Modernisierung der ostdeutschen Sozialstruktur


Seminararbeit, 2002

13 Seiten


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung - zum Begriff Sozialstruktur

2. Der politische Transformationsprozess
2.1 Charakteristika des politischen Systems der DDR und der durch dieses bedingten Schichtstruktur
2.2 der politische Institutionentransfer und die Auswirkungen auf das Schichtgefüge

3. Der wirtschaftlich Transformationsprozess
3.1 Charakteristika des wirtschaftlichen Systems der DDR und der durch dieses bedingten Schichtstruktur
3.2 der wirtschaftliche Institutionentransfer und die Auswirkungen auf das Schichtgefüge

4. Schlußbetrachtung

5. Quellennachweise

1. Einleitung - zum Begriff der Sozialstruktur

Das Spektrum dessen, was in der Fachliteratur unter den Begriff der Sozialstruktur subsumiert wird, ist groß. Im Rahmen des Themas dieser Hausarbeit scheint mir die Referenz auf die folgende Begriffsdefinition in Anlehnung an Wolfgang Zapf am sinnvollsten: Unter dem Terminus der Sozialstruktur ist zum einen die demographische Grundgliederung der Bevölkerung, zum anderen die Verteilung zentraler Ressourcen wie Bildung, Beruf, Einkommen und Macht sowie der Zugangschancen zu eben diesen, zu verstehen. Da typischer- aber nicht notwendigerweise mit der Verfügung über bestimmte Ressourcen, also mit spezifischen sozialen Lagen, je spezifische Wertauffassungen und Mentalitäten korrelieren, ist es u.a. aus Gründen der analytischen Tiefenschärfe sinnvoll, deren Betrachtung in die Begriffsumreißung miteinzubeziehen und daraus ein Konzept der sozialen Schichtungsstruktur zu entwerfen; weisen doch Angehörige einer sozialen Schicht nicht nur Gemeinsamkeiten hinsichtlich ihrer sozioökonomischen Lage sprich ihrer Verfügung über die oben erwähnten Ressourcen und der diesen inhärenten Lebenschancen auf. Darüberhinaus ergeben sich beispielsweise Schnittmengen in puncto Sozialprestige, Meinungen- und Weltanschauungen, Konsumgewohnheiten, Erziehungsstile und Wahlpräferenzen. Im weiter gefaßten Sinn wird mit dem Begriff der Sozialstruktur auch die institutionelle Grundausstattung einer Gesellschaft erfaßt, denn gerade die systemspezifischen Basisinstitutionen sind es, welche die konkrete soziale Schichtungsstruktur einer bestimmten Gesellschaft determinieren.

Diese, durch die eben erfolgte Präzisierung des gewöhnlich recht diffus auftretenden Sozialstrukturbegriffs, gewonnene Definition soll als Leitfaden für die weitere Strukturierung dieser Hausarbeit dienen. Ich werde im Folgenden versuchen, ansatzweise aufzuzeigen, inwieweit sich die Modernisierung der institutionellen Grundarchitektur der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik auf die soziale Schichtungsstruktur auswirkte. Zu diesem Zweck werde ich den hierfür herauszuarbeitenden Umstrukturierungsprozess analytisch in zwei Teilprozesse aufgliedern: in den poltischen und in den wirtschaftlichen Transformationsprozess. Anhand ihrer Deskription werde ich versuchen den Kausalzusammenhang zwischen Institution und Schichtungsstruktur beispielhaft zu veranschaulichen.

Aus der Beschränkung dieser Analyse auf die Subsysteme des Politischen und des Wirtschaftlichen resultiert freilich eine beträchtliche Einengung des tatsächlichen Gegenstandsbereiches. So werden beispielsweise kulturelle Aspekte der Transformation bzw. der Modernisierung systematisch ausgeblendet. Diese Arbeit erhebt daher, u.a. aus Gründen des ihr vorgegebenen Umfangs, keinen Anspruch auf die vollständige, d.h. erschöpfende Ausleuchtung der Thematik.

2. Der politische Transformationsprozess

2.1 Charakteristika des politischen Systems der DDR und der durch dieses bedingten Sozialstruktur

Das politische System der DDR war maßgeblich durch eine zentralistische, auf eine totalitär und monopolistische Machtelite hin fixierte, starre Machtstruktur geprägt. Macht konzentrierte sich auf wenige Personen der SED Führungsspitze, die Kader, und erfuhr keinerlei wirksame Kontrolle, da eine institutionalisierte Opposition de facto nicht vorhanden war. Desweiteren gab es keine garantierten Partizipationsmöglichkeiten: die Bürger konnten weder auf konventionellem, z.B. durch freie Wahlen, und schon gar nicht auf nicht- konventionellem Wege, in Form von Demonstrationen oder Bürgerbewegungen, auf die Gestaltung des politischen Willens Einfluss nehmen.

In der sozialen Schichtstruktur spiegelte sich dieser Sachverhalt entsprechend wider. So existierte eine dünne, bürgerferne sowie vormundschaftliche, vertikalen Mobilitätsprozessen verschlossene und dadurch starre, elitäre Oberschicht, welche die alleinige Verfügungsgewalt über die Ressourcen Macht und Einfluss besaß. Differenzierungsprozesse zwischen Machthabern und Befehlsempfängern prägten daher die Schichtstruktur. Diese so geartete, ideologisch homogene, politische Elite beanspruchte die alleinige Führungs-, Entscheidungs- und Steuerungskompetenz in allen gesellschaftlichen Bereichen. Wirtschaft, Kultur, Justiz und Wissenschaft wurden so durch das Primat des, im Dienst der Entwicklung des Sozialismus stehenden, Politischen überformt und angesichts dieser dadurch verursachten Fremdbestimmung ihrer autonomen wie eigendynamischen Entwicklungsmöglichkeiten beraubt. Gegeneliten in diesen Bereichen der Gesellschaft waren nicht vorhanden. Wenn also im folgenden von der Elite gesprochen wird, so ist von der, sich selbst als omnikompetent verstandenen, allgegenwärtigen politischen Elite die Rede. Diese Tatsache erwies sich, besonders im Vergleich zum Institutionenapparat der damaligen Bundesrepublik Deutschland, als in höchstem Maße dysfunktional, wurde aber aufgrund des Vorrangs der ideologisch festgesetzten Entwicklungsziele mehr oder minder bewußt in Kauf genommen.

Jene allgegenwärtige, in sich hierarchisch strukturierte, Elite, welche neben ihrer ideologischen Homogenität auch eine auffallende Einheitlichkeit bezüglich des Alters der ihr Angehörigen aufwies, stützte sich bei ihrer Herrschaftsausübung auf die sogenannte, die Armee, Polizei, Zoll, Staatssicherheit, Parteien und Massenorganisationen umfassende, ,,sozialistische Dienstklasse". Diese wiederum vereinnahmte rund ein fünftel aller in der DDR Erwerbstätigen und war daher unverhältnismäßig stark aufgebläht. In diesem Zusammenhang ist in der Literatur auch oftmals vom ,,Verwaltungs- und Leitungswasserkopf"1 die Rede. Das Aufrücken in diese Dienstklasse oder gar in Führungspositionen innerhalb des SED- Parteiapparates war angesichts der hochgradigen Politisierung der Statuszuweisung, d.h. der Positionenvergabe ausschließlich nach dem Kriterium der politischen Loyalität, nur bei entsprechenden politischen Gunstbeweisen möglich. Nur durch eine auf solche Art unterbundene Elitenzirkulation war die stete Selbstrekrutierung und Reproduktion der bestehenden Elite denkbar.

Ein anderes hervorstechendes Merkmal des politischen Systems der DDR war dessen ideologisch verklärte Programmatik: die Deutsche Demokratische Republik wurde als ,,Arbeiter- und Bauernstaat" verstanden und aus dieser Wahrnehmungsperspektive entsprechend regiert.

Dies manifestierte sich auch deutlich in der Schichtstruktur. Bei der Verteilung zentraler Ressourcen und Zugangschancen, so z.B. bei der Vergabe von Bildungsmöglichkeiten in der unmittelbaren Nachkriegszeit, genoss die Arbeiter- und Bauernschicht gegenüber -und meistens auch zu Lasten von- anderen Schichten einen erheblichen Vorzug. Die vollzogene Nivellierung vertikaler Ungleichheiten war hierfür ein aussagekräftiges Beispiel. Aus dieser im Endeffekt leistungshemmenden, da jegliche Anreizstruktur unterhöhlenden, Angleichung der Realeinkommen und Berufsprestigeverhältnisse resultierte eine absolute Schlechterstellung des Großteils der Bevölkerung.2 Das allgemeine Wohlstandsniveau sank; ein Vorgang, von dem schließlich einzig die Arbeiter- und Bauernschicht profitierte, denn im Zuge der Verschlechterung der Situation der Restbevölkerung wurde ihre Position relativ zu eben dieser aufgewertet.

2.2 der politische Institutionentransfer und die Auswirkungen auf das Schichtgefüge

Mit dem Zusammenbruch der DDR als Staatssystem, bzw. dem endgültigen Versagen des bis dato trotz vergleichsweiser Insuffizienz arbeitenden Institutionengefüges, entstand Bedarf an neuen Formen der institutionellen Regelung. Daher wurden, über den bloßen politischen Sektor hinaus, die alten nicht bewährten institutionellen Strukturen formal durch neue, und zwar diejenigen der ehemaligen BRD, ersetzt.

Beschränkt auf die Sphäre des Politischen, gestaltete sich dieser Institutionentransfer im wesentlichem wie folgt:

Sowohl die monopolistische homogene Machtelite, welche zu diesem Zeitpunkt schätzungsweise 44000 Funktionäre umfasste, als auch die sozialistische Dienstklasse wurden aufgelöst und durch eine pluralistisch heterogene Funktionselite mit entsprechendem Verwaltungsapparat ausgetauscht. Die daraus folgende Streuung von Steuerungs- und Handlungskompetenzen, welche von nun an nicht mehr ausschließlich einer eng umgrenzten abgeschlossenen politischen Avantgarde unterlagen, bewirkte eine Erweiterung gesellschaftlicher Gestaltungs- und Handlungsspielräume.

Elementare, das Gemeinwohl betreffende, Entscheidungen wurden nun nicht mehr a priori bzw. vormundschaftlich von einem kleinen ideologisch verblendetem dogmatischem Kader gefällt, sondern produzierten sich ab jetzt ausschließlich a posterio als Ergebnis eines für die Bevölkerung partizipierbaren und transparenten parlamentarischen Prozesses. Dieses neue, im übernommenem Ideal der Konkurrenzdemokratie zum Ausdruck kommende, institutionelle Funktionsprinzip garantierte nun den Wettstreit pluralistischer Eliten und Interessen um die Macht, dessen Kontrolle durch die öffentliche Meinung sowie die jederzeit gegebene Möglichkeit der Partizipation seitens der Regierten. Damit einher ging die in den gesellschaftlichen Teilbereichen der Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und Kultur nun mögliche Entwicklung eigener, den subsystemspezifischen Erfordernissen angemessenen, Handlungslogiken. Das Primat des Politischen wurde durch die ,im Zuge sich einleitender Autonomiesierungsprozesse allmählich stattfindende, Etablierung apolitischer subsystemspezifischer Handlungskriterien abgelöst.3

Die dadurch eingeleitete formale Aufsplaltung der einen, alle Bereiche der Gesellschaft kontrollierenden, Führungselite in mehrere, dem strukturellen Aufbau und der Funktionsweise nach voneinander unterscheidbare, subsystemspezifische Eliten hatte nicht nur auf der institutionellen, sondern auch auf einer personellen Ebene Konsequenzen. Da in der DDR neben dem besagtem sozialistischem Kader keinerlei weitere, auf das politische Geschehen Einfluss ausübende, Eliten -und erst recht keine oppositionellen Gegeneliten-existierten, wurde die demzufolge nun entstandene personelle Kluft durch die Besetzung der Spitzenpositionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Justiz und Kultur mit westdeutsches Personal überbrückt. So traten 1992 ca. 20000 Verwaltungsbeamte aus den alten Bundesländern ihren Dienst in Ostdeutschland an.

Das Schichtgefüge der ehemaligen DDR betreffend, kam wirkte sich dieser Personaltransfer einer westdeutschen Überschichtung der ostdeutschen Sozialstruktur gleich. Die weiterhin übernommenen Institutionenprinzipien der leistungsabhängigen Positionenvergabe und der Gleichheit der Chancen, implizierten eine vollständige Entideologisierung der, bislang nach dem Aspekt der politischen Konformität und Sympathie erfolgten, Statuszuweisungen. Die Vergabe von Positionen war somit nicht mehr länger an bestimmte ideologiesch geprägte Weltanschauung gebunden, sondern erfolgte nun nach sachlich- funktionalen Gesichtspunkten wie z.B. dem Leistungs- und Bildungsniveau. Die, durch die Entpoltisierung der Sozialstruktur erreichte, Auflockerung der bisher starren, politisch überprägten, sozialen Schichtung ermöglichte soziale Mobilitätsprozesse vertikaler - Aufrückprozesse Angehöriger unterer Schichten in höherliegende waren fortan prinzipiell möglich - wie horizontaler Art.

3. Der wirtschaftlich Transformationsprozess

3.1 Charakteristika des wirtschaftlichen Systems der DDR und der durch dieses bedingten Schichtstruktur

Die von der Kaderelite, also nach politischer Zwecksetzung staatlich dirigierte, Planwirtschaft ließ, wie oben erwähnt, die Etablierung einer autonomen wirtschaftlichen Elite nicht zu. Die schließlich von dieser allmächtigen Elite forcierte, durch Sozialisierungs- und Kollektivierungsmaßnahmen charakterisierte, Wirtschaftspolitik hinterließ entsprechende Spuren in der Erwerbsstruktur der Bevölkerung der DDR. Konnte sich privates Unternehmertum und Eigenkapital nur marginal ausbilden, prägten im Gegenzug der land- und forstwirtschaftliche sowie der bergbauliche als auch der produzierende Sektor überproportional stark die Wirtschaftsstruktur der DDR. Die dadurch zu konstatierende Unterrepräsentation des tertiären Sektors, der Tertiärisierungsrückstand, bedeutete eine stete, sich in Form einer Mangelwirtschaft artikulierende, Unterversorgung der Bevölkerung mit Dienstleistungsangeboten - allgemeiner wie spezieller Art.

Diese im Wirtschaftsgefüge der DDR vorhandene Strukturdisparität bestätigt die bereits oben angeführte These vom Arbeiter- und Bauernstaat. Denn auch hier, im Erwerbsleben, dominierte aufgrund des Ungleichgewichts zwischen agrarischen bzw. produzierendem und dienstleistendem Wirtschaftssektor eine in ersteren beschäftigte Arbeiter- und Bauernfraktion. Ihr gegenüber konnte sich die, lediglich marginal ausgebildete, in den spärlich vorhandenen Dienstleisungsbereichen tätige, bürgerliche Mittelschicht kaum behaupten.

3.2 der wirtschaftliche Institutionentransfer und die Auswirkungen auf das Schichtgefüge

Augrund der, bereits öfter betonten, Überordnung des Politischen über die übrigen gesellschaftlichen Teilbereiche und der hieraus resultierenden einseitigen Abhängigkeitsbeziehungen zwischen politischem System und den übrigen gesellschaftlichen Teilbereichen in der DDR , implizierte ein Kollaps des politischen Systems notwendig auch einen Zusammenbruch der Institutionenarchitektur der, diesem unterworfenen, gesellschaftlichen Subsysteme - so auch der des Wirtschaftssystems.

Die, im Zuge der Transformation des wirtschaftlichen Sektors stattfindende, Übernahme von, Wohlstandsgesellschaft mit Massenkonsum und Wohlfahrtsstaat konstituierenden, sozialstaatlichen und marktwirtschaftlichen Regelungsmechanismen, trug ihr übriges zu einer Autonomisierung sowie Entpolitisierung des Wirtschaftssektors bei. So zeichnete sich infolgedessen die neu konzipierte Wirtschaftsstruktur durch eine wesentlich stärkere Flexibilität gegenüber Angebots- und Nachfrageverhältnissen, und ferner das gesamtgesellschaftliche System durch eine, die Steigerung des allgemeinen Wohlstandsniveaus sowie die Vermehrung jedem zugänglicher Wahlmöglichkeiten und Konsumchancen bewirkende, Möglichkeit der schichtübergreifenden Partizipation am gesellschaftlich produziertem Wohlstand aus.

Eine unmittelbare Konsequenz dessen war, daß, in der um Arbeit zentrierten Gesellschaft der DDR noch sozial schlechtergestellte, da nicht am Erwerbsleben beteiligte, Gruppen jetzt eine spürbare Verbesserung ihrer sozialen Situation und damit ihrer Lebenschancen erfuhren. Parallel zu dieser, durch die Beseitigung der Folgen ideologiebasierter Ressourcenverteilung bedingte, Wohlstandssteigerung verlief ein Entdifferenzierungsprozess der bislang nivellierten Einkommens-, Vermögens- und Prestigeverhältnisse. Als unvermeidliche Begleiterscheinung dessen traten neue, in diesem Kontext von den Bürgern der DDR bisher nicht erfahrene, Formen der sozialen Ungleichheit auf.4

Jener Prozess der Entdifferenzierung manifestierte sich besonders deutlich in den arbeitsmarktspezifischen Mobilitätsvorgängen und den daraus resultierenden Umschichtungen in der Berufsstruktur. So wurde die Arbeiter- und Bauernschicht ihrer bis dato privilegierten Position enthoben, infolgedessen sie, beschleunigt durch den in großem Ausmaß stattfindenden Abbau des primären und sekundären Sektors sowie der hieraus resultierenden massiven Freisetzung der in diesen Wirtschaftsbereichen Beschäftigen, ihre strukturelle Dominanz als auch ihre ideologisch wichtige Bedeutung innerhalb der Erwerbs- und Schichtstruktur einbüßte. Repräsentativ hierfür ist unter anderem ein im Zeitraum von 1989 bis 1991 innerhalb des landwirtschaftlichen Wirtschaftssektors zu konstatierender Beschäftigungsrückgang um rund 60%.

Die Freisetzung von Arbeitskräften blieb jedoch nicht ausschließlich auf diese beiden Wirtschaftsbereiche sprich die Angehörigen der Arbeiter- und Bauernschicht begrenzt. Auch hohe Angestellte blieben von ihr nicht verschohnt. Die Gründe für den Arbeitsplatzverlust erschöpften sich dabei nicht einzig in der Existenz einer früheren politischen Karriere dieser Personen - konnte eine solche doch nur ein Bruchteil der nun Freigesetzten vorweisen. Ausschlaggebend hierfür war vielmehr eine massenhaft einsetzende Qualifikationsabwertung, welche die im Forschungsbetrieb der DDR tätige Gruppe der Wissenschaftler gleichermaßen wie diejenige der im Produktionsprozess aktiven Ingenieure ereilte. Im Gegenzug erfuhren einfache Angestellte und Selbstständige, bedingt nicht zuletzt durch den einsetzenden Ausbau des bislang schwach ausgeprägten Dienstleistungssektors sowie steigende Beschäftigungszahlen in diesem, eine erhebliche Aufwertung ihres sozialen Status. Neu entstehende Berufsgruppen mit überdurchschnittlichem Wachstumspotential und meist auch überdurchschnittlichem Einkommensverhältnissen, wie beispielsweise die der Unternehmer und Freiberufler, etablierten sich.

Prinzipiell ließ sich aus der Übertragung des wirtschaftlichen Institutionenschemas der BRD und den hierdurch implizierten Prozessen der Statusab- bzw. umwertungen eine Verbesserung der Situation junger und alter Alterskohorten ableiten; der jüngeren Kohorten deshalb, weil sich diesen, bisher nicht gekannte, neue Lebenschancen und -konzepte auftaten. Die ältere Generation profitierte von diesem Transformationsprozess insofern, als daß sie nun einen nicht unerheblich höheren Lebensstandard genießen konnte, der zudem auf der anderen Seite zudem auch noch institutionell abgesichert war.

4. Schlußbetrachtung

Für die Generationen der DDR-Bürger mittleren Alters indes überwogen die negativen Begleiterscheinungen dieser wirtschaftlichen Umstrukturierung. So waren jene Alterskohorte, die sich zum Zeitpunkt des Transformationsprozesses größen Teils aus mitten im Erwerbsleben stehenden Arbeitnehmern rekrutierte, es, welche am stärksten von Arbeitsplatzverlust, Qualifikationsabwertungen und hiermit oftmals einhergehenden Identitätseinbußen und Desintegrationstendenzen betroffen war.

Obwohl der Tendenz nach der Freisetzungsprozess überwiegend Angehörige eben dieser Kohorte erfasste, war diese doch nicht die einzige Gruppe, welche von besagtem Prozess in besonderem Maße tangiert wurde. So muß bemerkt werden, daß gerade auch die, im Beschäftigungssystem der DDR zahlenmäßig sehr gut repräsentierte, Gruppe der Frauen - die Frauenerwerbsquote bertrug hier mehr als 70% - unverhältnismäßig stark vom Arbeitsplatzverlust betroffen war. Das Entstehen dieser, für die Bevölkerung der ehemaligen DDR neuartigen, entlang der Geschlechterlinie verlaufenden, Form der Ungleichheit, welche unter anderem durch die verstärkte Herausdrängung der Frauen aus produzierenden wie akademischen Tätigkeitsbereichen verursacht wurde, kann als Modernisierungsrückschrtt aufgefasst werden.

Die Gruppe der ,,mittelalterliche" Generation der DDR Bürger sowie die der Frauen stellen die sogenannten Modernisierungsverlierer der Transformation dar. Zusätzlich zu diesen können den Verlierern der Modernisierung die Ungelernten und Alleinerziehenden hinzugerechnet werden. Auch diese waren, teils aufgrund des nun greifenden Leistungsprinzips, teils wegen der sich in Anbetracht des Wegfalls staatlicher Unterstützungsmaßnahmen, wie z.B. kostenloser Kindergartenplätze, ergebenden Doppelbelastung, in vergleichsweise stärkerem Maße vom Arbeitsplatzverlust betroffen als andere gesellschaftliche Gruppen.

Dennoch muß, trotz der gruppenspezifisch unterschiedlich stark ausgeprägten Betroffenheit, festgehalten werden, daß die Freisetzung von Arbeitskräften ein universelles Problem war, dessen Nachwirkungen noch bis zum heutigen Tage erfahrbar sind. So ist die heute vorhandene, mit dem Transformationsprozess und dessen Auswirkungen ursächlich in Zusammenhang stehende, Arbeitslosigkeit -eine Enquetekomission des Bundestages stellte 1998 eine offizielle Arbeitslosigkeit von durchschnittlich mehr als 20%, welche regional auf Spitzenwerte von bis zu 50% ansteigen konnte, fest- ein Thema, welches innerhalb der letzten 12 Jahre weder an Brisanz, noch an Aktualität verloren hat und aller Voraussicht nach auch in naher Zukunft nicht verlieren wird.

Aber nicht nur die inzwischen absehbaren negativen Konsequenzen, sondern auch die heute noch nicht voll abschätzbaren Folgen der Modernisierung beschäftigen die Politiker. Die angesichts Arbeitsplatzverlust und Qualifikationsabwertung nicht selten erfahrene, vor allem ökonomische, Verunsicherung manifestierte sich deutlich im generativen Verhalten der Bürger der ehemaligen DDR. Die Frage, inwieweit sich dieser, in der Form eines starken Geburtenrückgangs artikulierte, dramatische Einschnitt in der Reproduktionskontinuität auf den zukünftigen Altersaufbau der Bevölkerung auswirkt und welche Konsequenzen sich daraus ergeben, ist mindestens ebenso oft Gegenstand hitziger politischer Diskussion wie das Problem der Arbeitslosigkeit.

An das Ende meiner Arbeit möchte ich die Frage anstellen, ob es sich bei den eben kruz angerissenen Problemen tatsächlich schon um Konsequenzen eines abgeschlossenen Transformationprozesses der ostdeutschen Sozialstruktur handelt, oder ob eben diese Phänomene nicht vielmehr kennzeichend für einen Übergangszustand der Transformation sind. Denn so klaffen innerhalb der gesamtdeutschen Gesellschaft noch heute, trotz aller, bisher in Form von nicht geringen finanziellen wie personellen Transferleistungen erfolgten, Angleichungsbemühungen, beträchtliche, zwischen Ost und West lokalisierbare, sozialstrukturelle Unterschiede.5

5. Quellennachweise

Belwe, Katharina: Sozialstruktur und gesellschaftlicher Wandel in der DDR in: Weidenfels, W./ Zimmermann, H. (Hrsg.): ,,Deutschland- Handbuch - Eine doppelte Bilanz 1949-1989, München 1989, S: 125-143

Erhold, Uwe: ,,Generationsspezifische Chancen selbstbestimmten individuellen Handelns unter den Bedingungen der DDR -Gesellschaft und ihres Umbruchs", Kurzstudie d. Institut für Sozialdatenanalyse e.V: Berlin, 1992

Fischer, Evelyne: ,,Veränderung von Werten und Handlungsmustern im Transformationsprozeß - Wandel in Werten und Verhalten", Kurzstudie d. Institut für Sozialdatenanalyse e.V: Berlin, 1992

Geißler, Rainer: ,,Die ostdeutsche Sozialstruktur unter Modernisierungsdruck" in APUZ ???, S.15-28

Geißler, Rainer: ,,Die Sozialstruktur Deutschlands", Opladen 1996

Lepsius, M. Rainer: ,,Die Institutionenordnung als Rahmenbedingung der Sozialgeschichte der DDR" in: Kaelble, Hartmut/ Kocka, Jürgen/ Zwahr, Hartmut (Hrsg.): ,,Sozialgeschichte der DDR", Stuttgart1994

Meyer, Hansgünther: ,,Transformation der Sozialstruktur in Ostdeutschland" in: Glatzer, Wolfgang/ Ostner, Ilona (Hrsg.): ,,Deutschland im Wandel- sozialstrukturelle Analysen", Opladen 1999

Sahner, Heinz: ,,Sozialstruktur und Lebenslagen" in: Der Hallesche Graureiher 95-6, Forschungsberichte d. Instituts für Soziologie MLU Halle-Wittenberg, 1995

Sahner, Heinz: ,, Zehn Jahre nach der Wiedervereinigung: Über Diskrepanzen- Unterschiede zwischen dem was ist, und dem, was darüber berichtet wird" in: Der Hallesche Graureiher 00- 3, Forschungsberichte d. Instituts für Soziologie MLU Halle-Wittenberg, 2000

Solga, Heike: ,,Systemloyalität als Bedingung sozialer Mobilität im Staatssozialismus am Beispiel der DDR" in: BerlinerJournal für Soziologie, Heft 4, 1994: S.523-542

Wittich, Dietmar: ,,Sozialstrukturelle Veränderung-Verläufe und Konturen" Studie Nr.4 d. Projektes SLQ d. Instituts für Sozialdatenanalyse e.V: Berlin, 1992

Zapf, Wolfgang: ,,Die Modernisierung moderner Gesellschaften", Frankfurt 1991

Zapf, Wolfgang: ,,Die DDR1989/1990 - Zusammenbruch einer Sozialstruktur?, Berliner Journal für Soziologie 1, 1991: S.147-155

Zapf, Wolfgang: ,,Entwicklung und Sozialstruktur moderner Gesellschaften" in: , S: 181-191

[...]


1 So z.B: Wittich, Dietmar: ,,Sozialstrukturelle Veränderung- Verläufe und Konturen", Studie Nr.4 des Projekts SLQ d. Instituts für Sozialdatenanalyse e.V., Berlin 1992: S.31

2 Die allgemeine Verschlechterung der sozialen Lage, insbesondere der Einkommenssituation, der DDR- Bürger wurde nicht zuletzt auch durch eine von staatlicher Seite erfolgende, die Preisstabilisierung auf niedrigem Niveau garantierende, Abschöpfung des von der Bevölkerung erwirtschafteten Wertkapitals begünstigt.

3 So wurden beispielsweise Wirtschaft und wissenschaftliche Forschung ihrer Ideologieverplichtung entbunden. Durch das Zugeständnis relativer Autonomie war es in diesen gesellschaftlichen Subsystemen nun möglich je eigene handlungsleitende Orientierungsmuster zu entwickeln. Von nun an operierte das System der Wirtschaft nach dem Kriterium der Effizienz und das der Wissenschaft nach dem der ideologiefreien unparteilichen Wahrheitsfindung.

4 Da das Phänomen der sozialen Ungleicheit in Verbindung mit dem Prinzip der Chancengleichheit eine funktionale Notwendigkeit für die Aufrechterhaltung einer für Leistungsgesellschaften erforderlichen und typischen Anreizstruktur darstellt, ist sie ebenfalls als ein für die Gesellschaft positiver Effekt des Modernisierungsprozesses der ostdeutschen Sozialstruktur zu interpretieren.

5 so zum Beispiel bezüglich des Einkommensniveaus, der Umweltbedingungen und Infrastruktur - um nur einige zu nennen

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Modernisierung der ostdeutschen Sozialstruktur
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Autor
Jahr
2002
Seiten
13
Katalognummer
V106966
ISBN (eBook)
9783640052417
Dateigröße
411 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Modernisierung, Sozialstruktur
Arbeit zitieren
Rainer Krause (Autor:in), 2002, Modernisierung der ostdeutschen Sozialstruktur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/106966

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