Juristische Ausbildung im Frühbyzantinischen Reich. Lehrstoff, Lehrpläne und Leitfiguren


Referat (Ausarbeitung), 2016

14 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I. Prolog: Das Recht früher Hochkulturen und die Entwicklung eines juristischen Berufsbildes

II. Quellenlage zu byzantinischen juristischen Schriften

III. Lehrstoff an der Universität - das Corpus iuris civilis

IV. Die Universitäten Konstantinopel und Berytos, Lehrpläne der juristischen Ausbildung

V. Gaius - Ulpian als Leitfiguren der juristischen Ausbildung und berühmte Juristen im Byzantinischen Reich
a) Gaius
b) Domitius Ulpianus
c) Tribonianus (Tpißroviavog)
d) Theophilos (öso^ikog)
e) Dorotheus (AropoOsog)
f) Thalelaios (öakékaiog)

VI. Epilog

VII. Quellen- und Literaturverzeichnis

VIII. Abkürzungsverzeichnis

I. Prolog: Das Recht früher Hochkulturen und die Entwicklung eines juristischen Berufsbildes

Mit der Entwicklung der archaischen Kulturen hin zu den antiken Hochkulturen erfolgte neben der gesellschaftlichen Differenzierung auch ein Fortschritt in Richtung einer Positivierung von Rechtsordnungen. Das soziale Zusammenleben mit dem Aufschwung von Produktion, Handel und Besitz erforderte immer präzisere rechtliche Normen für die Verwaltung und für eine friedliche Streitbeilegung.1

Beginnend mit den Rechtsgelehrten der Frühklassik2 wie Sabinus und Proculus waren es gerade die Juristen der klassischen Jurisprudenz wie Gaius oder Ulpian, die das Privatrecht zu einem wegweisenden Machtinstrument des römischen Imperiums gemacht haben.

Mit der Kodifikation von Gesetzestexten und der fachkundigen Auseinandersetzung war es den Juristen möglich, Tatfragen und Rechtsfragen zu trennen und so den Weg für die zivilrechtliche Teilung der Verfahrensschritte in „ de iure “ und „ in iudicio “ freizumachen.3

Die Rechtsentwicklung erfolgte in der vorklassischen Zeit durch die Prätoren einerseits und die Juristen auf der anderen Seite.

Das Berufsfeld der Juristen war das Verfassen von Klagen, die Errichtung von Geschäftsurkunden und die Erteilung von Rechtsgutachten. Das änderte sich in der Klassik hin zum Verfassen von Kommentaren zum Zivilrecht und den Edikten des Prätors, in Gutachtensammlungen (responsa) und systematischen Werken (institutiones).4

In der Nachklassik sinkt die Qualität der Rechtskultur, weil die freie Rechtswissenschaft durch den Machtanspruch der absoluten Monarchen extrem eingeschränkt wurde. Dadurch kommt es zu einer Vulgarisierung, weil an Stelle der Arbeitstechniken der klassischen Juristen die Vorstellungen von juristisch mangelhaft gebildeten Laien und Rechtslehrern traten. Dieser Vorgang setzte sich mit dem politischen Untergang des weströmischen Reiches fort.5

II. Quellenlage zu byzantinischen juristischen Schriften

Die Quellenlage zur byzantinischen Rechtspraxis gliedert sich in:

1. Urkunden, Formulare und Prozessprotokolle byzantinischer Rechtspraxis
2. Weltliche juristische Normen und Fachschriften sowie
3. Kirchenrechtliche Normen und Fachschriften.

Die Quellen zum weltlichen Recht unterteilen sich wiederum in die Normensammlung mit einem Umfang von 30 Sammlungen, die als Untergruppe auch die Kaisernovellen mit Generalnormen beinhalten. Als eigenständige Gruppe firmieren die kaiserlichen responsa und decreta (lyseis -Aumi"), bei der jedoch anzumerken ist, dass deren Dichte in der mittelbyzantinischen Zeit spärlich und in der spätbyzantinischen Zeit der Bestand fast ganz in Verlust geraten ist. Die Kaiserurkunden erreichen im 10. Jahrhundert im weltlichen Recht den Höhepunkt, wohingegen im kanonischen Recht erst im 12. Jahrhundert ein starker Einbruch zu verzeichnen ist.6

III. Lehrstoff an der Universität - das Corpus iuris civilis

Kaiser Flavius Petrus Sabbatius Iustinianus (Justinian I.) beauftragte im Jahre 528 eine Expertenkommission unter der Leitung des Ministers Tribonianus (quaestor sacri palatii) mit der Sammlung eines monumentalen Gesetzgebungswerkes. Die Juristen sollten die klassische juristische Literatur kompilieren und zu einem Sammelwerk für die Rechtsschulen zusammenstellen. In den Jahren 531 bis 533 ergingen mehrere Gesetze zur Klärung alter Streitfragen und ein Auftrag zur Überarbeitung des ersten Codex. Tribonianus leitete auch die Überarbeitung und im Jahr 534 wurde der codex repetitae praelectionis promulgiert, der auch als einziger überliefert wurde.7 Die Digesten enthielten nunmehr den gesammelten Rechtsbestand der klassischen Juristen und wurden neben den Institutionen zur Basis des Rechtsunterrichtes. Vom Kommentierungsverbot der Digesten waren wörtliche Übersetzungen (KaTa nööa) bzw. Sammlungen (napoiiT^a) von Parallelstellen ausgenommen. Trotzdem erschienen im Laufe der Zeit erläuternde Übersichten (iVöiKsq) und kommentierende Glossare (napaYpapat) - siehe dazu s.v. f) Thalelaios.8

Besondere Bedeutung haben dabei die Institutionen des Gaius, weil diese in Form des Codex Veronensis als einzige authentische Handschrift der römischen Rechtswissenschaft erhalten geblieben sind.9

Das Corpus iuris civilis besteht aus 4 Teilen:

1. den Institutionen (I.), einer Art Lehrbuch für Anfänger unterteilt in personae (Personen- und Familienrecht), res (Vermögensrecht, Sachen-, Erb- und Schuldrecht) und actiones (Klagen und Zivilprozess im Privatrecht);
2. den Digesten (D.), mit den Sammlungen der klassischen Juristen (Frühklassik - Sabinus, Proculus, Labeo; Hochklassik - Gaius, Pomponius; Spätklassik - Ulpian, Aemilianus, Papinianus;
3. dem Codex Justinianus (C.), einer Sammlung der von verschiedenen Kaisern erlassenen Konstitutionen; dieser umfasst insgesamt 12 Bücher, die die Materie von Zivil-, Kirchen-, Straf- und Prozessrecht bis hin zu Verwaltungs- und Finanzrecht abdecken;
4. den Novellen (Nov.). Das sind die von Justinian nach Abschluss der Kodifikation noch erlassenen Kaisergesetze.10

IV. Die Universitäten Konstantinopel und Berytos, Lehrpläne der juristischen Ausbildung

Die römische Rechtsgeschichte durchläuft eine Entwicklung in mehreren Perioden, mit der auch das Berufsbild des Juristen korrespondiert. Bis zur klassischen Jurisprudenz bestand die Tätigkeit der Juristen in der Beratertätigkeit und Begutachtung von konkreten Rechtsfällen. Die Institutionen des Gaius - das Standardwerk der Klassik - entstanden in der Zeit um 160 n. Chr. und sind das einzige direkt überlieferte Werk. In der klassischen Zeit erfolgte keine schulmäßig abstrakt/theoretische Ausbildung, sondern eher in Hinblick auf die Lösung praktischer Fälle in Art einer Gutachtertätigkeit.11

In der Nachklassik, zur Zeit Konstantins des Großen (306 - 337), wird die hochpräzise und verfeinerte Denk- und Ausdrucksweise der Juristen von der Vulgarisierung verdrängt und diese fließt auch in die Reichsgesetzgebung ein. Mit dem Tod Theodosius des Großen im Jahr 395 und der Teilung in ein west- und oströmisches Reich entwickelt sich auch das Recht in beiden Reichshälften diametral auseinander.12

Rechtsschulen befanden sich in Berytos (Beirut), Athen, Antiochia, Carthago, Alexandria und Rom. Konstantinopel kam erst später dazu, war jedoch zusammen mit Berytos ein Garant für die Weiterentwicklung des überlieferten Rechtsbestandes.13 Berytos wird in § 7 der constitutio omnem als hervorragend gelobt: „in Berytensium pulcherrima civitate, quam et legum nutricem bene quis appellet.“

Das Curriculum im Frühbyzantinischen Reich

Die Universität von Konstantinopel war eine Einrichtung für die höhere Bildung, die an das Curriculum der enkyklios paideia (sykokXioq naiötfa) anschloss. Die erste fassbare Universität war jene von Kaiser Theodosius II. (425), die von der Universität Kaiser Konstantins abgelöst wurde. Die Universität von Kaiser Bardas, die Schule von Magnaura, unterscheidet sich nach Struktur und Curriculum nicht wesentlich von regulären weiterbildenden Schulen.14

Justinian schloss alle Rechtsschulen bis auf Rom, Berytos und Konstantinopel. Die nun staatlich angestellten Rechtslehrer, vermutlich je vier in Konstantinopel und Berytos bekamen ein Gehalt und deswegen war ihnen auch die Abhaltung von Privatunterricht untersagt.15

Sowohl in Beirut als auch in Konstantinopel galt ein fünfjähriger Studienplan, wobei Beirut älter als Konstantinopel war und den qualitativ höheren Unterricht anbot.

Das Studienjahr dauerte vor 533 von September bis Juni. Der Unterricht fand von Montag bis Freitag nachmittags statt. Der Vormittag war dem Selbststudium gewidmet, während die Professoren Sprechstunden abhielten. An diesem Modus hat sich nach der Kodifikation nichts geändert.16

Einen Einblick in den Ablauf des Unterrichts gibt uns der Papyrus der scholia sinaitica. Gelehrt wurde anhand von Texten und Beispielen. Zentrale Passagen wurden in Exegesen (ètypnG£iQ) erläutert. Die Schüler wurden vom Professor zum Lösen von Rechtsfällen hingeführt. Es wurden Kapitel (KspäAaia) besprochen und versucht, allgemeine Regeln auszuarbeiten (Kavovi'Zsiv). In mehreren Handschriften sind die Unterrichtsformen dargestellt.17 Überliefert sind in Vorlesungs­mitschriften festgehaltene Kommentare zu vorgetragenen leges in Form eines rhetorisch­didaktischen Schüler-Lehrer-Diskurses (épwTanoKpiosig).18

Der Studienplan ist in der constitutio omnem niedergeschrieben. Die ersten Jahre werden von Lehrern geleitet. § 2 der constitutio omnem hebt neben Tribonianus besonders Theophilos und Dorotheos als redegewandte Professoren (facundissimos antecessores) hervor.

Im ersten Jahr erfolgte der Einstieg in die Ausbildung mit dem Studium der Institutionen, die auf denen des Gaius und anderer Autoren inklusive Neuerungen Justinians aufbauten. Im zweiten Semester wurden die ersten vier Bücher der Digesten (npmra) behandelt. Das war eine Einführung mit Rechtsphilosophie, Rechtsgeschichte, Rechtsquellenlehre und Staats- und Verwaltungsrecht.19 Ein Buch (liber) war vorerst eine Buchrolle mit einem Umfang von ca. 30-40 Druckseiten. Man ist erst in der Spätantike dazu übergegangen, die Rollen auf einzelne Blätter zu kopieren und zu binden.

Das zweite Studienjahr begann mit der Fortsetzung des Ediktstoffes, das sind die Bücher 5-11 bzw. 12-19 und setzt danach mit den Bereichen Mitgift-, Vormundschafts-, Testaments- und Vermächtnisrecht in den Büchern 23, 26, 28 und 30 der justinianischen Digesten (vierter und fünfter Abschnitt) fort. Die Bücher des sechsten und siebenten Abschnittes mit Strafrecht, Verwaltungs- und Abgabenrecht sowie zivilprozessuales Vollstreckungsrecht sollten die Studenten im Selbststudium erarbeiten.20 Studenten wurden in dieser Phase edictales genannt.21

[...]


1 Vgl. Niklas Luhmann, Rechtssoziologie2, Opladen, 1983, 166.

2 Anmerkung: die Bezeichnungen Vorklassik, Frühklassik und Nachklassik beziehen sich im folgenden auf den juridischen Sprachgebrauch.

3 Ebd. 181.

4 Georg Klingenberg, Römisches Recht5, Linz, 2012, 3.

5 Max Kaser, Römisches Privatrecht14, München, 1986, 4, 6.

6 Vgl. Johannes Karayannopulos, Günter Weiss, Quellenkunde zur Geschichte von Byzanz, 1. HB, Wiesbaden, 1982, 124ff.

7 Vgl. Thomas Rüfner, Die justinianische Kodifikation, 2009, 2.

8 Vgl. Otto Mazal, Handbuch der Byzantinistik, 142.

9 Vgl. Bernhard Kübler, RE VII,1, 1912, 494, s.v. Gaius.

10 Vgl. Klingenberg, 2012, 4.

11 Vgl. Kaser, 1986, 4.

12 Vgl. Kaser, 1986, 4f.

13 Vgl. Bernhard Kübler, RE A, I, 1, 1914, 398, s.v. Rechtsschulen.

14 Vgl. Alexander P. Kazhdan, ODB III, 1991, 2143, s.v. University of Constantinopel.

15 Vgl. Kübler, 400f.

16 Vgl. Liebs, Juristenausbildung in der Spätantike, 2.

17 Vgl. Liebs, 11.

18 Vgl. Peter E. Pieler, Rechtsliteratur, in: Herbert Hunger, Die hochsprachliche profane Literatur der Byzantiner, HAW V, 2, München, 1978, 406.

19 Vgl. Liebs, 37.

20 Vgl. ebd. 37.

21 § 2 constitutio omnem: „[...]nostrum nomen mereant, quia ilico tradendum eis est primum volumen, quod nobis emanavit auctoribus.“

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Juristische Ausbildung im Frühbyzantinischen Reich. Lehrstoff, Lehrpläne und Leitfiguren
Hochschule
Alpen-Adria-Universität Klagenfurt  (Geschichte - Abteilung für Geschichte Ost- und Südosteuropas)
Veranstaltung
Quellenlektüre: Lehren und Lernen im Byzantinischen Reich
Note
1
Autor
Jahr
2016
Seiten
14
Katalognummer
V1073947
ISBN (eBook)
9783346489845
ISBN (Buch)
9783346489852
Sprache
Deutsch
Schlagworte
juristische, ausbildung, frühbyzantinischen, reich, lehrstoff, lehrpläne, leitfiguren
Arbeit zitieren
Wolfgang Schator (Autor:in), 2016, Juristische Ausbildung im Frühbyzantinischen Reich. Lehrstoff, Lehrpläne und Leitfiguren, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1073947

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