Das Einsatzpotential von Virtual Reality für Reisebüros vor dem Hintergrund einer Branchenstrukturanalyse


Bachelorarbeit, 2017

68 Seiten, Note: 1,9

Anonym


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung
1.1 Ausgangssituation
1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

2. Tourismus und Tourismusvertrieb
2.1 Definition Tourismus
2.2 Tourismuswirtschaft im engeren Sinne
2.3 Touristische Vertriebssystem
2.3.1 Vertriebskanäle
2.3.2 Multi-Akteur-Vertrieb
2.4 Struktur des Reisemittlermarktes
2.5 Nutzung des Reisebüros durch Reiseinteressenten

3. Virtual Reality
3.1 Definition und Wesen von Virtual Reality
3.2 Technische Aspekte
3.2.1 High-End-VR
3.2.2 Mobile-VR und Low-End-VR
3.3 Zukünftige Entwicklung von VR

4. Branchenstrukturanalyse eines Reisebüros
4.1 Bedrohung durch potentielle neue Konkurrenten
4.2 Verhandlungsmacht der Kunden
4.3 Bedrohung durch Ersatzdienste
4.4 Verhandlungsstärke der Lieferanten
4.5 Rivalität der Wettbewerber in der Reisebürobranche
4.6 Zwischenfazit

5. Einsatzpotenzial von Virtual Reality im Reisebüro
5.1 Aktuelle Situation: Reisebüros mit VR-Einsatz
5.2 Wirkungsbezogene Nutzung von VR
5.2.1 Emotionsbezogene Nutzung von VR
5.2.2 Unsicherheitsreduzierende Nutzung von VR
5.3 Praktische Umsetzung von VR in der Beratungsleistung
5.4 Einsatz von VR als Differenzierungsstrategie
5.4.1 Vorteil der Differenzierung mittels VR
5.4.2 Nachteil der Differenzierung mittels VR
5.4.3 Veränderung der Branchenattraktivität durch den Einsatz von VR
5.5 Erstellung einer SWOT-Analyse
5.5.1 Stärken des VR Einsatzes
5.5.2 Schwächen des VR Einsatzes
5.5.3 Chancen des VR-Einsatzes
5.5.4 Risiken des VR-Einsatzes

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Umsatzentwicklung vorab Reisen 2016 (59,8 Mrd. Euro)

Abbildung 2: Struktur des Reisemittlermarktes 2016

Abbildung 3: Prognose zum Umsatz mit Virtual Reality in Deutschland von 2016 bis 2020

Abbildung 4: Gartner's Hype Cycle 2016

Abbildung 5: Fünf-Kräfte-Modell nach Porter

Abbildung 6: Zusammenfassung der Konkurrenten für Reisebüros

Abbildung 7: Veränderung der Branchenattraktivität durch den Einsatz von VR

Abkürzungsverzeichnis

E-Commerce - Electronic Commerce

DMO - Destination Management Organization

HMD - Head Mounted Display

M-Commerce - Mobile Commerce

OTA - Online Travel Agency

NTO - Non-Traditional Outlet

VR - Virtual Reality

1. Einleitung

1.1 Ausgangssituation

Das Entdecken eines fremden Ortes mit seiner faszinierenden Fauna und Flora, unbekannte exotische Speisen und Getränke, das Kennenlernen traditioneller Kulturen und Bräuchen - kurz: das Reisen ist ein wichtiges Bedürfnis für Menschen weltweit. Besonders deutsche Bürger verreisen gerne und haben im Jahr 2016 rund 72 Milliarden Euro für Auslandsreisen ausgegeben (DRV, 2017a, S. 32). Der Tourismus hat sich somit in den letzten 50 Jahren zu einem der weltweit bedeutendsten Branchen entwickelt und gewinnt immer mehr an wirtschaftlicher und volkswirtschaftlicher Bedeutung. Gleichzeitig befindet sich die Tourismusbranche in einer umfassenden Umstrukturierung, ausgelöst durch eine Neugestaltung der Wettbewerbsbedingungen. Dieser fundamentale Strukturwandel ist gekennzeichnet durch ein verändertes Verbraucherverhalten. Der heutige Kunde ist anspruchsvoller und in seinen Bedürfnissen und Verhaltensweisen vielseitiger geworden. Maßgeblich beeinflusst wird der Wandel von der fortschreitenden Digitalisierung insbesondere dem kommerziellen Internet und den sich daraus eröffnenden Vertriebsmöglichkeiten. Längst gibt es nicht mehr nur einen Vertriebskanal - der Reisemarkt hat sich im Laufe der Zeit zu einem komplexen Gebilde entwickelt. Verschiedene Vertriebsformen, offline sowie online, direkt und indirekt, horizontale und vertikale Integrationen und Konzentrationsprozesse bestimmen den heutigen Reisemarkt. Von dieser Entwicklung sind besonders stationäre Reisebüros betroffen, die seit den 1990er Jahren einen Rückgang in ihren Vertriebstellen zu verzeichnen haben. Im Zustand des permanenten Wandels müssen Reisebüros lernen, mit den veränderten Spielregeln in der Branche umzugehen und sich neu im Markt positionieren. Langfristig wird ein Reisebüro nur dann lebensfähig sein, wenn es anpassungsfähig genug ist und auf die Veränderungen rechtzeitig reagiert. Mit dem steigenden Veränderungsdruck stehen Reisebüros vor der Herausforderung ihre Dienstleistung innovativer zu gestalten und gleichzeitig die Qualitätserwartungen der Kunden besser zu erfüllen.

Die traditionelle Tourismusbranche ist durch ihre Informations-Intensität ausgezeichnet, welches durch den Dienstleistungscharakter - insbesondere die Immaterialität der touristischen Leistungen verursacht wird. Zwischen dem Anbieter einer touristischen Leistung und dem Nachfrager besteht eine Informationsasymmetrie hinsichtlich des Wissens über die Qualität des Reiseprodukts. Mittels klassischer Medien wie Reisekataloge und einer umfassenden Beratung durch den Reiseexpedienten versuchen Reisebüros dem Kunden eine bessere Informationsversorgung über touristische Leistungen bereitzustellen. Immer mehr Reisebüros setzen dabei die innovative Technik der virtuellen Realität (engl. „Virtual Reality“) ein. Computerbasierte dreidimensionale Darstellungen (Virtual Reality) werden im technischen und naturwissenschaftlichen Kontext bereits seit Anfang der neunziger Jahre genutzt, um komplexe Sachverhalte und Informationen zu kommunizieren.

Angesichts der Informationsintensität des Tourismusgeschäfts stellt sich die Frage, ob die Qualitäten von Virtual Reality im Reisebüro genutzt werden können, um vor dem Hintergrund der Strukturveränderung Wettbewerbsvorteile zu schaffen

1.2 Zielsetzung und Aufbau der Arbeit

Ziel dieser Arbeit ist das Einsatzpotenzial von VR im Reisebüro vor dem Hintergrund einer Branchenstrukturanalyse zu untersuchen. Die Branchenstrukturanalyse soll die aktuellen Strukturveränderungen in der Reisebürobranche als auch die Spielregeln der Branche ermitteln. Anschließend wird basierend aus den gewonnenen Erkenntnissen der Branchenstrukturanalyse untersucht, ob und inwiefern der stationäre Vertrieb mit der Nutzung von VR auf den Änderungsdruck reagieren kann und sich damit langfristig Wettbewerbsvorteile sichert. Daraus ergeben sich zwei grundlegende Forschungsfragen für die Arbeit:

1) Welche Veränderungen und Spielregeln ergeben sich aus der Branchenstrukturanalyse für ein Reisebüro?
2) Auf Grundlage der Branchenveränderung, ist der Einsatz von VR im Reisebüro sinnvoll, um eine langfristige Überlebensfähigkeit der Reisebüros zu sichern?

Das erste Kapitel versteht sich als Einführung in die Thematik und gibt einen Überblick über die Ausgangssituation, die Zielsetzung sowie den Aufbau der Arbeit.

Im zweiten Kapitel werden die theoretischen Grundlagen auf Basis einer Literatur- und Internetrecherche behandelt. Zuerst wird der zentrale Begriff des Tourismus definiert und die Tourismuswirtschaft im engeren Sinne erläutert. Es erfolgt eine Vorstellung des touristischen Vertriebssystems mit seinen unterschiedlichen Vertriebskanälen, welche ausschlaggebend für das Verstehen der Strukturveränderungen in der Reisebürobranche sind. Daraufhin wird auf die Struktur des Reisemittlermarktes und die Nutzung des Reisebüros durch Reiseinteressenten eingegangen.

Im folgenden dritten Kapitel wird der theoretische Schwerpunkt von VR erörtert. Zunächst wird der Begriff von VR definiert und die Qualitäten von VR beschrieben. Daraufhin wird die technische Umsetzung von VR behandelt. Anschließend wird die zukünftige Entwicklung von VR prognostiziert.

Im vierten Kapitel erfolgt die Branchenstrukturanalyse für ein Reisebüro auf Grundlage des 5-Forces Modell von Porter. Mit der Ermittlung des Zusammenspiels der fünf Wettbewerbskräfte - Bedrohung durch neue Konkurrenten, Verhandlungsmacht der Kunden, Bedrohung durch Ersatzdienste, Verhandlungsmacht der Lieferanten und die Rivalität unter den bestehenden Wettbewerber - können die strukturellen Merkmale der Branche identifiziert werden, welche die Wettbewerbsintensität und die Attraktivität der Branche bestimmen.

Das fünfte Kapitel übernimmt die Untersuchung des Einsatzpotenziales von VR im Reisebüro. Zunächst erfolgt die Analyse der wirkungsbezogenen Nutzung von VR auf den Reiseinteressenten, wodurch die Beratungsleistung im Reisebüro verbessert werden könnte. Ferner wird die praktische Umsetzung von VR im Reisebüro dargestellt. Mit den gewonnenen Erkenntnissen aus der Branchenstrukturanalyse wird überprüft, ob sich die Branchenattraktivität durch die Nutzung von VR als Differenzierungsstrategie zu Gunsten des Reisebüros verändert hat und somit eine langfristige Überlebensfähigkeit ermöglicht. Eine SWOT-Analyse fasst die Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken des VR- Einsatzes als eine Wettbewerbsstrategie für ein Reisebüro zusammen.

Das sechste Kapitel gibt ein abschließendes Fazit und einen Ausblick über mögliche Handlungsempfehlungen für ein Reisebüro vor dem Hintergrund der Branchenstrukturanalyse.

2. Tourismus und Tourismusvertrieb

2.1. Definition Tourismus

Der Tourismus ist ein stark fragmentierter Markt, der eine Vielzahl von Sektoren, Gruppen und Organisationen involviert. Bis heute ist in der Literatur keine allgemein akzeptierte Definition aufzufinden. Der am weitesten verbreitete Definitionsansatz für den Begriff des Tourismus liefert die Weltorganisation für Tourismus (UNTWO). Demnach umfasst der Tourismus “[...] die Aktivitäten von Personen, die an Orte außerhalb ihrer gewohnten Umgebung reisen und sich dort zu Freizeit-, Geschäfts- oder bestimmten anderen Zwecken nicht länger als ein Jahr ohne Unterbrechung aufhalten” (UNTWO, 1993, zitiert nach Freyer, 2015, S. 2). Ähnlich wird in einem weiten Begriffsverständnis von Freyer das Phänomen des Tourismus als „alle Erscheinungen, die mit dem Verlassen des gewöhnlichen Aufenthaltsorts und dem Aufenthalt an einem anderen Ort verbunden sind“ beschrieben (Freyer, 2015, S. 5). In einer konkreten Definierung beschreibt Kaspar den Tourismus als die „Gesamtheit der Beziehungen und Erscheinungen, die sich aus der Reise und dem Aufenthalt von Personen ergebe, für die der Aufenthaltsort weder hauptsächlicher noch dauernder Wohn- oder Arbeitsort ist“ (Kaspar, 1998, S. 17). Das kontinuierlich wiederkehrende Element in vielen Begriffserklärungen des Tourismus umfasst den Ortswechsel, also der Aufenthalt an einem „fremden“ Ort, welches durch verschiedene Transportmittel ermöglicht wird. Der Reisende wird dabei nach Stunden, Tagen, Wochen oder Monaten zu seinem normalen Aufenthaltsort zurückkehren, welches die vorübergehende Reisedauer beschreibt.

2.2 Tourismuswirtschaft im engeren Sinne

Im weiteren Gang der Untersuchungen ist eine Vorstellung der Anbieterseite im Tourismusmarkt relevant. Es wird hierbei eine Segmentierung der touristischen Akteure anhand der Definition der Tourismuswirtschaft im engeren Sinne nach

Freyer (2015) vorgenommen. Dazu gehören alle Betriebe, die zur Erstellung des touristischen Gesamtproduktes beteiligt sind (Freyer, 2015, S. 160) Im Folgenden werden die einzelnen touristischen Akteure im engeren Sinne vorgestellt:

- Die Leistungsträger stehen an erster Stelle des Erstellungsprozesses von touristischen Produkten, indem sie als Produzenten von touristischen Einzelleistungen agieren. Dazu zählen vor allem Transportunternehmen wie Fluggesellschaften deren Produkt die Beförderungsleistung ist und Beherbergungsbetriebe wie Hotels mit dem Produkt der Beherbergungsleistung.
- Die Aufgabe des Reiseveranstalters besteht in der Kombination von touristischen Einzelleistungen verschiedener Leistungsträger zur Erstellung eines einheitlichen Leistungspaketes, welches zu einem Gesamtpreis angeboten wird. Ein typisches Leistungsbündel beinhaltet eine Transport- und Unterkunftsleistung. Man spricht hierbei von einer Vollpauschalreise (Heine, 1998, S. 618).
- Die Reisemittler werden als Einzelhändler des Reisegewerbes bezeichnet und nehmen eine Vermittlung - und Distributionsfunktion von touristischen Leistungen ein, die von den Leistungsträgern und den Reiseveranstaltern produziert werden. Ein klassisches Beispiel ist das Reisebüro.
- Die touristischen Destinationen nehmen eine Sondereinstellung ein, da sie zu einem den „Produzenten“ zugeordnet werden und zum anderen eine Vermittlungsposition einnehmen (Freyer, 2015, S. 318). Sie bestehen aus geografischen, landschaftlichen, soziokulturellen oder organisatorischen Einheiten und stellen das „räumliche“ Ziel für die Reisenden dar. Oft wird eine Destination durch eine sogenannte DMO

(Destinationsmanagementorganisation) privatrechtlich oder öffentlich­rechtlich vertreten und verwaltet.

Die vorgestellten touristischen Akteure sind für die Erstellung des touristischen Gesamtproduktes verantwortlich. Die Nachfrage nach dem touristischen Gesamtprodukt differenziert sich in den Geschäftsreisemarkt und dem Privat - und Urlaubsreisemarkt (Sülberg, 1998, S. 587). Gegenstand dieser Arbeit wird jedoch nur der Privat -und Urlaubsreisemarkt sein.

Das touristische Produkt ist dabei durch seinen besonderen Dienstleistungscharakter gekennzeichnet. Dieser zeigt sich in der Immaterialität des touristischen Produktes, da das von dem Kunden erwünschte Reiseprodukt nicht angeschaut bzw. vorab erlebt werden kann und es sich hierbei nur um ein reines Versprechen über die potenzielle Leistungsfähigkeit des Produktes handelt (Freyer, 2015, S. 158). Des Weiteren erfolgt die Erstellung und Nutzung des touristischen Produktes gleichzeitig, sodass der Kunde die Leistungsfähigkeit des Produktes erst mit dem Zeitpunkt der Nutzung überprüfen kann. Die ist damit verbunden, dass der Kunde an dem Ort der Dienstleistungserstellung präsent sein muss (Pompl, Möller, & Schuckert, 2008, S. 5). In der Folge der Ungewissheit entsteht aus der Sicht der Reisekunden eine Informationsasymmetrie, welches sich mit Unsicherheit und einem Risikoempfinden auf die Reiseentscheidung auswirkt. Um den Kunden mehr Sicherheit bei der Reiseentscheidung bieten zu können, wird die Erfüllung des Informationsbedarfs eine wichtige Herausforderung für die touristischen Akteure darstellen (Egger, 2005, S. 65).

2.3 Touristische Vertriebssystem

Das klassische Vertriebssystem im Tourismus hat sich durch den Strukturwandel und den anspruchsvolleren Kundenbedürfnissen stark verändert und beeinflusst sämtliche Vertriebswege - insbesondere das stationäre Reisebüro. Für die Branchenstrukturanalyse des Reisebüromarktes ist das Verständnis des touristischen Vertriebssystems ein essentieller Schritt.

Laut Kull (2015) besteht ein Vertriebssystem “aus einer mehrstufigen Wertkette von Vertriebsakteuren, die über verschiedene Vertriebskanäle für die Bündelung und Übermittlung von Leistungen, Informationen und Werten sorgen” (Kull, 2015, S. 501). Eine Besonderheit des touristischen Vertriebes ist die Tatsache, dass die akquisitorische Funktion eine weitaus höhere Bedeutung als die physikalische Verteilungsfunktion einnimmt. Während die klassische Distribution die Aufgabe der „Raum-und Zeitüberbrückungsfunktion durch Transport und Lagerung, Auftragsabwicklung und Auslieferung“ übernimmt, beschränkt sich der Tourismusvertrieb auf den Handel mit den Dienstleistungsprodukten, welches auf die besonderen Merkmale des touristischen Produktes zurückzuführen ist (Meffert; Burmann; Kirchgeorg, 2012, S. 544).

Generell ist zwischen den „Reinformen“ direkter Eigenvertrieb und indirekter Fremdvertrieb zu unterscheiden (Freyer, 2011, S. 528).

Der Direktvertrieb ist der unmittelbare Verkauf der touristischen Leistungen vom Leistungsträger oder Veranstalter an den Kunden, sodass der Reisevermittlungsdienst durch einen Reisemittler entfällt. Der Leistungsanbieter übernimmt somit die gleichzeitige Rolle als Produzent als auch als Mittler (Berg, 2012, S. 169). Als typische Gestaltungsformen des direkten Vertriebs zeigen sich der persönliche Verkauf durch das Call Center oder die schriftliche Buchungsannahme per Email oder Posteingang. Zudem wird der Verkauf über das Internet und das Fernsehen immer bedeutungsvoller, da heutzutage viele Reisende ihre Reise online buchen (Mundt, 2011, S. 51).

Der indirekte Vertrieb bezeichnet den Absatz der touristischen Leistung über eine Vermittlung zwischen Produzent und Kunde durch die Einschaltung eines Reisemittlers (Regele & Schmücker, 1998, S. 411). Im touristischen Vertrieb wird diese Aufgabe üblicherweise von den Reisebüros wahrgenommen. Es können aber auch branchenfremde Betriebe, wie Banken und Warenhäuser als Reisemittler tätig sein (Freyer, 2011, S. 530). Zusätzlich ist bei dem indirekten Vertrieb zwischen Eigen- und Fremdvertrieb zu unterscheiden (Freyer, 2015, S. 290):

- Eigenvertrieb: Beim Eigenvertrieb handelt der Reisemittler im Namen des Produzenten als unselbständiges Eigenorgan, diese werden auch als Filiale bezeichnet (Freyer, 2011, S. 530). Bei den deutschen Reiseveranstaltern erfolgte der Vertrieb über eigene Reisemittler im Jahr 2015 mit ca. 20 bis 30 Prozent (Freyer, 2015, S. 290). Beispielsweise handelt es sich bei den Filialen von dem Reisekonzern Thomas Cook um veranstaltereigene Buchungsbüros.
- Fremdvertrieb: Ein Fremdvertrieb zeichnet sich durch seine rechtliche Selbständigkeit aus. Diese Vertriebsart hat für die Reiseveranstalter eine große Bedeutung, denn der Anteil des Vertriebs über fremde Reisebüros liegt bei 75 Prozent. In einem Agenturvertrag zwischen dem Produzenten und dem Reisemittler werden die Mindestumsätze und die Provisionsregelungen festgelegt (Freyer, 2011, S.290).

2.3.1 Vertriebskanäle

Ein Vertriebskanal ist grundsätzlich durch einen Kanal mit mehreren Kontaktpunkten gekennzeichnet. Nachfolgend werden die einzelnen Vertriebskanäle kurz beschrieben.

Offline-Vertriebskanäle

Die Offline-Vertriebskanäle lassen sich nach vier Kontakt-Prinzipien systematisieren. Ein klassischer Offline-Vertriebskanal ist dadurch gekennzeichnet, dass für seine Funktionalität ein technologisches Netzsystem nicht benötigt wird (Kull, 2015, S.503).

1. Residenz-Kanal: Charakteristisch für diesen Kanal ist der feste Standort des Anbieters, wie zum Beispiel ein stationäres Reisebüro. Dieser Vertriebskanal ist besonders für beratungs-intensive Kundengespräche und zum Vertrauensaufbau geeignet. Hohe Fixkosten und die Abhängigkeit vom Standort und dem Personal wirken sich auf den Erfolg eines Residenz-Kanals aus (Kull, 2015, S. 503).
2. Domizil-Kanal: Der Domizil-Kanal beschreibt den Vertrieb, indem ein Außendienstmitarbeiter den Kunden zuhause in dessen Domizil besucht und als sein persönlicher Reiseberater agiert. Für die Anbieter bedeutet dies, dass hohe Reise- und Personalkosten entstehen. Die Rentabilität dieses Vertriebskanals begründet sich damit, dass sich die Reisewünsche der Kunden sich meistens in einem höheren Preissegment bewegen, wie zum Beispiel Luxusreisen (Kull, 2015, S. 503).
3. Treff-Kanal: Wenn sich Anbieter und Kunde an einem dritten Ort Zusammentreffen, wie zum Beispiel der Internationalen Tourismus Börse (ITB) in Berlin, wird von einem Treff-Kanal gesprochen. Es stellt sich die Frage, ob der Treff-Kanal eine attraktive Beratungs- und Verkaufsstelle für potenzielle Kunden darstellt, da solche Treffen meist durch kurze Gespräche und starke terminliche Regelungen gekennzeichnet sind, wodurch nicht auf die Bedürfnisse der Kunden eingegangen werden kann (Kull, 2015, S. 503).
4. Katalog-Kanal: Im Gegensatz zu den bereits beschriebenen Offline- Vertriebskanälen, verläuft der Katalog-Kanal ohne den persönlichen Kontakt zwischen dem Anbieter und dem Kunden an einem Ort. Über den postalischen Versand erhält der Kunde einen Katalog mit einer entsprechenden Bestellkarte des Anbieters. Als Vorteil anzusehen, ist die nicht ortsabhängige Möglichkeit der Bestellung und die zeitliche Flexibilität des Kunden, wobei er andererseits auf eine professionelle Beratung und auf individuelle Anpassungen verzichten muss (Kull, 2015, S. 503).

Online-Vertriebskanäle

Das Distanzprinzip, welches den direkten und persönlichen Kontakt zwischen den Vertriebspartnern an einem Ort ausschließt, ist charakteristisch für die Funktionalität der folgenden Online-Kanäle (Kull, 2015, S. 504).

1. E-Commerce: Als E-Commerce werden alle Formen der elektronischen Geschäftsabwicklung über öffentliche oder private Computernetze bezeichnet (Breyer-Mayländer, 2010, S. 338). Dabei ist das Internet nicht nur ein Vertriebskanal, sondern übernimmt zusätzlich eine Informations-, Kommunikations- und Distributionsfunktion. Die zunehmende Präsenz von touristischen Unternehmen im Internet und der Online-Vertrieb ihrer Güter und Dienstleistungen, hat zu Veränderungen innerhalb der touristischen Wertschöpfungskette geführt. Insbesondere Online Travel Agencies (OTA) haben dazu geführt, dass der Vertrieb immer mehr zum Online-Markt ausgelagert wird. Neben den hohen Kostenersparnissen zeichnet sich der E-Commerce durch seine Permanenz aus, das heißt, dass der Kunde rund um die Uhr einen Zugang zum Internet hat (Wiesner, 2016, S. 548). Allerdings bemängeln viele Kunden die fehlende persönliche und individuell zugeschnittene Beratung (Kull, 2015, S. 504).
2. M-Commerce: Mobile Commerce bezeichnet alle Formen des elektronischen Handels unter der Verwendung mobiler Endgeräte, welches auch im Tourismus immer mehr an Bedeutung gewinnen wird (Kull, 2015, S. 504) Laut der Allensbacher Markt-und Werbeträgeranalyse 2015 verzeichnet die mobile Internetnutzung für vergangene Jahre einen starken Anstieg. Demnach gingen 2015 rund 45 Prozent der Deutschen mit einem Smartphone oder sonstigem internetfähigen Handy ins Netz, während dieser Wert im Jahr 2014 nur bei 30 Prozent lag (Institut für Demoskopie Allensbach, 2015, S.2). Der Vorteil dieses Vertriebskanals ist der mobile, kurzfristige Zugang zum Internet. Insbesondere die Möglichkeit der Lokalisierung, das heißt der Zugriff auf ortsbezogenen Zusatzinformationen und -angeboten (“Location-based Services”) und die Verbindung mit dem “Always in Touch” - Verhalten der Smartphone- Nutzer macht diesen Vertriebskanal attraktiv. Diese Variante ist besonders bei dem Kauf von Tickets (Bahn, Eintritt etc.) geeignet. Bei beratungsintensiven Angeboten wie Pauschalreisen findet der M­Commerce weniger Anwendung.
3. C-Commerce: Die Abwicklung von Verkaufs- oder Bestellanfragen über ein Call Center wird als C-Commerce bezeichnet. Eine Beratung über ein professionell geführtes Call-Center bietet dem Kunden vor allem Bequemlichkeit (Kull, 2015, S. 504).
4. T-Commerce: Das Fernsehen als Vertriebskanal wird als T-Commerce bezeichnet. Für die Kunden bietet das Fernsehen eine attraktive und visuelle Darstellung des Produktes “Reisen”. Allerdings ist aufgrund der hohen Produktions- und Vertriebskosten dieses Mediums in Deutschland mit Sonnenklar TV nur noch ein großer Player im “Travel-TV” aktiv (Freyer, 2015, S. 291).

2.3.2 Multi-Akteur-Vertrieb

In der Realität vertreten die touristischen Unternehmen eine Multi-Channel­Strategie, indem gleichzeitig bzw. parallel die verschiedenen Vertriebskanäle genutzt werden. Der Grundgedanke ist dabei, dass die Kunden über verschiedene Kanäle angesprochen werden und unterschiedliche Kundengruppen erreicht werden. Ein Risiko in dieser Strategie besteht darin, dass Kanalkonflikte entstehen können und ein hoher Koordinationsaufwand erforderlich ist (Freyer, 2011, S 523 f.). Abbildung (1) stellt die Verteilung der Umsatzentwicklung für vorab gebuchte Reisen im Jahr 2016 mit einem Gesamtumsatz von 59,8 Mrd. Euro dar. Erkennbar ist, dass die Reiseveranstalter und Leistungsträger im Direktvertrieb sowohl online als auch offline vertreten sind.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Umsatzentwicklung vorab Reisen 2016 (59,8 Mrd. Euro)

Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an DRV, 2017a, S. 10

Für die Reiseveranstalter ist das stationäre Reisebüro mit einem Anteil von 26% am Gesamtumsatz immer noch die wichtigste Vertriebsstelle. Aus der dargestellten Verteilung der Online- und Offlinebuchungen lässt sich erkennen, dass deutsche Reisende noch bevorzugt ihre Reise offline buchen (61 Prozent des Gesamtumsatzes). Obwohl das stationäre Reisebüro noch die wichtigste Buchungsstelle der Haupturlaubsreise darstellt, gewinnt die Online-Buchung (39 Prozent des Gesamtumsatzes) insbesondere die Buchung über OTA stark an Bedeutung.

2.4 Struktur des Reisemittlermarktes

Wie bereits erwähnt werden die von der Tourismusbranche erzeugten Reiseleistungen entweder direkt oder in klassischerweise indirekt durch einen Zwischenhändler vertrieben. Die in der deutschen Tourismusbranche am weit verbreiteten Zwischenhändler sind stationäre Reisebüros. Die Kernfunktion des Reisebüros innerhalb des touristischen Vertriebs besteht darin, als „Mittler“ eine Verbindung zwischen Produzenten und Endverbrauchern durch den Verkauf von einzelnen oder gebündelten Reiseleistungen herzustellen (Pompl et al., 2008, S. 14). Im deutschen Reisemittlermarkt sind folgende Reisemittlerformen von Bedeutung:

1. Selbständige Einzelbüros sind durch ihre wirtschaftliche und rechtliche Selbständigkeit gekennzeichnet und können ans Einzelbüro ohne oder mit einer geringen Anzahl von Filialen geführt werden (Freyer, 2011, S.553).
2. Eine Kooperation ist der Zusammenschluss mehrerer selbständiger Reisebüros. Zwar sind sie rechtlich selbständig, aber durch vertragliche Vereinbarungen sind sie in ihrer wirtschaftlichen Selbständigkeit eingeschränkt. Beispiele für Reisebüro-Kooperationen sind die Quality Travel Alliance und die Reisebüro Service GmbH (Freyer, 2015, S. 311).
3. Franchisebüros stellen eine Sonderform der Kooperation dar. Es handelt sich um rechtlich selbständige Unternehmen, die jedoch unter einer gemeinsamen Marke gegenüber dem Kunden auftreten. Die Nutzung der Marke wird durch die Zahlung einer Franchisegebühr ermöglicht und ist mit der Einhaltung gewisser Richtlinien verbunden (Pompl et al., 2008, S. 25).
4. Filialbüros zeichnen sich durch ihre rechtliche und wirtschaftliche Unselbständigkeit aus, die von einer Zentrale einheitlich geführt werden. Besitzt ein Unternehmen eine Vielzahl von Reisebürofilialen, wird es als

Reisebürokette bezeichnet. Um konzerneigene Reisebüros handelt es sich, wenn sie im Besitz von Tourismuskonzernen sind (Freyer, 2015, S. 312).

Aufgrund von härter werdenden Marktstrukturen haben sich zunehmende Konzentrationsprozesse in Form von Ketten, Kooperationen und Franchiseverbänden in Gang gesetzt (Egger, 2005, S. 129).

Diese Entwicklung von Unternehmenszusammenschlüssen wurde zunehmend durch die Lagerbildung von drei großen Touristikkonzernen beeinflusst, indem die Reisebüros in die neu strukturierten Reisekonzerne integriert wurden (Freyer, 2015, S. 308). In Anlehnung an die dominierenden Unternehmensfarben stellt das rote Lager den Konzern TUI Group und das gelbe Lager den Konzern Thomas Cook dar (Freyer, 2015, S. 270). Als dritter großer Reisekonzern hat sich das Lager DER Touristik etabliert (Freyer, 2015, S. 282). Gleichzeitig führte diese Konzern- und Lagerbildung zu einer zunehmenden Vermischung von Ketten, Kooperationen und Franchisesystemen (Freyer, 2015, S. 309). Die Vielzahl an unterschiedlichen Reiseunternehmen und die Verflechtung von Reisevermittler und Reiseveranstalter führt dazu, dass sich diese Akteure immer schwieriger voneinander differenzieren lassen. Die derzeitige Marktstruktur der Reisemittler in Deutschland zeigt sich folgend:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Struktur des Reisemittlermarktes 2016

Quelle: Eigene Darstellung, in Anlehnung an DRV, 2017a, S. 20

Es lässt sich erkennen, dass der Reisemittlermarkt vorwiegend durch einen systemgebundenen Vertrieb aus Kooperationen (55 Prozent), Franchisesystemen (20 Prozent) und Ketten (17 Prozent) gekennzeichnet ist, während ungebundene Reisebüros mit einem Anteil von 8 Prozent eine abnehmende Bedeutung zugeschrieben bekommen. In Deutschland gibt es derzeit rund 9938 Reisebüros. Auffällig ist dabei, dass die Reisebüroanzahl ab dem Jahr 2013 stetig gewachsen ist. Des Weiteren ist auch der Umsatz der Reisebüros im Jahr 2009 bis 2016 von 19 Milliarden Euro auf 24,5 Milliarden Euro gestiegen (DRV, 2017a, S. 17).

2.5 Nutzung des Reisebüros durch Reiseinteressenten

Mit den fortschreitenden Online-Buchungen als potenzielle Bedrohung für den stationären Vertrieb, ist es für Reisebüros wichtig zu wissen, aus welchen Gründen Reisende ein Reisebüro in Anspruch nehmen. Urlaubsreisende nehmen das Reisebüro überwiegend als Vermittler für Pauschalreisen in Anspruch (FUR, 2017, S. 4). Dies ist damit zu begründen, dass die Kunden dort eine qualifizierte, ausführliche und individuelle Beratung erhalten. Persönliche Empfehlungen, Anregungen und das Bereitstellen von wichtigen Reiseinformationen (Einreisebestimmungen, klimatische Verhältnisse etc.) erleichtert die Reisevorbereitung des Kunden enorm. In einer Studie vom VIR (2016) gaben 16,3 Prozent der Befragten an, dass sie ihre letzte Last-Minute-Reise nicht im Internet gebucht haben, weil sie sich eine persönliche Beratung wünschen (VIR, 2016, S. 37). Einen ähnlichen Standpunkt vertritt Faber (2010), der den Mehrwert der Reisebüroleistung gegenüber dem Internet hauptsächlich in persönlicher Beratung & Service, der Fachkompetenz der Reisebüromitarbeiter, die Weitergabe von persönlichen Reiseerfahrungen und die Angebotsvielfalt gegenüber Internetkonkurrenten sieht (Faber, 2010, S. 194). Die Hauptaufgabe des Reisebüros ist somit, den Kunden einen deutlichen Zusatznutzen bei der Vermittlung und Beratung von Reiseleistungen zu bieten, um ihnen schlussendlich zu einer Reiseentscheidung verhelfen zu können (Pompl et al., 2008 S. 17).

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Details

Titel
Das Einsatzpotential von Virtual Reality für Reisebüros vor dem Hintergrund einer Branchenstrukturanalyse
Hochschule
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin
Note
1,9
Jahr
2017
Seiten
68
Katalognummer
V1042903
ISBN (eBook)
9783346463876
ISBN (Buch)
9783346463883
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Tourismus Virtual Reality BWL Reisebüro Reisebranche
Arbeit zitieren
Anonym, 2017, Das Einsatzpotential von Virtual Reality für Reisebüros vor dem Hintergrund einer Branchenstrukturanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1042903

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