Die deutsche Kolonialherrschaft in (post-)kolonialen Filmproduktionen. Darstellungsweisen von Afrika


Hausarbeit, 2021

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1. Forschungsstand

2. Filme als Quellen. Problematik und Chancen für die Geschichtswissenschaft

3. Überblick zur Entwicklung des deutschen Kolonialfilms
3.1 Kolonialzeit (1884-1918)
3.2 Weimarer Republik (1918-1933)
3.3 Nationalsozialismus (1933-1945)
3.4 Nachkriegsjahre bis heute (ab 1945)

4. Konstruktion neokolonialen Wissens in deutschen postkolonialen Filmen der 2000er-Jahre
4.1 Spielfilme unter besonderer Berücksichtigung von „Die weiße Massai“ (2005)
4.2 Dokumentarfilme
4.2.1 „Heia Safari. Die Legende von der deutschen Kolonialidylle in Afrika“ (1966)
4.2.2 „Deutsche Kolonien“ und „Das Weltreich der Deutschen“ (2005/2010)

5. Herausforderungen und Anforderungen an die filmische Dekolonialisierung

Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Einleitung

Obwohl das deutsche Kolonialreich auf dem Höhepunkt seiner Ausdehnung das drittgrößte überseeische Imperium darstellte, ist es für Historiker ein begrenztes Arbeitsgebiet der Daten und Fakten von weniger als fünf Jahrzehnten. Die Imagination kolonialer Herrschaft und kultureller Mission reichen über diesen Zeitraum jedoch weit hinaus. Von diesem deutschen Kolonialreich, das seine eigene Wirklichkeit hervorbringt, soll im Folgenden die Rede sein: wirksam in Film- und Fernsehproduktionen. Denn niemand wird heute bestreiten, dass visuelle Medien zu einem der wichtigsten Mittel der Verständigung über die Welt geworden sind. Die Kultur der Gegenwart ist im Wesentlichen eine visuelle Kultur und „sich ein Bild zu machen“ gehört laut dem Historiker Günter Riederer zu den anthropologischen Konstanten.1 Auch zu Beginn des 20. Jhds. wurde Wissen, in diesem Fall koloniales Wissen, aufgrund der vergleichsweise geringen Emigrationsrate vor allem massenmedial vermittelt. Allein bis 1942 wurden mehr als 150 Filme über Afrika gedreht und das Fernsehen produzierte spätestens seit den 60er-Jahren Spielfilme und Dokumentationen über die Kolonialzeit. Zu Beginn der 2000er gab es dann einen regelrechten Afrika-Boom, der sich jedoch nur noch vereinzelt auf die Kolonialzeit bezieht.2

Mit vorliegender Arbeit wird die Fragestellung verfolgt, inwiefern die komplexe Geschichte der gewaltsamen Kolonialisierung in Spiel- und Dokumentarfilmen thematisiert wird und Einfluss auf das (post-)koloniale Afrikabild hat. Zu welchen Anlässen wird der Kontinent in Film- und Fernsehproduktionen aufgegriffen, welche Selbst- und Fremdbilder werden konstruiert und an welche bestehende Deutungs- und Legitimationsmuster wird angeknüpft? Der Fokus liegt des Weiteren auf dem Einsatz kolonialer Begriffe und visueller Stereotype. Nach einem Überblick hinsichtlich der Problematik zwischen der Geschichtswissenschaft und dem Film als Quelle wird dafür zunächst kurz und ohne Anspruch auf Vollständigkeit auf die Geschichte des Kolonialfilms eingegangen, bevor in einem weiteren Schritt Spiel- und Dokumentarspiele getrennt voneinander und mithilfe von Beispielen näher betrachtet werden. Bevor die Arbeit mit einem Fazit abgeschlossen wird, soll zudem noch ein Blick auf die Herausforderungen und Anforderungen der filmischen Dekolonisation geworfen werden.

Hinsichtlich der verwendeten Forschungsliteratur wurde u. a. auf Beiträge des Historikers Jens Jäger sowie auf die einschlägigen Forschungen von Eckard Michels, Lisa Chiara Thiel und Simon Goebel zurückgegriffen. Doch auch die Ausführungen von Günter Riederer, Rita Morrien und insb. Wolfgang Fuhrmann zu diesem Thema haben wesentlich zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Forschungsgegenstand beigetragen. Im Zuge der folgenden Einschätzung wird außerdem versucht, mit postkolonialen Theorieansätzen zu arbeiten. Postkolonial meint in diesem Zusammenhang nicht einfach nach dem Kolonialismus, sondern die Nichtabgeschlossenheit kolonialer Imaginationen und Praktiken. Annäherung und Abgrenzung, Überwindung und Rekonstituierung kultureller und rassischer Differenzen, die Entdeckung des Anderen und die Bestätigung des überlegenen Selbst, aber auch Kritik an der kolonialen Geschichte Deutschlands und Fortschreibung (neo-)kolonialer Fantasien - diese Aspekte gehen häufig Hand in Hand, soviel sei schon vorab über Tendenzen im deutschen Afrika-Film zu sagen.3

1. Forschungsstand

Es gibt auch heute noch eine generationenübergreifende Zurückhaltung in der Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialherrschaft. Ein wesentlicher Grund hierfür ist, dass ihre mediale Aufarbeitung in Film und Fernsehen im Schatten der zwei Weltkriege, der Nachkriegsjahre, des Wirtschaftswunders und der Wiedervereinigung stehen. Ihre Marginalisierung erklärt somit auch die geringe Anzahl wissenschaftlicher und publizistischer Beiträge zur Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte. Auch der deutsche Kolonialfilm selbst fand bislang wenig Beachtung in der Wissenschaft. Sieht man von Tobias Nagl und Wolfgang Fuhrmann als Pioniere der Forschung in diesem Bereich ab, finden sich nur vereinzelte Überblicksaufsätze oder Einzelanalysen zum Thema.

Seit einigen Jahren haben jedoch postkoloniale Ansätze zunehmend in den deutschen Kultur- und Sozialwissenschaften Eingang gefunden. Dabei wird ihre Entwicklung oftmals vor allem an Edward Said und Homi Bhabha festgemacht. Gerade die Veröffentlichung von Edward Saids „Orientalism“ (1978) gilt für viele als die Geburtsstunde postkolonialer Kritik im neueren Sinne, auch wenn einige der ursprünglichen Annahmen inzwischen sowohl von Said selbst wie von seinen Kritikern differenziert, erweitert oder revidiert wurden. In ihrer Funktion machen postkoloniale Theorien auf die anhaltende Bedeutung des Kolonialismus für die Kultur und das Selbstverständnis aller Beteiligten aufmerksam. Sie gehen außerdem davon aus, dass Machtbeziehungen nicht an die Zeiten der Kolonialherrschaft gebunden sind und nehmen in diesem Zusammenhang Einfluss auf die verschiedensten geisteswissenschaftlichen Fächer. Sie verbinden ihr wissenschaftliches Interesse mit einem Engagement in aktuellen Diskursen und stehen in Verbindung mit dem wachsen Interesse an Globalgeschichte und transnationalen Phänomenen.

2. Filme als Quellen. Problematik und Chancen für die Geschichtswissenschaft

Wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, sind historische Arbeiten, deren Fragestellung explizit filmhistorisch angelegt ist, immer noch selten. Bilder sind innerhalb des Quellenkanons der Geschichtswissenschaft jedoch kein gänzlich unbekanntes Forschungsfeld. Mit der „Historischen Bildforschung“, die vor allem im Bereich der Frühen Neuzeit fest etabliert ist, besteht bereits eine gewisse Tradition der Bildanalyse. Trotzdem ist immer wieder eine Distanz von Historikern im Umgang mit visuellen Quellen festzustellen und es drängt sich die Frage auf, woher diese Abneigung gegen die, insb. bewegten, Bilder kommt. Ein grundsätzliches Problem scheint die Tatsache zu sein, dass sich Filme nicht in das Raster der klassischen Quellenkritik einfügen. Denn sie verknüpften eine enorm dichte, sich noch dazu in ständigem Fluss befindliche Menge an Daten, deren komplexe Analyse die Geschichtswissenschaft zu überfordern scheint.4 Einen weiteren Grund für die Abneigung gegen das Bild als Quelle historischer Forschung sieht Günter Riederer zudem in der Charakteristik des Mediums selbst. Die vermeintliche Authentizität und die Anschaulichkeit des Mediums hätten seit jeher dazu verleitet, „ die in den Filmen vollzogene Rekonstruktion der Wirklichkeit mit ihrem getreuen Abbild zu verwechseln “.5 Außerdem berühre ein Film nicht nur den Verstand, er sei vor allem auch ein höchst wirksames Medium, um Gefühle zu erregen und Hoffnungen, Sehnsüchten und Fantasien zu produzieren.6

Den versäumten Möglichkeiten der Forschung steht die paradoxe Feststellung gegenüber, dass der Quellenwert von Filmen früh erkannt wurde. Tatsächlich ist das Interesse der Geschichtswissenschaft am Film so alt wie der Film selbst. Es scheint so, als ob grundsätzlich eine gewisse Einigkeit über den Quellenwert von Filmen, über die Vorgehensweise bei deren Analyse jedoch große Unsicherheit bestünde. Tatsächlich haben sich die Historiker bislang oft dadurch aus der Affäre gezogen, indem sie erklärten, dass es sich bei ihrem Fach um eine „Textwissenschaft“ handele. Die Schwäche, bislang keinen überzeugenden Zugang zu Bildmedien entwickelt zu haben, wurde auf diese Weise versucht, in eine Stärke umzuwandeln. Mit der Ausbreitung von digitalen Informationsmedien kommt der Erforschung unserer visuellen Kultur allerdings eine immer größere Bedeutung zu. Unter dem Etikett „Mediengeschichte“ entwickelt sich ein wachsendes Interesse für unterschiedliche Formen der Kommunikation im öffentlichen Bereich. Erfreulicherweise erhält im Windschatten dieser Entwicklung auch die Filmgeschichte neue Impulse. Man erkennt, dass sich die Geschichte des 20. und 21. Jhds. ohne eine Analyse seiner Filme nicht schreiben lässt. Günter Riederer sieht hier für die Geschichtswissenschaft folgende Anknüpfungspunkte: Sie könne sowohl den Blick für das textuelle Umfeld von Filmbildern schärfen7, als auch dazu beitragen, Filme in ihrer historischen Bedingtheit zu sehen und Aussagen über gesellschaftliche Normen und Werte zur Zeit ihrer Produktion zu tätigen.8 „Verstehen“ von Film bedeute jedoch auch, die Fotografie zu analysieren, die Szenerie, den Schnitt, die Montage. Neben die klassischen Hilfswissenschaften der Geschichte müsse also die Kenntnis der „Filmlesetechnik“ treten. Erst dadurch werde es möglich, „ Inhalte und Botschaften zu analysieren und einen Zusammenhang zwischen Filmbild und gesellschaftlicher Wirklichkeit herzustellen “.9 Diese Fähigkeit erscheint vor allem vor dem Hintergrund wichtig, dass sich Sehen – und nicht Lesen – zu der neuen Schlüsselqualifikation einer modernen Kommunikations- und Informationsgesellschaft entwickelt.

3. Überblick zur Entwicklung des deutschen Kolonialfilms

Zweifellos hat der deutsche Kolonialfilm ein Image geschaffen, das als positive Beurteilung des kolonialen Engagements gelesen werden kann. Wenn man sich jedoch auch im postkolonialen Kontext über die Visualisierungen von Afrika im Klaren werden möchte, ist es nicht damit getan, sich allein die Bilder anzusehen, die in der Phase der Kolonialherrschaft entstanden und verbreitet wurden. Die Darstellungen blieben trotz der Niederlage im Ersten Weltkrieg und dem damit einhergehenden Verlust der Kolonien weiterhin in der Öffentlichkeit sichtbar und es wurden auch danach weiterhin Bilder in Form von Filmen produziert. Im Folgenden werden nun in chronologischer Reihenfolge einige Epochen im Hinblick auf ihre kolonialen Filme genauer in den Blick genommen und der Versuch unternommen, anhand dieser Darstellung eine allgemeine Entwicklung des deutschen Kolonialfilms aufzuzeigen.

3.1 Kolonialzeit (1884-1918)

Nachdem mehrfach in der Richtung des bewegten Bildes experimentiert worden war, gingen die Gebrüder Lumière im Jahre 1895 schließlich als Gründerväter des Films in die Geschichte ein. Bevor sie ab 1905 ihre eigene Bühne in ortsfesten Kinos bekamen, waren die zunächst kurzen Clips eine technische Sensation und dienten bspw. als Attraktion auf Jahrmärkten.10 Die Betrachter konnten sich – so schien es – unabhängig vom Produzent ihr eigenes Bild des Aufgenommenen machen. Doch ohne bestimmte Absichten wurden sowohl Fotografien, als auch Filme nicht angefertigt.11 Ihr Markt lag vor allem in Europa und sie sind demnach nach entsprechenden Maßgaben und ästhetischen Vorstellungen produziert worden.12 Im kolonialen Kontext und insb. in der Auseinandersetzung mit der afrikanischen Bevölkerung ging es vor allem um die Darstellung von Naivität, Animalität und Exotik. Laut Jens Jäger entpuppt sich die „ Identifikation der Afrikaner mit größerer Naturnähe […] als vielschichtiges Wunschbild, in dem sich unter anderem Verkaufsstrategie, Psychologie und Kulturkritik verbunden haben “.13 Diese Kulturkritik äußert sich u. a. darin, dass die Kolonien als Gegenentwürfe zu dem erschienen, was in den Mutterländern negativ gesehen wurde. Die kritische Haltung gegenüber der Moderne, der Hochindustrialisierung und Urbanisierung stand einer positiven Grundeinstellung gegenüber Natur und scheinbar harmonischen Lebensformen gegenüber.14 Demnach erschienen im ersten kolonialen Zusammenhang zunächst ethnographische und naturkundliche Filme, die überwiegend von reisenden Abenteurern gedreht wurden. Pioniere der frühen Kolonialkinematografie waren hier u. a. Hans Schomburgk und Robert Schumann, die ihre Karrieren auch in der Weimarer Republik weiter fortsetzten. Die Deutsche Kolonialgesellschaft (DKG) griff das neue Medium direkt auf, denn da die Kolonialpolitik durch Steuern finanziert wurde, musste im Reich dafür geworben werden. Daher wurden die Filme etwa in Museen und Tiergärten, Büchern und Zeitschriften und selbstverständlich Völkerschauen präsentiert. In ihrer Themenwahl sind sie jedoch nicht ausschließlich auf den Prozess der Kolonisation beschränkt, sondern zeugen ein eindeutiges Interesse an dem, was dieser verdrängt: eine wilde Natur und nicht-europäische Kulturen in ihrer Fremdheit, jenes „Andere“ also, an dessen Überwindung die koloniale Praxis arbeitete.15 Dennoch bediente man sich auch des Hilfsmittels der „heimatlichen Ikonographie“. Es wurden möglichst Motive präsentiert, die einen Wiedererkennungseffekt zu erzeugen vermochten: Kirchen16, Straßen, Institutionen staatlicher Herrschaft oder der zivilen Gesellschaft. Diese Motive minimierten so den Fremdheitseffekt und erlaubten es den deutschen Betrachtern, die kolonialen Bilder als Teil des Kaiserreiches zu akzeptieren. Später fing die DKG an, selbstständig Filme zu produzieren. Zwar befanden sich unter diesen Filmen immer noch viele, die als reguläres Programm im Kino zu sehen waren, aber eben auch solche, die als Lehr- oder Anschauungsfilme zur Visualisierung von Vorträgen der DKG gezeigt wurden.17 Gleichzeitig wurden Filmproduktionstechnologien nach Afrika exportiert und erzieherische Filme gedreht, die die europäische Medizin, Kleiderordnung, christliche Moral oder andere Interessen der Kolonialmächte propagierten. Durch die Filme kommt es schon in der Kolonialzeit selbst zu einer regen Produktion und Austausch von Bildern - auch wenn die Politikwissenschaftlerin Iris Zanella in ihrem Werk über Bilder als herrschaftssichernde Instrumente betont, dass es „ im Sinne des Kolonialverhältnisses zu einem massiven Ungleichgewicht zu Lasten Afrikas kam “.18

3.2 Weimarer Republik (1918-1933)

Seit seiner Entstehung hat sich der Film in den ersten zwei bis drei Jahrzehnten rasant entwickelt - vom anfänglichen Nummernprogramm bis zum abendfüllenden Spielfilm, von statischen Aufnahmen bis zur Kamerabewegung. Das neue Massenmedium war die Inkarnation des einsetzenden 20. Jhds.: Modern, schnell, technisch innovativ. Auch der deutsche Kolonialfilm erlebte in dieser Zeit einen enormen Aufstieg, sowohl als Wirtschaftsfaktor als auch als kultureller und gesellschaftlicher Einfluss. Diese Entwicklung fällt nicht zufällig mit dem Ende der deutschen Kolonialherrschaft zusammen. Nur wenige Monate nachdem deutsche Kolonisten ihre Besitzungen zugunsten britischer und französischer Siegeransprüche aufgeben mussten, setzten im deutschen Film eine Idealisierung und eine symbolische Weiterführung der deutschen Kolonialherrschaft ein.19 Je offensichtlicher der Verlust der Kolonien war, desto heftiger wurde ihre Rückgewinnung propagiert. Der Mythos vom „guten deutschen Kolonialherren“ wurde auf allen Kanälen verbreitet und der Kolonialrevisionismus im Bewusstsein der deutschen Öffentlichkeit so aktuell gehalten.20 Der Kolonialfilm, diente in diesem Zusammenhang aber auch der Identitätsfindung der noch jungen Demokratie. Denn laut den postkolonialen Ansätzen von Homi Bhaba können Gruppen ohne die mediale Vermittlung des „Anderen“ keine Gemeinsamkeiten imaginieren, und wichtig für die gemeinsame Imagination ist vor allem deren regelmäßige und alltägliche Präsenz – eine Anforderung, die das Medium Film leisten konnte und der sich nun im Mantel des dokumentarischen „Kulturfilms“ präsentierte.21 Nachdem in der Wissenschaft zudem die Untersuchung der „Rassen“ begonnen hatte, knüpften die Kolonialfilme der Weimarer Republik im Rahmen dieser Vermittlung des „Anderen“ nun an ihre Vorgänger aus der Kolonialzeit an und bedienten sich ebenfalls der Herabstufung afrikanischer Völker, indem mit populären Aspekten wie Kannibalismus, Alkoholismus, Faulheit, Kriminalität und Animalität gearbeitet wurde.22

3.3 Nationalsozialismus (1933-1945)

Neben dem vermehrten Aufkommen reiner Spielfilme ohne jegliche dokumentarische Komponente, erfuhr die nun initiierte Tradition des deutschen kolonialen „Sehnsuchtsfilms“ während der nationalsozialistischen Herrschaft eine deutliche Radikalisierung. Während Schomburgk jetzt aufgrund seiner „halbjüdischen“ Herkunft boykottiert wurde, wurde ein Teil seines Filmmaterials zu propagandistischen Zwecken missbraucht. Der Afrika-Film der NS-Zeit verfolgte dabei im Wesentlichen drei Ziele: die Verbreitung der nationalsozialistischen Rassenlehre, in Anlehnung an den Kolonialrevisionismus die Illustration der Theorie vom „Volk ohne Raum“ und seit Ausbruch des Zweiten Weltkrieges das Schüren des Feindbildes, wobei Großbritannien im Mittelpunkt der propagandistischen Kampagne stand.23 Ein interessantes Beispiel bietet hier der Spielfilm „Die Reiter von Deutsch-Ostafrika“ (1934). Mit dem im Film geäußerten Versprechen, eines Tages zurückzukehren, positioniert sich der Film im Diskurs über die von der Kolonialbewegung erhoffte Unterstützung kolonialpolitischer Interessen durch die Nationalsozialisten. Dass jedoch auch ein vermeintlich linientreuer Film von der Zensur nicht verschont blieb, zeigt die weitere Aufführungsgeschichte des Films. 1934 noch als „volksbildend“ anerkannt, wurde der Film im Dezember 1939 verboten, weil er die britischen Truppen zu positiv zeichne und deutsche Soldaten nicht weinen würden.24

3.4 Nachkriegsjahre bis heute (ab 1945)

Die Darstellung der deutschen Kolonialgeschichte nach dem Zweiten Weltkrieg geht einher mit einem Medienwandel, in dem das Kino zunehmend die Deutungshoheit in der öffentlichen Meinungsbildung zugunsten des Fernsehens abtritt. Parallel zu den Bemühungen der noch jungen Bundesrepublik, sich als vertrauenswürdiger politischer Partner auf der internationalen Bühne zu etablieren, produzierten deutsche Filmfirmen eine Reihe von Filmen, die deutsche Stars als Repräsentanten des singenden, meist lustigen Deutschen im Ausland präsentierten. Neben diesen Komödien ist es in den 50er- und 60er-Jahren aber vor allem der deutsche Heimatfilm als Fortsetzung des kolonialen Sehnsuchtsfilms, der mit dem Schauplatz Afrika äußerst erfolgreich ist und in denen in exotischer Umgebung Tradition und Moderne miteinander kollidieren. Ein Beispiel für so einen extraterritorialen Heimatfilm ist „Unser Haus in Kamerun“ (1961), der zwei Jahre nach der Unabhängigkeit Kameruns erschien. Die Filmhandlung scheint jedoch in einer zeithistorischen Dimension stattzufinden, in der der Kolonialverlust nie erfolgt ist. Bereits mit dem Possessivpronomen im Filmtitel wird auf einen immer noch währenden kolonialen Besitzanspruch verwiesen.25 Eine Ausnahme von solchen Heimatfilmen bildet zwar die kolonialkritische WDR-Dokumentation „Heia Safari. Die Legende von der deutschen Kolonialidylle in Afrika“ (1966), auf die im weiteren Verlauf noch weiter eingegangen wird, aber wie in den 60ern sucht man auch im Film der 70er und 80er-Jahre weiterhin vergeblich nach einer kritischen Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialgeschichte. Selbst dann, wenn die Filmkamera neben der bewährten Mischung aus Exotismus und Erotik auch die Probleme der Region ins Blickfeld nimmt, tritt der weiße Held nicht als Problemverursacher, sondern als überlegener Retter auf.26 Nach den 80er-Jahren war Afrika dann erst einmal eine visuelle Leerstelle in der Bundesrepublik. Zur Jahrtausendwende wurde der Kontinent vom Fernsehen als bevorzugter Schauplatz für romantische Spielfilme, sowie Landschafts- und Tierdokumentationen wiederentdeckt. Man hatte die afrikanische Landschaft erneut für den deutschen Heimatfilms auserkoren. Laut Evelyn Annuß, Professorin für Gender Studies in Wien, „ ist ein Format entstanden, das die Narrationsmuster und visuellen Strategien deutscher Heimatfilme in einen postkolonialen Kontext zitiert und mit exotisierenden Landschafts-, Tier- und Menschenaufnahmen kombiniert “.27

[...]


1 Vgl. Günter Riederer: Film und Geschichtswissenschaft. Zum aktuellen Verhältnis einer schwierigen Beziehung, in: Visual History. Ein Studienbuch, hrsg. v. Gerhard Paul, Göttingen 2006, S. 96.

2 Vgl. Wolfgang Fuhrmann: Zwischen kolonialer Wirklichkeit und kolonialer Legende. Die deutsche Kolonialherrschaft in Film- und Fernsehproduktionen, in: Deutschland postkolonial? Die Gegenwart der imperialen Vergangenheit, hrsg. v. Marianne Bechhaus-Gerst und Joachim Zeller, Berlin 2018, S. 454.

3 Vgl. Rita Morrien: „Afrika mon amour“? Der Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm, in: Deutsch-afrikanische Diskurse in Geschichte und Gegenwart. Literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, hrsg. v. Michael Hofmann und ders., Amsterdam 2012, S. 254f.

4 Vgl. Günter Riederer: Film und Geschichtswissenschaft, S. 101f.

5 Vgl. ebd., S. 102.

6 Ebd., S. 97.

7 Vgl. ebd., S. 102f.

8 Vgl. ebd., S. 99.

9 Ebd., S. 104f.

10 Vgl. Lisa Chiara Thiel: Kolonialismus im frühen deutschen Film. Eine Figurenanalyse der Beispiele „Dr. Solf besucht Togo“ und „Allein im Urwald. Die Rache der Afrikanerin“, Baden-Baden 2020 (= Medienwissenschaft, Bd. 39) S. 3.

11 Vgl. Jens Jäger: Bilder aus Afrika vor 1918. Zur visuellen Konstruktion Afrikas im europäischen Kolonialismus, in: Visual History. Ein Studienbuch, hrsg. v. Gerhard Paul, Göttingen 2006, S. 137.

12 Vgl. ders.: „Heimat“ in Afrika. Oder: die mediale Aneignung der Kolonien um 1900, in: zeitenblicke, Bd. 7, Nr. 2, 2008: http://www.zeitenblicke.de/2008/2/jaeger/index_html (21.04.2021).

13 Ders.: Bilder aus Afrika vor 1918, S. 137.

14 Vgl. ders.: Plätze an der Sonne? Europäische Visualisierungen kolonialer Realitäten um 1900, in: Kolonialgeschichten. Regionale Perspektiven auf ein globales Phänomen, hrsg. v. Claudia Kraft, Alf Lüdtke und Jürgen Martschukat, Frankfurt a. M. 2010, S. 167.

15 Vgl. Wolfgang Struck: Die Geburt des Abenteuers aus dem Geist des Kolonialismus. Exotistische Filme in Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg, in: Phantasiereiche. Zur Kulturgeschichte des deutschen Kolonialismus, hrsg. v. Birthe Kundrus, Frankfurt a. M. 2003, S. 265.

16 Mit Kirchen konnte gleichzeitig ein Erfolg innerhalb der Missionsarbeit ausgedrückt werden.

17 Vgl. Lisa Chiara Thiel: Kolonialismus im frühen deutschen Film, S. 15.

18 Ines Caroline Zanella: Kolonialismus in Bildern. Bilder als herrschaftssicherndes Instrument mit Beispielen aus den Welt- und Kolonialausstellungen, Frankfurt a. M. 2004 (= Beiträge zur Dissidenz, Bd. 17) S. 74.

19 Vgl. Rita Morrien: Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm, S. 259.

20 Vgl. Wolfgang Fuhrmann: Zwischen kolonialer Wirklichkeit und kolonialer Legende, S. 456.

21 Dennoch gehört es zu den Besonderheiten nationaler Identität in Deutschland, dass die koloniale Expansion im Nachhinein vielfach als folgenloses Abenteuer betrachtet wird, das für die Herausbildung dieser Identität nur periphere Bedeutung besitze. – Vgl. Tobias Nagl: Die unheimliche Maschine. Rasse und Repräsentation im Weimarer Kino, München 2009, S. 23f.

22 Vgl. Lisa Chiara Thiel: Kolonialismus im frühen deutschen Film, S. 11f.

23 Vgl. Rita Morrien: Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm, S. 260.

24 Vgl. Wolfgang Fuhrmann: Zwischen kolonialer Wirklichkeit und kolonialer Legende, S. 456ff.

25 Vgl. ebd., S. 460f.

26 Vgl. Rita Morrien: Afrika-Diskurs im populären deutschen Spielfilm, S. 263.

27 Evelyn Annuß: Für immer unser Afrika. Zur neokolonialen Modernisierung des deutschen Heimatfilms, in: Maskeraden des (Post-)Kolonialismus. Verschattete Repräsentationen „der Anderen“ in der deutschsprachigen Literatur und im Film, hrsg. v. Ortrud Gutjahr und Stefan Hermes, Würzburg 2011, S. 323.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Die deutsche Kolonialherrschaft in (post-)kolonialen Filmproduktionen. Darstellungsweisen von Afrika
Hochschule
Universität Münster  (Historisches Seminar - Neuere und Neueste Geschichte II/Zeitgeschichte)
Veranstaltung
Kolonialismus und Postkolonialismus in Deutschland und Europa
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
27
Katalognummer
V1043339
ISBN (eBook)
9783346471727
ISBN (Buch)
9783346471734
Sprache
Deutsch
Schlagworte
kolonialherrschaft, filmproduktionen, darstellungsweisen, afrika
Arbeit zitieren
Deike Terhorst (Autor:in), 2021, Die deutsche Kolonialherrschaft in (post-)kolonialen Filmproduktionen. Darstellungsweisen von Afrika, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1043339

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