Wolf, Christa - Kein Ort. Nirgends


Referat / Aufsatz (Schule), 2002

16 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Heinrich von Kleists Darstellung im Buch anhand von Textnachweisen.

Kleist - Charakter und Denken

Wieso? fragt die zweite Stimme in Ihm, die er unterdrückt, wie er es eisern geübt hat. (S.14)

Mörderische Wohltat: Meinen, was man sagt, und von der eigenen Meinung zerrissen werden. (S.15)

Ach diese angeborene Unart, immer an Orten zu sein, wo ich nicht lebe, oder in einer Zeit, die vergangen oder noch nicht gekommen ist. (S.36)

Die Mitteilung seiner innersten Geheimnisse ist ihm Bedürfnis, er hat, unter welchen Anstrengungen!, gewaltige Wälle dagegen in sich errichten müssen . Seine Sprachhemmung, denkt er manchmal, die ihn in Gesellschaft überfällt, sei ein Mittel, mit dem die Natur ihm zu Hilfe kommen will:[...] (S.36) Jener Traum. Daß er ihm folgt, all die Jahre schon.[...] Er hat die Wahl - falls es eine Wahl zu nennen ist -, das verzehrende Ungenügen, sein bestes Teil, planvoll in sich abzutöten oder ihm freien Lauf zu lassen und am irdischen Elend zugrund zu gehn. Sich Zeit und Ort nach eigener Notwendigkeit zu schaffen oder nach gewöhnlichem Zuschnitt zu vegetieren. (S.38)

[...] seiner zwanghaften Vorstellung, jedermann, befasse sich insgeheim mit seinen Schwächen,[...] (S.40)

[...] wenn einem das eigne Gegenbild gegenübertritt. Der Mensch, an dem man ablesen kann: Es gibt sie, die glückliche Hand der Natur. Es gebt die Perfektibilität ihrer Geschöpfe. Savigny,[...]. Reich; unabhängig; souverän. (S.41)

Es zerreißt ihn, daß er denen nichts gilt. (S.42)

Kleist kennt kein peinigendes Gefühl als die Scham. (S.47)

[...] wie er danach verlangte und es zugleich verabscheute. (S.48)

Er muß seit langem gewußt haben, daß die Menschen am liebsten unter Lasten zusammenbrechen, die sie sich selbst auferlegen, aber ein Mensch wie ich, [...], der seinen eignen Untergang so höllisch präzis herbeiführt, ist ihm noch nicht begegnet. (S.51)

Etwas zerreibt Sie, Kleist, über das Sie nicht Herr sind. Wie wahr. Das Unglück, Herr Hofrat, von Bindungen abzuhängen, die mich ersticken, wenn ich sie dulde, und die mich zerreißen, wenn ich mich löse. (S.51)

[...]: Daß man die Philosophie nicht beim Wort nehmen, das Leben am Ideal nicht messen soll- das ist Gesetz. [...] Es ist das Gesetz der Gesetze, [...]. Wer dagegen aufsteht, muß zum Verbrecher werden. Oder zum Wahnsinnigen. Ha, ruft Kleist wie erfreut. Da danke ich Ihnen aber sehr. Sie lehren mich Goethe verstehn. (S.63)

Und allzu leicht und immer wieder lassen wir uns verführen, einmal, über das eigene Grab hin, werde es mit rechten Dingen zugehn, nach Wert und Würdigkeit, und nicht nach Sitte, Rang und Namen. Phantasterei.[...] Schluß, Schluß. Diese Ruhmsucht immer, dieser Unsinn, den sein Gehirn von selbst produziert, wenn er schwach genug ist, es nicht zu überwachen. [...] Er macht sich lächerlich. (S.66-67) Nichts ekelt ihn so wie diese literarischen Wendungen, die sich niemals auf dem Höhepunkt unserer Leiden - [...] - sondern danach, und die niemals frei sind von Falschheit und Eitelkeit. (S.68) Denn kein Mensch kann auf Dauer mit der Erkenntnis leben, daß, so stark sein Widerstand gegen das Übel der Welt, der Trieb in ihm ist, sich diesem Übel unbedingt zu unterwerfen. (S.69) Napoleon. Kleist spürt, wie das gräßliche Wort anschwillt, sich vollsaugt mit seinem ganzen Haß, seiner ganzen Missgunst und Selbstmissachtung. Und er spürt auch - das aber darf nicht wahr sein -, wie alle trüben Ströme seiner Seele von diesem Namen angezogen werden, ihm gierig zutreiben als dem Ort, der ihnen bereitet ist. (S.69)

Einmal habe Kleist den Hund, der immer Freude am Gehorchen gezeigt, zwischen zwei Befehle gestellt gesehn, deren jeder ihm zwingend erscheinen musste:[...] Da sei der Hund, entsetzlich unschlüssig, zwischen Küchenfenster und Hoftor hin - und hergelaufen, und sein Gesicht habe, das versicherte Kleist, einen unglücklichen Ausdruck gehabt.[...] Der Hund sei offenbar von dem Konflikt überwältigt worden. Seine Augen hätten sich mit jenem Häutchen überzogen, das bei Hunden Müdigkeit anzeigt, und , von unwiderstehlicher Schlafsucht bezwungen, habe er sich genau in die Mitte [...] gelegt und sei auf der Stelle eingeschlafen.[...] denkt er: Wer sein Leben lang schlafen könnte. (S.78-79) Bücher schreiben für Geld? O nichts davon! (S.80)

Er ist nicht ohne Übung in der Fertigkeit, auf indirekte Weise mit einem anderen zu sprechen. (S.82) Wem wollen Sie die in Ihrem Berlin vertrauen! Niemanden, sagt Kleist. Keiner Menschenseele. Da ich mich auf List und Verschmitztheit schlecht verstehe, habe ich schweigen gelernt. Eine schwere, doch lohnende Kunst. (S.88)

Lust am Leiden? Das hat gefehlt. Wenn sie ahnten, wie es ihn zur Lust an der Freude zieht. Wie er unter frohen Menschen als einer der Ihren leben möchte, einer Tätigkeit nachgehn, die ihn ernährt und zugleich ruiniert. Aber wie kann der wissen, daß es dies einfache Glück auf der ganzen Gotteswelt für ihn nicht gibt. (S.89)

Ein Widerschein der Hoffnung, gewisse Träume seiner Jünglingsjahre, deren er sich heute schämt, könnten wahr werden: Zutrauen kein Unding, Liebe kein Phantom. Doch er will nicht weich werden. (S.95)

Unrühmlich ist es, denkt Kleist, sich von seiner Zeit zerbrechen zu lassen. (S.96) Warum immer recht haben wollen. (S.98)

Man müsse schon durch die Wissenschaften hindurchgegangen sein, ehe man sich erlauben dürfe, sie zu schmähen. (S.99)

Kleist hat die Vision eines Zeitalters, das sich auf Gerede gründet anstatt auf Taten. (S.99)

Und da sitzen wir immer noch und handeln mit den Parolen des vergangenen Jahrhunderts,[...] und

wissen: Das ist es nicht, wofür wir leben und worum wir sterben könnten. (S.99)

Eine Wildheit Kleist, die ihn erschreckt und freut. Die Wege der Wissenschaft und Kunst haben sich getrennt, so redet er lahm genug. Der Gang unser heutigen Kultur geht dahin, das Gebiet des Verstandes mehr und mehr zu erweitern, das Gebiet der Einbildung mehr und mehr zu verengen. Fast kann man das Ende der Künste errechnen.[...] Soll ich denn alle meine Fähigkeiten, alle meine Kräfte, dieses ganze Leben nur dazu anwenden, eine Insektengattung kennenzulernen, oder einer Pflanze ihren Platz in der Reihe der Dinge anzuweisen? Muß die Menschheit durch diese Einöde, um ins gelobte Land zu kommen? Ich kann’s nicht glauben. (S.100-101)

Kleist, stark erregt durch das Gespräch - wie schnell sein Gleichmut zusammenbricht! -, sagt dem Hofrat, indem er sich mit beiden Fäusten gegen den Schädel hämmert: Ja, ja, ja! Mag sein, daß der Fehler hier drinnen steckt. Daß die Natur grausam genug war, mein Gehirn falsch auszulegen, so daß auf jedem Weg, den mein Geist einschlägt, der Aberwitz ihm entgegengrinst.[...] Sehn Sie nach, wo der Fehler sitzt. Nehmen Sie ihr Skalpell und schneiden Sie, ohne zu zittern, die verkehrte Stelle heraus. Es mag ja wahr sein, was ich in den Gesichtern meiner Familie lese: daß ich ein verunglücktes Genie, eine Art Monstrum bin. Doktor, ich flehe Sie an: Operieren Sie das Unglück aus mir heraus. (S.102-103) Kleist muß eine Regung von Eifersucht unterdrücken, als dürfe nur er von Goethe träumen-[...] (S.104- 105)

Ich kann die Welt in gut und böse nicht teilen; in zwei Zweige der Vernunft, nicht in gesund und krank. Wenn ich die Welt teilen wollte, müsst ich die Axt an mich selber legen, mein Inneres spalten, [...] (S.106)

[...] doch auch Herr Merten preisen mir die Vorzüge der neuen Zeit gegenüber denen der alten. Ich aber, Günderrode, ich und Sie, denk ich, wir leiden unter den Übeln der neuen. (S.108) [...] dauerhaft. Da schien es mir so natürlich, sagt er, Geschick und Kraft und Fleiß an die Herstellung solcher Möbel zu wenden, deren Nutzen außer Frage steht. (S.109)

[...] was sie sich wünschen würden, hätten sie drei Wünsche frei.[...] Kleist sagt: Freiheit. Ein Gedicht. Ein Haus. Unvereinbares, das Sie vereinbaren wollen. Ja, sagt er, leichthin. Ich weiß. (S.109-110) Er verwünscht seine Dressur, die ihn hindert, sich zurückzuziehen, wenn er will. Wozu diese wüsten Wintermonate in Mainz, wenn sie ihm das bisschen Freiheit gegen andere nicht gegeben haben. (S.111) Es durchfährt Kleist, ob er um einen simplen Irrtum so könne gelitten haben. Gewöhnt, grausam gegen sich zu sein, [...]. Dies wäre einmal eine Idee, die einen Menschen umbringen könnte, der sie sich nur recht zu Herzen nähme;[...] (S.111-112)

Kleist will keinen Hehl daraus machen, wie er die Einrichtung durchschaut. Dann stört ihn schon wieder, daß er für die mindeste Regung einen Entschluß nötig hat. Die wahren Handlungen entspringen der Seele unmittelbar, ohne den Kopf zu passieren, doch zu ihnen ist er nicht fähig, [...] (S.112) Jetzt versteht er seine immerwährende Müdigkeit. Ein Vergleich fällt ihm ein: Eine Maschine, die auf höchste Touren gebracht und zugleich gebremst wird. Der Verschleiß muß erheblich sein, sogar berechenbar. Es ist, sagt er, höchst merkwürdig, wie man einer Denkart, die man für verkehrt erkannt, doch immer wieder unterliegt und die Gewalt nicht aufbringt, den Karren aus der gewohnten Bahn zu reißen. Manchmal komme eine äußere Erschütterung dem festgefahrenen Kopf zu Hilfe,[...] (S.112) Ja glauben Sie denn, sagt Kleist, wir könnten dem blinden Zufall, der unser Leben regiert, etwas Nennenswertes entgegensetzen! (S.113)

[...], da mir durch die nähere Bekanntschaft mit der Kantischen Philosophie mein einziges, höchstes Ziel, mir Bildung und Wahrheit zu erwerben, als unerfüllbar versunken war;[...] (S.114) Ich, der nichts vorhatte, als dem Wissen zu entfliehn! (S.114-115)

Nachträglich findet er fast Anerkennung für dieses Henkerspiel, das aus den allerverschiedensten Fäden - solchen, die es absichtslos, versehentlich aufnimmt, und den schicksalhaften, zwangsläufigen - einem Menschen den Strick zu drehen weiß. Es heitert ihn auf, wenn er das Leben auf seinen Tricks ertappt. (S.115)

Warum diese Gereiztheit wieder. Warum immer noch, und - er weiß es ja - bis an sein Lebensende, diese Verletzbarkeit durch die bloße Erwähnung seiner Familie.[...] Sie, bei denen er alles fand, was ein Herz binden kann - Liebe, Vertrauen, Schonung, Unterstützung mit Rat und Tat -,[...] So widersprechen sich in mir Handlung und Gefühl...(S.116)

Doch er vermeidet es und wird es weiter vermeiden, dem Mut, ja, Übermut,[...], tiefer nachzugehn. (S.118)

Weiber. (S.120)

Etwas in uns wehrt sich gegen die Vollkommenheit der Natur, wenn sie unsrer eignen Zerrissenheit entgegentritt. (S.121)

Das Gräßlichste , sagt Kleist, ist doch jener innere Befehl, der mich zwingt, gegen mich selbst vorzugehn.(S.122)

Was hat doch Wedekind ihm nahegelegt? Maßhalten, Selbstbesinnung, auch Bescheidung. Nicht dieser Aufruhr.[...] Nicht diese heikle Lust an der Gefahr. Nicht wieder diese zügellose Hoffnung: All das nicht, was ihn zu dem macht, was er ist. Verloren, Wedekind. Das wird nichts. (S.122) [...] und hatte an Leib und Gliedern erfahren, was Freiheit ist, ohne daß das Wort ihm ein einziges Mal in den Sinn gekommen war. Ein Maß war ihm gesetzt. Das zu erfüllen er anstreben mußte, eine Verheißung, daß es im Menschen, auch in ihm lag, eine Gangart zu finden, die ins Freie führt; denn was wir wünschen können, muß doch im Bereich unserer Kräfte liegen,[...] (S.124)

Es könnte der Mühe wert sein, ihre Unbedingtheit an der seinen zu messen. (S.125)

Fürchten Sie nicht, der Maßstab, dem Sie sich unterworfen, könnte Sie vernichten? (S.126)

Nach Ihrer Beobachtung, sagt sie, schärfe sich der Ehrgeiz der Begabten an der Ungunst der Verhältnisse, der Ehrgeiz der Unbegabten an ihrem verzerrten Selbstgefühl. (S.127)

Sehn Sie nicht manchen sein Unglück auf einer Selbsttäuschung gründen? Und selber nichts davon merken, ums Verrecken nicht? (S.127)

Kleist fragt sich, wann und auf welche Weise die dunkle Farbe in sein Leben gekommen ist [...] (S.127) Ob die Frau neben ihm,[...], die gleichen Brechungen von Grün in den Schatten sieht, welche die Weiden werfen? Ob der Fluß, der beinah stillzustehn scheint, auch für sie diesen metallischen Glanz hat,[...] (S.128)

Sie, Kleist, nehmen das Leben gefährlich ernst. (S.129)

Dann erschrickt er. Undenkbar lange hat er die Grenze zu den verbotenen Bezirken eines andern nicht mehr verletzt. Ist er bedroht, dass er angreifen muß? (S.129)

Gedichte sind ein Luxus der Glücklichen.[...] Sich im Gedicht unmittelbar auszusprechen, ist ihm versagt;[...] (S.131)

[...]-, manchmal ist es mir unerträglich, daß die Natur den Menschen in Mann und Frau aufgespalten hat. Das meinen Sie nicht, Kleist. Sie meinen, daß in Ihnen selbst Mann und Frau einander feindlich gegenüberstehn. (S.132)

Wenn man begreifen könnte, von welcher Art diese Strömung ist und warum sie reißend wird. Ein Geschiebe wie von Eisschollen. Es ist, als stünd ich auf einer Scholle, im Eisgang, in absoluter Finsternis. Der Strom geht, ich weiß nicht, wohin, die Scholle neigt sich, einmal zu dieser, einmal zu jener Seite. Und ich, von Entsetzen durchdrungen, von Neugier, von Todesfurcht und vom Verlangen nach Ruhem ich soll um mein Gleichgewicht kämpfen. Lebenslänglich. (S.133)

Um mich zu ergänzen, denk ich manchmal, brauch ich die ganze Menschheit. Da sehn Sie den Irrsinn. (S.135)

Sie ist versorgt,[...]; sie muß ihre Gedanken nicht an die trivialsten Erfordernisse des Alltags wenden. Daß sie keine Wahl hat, erscheint ihm als Gunst. Sie ist, als Frau, nicht unter das Gesetz gestellt, alles zu erreichen oder alles für nichts zu halten. Kleist zählt die Staaten auf, die er kennt, es ist ihm ein Zwang geworden. Daß ihre Verhältnisse seinen Bedürfnissen strikt entgegenstehn, hat er erfahren. Mit gutem Willen, angstvollem Zutraun hat er sie geprüft, widerstrebend verworfen. Die Erleichterung, als er die Hoffnung auf eine irdische Existenz, die ihm entsprechen würde, aufgab. Unlebbares Leben. Kein Ort, nirgends. (S.135-136)

[...] er sieht sich schon, in verschiedener Kostümierung. Manchmal, unter Unbekannten auf der

Straße,[...], in einer gleichgültigen Unterhaltung wird ihn die böse Lust packen, laut zu schrein. Er wird die Zähne aufeinanderpressen, die Hände zu Fäusten ballen, die Regung unterdrücken[...](S. 139) Er hat sich so gewünscht, daß einer so weit ginge. (S.141)

Für Unlösbares gibt es keine Form. (S.141)

Sehn Sie nicht, wie unsre männliche Pflicht, zu handeln, uns unerfüllbar gemacht wird, daß wir nur falsch handeln können oder gar nicht! Während sie wenigstens im Reich der Ideen schalten können, das man Ihnen zugeteilt hat. (S.142)

Schritt für Schritt gehen wir rückwärts. (S.143)

Der Mann hält sich an Hilfskonstruktionen, darauf gefasst, daß sie zusammenbrechen. Daß er weder das eine noch das andre erreichen, also scheitern wird. Daß er folgenlos bleiben wird, eine Randfigur. (S.143) [...]: dann erst wird er sich das Recht auf seine Leiden nehmen und zugleich das Recht, sie zu beenden. (S.145)

[...]: Daß er an Unmöglichem sich abarbeitet. Ein Mann, gebunden an Gesetze der Alten so stark wie an die der Neuzeit, der seinen Untergang zu gleichen Teilen dem Verrat der Götter wie sich selbst verdankt:[...] Seinen ärgsten Feind und zugleich sich selbst enthüllen wollen, ist ein Vorhaben, für das es keine Lösung gibt. Der Stoff ist ungeheuer, an ihm zu scheitern keine Schande. (S.146) Die Aussicht hat der Mann neben ihr nicht. Sein Werk ist der einzige Punkt, mit sich eins zu werden;[...] So ist er doppelt einsam, doppelt unfrei. Es kann nicht gut gehn mit diesem Menschen, mag er nun ein Genie sein oder nur ein Unglücklicher unter vielen, wie die Zeit sie ausspeit. (S.148) Auch ich, denkt Kleist, werde einst ein Leichnam sein in den Gedanken der Menschen? Das ist es, was sie Unsterblichkeit nennen? (S.148)

Annährung an Günderrode

Soll eine Frau so blicken? Die Person ist Kleist nicht geheuer. (S.12) Ist diese Frau schön? (S.12)

Wie sie da steht, sich nicht aufdrängt, sich nicht ausdrücklich entzieht. Dame. Mädchen. Weib. Frau. Alle Benennungen gleiten von ihr ab. Jungfrau: lächerlich, beleidigend sogar; später will ich darüber nachdenken, wieso. Jünglingin. Kurioser Einfall, weg damit. (S.25)

Merkwürdig, wie diese Frau, auch wenn sie zu anderen spricht, ihn zu scheinen meint, und daß sie ihm als die einzig Wirkliche unter Larven vorkommt. (S.81)

Die Frau muß toll sein. Im Zorn ist sie auch schön. (S.95)

Die Frau. Als habe sie eine Ahnung von dem entsetzlichen Widerspruch, auf dessen Grund das Verderben der Menschheit liegt. Und als brächte sie die Kraft auf, den Riß nicht zu leugnen, sondern zu ertragen.(S.101)

Er ist außerstande, das tiefere Interesse hinter den Fragen der Günderrode wahrzunehmen. Sie ist wie alle. Sensationen, nichts anderes. (S.117)

Soll eine Frau so sprechen? (S.118)

Die nicht begütert, nicht überaus anmutig, nicht auffallend charmant und weiblich - unähnlich der Frau, die an seiner Seite geht -,[...] (S.119)

Kleist ginge jetzt ungern allein. Dann wieder ist es ihm nicht recht, daß die Frau eine Empfindung ausdrückt, die er kennt. (S.121)

Die ungesunde Lust, auf die Hebel und Stangen hinter den Kulissen zu zeigen - bei einer Frau hat Kleist sie noch nicht angetroffen.(S.121)

Jetzt tut es ihm leid, daß er ihre Poesien nicht kennt. Es könnte der Mühe wert sein, ihre Unbedingtheit an der seinen zu messen. Vielleicht gibt es doch einen Menschen unter dem Himmel, dem er den Gram anvertrauen kann, der ihn aufzehrt. Man versteht nicht, was man nicht mit andern teilt. (S.125) Fürchten Sie nicht, der Maßstab, dem Sie sich unterworfen, könnte Sie vernichten? Sie, Günderrode, als Frau, können es nicht wissen, was Ehrgeiz ist. (S.126)

Ob die Frau neben ihm, die lange zu schweigen versteht, die eine Frage auf sich beruhn lassen kann, die gleichen Brechungen von Grün in den Schatten sieht, welche die Weiden werfen? Ob der Fluß, der beinah stillzustehn scheint, auch für sie diesen metallischen Glanz hat,[...] (S.128)

[...] - irgend etwas an dieser Frau entzieht ihm wie ein Magnet die angreifbarsten Geständnisse -[...] (S.132)

Wäre das die Frau, vor deren Liebe man keine Angst haben müßte? (S.133)

Die Frau leidet, Kleist bezweifelt es nicht, aber die Frauen sind das leidende Geschlecht.

Nehmen wir es als Spiel, auch wenn es Ernst ist. Du weißt es, ich weiß es auch. Komm nicht zu nah.

Bleib nicht zu fern. Verbirg dich. Enthülle dich. Vergiß, was du weißt. Bahalt es. Maskierungen fallen ab, Verkrustungen, Schorf, Polituren. Die blanke Haut. Unverstellte Züge.[...] Bis auf den Grund verschieden. Vom Grund her einander ähnlich. Frau. Mann. Unbrauchbare Wörter. Wir, jeder gefangen in seinem Geschlecht. Die Berührung, nach der es uns so unendlich verlangt, es gibt sie nicht.[...] Unkenntlich bleiben wie uns, unnahbar, nach Verkleidungen süchtig. Fremde Namen, die wir uns zurücklegen. Ich bin nicht ich. Du bist nicht du. Wer ist wir? Wir sind sehr einsam. Irrsinnige Pläne, die uns auf die exzentrische Bahn werfen.[...] Tarnung, zuerst vor uns selbst. Auch wenn man bereit ist zu sterben, tun die Verletzungen weh, welche die Menschen uns zufügen müssen; nimmt uns der Druck der eisernen Platten, die näherrücken, uns zu zerquetschen oder an den Rand zu drücken, allmählich doch den Atem. Kurzatmig, angstvoll müssen wir weitersprechen, das wissen wir doch. Auch, daß uns keiner hört. Auch daß sie sich gegen uns wehren müssen: Wo kämen sie hin. Dahin, wo wir sind - wer sollte es ihnen wünschen. Da wir uns nicht wünschen können, zu sein, wo wir sind. Da wir es nicht ändern können. Da wir uns lieben, uns hassen. [...] Wir taugen nicht zu dem wonach wir uns sehnen. Wir müssen verstehn, daß Sehnsucht keiner Begründung bedarf. [...] Um Haltung ringen. Als hätte, was wir tun oder lassen, am Ende eine Bedeutung. (S.136-138)

Von Ihrem Tod wird nur ein Gerücht zu ihm dringe, das ihn ferne und seltsam berührt, da er, an die eigene Fessel geschmiedet, einen neuen Zusammenbruch in herzzerreißenden Wendungen zu verbergen sucht, innigst und untertänigst dankend für eine Gnade, die ihn ruinieren musste,[...] (S.139) Wozu er Jahre braucht, begreift die Frau in Minuten:[...] (S.146)

Ihr Angebot, Günderrode? Liebt mich? Und das Ihre? Vernichtet mich? Ach Günderrode! Ganz wahr sein können, mit sich selbst. Es steht uns nicht frei. (S.147)

An eigne Kraft glaubt doch kein Weib. - In dieser Frau denkt er, könnte ihr Geschlecht zum Glauben an sich selber kommen. Der Austausch mit ihr, die ihn als Mann nicht reizt, kommt einem sinnlichen Rausch nahe. (S.148)

Ohne Anlaß beginnt sie auf einmal zu lachen, erst leise, dann laut und aus vollem Hals. Kleist wird angesteckt. Sie müssen sich aneinander halten, um vor Lachen nicht umzusinken. Näher sind sie sich nie als in dieser Minute. (149)

Einfach weitergehn, denken sie. Wir wissen, was kommt. (S.150)

Der Selbstmordgedanke

[...] und verweigerte ihm die Wohltat, die Erde mit ihm gemeinsam für immer zu verlassen. (S.16) Kein andrer wird das Urteil an ihm vollstrecken als er selbst. Die Hand, die schuldig werden musste, vollzieht die Strafe. Ein Schicksal nach seinem Geschmack. (S.38-39)

Einmal wird es ihn über den Rand dieser beschränkten Kugel schleudern, er ahnt schon den Zugwind. (S.136)

Kleist als Pantheismusvertreter

Doch der schönste Landstrich von Deutschland,[...], sind die Ufer des Rheins von Mainz bis Koblenz,[...] Das ist eine Gegend wie ein Dichtertraum, und die üppigste Phantasie kann nichts Schöneres erdenken, als dieses Tal, das sich bald öffnet, bald schließt, bald öde ist, bald lacht, bald schreckt. (S.66) Das Gelb des Löwenzahns im Grün, Farben, vor die man die Maler führen müsste, um sie zu lehren, was Wörter wie gelb und grün eigentlich meinen. (S.120)

Etwas in uns wehrt sich gegen die Vollkommenheit der Natur [...] (S.121)

Gedanken der Romantik

Ach diese angeborene Unart, immer an Orten zu sein, wo ich nicht lebe, oder in einer Zeit, die vergangen oder noch nicht gekommen ist. (S.36)

Er dagegen, der Gedanke kommt ihm zum erstenmal, hat nicht in einem wirklichen Gemeinwesen gelebt, sondern in seiner Idee von einem Staat. (S.82)

Plötzlich habe er denken können, sagt er, was er nie für möglich gehalten: daß er die Blume des Glücks überall pflücken solle, wo sie sich ihm biete. (S.83)

Nirgends hab ich gefunden, wonach ich suchte. (S.84)

Herr von Kleist wolle, wenn er ihn recht verstehe, zum Ausdruck bringen, daß er sich unfähig fühle, sich an irgendein konventionelles Verhältnis dieser Welt einzupassen. (S.86)

Ordnung! Ja: Ordentlich ist heute die Welt. Aber sagen Sie mir: Ist sie noch schön? (S.97-98)

Man müsse schon durch die Wissenschaften hindurchgegangen sein, ehe man sich erlauben dürfe, sie zu schmähen. (S.99)

Kleist hat die Vision eines Zeitalters, das sich auf Gerede gründet anstatt auf Taten. (S.99)

Und da sitzen wir immer noch und handeln mit den Parolen des vergangenen Jahrhunderts,[...] und

wissen: Das ist es nicht, wofür wir leben und worum wir sterben könnten. (S.99)

Eine Wildheit Kleist, die ihn erschreckt und freut. Die Wege der Wissenschaft und Kunst haben sich getrennt, so redet er lahm genug. Der Gang unser heutigen Kultur geht dahin, das Gebiet des Verstandes mehr und mehr zu erweitern, das Gebiet der Einbildung mehr und mehr zu verengen. Fast kann man das Ende der Künste errechnen.[...] Soll ich denn alle meine Fähigkeiten, alle meine Kräfte, dieses ganze Leben nur dazu anwenden, eine Insektengattung kennenzulernen, oder einer Pflanze ihren Platz in der Reihe der Dinge anzuweisen? Muß die Menschheit durch diese Einöde, um ins gelobte Land zu kommen? Ich kann’s nicht glauben. (S.100-101)

Napoleon - der Dorn im Auge

Das ist auch das einzige, wozu dieses verdorbene Volk noch imstande ist: ein paar überfällige Moden abzuschaffen. Kleist! Wäre es möglich: Sie hassen die Franzosen! Allerdings. Ich hasse sie. (S.53) Da er sich jenem Teufel in Menschengestalt, dem Urfeind, unterstellen wollte, [...] Napoleon. (S.68) Napoleon. Kleist spürt, wie das gräßliche Wort anschwillt, sich vollsaugt mit seinem ganzen Haß, seiner ganzen Missgunst und Selbstmissachtung. (S.69)

Ganz wie Napoleon vor Akka, sagt die Günderrode. - Lächelt sie? Dieses Monstrum, sagt Kleist. Der sich gegen jede Anfechtung gefeit glaubt. [...] Der Besessene! Den seine Herrschsucht zerfrisst. (S.145)

Kleists Zusammenbruch im Winter 1803/1804, seine „Krankheit“

So lernt man nur, wenn es ums Leben geht, in Todesangst. (S.14)

Er ist nicht Herr dessen, was in ihm denkt. (S.15)

Diese schlimme halbe Jahr in Wedekinds Haus - [...] Sein Zustand verbot ihm, an Schreiben auch nur zu denken. In Todesnähe fällt dieser Zwang weg. Man lebt um zu leben. Wie das ausdrücken. (S.24) Mag es der Gipfel der Undankbarkeit sein, dem Arzt insgeheim vorzuwerfen, daß er die Starre seines Patienten zu lösen wußte, indem er mit Erfolg das einzige Mittel gegen sie anwandte: ihn zum Reden zu bringen; den Mann, der sich für vernichtet hielt und hartnäckig auf seiner Stummheit bestand, mit teilnehmen Fragen allmählich herauszulocken. Kleist wird es nie vergessen, wie wohltuend und zugleich entwürdigend es war, auf behutsame Anstöße schließlich doch zu erwidern; wie er danach verlangte und es zugleich verabscheute. (S.48)

Kleist fühlte sich, als er, von Frankreich kommend, in Mainz zusammenbrach, zerschmettert am Boden eines Schachtes, und jeder war ihm unerträglich, der dies Gefühl nicht mit ihm teilte; [...] (S.48) [...] als er den Vergleich gefunden hatte, der sein Befinden am deutlichtsten umschrieb: Er sei in ein Mühlwerk gefallen, daß ihm jeden seiner Knochen einzeln zerbreche und ihn zugleich zerreiße. Kein Zweifel: Der Mann litt. Der Arzt sah ihn sich krümmen, er hörte ihn stöhnen wie auf der Folter.Kleist erinnert sich, daß der Schmerz ihm Geständnisse erpreßt hat, Versuche, den Schmerz zu beschreiben. Das erträgt kein Mensch lange, Doktor. Einmal muß es nachlassen oder mich töten. (S.49) Können sie sich einen Menschen vorstellen, Doktor, der hautlos unter die Leute muß; den jeder Laut quält, jeder Schimmer blendet, dem die leiseste Berührung der Lauft weh tut. So ist mir, Doktor. (S.50) [...] und ist am Bett des Erschöpften sitzen geblieben, der mit den eigenen Armen, wie um sich festzuhalten, seinen Körper preßte und mit dem Kopf auf dem Kissen hin- und herschlug, bis er schließlich einschlief. (S.50)

Etwas zerreibt Sie, Kleist, über das sie nicht Herr sind. (S.51)

Daß er geweint, ja geschrien, daß er den Hofrat, einen Wildfremden, um sein Mitgefühl angefleht hat; daß er sich hinreißen ließ, Namen preiszugeben, die ihm am meisten brannten: Ulrike, Wilhelmine. Daß er das Bild eines Verzweifelten gab, den eine Verschuldung, ein Versagen zu Boden drückte,[...] (S.51-52) Worauf Kleist tobte bis zur Ermattung, dann eine Nacht und einen Tag durchschlief und, als er erwachte, ruhig und gefaßt erklärte, er wisse nun was er zu tun habe: Er werde Tischler. (S.52) [...] als ihm die immer gleiche Gedankenreihe, das immer gleiche, ewigdauernde, maternde Selbstgespräch zu wiederhole, das er all die zahllosen Tage gegen unsichtbare Ankläger zu seiner Verteidigung führen muß, was er auch tun mag, wo er geht und steht, selbst nachts, wenn er gegen vier aus dem Schlaf fährt. (S.52)

Gemütskrank, das Wedekindsche Stichwort,[...] (S.69)

[...] bis nach Mainz gekommen ist. Ein zerstörtes Instrument, zum Schein zusammengeflickt, das keinen Ton mehr hergeben wird. Das zu zerbrechen. Auch zu schonen nicht lohnt. (S.70) [...] was einer fühlt, der seine kostbarsten Papiere verbrennt.[...] erwiderte Kleist: Nun lag das Nichts offen vor mir. (S.71)

Goethe - als „rotes Tuch“ oder „verehrungswürdig“ ?

„Das Klassische nenne ich das Gesunde, und das Romantische das Kranke“ (Goethe)

[...]: Daß man die Philosophie nicht beim Wort nehmen, das Leben am Ideal nicht messen soll- das ist Gesetz. [...] Es ist das Gesetz der Gesetze, [...]. Wer dagegen aufsteht, muß zum Verbrecher werden. Oder zum Wahnsinnigen. Ha, ruft Kleist wie erfreut. Da danke ich Ihnen aber sehr. Sie lehren mich Goethe verstehn. (S.63)

Wenn es mir nicht gelänge, ihm meine Leiden heimzuzahlen. Ich werde ihm die Lorbeer von der Stirne reißen. (S.126)

Solche Wörter. Nie würden die Älteren sie in einen Satz stecken. Beide denken den selben Namen: Goethe. (S.122)

Goethe, sagt er,[...], daß er, [...] - lebensfremd ist. Ja, dies![...].- Daß er schier Unmögliches für wünschbar ausgibt, dadurch für machbar. (S.125-126)

Eines Tages, Günderrode, wird er sich vor mir fürchten. (S.129)

Karoline von Günderrodes Darstellung im Buch anhand von Textnachweisen.

Günderrode - Charakter und Denken

Ich fühle zu nichts Neigung, was die Welt behauptet. Ihre Forderungen, ihre Gesetze und Zwecke kommen mir allesamt so verkehrt vor. (S.9)

Was man lange und oft genug denkt, verliert allen Schrecken. Gedanken nutzten sich ab wie Münzen, die von Hand zu Hand gehn, oder wie Vorstellungen, die man sich immer wieder vors innere Auge ruft. (S.10-11)

[...], sie kennt die Menschen, ist darauf eingestellt, vergessen zu werde. Auffällige Gesten meidet sie, so lange es möglich ist. Sie hat das Unglück, leidenschaftlich und stolz zu sein, also verkannt zu werden. So hält sie sich zurück, an Zügeln, die ins Fleisch schneiden. (S.11)

Savignys Eintritt hat der Günderrode eine Minute freudiger Selbstvergessenheit verschafft, schnelleren Herzschlag, unwillkürliche Bewegungen, die sie nicht regieren kann, wo sie sonst jeden Impuls, jede Aufwallung zu beherrschen und zu unterdrücken versteht.[...]. Immer die Ältere, [...], Erzieherin der jüngeren Schwestern; immer vernünftig, immer einsichtig,[...] (S.20)

Eine halbe Stunde ist sie hier, und schon möchte sie fort, fühlt die Kälte aufsteigen, die diesem Zwang gewöhnlich folgt, (S.27)

Ihre Gedichte also,[...]. Sie will nicht darüber sprechen, will keinem Menschen, ihm am wenigsten, preisgeben, daß sie verletzt, beschämt, eigentlich mutlos ist. (S.28)

Sie fühlt sehr stark die Versuchung, sich fallen zu lassen. Wegzugehn, sich zu verkriechen, das letzte, unauffindbare Versteck aufzusuchen, wo keiner sie aufstöbern kann, nicht Freund, nicht Feind. (S.30)

Daß ich schreiben muß, steht mir fest. Es ist eine Sehnsucht in mir, mein Leben in einer bleibenden Form auszusprechen. (S.30)

Ich kenne meine Schwächen, sagt sie. Sie liegen nicht da, wo Sie sie suchen. (S.34)

Warum wollen Sie mir nicht zugestehn, daß ich in der Poesie wie in einem Spiegel mich zu sammeln, mich selber zu sehen, durch mich hindurch und über mich hinaus zu gehn suche. Unseren Wert im Urteil der anderen, der Nachwelt gar, haben wir nicht in der Hand, und ich kümmere mich nicht darum. Aber alles, was wir aussprechen, muß wahr sein, weil wir es empfinden: Da haben Sie mein poetisches Bekenntnis. (S.45)

Wüßte er, daß ich jetzt nichts empfinden kann als die Furcht, innerlich abzusterben, als Entsetzen vor der Öde, die sich in mir ausbreiten wird, wenn die Jugend mich verlässt. (S.46)

Wo ich zu Hause bin, gibt es die Liebe nur um den Preis des Todes. (S.46)

Die Günderrode haßt es, von so vielem abzuhängen, dem sie gar keinen Einfluß zugestehen will, und mehr als alles andre haßt sie es, darauf ertappt zu werden. Beschämung. (S.57)

[…] wie sie gelitten hat, als sie sich eingestand, daß der Grad der Anteilnahme, die er ihr abnötigte, nicht mehr in ihrem Willen lag; als sie sich durch die zunehmende Stärke ihres Gefühls belehrt sah, daß es nicht Teilnahme war, was sie empfand, sondern Leidenschaft.(S.59)

[...] sie beherrscht die Kunst der Verstellung;[...] (S.60)

Man spreche viel von den Leiden des jungen Werther, aber andere Leute hätten auch ihre Leiden gehabt, sie seien nur nicht gedruckt worden. - Hundertmal, tausendmal hat sie diesen Satz gelesen, nie nutzt er sich ab und sie zieht Linderung aus ihm für all die Demütigungen, die sie sich, mit seiner Hilfe, selbst zugefügt hat. (S.60)

[...] denken Sie sich nur, da will ich doch oft mit Kraft und Mut mich von euch beiden losreißen und mein eignes, abgesondertes, glückliches Leben führn. (S.62)

Doch ich beklage mich nicht. Wer sich im anderen irrt, hat das größere Unrecht. (S.74)

Daß meine Natur Ihnen unheimlich war, weil Sie Ihnen Rätsel aufgibt?[...] oder dem Gerücht, das mich mal als kokett, mal als prüd, mal als einen starken männlichen Geist, mal als den Inbegriff sanfter Weiblichkeit hinstellt? (S.76)

Ich schreibe ein Drama, und meine ganze Seele ist damit beschäftigt. Ich denke mich so lebhaft hinein, werde so einheimisch darin, daß mir mein eignes Leben fremd wird: Hörst du, Savigny, ich weiß nichts Besseres. Gunda sagt, es sei dumm, sich von einer so kleinen Kunst, wie es die meine sei, bis auf diesen Grad beherrschen zu lassen. Aber ich liebe diesen Fehler, wenn es einer ist. Er hält mich oft schadlos für die ganze Welt. Und er hilft mir glauben an die Notwendigkeit aller Dinge, auch an die meiner eignen Natur, so anfechtbar sie ist. Sonst lebte ich nicht,[...] (S.76-77)

Die Menschen sind sonst so leicht zu durchschauen, es langweilt sie. (S.83)

Hochmut. Die Günderrode weiß es im innersten Innern, wo sie unerbittlich mit sich selbst ist,[...]

Hochmütig, das ist sie. Grade eben, als sie mit der Bettine in der Fensternische gesessen und diese ihr lebhaft vom Geist der Unbedeutendheit sprach, da ging es ihr auf, wie nötig ihr dieser Geist,[...] ist, um jenes verborgene Gefühl von Überlegenheit, das sie seit je von andern trennt, immer wieder in sich aufzulösen. Unbedeutendheit.[...] Wie es eindringt in ihre heimlichen Phantasien von Bedeutendheit, die sie sich selbst kaum eingesteht. Wie es ihr hilft, das Gespinst zu zerreißen, das sie vor sich selber verbirgt. Sie wird ihre neuen Gedichte und dramatischen Versuche unter einem anderen Namen herausgeben, wird dem Hang, unkenntlich zu sein, folgen. Zu deutlich spürt sie, wie die Erwartung des Publikums ihr die Unbefangenheit nimmt. Wie vieles dagegen leicht und natürlich wird, um wie viel näher sie den Menschen kommt, wenn sie nicht bedeutend sein will. (S.91-93)

Heftige Freude und heftiger Schrecken, ineinandergemischt.[...] Leichtsinnig nicht, aber neugierig, ja, das ist sie allerdings, neugierig auf den Moment, da der Boden unter den Füßen nicht mehr trägt. Es ist eine Gier jener verbohrten, heillosen Art, die uns mit Recht verboten ist, so daß die anderen zehn Gebote davor verblassen. (S.96)

Sie trinke selten Wein, sagt die Günderrode. Meist müsse sie den Genuß mit Kopfschmerz bezahlen. (S.108)

Mir würde es auch gefallen, abends nach einer einfachen Arbeit müde mit Menschen um einen Tisch zu sitzen. Die Wärme. Die Nähe der andern. (S.108)

Ja, sagt die Günderrode, das ist wohl verständlich, daß wir dem Zwang, dem wir unterstellt sind. In Gedanken wenigstens zu entfliehen trachten. In der Wirklichkeit ist es uns nicht erlaubt. (S.109)

[...] was sie sich wünschen würden, hätten sie drei Wünsche frei.[...] Sie wüßte keinen, ihre Wünsche sind unbegrenzt. (S.109)

Ja, es sei ihre schwerste Erfahrung, daß zerstörbar in uns nur ist, was zerstört sein will, verführbar nur, was der Verführung entgegenkommt, frei nur, was zur Freiheit fähig ist; daß diese Erkenntnis sich in einer ungeheuren Weise vor dem, den sie betrifft, verbirgt, und daß die Kämpfe, in denen wir uns ermatten, oft Scheingeschäfte sind. (S.111)

[...]: Das ist es ja, was sie Kälte nennen, daß sie sich nicht ihren Vorurteilen überlässt. (S.113)

[...], warum ihr so häufig junge Männer begegnen, denen sie sich überlegen fühlt. (S.114)

Ihre Frage, Kleist, führt zu nichts außer Selbstquälerei.[...] Ihr Selbstwertgefühl rebelliert gegen einen solchen Tod. Doch hätten Sie ihn zufällig nennen können? Wäre er nicht eine Folge aus Ereignissen gewesen, die Sie selbst herbeigeführt haben? (S.114)

Selten ist sie neidisch, jetzt ist sie’s. (S.117)

Der Günderrode ist es einerlei, ob sie mit einem engstirnigen oder mit einem großmütigen Menschen spricht. Sie sagt, nach ihrer Beobachtung gehöre zum Leben der Frauen mehr Mut als zu dem der Männer.[...] Es sei nämlich dahin gekommen, daß die Frauen, auch über Entfernungen hinweg, einander stützen müssten, da die Männer nicht mehr dazu imstande seien.[...] Weil die Männer, die für uns in Frage kämen, selbst in auswegloser Verstrickung sind. Ihr werdet durch den Gang der Geschäfte, die euch obliegen, in Stücke zerteilt, die kaum miteinander zusammenhängen. Wir sind auf den ganzen Menschen aus und können ihn nicht finden. (S.116-117)

Kleist, blickten wir durch die Risse in den Abgrund hinter der Schönheit: das würde uns stumm machen. (S.121)

Gräßlich das Chaos, sagt sie, die unverbundenen Elemente in der Natur und in uns. Die barbarischen Triebe, die, mehr als wir es wissen, unsre Handlungen bestimmen. (S.121-122) Was mich tötet, zu gebären. (S.122)

Ich übe mich darin, was ich muß, auch zu wollen. Und verschaffen sich so die Illusion der Freiheit. (S.127)

Ist wahr, sagt sie. Unsere Blindheit. Daß wir nicht wissen können, wohin unsre Abweichungen von den Wegen uns führen. Daß die Zeit uns verkennen muß, ist ein Gesetz. Aber ob das, was wir uns herausnehmen, eines ferneren Tages zu einer gewissen Geltung kommt... (S.127)

Und Sie, Günderrode? Sie wollen sich einreden, daß sie sich mit Ihrer eingeschränkten Existenz versöhnen könnten? (S.129)

Sie hat den Ton im Ohr, der sie von allen gewöhnlichen Geräuschen abschirmt und ihr anzeigt, daß es Zeit ist, sich zurückzuziehn,[...] (S.129)

[...] Rückzug des verschmähten Körpers auf sich selbst.[...] Der Tag, an dem sie den Namen für ihr Leid vor sich selber ausspräche, müsste ihr letzter sein. (S.130)

Nicht doch. Auch eine eingeschränkte Existenz läßt sich dehnen bis zu ihren Rändern, die vorher unsichtbar sind. Nur das, wofür wir keine Sinne haben, ist uns verloren. Wem das Auge des Geistes aufgegangen ist, der sieht andern unsichtbare, mit ihm verbundene Dinge. (S.130) Mir sind nicht allein durch meine Verhältnisse, auch durch meine Natur engere Grenzen gezogen als Ihnen, Kleist. Sie haben den Ausgleich, das Gedicht. Gedichte sind ein Luxus der Glücklichen. (S.131) Das meinen Sie nicht, Kleist. Sie meinen, daß in Ihnen selbst Mann und Frau einander feindlich gegenüberstehn. Wie auch in mir.(S.132)

Ich glaube, wir fragen falsch, wenn wir uns dem Schicksal gegenüberstellen, anstatt zu sehn, daß wir mit ihm eins sind; daß wir, was mit uns geschieht, insgeheim herausfordern. Verstehn Sie, Kleist? Sonst geschähe bei ähnlichen Umständen einem jeden das gleiche. (S.133)

Nur unbegabte Menschen brächten alles zu Ende. Manche Kapitulation zeige doch nur die Größe des Widerstandes an. (S.141)

Lieber Kleist,[...]; man verbietet uns früh, unglücklich zu sein über unsre eingebildeten Leiden.

Siebzehnjährig müssen wir einverstanden sein mit unserm Schicksal, das der Mann ist, und müssen für den unwahrscheinlichen Fall von Widersetzlichkeit die Strafe kennen und sie angenommen haben. Wie oft ich ein Mann sein wollte, mich sehnte nach den wirklichen Verletzungen, die ihr euch zuzieht. (S.142) Leben Sie ohne geheime Rückversicherung? Ohne die versteckte Hoffnung, Spätere würden Sie brauchen, wenn schon die Zeitgenossen auf Sie verzichten können? Und dürsten doch zugleich nach gegenwärtigem Ruhm? (S.143)

Wenn wir zu hoffen aufhören, kommt, was wir befürchten, bestimmt. (S.147)

Sie zerreißt sich in drei Personen, darunter einen Mann. Liebe, wenn sie unbedingt ist, kann die drei getrennten Personen zusammenschmelzen. (S.148)

. Sie sagt, als habe sie das Gleiche gedacht: Indem wir der Gegenwart gewahr werden, ist sie schon vorrüber, das Bewußtsein des Genusses liegt immer in der Erinnerung. (S.148) Das Leben ist uns doch aus der Hand genommen. Ich muß nicht immer da sein. So wäre ich unverwundbar? (S.149)

Annährung an Kleist

Der Spalt des Vorhangs schließt sich, der sich für einen Augenblick aufgetan hatte, als wolle er ihn einlassen in ihre Welt. (S.18-19)

Die Günderrode spürt den Blick zwischen ihren Schulterblättern, schüttelt ihn ab. Der Fremde, den Wedekind eingeführt hat, steht stocksteif auf dem gleichen Fleck, allein. Jemand müßte sich seiner annehmen. (S.25-26)

Was geht mich übrigens der fremde Gast eines fremden Hauses an. Vielleicht gibt sich nachher die Gelegenheit, diesen Kleist wissen zu lassen, daß ich sein Stück gelesen hab.(S.26)

[...] weil von Mainz herüber merkwürdige Gerüchte über den jungen Menschen kamen, der in desolater Verfassung den Winter über bei Hofrat Wedekind untergekrochen war. Diesem Kindergesicht allerdings traut man die Seelenstürme, auch die wilden Verbrechen nicht zu, von denen sein Drama strotzt. Er ist ja noch sehr jung. (S.27)

Sie sieht den Punkt, den alle Linien meiden, um den ein freier Flecken sich gebildet hat: Kleist. Der niemanden kennt als seinen Arzt du der sich an keinen wendet als an ihn. Es rührt sie, wie er seine Füße hinter die Stuhlbeine klemmt, wie er die Teetasse, die längst leer ist, weiter in der Hand hält. Fordert die Höflichkeit, ihn ins Gespräch zu ziehn? Gebietet sie eher, ihm seine Ruhe zu lassen, auf die er wohl Wert legt? Seinen Blick, dem die Günderrode schon einige Male begegnet ist, weiß sie sich nicht zu deuten. Auch einer, der sich zu ernst nimmt. (S.47)

So sprechen wir im Traum, oder wenn wir zum letzten Mal das Wort haben. Kleist stört nicht bei diesem Traumgespräch, er fühlt es und spürt keinen Hang sich zurückzuziehn. (S.61)

Er bricht ab, die Sprache versagt ihm. Als blockiere das Sprechorgan sich selbst, denkt die Günderrode, um den Mann zu hindern, sich, mehr als ihm gut ist, andern zu eröffnen. Ein Übereifer, der sich selber in die Zügel fällt; was muß der Mensch ausstehn. Sie faßt ein Interesse an ihm, kein Mitleid. (S.83) Die Günderrode, die derartiges noch nie gesehn, auch nicht gedacht, versteht das Ding sofort.[...] Sie wissen es selbst, sagt die Frau. Dies ist kein Trauerspiel. Das ist ein Verhängnis. Ein Satz, der den Fremden auf merkwürdige Weise zu befriedigen scheint. (S.107)

Nahm sie ihn nicht Ernst genug? Oder zu Ernst? Und was gab ihr das Recht, sie beide, sich und ihn, in dem Worte „wir“ zusammenzufassen? (S.109)

Jetzt ist mir, als sei ich für ihre Gedanken verantwortlich, bloß weil er ihnen in Butzbach kam! (S.113) Der Mann rührt sie an; ob er ihr gefällt, weiß sie nicht, aber auch Abneigung würde ihr Urteil über ihn nicht trügen:[...] (S.113)

Übrigens will sie ihre Ansichten dem Herrn von Kleist nicht aufdrängen, der, gerade wenn er ernst und heftig wird, etwas Komisches an sich hat, inwiefern, könnte sie nicht sagen. (S.113) Dieser Kleist sieht nicht aus, als dürfe man ihm mit seinen Amouren schmeicheln. Das spricht eher für ihn. (S.115-116)

Die Günderrode liest ihm seine Gedanken ab und fühlt sich rot werden. (S.117)

Der Mensch, denkt die Günderrode, ist mir fremd, und in der Fremdheit nah. (S.126)

Einmal sollte einer ihr gegenübertreten, von dem sie nichts weiß. Von dem sie nichts erfahren kann, außer sie erfährt sich selber bis auf den Grund, bis an ihre Grenzen und darüber hinaus. (S.134) Nehmen wir es als Spiel, auch wenn es Ernst ist. Du weißt es, ich weiß es auch. Komm nicht zu nah. Bleib nicht zu fern. Verbirg dich. Enthülle dich. Vergiß, was du weißt. Bahalt es. Maskierungen fallen ab, Verkrustungen, Schorf, Polituren. Die blanke Haut. Unverstellte Züge.[...] Bis auf den Grund verschieden. Vom Grund her einander ähnlich. Frau. Mann. Unbrauchbare Wörter. Wir, jeder gefangen in seinem Geschlecht. Die Berührung, nach der es uns so unendlich verlangt, es gibt sie nicht.Unkenntlich bleiben wie uns, unnahbar, nach Verkleidungen süchtig. Fremde Namen, die wir uns zurücklegen. Ich bin nicht ich. Du bist nicht du. Wer ist wir? Wir sind sehr einsam. Irrsinnige Pläne, die uns auf die exzentrische Bahn werfen.[...] Tarnung, zuerst vor uns selbst. Auch wenn man bereit ist zu sterben, tun die Verletzungen weh, welche die Menschen uns zufügen müssen; nimmt uns der Druck der eisernen Platten, die näherrücken, uns zu zerquetschen oder an den Rand zu drücken, allmählich doch den Atem. Kurzatmig, angstvoll müssen wir weitersprechen, das wissen wir doch. Auch, daß uns keiner hört. Auch daß sie sich gegen uns wehren müssen: Wo kämen sie hin. Dahin, wo wir sind - wer sollte es ihnen wünschen. Da wir uns nicht wünschen können, zu sein, wo wir sind. Da wir es nicht ändern können. Da wir uns lieben, uns hassen. [...] Wir taugen nicht zu dem wonach wir uns sehnen. Wir müssen verstehn, daß Sehnsucht keiner Begründung bedarf. [...] Um Haltung ringen. Als hätte, was wir tun oder lassen, am Ende eine Bedeutung. (S.136-138)

Jetzt, Kleist, erzählen Sie mir von Ihrem Stück. Sie kennen es, denk ich. Nicht von dem. Von jenem, das keiner kennt, nicht einmal Sie selbst. (S.140)

Ihr Angebot, Günderrode? Liebt mich? Und das Ihre? Vernichtet mich? Ach Günderrode! Ganz wahr sein können, mit sich selbst. Es steht uns nicht frei. (S.147)

Ohne Anlaß beginnt sie auf einmal zu lachen, erst leise, dann laut und aus vollem Hals. Kleist wird angesteckt. Sie müssen sich aneinander halten, um vor Lachen nicht umzusinken. Näher sind sie sich nie als in dieser Minute. (149)

Einfach weitergehn, denken sie. Wir wissen, was kommt. (S.150)

Der Selbstmordgedanke

Sie kennt die Stelle unter der Brust, wo sie den Dolch ansetzten muß,[...]. Seitdem, wenn sie sich sammelt, spürt sie den Druck und ist augenblicklich ruhig. Es wird leicht sein und sicher, sie muß nur achten, daß sie die Waffe immer bei sich hat. Was man lange und oft genug denkt, verliert allen Schrecken.[...] An jedem Ort kann sie, ohne zu zucken, ihren Leichnam liegen sehn. (S.10-11) Man wird sie nicht demütigen. Sie hat das Mittel dagegen und wird es zu gebrauchen wissen. Welch ein Trost, daß man nicht leben muß. (S.30)

Ein kurioses Instrument, mein Fräulein, im Puderbeutel einer jungen Dame. Kurios? Vielleicht. Mir kommt es ganz natürlich vor. Bettine entwindet ihr den Dolch. (S.55)

Eine schlimme Gewohnheit, die Freunde mit Abschiedsblicken zu messen; schlimmer noch, sich vorstellen zu müssen, was sie über unsern nahen Tod einander sagen werden. (S.91)

Einmal wird sie dem folgen müssen, besinnungslos. Daß sie daran sterben wird, weiß sie, aber auch, dass sie dieses Wissen vergessen kann, wenn es soweit ist. Daß der Tod sie überraschen muß. (S.135) Unser Schicksal ist traurig. Ich beneide die Flüsse, die sich vereinigen. Der Tod ist besser, als so zu leben.(S.140)

Günderrode als Pantheismusvertreterin

Ja: Die unbedingte Richtigkeit der Natur.[...] Wert ist der Schmerz, am Herzen der Menschen zu liegen, und dein Vertrauter zu sein, o Natur! (S.8)

Als brauchte irgendeine Erscheinung der Natur unser Lob, unsre Aufmerksamkeit, ja auch nur unsere Anwesenheit. (S.19)

Nichts könnte dichter sein und schöner und wirklicher, sagt sie, als diese Landschaft, die ihr oft wie die Ausweitung ihrer selbst vorkomme. (S.121)

Gedanken der Romantik

Ich fühle zu nichts Neigung, was die Welt behauptet. Ihre Forderungen, ihre Gesetze und Zwecke kommen mir allesamt so verkehrt vor. (S.9)

Sie fühlt sehr stark die Versuchung, sich fallen zu lassen. Wegzugehn, sich zu verkriechen, das letzte, unauffindbare Versteck aufzusuchen, wo keiner sie aufstöbern kann, nicht Freund, nicht Feind. (S.30)

Ich kenne meine Schwächen, sagt sie. Sie liegen nicht da, wo Sie sie suchen. (S.34)

[...] denken Sie sich nur, da will ich doch oft mit Kraft und Mut mich von euch beiden losreißen und mein eignes, abgesondertes, glückliches Leben führn. (S.62)

Mir würde es auch gefallen, abends nach einer einfachen Arbeit müde mit Menschen um einen Tisch zu sitzen. Die Wärme. Die Nähe der andern. (S.108)

[...] was sie sich wünschen würden, hätten sie drei Wünsche frei.[...] Sie wüßte keinen, ihre Wünsche sind unbegrenzt. (S.109)

Günderrode, die unglücklich verliebte

Savignys Eintritt hat der Günderrode eine Minute freudiger Selbstvergessenheit verschafft, schnelleren Herzschlag, unwillkürliche Bewegungen, die sie nicht regieren kann, wo sie sonst jeden Impuls, jede Aufwallung zu beherrschen und zu unterdrücken versteht. (S.20)

Warum ist sie mitgekommen.[...]: Sie mußte Savigny wiedersehn. Immer ist es Leidenschaft, wenn wir tun, was wir nicht wollen. (S.44)

Glänzend, Savigny. Das kannst du, mein Freund: hinhalten. Daß das Licht sich trübt und ich steh im Finstern, allein. (S.57)

Nicht zu weich sein und zu wehmütig und zu sehnsüchtig - klar werden und fest und doch voll Freude am Leben. Ach Savigny. (S.58)

[…] wie sie gelitten hat, als sie sich eingestand, daß der Grad der Anteilnahme, die er ihr abnötigte, nicht mehr in ihrem Willen lag; als sie sich durch die zunehmende Stärke ihres Gefühls belehrt sah, daß es nicht Teilnahme war, was sie empfand, sondern Leidenschaft.(S.59)

Die Günderrode hält endlich den Savigny fest, ihr ist, als müßte an diesem Nachmittag noch ein entscheidenes Wort gesprochen werden. Obwohl sie weiß, die Entscheidungen sind längst gefallen.[...] Ein Bedürfnis nach Genugtuung? Ein letzter Versuch, bis auf den Grund verstanden zu werden? (S.72) Ich lege Ihnen alle meine Vollkommenheit demutsvoll zu Füßen, Sie aber treten drauf, als wären`s Pflastersteine. Sagen Sie mir doch, wie man ihre Liebe erwerben kann. (S.72-73) Und das ich in eine strenge Fessel geschlagen war. - Jetzt hab ich „war“ gedacht Savigny! Eben hab ich „war“ gedacht. (S.74)

Im Ernst, lieber Freund. Mein Herz hat sich von Ihnen abgewendet:[...] (S.76)

Sie, deren strenge Selbstkontrolle durch ihre Müdigkeit, durch Savignys Anwesenheit gelockert ist,[...] (S.116)

[...] Rückzug des verschmähten Körpers auf sich selbst.[...] (S.130)

Christa Wolf im Werk, zu beiden und zu ihrem Werk

Kleist erschrickt. Die Günderrode legt ihm ihre Hand auf den Arm. Sie wissen, dass sie nicht berührt werden wollen. Zugleich spüren sie ein Bedauern, ein Mitleid mit der unterdrückten Sprache ihrer Körper, eine Trauer über die allzu frühe Zähmung der Glieder durch Uniform und Ordenskleid, über die Gesinnung im Namen des Reglements, über die heimliche Exzesse im Namen seiner Übertretung. (S.123) Merken wir nicht, wie die Taten derer, die das Handeln an sich rissen, immer unbedenklicher werden? Wie die Poesie der Tatenlosen den Zwecken der Handelnden immer mehr entspricht?[...], und verrannt in einen Anspruch, den auf Erden keiner je erfüllen kann: Tätig zu werden und dabei wir selber zu bleiben? (S.142)

Wenn die Menschen gewisse Exemplare ihrer eignen Gattung aus Bosheit oder aus Unverstand, aus Gleichgültigkeit oder aus Angst vernichten müssen, dann fällt uns, bestimmt, vernichtet zu werden, eine unglaubliche Freiheit zu. Die Freiheit, die Menschen zu lieben und uns selbst nicht zu hassen. Begreifen, daß wir ein Entwurf sind - vielleicht, um wieder aufgegriffen werden, darauf haben wir keinen Einfluß. Das zu belachen, ist menschenwürdig. Gezeichnet zeichnend. Auf ein Werk verwiesen, das offen bleibt, offen wie eine Wunde. (S.149)

Die Welt tut, was ihr am leichtesten fällt: Sie schweigt. (S.150)

Philosophische Ansätze

1. Satres Existenzialismus
2. Kants Philosophie der Wahrheit
3. Nietzsches Nihilismus und Übermensch

1. Satres Existenzialismus - Der Entwurf und des Menschen Verantwortlichkeit

„Der Mensch ist zunächst ein Entwurf,[...]; nichts existiert diesem Entwurf vorweg,[...], und der Mensch wird zuerst das sein, was er zu sein geplant hat, nicht was er sein wollen wird. Denn was wir uns gewöhnlich unter Wollen vorstehen, ist eine bewußte Entscheidung,[...]“

- Mensch kommt ohne „Plan“ auf die Welt.

„Aber wenn wirklich die Existenz der Essens vorausgeht, so ist der Mensch verantwortlich für das, was er ist. Somit ist der erste Schritt des Existenzialismus, jeden Menschen in Besitz dessen, was er ist, zu bringen und auf ihm die gänzliche Verantwortung für seine Existenz ruhen zu lassen. Und wenn wir sagen, daß der Mensch für sich selber verantwortlich ist, so wollen wir nicht sagen, daß der Mensch gerade nur für seine Individualität verantwortlich ist, sondern daß er verantwortlich ist für alle Menschen.“

- Mensch ist trotz seines Entwurfes danach für sich selbst verantwortlich und resultierend aus seiner subjektiven Verantwortlichkeit, auch für jeden andren.

2. Kants Philosophie der Wahrheit (Süssifus - Problem)

"Wir können nicht entscheiden, ob das, was wir Wahrheit nennen, wahrhaft Wahrheit ist, oder ob es uns nur so scheint. Ist das letzte, so ist die Wahrheit, die wir hier sammeln, nach dem Tode nicht mehr - und alles Bestreben, ein Eigentum sich zu erwerben, das uns auch ins Grab folgt, ist vergeblich -"

Î Kant vertrat die Meinung, dass sich die Menschheit in seinem Tun, in den Wahrheiten und allgemein gültigen Werten nie die Frage nach dem: „Ist das das Wahre“ gestellt hat. Er stellt somit jegliche Ziele, Pläne und Wahrheiten in Frage. Kann das Erwerben von Wissen und Eigentum noch das höchste Ziel sein, wenn die Frage nach dessen absoluter Richtigkeit unbeantwortet bleibt? Gleichzeitig wird dadurch der Erwerb ideeller Werte in Frage gestellt.

3. Nietzsches Nihilismus und Übermensch

Friedrich Nietzsche propagiert den sogenannten Willen zur Macht, ein subjektivistischer, lebensbejahender Wille, der auf Selbstbeherrschung als Grundlage allen schöpferisch-kreativen Schaffens abzielt; ein Antrieb, der alles Leben und alles Seiende charakterisiert; dem alles Existierende folgt. Ein Wille, der sich moralischen Mehrheitsgrundsätzen widersetzt und im autonomen Übermenschen Verkörperung findet. Obgleich dieser den Menschen übersteigt, insofern er die Fähigkeit besitzt, sich den Lebenssinn selbst zu verleihen, darf der Übermensch jedoch nicht als ein jenseitiges Wesen angesehen werden: Nur sein Reifegrad unterscheidet ihn. Sein Grad der Vollkommenheit basiert auf der Entwicklung von Handlungs- und Denkmöglichkeiten über bisherige Grenzen hinweg. Dadurch, dass sich der Mensch der Kluft zwischen dem Idealbild, das er liebt, einerseits und der Realität andererseits bewusst wird, erwacht die Verachtung seiner selbst, die schließlich die Triebfeder seines Strebens darstellt; ihn das Ziel verfolgen lässt zum Schaffenden, zum autonomen Subjekt, zu werden. Die Kraft hierzu, so Nietzsche, müsse aus dem Menschen selbst erwachsen und dürfe aus keinerlei Form der Unterdrückung resultieren: Er solle "Ein aus sich rollendes Rad", ein Selbstdenker sein; nicht aus Ehrgeiz und "Lüsternheit nach Höhe" den Weg einschlagen wollen. Die Trennung von der Herde, dem Prinzip des Monismus, die Qualen der Einsamkeit, der Zwang selbst Verantwortung zu übernehmen, das Missverstehen der Anderen, die Versuchung umzukehren, der Widerstand gegenüber dem eigenen Ich, dessen größter Feind man werde, letztendlich die Bereitschaft alles aufzugeben. All dies sei erforderlich, um neu hervorgehen zu können. Seine These kann nicht weiter verifiziert werden und bleibt auch für Nietzsche nur eine sehnsüchtige Hoffnung.

Gemäß Nietzsche ist der Nihilismus - die radikale Ablehnung von Wert, Sinn und Wünschbarkeit - eine Übergangsphase, die dem Menschen eine Loslösung von alt verhafteten Wertvorstellungen und moralischen Grundsätzen der herkömmlichen Masse, der Herde, ermögliche und ihn so zu einer neuen individualistisch-autonomen Anschauung führe. Eine Phase enormen Entwicklungspotentials, in der die obersten Werte ihre Bedeutung verlören und aus der der Mensch, durch die Überwindung alter Kategorien, gestärkt hervorgehen könne. Eine destruktive Phase der Ziellosigkeit, der leidenschaftlichen Verneinung, dort wo der Wunsch nach Bejahung keine Rechtfertigung mehr erfahre. Der Nihilismus könne weder durch seelische noch durch leibliche oder intellektuelle Not hervorgerufen werden. Der Mensch müsse erkennen, dass es den allgemein gültigen Werten an Inhalt mangele. Nur so sei es ihm möglich, dem Nihilismus zu begegnen, um etwas Gültigeres an die Stelle des Bisherigen zu setzen um aus der Unterwerfung eigene Kräfte zu mobilisieren, um sich zu emanzipieren und die eigene Identität zurückzugewinnen. Als weitere Ursachen für den Nihilismus nennt Nietzsche die Erkenntnis der Sinnlosigkeit, den Verlust der Hoffnung, dass der Weg das Ziel sei ("Ein Ziel ist immer noch ein Sinn."), durch die Erkenntnis, "daßmit dem Werden nichts erzielt, nichts erreicht wird..." sowie den Glauben an die Venunft-Kategorien "Zweck", "Einheit", "Sein", durch die der Mensch versuche der Welt (und auch sich selbst) einen unrealistischen Wertmaßstab anzulegen, woraufhin sie uns zunehmend wertloser erscheine.

- Übermensch als Entwicklungsstufe über bisherige Grenzen hinweg, mit der bewussten Unterscheidung zwischen Ideal und Realität, welche zur Selbstverachtung führt und damit die eigentliche Triebkraft indiziert.

- Einsamkeit, Verantwortlichkeit, Missverstandenheit, der Widerstand gegen das eigene Ich und letztlich die Bereitschaft alles aufzugeben sind nötig um neu hervorgehen zu können. Î Das Erkennen der Inhaltslosigkeit allgemein gültiger Werte zum Ablehnen selbiger und gestärktem Hervortreten daraus.

Romantik und deren Gedanken - in kurz

„Romantisieren heißt, dem Gemeinen einen hohen Sinn, dem Gewöhnlichen ein geheimnisvolles Ansehen, dem Bekannten die Würde des Unbekanten, dem endlichen einen unendlichen Schein zu geben“ (Novalis)

Romantik als Streben nach einer völligen Erneuerung der Geisteswelt, verbunden mit dem Wunsch nach neuer Religion und neuem Mythos. Gegensatz zu allem Bestehenden in der Kunst und zum Teil im Leben. Kein Kümmern um alltägliche Niedrigkeiten. Menschliches Zusammenleben kein Thema. Einsamkeit in Verbindung mit Natur, Grenzüberschreitung, das Schaffen einer Fantasiewelt unstillbarer Durst nach schrankenloser Freiheit - all das erfüllte die romantische Generation. Das Ziel letztendlich, lässt sich also in einer Synthese aller Lebensbereiche zusammenfassen, dem Schaffen einer neuen Gesellschaft.

Kein Ort. Nirgends. - in kurz (Utopia = Nirgendland) von Christa Wolf (1979)

Aufbau und Form

- kaum Handlung (Verhältnis Erzählzeit zu erzählter Zeit etwa 2:1)
- Orte: Salon, Esszimmer, Spaziergang
- wörtliche Rede nicht gekennzeichnet
- hauptsächlich Stilmittel der erlebten Rede (3. Person, Präteritum) gemischt mit innerem Monolog (1.Person, Präsens); Dialoge, Diskussionen
- Erinnerungen und Vorstellungen zur Vergrößerung des Hintergrundes und etwaiger Zukunft

Leitdiskurse und Gesprächsthemen

- Staatswesen, Literatur, Goethe, Kunst und Wissenschaft, Mann und Frau, Freiheit und gesellschaftliche Normen und Zwänge
- Schreiben und Existenz, Rolle und Rollentausch, Utopie und Gegenwart

Absicht der Verfasserin

- Versuch das gesellschaftliche und psychische Scheitern ihrer Protagonisten zu erklären, wobei sie zu keinem Ergebnis kommt

Heinrich von Kleists Darstellung im Roman

- Verzweiflung an der Wahrheit das er keine Freiheit finden kann
- Hang zum Absoluten (Zufriedenheit nur, wenn Werk gelingt)
- völlige Heimatlosigkeit
- Auseinandersetzung mit sich selbst als zerrissener Persönlichkeit
- muss Handeln, fühlt sich aber eingeengt (Grenzen und Normen)
- Pantheismusvertreter

Karoline von Günderrodes Darstellung im Roman

- starke, aber gesellschaftlich nicht akzeptierte Frau
- unerfüllt Liebende, aber nur Liebe bringt Rettung
- Tod als einzige Ruhe
- Pantheismusvertreterin

Philosophische Ansätze

- Kants Philosophie von Wahrheit
- Nietzsches Nihilismus und Übermensch
- Satres Existenzialismus

Quelle: Kein Ort. Nirgends. C. Wolf, Deutscher Taschenbuchverlag München 2001

Anmerkungen und Quellen

Die Auszüge stellen keinen Versuch der Interpretation dar, sondern wurden nur „oberflächlich“ kategorisiert. Sämtliche Seitenangaben beziehen sich auf Ausgabe: DTV München 7. Auflage, Februar 2001; ISBN: 3-423-11928-4.

Zu Sichtweisen anderer, im Roman dargestellter Personen, auf Kleist und Günderrode, sowie Sichtweisen Kleists und Günderrodes auf diese, wurde kein Bezug genommen.

Sämtliche Auszüge wurden in chronologischer Reihenfolge wiedergegeben, wobei die Seitenangaben die jeweiligen Auszüge trennen. Manche Auszüge wurden doppelt verwandt, da sie meines Erachtens in zwei Kategorien passten.

Michael Dannehl; LK Deutsch 2001/2002

Quellen:

Kein. Ort. Nirgends., C. Wolf; Deutscher Taschenbuchverlag München 2001

Grundkurs Philosophie 1, Heller; Bayrischer Schulbuch - Verlag München, 1992; S.171 Colleg Deutsch 1; Bayrischer Schulbuch - Verlag München, 1992; S.98 Colleg Deutsch 2; Bayrischer Schulbuch - Verlag München, 1993; S.174-178 Verstehen und Gestalten Band 1; R. Oldenburg Verlag GmbH München 1997; S.192-193, Kein. Ort. Nirgends., C. Wolf; C Buchners Verlag Bamberg 1998; S76-126

Ende der Leseprobe aus 16 Seiten

Details

Titel
Wolf, Christa - Kein Ort. Nirgends
Veranstaltung
Vortrag
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
16
Katalognummer
V106736
ISBN (eBook)
9783640050116
Dateigröße
468 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Textauszüge
Schlagworte
Christa Wolf
Arbeit zitieren
Hans Strack (Autor:in), 2002, Wolf, Christa - Kein Ort. Nirgends, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106736

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Titel: Wolf, Christa - Kein Ort. Nirgends



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