Die Badereise im 18. und 19. Jahrhundert


Seminararbeit, 1999

11 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Einleitung

Hauptteil

1. Die unterschiedlichen Entstehungen der Bäder Bad Pyrmont und Norderney
1.1. Das Publikum in Bad Pyrmont im 18. Jahrhundert
1.2. Das Publikum des Nordseebades Norderney zu Beginn des 19. Jahrhunderts

2. Reisemotive und touristische Aspekte
2.1. Kurprinzip oder der medizinische Aspekt
2.2. Lustprinzip oder der kommunikative Aspekt

Schluß

Literaturverzeichnis

Einleitung

In meiner Arbeit soll es um das Thema Badereise gehen. Schon bei der Erarbeitung des Referates, daß ich zu diesem Thema gehalten habe, fiel mir auf, daß sich die Kurorte im Landesinneren und die Seebäder an der Küste bzw. auf den Inseln der Nord- und Ostsee unterschiedlich entwickelt haben.

Zunächst ist zu bemerken, daß die Seebäder um einiges jünger als die Kurorte sind. Und an diesem Unterschied der zeitlich versetzten Entstehung lassen sich weitere Gegensätzlichkeiten erläutern.

Ich möchte hier in meinen Ausführungen genauer darauf eingehen, welche Auswirkungen die späte Erschließung der Küste hatte. Ich habe meine Arbeit exemplarisch an den Ort Bad Pyrmont (südliches Niedersachsen) und der Nordseeinsel Norderney (ebenfalls Niedersachsen) angelegt, da die Verschiedenheit der Kurorte anhand von zwei klaren Beispielen leichter nachzuvollziehen ist.

Im ersten Teil habe ich die Entstehung der beiden Orte kurz skizziert und ich gehe unter Berücksichtigung des Publikums auf die Gründungsgeschichte ein. Um meine Arbeit allerdings nicht ausufern zu lassen, beschränke ich mich auf die Zeitspanne vom Anfang des 18. bis zur Mitte des 19.Jahrhunderts.

Im Hinblick auf das Seminarthema „Sozial- und Kulturgeschichte des Tourismus“ stellte sich mir auch die Frage, inwieweit eine Badereise unter touristischen Gesichtspunkten zu sehen ist. Im zweiten Teil setze ich mich deshalb mit diesem Aspekt auseinander.

Auf den ersten Blick scheinen die beiden Kapitel nicht viel miteinander zu tun zu haben, jedoch führte mich die Frage nach dem Publikum in den Kurorten unweigerlich zu den Reisemotiven der Badegäste. Dort bin ich wiederum auf das Wechselverhältnis von „Kurprinzip/Lustprinzip“ gestoßen, das den Bogen zur Tourismusgeschichte schließt.

Hauptteil

1. Die unterschiedlichen Entstehungen der Bäder Pyrmont und Norderney

Anhand der Betrachtung der Zusammensetzung der Besucher, lassen sich die beiden Orte gut vergleichen. So gilt Bad Pyrmont als traditionsreich, Adelsbad und teures Pflaster. Die Badereise scheint nur den finanziell Bessergestellten vorbehalten zu sein. Norderney hingegen ist nach Warnemünde an der Ostsee zwar das zweitälteste Seebad in Deutschland, aber auf eine Tradition mit Adelsbezug und einem Ruf als Zentrum, in dem sich die „Reichen und Schönen“ treffen, kann es indes nicht zurückblicken. Im Gegenteil, denn bevor im Jahr 1797 das Nordseeheilbad Norderney gegründet wurde, war Norderney nichts als eine kleine Fischersiedlung1.

Inwieweit das zum Teil zu revidierende Behauptungen und Gerüchte sind, die nichts mit den realen Zuständen zu tun haben, habe ich in diesem Kapitel erläutert.

1.1. Das Publikum in Bad Pyrmont im 18.Jahrhundert

Bad Pyrmont genießt im 18. Jahrhundert den Ruf als ausgesprochenes Luxusbad2. Wie das Wort „Ruf“ impliziert, handelt es sich nicht um wirkliche Gegebenheiten. Die Gründung des Ortes Bad Pyrmont wird massiv von den Landesherren ( die Fürsten zu Waldeck) vorangetrieben3. Sie erhoffen sich , wie sollte es anders sein, eine zusätzliche Einnahmequelle durch ein Kurbad. Durch die Nähe zum Königshaus Hannover und als Zentrum inmitten vieler kleiner Fürstentümer im norddeutschen Raum erfüllt Bad Pyrmont die Funktion einer Metropole. Es bildet eine Treffpunkt der adligen Nachbarn, die den Ort im Sommer aufsuchen, um sich auszutauschen. 1681 zum Beispiel treffen sich „etwa 30 bis 40 hohe Herrschaften (...) zu einer Art ‘Familientag der norddeutschen Fürstenhäuser’.“4 Den Ruf als Adelsbad kann man Bad Pyrmont also nicht streitig machen, denn in Aufzeichnungen der Zeit finden sich immer wieder Bemerkungen über die Exklusivität des Ortes, „in den soviel hoher Adel ströme“5. Jedoch sind zu keiner Saison des 18. Jahrhunderts mehr Adlige als Bürgerliche anwesend.

Diese Diskrepanz läßt sich folgendermaßen erklären. Zum einen können durch die Gästelisten Vergleiche zu anderen Kurorten gezogen werden und mit Karlsbad und Spa bildete Pyrmont durchaus die Spitze der europäischen Bäder des 18. Jahrhunderts6. Diese Popularität lockt allerdings wieder ausgesprochen viele Bürgerliche und Angehörige anderer Schichten in den Ort. Ich bezeichne es als „Adelstourismus“. Die Gäste sind neugierig auf die hohen Besucher und lechzen nach Ereignissen7. Im Umkehrschluß hieße das: Würde der Adel Pyrmont nicht in dem Maße frequentieren wie er es tut, blieben auch Besucher anderer Schichten fern.

Eine genauere Betrachtung der Aufzeichnungen über das Pyrmonter Publikum zeigt zudem folgendes:

- 20-25 % waren Bedienstete des Staates oder der Kommune, höhere und niedere Beamte, wobei in dieser Sparte ein besonders hohes Spektrum von Berufen vorliegt
- 10% der Besucher kamen aus dem Bereich des Militär
- 6% kirchliche Berufe
- 6% aus Handel und Gewerbe
- 5% Diplomaten und Bedienstete des Hofes
- 4% Bildung und Erziehung
- 1% Künstler
- 1% Ärzte und Advokaten8

Zwar kam die Mehrheit aus den jeweils höheren Ämtern der jeweiligen Sparte, doch die Behauptung, das die Badereise nur etwas für die oberen Schichten gewesen sein soll, läßt sich nicht halten. Insgesamt gerechnet bildeten die nicht zur adlig-bürgerlichen Schicht Gehörigen die Mehrheit in Bad Pyrmont. Es lag wohl vor allem dem „Geschick der kleinbürgerlichen und bäuerlichen Gäste, bestehende Einsparungsmöglichkeiten zu nutzen“, daß „auch weniger Bemittelte zur Kur reisen konnten“. Denn es läßt sich nicht leugnen, daß diese Reise ausgesprochen kostspielig war9.

Das ist auch nicht weiter verwunderlich, denn im Grunde zeichnet die Zusammensetzung der Badegäste ein Bild der Gesamtbevölkerung nach. In der Bevölkerungspyramide stellen die unteren Schichten den größten Prozentsatz, und der Adel ist immer in der Minderheit. Die Beliebtheit des Kurortes hing mit der Präsenz der Hofbewohner zusammen. War diese im Laufe des 18. Jahrhunderts noch ein ausgesprochener Anreiz nach Bad Pyrmont zu fahren, so änderte sich das nach 1800. Der Standesdünkel wirkte auf das erstarkte Bürgertum provokant und überholt10. Mit der Zurschaustellung von übertriebenem Prunk konnte man sich nicht mehr identifzieren. Die Popularität des Ortes ließ aus demselben Grund nach, der ihm einst zu seinem Aufstieg verhielf.

1.2. Das Publikum des Nordseebades Norderney Anfang des 19.Jahrhunderts

Wie ich es schon an anderen Stellen erwähnte, ist die zeitlich versetzte Entstehung der Seebäder der auffälligste Unterschied zu den Orten im Binnenland. Zu Norderneyer Kurgästen im 18. Jahrhundert kann ich deshalb keine Aussagen machen, weil das Seebad erst 1797 gegründet wurde.

Die Initiative ging auch hier von zwei Seiten aus. Auf der einen der Landvogt, Feldhausen, der in seinem Haus Gäste beherbergte11. Individualbadetourismus gab es zwar auf Norderney schon ein bis zwei Jahrzehnte bevor das Seebad offiziell eingeweiht wurde, jedoch können die Gäste zahlenmäßig vernachlässigt werden12. Von daher kann durchaus von dem ruhigen und ursprünglichen Fischerdorf vor Gründung des Bades gesprochen werden. Feldhausen sah in der Unterbringung von Besuchern und dem Ausbau Norderneys zu einem Kurbad eine zusätzliche Einnahmequelle13. Denn es kamen vor allem Menschen auf die Insel, die Ruhe suchten, nicht viel Komfort benötigten und gesundheitliche Probleme hatten. Auf der anderen Seite war der Auricher Amtsarzt Friedrich Wilhelm von Halem ein verfechter des Seebades. Er unterstützte die Initiative des Vogtes, denn er war von der „Einzigartigkeit Norderneys14 “ überzeugt und glaubte schon lange an die heilende und gesundheitsfördernde Wirkung des Meerwassers. Er schreibt dazu: „Zur Errichtung einiger Badestellen ist vorzüglich die Insel Norderney bequem, theils wegen ihres flachen Strandes und theils wegen ihres Zusammenhanges mit dem festen Lande zur Zeit der Ebbe. Auch zweifle ich nicht, daß sich bei guten Anstalten und wenn man den Nutzen der Seebäder allgemein kennen wird, die Zahl der Badenden von Jahr zu Jahr vermehren wird, welche dort ihre oft lang entbehrte Gesundheit wieder erlangen werden.15

1800 wird das Nordseeheilbad Norderney offiziell eingeweiht und in dieser Saison verzeichnet das Amtsblatt 250 Gäste16. Es sind ausschließlich Ostfriesen vom näheren Festland, die das Bad aufsuchen17.

Das Problem der Unterkunft war jedoch noch nicht gelöst, denn bis auf das Haus des Vogts gab es keine Übernachtungsmöglichkeiten. Obwohl Feldhausen als auch von Halem versuchten, die Insulaner zu motivieren freien Wohnraum zur Verfügung zu stellen, stießen sie vorwiegend auf Ablehnung. Nur etwa 70 von ca.550 Einwohnern18 erklärten sich dazu bereit, Gäste aufzunehmen19.Von Halem spricht sogar von mutwilligen Zerstörungsakten von seiten der Bevölkerung, die sich „aus Bosheit an den Gebäuden der Seebade-Anstalt vergriffen Steine auf die Dächer geworfen, Schlösser ruiniert und alles mit Kreide bemalt haben.20

Trotz dieser Ablehnung steigen die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr, 1818 sind es schon 754, aber es bleiben überwiegend Ostfriesen aus der Provinz und der medizinische Heilaspekt steht nach wie vor im Vordergrund. Das macht sich auch in der Zusammensetzung der Gäste deutlich. So wie nach Pyrmont relativ viele Adlige reisen, so sind es auf Norderney Ärzte und Apotheker21. Zum einen weil sie selbst die heilende Wirkung des Meeres erfahren wollen, aber zum anderen, weil das Seebad eine Neuigkeit ist, die sie neugierig macht. Ansonsten kommen die Kurenden aber auch hier aus allen anderen Bevölkerungschichten. Von einer Funktion als Kommunikationszentrum, oder als Ersatz für eine Metropole, in der das Vergnügen und die Unterhaltung an erster Stelle stehen, kann von Norderney in dieser Zeit noch nicht die Rede sein. So heißt es 1834 über das Seebad:

„Selten wird es einem Gesunden einfallen, bloß des Vergnügens willen ein Seebad zu besuchen, da für Nichtleidende sich zu wenige Abwechselung findet, um die Zeit ohne Langeweile hinzubringen (...)22 “.

Zum einen sorgt aber der Ausbau des Bades, für einen allmählichen Wechsel des Reisemotivs und der Personengruppen die nach Norderney reisen. So wird das Conversationshaus ständig vergrößert, es wird eine Spielbank und 1827 ein Kurorchester eingerichtet23. Zum anderen trägt die Ernennung zum Staats-und Königsbad durch den Hof in Hannover zu einem Popularitätsanstieg bei, und Norderney wird zu einem Modebad in dem sich, wie zuvor in Bad Pyrmont, die oberen Schichten treffen24. Der Schein sollte aber auch in diesem Fall nicht trügen, denn diese Personengruppen, sowie Besucher aus anderen Ländern und Provinzen, bilden nach wie vor die Ausnahme25. Nachdem sich das Seebad etabliert hat und sich neben den medizinischen die gesellschaftlichen Gründe das Bad aufzusuchen durchgesetzt haben, ähneln sich die Orte gemessen am Publikum und am Ambiente immer mehr.

2. Reisemotive und touristische Aspekte

Bevor ich mit meinen Ausführungen zu den Motiven einer Badereise komme, möchte ich kurz klären, was genau ich unter „touristischen Aspekten“ verstehe.

Das ist erstens die Anzahl der Menschen, die eine solche Reise unternimmt. Meinen Quellen26 nach zu urteilen, spielt die Badereise eine relativ hohe gesellschaftliche Rolle im 18. bzw. 19.

Jahrhundert. Immer wieder wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß sich Menschen aller Schichten diese Reise durch geschicktes Sparen leisten konnten27.

Zweitens ist die Frage nach dem Zweck der Reise ein Indiz für „Tourismus“. Der nahezu „zweckfreie“ Urlaub, der nur der Flucht aus dem Alltag dient, ist im 18./19. Jahrhundert noch unbekannt. Es gibt zwar Tendenzen, die auf diesen Rythmus Arbeit-Freizeit hinweisen, aber prinzipiell ist eine Reise zu dieser Zeit fast auschließlich zwechgebunden. So natürlich auch die Badereise. Sie dient der Wiederherstellung, bzw. der Erhaltung der Gesundheit. Das es allerdings auch noch andere Motive gibt, die denen des heutigen Urlaubs gar nicht unähnlich sind, zeige ich in diesem Kapitel.

2.1. Kurprinzip oder der medizinische Aspekt

Bei diesem Prinzip geht es einzig um den körperlichen und gesundheitlichen Zustand des Patienten. Das Kuren ist eine ernsthafte Angelegenheit, die eigentlich kein Vergnügen bereiten darf. Das war vor allem die Meinung, die Ärzte und Kurverwaltungen vertraten28. Aber auch ganz allgemein wird der vergnügliche Teil einer Badereise, der Muße und Erholung verspricht, eher geringschätzig bewertet, und ist vor allem wohl in manchen Gelehrtenkreisen geradezu verpönt. Ihre Auffassung nach liegt der „Wert von Badereisen vornehmlich - wenn nicht sogar auschließlich - im physiologischen Heileffekt des Mineralwassers“29.

In einer Zeit als wissenschaftliche Untersuchungen noch nicht in dem Maße möglich waren, wie das heute der Fall ist, waren die Indikationslisten der Heilwässer um einiges länger30. So heißt es 1740 bei Johann Phillip Seip zum Pyrmonter Brunnen, daß durch den Brunnen

„Kopfschmerzen, Hemikranie, Schwindel, Epilepsie, milzsüchtige Verwirrungen und Schlafsucht, Lungengeschwüre, Bluthusten, Strickflüsse, skorbutische Auszehrungen, Verhärtung des Leibes, Geschwülste und Wassersucht, finnige Gesichter , Krankheiten der Körperflüssigkeiten, Fieber, Bleichsucht, Mutterbeschwerden u.v.m.“31 geheilt werden könnten. Das Arzt Richard Russel gibt für die Heilung durch Meerwasser ähnlich lange Indikationslisten an. So helfe es bei „Leiden wie Drüsenschwund, Rheumatismus, Skorbut, Gelbsucht, Hautfäule, Gonorrhöe, Gesichtsherpes oder Aussatz32 “. Die Listen der heilbaren Leiden werden jedoch durch den medizinischen Fortschritt immer kürzer, und von Halem tröstet die enttäuschten Kranken, die die Insel ungeheilt wieder verlassen haben damit, daß „dies bey allen Bädern und Curmethoden der Fall sein“ könne. Eine hundertprozentige Heilung kann er aber niemandem versprechen33.

Eine der „beliebtesten“ Krankheiten des 18.Jahrhunderts war die Hypochondrie. Dabei darf dieser Begriff nicht mit der heutigen Bedeutung verwechselt werden. Wird damit heutzutage das Einbilden einer Krankheit bezeichnet, so war die Hypochondrie im vorletzten Jahrhundert ein ernstzunehmendes mit körperlichen Krankheitssymptomen. Andere Bezeichnungen dafür waren zum Beispiel „Melancholie und Hysterie, Milzsucht, Grillen- oder Gelehrtenkrankheit, English malady spleen, acedia, vapeurs, Langeweile, Misanthropie und Scwermut, Krankheit zum Tode, Weltschmerz und mal de siecle34 “. An diesen vielen verschiedenen Begriffen wird schon deutlich, daß diese Erscheinung nicht einfach zu fassen ist. Sie ist jedoch ein gutes Mittel um die Verflechtung von medizinischen und gesellschaftlichen Aspekten zu beschreiben.

Einerseits gibt es eine Reihe von körperlichen Beschwerden für die die Hypochondrie verantwortlich gemacht wurde. So sind das laut Fischer- Homberger

„Blähungen, Verstopfung (...) Niedergeschlagenheit und Traurigkeit, plötzliche Stimmungswechsel, (...) Angsträume, grünliche Hautfarbe (...), Appetitstörungen, Urinanomalien, Pulsveränderungen35 “.

Ebenso unübersichtlich ist dementsprechend auch die Suche nach der Ursache und es werden von der Milz über den Magen-Darm-Trakt zu den Nerven alle möglichen Organe und Symptome für die Hypochondrie verantwortlich gemacht36. Aus diesem Grund versuchen die Ärzte äußerliche Methoden gegen dieses Leiden zu finden und dem Heilquellenwasser werden besonders wirksame Einflüsse nachgesagt.

Andererseits fällt schon den Zeitgenossen auf, daß es sich bei der Hypochondrie um eine Modekrankheit handelte, die vor allem bei Angehörigen der oberen Schicht weit verbreitet war. Es scheint an einer allgemeinen Lust am eigenen Kranksein zu liegen und dem „Reiz der Morbidität“37, daß die Hypochondrie eine derartige „Hochzeit“ erlebt. Die Zurschaustellung der eigenen Gebrechen wird demnach überhaupt nicht negativ bewertet, sondern ist eher als Indiz dafür zu sehen, daß der oder die Betroffene fähig ist, an den Folgen der Zivilisation und des Fortschritts zu leiden, und somit modern und aufgeklärt ist38.

Der Schluß liegt nahe, daß diese Krankheit aufgrund ihrer physischen Symptome zwar durchaus eine äußerliche Therapie benötigt, aber dennoch dürfen die physischen Aspekte nicht vernachlässigt werden. Der Heilungseffekt durch Zerstreuung und Vergnügen war auch damals schon bekannt.

2.2. Lustprinzip oder der kommunikative Aspekt

Der Zweck einer Badereise ist deshalb auch auf der Ebene der Unterhaltung zu finden. Für viele Kurbadbesucher war der Zeitvertreib und die Geselligkeit der ausschlaggebende Grund,eine Badereise zu unternehmen39. Es ging darum,Bekannte und Freunde zu sehen,da das kommunizieren im Zeitalter von Postkutschen einfach umständlicher war, als es heute ist. Der Besuch des Bades erfüllt ebenso wie die Funktion der Benutzung des Brunnenwassers, die der Kommunikation und des Vergnügens.

Diese Seite der Reise „ließ die medizinische (...) gelegentlich in den Hintergrund treten40 “ . Es gibt einige Fälle, in denen das Amüsieren eindeutig im Vordergrund steht. Justus Möser (1746-1818) suchte das Bad nur auf, „‘um sich mit seinen Freunden zu unterhalten, und um die heitere Luft zu genießen’41 “.

Es scheint aber auch wichtig für den Ort an sich zu sein, daß mit ihm nicht nur Krankheit und Verfall verbunden wird, sondern vor allem Spaß und Unterhaltung. Denn letzteres trägt dazu bei, daß der Ort an Attraktivität und Popularität gewinnt42.

Die gleiche Beobachtung läßt sich auch in den Seebädern machen. Treten einge uneingeschränkt für die Ernsthaftigkeit einer Seebadereise ein und lehnen jeden Anflug von Spaß beim Baden im Meer ab43, so ist die Entwicklung des Meeres und des Strandes zur „klassischen Landschaft des modernen Massentourismus44 “ nicht aufzuhalten. Im Gegenteil, denn das reine Kurprinzip hat auch an der See nur sehr kurz existiert. Heißt es zwar 1834 noch, daß es keinem Gesunden einfalle, bloß des Vergnügens willen ein Seebad zu besuchen45, so sind die Aspekte der Medizin und der Unterhaltung nicht zu trennen. Denn sowie die Anwendung von Heil- und Meerwasser ihre Wirkung hat, so ist auch der vergnügliche Teil eine Therapiemethode.

Schluß

In meinen Betrachtungen komme ich zu dem Ergebnis, daß es durchaus Unterschiede bei der Entstehung und Entwicklung der Kurorte und Seebäder gibt. Trotzdem bin ich der Meinung, daß es im allgemeinen gesehen ähnliche Abläufe im Kurleben gibt und die groben Verhältnisse in etwa die gleichen sind.Wenn man zum Beispiel den Konflikt zwischen Kurprinzips- und Lustprinzipsvetretern betrachtet oder den Wandel zu einem bürgerlich geprägten Publikum, so wird deutlich, daß sich die Entwicklungstrukturen gleichen. Die touristischen Aspekte einer Badereise sind meines Erachtens auch nicht zu übersehen. Ganz deutlich wird dies bei der Beschreibung von Bad Pyrmont zu Zeiten seines Glanzes, als geradezu ein Dominoeffekt dazu führte, daß viele Menschen auf diese Weise reisen wollten. Im Zuge dessen wurde die Infrastruktur von Saison zu Saison ausgebaut und sprach einen immer größer werdenden Personenkreis an. Natürlich sollte man die Verhältnisse nicht mit heute vergleichen, aber ich sehe darin für damalige Verhältnisse eine Art Massentourismus .

Literaturverzeichnis

NACHSCHLAGEWERK, Deutsche Geschichte

AMSHOFF, M.A.: Norderney: Briefe von einem Badeaufenthalt 1851, Staufenberg 1981

BAKKER, Hermann Soeke: Norderney. Vom Fischerdorf zum Nordseeheilbad, Bremen 1956

BLUM, Hans-Georg: Von den Anfängen, Meerwasser als Medizin, Landschaftsbild imWandel in: Saison am Strand. Badeleben an Nord- und Ostsee, Herford, 1986

BUURMANN, Heinrich: Als Norderney Seebad wurde, Norden 1985

CORBIN, Alain: Meereslust: Das Abendland und die Entdeckung der Küste, darin: Die Erfindung des Strandes, Frankfurt/M. 1994

HESSE, Hermann: Kurgast, Frankfurt/M. 1997

HUERKAMP, Claudia: Der Aufstieg der Ärzte im 19. Jahrhundert, Göttingen 1985

KUHNERT, Reinhold P.: Urbanität auf dem Lande: Badereisen nach Pyrmont im 18. Jahrhundert, Göttingen 1984

LÖSCHBURG, Winfried: Von Reiselust und Reiseleid, Leipzig 1982

MARTIN, Alfred: Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen, Nachdruck d. Ausg. Jena 1906, München 1989

MEHRDORF, W. und STEHLER Louise: Chronik von Bad Pyrmont, Bad Pyrmont 1985

PRIGNITZ, Horst: Vom Badekarren zum Strandkorb, Leipzig 1977 Wasserkur und Badelust: eine Badereise in die Vergangenheit, Leipzig 1986

RICHTER, Dieter: Das Meer. Epochen der Entdeckung einer Landschaft in: Voyage. Zeitschrift für Tourismusforschung

[...]


1 vgl. Hermann Soeke BAKKER und Heinrich BUURMANN

2 Reinhold P. KUHNERT, Urbanität auf dem Lande, Göttingen 1984, S.40

3 Ebd. S.94ff

4 KUHNERT, Urbanität, S.33

5 C.J. Weber, Stuttgart 1834, zitiert nach KUHNERT S.39

6 vgl. KUHNERT

7 Nachsclagewerk S.305

8 ebd. S.127

9 ebd. S.140

10 ebd. S.56

11 Saison am Strand, S.19

12 Heinrich BUURMANN, Als Norderney Seebad wurde, Norden 1985, S.5 und Horst PRIGNITZ, Wasserkur und Badelust, S. 108, Leipzig 1986

13 BUURMANN, S.5

14 ebd.

15 Friedrich Wilhelm von HALEM, Die Insel Norderney, Hannover 1822

16 BUURMANN, S.6

17 ebd. S.7

18 Herrmann Soeke BAKKER, Norderney. Vom Fischerdorf zum Nordseeheilbad, Bremen 1956, S. 15

19 BUURMANN, S.6.

20 zitiert nach BUURMANN, S.7

21 ebd. S. 24 f.

22 „Morgenblatt für gebildete Stände“, 1.12. 1834, zitiert nach: Saison am Strand. Badeleben an Nord-und Ostsee, Herford 1986

23 BUURMANN, S.23

24 Voyage, S.19

25 ebd.

26 bei meinen Angaben zu Bad Pyrmont richte ich mich hauptsächlich nach KUHNERT 6

27 vgl. 1.1. dieser Arbeit und BUURMANN S.14

28 Dieter RICHTER, Das Meer. Epochen der Entdeckung einer Landschaft, in Voyage Nachschlagewerk, S.304

29 KUHNERT, S.107

30 Saison am Strand, S.22

31 ebd. S.61

32 Richard Russell, A Dissertation on the Use of Sea Water in the diseases of the Glands, London 1760, zitiert nach RICHTER, S.15

33 von Halem, zitiert nach BUURMANN, S.7

34 E. Fischer Homberger, Hypochondrie, Bern 1970 und H.-J. Schings, Melancholie und Aufklärung, Stuttgart 1977, zitiert nach KUHNERT, S.68

35 ebd. S.70

36 ebd. S.71

37 ebd. S.67

38 ebd. S.72

39 Nachschlagewerk S.304

40 ebd.S.77

41 ebd.

42 ebd.

43 RICHTER, S.15

44 ebd. S.10

45 Saison am Strand, S.21, vgl. auch Anm. 22

Ende der Leseprobe aus 11 Seiten

Details

Titel
Die Badereise im 18. und 19. Jahrhundert
Hochschule
Universität Leipzig
Note
2.3
Autor
Jahr
1999
Seiten
11
Katalognummer
V105773
ISBN (eBook)
9783640040551
Dateigröße
403 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Badereise, Jahrhundert
Arbeit zitieren
Lina Dinkla (Autor:in), 1999, Die Badereise im 18. und 19. Jahrhundert, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/105773

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