Die Waldenser und der Häresiebegriff im 15. Jahrhundert

Eine Untersuchung des Waldenserprozesses von 1430 und des Hexenprozesses von 1437 bis 1442


Hausarbeit, 2021

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Wer waren die Waldenser?
2.1 Die Entstehung einer Glaubensgemeinschaft
2.2 Vom Bettelprediger zum Häretiker: Konflikte mit der römischen Kirche

3. Häresie oder Hexerei?
3.1 Vom Ketzer zum Hexer: Der Häresie-Begriff im späten Mittelalter
3.2 Häresie, Zauberei, Hexerei? Untersuchung der Prozesse gegen die Waldenser
3.2.1 Der Waldenserprozess von 1430
3.2.2 Der Hexenprozess von 1437-1442

4. Schlussbetrachtung

5. Literaturverzeichnis

6. Quellenverzeichnis

7. Anhang

1. Einleitung

Die Anfänge der Hexenverfolgungen werden in der Forschung immer wieder aufgegriffen und werfen reges Interesse auf. Schließlich bildeten die ersten Hexenprozesse, die im 15. Jahrhundert stattfanden, den Grundstein für die weit angelegten Hexenverfolgungen, die im Europa der Frühen Neuzeit, vielen Menschen das Leben kosteten. Doch in dieser Proseminararbeit soll es nicht um die vermeintlichen Hexen gehen, sondern um die Waldenser, die als Ketzer verfolgt und verurteilt wurden. Erst vor wenigen Jahren entschuldigte sich Papst Franziskus für den Umgang der römisch-katholischen Kirche mit den Waldensern. Was diese Waldenser mit den beginnenden Hexenverfolgungen verband, soll in dieser Arbeit dargestellt werden.

Im ersten Schritt soll die Entstehung und Entwicklung der Waldenser, einer Armutsbewegung, die im 12. Jahrhundert gegründet wurde, untersucht werden. Zwischen dieser Glaubensgemeinschaft, die sich der Wanderpredigt verschrieben hatte, und der katholischen Kirche entstanden wenige Jahre nach Gründung der waldensischen Bewegung nicht zu klärende Konflikte, die zur Folge hatten, dass die Glaubensgemeinschaft von der spätmittelalterlichen Kirche als eine der bedeutsamsten Ketzergemeinschaften in Mittel- und Westeuropa angesehen und als ebenso große Bedrohung empfunden wurde.

Anhand ihrer Untersuchung lassen sich im zweiten Schritt sowohl die Veränderung des Häresie-Begriffs im Spätmittelalter darstellen, sowie schließlich der damit einhergehende sich entwickelnde Hexenglaube, der zum Ende des Mittelalters hin zu den ersten Verfolgungen und Prozessen gegen vermeintliche Hexen führte. Die Ursprünge dieser Prozesse sollen in dieser Hausarbeit herausgearbeitet werden und anhand der Freiburger Prozesse gegen die Waldenser in den Jahren 1430 und 1437-1442 untersucht werden.

Die Waldenser werden schon seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder erforscht. Mit der Entwicklung von der Häresie zur Hexerei hat sich die Freiburger Historikerin Kathrin Utz Tremp ausführlich beschäftigt und der Untersuchung der Veränderung des Häresie-Begriffs hat sich Alexander Patschovsky gewidmet. In dieser Hausarbeit soll versucht werden, zwischen all diesen Aspekten Verbindungen zu ziehen.

2. Wer waren die Waldenser?

Es wurde bereits herausgestellt, dass es sich bei den Waldensern um eine Glaubensgemeinschaft handelt, die sich im 12. Jahrhundert gebildet hat. Für diese Arbeit ist es allerdings wichtig, die Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte der Armen von Lyon, wie sie ursprünglich hießen, kurz darzulegen, da die Kenntnis darüber unerlässlich ist, um die Konflikte und Gefahren, mit denen sich die Waldenser im Spätmittelalter auseinandersetzen mussten, greifen zu können.

2.1 Die Entstehung einer Glaubensgemeinschaft

Die Waldenserbewegung ist auf einen Kaufmann namens Waldes zurückzuführen, der Ende des 12. Jahrhunderts gewirkt hat. Dieser entledigte sich seiner weltlichen Besitztümer, schickte sein Töchter in ein Kloster und lebte fortan das Leben eines Bettlers. Er begann öffentlich zu predigen und versammelte bald viele Anhänger um sich herum.1 Doch warum wirkte das Bettlerleben des Waldes so attraktiv auf seine Anhänger? Der Theologe Rivinius nennt einige Gründe für die Herausbildung der Armutsbewegung: Diese sei die Antwort auf die Reformen des 11. Jahrhunderts, die unter anderem zu einer zugespitzten Trennung von Laien und Klerikern führten und auf die Abschaffung der misslichen Lage der Kirche hinauswollten.2 Von der anderen großen Armutsbewegung, den Katharern, grenzten sich die Waldenser ab, da sie mit Ketzerei nichts zu tun haben wollten und die vermeintlichen Irrlehren der Katharer ablehnten.3 Doch welchen Grundsätzen folgten die Waldenser überhaupt?

Hier ist zu unterscheiden zwischen den Glaubensmerkmalen der anfänglichen Bewegung, den Armen von Lyon, und denen der sich über die Jahrhunderte entwickelnden Sekte, die durch ein Schisma bereits sehr früh die Lombardischen Armen hervorbrachte, eine ordensähnlichen Gemeinschaft, die wesentlich entfalteter und auch radikaler agierte als die Gefolgsleute des Waldes.4 Und aus dem grundlegendsten Wesen der Armutsbewegung ergab sich früh ein Konfliktpotential, das den Waldensern schon bald zum Verhängnis werden sollte.

2.2 Vom Bettelprediger zum Häretiker: Konflikte mit der römischen Kirche

Zwar untermauerten die Armen von Lyon im Gegensatz zu den Katharern und anderen religiösen Gruppen ihre Bewegung mit einer streng katholischen Grundeinstellung und handelten in reiner katholischer Absicht, doch hielt dies die römische Kirche nicht davon ab, die Waldenser als große ketzerische Gefahr anzusehen.5

Bei der Betrachtung der Waldenserbewegung fällt auf, dass die Armen von Lyon sich auf drei Grundpfeiler stützten, die ihr Leben bestimmen sollten. Dazu zählten das Evangelium, das für sie wörtlich zu verstehen war, die Armut, der Waldes und seine Anhänger sich gemäß des Matthäus-Evangeliums verpflichteten und die Predigt, ebenfalls mit dem Evangelium begründet, mithilfe derer die Armen von Lyon das Wort Gottes in die Welt tragen wollten.6 Doch nur die Komponente der Predigt sollte der Kirche ein Dorn im Auge sein. Diese Predigt vollführten die Armen von Lyon ohne bischöfliche oder gar päpstliche Erlaubnis, was ihnen 1184 zum Verhängnis wurde: Papst Lucius III. bestrafte Waldes und seine Anhänger mit der Exkommunikation. Und obwohl diese einschneidende Strafe ein Hinweis auf Ketzerei sein könnte, ist hier von häretischen Grundzügen im Waldensertum noch nicht zu sprechen, wehrten sich die Waldenser sogar in Südfrankreich gegen die vermeintlich ketzerischen Lehren der Katharer mittels unerlaubter Predigt.7

Vermeintlich begründete Vorwürfe auf Ketzerei ergaben sich aber auch unabhängig der verbotenen Predigt: Utz Tremp beschreibt, dass die Wanderprediger für Aufsehen sorgten, da sie Frauen predigen ließen, mit ihnen reisten und sich sogar mit ihnen den Schlafplatz teilten, was eine Unterstellung der Unzucht mit sich brachte. Interessant ist hier, dass bereits im 12. Jahrhundert ein Ausblick auf die Entwicklung von Häresie zur Hexerei gegeben ist, da der Vorwurf der Unzucht gerade bei Frauen zur Hochzeit der Hexenverfolgung auf scheinbare Teufelspakte hinwies.8

Zwar hatten diese Anschuldigungen bereits im 12. Jahrhundert Bestand, doch unterschied sich im Grunde die waldensische Lehre zu dieser Zeit nur in einem Punkt von der römisch-katholischen: Die Waldenser bestritten das Recht der Bischöfe, einfachen Laien wie ihnen die Predigt des Evangeliums zu verbieten.9

Aber wie schon kurz angedeutet, stellten die Armen von Lyon nicht die einzige waldensische Bewegung dar, da sich um die Jahrhundertwende die Lombardischen Armen hervortaten, die mit ihren Ansichten und Grundsätzen der katholischen Kirche deutlicher widersprachen als die Armen von Lyon, indem sie beispielsweise die Sakramente ablehnten.10 Die Radikalität der Lombardischen Armen äußerte sich besonders in ihrer Einstellung katholischen Priestern gegenüber. Ihrer Meinung nach waren die Messen von moralisch verkommenen Priestern nichts wert. Dieser moralische Verfall der Priester war auf den weltlichen Besitz der Kirche zurückzuführen, der diese von Grund auf lasterhaft machte.11 Rivinius führt hier als Ursache für die Missachtung der Priester durch die Waldenser die Konstantinische Schenkung an, deren Fälschung erst 1440 bekannt wurde. Die vermeintliche Übertragung der Reichsgewalt durch den Kaiser an den Papst führte in den Augen der Waldenser zum Verlust der „apostolischen Legitimität“12 der Kirche, welche daraufhin nicht länger die Kirche Christi sein konnte.13 Hinzu kamen außerdem die Bestreitung der Existenz des Fegefeuers, die Ablehnung des Fürbittgebets für Verstorbene und der Eidesleistung sowie der Nichtbilligung der Tötung als Strafmaß.14

Doch wie schlimm konnte es sein, diesen Grundprinzipien zu folgen? Audisio beschreibt, dass die Waldenser, ohne sich dessen bewusst zu sein, an der „Untergrabung der mittelalterlichen Gesellschaft und Kirche“15 arbeiteten. Allein die Weigerung der Eidesleistung ging gegen die Grundlagen der Gesellschaft, sodass sich die Waldenser darüber selbst an den Rand der Gesellschaft manövrierten. Auch die Leugnung der Existenz des Fegefeuers trennte die Waldenser von der übrigen Gesellschaft klar ab, da sie mit der Verweigerung von Messen und Gebeten für Verstorbene einherging, was den Pfarrern und später Inquisitoren natürlich auffallen musste und eine Reaktion der Kirche erforderte.16

Da sich diese Grundsätze in den Köpfen der Waldenser über die Jahrzehnte und Jahrhunderte hinweg verfestigten, brachte sie die Kirche in arge Bedrängnis. Die Frage danach, wie mit dem entstehenden Ketzertum umzugehen sei, beantwortete die römische Kirche mit der Etablierung der Inquisition, die Molnár als „das wirksamste […] Instrument zur Beaufsichtigung des rechten Glaubens und die Stütze zu seiner Erhaltung“17 bezeichnet.18

Utz Tremp stellt heraus, dass die Inquisition, die ständigen Druck auf die Gesellschaft ausübte, letztlich die Mittel bereitstellte, die im 15. Jahrhundert die ersten Hexenverfolgungen ermöglichten.19 Wie schmal dieser Grat des Wandels zwischen Häresie und Hexerei war, soll im nächsten Kapitel dargestellt werden.

3. Häresie oder Hexerei?

Schon im 12. Jahrhundert stempelte die römische Kirche die Waldenser als ketzerische Bewegung ab. Die Exkommunikation der Armutsprediger hinderte sie aber nicht daran, ihrem scheinbar häretischen Vorhaben weiterhin nachzugehen.

Mit dieser Exkommunikation ging unweigerlich die Geheimhaltung der Religionsausübung einher, die in den späteren Prozessen gegen die Waldenser zu einem entscheidenden Bestandteil des Verhörs wurde.20 Diese Heimlichkeit jedoch, war sie für die Waldenser auch von Nöten, musste unweigerlich zur Zweifelhaftigkeit der reinen christlichen Gesinnung der Waldenser führen. Die Prediger waren in einer Art ihnen auferlegtem Teufelskreis gefangen, verfolgt als Ketzer durch die Inquisition und wegen ihrer daraus resultierenden geheimen nächtlichen Treffen der Zugehörigkeit eines Satanskult verdächtigt. Dass die Sekte der Katharer bereits als Teufelsanbeter gebrandmarkt wurde, brachte den Inquisitor Peter Zwicker im Jahre 1395 dazu, den Waldensern ebenfalls Teufelsanbetung vorzuwerfen, wenn auch Hexerei hier noch keine Rolle spielte.21

Die Vorstellung vom Waldensertum war also im späten 14. Jahrhundert noch keine eindeutige, worauf auch die unterschiedlichen Prozesse gegen die Waldenser hinweisen, auf die später eingegangen werden soll. Zuerst aber stellt sich die Frage, was die Veränderung oder Ausweitung des Häresie-Begriffs dazu beitrug, dass die Waldenser sich später in nicht eindeutig klassifizierbaren Prozessen wiederfinden mussten.

3.1 Vom Ketzer zum Hexer: Der Häresie-Begriff im späten Mittelalter

Der Historiker Patschovsky stellt heraus, dass Häresie im Spätmittelalter als eine Krankheit des Geistes angesehen wurde. In diesem Fall ist mit Geist allerdings nicht, wie man aus heutiger Sicht meinen könnte, die Psyche gemeint, sondern das gesamte vernunftbegabte und von Gott geleitete menschliche Wesen, das, wenn von Häresie bestimmt, seine Gottesgleichheit verliert. Diese Abkehr von Gott bedeutete im Umkehrschluss die Hinwendung zum Teufel, womit die Grundlage dafür geschaffen wurde, anzunehmen, Häresie sei das Werk Satans.22

Utz Tremp führt den Gedanken Patschovskys fort: Die Vorstellung vom Ketzer als Teufelsdiener habe sich bis ins 15. Jahrhundert so weit verselbstständigt, dass Menschen damit konfrontiert wurden, die niemals einer luziferianischen Sekte angehörten und dieses Bild zur Entstehung einer neuen Sekte, der der Hexen und Hexer, führte.23 Patschoysky beschreibt hier das „Prinzip der verkehrten christlichen liturgischen Welt“24, welches der satanischen Ketzerei zugrunde liegt und was von dem Priester Konrad von Marburg im frühen 13. Jahrhundert wieder aufgegriffen und von Papst Gregor IX. verbreitet wurde.25 Der Teufelsglaube drang somit über den Klerus in den Volksglauben ein, sodass Ketzern immer öfter die Schuld für gesellschaftliche Geschehnisse und Katastrophen gegeben wurde.26

Eine weitere Verbindung zwischen der Häresie und der scheinbar damit einhergehenden Teufelsanbetung lässt sich im Wort ‚Ketzer‘ finden, welches im Mittelalter oftmals in Zusammenhang mit ‚Katze‘ gebracht wurde. Zurückzuführen ist diese Verbindung auf das Verständnis vom Teufel in Form einer Katze. Dieses Bild kam laut Behringer erst in den 1430er Jahren auf und wurde im Traktat ‚Errores Gazariorum‘, welches eine erste Beschreibung des Hexensabbats lieferte, um 1435 schriftlich festgehalten.27 Aber bereits in den späteren Waldenserprozessen in Freiburg, auf die im nächsten Kapitel eingegangen wird, sollte diese Darstellung des Satanskults eine Rolle spielen.

[...]


1 Cameron: Waldenser, 2003, S. 388.

2 Rivinius: Zwischen Häresie und Orthodoxie, 1990, S. 12.

3 Grundmann: Ketzergeschichte des Mittelalters, 1963, S. 29.

4 Cameron 2003, S. 389-390.

5 Rivinius 1990, S. 16.

6 Audisio: Die Waldenser, 1996, S. 21-23.

7 Cameron 2003, S. 389.

8 Utz Tremp: Von der Häresie zur Hexerei, 2008, S. 123.

9 Cameron 2003, S. 389.

10 Audisio 1996, S. 30-31.

11 Cameron 2003, S.390.

12 Rivinius 1990, S. 23.

13 Ebd. S. 22-23.

14 Cameron 2003, S. 390.

15 Audisio 1996, S. 76.

16 Ebd.

17 Molnár: Die Waldenser, 1980, S. 104.

18 Ebd.

19 Utz Tremp 2008, S. 158-159.

20 Blauert: Frühe Hexenverfolungen, 1989, S. 40-41.

21 Behringer: How Waldensians became witches, 2005, S. 169-170.

22 Patschovsky: Wie wird man Ketzer?, 1990, S. 146.

23 Utz Tremp 2008, S. 342-343.

24 Patschovsky: Der Ketzer als Teufelsdiener, 1991, S. 319.

25 Ebd. S. 319-323.

26 Neumann: Verträge und Pakte mit dem Teufel, 1997, S. 114.

27 Behringer 2005, S. 157-158.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Waldenser und der Häresiebegriff im 15. Jahrhundert
Untertitel
Eine Untersuchung des Waldenserprozesses von 1430 und des Hexenprozesses von 1437 bis 1442
Hochschule
Universität Trier
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
19
Katalognummer
V1045441
ISBN (eBook)
9783346470379
ISBN (Buch)
9783346470386
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Waldenser Häresie Häretiker Hexerei Hexenprozess Ketzerprozess
Arbeit zitieren
Fiona Karl (Autor:in), 2021, Die Waldenser und der Häresiebegriff im 15. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1045441

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Die Waldenser und der Häresiebegriff im 15. Jahrhundert



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden