Die Märtyrertode von Petrus und Paulus in Rom. Kritische Sichtung und Bewertung der zentralen literarischen und archäologischen Zeugnisse


Masterarbeit, 2020

70 Seiten, Note: 1,3

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Vorüberlegungen
2.1 Die Apostel Petrus und Paulus
2.2 Die Bedeutung der Gemeinde von Rom
2.3 Die Christenverfolgung unter Nero

3. Das Ende des Paulus
3.1 Literarische Zeugnisse
3.2 Archäologische Befunde
3.3 Bewertung

4. Das Ende des Petrus
4.1 Literarische Zeugnisse
4.2 Archäologische Befunde
4.3 Bewertung

5. Zusammenfassung und Ausblick

Literaturverzeichnis

I. Gedruckte Literatur

II. Internetquellen

Anhang
Anhang 1 – Die theodosianische Basilika von 390 n. Chr.
Anhang 2 – Alt-St. Peter und die theodosianische Paulusbasilika im Vergleich
Anhang 3 – Die Confessio-Anlage von St. Paul vor dem Brand 1823
Anhang 4 – Maßgerechte Umzeichnung der Skizzen Vespignanis
Anhang 5 – Rekonstruktion der Ädikula

1. Einleitung

In dieser Masterarbeit zum Thema „Rätsel und Spekulationen um den Märtyrertod von Petrus und Paulus in Rom“ sollen die vorhandenen literarischen und archäologischen Zeugnisse über die beiden Apostel dargestellt, kritisch beleuchtet und bewertet werden. Das Ziel hierbei ist es, die daraus erhaltenen Informationen kritisch miteinander zu vergleichen und zu einem ganzheitlichen Bild zu verbinden. Anhand dieser Erkenntnisse soll folglich erörtert werden, inwiefern die Apostel Petrus und Paulus ihren Märtyrertod in Rom erlitten haben und ob davon auszugehen ist, dass dort auch ihre Grabstätten zu finden sind.

Beginnend mit den Vorüberlegungen wird zunächst ein kleiner Überblick über die Apostel gegeben, in dem das Leben und Wirken von Petrus und Paulus kurz skizziert wird. Anschließend zeigt eine Überschau die zeitgeschichtliche Ausgangslage zur Zeit der Apostel. Der Fokus liegt hier auf der ersten christlichen Gemeinde in der Stadt Rom. Dabei wird knapp aufgeführt, wie das Christentum seinen Weg in die Hauptstadt gefunden haben könnte und welchen Stellenwert beziehungsweise welche Bedeutung die Gemeinde einnimmt. Diese Arbeit wird zeigen, dass die Entwicklung der ersten christlichen Gemeinde stark mit der Stadt Rom verknüpft war. Auch für das Ende der Apostel vermag die Stadt Rom eine nicht unerheblich große Rolle gespielt haben. Eine der wohl bedeutsamsten Erzählungen der Apostelgeschichte ist die von Paulus Reisen, an dessen Ende er als Gefangener nach Rom kam.

Da die Apostel Petrus und Paulus oftmals mit der neronischen Christenverfolgung des römischen Reichs in Verbindung gebracht werden, gilt es zunächst diese kritisch zu begutachten. Anhand der Ausführungen über die Maßnahmen des Kaisers gegen die christliche Gemeinde Roms soll erläutert werden, inwiefern sich die Martyrien der Apostel tatsächlich der Christenverfolgung unter Nero in Verbindung bringen ließen.

Im nächsten Schritt folgen die literarischen, sowie archäologischen Untersuchungen zum Tode und zu den Gräbern der Apostel. Dabei sollen verschiedene Quellen vergleichend herangezogen werden, um ein ganzheitliches Bild zu erhalten. Hierfür werden sowohl kanonische, als auch nicht kanonische Texte herangezogen. Neben den verschiedenen literarischen Quellen werden auch die archäologischen Befunde jüngster Zeit Aufschluss über die Gräber der Apostel geben. Wichtig bei den archäologischen Untersuchungen sind vor allem die Ausgrabungen an den mutmaßlichen Grabstätten der Apostel, St. Peter im Vatikan und St. Paul vor den Mauern an der Via Ostiense.

Anhand der hier gewonnenen Erkenntnisse soll im Fazit dieser Arbeit erläutert werden, welche Indizien für und welche gegen ein Martyrium der Apostel in Rom sprechen.

Wenn im Verlaufe dieser Arbeit vom römischen Reich gesprochen wird, darf darunter kein Staat im heutigen Sinne verstanden werden. Das gesamte römische Imperium war in Herrschaftsgebiete aufgeteilt, denen jeweils eins Stadthalter vorstand. Es gab keine reichsumfassende Aufsichtsbehörde und bei Konflikten waren zunächst immer die lokalen Behörden zuständig. Dieser Sachverhalt wird bei der Betrachtung der Verhaftung des Apostels noch eine tragende Rolle spielen.

2. Vorüberlegungen

Für die Untersuchung der Märtyrertode der Apostel Petrus und Paulus und ihre Bedeutung für das wachsende Christentum müssen in den Vorüberlegungen folgende drei Aspekte genauer betrachtet werden.

1. Die Apostel Petrus und Paulus

Der erste Abschnitt zeichnet mithilfe der Schriften des Neuen Testaments und anderen literarischen Quellen ein ganzheitliches Bild des Lebens der beiden Apostel. Dabei liegt der Fokus auf ihrem Wirken und der Mission nach dem Tod Jesu.

2. Die Bedeutung der Gemeinde von Rom

Der zweite Abschnitt beschäftigt sich mit der Bedeutung der Gemeinden in Rom. Hierbei wird erläutert, wie der christliche Glaube in die ewige Stadt gekommen ist und wie sich daraufhin die erste Gemeinde in Rom gebildet hat. Weiter muss dabei herausgestellt werden, welchen Stellenwert diese Gemeinde im römischen Reich einnahm und wie mit ihren Anhängern verfahren wurde.

3. Die Christenverfolgung unter Nero

Da der Tod der Apostel häufig mit den Maßnahmen der neronischen Christenverfolgung in Verbindung gebracht wurde, wird diese im dritten Abschnitt der Vorüberlegungen aufgegriffen. Es wird dargestellt, durch welche Umstände es zu den Maßnahmen gegen die Christ*innen1 kam und ob dabei überhaupt von der ‚ersten Christenverfolgung‘ zu sprechen ist.

2.1 Die Apostel Petrus und Paulus

Die größte Quellenlage, die Petrus in seiner Funktion als Jünger beschreibt, findet sich in den kanonischen Evangelien und in der Apostelgeschichte2.

Der Fischer Simon Petrus (Pephas) war der mit Abstand wichtigste Jünger im Zwölferkreis und nahm auch nach Jesu Tod eine bedeutende Rolle in der Urgemeinde ein3. Der eigentliche Name des Petrus lautet Symeon oder Simon, wobei Symeon ein bei den Juden sehr verbreiteter Name aus dem Hebräischen ist. Die semitische Form des Namens in Bezug auf den Apostel wird nur in der Apostelgeschichte 15,14 und 2. Petrus 1,1 verwendet. In den Evangelien wird durchgehend die griechische Namensform Simon verwendet.4 Des Weiteren trägt er den Beinamen „Kepha“, was aus dem Aramäischen übersetzt so viel bedeutet wie Stein oder Fels. Dabei ist dieser Beiname kein verbreiteter oder gewöhnlicher Vorname, sondern schlichtweg ein Substantiv5. Dies lässt sich daran feststellen, dass das Wort ins Griechische übersetzt worden ist, wohingegen Vor- bzw. Eigennamen nicht übersetzt werden. Gemäß der Septuaginta wäre die eigentliche Übersetzung des Wortes „Kepha“ eher Petra, doch in der Übersetzung des Neuen Testaments wird anstelle von der femininen Wortform Petra die maskuline, aber weniger geläufige Form Petros verwendet. Die feminine Form Petra bezeichnet den gewachsenen Felsblock, wohingegen die maskuline Form Petros den losgerissenen Felsblock bezeichnet. Der Bedeutungsunterschied zwischen der femininen und der maskulinen Form ist dabei allerdings eher unerheblich6. Auch wenn wir Petrus heute als gewöhnlichen Vornamen wahrnehmen, ist es doch wichtig zu beachten, dass dies ein Hauptname ist, den Simon von Jesus bekommen hat. Denn in der jüdischen Tradition war es gängige Praxis, Personen einen Beinamen zu geben, um auf eine Verheißung hinzuweisen oder sie für eine Aufgabe zu verpflichten7. Die vier Evangelien geben übereinstimmend an, dass Petrus dieser Name von Jesus selbst zugesprochen worden ist. In Mat8 16.18 werden die Umstände dieser Namensgebung deutlich. Hier ist Jesus gerade im Gespräch mit seinen Jüngern und fragt: „Wer sagen die Leute, daß ich sei?“, daraufhin nannten die Jünger Jesus die verschiedenen Worte, die das Volk zu ihm sagte. Jesus fragte daraufhin erneut: „Und nach eurer Meinung, wer bin ich?“. Auf diese Frage antwortete ihm Petrus: „Du bist der Christus“, Jesus erwidert: „Selig bist du, Simon Jonassohn, nicht ein Mensch, sondern der Vater im Himmel hat dir Offenbarung gegeben. Und ich sage dir: du bist der Fels, und auf diesem Felsen werde ich meine Kirche aufbauen.“9. Die Evangelien nach Markus und Johannes stellen die Namensgebung in einen etwas anderen Zusammenhang. So bekommt Simon laut Markus seinen Beinamen bereits bei der Jüngerberufung (Mk 3,16), während Johannes dieses Ereignis noch früher, nämlich bei dem ersten Zusammentreffen in Judäa ansetzt (Joh 1,42). Letztendlich ist der Zeitpunkt der Namensgebung auch nicht so entscheidend, wie die Tatsache, dass Jesus selbst dem Apostel diesen Namen gibt.10

Petrus stammte aus Bethsaida am Nordostufer des Sees Gennesaret, wo er seinem Beruf des Fischers nachging. Die Berufung in die Nachfolge Jesu fand nach Angabe der synoptischen Evangelien am See Gennesaret in der Nähe von Kafarnaum statt (Vgl. z.B. Mk 1,16-20). Von dort an gab Petrus seinen Beruf als Fischer sowie sein Familienleben auf und begab sich gemeinsam mit seinem Bruder in die Nachfolge Jesu. Als Erstberufener kam ihm im Zwölferkreis eine besondere Stellung zu. Petrus etablierte sich als Sprecher des Jüngerkreises, stellte jene Fragen, die für alle von Bedeutung waren und fiel durch eine besondere Nähe zu Jesus auf.11 Schwäche zeigt Petrus beispielsweise in den Episoden vom Seewandel (Mt 14,28-31) oder der Verleumdung von Jesu im Zuge des Passionsberichtes. Hier tritt Petrus als derjenige Jünger auf, der den Mann, dem er bis in den Tod folgen wollte, verleumdet. Genau wie Jesus es prophezeit hatte, leugnet Petrus dreimal ihn zu kennen12. Doch auch diese Szenen haben seinem Ansehen nicht geschadet und formen ihn damit zu einem nicht übermächtigen Vorbild13, doch sind sich die Evangelien im Hinblick auf seine Rolle bei den Osterereignissen nicht ganz einig. Während er bei Lukas, Johannes und Paulus ein wichtiger Zeuge der Geschehnisse ist, nimmt er bei Markus und Matthäus keine bedeutende Rolle ein14. Nach dem Tod Jesu tritt Petrus als Organisator der Urgemeinde in Jerusalem auf. Er beginnt zu missionieren und zeichnet sich dabei zunächst durch eine große Nähe zur jüdischen Tradition aus. Mit fortschreitender Zeit gewinnt er mehr Distanz zum Ritualgesetz und rückt in die geistige Nähe der Hellenisten. Die Apostelgeschichte beschreibt ihn als einen der aktivsten Verkündiger des neuen Glaubens (Apg 9,32 – 11,18).

Mit seiner Ehefrau bereiste er viele christliche Gemeinden, wo er zum Teil auch Heilungswunder vollbrachte. Theologisch siedelt sich Petrus zwischen den toratreuen Judenchristen Jerusalems und den Paulinischen Gemeinden an.15

Paulus (Saulus16 ) stammte aus Tarsus in Kilikien (Apg 22,3) (Kleinasien). Er war sowohl in der jüdischen, als auch in der griechischen Bildung sehr belesen17. Seine Herkunft aus Tarsus ist nicht zu leugnen, sie wird im Zusammenhang mit seiner Berufung und seiner Verhaftung in der Apostelgeschichte dreimal bestätigt18. Vermutlich hatte Paulus sowohl das römische Bürgerrecht (Apg 16,37; 22,25-28), als auch die Stadtbürgerschaft von Tarsus (Apg 21,39). Dies vermag darauf hinzudeuten, dass Paulus in einer Familie gehobenen gesellschaftlichen Status aufgewachsen ist19. Das Geburtsjahr, sowie das Todesjahr des Apostels können nur ungefähr bestimmt werden, wobei auch viele Abschnitte seines Wirkens weitestgehend im Dunklen bleiben. Das liegt mitunter daran, dass in die Briefe weitestgehend ohne Angaben über Zeit und Ort der Abfassung auskommen. Auch die autobiographischen Aussagen des Apostels enthalten keine spezifischen Zeitangaben. Der Galaterbrief hingegen enthält einen sehr wichtigen autobiographischen Rückblick über das Leben des Apostels, von seiner vorchristlichen Vergangenheit bis zum Apostelkonvent und dem Bruch mit Antiochia, enthält.20 Aus diesem Rückblick lassen sich zwei ungefähre Zeitangaben gewinnen. Zumeist werden diese so aufgefasst, dass Paulus etwa drei Jahre nach seiner Berufung in Damaskus erstmals zurück nach Jerusalem kam (Gal 1,18) und sich 14 Jahre später zum Apostelkonvent erneut dorthin begab (Gal 2,1). Da man in der Antike auch angebrochene Jahre als Vollständige zählte, ist anzunehmen, dass zwischen dem Erlebnis in Damaskus und dem Apostelkonvent eine Zeitspanne von etwa 16 Jahren liegt.21 Einen Anhaltspunkt zur ungefähren Bestimmung seines Geburtsjahres lässt sich in dem um 55 n. Chr. verfassten Philemonbrief finden, in dem er angibt, dass er nun ein alter Mann sei (Phl 9). Als alter Mann galt man in der Antike etwa mit 50 Jahren. Er wurde wahrscheinlich kurz nach der Zeitwende geboren und gehörte somit dem Diaspora-Judentum an.22 Paulus erlernte den Beruf des Zeltmachers (Apg 18,3). Zum Torastudium begab er sich nach Jerusalem und wird dort in den griechisch sprachigen Synagogen vermutlich schon seine pharisäischen Lehren verbreitet haben23. Paulus war zunächst ein Verfolger der Gemeinde/Kirche Gottes24, wobei sich seine Verfolgertätigkeit hauptsächlich auf den Stephanuskreis der Jerusalemer Urgemeinde gerichtet haben muss25. Es ist davon auszugehen, dass er nicht als Einzelkämpfer agierte, denn allein hätte er die Verfolgung gar nicht wirksam ausüben können26. Bei seinem Vorgehen gegen die Christen, schreckte der Apostel nicht mal vor körperlicher Gewalt zurück27. Vermutlich vollzog Paulus auch die Synagogenstrafe der 39 Geißelhiebe28 an den Christen. Die erste namentliche Nennung des Paulus im Neuen Testament findet sich in der Perikope über die Steinigung des Stephanus29, dem Oberhaupt des von ihm verfolgten Kreises.

Im Jahre 32 n. Chr. wurde er durch sein Erlebnis auf dem Weg nach Damaskus zum leidenschaftlichen Verkündiger jenes Glaubens, den er bis dato bekämpft hatte (Gal 1,15f, Apg 9)30. Die Beschreibungen von Paulus Berufung in der Apostelgeschichte sind geprägt von den ausschmückenden Aussagen des Verfassers. Paulus war gerade mit den Briefen des Hohepriesters auf dem Weg nach Damaskus, wo er mit aller Schärfe gegen die dort ansässigen (Juden-)Christen vorgehen wollte. Als er sich der Stadt nährte, strahlte eine helle Lichtvision, die ihn sogar vorübergehend erblinden ließ, vom Himmel. Paulus und seine Begleiter stürzten daraufhin zu Boden. Es folgte eine Audition in Form einer Himmelstimme, die allein Paulus zu hören vermochte.31 Diese forderte ihn auf nach Damaskus zu gehen und dort auf weitere Anweisungen zu warten (Apg 9,1-9). Paulus machte sich also auf den Weg nach Damaskus, wo er erst nach drei Tagen sein Augenlicht zurückerhielt, während dieser Phase aß und trank er ebenfalls nichts32. Paulus war überwältigt von Jesus und seinem Wirken und war von nun an der Überzeugung, dass ihm und seiner Botschaft weltweite Bedeutung zukam33. Dieses Erlebnis deutet Paulus selbst als Berufung zum Apostel und stellt diese damit auf eine Ebene mit den Prophetenberufungen des Alten Testaments. Als Bekehrung beziehungsweise Abwendung vom jüdischen Glauben, kann man dieses Ereignis jedoch nicht bezeichnen. Denn zu diesem Zeitpunkt galt das Christentum noch als eine innerjüdische Erneuerungsbewegung und wurde demnach noch nicht als eigenständige Religion gewertet34. Infolgedessen kann man also nicht davon sprechen, dass Paulus sich durch die Berufung von seinem jüdischen Glauben abgewandt hat.

Nach dem Erlebnis in Damaskus unternahm Paulus die ersten Schritte als Verkündiger des Evangeliums. Über diese circa acht Jahre im Leben des Apostels gibt es heute kaum Informationen, weswegen man in diesem Zusammenhang auch von den „unbekannten Jahren“35 im Leben des Apostels spricht. Wie es nach der Berufung in Damaskus für den Apostel weiterging, ist unschlüssig. In den Quellen finden wir dazu verschiedene Angaben. Während die Apostelgeschichte davon spricht, dass Paulus zunächst in den Synagogen von Damaskus den neuen Glauben verkündigte und anschließend auf direkten Wege nach Jerusalem zurückkehre (Apg 9,19b – 26) findet sich in den autobiographischen Angaben des Galaterbriefs hingegen (Gal 1,17) die Aussage, dass Paulus von Damaskus aus nach Arabien ging und erst drei Jahre später nach Jerusalem zurückkehrte36. Vermutlich ging Paulus nach seinem kurzen Aufenthalt in Jerusalem zurück in seine Heimatstadt Tarsus. Es ist davon auszugehen, dass er dort und in den umliegenden Regionen missionierte37. Im Anschluss daran trat Paulus in die Gemeinde von Antiochia ein, in der er sich etwa zehn Jahre aufhielt. Nach dem Bruch mit der Gemeinde von Antiochia im Jahre 49 n. Chr. startete Paulus seine Mission in Europa. Hierfür rekrutierte er weitere Mitarbeiter, die ihn auf seiner Reise begleiteten. Anschließend zog Paulus dann in die großen griechischen Städte, gründete dort Gemeinden und blieb mit ihnen durch den Briefwechsel in stetem Kontakt.38 Die Paulusbriefe an die einzelnen Gemeinden sind schon früh von den Gemeinden untereinander ausgetauscht, abgeschrieben und gesammelt worden. Erste Sammlungen der Paulusbriefe sind bereits zum Anfang des 2. Jahrhunderts bekannt, „so dass die Bischöfe Ignatius von Antiochia und Polykarp von Symra aus den Briefen zitieren und ihre Kenntnis bei den Gemeinden, an die sie schreiben, voraussetzen können39

Zu Lebzeiten kam dem Apostel keine große Beachtung zu. In der griechisch-römischen Literatur findet seine Person keinerlei Erwähnung im Gegensatz zu Jesus40. Auch in den jüdischen Schriften Talmudim und Midraschim fehlt sein Name gänzlich41.

Seine Überzeugung, dass Jesu Tod das Gesetz Mose überholt und überflüssig mache, führte damals zu einer bis heute diskutierten Frage. Hierdurch kam es dann im Jahre 49 n. Chr. zum sogenannten Apostelkonvent, wo die Entscheidung im Sinne des Paulus getroffen wurde. Den Heiden sollte zukünftig der direkte Weg zum Christentum ermöglicht werden ohne den Umweg über Moses Gesetze42. Diese Entscheidung ebnete den Weg für die beschneidungsfreie Heidenmission43, hatte damals aber auch schwerwiegende Folgen. Es kam zum Disput mit dem Judentum und der Trennung zwischen den gesetzestreuen Hebräern und den neuen liberalen Hellenisten. Die liberalen Hellenisten, die nicht an den mosaischen Gesetzen festhielten, wurden aus Jerusalem vertrieben. Dadurch gelangten sie nach Griechenland, wo alsbald überall christliche Gemeinden entstanden. Von hier aus breitete sich die neue Religion über Rom bis hin nach Gallien, Spanien und Nordafrika aus. Diese Ausbreitung machte das Christentum von nun an zu einer Weltreligion44.

2.2 Die Bedeutung der Gemeinde von Rom

Möchte man die Situation und den Stellenwert der ersten christlichen Gemeinde in Rom erörtern, so muss zunächst die Frage beantwortet werden, wie das Christentum von seinem Ursprung nach Rom gekommen ist und welche Auswirkungen sich daraufhin für das Christentum beziehungsweise die erste römische Christengemeinde ergaben. Gerade im Zusammenspiel mit dem bereits in der Stadt etablierten Judentum, sollte es bald durch die neue Religion zu einigen Differenzen zwischen den Gläubigen kommen. In diesem Kapitel soll die Ausgangssituation der Christen in der Ewigen Stadt ganzheitlich beleuchtet werden und als Basis für die darauffolgenden Kapitel dienen.

Durch Paulus ist bekannt, dass es schon die erste christliche Gemeinde in Rom gab, bevor die beiden Apostel Petrus und Paulus Rom besuchten. Diese Information erhalten wir von Paulus in seinem Brief an die Römer, dort schreibt er: „Ihr sollt wissen, Brüder, daß ich mir schon oft vorgenommen habe, zu euch zu kommen, aber bis heute daran gehindert wurde; denn wie bei den anderen Heiden soll meine Arbeit auch bei euch Frucht bringen“ (Röm 1,13). Der Ursprung dieser Gemeinde bleibt bis heute unklar. Einige Theorien nennen Josef Barnabas, den zyprischen Judenchristen, als Gemeindegründer, doch gibt es hierfür keinerlei hinreichende Beweise45. Darüber, wie das Christentum in die Ewige Stadt kam, gibt es ebenfalls keine gesicherten Beweise. Verschiedene Erklärungsmodelle zeigen auf, welche Möglichkeiten es für das noch junge Christentum gab nach Rom zu kommen.

Zum einen gibt es das Modell, dass es von den Anhängern des Stephanuskreises, einem Diakon der jerusalemer Gemeinde, nach Rom gebracht worden sein könnte, da diese nach dem Martyrium des Stephanus verfolgt wurden und nach Rom kamen46. Begründet wird diese These damit, dass Stephanus in Jerusalem hauptsächlich in von Diasporajuden besuchten Synagogen predigte, darunter befand sich auch die Synagoge der Libertiner47 (Apg 6,9), welche nach Jerusalem zurückgekehrt waren und sich dort innerhalb einer Gemeinde organisierten. Das sind die Nachfahren der Sklaven, die aus Rom zurückgekehrt sind, andere haben sich nach ihrer Freilassung in Trastevere48 angesiedelt. Dieses Erklärungsmodell begründet schlüssig, warum die Anhänger des Stephanus aufgrund ihrer Verfolgung nach dem Tod des Stephanus nach Rom, vermutlich zu Familienangehörigen, geflohen waren.49 Ein anderer Erklärungsversuch beschreibt den Weg des Christentums über die wichtigen Handelsrouten des römischen Reichs, dabei sind die zwei wichtigsten Städte für den Handel zeitgleich auch die ersten italienischen Städte, in denen das Christentum bezeugt ist. Eine dieser Städte war Puteoli, dort trafen viele Schiffe mit Handelsgütern aus Alexandria und anderen Handelsmetropolen des Ostens ein, um dort ihre Ladung abzuladen. Die Kaufleute, Seefahrer, Handelsreisenden und Gewerbetreibenden, die mit den Schiffen nach Italien kamen, gingen oftmals nach Rom, um dort ihr Glück zu suchen und ihren Kult zu etablieren.50 Eine dritte Theorie basiert auf den engen Handelsbeziehungen der stadtrömischen Patronen mit dem Osten. Da sich die synagogalen Gemeinden vornehmlich in dessen Häusern zum Gottesdienst trafen, scheint es durchaus plausibel, dass der christliche Glaube auf diesem Weg in die Hauptstadt gekommen ist.51 Des Weiteren gibt es die Theorie, dass Juden aus Rom auf Pilgerreise in Jerusalem gewesen sind und den Glauben von da aus zurück mit in ihre Heimat Rom brachten52. Insgesamt bleibt also festzuhalten, dass bereits vor den Besuchen der Apostel erste christliche Gemeinden in der Ewigen Stadt existierten. Wie genau, auf welchem Weg und durch wen der Glaube den Weg nach Rom fand, bleibt dennoch weitestgehend im Dunklen.

Im Laufe des 1. Jahrhundert n. Chr. begann sich das Christentum, in alle Himmelsrichtungen auszubreiten. Die Herrschaft der Römer förderte die Ausbreitung des Christentums. Sie garantierte politische Stabilität, Sicherheit im Inneren des Reiches und freie Entfaltungsmöglichkeit religiöser Praktiken. Darüber hinaus bot das römische Reich ein umfassendes und gut ausgebautes Straßennetz, auf dem die Christen die Botschaft Jesu im römischen Reich verbreiteten konnten53. Die Stadt Rom war damals das Zentrum politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens des Kaiserreichs. Demnach erreichte auch der neue Glaube der Christen die Stadt54. Genau kann die Ankunft der Christen in Rom, einer Stadt mit großer jüdischer Bevölkerungsgruppe, nicht datiert werden. Wahrscheinlich ist aber, dass sie in der zweiten Hälfte der 40er Jahre eintrafen. Die Christen kehrten in zahlreiche römische Synagogen ein, sodass diese als erster „Ort der christlichen Mission und Ausgangspunkt für die Entstehung einer christlichen Gemeinde“55 bezeichnet werden können. Vom Staat werden die Christen in der ersten Zeit toleriert, ihre Religion „gilt als jüdische Sekte und nimmt an der staatlichen Duldung der jüdischen Religion (als religio licita) teil“56. Bereits seit dem 1. Jahrhundert v. Chr. lebten Juden in der Ewigen Stadt. Größtenteils kamen sie als Kriegsgefangene oder Sklaven nach Rom. Ceasar (100-44 v. Chr.) räumte den Juden das Recht ein, ihren Gesetzen zu folgen, ihre Synagogen zu bauen, ihre Feste zu feiern und ihren Kult auszuüben57. Demnach kam das Christentum in eine Stadt, in der es seit über 100 Jahren Juden gab, die vom Staat als Religion geduldet wurden.

Im Römerbrief des Paulus erhalten wir erste umfassende Informationen zum Gemeindeleben in Rom. Der Brief ist auf Griechisch verfasst, was zu dieser Zeit eine gängige Sprache der Juden und Christen in Rom war. Die Datierung lässt sich etwa auf den Anfangszeitraum der Herrschaft Neros im Jahre 56 n. Chr. festlegen. Seinerzeit ruhten noch große Hoffnungen auf dem jungen Kaiser58. Auf Nero selbst und die Entwicklung seiner Herrschaft wird in Kapitel 2.3 näher eingegangen. Der Römerbrief des Apostels ist der einzige Brief des Paulus an eine Gemeinde, welche er nicht selbst gegründet hatte59. In diesem Brief an die Gemeinde in Rom kündigt Paulus die Übergabe der in den paulinischen Gemeinden gesammelte Kollekte an die Urgemeinde an (Röm 15,25). Des Weiteren schreibt der Apostel auch von seiner geplanten Spanienmission, die er von Rom aus starten wollte (Röm 15, 22-29)60.

Das Evangelium erreichte in Rom bald nicht mehr nur gläubige Juden, sondern auch Gottesfürchtige61, die sich nicht zum Judentum bekannten, nahmen an den Gottesdiensten der Christen teil. Diese Gottesfürchtigen konvertierten allerdings nicht zum Judentum, sondern nahmen lediglich am Synagogenleben teil. Diese Tatsache brachte hohes Konfliktpotential mit sich. Im Jahr 49 geriet die jüdische Gemeinde in Aufruhr.62 Es kam zu teils heftigen Auseinandersetzungen zwischen den Juden und den Anhängern der neuen christlichen Religion „in einer oder mehreren Synagogen“63 der Hauptstadt. Nicht nur ihre neue Glaubenslehre, sondern auch die bereits erwähnte Mission unter den nichtjüdischen Gottesfürchtigen der Stadt waren die Auslöser für diese Konflikte64. Die Unruhen entwickelten sich rasch zu einem Problem, welches die staatlichen Behörden mit ins Boot holte65. Augenscheinlich war es auch zu Konflikten über die Messianität Jesu gekommen, sodass die judenchristlichen Prediger von den Juden denunziert wurden66. Es ist infolgedessen durchaus denkbar, dass die Juden vor den römischen Behörden Anklage gegen die Christen erhoben haben, diese das Problem aber als intern eingestuft haben, weil ihnen der Unterschied zwischen Juden und Christen noch nicht bewusst war. Die Auseinandersetzungen verschärften sich zunehmend, was den kaiserlichen Ordnungshütern nicht gefiel67. Die römischen Behörden stuften die Vorkommnisse wohl als „Gefährdung der inneren Sicherheit“68 ein, sodass der Kaiser sich alsbald dazu gezwungen sah, in die Situation einzugreifen69. So erließ er, wahrscheinlich im Jahre 49 n. Chr., ein Edikt70, mit dem er alle „Juden, die sich von Chrestos ständig zu Unruhen anstiften [sic!] ließen71 “, aus Rom vertreiben ließ. Sollte mit Chrestos der auferstandene Jesus Christus gemeint sein, so ist dies ein Beleg dafür, dass es zu dieser Zeit bereits eine christliche Gemeinde in Rom gegeben hat. Anhand von Suetons Notiz zum Claudiusedikt, lässt sich auch feststellen, dass die Christen zu diesem Zeitpunkt sowohl ethnisch, als auch religiös noch ganz und gar den Juden zugeordnet wurden72. Vermutlich wurden mit diesem Edikt nur die führenden Judenchristen (wie Priska und Aquila: Apg 18,2) aus der Stadt vertrieben73.

Mit diesem Claudiusedikt trat das Christentum als solches zum ersten Mal in die römische Geschichte ein und wurde auf höchst politischer Ebene als Störfaktor wahrgenommen. Die Konsequenz dieser Auseinandersetzungen war, dass die Christen sich von nun an von den jüdischen Synagogen loslösen mussten74. Das Edikt belegt unterdessen auch, dass die Christen innerhalb der jüdischen Gemeinden bereits eine gewisse Resonanz gefunden hatten. Aus dem Geschilderten lässt sich unterdessen der Schluss ziehen, dass die junge christliche Gemeinde um das Jahr 50 n. Chr. „eine gemischte, aus ehemaligen Heiden und christianisierten Juden zusammengesetzte Gemeinde75 “ war. Es hatte aber auch weitreichende Folgen für die noch junge Gemeinde in Rom, welche im Römerbrief ersichtlich werden. Infolge der Auseinandersetzungen und des darauf resultierenden Edikts, lösten sich die Christusgläubigen vom Synagogenverband. Woraufhin sie sich vermutlich selbstständig organisierten, „um Repressalien von und Schwierigkeiten mit den Juden zu vermeiden“76. Daraus folgte aber auch die Konsequenz, dass die Christen von nun an nicht mehr unter den Schutz des Judentums als religio licita standen. Da das Christentum bis dahin andererseits noch keine anerkannte Religion war, mussten die Treffen der Christusgläubigen heimlich in ihren Hausgemeinschaften stattfinden. Die Mission beschränkte sich daher von nun an auf die familiären Kreise ihrer Anhänger77.

Der Verweis der Judenchristen endete mit dem Tod des Kaiser Claudius im Jahre 54 n. Chr., weswegen es ihnen nun möglich war, in die Stadt zurückzukehren. „Es ist nicht auszuschließen, daß [sic!] nach der Rückkehr der christusgläubigen Juden nach Rom erneute Spannungen aufgetreten sind.“78, da die zurückkehrenden christusgläubigen Juden die Juden Roms als Schuldige für die Vertreibung ansahen. Die Spannungen und die Gefahr einer weiteren Auseinandersetzung bleibt bis über den Tod des Claudius hinaus bestehen und sollte unter Kaiser Nero erneut eine zentrale Rolle spielen.

2.3 Die Christenverfolgung unter Nero

Kaum ein Kaiser der Antike wurde bereits in der antiken Geschichtsschreibung so negativ betrachtet, wie Kaiser Nero. Die Aufzeichnungen sind geprägt von Gewalttaten, Verschwendungssucht und der Überheblichkeit des jungen Kaisers79. Die Christenverfolgung unter Nero wird vor allem bei den christlichen Autoren stark in den Fokus gerückt und auch häufig mit den Martyrien Perti und Pauli in Verbindung gebracht80.

Dieser Abschnitt soll vor allem dazu dienen, die Situation der Christen in Rom unter der Herrschaft von Nero etwas genauer zu beleuchten. Diese Ausgangslage dient als Hintergrundwissen für die weitere Betrachtung der Martyrien des Petrus und des Paulus im römischen Reich.

Nero, geboren am 15. Dezember 37 n. Chr. in Antium, war erst 16 Jahre alt, als er nach dem Tod des Claudius Ende des Jahres 54 zum Kaiser ernannt wurde81. Diesen politischen Aufstieg hatte er seiner Mutter Agrippina zu verdanken, die im Jahr 49 n. Chr. den verwitweten Kaiser Claudius heiratete und ihren Sohn daraufhin von Claudius adoptieren ließ82. Als Claudius dann fünf Jahre später starb, hatte er noch keinen Nachfolger auserwählt, so kam es dazu, dass Nero durch die Prätorianergarde zum Imperator ausgerufen wurde83. Auf ihm ruhte die Hoffnung, dass er einst zu einem großmütigen und weisen Herrscher werden würde. Seine Zeitgenossen beschreiben ihn als gutaussehend und heben sein sicheres Auftreten beeindruckt hervor84. Sein Ansehen sollte sich jedoch bald durch eine Reihe politisch bedingter Morde arg verschlechtern. Er war ein sehr grausamer Kaiser, der voll und ganz seiner herrischen Mutter ausgeliefert war, die er zwar liebte, deren Wesen er jedoch auch fürchtete. Aus diesem Grund veranlasste er die Ermordung seiner eigenen Mutter. Zunächst war der Versuch sie zu ertränken gescheitert, anschließend ließ er sie von einer Horde Matrosen zu Tode prügeln85. Nachdem Nero sich der Mutter entledigt hatte, ließ er ebenfalls seine erst neunzehnjährige Frau ermorden. Diese fand man mit Seilen gefesselt in einer vollen Badewanne und aufgeschnittenen Venen86. Auch seine nächste Ehefrau, seine schwangere Geliebte, starb als er ihr einen heftigen Tritt versetzte87. Nero selbst hatte wenig Interesse an der Politik, sondern bestrebte das Ansehen der Bevölkerung aufgrund seiner Fähigkeiten als Wagenlenker, Sänger und Künstler88.

Die erste christliche Gemeinde in Rom unter der Leitung von Petrus und Paulus hatte es unter seiner Herrschaft ebenfalls nicht leicht. Zwar wuchs die Gemeinde immer weiter und begann, vor allem unter den griechischen Juden, zu missionieren. War sie gleichzeitig aber auch von lokalen Verfolgungen bedroht. Die letzten Lebensjahre und das Ende der Apostel Petrus und Paulus fielen ebenfalls in die Zeit der Regentschaft Neros, ebenso wie eine der größten Katastrophen der damaligen Zeit, der Große Brand von Rom89..

Im Kontext von juristischen, historischen, philologischen Forschungen beschäftigt man sich seit mehreren Jahren mit der Kontextualisierung des großen Brandes von Rom. Dabei gibt es über die Geschehnisse selbst keine expliziten zeitgenössischen Texte, sondern nur indirekte Hinweise90. Zwei sehr einflussreiche Positionen zum Zusammenhang des Brandes mit der darauffolgenden neronischen Christenverfolgung stammen von J. Molthagen (1970) und G. Baudy (1991), die dabei sehr unterschiedliche Ansichten vertreten. Während Molthagen in den Geschehnissen rund um den Brand und die Beschuldigung der Christen als Brandstifter die Grundlage für die öffentliche Gewalt gegen die neue Religion sieht91, erwägt Baudy eine ganz andere Position. Seiner Auffassung nach ist es durchaus möglich, dass einige radikale Anhänger des Christentums mit dem Brand eine Art apokalyptischen Zeichen setzen wollten und Nero demnach durchaus das Recht hatte, gegen die terroristischen Kriminellen rechtlich vorzugehen92. Letztendlich können die Umstände des Brandes nicht abschließend geklärt werden. Im Folgenden wird anhand der vorhandenen Quellen kurz der Ablauf dieses Ereignisses skizziert.

Am 18./19. Juli 64 n. Chr. kam es in einer Ladenzeile beim römischen Palatinhügel zu einem gewaltigen Brand, der sich über den Palatin bis hin zum Esquilin erstreckte93. Das Feuer breitete sich vom Circus Maximus zunächst in Richtung Norden aus, wobei es die Stadtteile auf der Ebene zerstörte, bevor es sich den Weg auf die Hügel bahnte94. „In der Zwischenzeit hielt sich Nero in Antium auf und kehrte erst zurück, als das Feuer sich seinem Palast, der er mit dem Palatium und den Parkanlagen des Maecenas verbunden hatte, näherte95 “. Dadurch, dass Kaiser Nero im Nachgang auf die ausgebrannten Flächen seinen weitläufigen und prunkvollen Palast errichten ließ, stellte sich der Verdacht ein, dass er für den Brand selbst verantwortlich gewesen sei. Gerade auch, weil er zu dieser Zeit zahlreiche Wohnhäuser zerstören ließ, um Platz für das „Goldene Haus“, seinen neuen Palast, zu schaffen96. Auch die Feuerwehr, die mit über 7000 Mann über die ganze Stadt verteilt an den Löscharbeiten zugange war, konnte den Brand erst nach sechs Tagen löschen97. Der Brand zerstörte dabei unter anderem die kaiserlichen Paläste auf dem Palatin, sowie die Regia98. Nach Tacitus blieben von den 14 Regionen Roms nur vier unversehrt. Drei Regionen seien bis auf ihren Grund zerstört und sieben wären weitestgehend abgebrannt, sodass dort nur vereinzelt Häuserreste übrig blieben99. Diese Angaben des Schadens an der Stadt scheinen durchaus übertrieben formuliert zu sein. Tacitus wollte damit vermutlich die Grausamkeit dieses Brandes untermauern, wobei ihm wahrscheinlich wenig an den realen Schadensmeldungen lag100. Für die nun obdachlose Bevölkerung gab Kaiser Nero das Marsfeld und die Bauten des Agrippa frei und ließ dort Notunterkünfte für die betroffene Bevölkerung errichten101. Weiter noch ließ er Hausrat aus Ostia heranbringen und den Getreidepreis begrenzen. Diese Maßnahmen wurden vom Volk zwar begrüßt, verfehlten aber ihre Wirkung. Aus heutiger Sicht spricht Vieles für eine unglückliche Verkettung von Geschehnissen, die zu dem Brand führten. Es war den Schriftstellern der Antike wohl mehr daran gelegen, den verheerenden gar apokalyptischen Brand mit dem grausamen Kaiser in Verbindung zu setzen102. Es hielt sich also das Gerücht, dass Nero selbst der Brandstifter war, um eine Stadt nach seinen Wünschen zu gestalten103. Man sah ihn wohl während des Brandes auf seiner Hausbühne auftreten und den Untergang Trojas besingen104. Nero machte sich daraufhin die beinah völlige Zerstörung der Stadt zu Nutze und errichtete sich einen prunkvollen Palast105. Dieser neue Palast, der sogenannte Domus aurea, erstreckte sich vom Palatin bis hin zum Esquilin106. Um aus der Schusslinie der Beschuldigungen zu gelangen, beschuldigte Nero die Christen als Brandstifter. Diese hatten gerade unter Petrus und Paulus eine Gemeinde gegründet, welche bereits mehrere hundert Menschen umfasste107. Diese christliche Gemeinde hielt sich bis dahin, soweit es ging, aus dem öffentlichen Leben heraus. Gerade weil es bereits unter Kaiser Claudius zu einigen Differenzen gekommen war. Ihre Riten vollführten sie weitestgehend in völliger Abgeschiedenheit, sodass die Außenstehenden davon nichts mitbekamen108. Daraus resultierten allerdings die absurdesten Gerüchte über die Christen. Es wurde unter anderem verbreitet, sie würden Kleinkinder essen und deren Blut trinken. Außerdem würden sie Orgien feiern und dabei nicht mal vor Ehebruch oder Inzest zurückschrecken109.

In Konsequenz der Beschuldigung der Brandstiftung wurden diejenigen Christen, die sich offen zu ihrem Glauben bekannten, von der römischen Regierung festgenommen. Man zwang sie unter Folter, ein falsches Geständnis abzulegen und die Namen anderer Anhänger des Christentums preiszugeben, um diese anschließend ebenfalls überführen zu können. Die immer größer werdende Zahl der Inhaftierten wurde angeklagt und verurteilt110. Allerdings wurden sie nicht der Brandstiftung verurteilt, sondern des Hasses auf das Menschengeschlecht111. Auf Grundlage dieses Urteils wurde beschlossen, dass den Christen alles zuzutrauen sei, demnach auch die Brandstiftung112. Folglich wurden sie, wie unter Nero üblich, zum Tode verurteilt. Allerdings verschärfte Nero im Hinblick auf die Christen seine bis dato üblichen Todesstrafen113. Er begnügte sich in diesem Fall nicht mit Methoden wie Volksfesthinrichtung, Feuertod oder Kreuzigung, sondern verlangte nach Verschärfungen, die insbesondere dazu dienten, die Christen besonders leiden zu lassen und herabzuwürdigen114. Zu diesen sehr künstlerisch angehauchten Hinrichtungen, stellte er seine privaten Gärten auf dem Vatikan zur Verfügung115. Tacitus beschreibt diese Hinrichtungen wie folgt: „Und mit dem Todgeweihten trieb man noch seinen Spott: man hüllte sie in Tierhäute und ließ sie von Hunden zerfleischen, oder sie wurden ans Kreuz geschlagen und für den Flammentod bestimmt, nach Tagesschluß [sic!] als Beleuchtung für die Nacht verbrannt116 “ Diese Hinrichtungen erfolgten nach Tacitus auf eine derart abscheuliche Weise, dass das Volk daraufhin Mitleid mit den Christen hatte. Zwar nahm der Zulauf zum Christentum nach dem verheerenden Brand und seinen Folgen weiter zu, doch auch das Misstrauen gegenüber den Christen wuchs stetig weiter. Die Isolation der Christen und ihre kleinen heimlichen Treffen abseits der Öffentlichkeit sorgten dafür, dass die Christen sowohl vom Volk als auch von den „kaiserlichen Spionen argwöhnisch beobachtet“117 wurden. Aus diesem Grund war es für Nero ein Leichtes die Christen für den Brand verantwortlich zu machen. Die Ablehnung des Volkes gegenüber dieser „Sekte“, die sich heimlich in den Häusern ihrer Anhänger traf, tat dabei ihr Übriges. Nero erreichte damit, dass das Gerücht, er sei für den Brand selbst verantwortlich, zerstreut wurde. An dieser Stelle muss allerdings festgehalten werden, dass Nero mit dieser Hetze gegen die Christen zwar die erste Gewaltanwendung gegen die Christen provozierte, diese jedoch in keiner Weise religiös bedingt war118. Weiter noch wurde unter Nero kein Gesetz gegen das Christentum119 erlassen, allerdings haben seine zeitlich und örtlich begrenzten Maßnahmen einen Präzedenzfall mit Signalwirkung geschaffen120. Jedoch trugen die Geschehnisse in Rom dazu bei, dass sich im gesamten Reich die Vorurteile gegen die Christen verhärteten121. Auch Petrus dürfte den Maßnahmen Neros gegen die Christen zum Opfer gefallen sein. Paulus hingegen erlitt seinen Tod durch Enthauptung vermutlich bereits zwei Jahre vor dem Brand und dem daraus resultierenden Vorgehen122. Nach dem Brand Roms wuchs die Ablehnung gegen Kaiser Nero von Senat und Militär so stark an, dass es zur Pisonischen123 Verschwörung kam. Dieser blieb aber ohne Erfolg, doch auch das Volk lehnte sich aufgrund von steigenden Getreidepreisen so langsam gegen ihren Kaiser auf. Im Jahre 68 n. Chr. war Nero politisch am Ende, die Prätorianergarde versagte ihm die Gefolgschaft. Nero soll im Zuge dessen Selbstmord gegangen haben.124 Demnach starb Nero bereits im Alter von 31 Jahren einen verhältnismäßig frühen Tod125.

[...]


1 Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Arbeit verallgemeinernd das generische Maskulinum „Christen“ verwendet. Diese Formulierungen umfassen gleichermaßen alle männlichen, weiblichen und diversen Personen; alle sind damit selbstverständlich gleichermaßen angesprochen.

2 Vgl. Cullmann (1952),11.

3 Vgl. Kollmann (2014a), 115.

4 Vgl. Cullmann (1952), 11.

5 Vgl. Cullmann (1952), 12.

6 Vgl. Cullmann (1952), 13.

7 Vgl. Cullmann (1952), 14.

8 Im Folgenden werden die biblischen Bücher mit den Abkürzungen nach den Loccumer Richtlinien abgekürzt

9 Vgl. Cullmann (1952), 15f.

10 Vgl. Cullmann (1952), 16.

11 Vgl. Kollmann (2014a), 115.

12 Vgl. Hesemann (2003), 143.

13 Vgl. Kollmann (2014a), 115.

14 Vgl. Kollmann (2014a), 115f.

15 Vgl. Kollmann (2014a), 116.

16 Saulus ist der hebräische und Paulus der griechisch-römische Name des Apostels

17 Vgl. Eder (2008), 22.

18 Vgl. Gnilka (1996), 21.

19 Vgl. Kollmann (2014a), 180f.

20 Vgl. Kollmann (2014a), 177.

21 Vgl. Kollmann (2014a), 177.

22 Vgl. Kollmann (2014a), 179.

23 Vgl. Kollmann (2014a), 181.

24 Vgl. 1. Kor 15,9 „Ich habe die Gemeinde Gottes verfolgt“ oder Gal 1,13 „Über die Maßen habe ich die Gemeinde Gottes verfolgt“

25 Vgl. Gnilka (1996), 35.

26 Vgl. Gnilka (1996), 34

27 Vgl. Kollmann (2014a), 177.

28 Diese Strafe, welche vorzugsweise bei Unzucht oder kultischer Verunreinigung angewendet wurde, umfasste 39 Schläge mit einem vierfachen handbreiten Lederriemen. Ein Drittel davon erhielt der Bestrafte dabei auf den Bauch, die restlichen zwei Drittel auf den Rücken (vgl. Kollmann (2014a), 182).

29 Vgl. Kollmann (2014a), 182.

30 Vgl. Kollmann (2014a), 177.

31 Vgl. Gnilka (1996), 40.

32 Vgl. Gnilka (1996), 41.

33 Vgl. Eder (2008), 22.

34 Vgl. Kollmann (2014a), 186.

35 Vgl. Kollmann (2014a), 187.

36 Vgl. Kollmann (2014a), 188.

37 Vgl. Kollmann (2014a), 189.

38 Vgl. Dahlheim (2013), 98.

39 Lohse (2008), 111.

40 Die Erwähnungen von Jesus bei Tacitus (Ann XV,44), Sueton (Vita Claudii 25) und Plinius (ep. 10,96,6f) beschränken sich jedoch auf das Elementarste und stehen im Zusammenhang mit den aufsehenerregenden Christen (Vgl. Gnilka (1996), 9.)

41 Vgl. Gnilka (1996), 9.

42 Vgl. Eder (2008), 23.

43 Vgl. Kollmann (2014a), 177.

44 Vgl. Eder (2008), 23.

45 Vgl. Kollmann (2016), 19.

46 Vgl. Kollmann (2016), 19.

47 Als Libertiner werden römische Sklaven bezeichnet, die sich aus ihrer Gefangenschaft herausgekauft haben, oder freigelassen wurden (vgl. Kollmann S. 19)

48 Stadtteil Roms

49 Vgl. Kollmann (2016), 19.

50 Vgl. Kollmann (2016), 20.

51 Vgl. Kollmann (2016), 20.

52 Vgl. Kollmann (2016), 20.

53 Fürst (2012), 52. – Zu weiteren fördernden und auch hemmenden Faktoren der Mission vgl. Eder (2010), 26f.

54 Vgl. Kollmann (2016), 19.

55 Cineira (1999), 371.

56 Franzen (2006), 60.

57 Vgl. Dahlheim (2014), 112.

58 Vgl. Kollmann (2016), 22.

59 Vgl. Kollmann (2016), 22.

60 Vgl. Kollmann (2016), 22f.

61 „Mit diesem Begriff bezeichnet man in der Antike Personen aus der nichtjüdischen Welt, die sich vom Monotheismus und der Ethik des Judentums angezogen fühlten.“ (Kollmann (2016), 20.)

62 Vgl. Kollmann (2016), 20.

63 Cineira (1999), 374.

64 Vgl. Cineira (1999), 206.

65 Vgl. Kollmann (2016), 20.

66 Vgl. Kollmann (2014b), 100.

67 Vgl. Légasse (2003), 172.

68 Schreiber (2008) 289.

69 Vgl. Schreiber (2008). 289.

70 Der Geschichtsschreiber Cassius Dio datiert das Edikt auf das Jahr 41, am wahrscheinlichsten ist jedoch das Jahr 49, wie es Orosius überliefert. Auch Apg 18,2 deutet auf das Jahr 49 hin (Vgl. Brändle / Stegemann (1996), 1).

71 Zitiert nach Sueton (2003), 294.

72 Vgl. Brändle / Stegemann (1996), 1.

73 Ob Kaiser Claudius mit diesem Edikt alle oder nur einige der führenden Judenchristen aus Rom verwies, ist umstritten. Am wahrscheinlichsten ist jedoch die oben dargelegte Meinung, dass nur die führenden Personen (wie z.B. Priska und Aquila) aus der Stadt vertrieben wurden (vgl. Schreiber (2008), 289.).

74 Vgl. Lepelley (2003), 231.

75 Légasse (2003), 173.

76 Cineira (1999), 377.

77 Vgl. Cineira (1999), 377f.

78 Brändle / Stegemann (1996), 10.

79 Vgl. Kollmann (2014b), 108

80 Vgl. Kollmann (2014b), 108.

81 Vgl. Schneider (2005), 77.

82 Vgl. Kollmann (2014b), 108.

83 Vgl. Kollmann (2014b), 108.

84 Vgl. Hibbert (1987), 49f.

85 Vgl. Hibbert (1987), 50.

86 Vgl. Hibbert (1987), 50.

87 Vgl. Hibbert (1987), 50.

88 Vgl. Kollmann (2014b), 108.

89 ???

90 Vgl. Schmitt (2011), 517f.

91 Vgl. Schmitt (2011), 517.

92 Vgl. Schmitt (2011), 517.

93 Vgl. Liebs (2015), 20.

94 Vgl. Edelmann-Singer (2017), 133.

95 Tacitus (1967), XV 39.

96 Vgl. Lepelley (2003), 232.

97 Vgl. Liebs (2015), 20.

98 Vgl. Edelmann-Singer (2017), 134.

99 Vgl. Tacitus (1967), XV 40.

100 Vgl. Edelmann-Singer (2017), 134.

101 Vgl. Tacitus (1967), XV 39.

102 Vgl. Edelmann-Singer (2017), 134

103 Vgl. Edelmann-Singer (2017), 134

104 Vgl. Tacitus (1967), XV 39.

105 Vgl. Tacitus (1967), XV 42.

106 Vgl. Reinhardt (2008), 21.

107 Vgl. Liebs (2015), 20.

108 Vgl. Liebs (2015), 21.

109 Vgl. Liebs (2015), 21.

110 Vgl. Liebs (2015), 21.

111 Vgl. Liebs (2015), 21.

112 Vgl. Liebs (2015), 21.

113 Vgl. Liebs (2015), 21.

114 Vgl. Liebs (2015), 21.

115 Vgl. Liebs (2015), 21.

116 Zit Tacitus (1967), VX 44.

117 Vgl. Waldherr (2005), 216.

118 Vgl. Waldherr (2005), 217.

119 Oder die Christen an sich

120 Vgl. Kollmann (2014b), 109.

121 Vgl. Kollmann (2014b), 109.

122 Vgl. Kollmann (2014b), 109.

123 Geplanter Mordkomplott gegen den amtierenden Kaiser Nero im Jahre 65. n. Chr.; als Reaktion auf dessen zunehmend tyrannische Herrschaft des römischen Reiches. Benannt nach dem römischen Konsul Gaius Calpurnius Piso (vgl. Viamus Uni Göttingen)

124 Vgl. Kollmann (2014b), 110.

125 Vgl. Klauck (1996), 57.

Ende der Leseprobe aus 70 Seiten

Details

Titel
Die Märtyrertode von Petrus und Paulus in Rom. Kritische Sichtung und Bewertung der zentralen literarischen und archäologischen Zeugnisse
Hochschule
Universität Siegen
Note
1,3
Jahr
2020
Seiten
70
Katalognummer
V1033739
ISBN (eBook)
9783346446015
ISBN (Buch)
9783346446022
Sprache
Deutsch
Schlagworte
märtyrertode, petrus, paulus, kritische, sichtung, bewertung, zeugnisse
Arbeit zitieren
Anonym, 2020, Die Märtyrertode von Petrus und Paulus in Rom. Kritische Sichtung und Bewertung der zentralen literarischen und archäologischen Zeugnisse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1033739

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