Die Kalendergeschichte


Seminararbeit, 1999

13 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

1. Bestimmung und Entwicklung des Begriffs „Kalendergeschichte“
1.1. Der Kalender
1.2. Begriffsbestimmung „Kalendergeschichte“
1.3. Merkmale der Kalendergeschichte
1.4. Autoren und historische Entwicklung der Textsorte

2. Sachanalyse
2.1. Inhalt und Struktur des Textes
2.2. Sprachliche und stilistische Analyse
2.3. Personenkonstellation
2.4. Intention des Autors

3. Qualifikationenanalyse
3.1. Qualifikationen im kognitiven Bereich
3.2. Qualifikationen im affektiven Bereich
3.3. Qualifikationen im psychomotorischen Bereich

4. Methodische Analyse

5. Literaturangaben

6. Ausgangstext: „Das Mittagessen im Hof“ von Johann Peter Hebel

1. Bestimmung und Entwicklung des Begriffs „Kalendergeschichte“

„Kalender“ ist uns allen - vor allem in der heutigen Zeit, die so sehr bestimmt zu sein scheint von Zeiten, Daten und Terminen - ein eindeutiger Begriff. „Das Ding eben, das an der Wand hängt oder man in der Tasche trägt und das uns an alle möglichen mehr oder weniger erfreulichen Dinge erinnern soll“. Aber wann, wie genau und wozu ist der Kalender entstanden?!

46 v. Chr. führte Julius Caesar eine Kalenderreform durch, nach der der Begriff „Calendae Ianuariae“ den ersten Tag des Jahres bezeichnet. Davon abgeleitet benennt der Kalender das System der astronomischen Zeitrechnung und Aufzeichnung der jeweiligen Zeitordnung.

Später werden den Tagen Heiligen- und Märtyrernamen zugeordnet. Der erste Heiligenkalender „Deposito Martyrium“ erscheint 352 n. Chr. Im Mittelalter werden erzählerische Texte hinzugefügt. Dabei entwickeln sich zwei unterschiedliche Typen. Zum Ersten wäre die „Practica“, ein selbständiges Buch, zu nennen, das von Gelehrten verfasst wurde. Es dient den praktischen Bedürfnissen der Bauern, da es das Schema der vier Jahreszeiten, die vermutliche Witterung, zu erwartende Finsternisse, sowie häufig auch Vermutungen über Seuchen und Kriege enthält. Im 16. Jahrhundert wird es mit einem Jahreskalender verbunden und leitet seine Vorhersagen aus historischen Beispielen ab.

Der „historische Kalender“ wird 1551 durch den Reformator Paul Ebner mit dem „calendarium historicum constriptum“ eingeführt. Er verzeichnet außergewöhnliche historische Ereignisse, sog. „monstra die“ (z.B. Blutregen) und deutet sie christlichmoralisch. Diese Art wurde vor allem durch Grimmelshausen weitergeführt.

Eine exakte Festlegung des Begriffs „Kalendergeschichte“ gestaltet sich äußerst schwierig, da sich die Literaturwissenschaft noch nicht eingehend mit dieser Textsorte befasst hat und es deshalb keine konsequent durchgeführte Werkanalyse und systematische Darstellung des epischen Werkes gibt. Allgemein hat sich folgende, nicht sehr eng gefasste Definition eingebürgert: „Eine kurze volkstümliche Erzählung, oft unterhaltend und stets didaktisch orientiert.“

Um mich einer befriedigenderen Begriffsbestimmung anzunähern, werde ich die Merkmale heranziehen. Es handelt sich bei dieser Textsorte nicht um eine revolutionär neue Gattung, sondern um die Summe unterschiedlicher literarischer Formen, die durch das (mögliche) Publikationsmedium, also den Kalender verbunden sind. Die Bandbreite ihrer Orientierung reicht von informativ, unterhaltend, schwankhaft, kritisch, belehrend über anekdotisch bis zu wissenschaftlich. Die Texte vermitteln private Geschichten ebenso, wie denkwürdige Ereignisse oder unterhaltsame Begebenheiten. Auch der Adressat lässt sich nicht eindeutig festlegen, da der Stil allgemein verständlich und realistisch gehalten ist, also für Leser aus allen Bevölkerungsschichten geeignet ist. Die Autoren wenden sich aber vermutlich hauptsächlich an ein Klientel, das ein kritisches Verhältnis zur Wirklichkeit hat oder eben bekommen soll.

Was allerdings zeichnet die „Kalendergeschichte“ als Erzählform aus?

Zur Form lässt sich sagen, dass die Kalendergeschichte mit wechselnder Gewichtung Elemente aus Anekdote, Schwank und Legende vereinigt. Aus diesem Grunde wird ,wie bereits erwähnt, ebenfalls eine treffende Definition erschwert. Die Schreibweise ist „volkstümlich“ im Sinne einer leserbezogenen, allgemeinverständlichen und realistischen Weise. So wird allen Schichten und Altersgruppen der Zugang zu seinen Werken erleichtert. Hebel war eine leichte Anmutung seiner Werke wichtig, da „bekanntlich viel mehr dazu gehört, etwas zu schreiben, dem man die Kunst und den Fleiß nicht ansieht, als etwas, dem man sie ansieht“ (Hebel).

Ein Charakteristikum Hebels ist die „Veredelung“ alter Geschichten. Er hängt fremden Texten aus Zeitungen, Kalendern und Büchern ein „Röcklein“ um, d. h. eine künstlerische Um- bzw. Durchformung wurde vorgenommen. Somit hat dieser Vorgang nichts mit Abkupfern, sondern mit Kreativität zu tun. Durch kunstvoll versteckte Kompositionsgeheimnisse und Gleichnissen oft biblischer Art wird ein Rätselcharakter erzielt.

In jeder seiner Geschichten lässt sich ein Realitätsbezug feststellen. So ist die Darstellung privater Geschichte vor dem Hintergrund der großen Historie ein Gestaltungsmittel Hebels.

Hebels Werke können als Spiegel der Welt verstanden werden, d.h. wahrheitsgemäße Berichte über Freude und Leid werden nicht einfach kopiert, sondern nach den Brechungsgesetzen des didaktischen Bewusstseins sublimiert und verändert. So wird die existente Volkssprache ohne Entstellung oder Verzerrung veredelt. Der von Hebel so geschaffene Spiegel hält dem Leser die versteckte Wahrheit der in ihm abgebildeten Welt vor.

Hebel bevorzugte in seinen Geschichten Motive wie:

- “Ewige Vorsehung“ und die Verantwortung des Einzelnen
- Gut und Böse
- Der Weg zur Wahrheit
- Wort und Wirklichkeit
- Bürger und Schelm.

Eine ausgeklügelte Sprichworttechnik wird deutlich, wenn Hebel durch eingefügte Sprichworte vor der bequemen Übernahme von Moralrezepten warnt. Fingerzeige, d.h. indirekte Aussagen verweisen den Leser auf die richtige Spur, um die Intention des Textes richtig aufzufassen.

Eine feinsinnige hintergründige Ironie regt den Leser zum Nachdenken an, damit dieser Überkommenes nicht unbesehen übernimmt und sich selbst kritisch ein Bild einer dargestellten Situation machen kann.

In vielen Texte Hebels sind Illustrationen zu finden, da das Verhältnis Bild und Wort wesentlich zur Konzeption und Struktur der Kalendergeschichte beiträgt. Zur Verwendung der Kalendergeschichten lässt sich sagen, dass diese - wie bereits erwähnt - in Kalendern, aber auch in Schulbüchern aller Stufen, in Volksausgaben und in Auswahlbänden veröffentlicht wurden und noch immer werden.

Der Begriff „Kalendergeschichte“ erscheint erstmalig in der Erzählung „Geschichte der Abderiten“ (1771) von Christoph Martin Wieland und bezeichnet eine Geschichte, die Historisches zum Inhalt hat. Hier ist also bereits ein volkstümlicher Erzählstoff gemeint. Die „Kalendererzehlungen“ in den „gelehrten Beyträgen zu den Braunschweigerischen Anzeigen“ (1766) bilden dazu die Grundlage und sind eine Sammlung historiographisch orientierter Beiträge in einem Kalender veröffentlicht. Erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weitete sich die Bedeutung auf alle literarischen Beiträge für einen Kalender aus. Zu dieser Zeit begann auch die Geschichte der großen „Kalendergeschichtenschreiber“. Zuvor hatte sich nur Johann Jakob Christoffel von Grimmelshausen mit seinen „Kalendergeschichten“- Sammlungen („Die verkehrte Welt“) und „des abenteuerlichen Simplicissimi Ewigwährender Calender“ einen Namen gemacht. Jetzt, im 19. Jahrhundert, tauchte Johann Peter Hebel mit seinem Werk „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“ auf, bei dem erstmals Kalenderbeiträge in großem Umfang (128 Stück) aus dem Medium des Kalenders herausgelöst wurden. Ein anderes bekanntes Werk ist „Der Rheinische/Rheinländische Hausfreund“ mit den bekannten Geschichten „Kannitverstan“, „Die gute Mutter“, „Drei Wünsche“, „Unverhofftes Wiedersehen“ und „Der Schneider in Pensa“. Hebels Vorbild war nach eigener Aussage Heinrich Zschokke mit seinem „Schweizerboten-Kalender“. Ein weiterer Kalendergeschichtenautor dieses Jahrhunderts ist Johann Christoph Beer, der einen „Wunder-Geschichten Kalender“ verfasste.

Auch Berthold Auerbachs „Schatzkästlein des Gevattersmann“ und Ludwig Anzengrubers „Letzte Dorfgänge“ sind zu den Kalendergeschichten zu zählen. Im 20. Jahrhundert waren Oskar Maria Graf und seine „Kalendergeschichten“ („Das Aderlassen“) und Karlheinrich Waggerl, der ebenfalls „Kalendergeschichten“ schrieb, bedeutende Autoren. Zu den berühmtesten Schreibern dieser Gattung zählt Bertolt Brecht mit seinem „Augsburger Kreidekreis“ und der “Unwürdige Greisin“.

2. Sachanalyse

In der der Textsammlung „Schatzkästlein des rheinischen Hausfreundes“ entnommenen Kalendergeschichte „Das Mittagessen im Hof“ beschreibt Johann Peter Hebel die Launen eines Herrn, sowie die Reaktion des Hausdieners, und gibt damit den Rat, sich über die Unberechenbarkeit einiger Mitmenschen nicht zu ärgern.

Betrachtet man den Aufbau, so fällt die sechszeilige „Einleitung“ auf. Mit ihr steuert Hebel auf den Ausgangspunkt seiner Geschichte zu und äußert sich, dass der Launenhaftigkeit einiger Zeitgenossen seiner Meinung nach durch den richtigen Umgang mit diesen Personen beizukommen ist.

Mitte der sechsten Zeile beginnt er dann seine Episode mit zwei einleitenden Sätzen, mit denen er die Hauptcharaktere, einen exzentrischen Herrn und seinen leidgeplagten Dieners einführt.

Die eigentliche Handlung setzt in Zeile 8 ein und geht bis zum Ende des Textes.

Das Mittagessen sagt dem verstimmten Hausherrn nicht zu. Er macht seinem unergründlichen Zorn Luft, indem er die Suppenterrine samt Inhalt zum Fenster hinauswirft. Der Diener reagiert prompt, macht es seinem Herrn nach und befördert auch den Rest der Mittagstafel auf dieselbe Weise in den Hof. Auf die Frage nach dem Grund seines ungebührlichen Handelns antwortet der Diener relativ forsch, er hätte angenommen, dass das gute Wetter seinen Herrn dazu animiert hätte, im Hof zu speisen. Das Hinauswerfen der Suppe hätte er als ersten Schritt gedeutet, die Mittagstafel nach draußen zu verlegen. Erst durch diese unverfrorene Handlung seines Angestellten wird dem Herrn die Schönheit der Natur und seine ungerechtfertigten Übellaunigkeit bewusst, wodurch er diese Dreistigkeit mit Humor nehmen kann.

Nicht nur von der Handlung her ist diese Kalendergeschichte gut zu verstehen, auch stilistisch bleibt Hebel einfach, allerdings nicht einfallslos. Die Sätze sind leicht erfassbar, nicht kurz (Z. 12 - 15), aber meist parataktisch (Hauptsatzreihung in Z. 8. f. oder Z. 21 ff.). Immer wieder taucht eine parallele Stellung von Satzgliedern, getrennt durch die Konjunktion „und“ auf : „und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte ...“ (Z. 3 ff.), „Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen, und mußte vieles entgelten ...“ (Z. 6 f.) oder „ ...fragte der Herr, und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf.“ (Z. 14 f.). Den längeren stehen auch kurze (Z. 2) und elliptische Sätze wie „Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer!“ (Z. 21) gegenüber, sodass man von einem sehr abwechslungsreichen Satzbau sprechen kann. Die ausgewogene Mischung aus direkter und indirekter Rede, Erzählerkommentaren und Handlung, Ausrufen (Z. 21) und rhetorischen Fragen (Z. 12) macht den Text äußerst lebendig. Durch den Einsatz des Präteritums wird die Geschichte von der Munterkeit einer Nacherzählung ähnlich.

Der Einsatz vieler Adjektive unterstützt dies ebenfalls. Dabei fällt wieder die Dualität bzw. die Verbindung mit „und“ auf: „schwer und unmöglich“ (Z.1), „inwendig und auswendig“ (Z. 4), „kalt und ruhig“ (Z. 17).

Wie in vielen Kalendergeschichten stehen sich zwei völlig verschiedene Charaktere gegenüber, die stellvertretend für verschiedene Typen der Gesellschaft angeführt werden. Anfangs sind die Fronten eindeutig: Auf der einen Seite der vermeintlich bösartige, übelgelaunte Hausherr. Er ist der Antiheld, sozusagen der „Kotzbrocken“ der Geschichte, befindet sich für den Leser eindeutig im Unrecht und macht anderen Leuten damit grundlos das Leben schwer. Ihm gegenüber steht der Diener, der mit seiner mutigen, kessen Art der Held und Sympathieträger des Lesers ist. Trotz seines gesellschaftlich niederen Rangs wagt er es, seinem Herren nicht nur gegenüber zu treten, sondern ihn sogar in seiner Handlungsweise zu kritisieren bzw. sogar zu karikieren. Damit riskiert er seine Arbeitsstelle und Zukunft. Doch der Held zeigt sich als erfolgreich. Entgegen der Vermutung der Leser bestraft der Herr seinen Untergebenen für diesen Affront nicht, sondern macht eine Entwicklung durch. Die Erkenntnis über sein Unrecht lässt ihn sich wandeln. Er lernt. Dadurch wird er geläutert, zeigt zwar seine Wandlung nicht offen, schafft es aber die Sympathie der Leser zu gewinnen.

Hebel ist ein kritisches Verhältnis zur Wirklichkeit wichtig. Auch mit diesem Text verfolgt er das Ziel, die Menschen aus ihrer Lethargie zu wecken und ihnen klarzumachen, dass die Realität keine schicksalhaft vorbestimmte Verkettung von Vorgängen ist, sondern durch Eingreifen und Handeln von jedem selbst gestaltet werden kann. Durch seinen Mut, seinem Herren sein eigenes Handeln vor Augen zu führen, ihm quasi den Spiegel vorzuhalten, verbessert der Diener seine Lage. Es ist also zu vermuten, dass Hebel einerseits gerade diese Zivilcourage von seinen Lesern fordert. Die Kalendergeschichte zeigt, dass dies durchaus auch auf Leute aus niederen gesellschaftlichen Schichten zutrifft. Sie sollen sich bei ungerechter Behandlung nicht scheuen aufzubegehren.

Andererseits prangert Hebel mit dem Verhalten des Herrn Launenhaftigkeit und Willkür an. Im Text wird klar, dass er nur ein Objekt sucht, an dem er seine Verstimmtheit abreagieren kann. Einen eigentlichen Anlass für Aggressionen gegenüber seines Bediensteten gibt es nicht, wie das Wort „unschuldig“ (Z. 8) und die Formulierung „Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt, oder keines von beiden“ (Z. 9 f.) zeigen. Bei schlechter Laune sollte man sich lieber auf die schönen Dinge des Lebens - in dem Fall die Schönheit der Natur und die Gewitztheit des Dieners - stützen und nicht in Pessimismus verfallen. Gleichzeitig zeigt Hebel allerdings, dass sich solche Zeitgenossen bei richtiger Behandlung bessern können. Der Leser wird angehalten, sich über derartiges Benehmen nicht zu ärgern, sondern es als „wunderlich“ (Z. 3) zu erkennen und diesen Menschen mit der richtigen Mischung aus Aufsässigkeit und Nachsicht zu begegnen.

Nicht ganz zuletzt ging es Hebel sicher auch um den von ihm geforderten Humor. Die Geschichte beschreibt ja einen eigentlich sehr lustigen Vorgang, eine Art Streich des Dieners, der die Allüren seines Herren ja absichtlich missdeutet. Nach dem ungebührendem Verhalten des Angestellten steht bewusst der Ausruf „Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer!“, um Spannung aufzubauen. Der Leser weiß um die Dreistigkeit dieser Tat und rechnet mit der Rüge, wenn nicht gar mit der Entlassung des Dieners. Quasi als Pointe oder moderner „Happy End“ steht die Einsicht des Griesgrams. Unterhaltung garantiert, dass der Text auch bei weniger gebildeten Leuten im Gedächtnis bleibt und evtl. auch weitererzählt wird.

3. Qualifikationenanalyse

Die Kalendergeschichte soll im Literaturunterricht verwendet werden, um zum kritischen Denken zu erziehen, die Schüler sollen lernen sich selbst eine Meinung zu bilden. Verschiedene Formen der Weltanschauung sollen zum Ausdruck kommen, was zu mehr Objektivität und Vorurteilsfreiheit anregen soll. Hebels Kalendergeschichten können aber ohne weiteres auch Mittel zur Lebenshilfe sein, hierbei kommt dann wieder der Pastor in Hebel zum Einsatz, dem die Moral wichtig ist. Bei der Verstehens- und Denkschulung nimmt die Kalendergeschichte ebenfalls einen wichtigen Platz ein, da es eines genaueren Hinsehen bedarf, um die Intention zu erfassen.

In all diesen Punkten wird deutlich, dass sich die Kalendergeschichte in allen Jahrgangsstufen bedenkenlos einsetzen lässt, da sich für jede Altersstufen passende Texte finden lassen.

Die Kalendergeschichte bietet sich aber vor allem in der siebten und achten Jahrgangsstufe an. Hier fordert der Lehrplan das Kennenlernen von Beispielen literarischer Formen, speziell in der achten Klasse die Begegnung mit epischen Kurzformen.

3.1. Qualifikationen im kognitiven Bereich

Der Text „Das Mittagessen in Hof“ bringt den Schülern die Textart der Kalendergeschichte näher. Die Fähigkeit, einen literarischen Text erschließen zu können ist dabei das Leitziel. Dabei ist es wichtig, dass die Schüler „den Inhalt erfassen, [indem sie] den Text sorgfältig lesen, erste Eindrücke festhalten, unverstandene Begriffe klären, den Text in Handlungsabschnitte gliedern, Kernstellen unterstreichen oder stichwortartig herausschreiben, Abschnitte zusammenfassen bzw. mit einer Überschrift versehen [und]den Gesamtinhalt zusammenfassen“ (LP D 7.3). Sie sollen fähig sein, aus dem Text die Erzählperspektive, den Ort und die Zeit der Handlung, die Personen und die Textaussage benennen zu können.

Durch die Vertrautheit mit den Merkmalen einer Kalendergeschichte entwickeln die SS die Fähigkeit, einen Text dieser Textsorte zuzuordnen.

Auffälligkeiten in Wortwahl und Satzbau werden erkannt und beschrieben.

3.2. Qualifikationen im affektiven Bereich

Durch die hintergründige Ironie, die Kalendergeschichten auszeichnet, macht es den Schülern Spaß, diese zu lesen. Sie entwickeln Freude am kreativen Umgang mit den Texten (z.B. Rollenspiel) und Interesse an Texten gleicher Gattung. Werte wie Toleranz, Geduld, Emanzipation oder die Schönheit der Natur werden nach einer Diskussion anerkannt. Die Bereitschaft, sich selbst in seinen Stärken und Schwächen kritisch zu beurteilen und dadurch in seiner Persönlichkeitsentwicklung weiterzukommen (→ LP 1.1 (3)). Damit wird „ein Beitrag zur verantwortlichen Lebensgestaltung im persönlichen Umfeld sowie im familiären, beruflichen und gesellschaftlichen Bereich“(→ LP 1.1 (3)) der SS geleistet.

Die Bereitschaft, „ihre Meinung zum Inhalt zu äußern und zu begründen, warum ein Text als wertvoll, ansprechend oder beeindruckend empfunden wird“ (→ LP D 7.3) schult das Ausdrucksvermögen und damit die Möglichkeit der Integration in die Gesellschaft.

3.3. Qualifikationen im psychomotorischen Bereich

Gerade in der siebten Jahrgangsstufe, in der der Leselernprozess zwar längst abgeschlossen sein sollte, zeigen sich in diesem Bereich häufig Defizite. Die Fähigkeit, einen Text korrekt mit der richtigen Betonung darzubieten ist ein anzustrebendes Lernziel.

Es bietet sich an, den Text szenisch (evtl. Pantomime) zu gestalten, wie es im Lehrplan der Jahrgangsstufe 8 (→ LP D 7.1 „Im Spiel Rollen übernehmen“ & D 8.1 „Kreativ mit Sprache umgehen, Spielszenen gestalten“) vermerkt ist. Dabei versetzen sich die Schüler in andere Personen, lernen, sich den Charakteren entsprechend zu verhalten, zu sprechen und zu agieren und entwickeln dadurch ein besseres Körpergefühl. Spaß am Spiel und einer eventuellen Aufführung ist dabei die beste Motivation.

Die Fähigkeit des Perspektivenwechsels wird geschult.

4. Methodische Analyse

Setzt man voraus, dass bereits eine Kalendergeschichte bearbeitet wurde und die SS Kenntnisse über die Grundzüge der Inhaltsangabe und die Merkmale der Kalendergeschichte besitzen so wäre dies eine mögliche Stunde zur Kalendergeschichte. Den SS ist der Text noch unbekannt. Durch die intensive Beschäftigung mit dem Text wird der Grundstein für weitere Stunden, wie z.B. zu untenstehenden Themen und Projekten gelegt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Fächerübergreifende Projekte und Themen:

- „Friedenserziehung“ ist eine Forderung des Lehrplans. Diese Kalendergeschichte ist ein Text, der den Schülern zeigt, dass „Spannungen und Streitigkeiten friedlich gelöst werden können“ (→ LP Fächerübergr. Bildungs - und Erziehungsaufgaben: Friedenserziehung).

Ein bunter Abend oder ein Schulfest könnte unter dem Motto „Friede“ initiiert werden. Die Texte und Arbeiten zu der Geschichte kann man in einer Ausstellung präsentieren, die Geschichte als Sketch aufführen.

- Die „Bedeutung und Bewältigung von Konflikten“ (→ LP Fächerübergr. Bildungs - und Erziehungsaufgaben: Friedenserziehung) und Spannungen sind in der siebten Jahrgangsstufe Thema in Religion. Gerade hier können Hypothesen gesponnen und Fragen diskutiert werden:

- Was wäre, wenn der Diener nicht den Mut aufbringen würde, das Geschirr hinauszuwerfen?
- Was wäre, wenn der Herrn sein Unrecht nicht einsehen würde?
- War das Verhalten des Dieners richtig?
- Wie verhalte ich mich einem Griesgrämigen gegenüber, wie verhalte ich mich, wenn ich selbst schlechter Laune bin, um Konflikte zu vermeiden?

- In Musik kann der Begriff des Geräuschs anhand des zersplitternden Geschirrs eingeführt werden. Die Töne können per Synthesizer erzeugt und für eine evtl. Aufführung verwendet werden.

- Gerade in Kunsterziehung ist dieser Text sehr gut zu verarbeiten. Auch hier könnte eine Aufführung ausgestattet werden, z.B. durch ein Bühnenbild. Die Aufführung kann gefilmt. Also in ein anderes Medium übertragen und bearbeitet werden. Wie bei jeder witzigen, kurzen Geschichte bietet sich das Herstellen einer Bildergeschichte an. Dazu ist die Drucktechnik ein (→ LP Rahmenplan Kunsterziehung 7) hervorragendes Mittel, denn der Raum kann mit einer bleibenden Vorlage, der Vorgang mit differenzierten Platten gedruckt werden.

5. Literaturangaben:

- Franz, Kurt : Kalendermoral und Deutschunterricht - Johann Peter Hebel als Klassiker der elementaren Schulbildung im 19. Jahrhundert. Max Niemeyer Verlag, Thübingen 1995.

- Lange, Günter u.a. (Hg.): Textarten-didaktisch. Eine Hilfe für den Literaturunterricht, 2. Auflage. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren GmbH, 1998.

- Killy, Walther (Hg.): Literaturlexikon. Bd: 13/14. 1993.

- Knopf, Jan: Geschichten zur Geschichte. Suhrkamp Verlag, Frankfurt a. M. 1983.

- Kully, Rolf Max (Hg.): Johann Peter Hebel - Gesammelte Werke. Siegbert Mohn Verlag, Gütersloh 1968.

- Sowinski, B. (Hg.): Fachdidaktik Deutsch. 2. Auflage, Köln 1980.

- Wittmann, Lothar: Johann Peter Hebels Spiegel der Welt. Interpretationen zu 53 Kalendergeschichten. Abschließend überarbeitet unter Mitwirkung von Wilhelm J. Hachgenei. Diesterweg, Frankfurt a. M. (u. a.) 1969.

- KWMB1 I So.-Nr. 1/1993

6. Ausgangstext: Das Mittagessen im Hof Von Johann Peter Hebel

Man klagt häufig darüber, wie schwer und unmöglich es sei, mit manchen Menschen auszukommen. Das mag freilich auch wahr sein. Indessen sind viele von solchen Menschen nicht schlimm, sondern nur wunderlich, und wenn man sie nur immer recht kennte, inwendig und auswendig, und recht mit ihnen umzugehen wüßte, nie zu eigensinnig und nie zu nachgebend, so wäre mancher wohl und leicht zur Besinnung zu bringen. Das ist doch einem Bedienten mit seinem Herrn gelungen. Dem konnte er manchmal gar nichts recht machen, und mußte vieles entgelten, woran er unschuldig war, wie es oft geht. So kam einmal der Herr sehr verdrüßlich nach Hause, und setzte sich zum Mittagessen. Da war die Suppe zu heiß oder zu kalt, oder keines von beiden; aber genug, der Herr war verdrüßlich. Er faßte daher die Schüssel mit dem, was darinnen war, und warf sie durch das offene Fenster in den Hof hinab. Was tat der Diener? Kurz besonnen warf er das Fleisch, welches er eben auf den Tisch stellen wollte, mir nichts, dir nichts, der Suppe nach, auch in den Hof hinab, dann das Brot, dann den Wein, und endlich das Tischtuch mit allem, was noch darauf war, auch in den Hof hinab. „Verwegener, was soll das sein?“ fragte der Herr, und fuhr mit drohendem Zorn von dem Sessel auf. Aber der Bediente erwiderte kalt und ruhig: „ Verzeihen Sie mir, wenn ich ihre Meinung nicht erraten habe. Ich glaubte nicht anders, als Sie wollten heute in dem Hof speisen. Die Luft ist so heiter, der Himmel so blau, und sehen Sie nur, wie lieblich der Apfelbaum blüht, und wie fröhlich die Bienen ihren Mittag halten.“ - Diesmal die Suppe hinabgeworfen, und nimmer! Der Herr erkannte seinen Fehler, heiterte sich im Anblick des schönen Frühlingshimmels auf, lächelte heimlich über den schnellen Einfall seines Aufwärters und dankte ihm im Herzen für die gute Lehre.

Aus „Johann Peter Hebel, Gesammelte Werke“, S. 69 f

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Die Kalendergeschichte
Hochschule
Universität Passau
Veranstaltung
Epische Kurzformen in der Sekundarstufe I
Note
1
Autor
Jahr
1999
Seiten
13
Katalognummer
V106361
ISBN (eBook)
9783640046409
Dateigröße
443 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kalendergeschichte, Epische, Kurzformen, Sekundarstufe
Arbeit zitieren
Schweiger Sandra (Autor:in), 1999, Die Kalendergeschichte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106361

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