinn?". Kapitel 4 beinhaltet theoretische Ansatze und empirische Befunde zu gefundenem Sinn. Dieses Kapitel soll u.a. Antworten auf die Fragen liefern: „Worin finden wir Sinn?", „Was passiert, wenn wir keinen Sinn finden?" und „Welche Bedeutung hat Sinn fur unser Leben?". AbschlieRend werden in Kapitel 5 die wichtigsten Erkenntnisse der bisherigen Sinnforschung zusammengefasst, kritisch beurteilt und zukunftiger Forschungsbedarf aufgezeigt. Am Ende jedes Kapitels wird der Leser dazu eingeladen, seinen personlichen Bezug zum Thema herzustellen, indem ihm Fragen zur personlichen Reflektion vorgeschlagen werden.
1 Sinn definieren
„Der Sinn des Lebens ist ein Leben mit Sinn.“ (Robert Burns)
Was verstehen wir unter einem Leben mit Sinn? Was bedeutet „Sinn" uberhaupt? Ist Sinn ein Gedanke, ein Motiv oder ein Gefuhl? In der Psychologie gibt es bisher keine einheitliche Definition von Sinn. Unterschiedliche Definitionen und Theorien betonen vielmehr unterschiedliche Dimensionen des Konstrukts. Im Folgenden wird zunachst die Herkunft des Wortes „Sinn" naher betrachtet, da sie erste Hinweise auf seine Bedeutung liefern kann. AnschlieRend werden die haufigsten eindimensionalen und mehrdimensionalen psychologischen Sinndefinitionen sowie Sinndimensionen aus unterschiedlichen Theorien zusammengefasst.
1.1 Wortherkunft
Die germanische Wortgruppe um Sinn beruht auf der indogermanischen Wurzel sent-, deren ursprungliche Bedeutung „eine Richtung nehmen, eine Fahrte suchen" war. Im Althochdeutschen bedeutet Sinn „Gang", „Reise" oder „Weg". Sinn besitzt folglich eine dynamische Qualitat und beschreibt eher einen Weg als ein Ziel. Diese ursprungliche Bedeutung wurde spater um einen Bezug zu Wahrnehmung und Verstand erganzt. Diese Erganzung beruhte auf dem lateinischen sentire, das „wahrnehmen, fuhlen, meinen" bedeutet (Duden, 2001).
Im alltaglichen Sprachgebrauch kann das Wort „Sinn" mehrere Bedeutungen haben: Die funf Sinne beziehen sich auf unsere Fahigkeiten, die Umwelt wahrzunehmen. Wenn eine Person einen Sinn fur eine Sache hat, dann hat sie ein Gefuhl, ein Verstandnis oder einen inneren Bezug dazu. Die Aussage „etwas ergibt Sinn" oder „etwas ergibt keinen Sinn" kann sich einerseits auf den gedanklichen Gehalt oder die Bedeutung eines Sachverhalts beziehen. Andererseits kann damit auch das Ziel, der Zweck oder der Wert einer Sache gemeint sein (Duden, 2017). Diese ursprunglichen und gegenwartigen Bedeutungen von Sinn finden sich in den psychologischen Sinndefinitionen wieder.
1.2 Eindimensionale Sinndefinitionen
Eindimensionale Definitionen von Sinn beziehen sich haufig auf die kognitive Sinndimension „Bedeutsamkeit" (im engl. Original: „significance"; z.B. Baumeister, 1991; Heine, Proulx, & Vohs, 2006; Schnell, 2016) und/oder auf die motivationale Sinndimension „ZweckmaRigkeit" (im engl. Original: „purpose"; z.B. Emmons, 2003; Klinger, 1998; Ryff & Singer, 1998). Das Verstandnis von Bedeutsamkeit 7 und ZweckmaRigkeit unterscheidet sich allerdings zwischen Wissenschaftlern. Zum Beispiel haben die Befurworter des semantischen Ansatzes ein anderes Verstandnis von Bedeutsamkeit als die Befurworter der Sinnsystem-Ansatze. Im Folgenden werden unterschiedliche Aspekte der Definitionen integriert und zusammenfassend erlautert, was wir unter Sinn verstehen, wenn er als Bedeutsamkeit oder ZweckmaRigkeit definiert wird.
Bedeutsamkeit
Tagtaglich werden wir mit unzahligen Reizen konfrontiert, die wir mithilfe unserer Sinnesorgane aufnehmen. Wir sehen, horen, schmecken, riechen und tasten. Experimente im Bereich der Wahrnehmungspsychologie zeigten, dass wir Reize so verarbeiten, dass sie uns als sinnvoll erscheinen. Sinnvoll bedeutet hierbei, dass wir nicht nur das unmittelbar Gegebene wahrnehmen, sondern Reize miteinander verbinden und ihnen eine ubergeordnete Bedeutung verleihen (z.B. Goldstein, 2010). Betrachten Sie die folgende Abbildung. Was nehmen Sie wahr?
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 1. Was nehmen Sie wahr?
Die einzelnen schwarzen Flachen haben fur uns keinerlei Bedeutung und wirken zunachst sinnlos. Das Erscheinungsbild eines Wurfels und seine Verwendung sind uns dagegen bekannt. Somit fugen wir die Flachen zu einem Wurfel zusammen und verleihen ihnen hierdurch eine ubergeordnete Bedeutung und Sinn (vgl. Schnell, 2016). Versuchen Sie folgenden Text zu lesen:
Es ist eagl, in wlehcer Rienhnelfoge die Bcuhtsbaen in eniem Wrot sethen. Das enizg Wcihitge dbaei ist, dsas der estre und lzete Bcuhtsbae am rcihgiten Paltz snid.
Abbildung 2. Konnen Sie diesen Text lesen?
Der GroRteil der Menschen kann diesen Text lesen, obwohl die Buchstaben der Worter, abgesehen vom ersten und letzten Buchstaben, vertauscht sind. Dies ist moglich, da wir die Buchstaben nicht einzeln lesen, sondern sie zu uns bekannten Wortern zusammenfugen. Hierdurch verleihen wir ihnen eine ubergeordnete Bedeutung und Sinn (vgl. Rawlinson, 1976).
Unsere Fahigkeiten zur Informationsverarbeitung ermoglichen es uns, die fur uns relevanten Reize in unserer Innen- und AuRenwelt zu filtern, ihre Bedeutung zu interpretieren und wirksam auf sie zu reagieren. Diese Fahigkeit, Sinn in unserer Umwelt wahrzunehmen, ist Voraussetzung fur unser Uberleben (Steger, 2009). Zum Beispiel weisen Sirenen oder der Geruch von Rauch auf eine mogliche Bedrohung hin und bewirken, dass wir uns hiervon fernhalten. Das Lacheln einer Person enthalt Informationen uber unsere Beziehung zu ihr, wodurch unsere zwischenmenschliche Interaktion gesteuert wird.
Einige Wissenschaftler nehmen an, dass diese Informationsverarbeitungsfahigkeiten auch dafur verantwortlich sind, dass wir nach Sinn in unserem Leben streben (Bering, 2002). Sinnwahrnehmung kann auf unterschiedlichen Abstraktionsebenen stattfinden. Die Wahrnehmung von Reizen erhalt eine ubergeordnete Bedeutung und ist sinnvoll, wenn sie Handlungen ermoglicht. Handlungen erhalten eine ubergeordnete Bedeutung und sind sinnvoll, wenn sie der Zielerreichung dienen. Ziele erhalten eine ubergeordnete Bedeutung und sind sinnvoll, wenn sie im Einklang mit unseren grundlegenden Werten und Uberzeugungen stehen. Werte und Uberzeugungen erhalten eine ubergeordnete Bedeutung und sind sinnvoll, wenn wir das Leben als sinnvoll wahrnehmen. Nur wenn wir von der grundsatzlichen Sinnhaftigkeit unseres Lebens uberzeugt sind, setzen wir uns fur unsere grundlegenden Werte und Uberzeugungen ein, verfolgen Ziele, engagieren uns und nehmen die Welt um uns herum als sinnvoll wahr. Betrachten wir das Leben dagegen generell als sinnlos, lohnt es sich nicht, z.B. fur unsere Ziele, Werte und Uberzeugungen einzustehen (Schnell, 2016).
Entsprechend eines semantischen Verstandnisses ist die Frage: „Was ist der Sinn meines Lebens?" zu verstehen wie die Frage: „Was ist der Sinn eines bestimmten Reizes?“. Lebenssinn, definiert als Bedeutsamkeit, entsteht folglich, wenn wir unser Leben in einen groReren Gesamtzusammenhang einordnen und ihm eine ubergeordnete Bedeutung geben (z.B. Baumeister, 1991; Schnell, 2016; Steger, 2009).
Dagegen haben Sinnsystem-Ansatze ein unterschiedliches Verstandnis von Bedeutsamkeit. Sie betrachten uns Menschen als aktive Sinngeber, die Sinnsysteme konstruieren. Sinnsysteme beinhalten unsere Vorstellungen von erwarteten Zusammenhangen und verbinden einzelne Elemente der Welt und des Selbst miteinander. Lebenssinn, definiert als Bedeutsamkeit, entsteht, indem wir einzelne Elemente unseres Lebens zu einem groReren Ganzen verknupfen (Heine et al., 2006).
Zusammenfassend lasst sich festhalten, dass die kognitive Dimension von Lebenssinn unsere Fahigkeiten beschreibt, ubergeordnete Bedeutungen und Zusammenhange in unserem Leben zu entdecken und einzelne Elemente zu einem groReren Ganzen zu verbinden. Hierdurch erlangen wir ein Verstandnis uber uns selbst, die Welt und unsere Beziehung zur Welt. Dieses Verstandnis ist u.a. Voraussetzung dafur, unsere Rollen und unsere Position in der Welt zu bestimmen (Heine et al., 2006; Steger, 2009).
Eine Vielzahl von psychologischen Konstrukten befasst sich bereits damit, wie wir uns selbst und die Welt verstehen, wie z.B. Identitat und Weltanschauungen. Die kognitive Dimension von Lebenssinn unterscheidet sich jedoch wesentlich von diesen Konstrukten. Sie ist auf der abstraktesten Ebene der Informationsorganisation angesiedelt und bietet ein ubergeordnetes Rahmenmodell, das erklart, wie wir ein Verstandnis uber das Leben als Ganzes erlangen (Steger, 2009).
Zweckmafiigkeit
Neben der kognitiven Sinndimension „Bedeutsamkeit" beziehen sich eindimensionale Definitionen auRerdem haufig auf die motivationale Sinndimension „ZweckmaRigkeit" (im engl. Original: „purpose"; z.B. Emmons, 2003; Klinger, 1998; Ryff & Singer, 1998). ZweckmaRigkeit entsteht, indem wir Ziele erfolgreich verfolgen. Ziele beschreiben personlich erwunschte Ergebnisse und Zustande, die wir erreichen mochten. Sie lenken die Richtung unseres Verhaltens, steuern die Auswahl und den Einsatz von Verhaltensweisen, die zur Zielerreichung fuhren sollen und beeinflussen unsere Ausdauer bei der Zielverfolgung (Heckhausen, 1989). Somit stellen Ziele eine motivationale Dimension von Lebenssinn dar (z.B. Emmons, 2003; Steger, 2009). Ziele sind hierarchisch organisiert. Ubergeordnete, abstrakte und langfristige Ziele erreichen wir, indem wir untergeordnete, konkrete und kurzfristige Ziele verfolgen. Zu den am haufigsten genannten ubergeordneten Zielen zahlen Beziehungen, Arbeit, Religion, Wissen und Leistung (Emmons, 2003). Untergeordnete Ziele beinhalten unterschiedliche, alltagliche Aktivitaten. Zum Beispiel treffen sich manche Menschen mit Freunden zum Kaffeetrinken, andere wiederum machen ihnen Geschenke, um Beziehungen aufrechtzuerhalten. Im Laufe unseres Lebens konnen sich unsere Ziele, z.B. aufgrund wechselnder Umstande oder fortschreitenden Alters, verandern. Studien zeigten beispielsweise, dass junge Menschen eher nach Selbstentfaltung und neuen Erfahrungen streben, wahrend altere Menschen versuchen, Beziehungen zu erhalten und Verluste, z.B. der eigenen Fahigkeiten oder geliebter Menschen, zu bewaltigen (Helson, Soto, & Cate, 2006).
Eine Vielzahl von psychologischen Konstrukten erklart bereits, wie Menschen ihre Ziele uber kurze, mittlere und lange Zeitraume verfolgen, wie z.B. personliche Projekte (McGregor & Little, 1998) oder Lebensplanung (Baltes & Kunzmann, 2004). Die motivationale Dimension von Lebenssinn ist hiervon abgrenzbar. Sie ist auf der abstraktesten und zeitlich unbegrenzten Ebene in der Zielhierarchie angesiedelt und beinhaltet unsere Lebensmission, wahrend die anderen Konstrukte spezifischere und zeitlich beschrankte Ziele beschreiben (Steger, 2009).
1.3 Mehrdimensionale Sinndefinitionen
Mehrdimensionale Definitionen von Sinn kombinieren die kognitive und motivationale Sinndimension mit einer affektiven Sinndimension, die sich auf unsere subjektiv wahrgenommene Erfullung im Leben bezieht (im engl. Original: „fulfillment"; z.B. Reker & Wong, 1988; Steger, 2009). Aktuell wird diskutiert, ob Sinnerfullung eine Dimension von Lebenssinn darstellt. Einige Wissenschaftler kritisieren, dass die Definition von Lebenssinn als Sinnerfullung sowohl theoretische als auch praktische Schwierigkeiten mit sich bringt (Steger, 2009).
Theoretische Schwierigkeiten
Aus theoretischer Sicht ist es problematisch, dass das Gefuhl der Sinnerfullung nicht klar von anderen affektiven Konstrukten, wie z.B. Wohlbefinden, abgegrenzt werden kann. Somit ist diese affektive Dimension nicht spezifisch mit dem Konstrukt Lebenssinn verbunden (Steger, 2009).
AuRerdem sind theoretische Annahmen der mehrdimensionalen Definitionen fraglich. Sie gehen davon aus, dass sich ein Gefuhl der Erfullung einstellt, wenn Bedeutsamkeit und ZweckmaRigkeit erreicht sind (z.B. Reker & Wong, 1988). Empirische Studien zeigten jedoch, dass sowohl ein hoheres AusmaR an Lebenssinn zu positiven Emotionen fuhren kann als auch positive Emotionen zu einem hoheren AusmaR an Lebenssinn fuhren konnen. In einer Experimentalstudie2 von Laura King und ihren Kollegen an der University of Missouri hatten kunstlich induzierte, positive Emotionen einen hoheren berichteten Lebenssinn zur Folge (King, Hicks, Krull, & Del Gaiso, 2006; Kapitel 4.4). Hierfur sind zwei mogliche Erklarungen denkbar:
Erstens nutzen wir moglicherweise unsere aktuellen Emotionen und Stimmungen als Informationsquellen, wenn wir Urteile uber unseren Lebenssinn treffen. Wir folgern, dass die Ursache fur unsere gute Laune in unserem hohen AusmaR an Lebenssinn liegt (King et al., 2006). Empirische Studien bestatigten die Annahme, dass unsere aktuelle Laune globale Urteile beeinflussen kann. Dies geschieht v.a. dann, wenn wir nicht uber alternative Ursachen fur unsere Laune nachdenken (Schwarz & Strack, 1999). Zum Beispiel fuhrte experimental erzeugte gute Laune zu einem hoheren berichteten Lebenssinn, wenn den Versuchsteilnehmern nicht erklart wurde, dass ihre Laune das Urteil uber ihren Lebenssinn beeinflussen kann (King et al., 2006). Gegen diesen Erklarungsansatz spricht jedoch, dass wir nicht alles als sinnvoll beurteilen, wenn wir gut gelaunt sind. In einer weiteren Studie beurteilten Menschen mit guter Laune eine sinnvolle Aufgabe als sinnvoll, eine sinnlose Aufgabe jedoch als sinnlos (King et al., 2006).
Zweitens konnen positive Emotionen und Stimmungen dazu fuhren, dass wir vermehrt Sinnmoglichkeiten entdecken und leichter Sinn konstruieren (King et al., 2006). Empirische Studien zeigten, dass wir bei guter Laune beispielsweise Probleme besser losen, gedanklich flexibler sind und einen groReren Aufmerksamkeitsfokus haben (Broaden-and-Build Theorie; Fredrickson & Branigan, 2004). Eine derartige Erweiterung unseres Denk- und Handlungsspektrums kann die Entdeckung und Konstruktion von Sinn unterstutzen, indem wir Zusammenhange herstellen, das groRere Ganze sehen und ubergeordnete Bedeutungen von Einzelelementen wahrnehmen.
Praktische Schwierigkeiten
Wird Lebenssinn mithilfe von Items erfasst, die Erfullung messen, besteht daruber hinaus aus praktischer Sicht die Gefahr, gleichzeitig andere affektive Konstrukte, wie z.B. Wohlbefinden oder Stimmungen, mitzumessen. Zur Verdeutlichung soll beispielhaft der Zusammenhang zwischen Lebenssinn und Wohlbefinden untersucht werden. Wird Lebenssinn mithilfe eines Instruments gemessen, das auch Wohlbefinden-Items enthalt, resultieren zwangslaufig hohe Zusammenhange mit Instrumenten, die Wohlbefinden erfassen. Der untersuchte Zusammenhang zwischen Lebenssinn und Wohlbefinden fallt somit hoher aus als er eigentlich ist. Eine derartige Konfundierung der Variablen sollte folglich vermieden werden, da sie zu verfalschten Ergebnissen fuhrt (Schnell, 2010; Steger, 2009). Diese potenziellen theoretischen und praktischen Schwierigkeiten sprechen dagegen, Lebenssinn als Sinnerfullung zu definieren (Steger, 2009).
1.4 Weitere Sinndimensionen
Uber Bedeutsamkeit, ZweckmaRigkeit und personliche Erfullung hinaus schlagen verschiedene Wissenschaftler weitere Sinndefinitionen und -theorien vor (z.B. Antonovsky, 1987; Baumeister, 1991; Reker & Wong, 1988; Schnell, 2016; Schulz-Hardt & Frey, 1997). Im Folgenden werden inhaltliche Gemeinsamkeiten integriert und als weitere Dimensionen des Konstrukts Lebenssinn vorgestellt.
Koharenz
Koharenz beschreibt das AusmaR, in dem wir Stimmigkeit, Schlussigkeit und Passung in unserem Leben wahrnehmen (Schnell, 2016). Horizontale Koharenz bedeutet, dass die Elemente einer Ebene miteinander vereinbar sind. Zum Beispiel passen die Ziele, eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu leben und enge soziale Beziehungen zu fuhren, gut zusammen. Dagegen konnen sich die Ziele, eine ausgeglichene Work-Life-Balance zu leben und beruflich moglichst weit aufzusteigen, widersprechen. Vertikale Koharenz bedeutet, dass untergeordnete mit ubergeordneten Ebenen vereinbar sind. Zum Beispiel passt das Verhalten, viel Zeit mit Familie und Freunden zu verbringen, gut zum Ziel, enge Beziehungen zu fuhren. Das Verhalten, wenig Zeit in Freizeitaktivitaten zu investieren, widerspricht dagegen dem Ziel einer ausgeglichenen Work-Life-Balance. Insgesamt sollten sich unsere Lebensbereiche nicht widersprechen, sondern erganzen. Koharenz stellt somit eine weitere kognitive Sinndimension dar. Das AusmaR, in dem wir unsere Leben als koharent wahrnehmen, bestimmt den Grad, wie sinnvoll wir unser Leben wahrnehmen (z.B. Reker & Wong, 1988; Schnell, 2016).
Selbstwirksamkeit
Selbstwirksamkeit steht fur das AusmaR, in dem wir davon uberzeugt sind, dass wir auf uns selbst und die Welt Einfluss nehmen konnen, unsere Handlungen zu erwunschten Ergebnissen fuhren und wir selbst schwierige Situationen erfolgreich bewaltigen konnen. Hiermit verbunden ist unser Streben nach Autonomie und Kontrollierbarkeit (Baumeister, 1991). Selbstwirksamkeit stellt eine weitere kognitive Sinndimension dar. Das AusmaR, in dem wir uns als selbstwirksam wahrnehmen, beeinflusst das AusmaR unseres wahrgenommenen Lebenssinns (z.B. Antonovsky, 1987; Baumeister, 1991; Schnell, 2016).
Orientierung
Orientierung meint das AusmaR, in dem unser Leben eine inhaltliche Ausrichtung hat, die auch in schwierigen und turbulenten Lebensphasen erhalten bleibt (Schnell, 2016). Fur viele Wissenschaftler stellen Werte einen Kompass dar, der uns auf unserem Lebensweg leitet (z.B. Baumeister, 1991; Schulz-Hardt & Frey, 1997). Unsere Werte drucken aus, was wir personlich als wunschens- und erstrebenswert erachten. Sie beeinflussen beispielsweise, ob wir etwas als gut oder schlecht bewerten, welche Entscheidungen wir treffen oder welche Ziele wir uns setzen. Zu grundlegenden Werten zahlen z.B. gesellschaftliche Belange (sich fur die Gleichheit, Gerechtigkeit und den Schutz aller Menschen einsetzen), Hedonismus (nach Vergnugen und Sinnesfreuden streben) oder Selbstbestimmung (eigene Ideen und Fahigkeiten frei entfalten; Schwartz et al., 2012). Orientierung stellt somit eine weitere motivationale Sinndimension dar. Das AusmaR, in dem wir Orientierung in unserem Leben haben, bestimmt den Grad, wie sinnvoll wir unser Leben wahrnehmen (z.B. Baumeister, 1991; Schnell, 2016; Schulz-Hardt & Frey, 1997).
Zugehorigkeit
Zugehorigkeit beschreibt das AusmaR, in dem wir uns als Teil eines groReren Ganzen wahrnehmen - sei es als Teil unserer Familie, einer Gruppe, einer Nation oder der gesamten Menschheit (Baumeister & Leary, 1995). Wenn wir uns in einen groReren Kontext einordnen, fuhlen wir uns verantwortlich, gebraucht und bedeutsam. Zugehorigkeit stellt somit eine weitere affektive Sinndimension dar. Das AusmaR, in dem wir uns zugehorig zu einem groReren Ganzen fuhlen, beeinflusst das AusmaR unseres wahrgenommenen Lebenssinns (z.B. Baumeister & Leary, 1995; Schnell, 2016).
Selbstwert
Unser Selbstwert druckt aus, wie wir unser Bild uber unsere eigene Person bewerten. Wir mochten, dass wir selbst und andere uns als gute, liebenswerte und wertvolle Menschen wahrnehmen. Das Streben nach dem Erhalt bzw. der Erhohung unseres Selbstwerts stellt somit eine weitere affektive Sinndimension dar. Das AusmaR, in dem Erlebnisse oder Erfahrungen dazu beitragen, unseren Selbstwert zu erhalten oder zu erhohen, bestimmt den Grad, wie sinnvoll wir diese Erlebnisse und Erfahrungen wahrnehmen (Baumeister, 1991).
1.5 Zwischenfazit
Zusammenfassend lasst sich festhalten: Es gibt es bislang noch keine einheitliche psychologische Definition von Sinn. Stattdessen definieren verschiedene Wissenschaftler Sinn auf unterschiedliche Art und Weise. Die am meisten verbreiteten Definitionen von Sinn betonen die kognitive Dimension Bedeutsamkeit und/oder die motivationale Dimension ZweckmaRigkeit. Demnach erleben wir unser Leben als bedeutsam, wenn wir einzelne Elemente zu einem groReren Ganzen verknupfen und ubergeordnete Zusammenhange erkennen. Hierdurch erlangen wir ein Verstandnis uber uns selbst, unser Leben und die Welt. Wir nehmen unser Leben als zweckmaRig wahr, wenn wir eine ubergeordnete Mission verfolgen. Sinn im Leben ist folglich mit den Fragen „Warum bin ich hier?" und „Wozu bin ich hier?" verbunden. Weiterhin wird unser AusmaR an wahrgenommenem Sinn im Leben davon beeinflusst, inwieweit wir unser Leben als koharent und orientiert und uns selbst als zugehorig, wertvoll und selbstwirksam wahrnehmen. Das Fehlen einer einheitlichen und verbindlichen Sinndefinition bringt mehrere Probleme mit sich. Zum einen unterscheiden sich verschiedene theoretische Erklarungsansatze zu Sinn erheblich (vgl. Kapitel 2). Zum anderen wird Sinn in empirischen Studien auf unterschiedliche Art und Weise operationalisiert und gemessen, woraus widerspruchliche Befunde und Schwierigkeiten bei der Integration der Forschungsergebnisse resultieren (vgl. Kapitel 2, 3, 4).
1.6 Fragen zur Reflektion
Um einen personlichen Zugang zur Thematik dieses Kapitels herzustellen, haben Sie nun die Moglichkeit, uber folgende Fragen nachzudenken und sie fur sich zu beantworten:
- Was bedeutet „Sinn" fur Sie?
- In welchem AusmaR nehmen Sie Ihr Leben als bedeutsam wahr? Warum?
- In welchem AusmaR nehmen Sie ihr Leben als zweckmaRig wahr? Warum?
- Wie fuhlt sich ein sinnerfulltes Leben fur Sie an?
- Welche weiteren Dimensionen sind Ihrer Meinung nach wichtig fur ein sinnvolles Leben?
2 Sinn theoretisch verstehen
„Wir verlangen, das Leben musse einen Sinn haben - aber es hat nur ganz genau so viel Sinn, als wir selber ihm zu geben imstande sind.“
(Herrmann Hesse)
Wie entsteht Sinn? Welches Menschenbild liegt unserem Streben nach Sinn zugrunde? Welche Auswirkungen hat Sinn? Bisher gibt es in der Psychologie kein einheitliches theoretisches Erklarungsmodell zu Sinn. Vielmehr beleuchten unterschiedliche theoretische Perspektiven unterschiedliche Aspekte von Sinn, klammern jedoch wiederum andere aus. Im Folgenden werden die existentialistische, kognitive und narrative Perspektive vorgestellt. Die existentialistische Perspektive bietet den historisch ersten psychologischen Erklarungsversuch zu Sinn. Die kognitive Perspektive betrachtet Sinn im Kontext von negativen Lebensereignissen. Die narrative Perspektive erklart, wie wir Sinn in unterschiedlichen Phasen unseres Lebens konstruieren. Gemeinsam vermitteln diese ausgewahlten Perspektiven ein umfassendes theoretisches Verstandnis von Sinn.
2.1 Existentialistische Perspektive
Viktor E. Frankl war ein osterreichischer Neurologe und Psychiater und gilt als Begrunder der psychologischen Sinnforschung (Langle, 2013). Frankls Sinntheorie ist zentraler Bestandteil seiner Lehre, die als Existenzanalyse und Logotherapie3 bekannt ist. Nach Frankls Definition beinhaltet die Existenzanalyse die theoretischen Grundlagen fur eine sinnvolle Existenz. Die Logotherapie bezeichnet dagegen die praktische Anwendung der Existenzanalyse im Rahmen einer Psychotherapie, die uns auf dem Weg zu einem sinnvollen Leben begleiten soll (Frankl, 1959). Im Folgenden werden diejenigen theoretischen Annahmen der Existenzanalyse zusammengefasst, die notwendig fur das Verstandnis von Frankls Sinntheorie sind.
Menschenbild
Frankl geht davon aus, dass sich der Mensch aus drei Dimensionen zusammensetzt: aus Korper, Seele und Geist. Der Korper besteht aus physiologischen Strukturen und Prozessen. Die Seele umfasst z.B. Emotionen, Intelligenz und Lernerfahrungen. Dem Geist werden z.B. Werte, Gewissen, Kreativitat, Glaube und Liebe zugeordnet (Frankl, 1946/1987; Lukas, 2006). Die geistige Dimension des Menschen steht im Fokus der Existenzanalyse. Nach Frankl unterscheidet sie uns von allen anderen Lebewesen und stellt somit das spezifisch Menschliche dar (Frankl, 1946/1987).
Selbsttranszendenz
In der geistigen Dimension wurzelt u.a. die spezifisch menschliche Fahigkeit zur Selbsttranszendenz (Frankl, 1946/1987). Frankls Existenzanalyse wurde maRgeblich von der Existenzphilosophie beeinflusst, die annimmt, dass der Mensch nur dann zu einer ganzheitlichen Existenz gelangt, wenn er in die Welt eingebunden ist. Er braucht andere Menschen und die Umwelt zu seiner „Er-ganzung“ (Langle, 2013, S. 19). Dementsprechend sind wir Menschen Frankl zufolge daraufhin angelegt, uber uns selbst hinauszugehen, uns anderen Aufgaben und Menschen zuzuwenden und etwas GroRerem zu dienen als uns selbst (Frankl, 1946/1987). Der Mensch wird erst dann ganz zum Mensch, „wo er sich selbst - ubersieht und vergiRt" (Frankl, 1987, S. 213). Da eine selbsttranszendente Lebensweise dem Kern unserer Natur entspricht, ist sie Frankl zufolge das anzustrebende Ziel unserer Entwicklung (Fabry, 1994). Hierdurch verwirklichen wir uns selbst. Folglich ist Selbstverwirklichung in der Existenzanalyse kein Selbstzweck, sondern das Nebenprodukt einer selbsttranszendenten Lebensweise (Frankl, 1946/1987).
Freiheit des Willens und Verantwortung
Der geistigen Dimension entspringt auch die Freiheit des Willens, welche eine Grundpramisse in Frankls Menschenbild darstellt. Freiheit des Willens bedeutet, dass wir die Wahl haben, was wir erleben oder zumindest die Moglichkeit, zum Erlebten Stellung zu beziehen. Wir konnen also uber unser Verhalten und unsere Einstellungen frei entscheiden und sie willentlich beeinflussen. Hierdurch werden wir zu freien Gestaltern unseres Lebens. Selbst wenn wir widrigste Bedingungen vorfinden, sind wir diesen nicht passiv ausgeliefert. Stattdessen konnen wir uns dazu entscheiden, ihnen zu trotzen und uns hierdurch starker erweisen als sie. Da wir aufgrund der Freiheit des Willens unser Leben frei gestalten konnen, tragen wir Frankl zufolge selbst die Verantwortung fur unser Denken, Fuhlen und Handeln (Frankl, 1946/1987).
Wille zum Sinn
Ebenfalls in der geistigen Dimension grundet der spezifisch menschliche Wille zum Sinn, der richtungsgebend fur unser freies und eigenverantwortliches Erleben und Verhalten ist. Der Wille zum Sinn ist Frankl zufolge unser primarer Motivator und der Grund, weshalb wir Menschen unablassig nach Sinn in unseren Leben suchen. Frankl ist uberzeugt, „daR es dem Menschen zunachst und zuletzt um den Sinn und nichts als den Sinn geht" (Frankl, 1946/1987, S. 76). Folglich sind z.B. Bedurfnisbefriedigung oder Gesundheit wichtige Bausteine unserer Existenz, jedoch nicht ihr eigentliches Ziel (Langle, 2013). Frankl stellte den Willen zum Sinn dem von Sigmund Freud postulierten Willen zur Lust und dem von Alfred Adler postulierten Willen zur Macht gegenuber. Freud ging davon aus, dass wir Menschen primar von unserem Sexualtrieb gesteuert werden und nach korperlicher Befriedigung streben. Adler nahm an, dass wir v.a. unsere Minderwertigkeitsgefuhle uberwinden mochten, indem wir uns selbst behaupten und nach Macht streben. Wenn manche Menschen nicht nach Sinn suchen, wird ihr Wille zum Sinn Frankl zufolge vom Willen zur Lust oder Willen zur Macht uberlagert (Frankl, 1985/2015).
Sinnmoglichkeiten der Situation
Frankl zufolge kann unsere Sinnsuche grundsatzlich erfolgreich sein. Jeder von uns kann Sinn finden und verwirklichen (Frankl, 1946/1987). Wie bereits erlautert nehmen Existenzphilosophen, wie z.B. Martin Buber, an, dass wir nur zu unserer vollen Existenz gelangen konnen, wenn wir in Beziehung mit der Welt stehen. Diese Beziehung zwischen einer Person und ihrer AuRenwelt gestaltet sich in Form eines Dialogs (Langle, 2013). In diesem wechselseitigen Dialog stellt das Leben Frankl zufolge Fragen an die Person, indem es sie mit Lebenssituationen konfrontiert. Jede Lebenssituation enthalt dabei einzigartige Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung. Die Aufgabe der Person besteht darin, auf diese Lebensfragen zu antworten, indem sie die Sinnmoglichkeiten entdeckt und verwirklicht (Frankl, 1946/1987).
Werte
Nach Frankl gibt es drei mogliche Antworten auf eine Lebensfrage bzw. Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung. Diese bezeichnet er in Anlehnung an die philosophische Phanomenologie als „Werte“ (Frankl, 1946/1987, S. 58). Sinn verwirklichen bedeutet fur Frankl also Werte verwirklichen. Er unterscheidet zwischen Schaffens-, Erlebnis- und Einstellungswerten. Schaffenswerte beziehen sich auf das Schaffen und Handeln von Menschen. Wir verwirklichen Schaffenswerte und damit Sinn, wenn wir z.B. eine berufliche Tatigkeit ausuben, eine Familie grunden oder unsere Freizeit aktiv gestalten. Erlebniswerte stehen im Zusammenhang mit dem Erleben von Menschen. Wir verwirklichen Erlebniswerte und hierdurch Sinn, wenn wir uns z.B. an der Schonheit der Natur erfreuen, ein Kunstwerk oder Musikstuck genieRen oder die Liebe zu einem anderen Menschen erfahren. Konnen Schaffens- und Erlebniswerte nicht verwirklicht werden, bleibt uns immer noch die Verwirklichung von Einstellungswerten. Einstellungswerte beziehen sich auf unsere innere Einstellung (Frankl, 1946/1987). Wir verwirklichen sie, indem wir z.B. Lehren aus negativen Erfahrungen ziehen, Lebensziele neu definieren oder das Beste aus einer misslichen Situation machen (Wong, 2014). Hierdurch reifen wir, entwickeln uns selbst weiter und verwirklichen damit Sinn (Frankl, 1946/1987). Werte- und Sinnverwirklichung geht mit Selbsttranszendenz einher, da wir uns auf die Werte der jeweiligen Situation anstatt auf uns selbst und unsere Bedurfnisbefriedigung ausrichten (vgl. Frankl, 1946/1987; Langle, 2013).
Beispiel: Werteverwirklichung im KZ
Einstellungswerte ermoglichen es uns, selbst unter den widrigsten Bedingungen Sinn zu verwirklichen und diesen zu trotzen. Frankl selbst bietet ein eindruckliches Beispiel fur die so genannte „Trotzmacht des Geistes“ (Frankl, 1946/1987, S. 96): Obwohl er mehrere Jahre in den Konzentrationslagern der Nazis gefangen war und dort seine Frau, seine Eltern und seinen Bruder verlor, stellte er kurz nach seiner Befreiung das Buch „...trotzdem Ja zum Leben sagen: ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager“ (Frankl, 1947/2017) fertig. Frankls Lebensbedingungen im KZ waren gepragt von scheinbarer Absurditat, Willkurlichkeit und Sinnlosigkeit. Trotzdem entschied er sich fur eine bejahende, optimistische Einstellung zum Leben. Im KZ konnte man dem Menschen alles nehmen, „[.] nur nicht: die letzte menschliche Freiheit, sich zu den gegebenen Verhaltnissen so oder so einzustellen“ (Frankl, 1985/2015, S. 171). Nach eigener Aussage uberlebte er seine Gefangenschaft in vier KZ aufgrund von drei Uberlebensmotiven: (1) dem Ziel, sein erstes Buch „Arztliche Seelsorge" wiederherzustellen, das ihm im KZ abgenommen wurde, (2) die Erinnerungen an die Liebe zu seiner Frau und (3) die feste Uberzeugung, dass das Leben trotz allen Leidens einen Sinn hat. Diese Motive entsprechen der Verwirklichung seiner drei Wertekategorien: der Verwirklichung von Schaffenswerten in der Zukunft, Erlebniswerten in der Vergangenheit und Einstellungswerten in der Gegenwart (vgl. Langle, 2013). Frankl verweist in diesem Zusammenhang auf Friedrich Nietzsches Zitat „Wer ein Warum zu leben hat, ertragt fast jedes Wie" (Nietzsche zit. nach Frankl, 1946/1987, S. 67).
Beispiel: Werteverwirklichung im Angesicht des Todes
Viele Menschen hinterfragen den Sinn ihres Lebens, wenn sie mit dem Tod konfrontiert und sich der Verganglichkeit ihres Lebens bewusst werden. Entgegen der weitlaufigen Meinung wird das Leben Frankl zufolge erst durch den Tod sinnvoll. Ware unser Leben zeitlich unbegrenzt, konnten wir unser Handeln und Denken Frankl zufolge bis ins Unendliche aufschieben. Der Tod begrenzt jedoch unsere Lebenszeit und hiermit auch unsere Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung. Es liegt folglich in unserer Verantwortung, die einmaligen und verganglichen Sinnmoglichkeiten einer Situation zu nutzen und so viele Werte wie moglich zu verwirklichen. Sobald die vormals verganglichen Sinnmoglichkeiten verwirklicht wurden, sind sie nach Frankl sicher in der Vergangenheit aufbewahrt und konnen nicht mehr verloren gehen (Frankl, 1985/2015).
Die Dauer eines Lebens gibt auRerdem keinen Aufschluss uber dessen Sinnhaftigkeit. Frankl zufolge hat das Leben einen unbedingten Sinn, der nicht verloren gehen kann. So behalt das Leben seinen Sinn, auch wenn es noch so kurz andauert. Hatte es dagegen grundsatzlich keinen Sinn, wurde es auch durch zusatzliche Lebenszeit nicht sinnvoller werden. Konnte eine Lebensaufgabe aufgrund eines fruhen Todes nicht vollendet werden, macht dies das Vorhaben nicht weniger wertlos, da auch „manche ,Unvollendete‘ zu den schonsten Symphonien [gehort]" (Frankl, 1985/2015, S. 247). Hierbei bezieht sich Frankl wohl auf Franz Schuberts Symphonie in h-moll, die dieser nie fertigstellte. Selbst ein vermeintlich verschwendetes Leben lasst sich Frankl zufolge ruckwirkend mit Sinn fullen. Frankl erlauterte US-amerikanischen Haftlingen, die auf die Vollstreckung der Todesstrafe warteten, dass sie durch Selbsterkenntnis uber sich hinauswachsen und hierdurch Einstellungswerte verwirklichen konnen (vgl. Frankl, 1985/2015).
Survival Value
Frankl zufolge kommt unserem Willen zum Sinn ein „survival value“ (Frankl, 1985/2015, S. 48), ein lebenserhaltender Wert zu. Wenn wir an einen Sinn im Leben glauben und uns dessen Verwirklichung verpflichtet fuhlen, erhoht dies unsere Widerstandsfahigkeit und die Wahrscheinlichkeit, selbst in Grenzsituationen zu uberleben. Diese Annahme beruht u.a. auf Frankls eigenen Erfahrungen und Beobachtungen in verschiedenen Konzentrationslagern sowie auf Berichten von Uberlebenden mehrjahriger Kriegsgefangenschaften (Frankl, 1985/2015).
Existenzielles Vakuum
Unser Wille zum Sinn hat positive Auswirkungen auf unser Leben, wenn wir ihn ausleben. Wird er jedoch langerfristig unterdruckt, kann Frankl zufolge ein „existenzielles Vakuum“ (Frankl, 1985/2015, S. 16) auftreten. Dieses auRert sich in Gefuhlen der Sinnlosigkeit, inneren Leere und Depression und kann im Suizid gipfeln. Frankl zufolge breitet sich das existenzielle Vakuum als Massenkrankheit in Wohlstandsgesellschaften aus. Dort haben Menschen zwar genug, wovon sie leben konnen. Jedoch wissen sie nicht, wozu, also zu welchem Sinn sie leben sollen. Ursachen fur diesen Sinnmangel sieht Frankl u.a. im Verfall von Werten, Traditionen und Institutionen sozialer Einbindung, wie z.B. Kirche und Familie, die fruheren Generationen Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung boten (Frankl, 1985/2015).
Zusammenspiel von Korper, Seele und Geist
Werte- und Sinnverwirklichung entstehen in einem Zusammenspiel aus den drei Dimensionen des Menschen. Die geistige Dimension bedingt zunachst, dass wir nach Sinn suchen und die Sinnmoglichkeiten einer Lebenssituation entdecken. Schaffenswerte werden anschlieRend durch die Handlungen des Korpers, Erlebniswerte durch das Erleben der Seele und Einstellungswerte durch Einstellungsanderung und personliche Weiterentwicklung des Geistes verwirklicht (Wong, 2014).
Zusammenfassung - Sinn in der Existenzanalyse und Logotherapie
Sinn in der Existenzanalyse und Logotherapie bezeichnet den Sinn in einer bestimmten Situation fur eine bestimmte Person. Die Person hat einen Willen zum Sinn, weshalb sie grundsatzlich nach Sinn sucht und nach Sinnverwirklichung strebt. Jede Lebenssituation enthalt einzigartige Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung. Die Person verwirklicht Sinn, indem sie die Werte, die die jeweilige Situation bereithalt, erlebt und gestaltet. Werte- und Sinnverwirklichung gehen dabei mit Selbsttranszendenz einher. Da keine Lebenssituation einer anderen gleicht, stellt Sinnverwirklichung eine fortwahrende, lebenslange Aufgabe dar. Wir tragen auRerdem Verantwortung fur Sinnverwirklichung aufgrund der Freiheit und Selbstbestimmtheit unseres Erlebens und Verhaltens. Da jede Lebenssituation fur jeden Menschen eine Moglichkeit zur Sinnverwirklichung bereithalt, hat das Leben Frankl zufolge einen unbedingten Sinn, der unter keinen Umstanden verloren geht. Dieser Sinn des Lebens ist jedoch fur uns Menschen nicht greifbar und somit nicht Untersuchungsgegenstand der Existenzanalyse und Logotherapie (Frankl, 1946/1987).
2.2 Rezension der existentialistischen Perspektive
Frankls Werk wird als erster psychologischer Erklarungsversuch zu Sinn wiederholt zitiert (z.B. Steger, 2009; Wong, 2014). Im Folgenden werden Frankls Beitrag zur Sinnforschung, die heutige Bedeutung der Existenzanalyse und Logotherapie sowie ihre wissenschaftliche Fundierung betrachtet. AuRerdem werden einige Kritikpunkte an Frankls Sinntheorie beleuchtet sowie seine bedeutsame Botschaft an uns aufgezeigt.
Beitrag zur Sinnforschung und heutige Bedeutung
Frankls groRter Verdienst besteht darin, dass er das Thema Sinn in die Psychologie eingefuhrt hat (z.B. Langle, 2013; Lukas, 2006; Wong, 2014). Verglichen mit den damals verbreiteten Ansatzen von Freud und Adler ist Frankls ganzheitliches und humanistisches Menschenbild als sehr fortschrittlich zu bewerten. Auch heute noch sind die Existenzanalyse und Logotherapie hoch relevant und aktuell. Frankl entwickelte sie in den 30-iger Jahren zu Zeiten der industriellen Revolution und des ersten Weltkriegs, in denen v.a. die Konzeption des Menschen als Maschine die Frage nach dem Sinn aufwarf. Heute gewinnt das Thema Sinn u.a. aufgrund der Digitalisierung, Technisierung und der steigenden Raten von Depression, Sucht und Terror stark an Bedeutung (Frankl, 1985/2015; Wong, 2014). Frankls Originalwerk wurde u.a. von der International Gesellschaft fur Logotherapie und Existenzanalyse mehrfach uberarbeitet und erweitert. Als Psychotherapie-Methode ist die Existenzanalyse mittlerweile in Osterreich, Tschechien, Rumanien, Chile und der Schweiz staatlich anerkannt (Langle, 2013).
Wissenschaftliche Fundierung
Noch in den 80er Jahren wurde die Existenzanalyse als Lebensphilosophie und profane Religion anstatt als wissenschaftlich uberprufbare, psychologische Theorie betrachtet. Ein Grund hierfur bestand in ihren philosophischen Wurzeln (Weisskopf-Joelson, 1975). Seit 1975 wurden jedoch immer mehr empirische Studien zur Existenzanalyse und Logotherapie durchgefuhrt. Sie unterstutzen z.B. die Annahme, dass Sinnerleben mit einem hoheren Wohlbefinden und weniger psychischer Belastung einhergeht sowie die klinische Wirksamkeit der Existenzanalyse empirisch (Batthany & Guttmann, 2005; Thir & Batthany, 2016; vgl. Kapitel 4.4). Fur die Zukunft werden mehr Langsschnittstudien gefordert, die kausale Zusammenhange untersuchen, ebenso wie Meta-Analysen und Uberblicksstudien4, die die empirischen Befunde zusammenfassen (Thir & Batthany, 2016).
Fehlen einer ausgearbeiteten Sinndefinition und -theorie
An Frankls Werk wird kritisiert, dass es weder eine konkrete Sinndefinition noch eine ausgearbeitete Sinntheorie enthalt. Vielmehr beschrankt es sich auf einige Kerngedanken, psychologische Einsichten und psychotherapeutische Techniken. Da Frankls Kernwerk eigentlich uberschaubar ist, wirken seine Ausfuhrungen redundant und teils sprachlich unsauber. AuRerdem werden sie zum Teil nicht ausreichend theoretisch, philosophisch oder psychologisch begrundet (z.B. Becker, 1997). Die Aufgabe, Frankls Annahmen logisch miteinander zu verknupfen und ein koharentes Verstandnis von seiner Sinntheorie zu entwickeln, liegt somit groRtenteils beim Leser. Die Interpretationen seiner Nachfolger, wie z.B. Alfried Langle oder Elisabeth Lukas, sowie die Versuche des Psychologieprofessors Paul Wong an der University of Toronto, Frankls Annahmen mit der Mainstream-Psychologie zu verbinden, erweisen sich hierbei als hilfreich. Moglicherweise sind diese Kritikpunkte Grunde dafur, weshalb Frankls Werk bisher nur wenig Aufmerksamkeit von Sinnforschern aus anderen psychologischen Stromungen erhalten hat (Wong, 2014).
Frankls Botschaft
Vielleicht sollten wir Frankl weniger als Wissenschaftler, sondern eher als humanistisches Vorbild verstehen, von dem wir etwas fur unser eigenes Leben lernen konnen. Dann finden wir in seinen Buchern eine wertvolle Quelle an Weisheit und hoffnungsvollen Botschaften, die zu einer besseren Welt beitragen konnen: Unser Leben hat einen unbedingten Sinn, den es niemals verlieren wird. Jede Situation halt fur jeden von uns, unabhangig von auReren Umstanden, Moglichkeiten zur Sinnverwirklichung bereit. Wir konnen unser Leben frei und selbstbestimmt gestalten und sind nie bloRe Opfer unseres Schicksals. Gleichzeitig erinnert uns Frankl an unsere Verantwortung, Sinn zu verwirklichen und an das Entwicklungsziel, uns selbst zu transzendieren (Frankl, 1946/1987, 1985/2015). Mahatma Gandhi, Nelson Mandela, Oskar Schindler oder Mutter Theresa beispielsweise lebten diese Verantwortung, dienten einem selbstlosen Zweck und leisteten einen Beitrag zum Gemeinwohl. Wurden wir uns alle starker an den Zielen der Sinnverwirklichung und Selbsttranszendenz orientieren, hatte dies nicht nur positive Auswirkungen auf unsere personliche Zukunft, sondern auch auf die Zukunft der gesamten Menschheit (Wong, 2014). Frankls Idealismus wirkt umso uberzeugender, da er die tiefsten Abgrunde der Menschheit im Konzentrationslager selbst kennenlernte und sich ihn trotzdem bewahrte.
2.3 Kognitive Perspektive
Chrystal Park und Susan Folkman (1997), zwei Psychologieprofessorinnen an der University of Connecticut und University of California, liefern ein kognitives Sinnmodell im Kontext von negativen Lebensereignissen. Es erklart unsere gedanklichen Bewertungen von Todesfallen, Krankheiten, Unfallen usw. und die Auswirkungen dieser Bewertungen auf unsere Anpassung. Im Folgenden werden der globale Sinn und der situative Sinn als die zentralen Sinnkomponenten des Modells sowie seine theoretischen Annahmen zusammengefasst.
Globaler Sinn - unsere Uberzeugungen und Ziele
Unser globaler Sinn besteht aus unseren grundlegenden Uberzeugungen und Zielen. Uberzeugungen beinhalten allgemeine Ansichten uber das Selbst, die Welt und ihre Beziehung zueinander (Park & Folkman, 1997). Im Allgemeinen nehmen wir uns als gute, integre, kompetente und liebenswurdige Menschen wahr. Wir sind davon uberzeugt, dass wir in einer guten und gerechten Welt leben, in der positive Ereignisse wahrscheinlicher sind als negative. Wir glauben, dass wir Kontrolle uber unser eigenes Schicksal haben (z.B. Janoff-Bulman, 1992). Wir bekommen, was wir verdienen und wir verdienen, was wir bekommen (Theorie der gerechten Welt; Lerner, 1980). Hierdurch nehmen wir die Welt als verstehbar, vorhersehbar und kontrollierbar wahr. Da die Welt in unseren Augen gut und gerecht ist und wir selbst gute Menschen sind, gehen wir davon aus, dass uns negative Ereignisse sehr unwahrscheinlich widerfahren (z.B. Janoff-Bulman, 1992). Diese Uberzeugungen schaffen ein Gefuhl von Ordnung, Verstehbarkeit und Kontrollierbarkeit (Park & Folkman, 1997). Insgesamt unterliegen unsere Uberzeugungen jedoch einer optimistischen Verzerrung und fallen ubermaRig positiv aus (Taylor & Brown, 1994). Die Bedeutung von Zielen und ihre Auswirkungen wurden bereits in Kapitel 1.2 erlautert. Unsere grundlegenden Uberzeugungen und Ziele stellen ein Orientierungssystem dar, das unsere Gedanken, Motivation und Verhalten sowie die Bewertung des situativen Sinns eines Ereignisses beeinflusst. Der globale Sinn beschreibt somit die abstrakteste und allgemeinste Ebene von Sinn (vgl. Park, 2010; Park & Folkman, 1997).
Globaler Sinn - Entwicklung
Wissenschaftler nehmen an, dass sich unsere Uberzeugungen und Ziele im Kindes- und Jugendalter entwickeln und sich basierend auf unseren personlichen Erfahrungen verandern (z.B. Catlin & Epstein, 1992). Im Erwachsenenalter sind Veranderungen dagegen eher unwahrscheinlich aufgrund unseres Bedurfnisses, dass unser globaler Sinn stabil und koharent ist (z.B. Heckhausen & Schulz, 1995; vgl. Park & Folkman, 1997).
Situativer Sinn
Situativer Sinn beinhaltet nach Park und Folkman (1997) den personlich bewerteten Sinn eines negativen Ereignisses. Er umfasst die anfangliche Bewertung eines Ereignisses, die Beurteilung der Diskrepanz zwischen globalem und anfanglichem situativen Sinn, den Sinnsucheprozess (im engl. Original: „search for meaning“ oder „meaning making process“) sowie die Ergebnisse des Sinnsucheprozesses, die als gefundener Sinn (im engl. Original: „meaning made“) bezeichnet werden (vgl. Park & Folkman, 1997).
Situativer Sinn - anfangliche Bewertung
Unmittelbar nach Auftreten eines negativen Ereignisses bewerten wir dessen Sinn, ohne dass wir dabei bewusst nach Sinn suchen mussen. Zum Beispiel schatzen wir ein, in welchem AusmaR das Ereignis fur uns bedrohlich ist und erwagen, ob und wie wir es bewaltigen konnen. Diese anfanglichen Bewertungen werden dabei von unseren grundlegenden Uberzeugungen und Zielen beeinflusst. Da sich unsere wahrgenommenen Bewaltigungsmoglichkeiten sowie unsere Uberzeugungen und Ziele unterscheiden, kann auch der anfangliche situative Sinn eines Ereignisses fur verschiedene Personen unterschiedlich ausfallen (Park & Folkman, 1997). Zum Beispiel bewerten manche Personen die Scheidung vom Ehepartner als Verlust oder Versagen, andere wiederum als Erleichterung und wiedergewonnene Freiheit (Pearlin, 1991). Diesen anfanglichen situativen Sinn passen wir im nachfolgenden Prozess mehrmals an (vgl. Park & Folkman, 1997).
Situativer Sinn - Diskrepanz zwischen situativem und globalem Sinn und Belastung
Nachdem wir den anfanglichen situativen Sinn eines Ereignisses bewertet haben, prufen wir, inwieweit dieser zu unseren grundlegenden Uberzeugungen und Zielen passt. Stehen situativer und globaler Sinn im Einklang, passen wir uns erfolgreich an das Ereignis an. Wir integrieren es in unseren globalen Sinn und konnen wieder normal funktionieren. Stehen situativer und globaler Sinn dagegen im Widerspruch, empfinden wir dies als Belastung (Park & Folkman, 1997). Oftmals stellen unsere Bewertungen von negativen oder gar traumatischen Ereignissen unsere grundlegenden Uberzeugungen und Ziele uber das Selbst und die Welt in Frage (Thompson & Janigian, 1988). Wenn z.B. eine geliebte Person stirbt oder Menschen selbst unheilbar erkranken, werden ihre Uberzeugungen uber eine gute und gerechte Welt, ihre Kontrollmoglichkeiten sowie ihre Ziele hinsichtlich glucklicher Beziehungen oder beruflichen Erfolgs erschuttert. Die durch die Diskrepanz zwischen situativem und globalem Sinn hervorgerufene Belastung stoRt Bewaltigungsversuche an. Wir verfugen uber verschiedene Strategien, Ereignisse zu bewaltigen, die wir als belastend empfinden (Lazarus & Folkman, 1984). Erleben wir negative Ereignisse als veranderbar, versuchen wir den Ist- Zustand durch aktive Beeinflussung zu verandern. Jedoch sind viele negative Ereignisse, wie z.B. Todesfalle oder Krankheiten, nicht aktiv veranderbar. Hier besteht jedoch die Moglichkeit, unsere gedanklichen Einstellungen und Bewertungen bzgl. des negativen Ereignisses zu verandern (Frey & Jonas, 2002). Eine mogliche gedankliche Bewaltigungsstrategie stellt die Suche nach Sinn dar (Park & Folkman, 1997).
Prozesse der Sinnsuche
Nach dem kognitiven Sinnmodell von Park und Folkman (1997) ist Sinnsuche ein wesentlicher Bestandteil des Prozesses, negative Ereignisse zu bewaltigen und sich an sie anzupassen. Durch Sinnsuche versuchen wir, die Diskrepanz zwischen anfanglichem situativen und globalem Sinn sowie die damit einhergehende Belastung zu verringern. Um die Diskrepanz zu verringern, mussen wir entweder den anfanglichen situativen Sinn des Ereignisses, unseren globalen Sinn oder beide Sinnkomponenten verandern (vgl. Park & Folkman, 1997).
Prozesse der Sinnsuche - Neubewertung des situativen Sinns
Verandern wir den situativen Sinn eines Ereignisses, sodass er besser zu unserem globalen Sinn passt, bezeichnen wir dies als Assimilation (Park & Folkman, 1997). Zum Beispiel konnen wir Antworten auf die Fragen finden, warum ein Ereignis passiert ist oder wer bzw. was dafur verantwortlich war. Durch die Zuschreibung von Ursachen und Verantwortlichkeiten verstehen wir das Ereignis besser, verhindern moglicherweise ein erneutes Auftreten und gewinnen unsere Kontrolluberzeugungen zuruck. Eine Meta-Analyse kam z.B. zu dem Schluss, dass Zuschreibungen zu kontrollierbaren Ursachen, wie z.B. zu unserem Lebensstil oder Stresspegel, mit einer besseren Anpassung verbunden sind. Dagegen gehen Zuschreibungen zu stabilen und unkontrollierbaren Ursachen mit einer schlechteren Anpassung an eine Vielzahl von Krankheiten einher (Roesch & Weiner, 2001; Westphal & Bonanno, 2007). Weitere Studien zeigten, dass Menschen, die sich selbst die Schuld fur ihr Leid geben, eine hohere psychische Belastung berichten (Downey, Silver, & Wortman, 1990; Glinder & Compas, 1999). Umgekehrt zeigte eine weitere Studie, dass Menschen, die ein negatives Ereignis achtsam reflektieren anstatt dieses wertend zu beurteilen, weniger Belastung erleben (Rude, Maestas, & Neff, 2007). Insgesamt weisen empirische Studien darauf hin, dass der Inhalt und die Art unserer Zuschreibungen wahrend der Sinnsuche Auswirkungen auf unsere spatere Anpassung haben konnen. Des Weiteren konnen wir den situativen Sinn eines Ereignisses verandern, indem wir bewusst nach seinen positiven Eigenschaften und Vorteilen suchen. Die positive Neubewertung eines vormals negativen Ereignisses war in vielen Studien mit einer besseren Anpassung verbunden. Insbesondere bei unkontrollierbaren Ereignissen, wie z.B. Krankheiten oder Todesfallen (z.B. Tennen & Affleck, 2002), ist es somit hilfreich, das Glas als halb voll anstatt als halb leer zu betrachten.
Zudem gibt es weitere kognitive Strategien, anhand derer wir den anfanglichen situativen Sinn verandern konnen. Ihre Zusammenhange mit Anpassung mussen noch genauer untersucht werden. Indem wir uns z.B. mit Personen vergleichen, denen es noch schlechter geht als uns selbst oder indem wir uns hypothetische Szenarien ausmalen, in denen uns etwas noch Schlimmeres hatte zustoRen konnen, konnen wir die anfangliche Bewertung eines Ereignisses relativieren (Buunk & Gibbons, 2007). AuRerdem konnen wir eine neue Perspektive auf ein Ereignis entwickeln, indem wir es z.B. in einen groReren Kontext einordnen oder es langerfristig betrachten. Moglicherweise kommen wir dann zum Schluss, dass wir es in ein paar Jahren vergessen haben werden (Moos & Schaefer, 1986). Ebenso kann ein humorvoller Umgang mit einem negativen Lebensereignis seine anfangliche Bewertung verandern (z.B. Carver et al., 1993).
Die bisher beschriebenen Strategien zur Veranderung des situativen Sinns laufen bewusst ab. Der situative Sinn kann auch unbewusst verandert werden. Zu den unbewussten Strategien zahlen z.B. wiederkehrende Gedanken uber das Ereignis, die sich ungewollt in unser Bewusstsein drangen oder das Vermeiden von Erinnerungen daran. Sie konnen als Versuche verstanden werden, den situativen Sinn im Einklang mit dem globalen Sinn zu verarbeiten oder den diskrepanten situativen Sinn auszublenden (Lepore, 2001; vgl. Park 2010; Park & Folkman, 1997).
Prozesse der Sinnsuche - Neubewertung des globalen Sinns
Verandern wir unseren globalen Sinn, sodass er besser zum situativen Sinn eines Ereignisses passt, bezeichnen wir dies als Akkommodation (Park & Folkman, 1997). Wir verandern unseren globalen Sinn, indem wir bestehende Uberzeugungen und Ziele anpassen oder neue Uberzeugungen und Ziele entwickeln. Zum Beispiel gaben Studienteilnehmer, die negative Ereignisse erlebt haben, an, die Welt als weniger vorhersehbar, kontrollierbar und gerecht, die Zukunft als unsicherer und sich selbst als verletzbarer zu betrachten im Vergleich zu Teilnehmern, die keine negativen Ereignisse erlebt haben (Collins, Taylor, & Skokan, 1990; Lehman et al., 1993; Schwartzberg & Janoff-Bulman, 1991). Ein solch negativer gefundener Sinn ist jedoch eher nicht mit einer besseren Anpassung verbunden. Zum Beispiel zeigte eine Studie mit hollandischen Kriegsveteranen, dass die Auswirkungen von belastenden Erinnerungen auf ihre aktuelle Belastung vollstandig durch ihre negativen Uberzeugungen, die sich im Krieg entwickelt haben, vermittelt werden (Bramsen, van der Ploeg, van der Kamp, & Ader, 2002).
Oftmals entdecken Menschen, denen negative Lebensereignisse widerfahren sind, ihren Glauben an Gott. Religiositat als Bewaltigungsstrategie wird v.a. dann genutzt, wenn andere Bewaltigungsstrategien erfolglos geblieben sind. Der Glaube bietet dann ein neues Orientierungssystem, das unser Gefuhl von Ordnung, Verstehbarkeit und Kontrollierbarkeit wiederherstellen kann (Pargament, 1997).
Um unser Gefuhl von ZweckmaRigkeit nach einem negativen Ereignis wiederherzustellen, konnen wir auRerdem unsere Ziele anpassen, neu ordnen oder durch neue Ziele ersetzen (Folkman & Stein, 1996) . Zum Beispiel verschieben Menschen, die negative Ereignisse erlebt haben, ihre Prioritaten weg von der Arbeit hin zu ihrer Familie (Taylor, 1983). Wiederum andere stellen ihr Leben in den Dienst einer Mission, die mit dem negativen Ereignis verbunden ist. Zum Beispiel versuchen sie, das Bose zu bekampfen, indem sie ihre Erlebnisse und Lehren mit anderen Menschen teilen (Armour, 2003). Zielveranderungen waren in verschiedenen Studien mit einer besseren Anpassung an ein negatives Ereignis verbunden (z.B. Wrosch, Scheier, Carver, & Schulz, 2003; vgl. Park, 2010; Park & Folkman, 1997) .
Gefundener Sinn und Anpassung
Nach Park und Folkmans (1997) Sinnmodell ist unsere Sinnsuche erfolgreich, wenn wir eine Ubereinstimmung zwischen unserer Bewertung eines negativen Ereignisses und unseren grundlegenden Uberzeugungen und Zielen erreichen. Die hierfur notwendigen Veranderungen des globalen bzw. situativen Sinns stellen die Ergebnisse des Sinnsucheprozesses dar und werden als gefundener Sinn bezeichnet. Ist unsere Sinnsuche erfolgreich und resultiert in gefundenem Sinn, passen wir uns entsprechend des Modells besser an negative Ereignisse an. Gefundener Sinn verringert die Diskrepanz zwischen situativem und globalem Sinn sowie die hierdurch entstehende Belastung. Folglich ist Sinnsuche ohne gefundenen Sinn nicht automatisch mit Anpassung verbunden, da sie auch lediglich den andauernden Widerspruch zwischen situativem und globalem Sinn widerspiegeln und somit mit Belastung verbunden sein kann. Uber die Zeit hinweg sollte unsere Sinnsuche jedoch zu gefundenem Sinn fuhren, wodurch die Diskrepanz und Belastung abnehmen und sich eine Anpassung einstellt. Die Sinnsucheprozesse sollten dabei mit zunehmendem gefundenen Sinn abnehmen (vgl. Park 2010; Park & Folkman, 1997).
Das kognitive Sinnmodell bewertet sowohl positiven als auch negativen Sinn als gefundenen Sinn, vorausgesetzt, er verringert die Diskrepanz zwischen globalem und situativem Sinn. Die im Rahmen der Sinnsuche beschriebenen empirischen Befunde weisen jedoch darauf hin, dass verschiedene Formen von gefundenem Sinn auf unterschiedliche Weise mit Anpassung zusammenhangen konnen (z.B. Roesch & Weiner, 2001). Folglich wird angenommen, dass negativer gefundener Sinn aufgrund seiner meist aufwuhlenden und beunruhigenden Inhalte zu zusatzlicher Belastung fuhren kann (Park, 2010).
Entsprechend diesem Modell ist unsere Sinnsuche nicht erfolgreich, wenn wir keinen Sinn finden, der die Diskrepanz und die damit einhergehende Belastung verringern kann. Dies hat eine schlechtere Anpassung zur Folge (Park & Folkman, 1997). Andauernde erfolglose Versuche, den situativen Sinn des Ereignisses oder unseren globalen Sinn im Rahmen einer Sinnsuche neu zu bewerten, konnen sich auRerdem in Grubeln verwandeln (Pennebaker, Colder, & Sharp, 1990). Grubeln beschreibt das wiederholte Nachdenken und Reflektieren, das zu keinem Ergebnis fuhrt und ist mit Depression verbunden (Nolen-Hoeksema, McBride, & Larson, 1997; vgl. Park & Folkman, 1997).
Zusammenfassung - Sinn im kognitiven Sinnmodell von Park und Folkman (1997) Park und Folkman (1997) unterscheiden in ihrem kognitiven Sinnmodell verschiedene Komponenten von Sinn (vgl. Abbildung 3). Der globale Sinn umfasst die grundlegenden Uberzeugungen und Ziele einer Person. Der situative Sinn beschreibt den personlich bewerteten Sinn eines Ereignisses. Er entsteht in einer Abfolge aus verschiedenen Bewertungsprozessen. Erleben wir ein negatives Ereignis, bewerten wir zunachst seinen anfanglichen Sinn. Wir prufen dann, inwieweit eine Diskrepanz zwischen globalem und anfanglichem situativen Sinn besteht. Stimmen globaler und situativer Sinn uberein, passen wir uns erfolgreich an das negative Ereignis an. Besteht ein Widerspruch zwischen globalem und situativem Sinn, verspuren wir Belastung. Diese Belastung stoRt Prozesse der Sinnsuche an, die die Diskrepanz zwischen globalem und situativem Sinn mittels Assimilation oder Akkommodation verringern sollen. Der im Prozess der Sinnsuche hergestellte Sinn, der eine Ubereinstimmung zwischen situativem und globalem Sinn erreicht, wird als gefundener Sinn bezeichnet. Der gefundene Sinn fuhrt zu einer Verringerung der Diskrepanz sowie der damit einhergehenden Belastung. Somit fuhrt er zu einer besseren Anpassung an das negative Ereignis (vgl. Park 2010; Park & Folkman, 1997).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 3. Das kognitive Sinnmodell von Park und Folkman (1997).
2.4 Rezension der kognitiven Perspektive
Park und Folkmans (1997) kognitives Sinnmodell erfahrt eine breite Akzeptanz durch Theoretiker, empirische Forscher und klinische Psychologen. Sein theoretischer Beitrag, seine wissenschaftliche Fundierung und seine Bedeutung fur die psychologische Sinnforschung werden im Folgenden betrachtet.
Theoretischer Beitrag
In ihrem kognitiven Sinnmodell fassen Park und Folkman (1997) bestehende Theorien zu Sinn im Kontext von negativen Lebensereignissen (z.B. Collie & Long, 2005; Gillies & Neimeyer, 2006) in einer integrativen Theorie zusammen. Zuvor fuhrten die uneinheitlichen konzeptionellen und operationalen Definitionen von Sinn zu einer mangelnden theoretischen Klarheit und zu widerspruchlichen empirischen Befunden. Zum Beispiel wurde Sinn auf viele unterschiedliche Weisen definiert. Zudem ergaben verschiedene Studien teils positive, teils negative Zusammenhange zwischen Sinn und Anpassung. Durch die Integration unterschiedlicher Ansatze in ein umfassendes kognitives Sinnmodell fur negative Lebensereignisse konnen diese Probleme zukunftig vermieden werden (vgl. Park, 2010).
AuRerdem weist das kognitive Sinnmodell (Park & Folkman, 1997) Verbindungen zu anderen einflussreichen psychologischen Theorien auf. Es stellt zum Beispiel eine Weiterentwicklung des Stressmodells von Richard Lazarus (1966) dar, das die Entstehung und Bewaltigung von Stress und Belastung mithilfe von Bewertungsprozessen erklart. AuRerdem stimmt es mit den Annahmen der kognitiven Dissonanztheorie von Leon Festinger (1957) und des Salutogenese-Modells von Aaron Antonovsky (1987) uberein. Die Dissonanztheorie nimmt an, dass Menschen bestrebt sind, dass ihre Gedanken, Entscheidungen und Verhaltensweisen im Einklang stehen und miteinander vereinbar sind. Stehen sie im Widerspruch, sind wir motiviert, diesen aufzulosen und eine Ubereinstimmung herzustellen. Das Salutogenese-Modell geht davon aus, dass ein allgemeines Gefuhl der Koharenz wichtig fur die Entstehung und Erhaltung von Gesundheit ist. Hierzu zahlt auch die erfolgreiche Bewaltigung von negativen Ereignissen. Das Koharenzgefuhl beschreibt das Gefuhl, dass es Zusammenhange und Ordnung in unseren Leben gibt (Verstehbarkeit), dass wir uber Ressourcen verfugen, die uns zur Bewaltigung negativer Ereignisse befahigen (Handhabbarkeit) und dass sich diese Anstrengungen lohnen und sinnvoll sind (Sinnhaftigkeit).
Empirische Befundlage
Einige theoretische Annahmen des kognitiven Sinnmodells von Park und Folkman (1997) werden durch empirische Studien unterstutzt. Jedoch wird die aktuelle empirische Befundlage dem Inhaltsgehalt und der Komplexitat des Modells noch nicht gerecht, weshalb ein groRer Bedarf an zukunftiger Forschung hierzu besteht (Park, 2010). Nachfolgend werden zentrale Erkenntnisse aus Studien zum Zusammenhang zwischen der Diskrepanz zwischen globalem und situativem Sinn, Belastung und Sinnsucheprozessen sowie zum Zusammenhang zwischen Sinnsucheprozessen, gefundenem Sinn und Anpassung vorgestellt.
[...]
1 Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird in dieser Arbeit auf die Nennung beider Geschlechter verzichtet.
2 Der Vorteil von im Labor durchgefuhrten Experimentalstudien gegenuber Feldstudien liegt darin, dass die zu untersuchenden Variablen gezielt manipuliert werden konnen (hier: Qualitat des Affekts), wodurch u.a die Testung von kausalen Beziehungen moglich wird. Der Nachteil besteht darin, dass die Ergebnisse nicht direkt auf das reale Leben ubertragen werden konnen, da sie in einem kunstlichen Setting gewonnen wurden. Somit sind weitere Studien im Feld unter naturlichen Bedingungen notwendig, um die Generalisierbarkeit der Ergebnisse zu prufen.
3 Der Begriff „Logotherapie“ leitet sich aus dem Griechischen „Logos“ ab, was in der philosophischen Stromung der Phanomenologie fur „Sinn“ steht. Hierdurch wird die zentrale Rolle von Sinn in Frankls Lehre verdeutlicht (Langle, 2013).
4 Meta-Analysen und Uberblicksstudien fassen die Ergebnisse einzelner Studien quantitativ oder qualitativ zusammen und sind somit aussagekraftiger als Einzelstudien.
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