Sprachwandeltheorien am Beispiel von Bedeutungswandel


Ausarbeitung, 2018

37 Seiten, Note: 2,0

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung.

2 Auswertung des Semantische Logbuchs

3 Ubungsergebnisse
3.1 Verfahren semantischer Innovationen
3.2 Resultate von Bedeutungswandel

4 Lektureblock I: Keller: Sprachwandel, ein Zerrspiegel des Kulturwandels?
4.1 Beispiel der Verwandtschaftsbezeichnungen
4.2 Innovation U-30 Party.

5 Lektureblock II: Nubling: Die Pejorisierung der Frauenbezeichnungen als Zerrspiegel der Kultur und als Effekt mannlicher Galanterie?
5.1 Die Bedeutungsentwicklung der Bezeichnung Frauenzimmer
5.2 Zusammenhang der Ergebnisse mit Damaris Nublings Text
5.3 Theorien zum Pejorisierungs-Phanomen

6 Rezension zu Damaris Nubling

7 Lektureblock III: Anglizismen im Deutschen

8 Resumee

9 Literaturverzeichnis

10 Quellenverzeichnis

11 Anhang

Einleitung

Im Rahmen des Seminars „Von sichtbaren und unsichtbaren Handen in der Sprache - Sprachwandeltheorien am Beispiel Bedeutungswandel“ im Wintersemester 2017/2018 beschaftigte sich die Seminargruppe der Otto-Friedrich-Universitat Bamberg mit Sprachwandel. Dazu wurde der Frage nachgegangen wie Sprachwandel erfolgt und welche Folgen daraus entstehen. Nach Betrachtungen zum semantischen Wandel, wurden anhand von Forschungsliteratur verschiedene Sprachwandeltheorien nachvollzogen. Durch das Erstellen eines semantischen Logbuches durch die Studierenden erlernten sie eine Methode, an der die Verbreitung des Sprachwandels sichtbar gemacht werden kann. Begleitend zum Seminar bearbeiteten die Studierenden Arbeitsauftrage. Eigene Ergebnisse werden in der folgenden Arbeit vorgestellt.

Zunachst wird das semantische Logbuch bearbeitet, indem die gepruften Daten qualitativ und quantitativ ausgewertet werden. Bestimmte Verfahren semantischer Innovationen und Resultate von Bedeutungswandel werden im darauffolgenden Kapitel an Beispielen uberpruft und zugeordnet. Die Texte von Damaris Nubling (2011), Rudi Keller (1995), Peter Maitz (2014) und Horst Haider Munske (2001), die als Diskussionsgrundlagen fur verschiedene Theorien im Seminar dienten, werden im Anschluss analysiert. Neben einer Rezension zu Nublings Aufsatz bilden die Ergebnisse zu den Texten den groBten Bestandteil der vorliegenden Arbeit. Im Resumee wird das Seminar kurz reflektiert.

Auswertung des Semantische Logbuchs

Bei der Erstellung eines semantischen Logbuchs durch elf Seminarteilnehmer wurden insgesamt 50 unterschiedliche Belege gesammelt.1 Diese Belege sollen nun einer Uberprufung auf Richtigkeit unterzogen werden. Dazu muss entschieden werden, welche Belege eine lexikalische Innovation sind und welche Belege sich aussortieren lassen. Nach der Einteilung in die Kategorien „neue Verwendungsweisen“ oder „neuer Ausdruck“, wird uberpruft, ob es sich hierbei um eine semantische Lucke handelt. Im Anschluss daran konnen die Belege einer quantitativen und qualitativen Auswertung unterzogen werden. Dabei soll schrittweise vorgegangen werden und auf einzelne Aspekte wie Verbreitungsweg, Erstkontaktperson, Weiterverwendung und Weitere geachtet werden. Die Methode des semantischen Logbuchs, als Verbreitungsweg von Sprache auf der Mikroebene, soll zuletzt kritisch beleuchtet werden.

Bei den gesammelten Belegen wurden einige doppelt genannt und andere konnten nach einer naheren Betrachtung aussortiert werden. So kam das Wort lindnern vier Mal unter den Belegen vor: Als Ausdruck fur das „Unterlassen einer Handlung, aus Angst sie falsch zu machen“2 als „Ausdruck im letzten Moment abzusagen, sich zu drucken“3 „fur versagen und scheitern“4 oder fur „kurzfristiges Absagen“5. Auch das Wort Lauch doppelt sich mit der Bedeutung fur einen „schlaksigen jungen Mann von schwachlicher Statur“6 oder einen „schlaksigen Mann“7. Das Wort netflixen kommt ebenfalls zwei Mal vor und meint „Serien schauen“8 oder „entspannen und Filme oder Serien bei Netflix schauen“9. Durch die inhaltliche Ahnlichkeit der genannten Begriffe lassen sich diese zusammenfassen. Der Beleg renature your life lasst sich aussortieren, da hier ein neuer Ausdruck des Englischen ins Deutsche integriert wird. Auch bei #me too tritt keine neue Verwendungsweise auf, da es sich hier um eine neue Verwendungsweise im Englischen handelt, die ins Deutsche entlehnt wurde. Die Lehnubersetzung Drecksloch-Staaten von „shitwhole countries“ ist ebenso kritisch zu betrachten. Es handelt sich um einen Ausspruch aus einer Rede von Donald Trump, die einmalig gehalten wurde, aber groBe Emporung ausgelost hat. Anhand eines einmaligen Gebrauchs, welcher von vielen verurteilt wurde, kann davon ausgegangen werden, dass sich der Ausdruck nicht weiterverbreitet. AuBerdem ist unklar welche Lander damit gemeint sind. Durch die nicht vorhandenen Ubereinstimmung uber die Lander ist die Verbreitung ebenfalls fraglich. Alle anderen Belegen lassen sich in die Auswertung einbeziehen. Auffallig ist dabei, dass sich unter den Belegen viele Begriffe aus dem Bereich Internet, Apps und Social Medias befinden, wie zum Beispiel Tinderella10, jodeln11, Tinderisten12, netflixen13, onlinisieren14, Outfluencer15 und weitere Begriffe. Auch viele Anglizismen oder Worter mit englischen Bestandteilen wie playen16, Askhole17, nappen18 ode r dancen19 wurden ubernommen. Zuruckfuhren lasst sich diese Erkenntnis auf die junge Sprechergruppe, die die Sammlung erstellte und in ihrem Umfeld in Kontakt mit jungen Menschen steht. Die meisten Belege sind neue Ausdrucke und nur drei wie Lauch20, jodeln21 oder echt hart22 sind neue Verwendungsweisen. Semantische Lucken fullen 28 der Belege, wobei es oft Schwierigkeiten bei der Zuordnung gab. So wurde netflixen23 zum Beispiel falschlicherweise zu „ersetzt einen/ tritt hinzu zu einem bereits vorhandenen Ausdruck“ zugeordnet. Hier ergaben sich einige Korrekturen bei der Auswertung. Ein Grund fur Innovation sind somit, dass das neue Wort die Bedeutung besser trifft. AuBerdem kann die Bedeutung das neue Wort einfacher, pragnanter oder kurzer ausdrucken. Die Abgrenzung als eigene Gruppe im Vergleich zu anderen Gruppen von Menschen, besonders bei Jugendlichen, spielt neben der Zugehorigkeit zu einer Gruppe ebenfalls eine Rolle bei sprachlichen Innovationen. Innovationen werden ubernommen, weil sie aktuell „in Mode“ sind, ein bestimmtes Image oder Lebensgefuhl verkorpern. Oder sie fullen eine semantische Lucke. Die Grunde sind vielfaltig und konnen auch kombiniert auftreten. 27 der Belege, darunter auch mehrfach genannte Begriffe, wurden aus einer direkten Kommunikationssituation heraus festgehalten. 25 Belege, darunter auch mehrfach genannte Begriffe, entstanden aus indirekten Kommunikationssituationen. Die Erstkontaktpersonen bei der direkten Kommunikation waren in 15 der Falle mannlich und in 10 Fallen weiblich.

Bei echt hart 24 und kuf(f)eln 25 wurden weibliche und mannliche Erstkontaktpersonen gleichzeitig angegeben. Das Durchschnittsalter der Personen ist Anfang 20 und darunter befinden sich viele Studierende, aber auch SchulerInnen, Auszubildende oder junge Berufstatige und seltener altere Menschen. Die Eintragungen Tinderella26, Benjamin buttoning27, genappt28, trutend29, bibben30 und Doppel K31 enthalten keine Angaben zur eigenen Wahrnehmung und Verwendung. Etwa 75% der gesamten Eintrage wurden positiv bewertet und 25% negativ. Mit positiv wurden Innovationen bewertet, die lustig, originell, treffend, fortschrittlich oder modebewusst waren. Negativ wurden Innovationen aufgefasst, die albern, blod, abstoBend oder lacherlich erschienen. Es lasst sich feststellen, dass mannliche Sprecher eine positivere Wahrnehmung gegenuber den Innovationen haben und weibliche Sprecherinnen im Vergleich dazu die Innovationen eher negativ wahrnehmen. Negativ bewertete Ausdrucke werden laut den Angaben nicht von den Studierenden ubernommen. Positiv bewertete Innovationen werden in etwa zwei Drittel der Eintragen auch von den Studierenden selbst ubernommen. In etwa ein Drittel der Eintragen gibt es keine Bereitschaft die als positiv bewerteten Innovationen selbst zu ubernehmen. Diese Gruppe nennt Gerd Fritz Passivbenutzer, denn bei ihnen endet die Weiterverbreitung. Ein Passivbenutzer, ist jemand „der die neue Verwendungsweise zwar versteht, sie aber nie selbst gebraucht“32. Die Bereitschaft zur Ubernahme neuer Worter ist insgesamt aber trotzdem relativ niedrig, da bei nur etwa jedem zweiten Beleg, bei denen eine Einschatzung uber die eigene Verwendung vorhanden ist, die Bereitschaft da ist die Ausdrucke auch selbst zu verwenden. Grunde fur die Weiterverwendung sind unter anderem das man damit besser verstanden wird, es aktueller, kurzer oder okonomischer ist. AuBerdem werden manche Bezeichnungen als so originell und witzig gefunden, dass sie zur Belustigung und aus Ironie in bestimmten Situationen verwendet werden mochten. Wenn die Innovationen jedoch zu albern sind, sind die meisten von der eigenen Verwendung abgeschreckt. Auch wenn die Innovationen unpassend, abwertend, nicht notwendig, nicht mehr aktuell, zu umstandlich und zu umgangssprachlich sind, wird von der eigenen Verwendung abgesehen. 27 der Eintrage im semantischen Logbuch entstanden durch Wortbildung und 15 entstanden durch Entlehnungen. Die Meisten der Entlehnungen entstammen aus dem Englischen. Nur Aslak 33 kommt aus dem Turkischen und kuf(f)eln 34 aus dem Polnischen. Die Ausdrucke Nonversation35 und Fahrradflatrate36 sind Streitfalle, da sie sowohl entlehnte Elemente aus dem Englischen, als auch deutsche Wortbildungselemente aufweisen.

Aus den dargestellten Ergebnissen lasst sich erkennen, dass die Eintrage durch die Sprechergruppe, in diesem Fall vorwiegend junge Menschen, gepragt sind. Eine Verbreitung der Innovationen lasst sich nicht ermitteln. Lediglich an der Einschatzung der Studierenden, ob sie den Begriff selbst verwenden wurden oder nicht, lasst sich eine Vermutung auBern, ob die Innovation eine Zukunft hat. Auch die Haufigkeit lasst sich mit der Methode des semantischen Logbuches ermitteln. Am erstellten Logbuch lasst sich erkennen, dass einige Begriffe wie Lauch37, netlflixen38 oder lindnern39 haufiger genannt werden. Auch hier bleibt es eine Vermutung, ob die Innovationen deshalb auch haufiger verwendet werden. Man spricht bei der Methode des semantischen Logbuchs auch von einer mikroskopisch orientierten Methode, da nur ein sehr kleiner Kreis an Befragten involviert ist. Mochte man jedoch ein breiteres Spektrum an Innovationen untersuchen, musste man eine groBere und heterogenere Sprechergruppe involvieren. Dieser einmalige Zusammenschnitt der gesammelten Belege, von denen unklar bleibt wie sich weiterhin entwickeln, macht im Kleinen einen Sprachprozess bewusst, der fur uns sonst nur unbewusst ablauft. Ein Nachteil der Methode ist, dass zu bewusst auf Neuerungen in der Umgebung geachtet wird und deshalb meistens neue Ausdrucke statt neue Verwendungsweisen schon vorhandener Ausdrucke wahrgenommen werden.40 Im erstellten Logbuch waren das lediglich drei Begriffe, namlich jodeln41, Lauch42 und echt hart43. Interessant an der Methode sind die wenigen sichtbar gewordenen Verbreitungen. Ein Beispiel ware die Weiterverbreitung von lindnern 44. Hier wurde nach dem Erstkontakt in einem Gesprach mit Gleichaltrigen angegeben, dass das Wort seit der eigenen Verwendung wieder von Mitmenschen ubernommen wurde. Eine weitere Untersuchung der Weiterverbreitung der gesammelten Belege bleibt offen und bedarf weiterer wissenschaftlicher Auseinandersetzung.

3 Ubungsergebnisse

3.1 Verfahren semantischer Innovationen

1. Die Maus ist kaputt.

- Bedeutungswandel erfolgte
- Meint hier die Computermaus zur Steuerung eines Computers
- Metapher wegen optischer Ahnlichkeit der Computermaus zu dem Tier Maus (GroBe, Schwanz/Kabel, Klicken als leises kurzes Gerausch ahnlich wie Mausefiepen)
- Ellipse fur Computermaus

2. Das will mir nicht in den Kopf.

- Bedeutungswandel erfolgte
- Ursprunglich (im Ahd. und Mhd.) Bezeichnung fur GefaBe wie Becher oder Trinkschale45
- Im Mittelhochdeutschen Ubergang zu Korperteilbezeichnung
- Bildliche Ubertragung zu Hirnschale
- Im Neuhochdeutschen Durchsetzung des Wortes Kopf gegenuber Haupt
- Metapher, da optische Ahnlichkeit zu Becher, Schale von fruherer Bedeutung

3. Gib mir mal dein Handy.

- Kein Bedeutungswandel
- Aber lexikalischer Wandel
- Wort wurde neu eingefuhrt nachdem das Gerat Handy erfunden wurde

4. Mist, der Laden ist schon dunkel.

- Kein Bedeutungswandel
- Implikatur, aber noch nicht konventionalisiert

5. Er hat sich das Bein gebrochen.

- Bedeutungswandel erfolgte
- Altgermanisch fur Knochen46
- Metonymie und Bedeutungserweiterung

6. Sie traufelten das Gift in den Tee.

- Kein Bedeutungswandel, sondern nur Bedeutungsverengung
- Ahd. gift: Geben, Gabe, Ubergabe, Gift47
- Fruher auch schon Bedeutung fur Gift neben anderen Bedeutungen

7. Zur Feier des Tages kopfen wir eine Flasche Champagner.

- Bedeutungswandel erfolgte
- Bedeutung von kopfen ist das abschlagen eines Kopfes durch einen Menschen
- Bedeutung hier: offnen einer Flasche durch eine bestimmte Art und Weise (unsanft, schnell, ...)
- Bildhafte Parallelen zum Vorgang des Kopfens, da Flasche auch einen Flaschenhals hat und vom Mensch „geoffnet“ wird Metapher
- Sprechen benutzen kopfen fur Flasche, da sich Sprecher innovativ ausdrucken wollen48
- Der Ausdruck enthalt evaluative Bedeutungsmerkmale49

3.2 Resultate von Bedeutungswandel

1. Arbeit

- Ahd. ar(a)beiti: Muhsal, Plage, Anstrengung, Beschwerlichkeit, Qual, Arbeit50
- Mhd. ar(e)beit: das durch arbeit zu Stande Gebrachte, Erworbene; Muhe, Muhsal, Not, die man leidet oder freiwillig ubernimmt; Kampfesnot; Strafe; Kindesnote51
- Nhd.: Schaffen, Tatigsein, Muhe, Anstrengung, Berufsausubung, Erwerbstatigkeit, korperliche Vorbereitung auf bestimmt Leistungen, Training, in Physik: Produkt aus der an einem Korper angreifenden Kraft und dem unter ihrer Einwirkung von dem Korper zuruckgelegten Weg52
- Bedeutungsverbesserung (Meliorisierung)
- Bedeutungserweiterung

2. billig

- Ahd. billih: angemessen, passend53
- Mhd. billich: billig, gemaB54
- Nhd. qualitativ minderwertig, wertlos, zu einem niedrigen Preis erhaltlich; angemessen, berechtigt in Rechtssprache55
- Bedeutungsverschlechterung (Pejorisierung)
- Bedeutungsverschiebung

3. heizen

- Ahd. heizen: heiB sein, heiB werden, erhitzen, lodern, ergluhen56
- Mhd. heizen: heiB machen, erhitzen, heizen, heiB sein, heiB werden57
- Nhd. Ofen oder Heizung anmachen, Feuer machen, Raum erwarmen, Warme spenden, sich in bestimmter Weise erwarmen lassen, sehr schnell fahren58
- Bedeutungsverengung/ -spezialisierung
- Bedeutungsubertragung

4. (Baume) fallen

- Ahd. fellan: zu Fall bringen, niederwerfen59
- Mhd. vellen: fallen lassen, zu Fall bringen, niederwerfen, umwerfen, toten60
- Nhd. zu Fall bringen, umschlagen, umlegen, umhauen (meist einen Baum)61
- Bedeutungsverengung/-spezialisierung
- Bedeutungsverbesserung

Lektureblock I: Keller: Sprachwandel, ein Zerrspiegel des Kulturwandels?

4.1 Beispiel der Verwandtschaftsbezeichnungen

Rudi Keller geht in seinem Aufsatz von 1995 der Frage nach, ob Sprache ein Abbild der Kultur ist. Dazu stellt er die These auf, dass „nicht jede[...] Veranderung in der Welt eine Veranderung [...] der Sprache entspricht, noch jeder Veranderung in der Sprache eine Veranderung in der Welt“62 ist. Um seine These zu stutzen, vergleicht er den lexikalischen Wandel der deutschen Verwandtschaftsbezeichnungen von Tante und Onkel mit den Schwedischen.

Im Althochdeutschen hieB die im Neuhochdeutschen genannte Mutter muoter. Und fur Vater verwendete man den Begriff fater. Im Mittelhochdeutschen wurde aus fater vater und muoter blieb muoter. Es erfolgte kein Bedeutungswandel, da im Althochdeutschen, Mittelhochdeutschen und Neuhochdeutschen die Bedeutung der beiden Worter gleich ist. Mutterlicherseits und Vaterlicherseits gab es andere Bezeichnungen fur die Neuhochdeutschen Worter Tante und Onkel. Basa war im Althochdeutschen die Schwester des Vaters und fetiro der Bruder des Vaters. Die Schwester der Mutter hingegen wurde muoma genannt und der Bruder der Mutter oheim. Die Bezeichnung basa im Althochdeutschen wird im Mittelhochdeutschen zu base. Unter base verstand man nun den Bruder oder die Schwester von Mutter oder Vater. Die Althochdeutsche Bezeichnung fur Vaterbruder fetiro wird im Mittelhochdeutschen zu veter oder vetere. Es erfolgte ein semantischer Wandel vom noch anfanglich verwendeten Wort fur Bruder des Vaters hin zum Sohn des Onkels oder der Tante. Die hier auftauchenden Worter Tante und Onkel werden im folgenden Text noch erklart. Die Worter Vetter und Base werden nicht mehr auf der Ebene der Elterngeneration verwendet, sondern rucken nach unten auf die Ebene der Kinder. Das lasst sich mit der Auflosung der GroBfamilie und der Konzentration auf die Kernfamilie erklaren.63 Im Althochdeutschen gab es hingegen noch keine Bezeichnung fur die Kinder der Tante und des Onkels.64 Im Neuhochdeutschen wird aus base Base mit der Realisierung der GroBschreibung von Anfangsbuchstaben bei Substantiven und aus veter wurde Vetter. Statt der Bezeichnungen Base und Vetter werden heute die franzosischen Entlehnungen Cousin und Cousine fur den Sohn oder die Tochter der Tante und des Onkels aus Sicht der Kinder verwendet. Aus Sicht des Vaters und der Mutter werden die Bezeichnungen Nichte und Neffe fur die Kinder der Schwester oder des Bruders verwendet. Nichte ist dabei das weibliche Kind und Neffe steht fur ein mannliches Kind. Auch hier wird nicht nach den Nichten und Neffen der mutterlichen oder vaterlichen Seite unterschieden. Etymologisch gehen diese Worter auf die althochdeutschen Worter nift, was weiblicher Enkel hieB und auf nevo, den mannlichen Enkel, zuruck. Im Neuhochdeutschen sind sie um eine Generation nach oben verschoben.65 Fur Cousine findet man nur noch selten die an das Deutsche angepassten Schreibung Kusine. Base wird nur noch selten im suddeutschen Raum verwendet und gilt als veraltet. Mutterlicherseits fand eine Verdrangung der Althochdeutschen Bezeichnungen muoma und oheim im Mittelhochdeutschen statt. Sie wurden durch base und veter verdrangt und es traten seit der Zeit des Mittelhochdeutschen die Worter Tante und Onkel an diese Stelle. Tante und Onkel sind Entlehnungen aus dem Franzosischen im 18. Jahrhundert und waren schon immer unspezifisch. Tante bezeichnet die Schwester des Vaters, als auch der Mutter. Genau wie Onkel den Bruder des Vaters, als auch der Mutter meint. Es erfolgt somit eine Auflosung der Unterscheidung von Bezeichnungen der Schwester und des Bruders mutterlicherseits und vaterlicherseits. Auch andere Verwandtschaftsbezeichnungen werden im Deutschen heute nicht mehr in vaterlicherseits oder mutterlicherseits unterschieden. Um diese deutlich zu machen wird das Adjektiv vaterlicherseits oder mutterlicherseits zur naheren Beschreibung an den Verwandtschaftsbegriff angeschlossen, wie zum Beispiel „die GroBeltern mutterlicherseits“. Ein Differenzierungsverlust und eine Umschichtung fand statt.66 Die semantische Entwicklung erfolgte nicht sprunghaft, sondern uber lange Phasen hinweg, in denen sowohl alte, als auch neue Bedeutungen nebeneinander existierten oder es Worter gab, die die alte und neue Bedeutung in sich vereinigten.67

Im Schwedischen gab es keine Auflosung der Unterscheidung von Bezeichnungen der mutterlichen Seite und der vaterlichen Seite. Das System der Bezeichnungen blieb vom Franzosischen weitestgehend unbeeinflusst und nur das Wort kusin ist aus dem Franzosischen entlehnt und bezeichnet geschlechtsneutral Cousin und Cousine, also die Kinder von Tante und Onkel. Im Schwedischen werden die Worter fur Bruder und Schwester des Vaters und der Mutter nach dem Kompositionsprinzip gebildet. Bror heiBt Bruder und die Silbe far- fur Vater und mor- fur Mutter wird dem Wort vorangestellt. Somit heiBt farbror der Bruder des Vaters und morbror der Bruder der Mutter. Im Deutschen wird beides Onkel genannt. Ahnlich wird das Wort Tante gebildet. Syster ist im Schwedischen die Schwester, dem die Vorsilben mo- oder fa- angefugt wird und mit syster kontrahiert. Es entsteht faster und moster fur Schwester des Vaters und Schwester der Mutter.

Rudi Keller nutzt diesen Vergleich der Verwandtschaftsbezeichnungen im Schwedischen und Deutschen um deutlich zu machen, dass Sprachwandel nicht immer durch Veranderungen in der Welt oder der Kultur beeinflusst wird, also kein Abbild dieser ist. Er mochte mit dem Beispiel darauf aufmerksam machen, dass Falle in denen es eine Ubereinstimmung zwischen Sprach- und Kulturwandel gibt, trotzdem nur mit Vorsicht begrundet werden konnen. Im Text zitiert er Peter Polenz und fuhrt seine Erklarung fur die Vereinheitlichung der Begriffe zu Tante und Onkel im Deutschen damit an. Laut Polenz wurde die Unterscheidung von mutterlicherseits und vaterlicherseits im Spatmittelalter unwichtiger, da sich die Erbrechte anderten. Weiterhin schreibt Keller, dass die franzosischen Begriffe ubernommen wurden, da das Franzosische sehr angesehen war und „es in besseren Kreisen als besonders chic galt, franzosische Anredebezeichnungen zu wahlen“68. Doch wirklich nachvollziehbar ist Kellers Beispiel an dieser Stelle nicht. Es stellt sich die Frage warum das Schwedische von Franzosischen groBtenteils unbeeinflusst blieb und es hier nicht zu einer Veranderung in den Verwandtschaftsbeziehungen kam. Bei der Veranderung im Deutschen nennt er lediglich die Veranderungen im Erbrecht und fuhrt die Erklarung nicht weiter aus. Sein vorangestelltes Beispiel mit dem drehen eines Filmes scheint plausibler, da es sich hier um eine Konvention handelt und das Wort nicht angepasst werden muss, da jeder weiB was damit gemeint ist auch wenn sich heute beim Filme aufzeichnen nichts mehr in dem Sinne „dreht“. Doch diesee Erklarung oder andere Grunde warum sich das Wort nicht verandert hat, nennt Keller nicht. Es ist verstandlich, dass Keller die Beispiele nur kurz als Erklarung in seinem Text anfuhren mochte, doch der Vergleich der Verwandtschaftsbezeichnungen ist dafur wohl nicht geeignet und zu wenig erklart an dieser Stelle. Es bleiben zu viele Fragen ungeklart, weshalb das Beispiel hier nicht gut gewahlt und dargestellt wurde.

4.2 Innovation U-30 Party

- Party fur Menschen, die alter als 30 Jahre als sind
- Ellipse fur „Uber 30 Party“

[...]


1 Zuckert, Ricardo / Heber, Verena u.a (Stand: 27.03.2018): Datenbank zur Sammlung der Belege des Semantischen Logbuchs im Seminar „Sprachwandel am Beispiel Bedeutungswandel“ unter Leitung von Frau Polzl, Otto-Friedrich Universitat Bamberg.

2 Beleg von Julius Zirngiebl.

3 Beleg von Eva Raab.

4 Beleg von Verena Heber.

5 Beleg von Unbekannt.

6 Beleg von Teresa Stimper.

7 Beleg von Unbekannt.

8 Beleg von Ricardo Zuckert.

9 Beleg von Julius Zirngiebl.

10 Beleg von Marie Christin Pieper.

11 Beleg von Lara Horn.

12 Beleg von Nina Egger.

13 Beleg von Ricardo Zuckert / Julius Zirngiebl.

14 Beleg von Unbekannt.

15 Beleg von Eva Raab.

16 Beleg von Lara Horn.

17 Beleg von Ricardo Zuckert.

18 Beleg von Nina Egger.

19 Ebd..

20 Beleg von Unbekannt / Teresa Stimper.

21 Beleg von Lara Horn.

22 Beleg von Eva Raab.

23 Beleg von Ricardo Zuckert / Julius Zirngiebl.

24 Beleg von Eva Raab.

25 Beleg von Dominik Kirstner.

26 Beleg von Marie-Christin Pieper.

27 Ebd..

28 Beleg von Nina Egger.

29 Beleg von Marie-Christin Pieper.

30 Ebd..

31 Ebd..

32 Gerd Fritz (1998): Historische Semantik, Stuttgart: Metzler, S. 75.

33 Beleg von Teresa Stimper.

34 Beleg von Dominik Kirstner

35 Beleg von Ricardo Zuckert.

36 Ebd..

37 Beleg von Teresa Stimper/ Unbekannt.

38 Beleg von Ricardo Zuckert/ Julius Zirngibl.

39 Beleg von Julius Zirngibl/ Verena Heber/ Unbekannt/ Eva Raab.

40 Vgl. Fritz: Historische Semantik, S. 79.

41 Beleg von Lara Horn.

42 Beleg von Teresa Stimper/ Unbekannt.

43 Beleg von Eva Raab.

44 Beleg von Julius Zirngibl/ Verena Heber/ Unbekannt/ Eva Raab.

45 Vgl. „Kopf“, in: Friedrich Kluge (2002): Etymologisches Worterbuch der deutschen Sprache. Berlin: de Gryter.

46 Vgl. „Bein“, in: Duden. Das Herkunftsworterbuch. Etymologie der deutschen Sprache (2007). Hg. v. d. Dudenredaktion. Mannheim: Dudenverlag.

47 Vgl. „Gift“, in: ebd..

48 Vgl. Sascha Bechmann (2016): Sprachwandel - Bedeutungswandel. Eine Einfuhrung. Tubingen: A. Francke Verlag, S. 203.

49 Ebd..

50 Vgl. „arbeiti“, in: Gerhard Kobler (2014): Althochdeutsches Worterbuch. 6. Aufl., digitalisierte Version unter <http://www.koeblergerhard.de/ahdwbhin.html>, abgerufen am 27.04.2018.

51 Vgl. „arbeit“, in: Matthias Lexer (1872-1878): Mittelhochdeutsches Handworterbuch von Matthias Lexer. Nachdruck 1992. Stuttgart: Hirzel.

52 Vgl. „Arbeit“, in: Duden. Deutsches Worterbuch (2008): Hg. v. Renate Wahrig-Burfeind. Gutersloh/ Munchen: Wissen Media.

53 Vgl. „billih“, in: Kluge: Etymologisches Worterbuch.

54 Vgl. „billich“, in: Lexer: Mittelhochdeutsches Worterbuch.

55 Vgl. „billig“, in: Duden. Deutsches Worterbuch.

56 Vgl. „heizen“, in: Kluge: Etymologisches Worterbuch.

57 Vgl. „heizen“, in: Lexer: Mittelhochdeutsches Worterbuch.

58 Vgl. „heizen“, in: Duden. Deutsches Worterbuch.

59 Vgl. „fellan“, in: Kluge: Etymologisches Worterbuch.

60 Ebd..

61 Vgl. „fallen“, in: Duden: Etymologisches Worterbuch.

62 Rudi Keller (1995): Sprachwandel, ein Zerrspiegel des Kulturwandels? In: Kulturwandel im Spiegel des Sprachwandels. Achtes Partnerschaftskolloquium der Facolta di Lettere e Filosofia der Universita degli Studi di Napoli, Federico II, und der Philosophischen Fakultat der Heinrich-Heine-Universitat Dusseldorf, vom 21.-24. Oktober 1991 in Dusseldorf. Hg. v. Karl-Egon Lonne. Tubingen, Basel. (=Kultur und Erkenntnis. 11.), S. 208.

63 Vgl. Nubling, Damaris (2010): Fallstudie eines Wortfeldwandels: Die Verwandtschaftsbezeichnungen. In: Historische Sprachwissenschaft des Deutschen. Eine Einfuhrung in die Prinzipien des Sprachwandels. 4., komplett uberarb. u. erw. Aufl. Tubingen, S. 131.

64 Vgl. Nubling: Verwandtschaftsbezeichnungen, S. 131. Vgl. ebd.. Vgl. ebd.. Vgl. ebd..

65

66

67

68 Keller: Sprachwandel, S. 209.

Ende der Leseprobe aus 37 Seiten

Details

Titel
Sprachwandeltheorien am Beispiel von Bedeutungswandel
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
2,0
Jahr
2018
Seiten
37
Katalognummer
V1033317
ISBN (eBook)
9783346442826
ISBN (Buch)
9783346442833
Sprache
Deutsch
Schlagworte
sprachwandeltheorien, beispiel, bedeutungswandel
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Sprachwandeltheorien am Beispiel von Bedeutungswandel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033317

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