Religiöse Kontroverse zwischen dem Lamaismus und dem Schamanismus

Mongolischer Schamanismus im historischen Kontext


Hausarbeit, 2016

12 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definitorische Betrachtung

3 Religion und Gesellschaft

4 Lamaistische Unterdrückung des Schamanismus

5 Fazit

6 Bibliographie

1 Einleitung

Die Mongolei ist im zentralasiatischen Raum ein facettenreiches und bedeutendes Land, welche besonders durch seine glorreiche Historie große Bewunderung und Weltbekanntheit erlangt hat. In zahlreichen geschichtswissenschaftlichen Literaturen kann dabei die Faszination und Ehrfurcht der mongolischen Geschichte konstatiert werden. Vor allem die essentiellen Werke bzw. historischen Quellen Geheime Geschichte der Mongolen und Sammler der Geschichten aus dem 13. und 14. Jahrhundert (vgl. WEIERS 2004, S.21) sind ein Beleg dafür. Nicht nur auf militärischer Ebene hatten die Mongolen große Aufmerksamkeit erregt, sondern auch auf kulturell-religiöser Ebene gezeigt, dass der Religiosität mit Respekt begegnet wurde. Die Religion hatte eine besondere Rolle in der mongolischen Geschichte gespielt. Der besondere Stellenwert des Animismus in der damaligen Gesellschaft verdeutlicht die Verehrung und die Hochachtung gegenüber der Natur. Neben dem animistischen Glauben war in der Gesellschaft jedoch auch die buddhistische bzw. lamaistische und schamanistische Glaubensrichtung ein essentieller Bestandteil.

Die Untersuchung des mongolischen Schamanismus und die Kontroverse mit dem Lamaismus aus der Historie soll in dieser Arbeit folgende Frage beantworten:

Welche sozio-religiösen Rückschlüsse können angesichts der historischen lamaistisch-schamanistischen Kontroverse auf den mongolischen Schamanismus gezogen werden?

Der Grund für die Auswahl der Forschungsfrage liegt einerseits in der Literaturrecherche zum historischen Kontext und andererseits in der Berücksichtigung der beschränkten Schreibkapazität der Arbeit begründet.

Bei der Auseinandersetzung mit dieser Fragestellung sollen im zweiten Kapitel zunächst skizzenhaft die Termini Schamanismus und Lamaismus definiert werden, um den Sinngehalt der nachfolgenden Kapitel besser erfassen zu können. Im dritten Kapitel wird die Interaktion zwischen der mongolischen Gesellschaft und der Religion vorgestellt. Hierbei wird die historische Entstehung des Lamaismus dargestellt und die lamaistischen und schamanistischen Einflüsse auf die Gesellschaft präsentiert. Daraufhin soll die Bekämpfung des Schamanismus durch dem Lamaismus dargelegt und schlussendlich im fünften Kapitel in der Gesamtbetrachtung ein Fazit gezogen werden.

2 Definitorische Betrachtung

2.1 Begriffsbestimmung Schamanismus

Was ist ein Schamane? Eine allgemeingültige Antwort bzw. Definition auf diese Frage gibt es bis dato nicht, da je nach Forschungsschwerpunkt und Perspektive bestimmte Aspekte des Schamanismus in den Vordergrund gerückt werden. Die misslungenen Versuche diverser Ethnologen eine allgemein relevante Definition für den Schamanismus zu schaffen (vgl. SCHLOTTMANN 2007), „[…] ließen das Interesse zeitweilig verebben“ (ebd.). Da nun definitorische Diskrepanzen präsent sind, werden im Folgenden zwei Definitionen impliziert.

Der Ethnologe DIRK SCHLOTTMANN (2007) stellt jene allgemeine Begriffsbestimmung vor:

„1. SchamanInnen sind in der Lage, durch ekstatische Bewusstseinszustände direkten Kontakt mit Geistern, Kräften der Natur oder transzendenten Energien herzustellen. Diese Kontakte werden bewusst herbeigeführt und können in Form von Seelenreisen, aber auch durch Besessenheit erreicht werden.
2. Der Kontakt mit dieser anderen Welt geschieht auf Wunsch einer Gemeinschaft, die aufgrund ihrer Weltauffassung davon ausgeht, dass die Welt der Geister Einfluss auf ihr „materielles Dasein“ hat. Der Kontakt wird von der Gemeinschaft nur dann gewünscht, wenn die Normalität des Lebens durch transzendale Mächte in ein Ungleichgewicht geraten ist, oder aber allgemein um Glück, Sicherheit und Erfolg zu bitten.
3. SchamanInnen werden nicht von den Geistern kontrolliert, sondern umgekehrt: Sie üben Kontrolle über einen oder mehrere Geister aus. Dieser kontrollierte Kontakt dient dem Ziel, Ursachen für Missstände zu erkennen und das Wissen zu erlangen, das zur Lösung des Problems nötig ist“ (SCHLOTTMANN, 2007).

Wird ein spezifischer Blick auf die Mongolei geworfen, stellen ERIKA & MANFRED TAUBE (1983) folgende Definition vor:

„Der Schamane war Mittler zwischen den Menschen und ihrer Welt und den anderen Welten mit ihren guten und bösen Geistern. Er mußte heilen und Bösem vorbeugen. Zu seinen wichtigsten Aufgaben gehörte es, die Ursache eines Übels – als solche wurde meist ein Dämon angenommen – zu erkennen und auf magische Weise zu bekämpfen, das heißt, den Dämon auszutreiben oder ganz zu vernichten. Das konnte durch Beschwörung und Bannformeln zuwege gebracht werden oder zum Beispiel dadurch, daß der Schamane aus Teig ein Abbild des Geistes anfertigen ließ, in das er den Dämon bannte […]“ (TAUBE 1983, S. 93).

2.2 Begriffsbestimmung Lamaismus

In Bezug auf den Begriff Lamaismus wird folgende definitorische Sicht zur Verfügung gestellt:

„Als Lamaismus bezeichnet man eine relativ späte Richtung innerhalb des Buddhismus, die sich vor allem in Zentral- und Ostasien verbreitete“ (TAUBE 1983, S. 40).

Mit einer Ergänzung nach KASCHEWSKY (et al. 1986) ist der mongolische Buddhismus „[…] in seiner tibetischen Form als Lamaismus“ (KASCHEWSKY et al. 1986, S.88) angesiedelt.

Diese definitorischen Sichten zwingen nun zu einer genaueren Betrachtung der Religion in der damaligen mongolischen Gesellschaft. Dabei stellen sich die essentiellen Fragen, welche Einflüsse der Schamanismus und Lamaismus auf die Gesellschaft hatten und wie der Lamaismus sich in der Mongolei etablieren konnte.

3 Religion und Gesellschaft

3.1. Historische Genese des Lamaismus

Erst anderthalb Jahrtausende nach dem historischen Buddha (560-480 v. Chr.) kam der Lamaismus in der Mongolei an (vgl. KASCHEWSKY et al. 1986, S.88), die „[…] schließlich die Staatskirche darstellte […]“ (ebd., S.88). Mit den Einfällen der Mongolen Mitte des 13. Jahrhunderts in Tibet erfolgte der erste Kontakt zwischen den beiden Volksgruppen. Der tibetische Abt aus dem damaligen mächtigsten Sa-skya-pa-Kloster, Kun-dga´rgyal-mchan (Sa-skya Pandita) nahm die Oberherrschaft der Mongolen über Tibet im Jahre 1247 an, so dass eine politisch-religiöse Interdependenz zwischen den Mongolen und Tibetern entstand (vgl. ebd., S.88-89). „[…] mit der politischen Einflußnahme der Mongolei in Tibet ging umgekehrt eine kulturell-religiöse Einflußnahme seitens Tibets und des Lamaismus auf die Mongolei Hand in Hand“ (ebd., S.89). Diese gegenseitige Beeinflussung sorgte dafür, dass immer mehr tibetische Lamas als Berater in den Hof der mongolischen Großkhane der Yüan-Dynastie geholt wurden. Hierbei waren zunächst städtische Anwesen und die Umgebung des Kaiserhofes von Karakorum von der lamaistischen Glaubensrichtung beeinflusst worden. Mit dem Zerfall der Yüan-Dynastie im Jahre 1368 geriet auch der Lamaismus in Bedrängnis. Erst im 16. Jahrhundert begann, mit der Periode der „Zweiten Bekehrung“ der Mongolen, der mongolische Buddhismus wieder aufzublühen. Dieses war dem Tümed-Fürsten Altan Khan (geb. 1506) zu verdanken, der den tibetischen Kirchenfürsten bSod-nams rgya-mcho (1543-88) in der Mongolei im Jahr 1578 den Titel „Dalai Lama“ verlieh (vgl. ebd., S.89-90).

Die starke Expansion des Lamaismus im späten 16. Jahrhundert (vgl. TAUBE 1983, S41) führte „[…] zu entscheidenden gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturveränderungen“ (ebd., S.41). Diese strukturelle Reform soll im nächsten Kapitel konkretisiert werden.

3.2. Gesellschaftlicher Einfluss des Lamaismus

Die Erschaffung von Klostergemeinschaften, die als selbstständige wirtschaftliche Einheiten fungierten, destabilisierte sich das alte Wirtschaftssystem der Mongolen (vgl. TAUBE 1983, S. 41). Die „Ansammlung von Besitz und Reichtum“ (ebd., S.41) in den Klöstern erreichten nun auch, im Gegensatz zu den Adligen, die armen bzw. besitzlosen Volksschichten. Die Zahl der Lamas machte am Ende des vorigen Jahrhunderts ungefähr 40 Prozent der männlichen Bevölkerung aus (vgl. ebd., S.42), so dass „[…] eine starke wirtschaftliche Belastung für das übrige Volk […]“ (ebd., S.42) herrschte. Allerdings ermöglichten die Klöster mit ihrer wissenschaftlichen Lehre und ihren Schulen den besitzlosen und adligen Mongolen den Zugang (vgl. ebd., S.42) zu „[…] Bildung und Wissen, zum Alphabetentum, zum Schreiben und Lesen […]“ (ebd., S.42).

Die Verbreitung und Vervielfältigung heiliger Texte war ein „verdienstvolles Werk“ (ebd., S.42) welches zu einer „ […] regen Druck- und Übersetzungstätigkeit“ (ebd., S.42) führte. Die Progression der unterschiedlichsten Wissenschaften und der schriftlichen mongolischen Literatur war ein simultaner Vorgang mit der Verbreitung des Buddhismus. Der Einfluss gelehrter Lamas war der essentiellste Beweggrund, dass die mongolische Historiographie im 17. bis 19. Jahrhundert ihre Ausprägung erlangte (vgl. ebd. S. 42). Aus den indischen und tibetischen Werken erreichten diverse Motive durch mündliche Vorträge und Übersetzung der Mönche die Mongolen (vgl. ebd., S. 42) und „[…] bereicherten deren Erzählungsschatz“ (ebd., S. 42). Ebenso wurden bedeutende Rhapsoden und Spielleute des 19.-20. Jahrhunderts in den Klöstern erzogen und lernten dort lesen (vgl. ebd., S.42).

Die Bebauung von Klöstern und die Nachfrage an religiöser Kunst (vgl. ebd., S. 42) erzeugten die […] Entwicklung eines Handwerkerstandes […] (ebd., S.42). Jedoch war das Handwerksniveau nicht so ausgeprägt wie im mittelalterlichen Europa (vgl. ebd., S.42).

„[…] mit dem Mißbrauch der Macht und dem zu weltlichen Verhalten der Mönche […]“ (ebd., S.42) durch sozio-ökonomische Sonderprivilegien stieg im 19. Jahrhundert die Unzufriedenheit der Bevölkerung und einigen Lamas selbst (vgl. ebd., S 42). Die „Höhe der lamaistischen Philosophie“ (ebd., S. 42) war nur wenigen Auserwählten vorbehalten und die Mehrheit der Mönche hatten zu Beginn des 20. Jahrhunderts wenig theologische Kenntnisse (vgl. ebd., S.42). Die Kluft zwischen der Wirklichkeit und der Lehre wurde immer größer, so dass der Lamaismus in den dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts (vgl. ebd., S.42) seinen „Machtfaktor in der Mongolei“ (ebd., S. 42) verlor. Heute haben die lamaistischen Einrichtungen in der Mongolei und in der Inneren Mongolei nur noch einen symbolischen Wert (vgl. ebd., S.42).

Neben dem Lamaismus war auch der Schamanismus ein kulturelles Gut der Mongolei. Sein historisch tiefverwurzeltes Dasein in der mongolischen Gesellschaft gibt nun den Anreiz zur genaueren Beobachtung des schamanischen Einflusses auf die Gesellschaft.

3.3 Gesellschaftlicher Einfluss des Schamanismus

Schamanen wurden bereits im 13. Jahrhundert am Hof der mongolischen Großkhane „[…] als eine Art Hauspriester“ (TAUBE 1983, S. 105) engagiert. Die Schamanen spielten nicht nur auf religiöser Ebene eine ganz besondere Rolle (vgl. ebd., S. 105), sondern hatten auch eine „gewisse Macht“ (ebd., S. 105) im politischen und weltlichen Leben. Noch im 20. Jahrhundert konsultierten die Adligen „neben ihren Lamas oft noch einen Schamanen“ (ebd., S.105). Ungeachtet der „gewissen Geschlossenheit“ (ebd., S.106) des mongolischen Schamanismus, wie übereinstimmende Schamanengesänge aus unterschiedlichen Regionen des Landes, stellt diese Entwicklung keine Rechtfertigung dafür dar den schamanistischen Glauben „[…] mit einer kirchenähnlichen Institution zu vergleichen“ (ebd., S.106).

Auch wenn betrügerische Mittel seitens einiger Schamane keine Seltenheit darstellten (vgl. ebd., S. 106), gab es dennoch „[…] bei den Mongolen professionelle Schamanen, die von ihrer gesellschaftlichen Funktion leben konnten“ (ebd., S.106). Die meiste Zeit war ihr Alltag davon geprägt, Menschen in kilometerweiten Gebieten zu besuchen und sie aus ihrer Not zu befreien. Dieser Arbeitsprozess vollzog sich des Öfteren am selben Tag (vgl. ebd., S.106). Trotz dessen „ gehörten sie zeit ihres Lebens oft zu den Ärmsten“ (ebd., S.106). Diese Gruppe war für die Bevölkerung nicht unbedeutend gewesen (vgl. ebd., S.106). Wäre dies der Fall, „[…] dann hätten sich antischamanistische Tendenzen in der Volksdichtung wohl stärker niedergeschlagen, wie das in bezug auf den lamaistischen Klerus ja geschehen ist“ (ebd., S.106). Zudem wäre der Schamanismus vielmehr von „[…] innen heraus zerstört worden und hätte nicht so lange, besonders unter dem einfachen Volk, Anhang gehabt“ (ebd., S.106).

Im 16. Jahrhundert war der Schamanismus sowohl beim Volk, als auch den Herrschenden „fest verwurzelt“ (ebd., S.106) und bildete die „stärkste religiöse Kraft“ (ebd., S. 106). Es ist aus dem 16. Jahrhundert bekannt, dass Schamanen sich zu Beratungsversammlungen trafen, um über essentielle Ereignisse zu debattieren (vgl. ebd., S106), wie etwa „das Eintreffen eines buddhistischen Missionars“ (ebd., S.105). Wenngleich der Lamaismus sich in der Mongolei machtvoll etablieren konnte (vgl. ebd., S106), „[…] bevorzugte das Volk weiter Schamanen und Schamaninnen“ (ebd., S.106), wobei die Adelsschicht aus politischen Interessen mit dem Lamaismus kooperierte (vgl. ebd., S106).

Angesichts der schamanistischen und lamaistischen Präsenz in der damaligen Gesellschaft beherbergte das Aufeinandertreffen der beiden Glaubensströmungen gewaltreiche Konflikte. Im nächsten Kapitel wird insbesondere in Bezug auf den Küriye-Banner der östlichen Mongolei die Unterdrückung des Schamanismus durch den Lamaismus vorgestellt.

4 Lamaistische Unterdrückung des Schamanismus

Nach der machtvollen Etablierung des Lamaismus wurde „[…] das Anfertigen und der Besitz von Onggod1 verboten“ (TAUBE 1983, S.106). Der Schamanismus wurde dabei von den Gegnern als „Schwarzer Glaube“ dargestellt (vgl. ebd., S.106). Der Lamaismus konnte bei einigen mongolischen Stämmen jedoch „erst sehr spät Fuß fassen“ (ebd., S.106), wie in nordwestlichen und ostmongolischen Gebieten (vgl. ebd., S. 106). Bei den Südmongolen allerdings sah das Bild anders aus. Hier war „[…] die Verdrängung des Schamanismus und die Festung des Lamaismus am vollkommensten […]“ (ebd., S.106).

Im Küriye-Banner (mongolisch Küriye qosiyun) kommt der Lamaismus und Schamanismus im engen Dasein vor (vgl. HEISSIG 1992, S.1) Die enge Verbindung der Bewohner zur lamaistischen Religion (vgl. ebd., S.1) und die „[…] ursprünglich wirtschaftlich von den Klöstern abhängige soziale Stellung […]“ (ebd., S.1) führten zunächst zu einer antischamanistischen Haltung (vgl. ebd., S.2). Bereits im 17. Jahrhundert wurde seitens der lamaistischen Kirche ein Vernichtungskampf gegen den Schamanismus vollzogen (vgl. ebd., S. 2). Ziel war es demnach im ausgehenden 16. und beginnenden 17. Jahrhundert (vgl. ebd., S.33) den ihm „[…] entgegengesetzten Schamanismus zu vernichten“ (ebd., S.33). Die Eliminierungsmaßnahmen wurden vom Hauptakteur Neyiči toyin (1557-1653) ausgetragen (vgl. ebd., S.33), „[…] der mit Wort, Schrift und Tat gegen den Schamanismus eiferte“ (ebd., S.33). Im Buch von HUTH (Hrsg.) ist eine Lebensbeschreibung von Neyiči toyin ersichtlich, in der steht:

„Da liess dieser Han, nachdem er ihn um religiöse Belehrung gebeten, unter Glockenschall verkünden, dass man nach dem Gebote des Lama in jenem Lande durchaus nicht die Bon-po-usw. (Doktrinen) befolgen dürfe. Er sammelte alle und verbrannte sie und liess die Buddha-Lehre sich ausbreiten“ (JIGS-MED-NAM-MKA (HUTH (HRSG.)), S.253-261, zit. nach HEISSIG 1992, S.33).

Für 1820 berichtet HOWORTH (1876-1880, History of the Mongols, S. 106), „[…] von der Austreibung der Schamanen aus dem Khalkamongolischen Gebiete und Verbrennungen schamanistischer Kultgegenstände bei den Burjaten“ (vgl. HEISSIG 1992., S. 2).

Die absolute Eliminierung des Schamanismus konnte nicht implementiert werden, da womöglich aus nicht klar identifizierbaren Motiven eine rückläufige Progression erfolgte. Das Resultat ist eine friedvolle Koexistenz von Schamanismus und Lamaismus im Küriye-Banner (vgl. ebd., S. 2). Ein Mongole namens Maniĵab aus dem Küryie-Banner stellt diesbezüglich folgende Kausilität her:

„Zur Zeit der Gründung des Küriye-Banners blühte die Lama-Lehre sehr auf; der von den Einwanderern mitgebrachte Schamanenglaube aber wurde verächtlich gemacht und unterdrückt. So waren sich die beiden Arten von Religionen, die Gelbe und die Schwarze, auf lange Zeit feindlich gesinnt. Später, von heute an vor ungefähr hundert Jahren, sagte ein sehr geschickter Schamane: 'Ich werde an den Lama-Mönchen Rache nehmen!' Als er dem Obersten der Lama in einer Nacht die Ongγod schickte, erkrankte das Hirn dieses Lama und es wird erzählt, dass er den ganzen Körper nicht bewegen konnte. Daraus ergab sich später, dass sich die beiden Religionen duldeten und sich nicht mehr befeindeten“ (ebd., S. 2).

Auch wenn der Übergang zwischen Geistern und Göttern sowohl in der Volksreligion bzw. im Schamanismus, als auch im Lamaismus „vielfach fließend“ (KASCHEWSKY et al. 1986, S.118) ist, war die Haltung der „Gelben Kirche“ gegenüber dem Schamanismus deutlich, nämlich der Bevölkerung klar zu machen sich vom schamanistischen Glauben abzuwenden (vgl. ebd., S. 118) und dafür „[…] die buddhistischen Gottheiten und Bodhisattvas anzurufen und die kanonischen Gebete auswendig zu lernen“ (ebd., S. 118).

Während der Unterdrückungszeit konnte sich der Schamanismus „ […] nur Duldung und Fortbestehen durch die Aufnahme lamaistischer Begriffe ermöglichen“ (ebd., S.33). Der Schamanismus hat anscheinend dort „hochreligiöse Elemente aufgenommen“ (ebd., S.33), wo er „[…] von Hochreligionen bedrückt wurde“ (ebd., S.33). Hierbei hat sich womöglich der Schamanismus die Duldung durch die lamaistische Geistlichkeit (vgl. ebd., S.2) durch „[…] Aufnahme lamaistischer Formeln, Gottheiten und Vorstellungen in sein Ritus erkauft oder erschlichen […]“ (ebd., S.2).

Externe Einflussfaktoren, wie die chinesische Unterwanderung der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts oder auch der Buddhismus respektive Lamaismus (vgl. ebd., S.34) haben also „[…] den Gebräuchen und Gesängen des hier mitgeteilten schamanistischen Rituals ihren Stempel aufgeprägt“ (ebd., S.34).

5 Fazit

Die recherchierten Werke renommierter Wissenschaftler verdeutlichen, dass angesichts der religiösen Kontroverse zwischen dem Lamaismus und Schamanismus der mongolische Schamanismus immer tiefer ins Abseits geraten war. Auch wenn der mongolische Schamanismus eine tiefverwurzelte Bindung zur mongolischen Gesellschaft hatte, war die lamaistische Etablierung für ihn ein Dorn im Auge. Doch es ist zu konstatieren, dass gerade die Bevölkerung womöglich eine primäre Schlüsselrolle spielte die schamanische Existenz aufrechtzuerhalten, um auch gleichzeitig die Tradition zu schützen.

Die historischen Ereignisse zeigen, dass der Schamanismus auf sozialer Ebene keine innovativen Entwicklungen wie Schreiben, Lesen und das Binden und Drucken von Büchern hervorbringen konnte, als der Lamaismus. Vielmehr hat er sich, wie bereits oben gedeutet, auf die schamanischen Traditionen gestützt und diese an die nächsten Generationen weitergegeben. Doch trotz dessen wird es deutlich, dass diese Traditionen bzw. der Glaube an schamanische Fähigkeiten in der Bevölkerung weitestgehend noch präsent waren, wie das am Beispiel des Küriye-Banners ersichtlich wurde. Die lamaistische Unterdrückung des Schamanismus hat also, so scheint es, nicht die nötige Resonanz in der Gesellschaft hervorrufen können, um sich von den schamanische Praktiken und Traditionen loszulösen. Dieses trifft zum größten Teil auf die Besitzlosen zu. In der Adelsschicht hatte der mongolische Schamanimus womöglich nur bedingt Spielraum, da der Adel mit dem Lamaismus politisch-ökonomische Interessen verfolgte und ihn als die Staatskirche ansah. Dennoch war der Schamanismus auch, wenn nur beschränkt, in der Adelsschicht vorhanden.

Wenngleich der Lamaismus den Schamanismus vollständig eliminieren wollte, hatte der mongolische Schamanismus es verstanden mit anderen Mitteln seine Existenz zu bewahren. Wie die untersuchten Werke belegen, hatte er auf religiöser Ebene lamaistische Elemente bzw. Praktiken in die Zeremonie und Gesänge eingebunden, um das eigene Dasein nicht zu gefährden. Die Symbiose zwischen dem Schamanismus und lamaistischer Glaubenspraktiken ist womöglich eines der essentiellsten Beweggründe, warum der Schamanimus in der Mongolei nicht vollständig aus der Bildfläche verschwand und eine fragile Koexistenz dadurch zum Vorschein kam. Wie am Beispiel des ostmongolischen Küriye-Banners festgestellt, hatten der Schamanismus und der Lamaismus lange Zeit nebeneinander bestehen können. Dieses Bestehen der beiden Glaubensrichtungen ist möglicherweise auf die gegenseitige bewusste und unbewusste Einflussnahme zurückzuführen.

Hätte es statt einer Eliminierungs- eine gezielt langfristige Assimilationspolitik seitens der lamaistischen Obrigkeiten gegeben, wäre wohl der Schamanismus mehr in Bedrängnis und in Gefahr geraten, sein Dasein und seine Bindung zum Volk endgültig zu verlieren.

Im Anschluss auf die Schlussbetrachtung ergeben sich weiterführende Fragen, denen eventuell Aufmerksamkeit geschenkt werden sollte, nämlich:

Welche Motive haben noch zur Bewahrung des mongolischen Schamanismus beitragen? Und, hatte die lamaistisch-schamanische Symbiose tatsächlich nur bei den Schamanen eine besondere Rolle gespielt? Diese und möglicherweise andere Fragen können impliziert werden, um weitere aufschlussreiche epistemologische Einsichten zu eruieren.

6 Bibliographie

- Heissig, Walther. 1992. Schamanen und Geisterbeschwörer in der östlichen Mongolei: Gesammelte Aufsätze, Wiesbaden: Otto Harrassowitz
- Kaschewsky, Rudolf. 1986. Die Religion der Mongolen, in: Michael Weiers (Hrsg.), Die Mongolen: Beiträge zu ihrer Geschichte und Kultur, Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, S.87-124
- Schlottmann, Dirk. 2007. Was ist ein Schamane? Koreanischer Schamanismus heute, in:
- http://www.journal-ethnologie.de/Deutsch/Aktuelle_Themen/Aktuelle_Themen_2007/Was_ist_ein_Schamane=3F/index.phtml (Letzter Zugriff am 28.03.2017)
- Taube, Erika & Manfred. 1983. Schamanen und Rhapsoden. Die geistige Kultur der alten Mongolei, 1. Auflage, Leipzig: Koehler & Amelang
- Weiers, Michael. 2004. Geschichte der Mongolen, Stuttgart: W. Kohlhammer
- Horworth, Henry Hoyle. 1876-1880. History of the Mongols: Supplement and indices, o.O.: Longmans, Green, and Company
- Huth, Georg. 1892-1896. Geschichte des Buddhismus in der Mongolei, Strassburg: K.J.Trübner

[...]


1 Korrekte Schreibweise: Ongγod. Der Terminus hat seine Bedeutung in bösen oder guten Geistern von Verstorbenen (vgl. HEISSIG 1992, S. 2)

Ende der Leseprobe aus 12 Seiten

Details

Titel
Religiöse Kontroverse zwischen dem Lamaismus und dem Schamanismus
Untertitel
Mongolischer Schamanismus im historischen Kontext
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
12
Katalognummer
V1032519
ISBN (eBook)
9783346440150
ISBN (Buch)
9783346440167
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Schamanismus, Lamaismus, Mongolei, Geschichte der Mongolei, Religiöse Kontroverse
Arbeit zitieren
Master of Arts Egemen Erol (Autor:in), 2016, Religiöse Kontroverse zwischen dem Lamaismus und dem Schamanismus, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1032519

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