Günter, Bruno - Tod des Tänzers


Referat / Aufsatz (Schule), 2000

9 Seiten, Note: 1-


Leseprobe


Gliederung

A. Einleitung
1. Kurzbeschreibung der Parabel
- In der Parabel „Tod des Tänzers“ findet ein Tänzer auf skurrile Art den Tod
2. Kurzbiographie des Autors
- Im 20. Jahrhundert in Berlin geboren und gestorben
- Aufzählung seiner wichtigsten Werke
- Verschiedene Berufe wie Clown und Schulhelfer
- Unkonventioneller Schriftsteller (Zitat seiner Kollegen)
- Zwei Literaturpreise

B. Hauptteil
1. Inhaltsangabe a.) Erster Teil
- Ein Tänzer kommt durch alle Straßen
- Ausrufe des Tänzers
b.) Zweiter Teil
- Reaktion der Leute auf den Tänzer
- Ermahnung des Tänzers
- Tod des Tänzers
2. Erzählperspektive
- Personaler Erzähler
- Emotionslose Schreibweise
3. Erwartungen des Lesers
4. Sprachliche und inhaltlich Analyse
- Gebrauch einfacher Alltagssprache
- Weglassung von Details
- Analyse der Wiederholungen
- Verwendung von wörtlicher Rede
- Erzählanteile von Tänzer und Leuten
- Leute sind als Gesamtheit zu sehen
- Einzelanalyse von bestimmten Ausdrücken
5. Interpretation
- Henker als politische Richtung
- Interpretation des Tänzers
- Wahrheit als Meinungsfreiheit
- Tod des Tänzer als Abschaffung der Meinungsfreiheit

C. Schluss

- Bezug auf immer noch existierende Gefahren

Günter Bruno Fuchs: Tod des Tänzers

Aufsatzart: Analyse eines poetischen Textes

In der Parabel „Tod des Tänzers“ von Günter Bruno Fuchs kommt ein anonymer Tänzer auf skurrile Weise ums Leben. Die folgende Analyse mit Interpretationsversuch soll die gerade einmal 20 Zeilen lang Parabel näher beleuchten; zunächst soll jedoch erst einmal der Autor näher vorgestellt werden, der ja nicht den allerhöchsten Stellenwert auf der Berühmtheitsskala deutscher Schriftsteller inne hat. Es ist nämlich anzunehmen, dass die Lebensgeschichte von Günter Bruno Fuchs sehr wohl Einfluss auf seine Werke wie „Zigeunertrommel“(1956), „Nach der Haussuchung“(1957), „Trinkermeditationen“ (1962), „Pennergesang“(1965), „Blätter eines Hofpoeten“ (1967), „Hb. für Einwohner“(1969), „Reiseplan für Westberliner anläßlich einer Reise nach Moskau und zurück“(1973), „Brevier eines Degenschluckers“(1960), Gesammelte Fibelgeschichten und letzte Gedichte (1978) sowie seine beiden berühmtesten Erzählungen „Polizeistunde“(1959), „Wanderbühne“(1976) und drei seiner bekanntesten Romane „Krümelnehmer“(1963), „Bericht eines Bremer Stadtmusikkanten“(1968) und „Der Bahnwärter Sandormir“(1971) Einfluss genommen hat und auch in „Tod des Tänzers“(1978) federführend auf den Schriftsteller eingewirkt hat. Er wurde 1928 in Berlin geboren und verstarb dort mit gerade einmal 49 Jahren. Mit 24 wurde er freier Schriftsteller, bis dahin ging er wohl auch kriegsbedingt sehr verschiedenen Berufen nach, unter anderem war er Clown und Schulhelfer in Ostberlin. Seine zeitgenössischen Kollegen schätzen ihn als einen „Außenseiter des konventionellen Literaturbetriebs“(1) ein, dessen Texte in einer eigenen surrealen und märchenhafter Welt angesiedelt sind. Ein weiterer wichtiger Punkt in seinem Leben dürfte die Kriegsgefangenschaft sein, in die er während des Zweiten Weltkriegs geriet. Er erlangte zwar in der deutschen Gesellschaft nicht die Berühmtheit eines zeitgenössischen Berthold Brecht oder gar eines Wolfgang von Goethe, dennoch wurde der extravagante Schriftsteller mit dem Kunstpreis der Jugend von der Kunsthalle Baden-Baden (1957) und dem Fontane-Preis (1974) geehrt.

Der Text „Der Tod des Tänzers“ lässt sich oberflächlich gesehen in zwei Teile aufspalten. Im ersten Teil wird äußerst nüchtern und knapp beschrieben, wie ein Tänzer, der weder einen Namen hat noch mit einem Adjektiv oder auf irgendeine andere Art und Weise genauer charakterisiert wird, anscheinend grundlos durch alle Straßen kommt und dabei höchst merkwürdige akrobatische Einlagen wie Sprünge über Autos und Kletterpartien an fremder Leute Dachrinnen vollführt. Er verkündet den Leuten, die ihn scheinbar kennen und seinen Kunststücken laut Text keine besondere Beachtung schenken, die Nachricht, dass der Staatshenker wieder im Amt sei. Diese Neuigkeit hat er vermutlich aus der Zeitung, die er schwingenderweise mit sich führt. Er fordert die Leute auf, sich mit ihm zu freuen. Anschließend verkündet er, dass nun jeder wisse, wofür er sich plagt und der Lohn ihm sicher sei. Direkt im Anschluß animiert er die Leute, den Satz „Unser Kopf gehöre dem Henker, dem Mann der altbewährten Ordnung“ nachzusprechen. Hier lässt sich der Text unterteilen, da sich die Erwartungen des Tänzers nicht erfüllen. Es war offensichtlich nicht die Intention des Tänzers, dass die Leute seinem Aufruf folgen und im Chor „Unser Kopf gehöre dem Henker, dem der altbewährten Ordnung“ nachsprechen, obwohl er sie kurz zuvor dazu aufgerufen hatte. Die Leute jedenfalls küssen und liebkosen sich, worauf im Text aber nicht weiter eingegangen wird. Im Anschluß an diese Zärtlichkeiten beginnen sie zu tanzen und der Tänzer läuft ihnen nach und schreit, sie sollen ihn anhören, sie hätten die Sache wörtlich genommen. Die Freiheit würde verkümmern und die Wahrheit verbluten. Entgegen der Forderung des Tänzers jedoch werden die Leute dem Tänzer gegenüber handgreiflich und beschuldigen ihn der Beleidigung des Henkers, der sie von der Freiheit erlöse. Anschließend fahren sie mit Küssen und Liebkosen fort, als ob nichts gewesen wäre und der Tänzer stirbt inmitten ihrer Dankprozession. An dieser Stelle endet die Parabel und lässt den Leser mit seinen Fragen allein. In der Geschichte agiert durchgehend ein personaler Erzähler. Wie in der Einleitung bereits angedeutet, werden während der gesamten Geschichte keinerlei Gefühle oder Charakterbeschreibungen verwendet. Selbst da, wo der Leser weiterführende Erläuterungen zum Geschehen erwartet, bleibt die nüchterne und emotionslose Erzählweise. Insgesamt aber ist die Handlung einfach zu erfassen und für Leser aller Intelligenzgruppen überschaubar. Der Text ist vor allem am Anfang mit auffallend vielen „Er“ durchsetzt, die schon im ersten Satz den Erzähler in der dritten Person erkennen lassen. Die Sprache ist normale und weithin gebräuchliche Alltagssprache, die ausgefallene Wörter und Zusammensetzungen ausschließt. Auch die Sätze sind äußerst einfach gehalten, komplizierte hypotaktische Satzkonstruktionen wird man auch nach wiederholtem Durchlesen nicht finden. Damit steht der Test jedermann offen, logische Antworten auf Fragen zu finden, die der Text in sich birgt, ist hingegen sehr viel denkaufwendiger. Die Überschrift „Tod des Tänzers“ lässt eine spannende Kriminalgeschichte oder einen Detektivroman vermuten, wenngleich hier die Auslassung des Artikel „Der“ vor Tod dem aufmerksamen Leser auffallen wird. Die Lesererwartung hinsichtlich eines Krimis wird jedoch nicht erfüllt. Der Leser wird gleich mit dem ersten Satz „Er kommt durch die Straßen, er schwingt eine Zeitung, er hat sie gelesen, er hüpft über Autos, klettert an Dachrinnen entlang und ruft“ weitgehend verwirrt und überrascht. Es besteht kein Zweifel, dass es bei diesem Text einer umfangreichen sprachlichen Analyse bedarf, um die Intention des Autors zu ermitteln. Der Text ist rein formal im Verbalstil gehalten. Es werden viele dynamische Aktionsverben verwandt, die dem Text eine ganz besondere Note verleihen. Verben wie „kommt“(Zeile 1), „schwingt“(Zeile 2) und „hüpft“(Zeile 2) sind Verben der Aktion. Sie beschreiben den Tänzer in seinen Taten und sind direkt aus der Alltagssprache importiert. Ebenfalls lassen sie vermuten, dass der Text sehr handlungsintensiv ist, was aber nicht der Fall ist. Vielmehr ist der Autor darum bemüht, die Handlung so nüchtern wie nur irgendwie möglich darzustellen. Das soll wohl bewirken, den Fokus des Lesers auf andere Dinge zu lenken und ihn nicht mit zuviel Ausschmückungen und

Nebensächlichkeiten abzulenken. Es kommt weniger darauf an, was der Tänzer für phantastische Kunststücke aufführt, da diese sowieso in einem übertragenen Sinne zu verstehen sind, sondern dem Autor ist es wichtig, dem Leser die Absichten des engagierten Tänzers zu erläutern. Der Tänzer scheint redlich darum bemüht, in der Öffentlichkeit Aufmerksamkeit zu erregen und den Leuten auf eine ganz bestimmte Art etwas Wichtiges mitzuteilen, worauf aber später in der Interpretation noch genauer eingegangen wird. Dieses Ausgrenzen von Dingen, die für die Haupthandlung der Figuren nicht unbedingt notwendig sind, versucht der Autor durch seinen nüchternen Erzählstil zu erreichen. Der Autor arbeitet außerdem sehr viel mit Wiederholungen von Personalpronomen und sogar ganzer Sätze. Bereits im ersten Satz ist diese Auffälligkeit zu beobachten. Der erste Satz stellt eine Satzreihe dar, die aus sehr einfach gestrickten Sätzen besteht. Der Tänzer tritt fast immer als Subjekt des Satzes auf und wird jedesmal durch ein Pronomen ersetzt. Das ist ungewöhnlich, ist es doch ein ungeschriebenes literarisches

Gesetz, in der Einleitung immer die Hauptpersonen kurz vorzustellen und den Leser nicht insoweit im Stich zu lassen, als dass er mit Hilfe der Überschrift und durch Weiterlesen des Textes kombinieren muss, wer mit „Er“ überhaupt gemeint ist. Eine solche Einleitung kann nur bedeuten, dass der Autor voraussetzt, dass jeder den Tänzer bereits kennt. Es ist eine begründete Hoffnung, denn bereits nach dem ersten Komma heißt es „alle Leute erkennen ihn“(Zeile 2), was durch die ausschließliche Verwendung von Pronomen quasi sprachlich noch verstärkt wird. Eine weitere sprachliche Besonderheit ist Verwendung und Umfang von wörtlicher Rede. Sie nimmt annähernd die Hälfte des gesamten Textes ein, was ihr eine ganz besondere Bedeutung zukommen lässt. Es scheint dem Autor sehr wichtig zu sein, dass der Leser sehr genau die Ausrufe des Tänzers studiert, was außerdem noch durch die wortwörtlichen Wiederholungen der wörtlichen Reden verstärkt wird. Der Leser soll sich deren Inhalt gleichsam wie Parolen wörtlich einprägen und durch die zentralen Sätze zu verstärktem Nachdenken angeregt werden. Solch ein Satz ist zum Beispiel „Unser Kopf gehöre dem Henker, dem Mann der altbewährten Ordnung“. Diese Aussage regt allein schon durch ihren Inhalt zum angestrengten Denken an, worauf in der folgenden Interpretation aber noch tiefschürfender eingegangen wird.

Eine weiter sprachliche Besonderheit ist die Beschreibung der Leute. Bis zum Ausruf des Tänzers verhalten sich diese äußerst passiv. Es wird lediglich beiläufig erwähnt, dass sie den Tänzer erkennen. Nach des Tänzers Verkündigung jedoch sammeln sie sich zum Chor und sprechen gemeinsam dem Tänzer nach. Daraus lässt sich eine starke Zusammengehörigkeit der Leute ableiten, die nur im Kollektiv handeln. Es gibt unter ihnen keine Individuen, so wie etwa den Tänzer. Dieser Eindruck wird durch das wiederholte Verwenden des Pronomens „Sie“(Zeilen 8,9,11,12,16,17,18) für die Gesamtheit der Leute noch unterstrichen. Sie sollen sprachlich wie inhaltlich als Masse dargestellt werden, die nur als Ganzes agiert. Auch wird der einzelne Tänzer hinsichtlich der Anzahl der Erwähnungen und des Textanteils mit den Leuten gleichgestellt. Eine mögliche Erklärung hier für könnte sein, dass der Autor beide Seiten als gleichwertig ansieht, das heißt, es soll eine Kräftegleichheit ähnlich wie bei zwei verfeindeten Staaten deutlich gemacht werden. Die Pronomina für beide Seiten sind außerdem meistens an die gleiche Stelle innerhalb eines Satzes gestellt, was deren wichtige Bedeutung und Gleichheit zum Ausdruck bringt. Neben diesen sprachlichen Auffälligkeiten gibt es noch eine weitere, die aber diesmal allein die Leute betrifft. Es ist bestimmt kein normaler Vorgang, wenn Leute auf der Straße plötzlich damit beginnen, sich zu küssen und zu liebkosen. Sie tun es das erste mal, nachdem sie im Chor den Ausruf des Tänzers nachgesprochen haben und ein zweites mal, nachdem sie den Tänzer mit Faustschlägen versehen hatten. Die Verwendung dieser Wörter, um die Leute in ihren Emotionen zu beschreiben, lässt darauf schließen, dass der Autor damit etwas Besonderes ausdrücken wollte. Wahrscheinlich ist, dass der Autor das Verhalten der Leute als ein sehr egoistisches brandmarken wollte. Hierauf wirkt verstärkend die Verwendung des Reflexivpronomens „Sich“(Zeilen 12,19), das einen sehr starke ich oder wir Bezug der Leute sprachlich zum Ausdruck bringt. Die Leute sind sehr mit sich selbst beschäftigt, ohne Zeit für Außenstehende oder klare Gedanken haben zu können. Das wird inhaltlich auch noch dadurch verstärkt, dass die Leute den Satz „Unser Kopf gehöre dem Henker, dem Mann der altbewährten Ordnung“ scheinbar als selbstverständlich ansehen. Sie sprechen ihn ohne zu Zögern nach und freuen sich sogar noch ausgiebig darüber „Sie lächeln, sie küssen und liebkosen sich, sie sind ein Reigen der Zufriedenheit“(Zeile 11,12). Eine weitere sprachliche Besonderheit ist die Verwendung des Wortes „Schrein“(in Zeile 13). Es fällt deshalb auf, weil zuvor lediglich das Wort „Rufen“ zum Ausdruck einer lauten Artikulation verwandt worden war. Hier drückt der Text eine Emotion aus, da das Wort „Schreien“ weithin als ein Wort der Umgangssprache bekannt ist. Durch seinen Gebrauch wird eine gewisse Unbeherrschtheit des Tänzers ausgedrückt. Auch unterstreicht es die Verwunderung und Überraschung, die den Tänzer überkommt. Er ist von der Reaktion der Leute so überrascht und erstaunt, dass er nicht mehr ruft (Zeile 3), sondern eine emotionale Erregung erfährt und zu schreien beginnt. Auch die folgende wörtlich Rede klingt mehr verzweifelt als beherrscht „Hört mich an, ihr habt die Sache wörtlich genommen. Die Freiheit wird verkümmern, die Wahrheit verbluten!“(Zeilen 14, 15). In diesem Satz ist auch gleich eine Metapher auszumachen, nämlich „[...], die Wahrheit verbluten!“(Zeile 15). Auch dieses sprachliche Stilmittel dient der Hervorhebung. Es soll die Wahrheit als etwas Lebendiges dargestellt werden, eine Art Lebewesen, dessen Leben es zu beschützen gilt. Durch das Verbluten stirbt die Wahrheit, genauso wie ein Mensch nach zu hohem Blutverlust stirbt. In einem weiteren Sinn könnte man das Blut als den guten Willen der Menschen sehen, ohne den die Wahrheit nicht existieren kann. Diese These lässt sich aber nicht anhand des vorliegenden Textes belegen. Eine weitere sprachliche

Besonderheit lässt sich ganz am Ende des Textes finden. Hier wird mit geradezu pietätloser Knappheit der Tod des Tänzers beschrieben. Damit wird mit Hilfe der Sprache die Bedeutungslosigkeit dieses Ablebens geschildert. Ebenso bringt der Satz „Sie lächeln wieder, küssen und liebkosen sich, und der Tänzer stirbt inmitten ihrer Dankprozession.“(Zeilen 18, 19, 20) die Gleichgültigkeit der Leute zum Ausdruck. Es scheint banal ausgedrückt, als ob die Menschen der Tod das Tänzers völlig kalt lässt. Auch entsteht hier der Eindruck, als ob das Leben trotz eines Todesfalls inmitten von Leuten einfach weitergeht. Der tote Tänzer verkommt zur Bedeutungslosigkeit und keiner wird sich mehr an seinen Auftritt von vorhin erinnern. Will man noch weiter gehen, so kann man eine Verbindung zwischen „der Tänzer stirbt“(Zeile 19) und „die Wahrheit verbluten herstellen“(Zeile 15). Der Tänzer wird vom Autor als die Wahrheit angesehen, die durch das gewalttätige Vorgehen der Leute stirbt und durch den Tänzer, der durch seine Verkündigung am Anfang auf eine ironische Art und Weise die Wahrheit den Leuten näherbringen wollte, personifiziert wird. Diese These lässt sich aber nicht eindeutig durch Textbeispiele untermauern und ist deshalb nur unter Vorbehalt zu genießen. Eine weiter sprachliche Auffälligkeit lässt sich in den Zeile 16 und 17 ausmachen. „[...] und machen Fäuste aus ihren Händen“ bringt einen raschen Übergang von Gut zu Böse zum Ausdruck. Zuerst hatten die Leute Hände, die sie aber, um den Tänzer in gewisser Weise mundtot zu machen, schnell zu Waffen formten. Auch bringt eine solch Beschreibung die Wankelmütigkeit der Leute zum Ausdruck. Den, dem sie kurz zuvor noch auf seine Aufforderung hin nachgesprochen haben, attackieren sie plötzlich mit Fäusten. Damit rechnet weder der Leser noch der Tänzer, der von der Reaktion der Leute völlig überrascht ist, da er den Leuten ja nur eine warnende Botschaft vermitteln will, von ihnen aber missverstanden wird. Weitergehende sprachliche Besonderheiten sind nicht auszumachen. Bevor man sich jedoch an eine endgültige Interpretation wagt, sollte man vorher einige zentrale Wörter genauer unter die Lupe nehmen. Als erstes wäre da das Wort „Staatshenker“(Zeile 4), das in seiner Grundbedeutung eine Bezeichnung eines Berufes ist, der heutzutage zumindestens in der zivilisierten Welt bis auf wenige Ausnahmen ausgestorben ist, in einer übertragenen Bedeutung aber auch als eine Umschreibung für eine politische Gesinnung gesehen werden könnte. Das lässt sich aus der ungewöhnlichen Zusammensetzung der beiden Wörter ableiten. Eigentlich ist es klar, dass ein Henker immer vom Staat autorisiert sein muss. Deshalb ist die Bezeichnung „Staatshenker“ als eine

Erweiterung anzusehen, die mit dem eigentlichen Beruf des Henkers nichts gemein hat. Das Wort ist als eine Ausdehnung auf eine ganz bestimmte politische Gruppe zu sehen, die man unter Berücksichtigung der Biographie des Autors und seiner politischen Einstellung, die er ja vor der Öffentlichkeit nicht geheim gehalten hat (er war bekennender Pazifist, der jegliche autoritäre Regierungsform ablehnte), unter den Rechten ansiedeln könnte. Berücksichtigt man weiterhin besondere politische Ereignisse zur Zeit, als die Parabel höchstwahrscheinlich verfasst wurde (1960 -1970), so kann man mit begründeter Sicherheit sagen, dass er mit dem Wort „Staatshenker“ die Nationale Partei Deutschland (NPD) umschreibt, die zu dieser Zeit wenige Jahre nach ihrer Gründung ihre ersten politischen Erfolge hatte. Man muss ebenfalls die Kriegserfahrungen des Autors im Hinterkopf haben, durch die er wohl direkt sowie indirekt schlechte Erfahrungen mit einem nationalistischen Regime gemacht hat. Das nächste Wort, das es zu klären gilt, ist „Tänzer“. Hier darf man die Berufserfahrungen des Autors als Clown nicht außer Acht lassen, die ihn wahrscheinlich zur Wahl des Tänzers inspiriert hat. Der Tänzer ist als eine öffentliche Person zu sehen, die man kennt „[...], alle Leute erkennen ihn“(Zeile 1). Diese Person versucht mit allen Mitteln die Aufmerksamkeit aus sich zu lenken „[...], er hüpft über Autos, klettert an Dachrinnen entlang und ruft“(Zeilen 2, 3). Der erste Aufruf ist als eine Art ironische Verkündigung des politischen Erfolgs der NPD zu sehen „O Leute, nun freut euch mit mir, der Staatshenker ist wieder im Amt!“(Zeilen 3, 4). Es gibt noch ein weiteres Zeichen im Text, dass es sich bei dem Staatshenker um eine rechtsgerichtete Partei handelt. „[...], dem Mann der altbewährten Ordnung“(Zeile 8) ist eine sarkastische Anspielung auf die faschistische Regierung des Dritten Reiches. „Altbewährt“ bedeutet hier genau das Gegenteil. Es spielt auf die katastrophalen Folgen dieser Herrschaftsform an, die sich, wie man ja heutzutage aus jedem Geschichtsbuch herauslesen kann, ganz und gar nicht bewährt hat. Auch „Unser Kopf gehöre dem Henker[...]“(Zeilen 7, 8) ist in einem übertragenen Sinn zu verstehen. Es spielt darauf an, dass im Dritten Reich eigenständiges Denken „Kopf“ überhaupt nicht gefragt war. Das Denken wurde einem vom Staat abgenommen „[...]gehöre dem Henker[...]“ oder besser gesagt unter Androhung der Todesstrafe untersagt. Der Autor kritisiert weiterhin, dass die Menschen in Deutschland größtenteils gar nicht eigenständig denken wollen, andernfalls wäre ihnen die Absurdität solcher Ausrufe wie „Du beleidigst den Henker, der uns von der Freiheit erlöst!“ bestimmt aufgefallen. Viele Millionen Menschen würden fast alles für mehr Freiheit und Selbstbestimmung geben, und die Leute in dem Text bejubeln die Institution, die sie von der Freiheit erlöst. Auch bemängelt der Autor die Gleichgültigkeit der Leute, mit der sie die „Wahrheit“ behandeln „[...], die Wahrheit verbluten“ . Mit der „Wahrheit“ könnte man die Meinungs- und Pressefreiheit verbinden, die ja bekanntlich so manche unangenehme Wahrheit über Regierungen und ihre Mitglieder ans Tageslicht gebracht hat. Und eines hat die Geschichte gelehrt, nämlich dass mit einer als Staatshenker personifizierten Rechten in Regierungsverantwortung die Abschaffung der Meinungs- und Pressefreiheit droht. Eine solche Intention des Autors lässt sich zwar nicht 100%tig anhand von Textbeispielen belegen, lässt den Text jedoch als ein harmonisches Ganzes zum Wohle von Freiheit erscheinen. Am Ende der Parabel stirbt dann die einzige Gegenbewegung in Person des Tänzers, der durch Aufklärung „Die Freiheit wird verkümmern, die Wahrheit verbluten!“(Zeilen 14, 15) versucht hat, die naiven Menschen, die eigenständiges Denken ablehnen „Du beleidigst den Henker, der uns von der Freiheit erlöst“(Zeilen 17, 18), durch höchsten Einsatz „[...], er hüpft über Autos, klettert an Dachrinnen entlang [...]“(Zeilen 2, 3) auf den rechten Weg zu geleiten.

Auch im Bezug auf die heutige Zeit ist die Befürchtung des Autor, einer reaktionären politischen Entwicklung in Deutschland durchaus noch berechtigt. Es gibt bis heute politische Gruppierungen, die sich in ihrem Parteiprogramm nur marginal von bestimmten politischen Ansichten vergangener Zeiten unterscheiden „Deutschland darf kein multikultureller Rummelplatz werden“(Forderung eines NPD-Mitglieds, in jüngster Zeit im Bundestagswahlkampf aufgestellt).

Fußnoten:

(1) Brockhaus, Band 8, 1997 Leipzig, 20. Auflage Bibliographie:

Kritisches Lexikon der deutschen Gegenwartsliteratur (Stand: 01.06.1979) Brockhaus, 1997

Walther Killy Literaturlexikon, 1989 München

Ende der Leseprobe aus 9 Seiten

Details

Titel
Günter, Bruno - Tod des Tänzers
Veranstaltung
Deutschunterricht
Note
1-
Autor
Jahr
2000
Seiten
9
Katalognummer
V103858
ISBN (eBook)
9783640022342
Dateigröße
346 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
passt scho!
Schlagworte
Günter Bruno Fuchs Tod des Tänzers
Arbeit zitieren
Stefan Fuhrmann (Autor:in), 2000, Günter, Bruno - Tod des Tänzers, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/103858

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Titel: Günter, Bruno - Tod des Tänzers



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