Demokratisierung von "unten"?


Ausarbeitung, 2001

8 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

„Plebiszitäre Elemente” als individualistische Wende im Demokratisierungsprozess

„Plebiszitäre Elemente” als individualistische Wende im

Demokratisierungsprozess (Forts.)

„Plebiszitäre Elemente” als individualistische Wende im

Demokratisierungsprozess (Forts.)

Wirkungen „plebiszitärer Elemente” in der Bundesrepublik

Wirkungen „plebiszitärer Elemente” in der Bundesrepublik (Forts.)

Wirkungen „plebiszitärer Elemente” in der Bundesrepublik (Forts.)

Internationale Erfahrungen

Resümee: Zunehmende Skepsis gegenüber großen Erwartungen

Literarurangabe:

1. Einleitung

Dieses Referat setzt sich mit dem Thema „Keine Demokratisierung „von unten” auseinander. Desweiteren geht es um die Bedeutung direktdemokratischer Beteiligungsverfahren. Damit sind Verfahren gemeint, bei welchen sich Bürger unmittelbar an politischen Entscheidungen beteiligen und diese auch herbeiführen können.

Im folgenden sollen die unterschiedlichen Meinungen der beiden Verfasser, Hiltrud Naßmacher und Otmar Jung, miteinander verglichen werden. Um einen direkten Vergleich der beiden Autoren zu bieten, werde ich jeden an geeigneter Stelle Jungs Anmerkungen darstellen.

2. „Plebiszitäre Elemente” als individualistische Wende im Demokratisierungsprozess

Viele Menschen erhofften sich durch die Neufassung des Grundgesetzes eine Berücksichtigung direktdemokratischer Instrumente. Jedoch wurden sie enttäuscht, denn die Möglichkeiten sich direkt an Entscheidungsprozessen zu beteiligen wurden nicht realisiert. Mit diesem Beitrag will Naßmacher die bisher gemachten Erfahrungen mit ebensolchen Instrumenten kritisch untersuchen und damit von einem realistischen Standpunkt aus betrachten. Durch die direkte Beteiligung der Bürger sind die Erwartungen, die Demokratie „von unten” zu erneuern, sehr gestiegen.

Bereits Anfang dieses Jahrhunderts war die repräsentative Demokratie vollendet, als das Frauenwahlrecht eingeführt wurde. Auf den Rechtsstaat, der dem Kapitalismus seine Grenzen setzte folgte die Gewaltenteilung. Sie bildet den unmittelbaren Entscheidungsträger in einem Regierungssystem. Daraus begann sich langsam aber stetig der Sozialstaat zu entwickeln. Abgeschlossen wurde diese Entwicklung mit dem freien, gleichen, unmittelbaren und geheimen Wahlrecht.

In der Weimarer Verfassung gab es bereits solche Bestrebungen. Jedoch waren sie ziemlich problematisch. Nach dem Dritten Reich verständigten sich die Verfasser des Grundgesetzes, das dieses nur die repräsentative Seite der Demokratie vorsehen sollte. Auf Länderebene wurden aber diese Rechte der unmittelbaren Mitwirkung berücksichtigt.

Das änderte sich in den sechziger Jahren. Schlagworte wie „Mehr Demokratie wagen” formulierten erste, wenn auch nicht genau definierte Ziele. Sie bezogen sich hauptsächlich auf die Demokratisierung von sozialen Systemen, sofern sie Entscheidungen treffen, die für die Gesellschaft von wesentlicher Bedeutung sind. Damit war auch gemeint, dass eventuelle, von den Bürgern direkt getroffene Entscheidungen als Orientierung für die Politik dienen sollten.

Ein Problem ergab sich bei der Unterscheidung zwischen dem sozialen und dem politischen System. Einerseits wurden Familie, Schule und Universitäten als natürliche Autoritätsverhältnisse angesehen. Diese standen einer Demokratisierung eher nachdenklich gegenüber. Andererseits gab es welche, die diesen Bestrebungen positiv gegenüberstanden. Schließlich gab es eine Einigung über die Ausweitung der Mitbestimmung. Sie galt für Bereiche der Wirtschaft, wie z.B. Banken und war nur unter Wissenschaftlern zu finden.

Nach dieser Zeit starker Bestrebungen unmittelbarer Demokratisierung, kam eine weitere Strömung, die Bürgerinitiativen. Sie versprachen mehr Mitsprachemöglichkeiten für die Bürger. Anfangs wurden erste Erfolge bei der kommunalen Verwaltungs- und Gebietsreform im Zusammenhang mit Änderungen in den Gemeindeordnungen errungen. Inzwischen haben sich die Vorstellung von Mitsprache stark geändert. Waren lange Zeit Bürgeranregungen und Volksinitiativen das Ziel, so ist heute der Bürgerentscheid an deren Stelle getreten. Ein Vorbild dafür bot die Schweiz. Sie besaßen lange Erfahrung mit direkter Demokratie. Die Zielvorstellung ist, daß an Stelle die vom Volk gewählten Vertreter die Bürger die wichtigen Entscheidungen treffen. Damit ist die Tendenz zur partizipativ erweiterten Demokratie zu erkennen.

Grund für diese Forderungen war eine recht starke Kritik an bestehenden Institutionen. Unterstützt wurden diese Bestrebungen durch die Umbruchprozesse in Osteuropa. Es verbreiteten sich sog. Runde Tische. Nur bewährten sie sich nicht recht bei der Bewältigung besonders drängender Probleme, wie Blockaden in Entscheidungsverfahren. Aber man muss auch sagen, dass sie sich bei der Konsenssuche immer weiter verbreiten. Das repräsentative System wurde dadurch noch nicht überwunden, sondern hinsichtlich mehr Mitsprachemöglichkeiten für die Bürger ergänzt. Weil sich nicht alle Vorstellungen erfüllt haben, blieb die Forderung nach einer Legitimierung dieser Mitsprachemöglichkeiten durch Gemeindeordnungen sowie Verfassungen auf Länder- und auf Bundesebene. Beispiele hierfür sind unter anderem Hessen, Bayern und Niedersachsen. In Bayern wurde das Land durch einen Verein gezwungen, den Bürgerentscheid einzuführen, wenn auch nur auf kommunaler Ebene. Der Vorteil besteht darin, dass es keine Mindestanzahl von Stimmen und keine thematische Beschränkung gibt. Im Gegensatz dazu müssen sich z.B. in Niedersachsen mindestens 25% der Stimmberechtigten zustimmen, um einen erfolgreichen Bürgerentscheid zu erreichen.

Kritik:

Nach Jung stimmten die Verfasser der Grundgesetzes nicht dem Grundsatz zu, dass dieses streng repräsentativ sein sollte.

Direktdemokratische Mitwirkungsrechte waren in den einzelnen Landesverfassungen zwar berücksichtigt, jedoch nicht immer in dem selben Umfang. In den britischen Besatzungszonen waren solche Beteiligungsmöglichkeiten der Bürger nicht vorgesehen, im Gegensatz zu den amerikanischen und französischen Besatzungszonen.

Gegenwärtig sehen alle Bundesländer, und nicht nur die Mehrzahl davon, die Möglichkeit des Volksentscheids in Sachfragen vor. Direkte Demokratie ist heute als flächendeckend verbreitet. Das gilt auch für Bürgerentscheide und Bürgerbegehren. Lediglich Hamburg und Berlin bilden hier die einzigen Ausnahmen.

Bei der Erarbeitung der Verfassungen in den neuen Bundsländern sind umfangreiche Einflüsse von Sachverständigen mit einbezogen worden.

3. Wirkungen „plebiszitärer Elemente” in der Bundesrepublik

Da diese direktdemokratischen Beteiligungsmöglichkeiten schon seit einigen Jahrzehnten aus Länder- bzw. Kommunalebene stattfinden und hier auch die meisten Erkenntnisse zu finden sind, hätte man diese bei Verfassungsänderungen der alten und neuen Bundesländer berücksichtigen können. Leider geschah dies nicht ausreichend genug, denn es fehlten Forschungsergebnisse über das Beteiligungsverhalten der Bürger.

Als Orientierung bietet sich jedoch eine von Barnes und Kaase in den siebziger Jahren erstellte Untersuchung. Da zu dieser Zeit eine Welle der Beteiligungsbereitschaft herrschte, konnte mit einer wachsenden Bereitschaft mit bestimmen zu wollen gerechnet werden. Jedoch fielen die Ergebnisse nicht sehr vielversprechend aus. Sie kamen zu dem Schluss, dass die ohnehin schon engagierten Bürger ihre Aktivitäten ausweiteten. Die Beteiligung hängt vor allem von Faktoren wie Schulbildung, Einkommen, sozialer Schicht, der Fragestellung sowie von der persönlichen Betroffenheit ab. Die meisten Mitwirkenden sind männlich und mittleren Alters. Sie stellen auch den größten Teil der Wähler, die an einem solchen Abstimmungsverfahren teilnehmen.

In den achtziger Jahren bestätigten sich die Ergebnisse, obwohl sich ein verstärkter Trend zu einzelnen Aktionen zeigte. Vielleicht auch deshalb, weil die längere Auseinandersetzung mit einem bestimmten Themenbereich zu Unattraktivität der Sache führen kann. Das bedeutet, dass durch die Hinwendung zu Einzelaktionen der Blick auf größere Sachzusammenhänge und langfristige Ziele verlorengeht.

Weil im Allgemeinen die Wahlbeteiligung (zwischen 30 und 40 Prozent) bei solchen Abstimmungen nicht sehr hoch ist, werden sie meistens mit allgemeinen Wahlen verknüpft. Auf kommunaler Ebene ist sie in kleinen Gemeinden am höchsten. In Städten wiederum ist die Beteiligung höher als auf Länderebene. Ursache dafür ist die Größe des von dem Problem betroffenen Personenkreis.

Es gibt verschiedene Möglichkeiten für die Bürger, sich an politischen Entscheidungsprozessen zu beteiligen. Die erste und mildeste Form ist der Bürgerantrag. Er bewirkt lediglich, dass sich der Gemeinderat mit einer gewissen Problematik befassen muss. Leider hat diese Form auch die geringsten Erfolgsaussichten, denn etwa die Hälfte aller Bürgeranträge werden abgelehnt.

Ein wirksameres Element ist das Bürgerbegehren oder der Bürgerentscheid, wie er z.B. in der Verfassung von Baden-Württemberg verankert ist. Ein solches Bürgerbegehren muss jedoch drei schwierige Hürden nehmen, bis es als solches zugelassen ist. Zuerst müssen genügend Stimmberechtigte das Bürgerbegehren unterstützen. Die Bedingungen sind unterschiedlich, pendeln aber zwischen 20 und 30 Prozent. In Bayern gibt es eine solche Bedingung nicht. Ferner sind einige Themenbereiche ausgeschlossen, über die kein Bürgerbegehren stattfinden darf z.B. Haushaltsfragen. Schließlich muss dieses vom Gemeinderat zugelassen werden. Erst dann kann es zu Abstimmung kommen.

Wenn man die Entwicklung langfristig betrachtet, so wird das Bürgerbegehren seit den siebziger Jahren in besonderem Umfang genutzt. Nach einer Flaute, bedingt durch Misserfolge, stieg die Nutzung in den achtziger Jahren wieder an. Inzwischen spielt die Zahl die Ablehnungen eine unwesentliche Rolle. Beim Vergleich aller Bürgerbegehren kann man feststellen, dass die meisten Themen der Gebietsreform und Investitionsfragen waren.

Je nach Größe der Gemeinden gibt es Unterschiede in den Themen, die zur Abstimmung kommen. Dominieren in den größeren Städten Fragen zu Verkehrsund Bauangelegenheiten, so sind es bei Verbandsgemeinden Fragen, die sich mit Schule und sozialen Themen beschäftigen.

Am häufigsten wird dieses Instrument von Oppositionsgruppen genutzt. Sie verfügen einen erheblichen Einfluss auf die Bürger und über die nötige Erfahrung. Andererseits sind es auch enttäuschte Parteimitglieder und andere Organisationen, die diese Möglichkeit der Mitbestimmung nutzen. In der Regel sind sie dann auch erfolgreich. Manchmal besteht sogar die Möglichkeit bei Wahlen Mandate zu erringen. Als scheinbar positive Entwicklung der „Demokratie von unten” wir das St.-Florians-Prinzip gesehen.

Abschließend zeigt sich folgendes Bild. Mit der Zeit ändern sich die Schwerpunkte, mit denen sich Bürgerbegehren und ähnliche Verfahren beschäftigen. Waren es in den siebziger Jahren noch Probleme, die mit der Verwaltungs- und Gebietsreform zusammenhingen, so waren es später in den achtziger Jahren solche, die sich auf Umweltschutz- und Investitionsmaßnahmen beziehen.

Kritik:

Dass unzureichende Abstimmungsforschung Ursache für den Mangel an Erkenntnissen über das Verhalten der Bürger bei solchen Abstimmungen ist, trifft im Kern zu. Jedoch genügt es nicht, Ergebnisse der allgemeinen Beteiligungsforschung heranzuziehen.

4. Internationale Erfahrungen

Die in Deutschland gewonnenen Erfahrungen mit Verfahren der direktdemokratischen Beteiligung unterscheiden sich nicht wesentlich von denen in anderen europäischen Ländern, obwohl völlig andere Traditionen oder Beweggründe zur Einrichtung solcher Verfahren geführt haben. Im internationalen Vergleich lassen sich zwei gegensätzliche Beispiele ausmachen. Zum einen ist es das streng repräsentativ ausgelegte Großbritannien. Hier finden lediglich Abstimmungen über wesentliche Außenpolitische Entscheidungen, wie den Beitritt zur Europäischen Union statt. Das zweite Beispiel ist die Schweiz, wo direktdemokratische Abstimmungen fast an der Tagesordnung sind. Zwischen diesen beiden Polen liegen die restlichen Länder Europas. Eine besondere Rolle spielt Italien, wo sogar Volksabstimmungen über Gesetze und Gesetzesvorschläge, wie das Scheidungs- und Abtreibungsgesetz stattfinden. Im Gegensatz zur Schweiz wurden hier forschrittliche Entscheidungen herbeigeführt. Nicht wie in der Schweiz, wo Abstimmungen dieser Art eine Verschleppung von Reformen verursachte.

Eine zu häufige Nutzung kann aber wieder den „Wert” einer repräsentativen Politikinstitution bewusst werden lassen.

5. Resümee: Zunehmende Skepsis gegenüber großen Erwartungen

Die Auswirkungen sind bislang nur ansatzweise zuerkennen. Sie müssen deshalb weiter beobachtet und aufgearbeitet werden. Alle gewonnenen Erkenntnisse warnen vor übertriebenen Erwartungen, die an diese direktdemokratischen Mitbestimmungsverfahren gerichtet werden. Einige Probleme, die kaum beachtet wurden sind:

- Bei zu großer Häufigkeit dieser Abstimmungen kann die Beteiligung weiter absinken.
- Das Interesse verlagert sich auf einzelne, überbewertete Probleme. Dadurch geht der Blick auf langfristige Ziele verloren.
- Organisationen müssen sich deshalb mit weniger Personal um immer mehr Einzelprobleme kümmern.
- Trend zur Elitendemokratie, da nur beteiligungsbereite Bürger ihre Chance zu Mitbestimmung nutzen.
- Das freigesetzte Potential der Mitbestimmung sollte besser innerhalb von Parteien und Verbänden als für Einzelentscheidungen genutzt werden.

Kritik:

Als Beleg verwendet Naßmacher eine finfzehn Jahre alte Untersuchung und einen neun Jahre alten Aufsatz. Da sich besonders in den letzten Jahren einiges geändert hat, ist dieser Beweis nicht genügend.

Ende der Leseprobe aus 8 Seiten

Details

Titel
Demokratisierung von "unten"?
Hochschule
Pädagogische Hochschule in Schwäbisch Gmünd
Autor
Jahr
2001
Seiten
8
Katalognummer
V104211
ISBN (eBook)
9783640025671
Dateigröße
337 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Demokratisierung
Arbeit zitieren
Martin Rommel (Autor:in), 2001, Demokratisierung von "unten"?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/104211

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