"Seid ihr nicht beschnitten, so könnt ihr nicht selig werden" - Der Streit um die Heidenmission


Seminararbeit, 2002

14 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Präliminarien

1.1 Inhaltsverzeichnis

1. Präliminarien
1.1 Inhaltsverzeichnis
1.2 Abkürzungsverzeichnis
1.3 Zeittafel

2. Einleitung

3. Die historischen Hintergründe

4. Das Urchristentum
4.1 Die Quellenlage
4.2 „Hellenisten“ und „Hebräer“

5. Der Streit um die Heidenchristen
5.1 Ursachen
5.2 Das Apostelkonzil
5.3 Der Antiochia-Zwischenfall

6. Abschließende Betrachtungen

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

7.1 Quellen

7.2 Literatur

1.2 Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1.3 Zeittafel

um 30 Kreuzestod Jesu

um 33 Steinigung des Stephanus

um 34 Bekehrung des Paulus

49 Apostelkonzil[1]

2. Einleitung

18 Und Jesus trat herzu und sprach zu ihnen: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. 19Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völ- ker: Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes 20und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.[2]

Mit diesen Worten sendet Jesus Christus nach der Überlieferung des Neuen Testaments die nach dem Verrat Judas Iskariots verbliebenen elf Jünger in die Welt hinaus, um die Botschaft von seiner Auferstehung zu verkünden. Für die Elf, die ihre gesamte bürger- liche Existenz für einen Mann aufgegeben hatten, der nicht weniger in Anspruch nahm als der Sohn Gottes und die Erfüllung Jahrtausende alter Prophezeiungen zu sein, war es der Beginn einer Arbeit, welche die antike Welt im Sturm erobern sollte und die Ge- schichte des Abendlandes in einem Maße geprägt hat, daß sie mit nichts vergleichbar ist.

Egal, ob man nun den Erzählungen der Bibel Glauben schenkt oder die Berichte über Zeichen und Wunder in das Reich der Mythen verbannt- der Faszination über den Er- folg des verschwindend kleinen Häufchens ungebildeter Männer in einem entlegenen Zipfel des mächtigen Römischen Reiches kann man sich nur schwer entziehen. Nicht zuletzt deshalb habe ich mich dafür entschieden, in der vorliegenden Arbeit die ersten Jahrzehnte des Christentums nach der Kreuzigung Jesu näher zu beleuchten. Zu diesem Zweck werde ich zuerst auf die historischen Hintergründe des Schauplatzes und der Protagonisten eingehen und mich dann, nach Erläuterung der Quellenlage, den ‚He- bräern‘ und ‚Hellenisten‘ als Hauptvertretern der Gruppierungen innerhalb der Urge- meinde widmen. Dies ist unerläßlich zum Verständnis des Streites um die sogenannten Heidenchristen, der zentraler Gegenstand dieser Arbeit ist und in seinen Ursachen und Höhepunkten dargestellt werden soll. Ziel ist es, Hintergründe und Verlauf dieses Strei- tes nachzuvollziehen; ich stütze mich dabei stark auf die Aussagen der Bibel, soweit sie nach dem aktuellen geschichtswissenschaftlichen Forschungsstand als glaubhaft akzep- tiert sind. Da die theologischen Aspekte der Entstehung der frühen Kirche den Rahmen dieser Proseminararbeit sprengen würden, habe ich sie nur dort berücksichtigt, wo sie notwendig sind, um das Handeln der ersten Christen verständlich zu machen.

3. Die historischen Hintergründe

Das jüdische Volk war zur Zeit der Apostel längst nicht mehr nur auf Israel beschränkt. In Folge der assyrischen (722/708 v. Chr.?) und babylonischen (597, 586 v. Chr.) Ge- fangenschaft wurde es über die benachbarten Länder zerstreut und verbreitete sich durch Handel treibende Juden im Laufe der Zeit im gesamten Mittelmeerraum. Diese in der sogenannten Diaspora[3] lebenden Juden fühlten sich als geschlossene Einheit und vermischten sich kaum mit anderen Völkern, den strengen Vorschriften ihres Glaubens blieben sie weitgehend treu.

Mit der Eroberung Syriens durch Alexander den Großen (332 v. Chr.) geriet das im Orient ansässige Judentum unter den Einfluß des Hellenismus, dem sie sich in ihrer äußeren Lebensweise nicht entzogen. Koine, die damals übliche und fast in der ganzen antiken Welt gesprochene und verstandene Form des Griechischen, wurde vielen von ihnen zur Muttersprache.[4]

Umgekehrt ging aber auch die Lebensweise der Diaspora-Juden an vielen ihrer Mitmen- schen nicht spurlos vorüber. Einerseits mußte ihr kompromißloser Monotheismus in ei- ner Welt, die in religiösen Fragen außer der Intoleranz fast alles tolerierte, häufig auf Ablehnung stoßen, andererseits scheint gerade diese Prinzipientreue und das Festhalten an klar definierten Werten eine gewisse Faszination ausgeübt zu haben. Zwar traten nur wenige Heiden durch Beschneidung und vollständige Beachtung des mosaischen Ge- setzes als Proselyten[5] den jüdischen Gemeinden bei, doch gab es eine verhältnismäßig große Zahl von „Gottesfürchtigen“, die zumindest den Monotheismus und die Einhal- tung bestimmter Gesetze übernahmen.[6]

Israel selbst war zur Zeit der Apostel Teil der Provinz Syrien und damit des römischen Reiches. Zwar hatte es nach der Eroberung Jerusalems durch Pompejus (63 v. Chr.) un- ter Antipater, Herodes dem Großen und dessen Söhnen, allesamt Herrscher von Roms Gnaden, eine gewisse Unabhängigkeit bewahren können, doch wurden im Jahre 6 n. Chr. Judäa, Samaria und Idumäa und 44 n. Chr. schließlich ganz Israel dem syrischen Verwaltungsgebiet unterstellt.[7]

4. Das Urchristentum

4.1 Die Quellenlage

Was aus dieser frühen Epoche des Christentums bekannt ist, stammt fast ausschließlich aus christlichen Quellen. Die Evangelien können in dieser Hinsicht nur bedingt als zeit- genössische Dokumente der ersten und zweiten Generation von Christen gewertet wer- den, da sie erst zwischen 65 und 100 n. Chr. entstanden sind; gleiches gilt für die Apos- telgeschichte, deren Niederschrift in der Forschung auf den Zeitraum zwischen 80 und 95 n. Chr. datiert wird. Es darf auch nicht unbeachtet bleiben, daß Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, kein Historiker im modernen Sinne war, der eine möglichst umfas- sende Chronik der Geschehnisse im Sinn hatte, sondern selektiv Ereignisse herausgriff, die ihm als bedeutsam erschienen und zudem als Anhänger Christi nicht den Abstand des Außenstehenden hatte. Ferner stellt er in seinem Werk die Verbreitung des Chris- tentums in den Vordergrund und berichtet verhältnismäßig wenig über die Situation in den neu entstandenen christlichen Gemeinschaften (mit Ausnahme der Jerusalemer Ge- meinde). Über welche Quellen Lukas seinerseits verfügte, ist nicht mit Exaktheit festzu- stellen; möglicherweise griff er hauptsächlich auf ein von ihm selbst verfaßtes Reise- tagebuch zurück, da er in den sogenannten „Wir-Berichten“ den Eindruck erweckt, Au- genzeuge des Dargestellten gewesen zu sein. Alles in allem ermöglicht die Apostelge- schichte dem Historiker den besten Einblick in die Phase der frühchristlichen Missions- tätigkeit.[8]

Um näheres über das in der vorliegenden Arbeit zentrale Thema zu erfahren, ist man ge- zwungen, in starkem Maße auf die Briefe des Apostels Paulus zurückzugreifen. Sie er- langen durch zwei Aspekte große Authentizität: zum einen wurden diese Briefe[9] in den Jahren zwischen 50 und 60 n. Chr. verfaßt[10], also noch vor den Evangelien, und stellen damit die ältesten Zeugnisse des Neuen Testaments dar. Zum zweiten war Paulus nicht nur Beobachter, sondern selbst einer der Hauptkontrahenten im Streit um die Heiden- christen. Gleichwohl er unter dieser Voraussetzung kaum als objektiver Berichterstatter gewertet werden kann und seine Briefe auch nicht als unvoreingenommene Beschrei- bungen der Streitpositionen gedacht waren, liefert er überaus wertvolle Informationen über den Verlauf der Spannungen innerhalb der frühen Kirche.

4.2 „Hellenisten“ und „Hebräer“

Die erste Gemeinde der jungen Kirche entstand in Jerusalem.[11] Zunächst sahen sich die elf verbliebenen Jünger vor die Notwendigkeit gestellt, einen Nachfolger für Judas Iska- riot zu finden, der sich aus Verzweiflung über seinen Verrat an Jesus das Leben genom- men hatte; die Verpflichtung erwuchs in ihren Augen daraus, daß Jesus selbst die für Ju- den symbolträchtige Anzahl von zwölf Männer auserwählt hatte. So bestimmten sie zwei Kandidaten, die Christus genau wie sie selbst von Anfang seines Wirkens an be- gleitet hatten und losten aus[12], welcher der beiden den Platz des zwölften Apostels ein- nehmen sollte.[13]

Die Aufgaben der Zwölf waren umfangreich. Sie waren als Prediger in den Synagogen tätig, kümmerten sich um die Versorgung der Armen in ihrer Gemeinschaft, und ihnen oblag die administrative Leitung der Jerusalemer Gemeinde[14], die nach dem Pfingst- wunder, in dessen Verlauf sie nach Überlieferung der Apostelgeschichte den Heiligen Geist empfangen hatten, rasant an Zuwachs gewann. Es scheint, als seien sie bald mit der Fülle ihrer Pflichten überfordert gewesen, denn „... [es] erhob sich ein Murren unter den griechischen Juden in der Gemeinde gegenüber den hebräischen, weil ihre Witwen übersehen wurden bei der täglichen Versorgung.“.[15] Daraufhin forderten die Zwölf die Gemeinde auf, sieben Männer aus ihrer Mitte zu wählen, die für die Armenversorgung zuständig sein sollten. Wenig später wurde Stephanus, ein Mitglied der Sieben, vor dem Hohen Rat[16] der Gotteslästerung beschuldigt, und noch während das Verfahren im Gange war, von den erbosten Zuhörern ergriffen und vor den Toren der Stadt gesteinigt. In der Folge kam es den ganzen Tag zu Progromen gegen die Jerusalemer Christen, die aus der Stadt fliehen mußten- lediglich die Apostel harrten an Ort und Stelle aus.[17]

Im Zusammenhang mit der Wahl der Sieben erfährt man erstmalig etwas über die Exis- tenz zweier unterschiedlicher Gruppen innerhalb der Urkirche. Was sich dabei hinter den „hebräischen Juden“ verbarg, ist nicht weiter schwer zu verstehen: es handelte sich um Juden, die entweder direkt aus Jerusalem oder aus Palästina stammten, deren Mut- tersprache das damals dort übliche Aramäisch war, und denen auch die Mitglieder des Zwölfergremiums angehörten[18]. Doch wer waren die „griechischen Juden“ oder „Hellenisten“, wie Lukas sie im Urtext nennt?

Nach dem Sprachgebrauch der Apostelgeschichte verstand man unter den „Hellenisten“ alle Griechisch sprechenden Nichtgriechen, also Diaspora-Juden, antiochische Syrer und schließlich vor allem auch Griechisch sprechende Judenchristen. Die Unterschiede zwischen „Hebräern“ und „Hellenisten“ gingen allerdings über das Sprachliche hinaus und wurzelten in der bereits erwähnten Anpassung der Diaspora-Juden an ihr helleni- stisch geprägtes Umfeld. Als sich griechisch sprechende Juden, die in ihre Heimat zu- rückgekehrt waren oder auf einer Pilgerfahrt nach Jerusalem mit der neuen Lehre in Kontakt kamen, der Urgemeinde anschlossen, trugen sie auch ihre Gepflogenheiten in die Gemeinschaft hinein und bildeten naturgemäß einen Kontrast zu der Gruppe der „Hebräer“.[19]

Es stellt sich nun die Frage, wie sich dieser Kontrast auf die Struktur der Urgemeinde ausgewirkt hat. Bemerkenswert ist, daß die Namen derer, die in Apg 6, 5 zu Armenpfle- gern gewählt wurden, allesamt griechischen Ursprungs sind, was wohl kaum ein Zufall gewesen sein dürfte. Diese Männer traten, soweit sie im weiteren Verlauf der Apostel- geschichte Erwähnung finden, stets als Prediger und Missionare auf und niemals als Ar- menpfleger; offensichtlich waren sie die führenden Männer eines „hellenistischen“ Teils der Urgemeinde. Stephanus scheint dabei in seiner Rolle als Mitglied der Sieben für die- se ebenso bedeutend gewesen zu sein wie Petrus für die Zwölf. Daß die Apostel nicht gezwungen waren, vor den Verfolgungen zu fliehen, zeigt, daß hauptsächlich „Hellenis- ten“ von den Ausschreitungen betroffen waren und unterstreicht die Annahme einer auch für Außenstehende klar zu unterscheidenden autonomen Gruppe.[20]

Die Existenz von zwei organisatorisch unabhängigen Gruppen wird in der Literatur häu- fig als Beweis für beträchtliche theologische Differenzen zwischen „Hellenisten“ und „Hebräern“ angeführt.[21] Schenke argumentiert dagegen, daß diese Entwicklung vor al- lem den sprachlichen Unzulänglichkeiten vieler „Hellenisten“ geschuldet ist- sie konn- ten einem auf aramäisch abgehaltenen Gottesdienst nicht oder nur bruchstückhaft fol- gen. Die logische Konsequenz waren Gottesdienste in griechischer Sprache, die zur Bildung eines in sich geschlossenen, „hellenistischen“ Gemeindeteils führte. Somit erklärt sich auch, warum die „hellenistischen“ Witwen bei der von „Hebräern“ organi- sierten Armenspeisung übersehen wurden und ausschließlich Männer griechischen Na- mens zur Behebung dieses Mißstandes bestimmt wurden, zumal die „Hellenisten“ wirt- schaftlich relativ gut abgesichert waren. Auch wenn es durchaus zu Spannungen zwi- schen den beiden Gruppen gekommen sein kann, lehnt Schenke den Gedanken von fun- damentalen theologischen Unterschieden zwischen beiden Gruppen zu diesem frühen Zeitpunkt ab, da die „Hellenisten“ erst von den „Hebräern“ mit der Theologie des Chris- tentums vertraut gemacht worden waren.[22]

5. Der Streit um die Heidenchristen

5.1 Ursachen

Die Flucht aus Jerusalem nach der Steinigung des Stephanus war für die Hellenisten kein Grund, ihre missionarische Tätigkeit einzustellen. Diese Tätigkeit vollzog sich meist, jedoch nicht immer unter Juden[23], die bisher die Klientel der christlichen Prediger gewesen waren. Diese Praxis begann nun allmählich aufzuweichen. Den ersten Schritt in diese Richtung tat nach Lukas Phillipus, der als einer der Sieben nach Samarien ge- flohen war und unter den dortigen Menschen zu wirken begann.[24] Die Samariter, die sich nach der Rückkehr der Judäer aus dem babylonischen Exil als eigenständige Reli- gionsgemeinschaft konstituiert hatten, waren in den Augen der Juden kultisch unrein, obwohl sie das mosaische Gesetz anerkannten. Ihre Stellung zeigt sich darin, daß sie ge- nau wie Nichtjuden keine Tempelsteuer entrichten durften.[25] Kurz darauf ging Phillipus mit der Taufe eines äthiopischen Staatsbeamten[26], der als Eunuch nach dem jüdischen Gesetz[27] kein Proselyt, sondern lediglich ein „Gottesfürchtiger“ gewesen sein konnte, noch weiter. Auch Petrus führte „Gottesfürchtige“ zum Glauben, als er in Cäsarea in das Haus des römischen Hauptmannes Kornelius einkehrte, mit den Verwandten und Solda-ten Tischgemeinschaft pflegte und ihnen das Evangelium predigte. In der Jerusalemer Urgemeinde war man über die Entwicklung besorgt und stellte Petrus nach dessen Rückkehr zur Rede, da er gemeinsam mit Heiden gegessen hatte, was nach dem Gesetz nur unter bestimmten Auflagen möglich war. Petrus scheint die Vorwürfe vorausgese- hen zu haben, denn er hatte sechs Zeugen mitgebracht, die seine Darstellung des Ereig- nisses bestätigten. So führte er an, Gott selbst habe ihm im Gebet den Auftrag zur ge- meinsamen Mahlzeit gegeben und die „Gottesfürchtigen“ als Mitglieder der Gemeinde akzeptiert, da sie nach ihrer Bekehrung den Heiligen Geist empfangen hatten. Diesen Argumenten konnten die Judenchristen nichts entgegensetzen.[28]

Die hier dargestellten Ereignisse bezeichnen eine wichtige Etappe auf dem Weg zur Heidenmission. Die zum Glauben gekommenen waren keine Juden, aber sie beachteten das mosaische Gesetz oder waren im Fall des Äthiopiers und des Kornelius zumindest mit einigen seiner Aspekte vertraut. Die „Hellenisten“, ließen es jedoch nicht bei dieser Grenze bewenden. Viele von ihnen predigten nun in Antiochien, das sich zu einem zweiten Zentrum der frühchristlichen Kirche entwickelte, auch Menschen, die dem Ju- dentum völlig fern standen und auch von solch elementaren Konzepten wie dem Mono- theismus wenig gehört hatten. Das eigentlich Revolutionäre an ihrem Vorgehen, das, begünstigt durch die fließende Beherrschung des Griechischen, großen Erfolg hatte, war aber die Taufe von Heiden, ohne damit die Übernahme des jüdischen Gesetzes zu ver- binden. Vor allem der Verzicht auf die Beschneidung, für gesetzestreue Juden Symbol für den Bund zwischen Gott und den Menschen und deshalb eine conditio sine qua non, brachte in Jerusalem das Faß zum Überlaufen. Kaum, daß man von den ungeheuerlichen Vorgängen erfahren hatte, wurde Barnabas nach Antiochien geschickt, um nach dem Rechten zu sehen. Doch anstatt die dortigen Glaubensbrüder scharf zu ermahnen, war er von dem Gesehenen derart begeistert, daß er sich ihnen anschloß. Ein ganzes Jahr ver- brachte er mit Paulus, der nach seiner Bekehrung auf dem Weg nach Damaskus[29] zu ei- nem der glühendsten Verfechter der Heidenmission geworden war, in der „hellenis- tisch“-heidenchristlichen Gemeinde.[30]

Die gesetzestreuen Judenchristen konnten und wollten die Entscheidung, daß Jünger Jesu nicht auch zwangsläufig Juden oder Proselyten sein müßten, nicht ohne weiteres hinnehmen. Damit war der Grundstein für den Streit um die Heidenchristen gelegt, der die Geschichte der Urkirche in den kommenden Jahren prägen sollte.

5.2 Das Apostelkonzil

Die Widersacher des sogenannten gesetzesfreien Evangeliums blieben nicht lange untä- tig. Getrieben von der Sorge, die Heidenmission könnte dem Verhältnis zwischen Chris- tentum und Judentum schaden, forderten sie de facto das Ende der Aufnahme von Hei- den in die Kirche ohne vorherige Beschneidung. So tauchten einige Abgesandte aus Je- rusalem, die allerdings nach Lukas keinen Auftrag der Apostel hatten, in Antiochien auf und versuchten, die Heidenchristen zur Annahme des mosaischen Gesetzes zu bewe- gen[31]. Gegenstand des Streites war also wie bereits erwähnt nicht generell die Aufnah- me von Heiden, sondern ihre Aufnahme als Heiden. Die Kritik kam von den gleichen Leuten, die bereits Petrus für seine Tischgemeinschaft mit Kornelius angegriffen hatten, und stellte eine essentielle Bedrohung für die paulinische Lehre dar, nach der nicht das Gesetz, sondern allein der Glaube zur Erlösung führte. Paulus beschloß nach einer hefti- gen Auseinandersetzung mit den „falschen Brüdern“, wie er sie in Gal 2,4 nennt, mit Barnabas und Titus (einem Heidenchristen) nach Jerusalem zu gehen und seine Lehre von den führenden Männern der Gemeinde bestätigen zu lassen.[32]

Es war eine kluge Entscheidung, sich von Barnabas begleiten zu lassen, den er war ein ehemaliges Mitglied der Urgemeinde und sein Wort hatte entsprechendes Gewicht. Über die Frage, warum Paulus Titus mitnahm, kann nur spekuliert werden; die Anwe- senheit des Unbeschnittenen dürfte bei den Judenchristen, die der Gruppe der Pharisäer entstammten und die „falschen Brüder“ entsandt hatten, wohl kaum ungetrübte Freude ausgelöst haben. Vielleicht wollte Paulus den „Säulen der Gemeinde“, also Petrus, dem Herrenbruder Jakobus und dem Zebaiden Johannes[33], die Erfolge seiner Tätigkeit bild- haft vor Augen führen.[34]

Wie dem auch sei- das Konzil hatte den von Paulus gewünschten Erfolg. Die Heiden- mission wurde offiziell anerkannt. Außerdem faßten die Anwesenden den Beschluß, die Mission unter sich aufzuteilen. Petrus sollte sich den Juden widmen, Paulus würde wie- terhin unter den Heiden tätig sein, da sie ihm offensichtlich ohnehin auferlegt waren. Abschließend verpflichteten sich die Antiochier, eine Sammlung für notleidende Brüder in Jerusalem durchzuführen. Sonst, schreibt Paulus, wurde ihm nichts auferlegt.[35]

5.3 Der Antiochia-Zwischenfall

Obwohl die Heidenmission im Apostelkonzil für legitim erklärt worden war, gab es im Verhältnis zwischen Judenchristen und Heidenchristen nach wie vor Schwierigkeiten. Das zeigte sich drastisch in einer Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus kurze Zeit nach der historischen Zusammenkunft in Jerusalem.

Petrus reiste nach Antiochien und pflegte wiederholt Tischgemeinschaft mit unbe- schnittenen Christen; ähnliches hatte ihm bekanntlich bereits im Fall des Kornelius Schwierigkeiten eingebracht. Als nun eine vom Herrenbruder Jakobus entsandte Abord- nung eintraf, änderte er sein Verhalten und zog sich aus Furcht, wie Paulus schreibt, von den bekehrten Heiden zurück. Andere Judenchristen, unter ihnen Barnabas, taten es ihm nach. In der Folge gerieten Petrus und Paulus heftig aneinander; letzterer nannte den Altapostel gar einen Heuchler und warf ihm vor, die Heidenchristen zu einem Leben nach dem mosaischen Gesetz zu zwingen. Die Reaktion von Petrus und den anderen Juden ist nicht überliefert.[36]

Paulus sah die Frage der gemischten Tischgemeinschaft nicht als pragmatischen Aspekt des alltäglichen Zusammenlebens in einer jüdnisch-heidnischen Gemeinde, sondern als Problem der prinzipiellen Anerkennung der Heidenchristen als vollwertige Mitglieder der Kirche. Diese Anerkennung konnte sich nur in einem uneingeschränkten, das Mahl umschließenden Zusammenleben ausdrücken. Die Heuchelei steckt in der Verwei- gerung der Gemeinschaft durch die Judenchristen, obwohl sie im Apostelkonzil mit dem Verzicht auf die Ausweitung des Beschneidungsgebot auf die Heiden erklärt hatten, daß der Glaube zur Erlösung führt und nicht das Einhalten von Geboten und Vorschriften.[37]

Die Führer der Jerusalemer Gemeinde müssen die Gefahr für die Einheit nicht nur der antiochischen Christen, sondern der Kirche an sich erkannt haben. In diesem Zusam- menhang gibt es eine Diskrepanz zwischen Gal 2, 6 und Apg 15, 19-20. Paulus schreibt wie oben gezeigt, ihm sei durch die Beschlüsse des Apostelkonzils weiter nichts aufer- legt worden. In der Apostelgeschichte entsteht wiederum der Eindruck, es seien noch während des Konzils Regeln für das Verhalten von Heidenchristen erlassen worden.[38]

Die Jakobusklauseln, wie diese in der Apostelgeschichte beschriebenen Regeln auch ge- nannt werden, verpflichten die Heiden dazu, sich von Götzen, Unzucht, Ersticktem und Blut[39] fernzuhalten, und stellen eine Kompromißlösung für das Zusammenleben in den gemischten Gemeinden dar. Sie gehen auf 3. Mose 17 und 18 zurück, in denen Heiden, die unter Juden lebten, besagte Forderungen auferlegt wurden. Da nach alttestament- licher Überlieferung Moses selbst Verfasser der Forderungen war, bedeutet die Gemein- schaft mit Heiden, die diesen Minimalanforderungen nachkommen, keinen Bruch der ri- tuellen Vorschriften. Jakobus ging es also nicht um die Rettung eines Restes von Geset- zesfrömmigkeit, sondern um brüderliche Rücksichtnahme, die den Judenchristen das gemeinsame Essen mit Heidenchristen ohne Belastung des Gewissens ermöglichte.[40]

Im Lichte dieser Erkenntnisse ist es wahrscheinlich, daß die Jakobusklauseln tatsächlich erst im Rahmen des Antiochia-Zwischenfalls erlassen wurden, da dieser nur mit dem Fehlen solcher Regelungen erklärbar wird.

6. Abschließende Betrachtungen

Auch wenn mit Anerkennung der Heidenmission und Erlass der Jakobusklauseln eine offizielle Lösung des Streites um die Heidenchristen gefunden wurde, enthielt sie doch für beide Seiten einen Wermutstropfen. Zumindest war aber der Frieden unter den Brü- dern, die bereit waren, die Beschlüsse zu akzeptieren, sichergestellt. Mit dem Apostel- konzil und den Klauseln neigt sich eine wichtige Phase im frühen Christentum dem En- de entgegen. Paulus trennte sich kurz nach dem antiochischen Zwischenfall von Barna- bas und machte sich auf den Weg zu seiner zweiten Missionsreise, die ihn über Klein- asien bis nach Griechenland führen sollte. Man kann davon ausgehen, daß Paulus die Trennung zwischen Judentum und Christentum, die sich schon bald faktisch einstellte, niemals beabsichtigt hat. Er selbst verstand sich auch nach seiner Bekehrung als Jude und betrachtete die Gemeinschaft von Heiden- und Judenchristen als die Gruppe, die den Willen Gottes erkannt hatte und damit das berufene Volk darstellte. Wenn er später in 1Kor 9, 20-21 sagt, er sei den Juden ein Jude und den Gesetzloser einer ohne Gesetz, dann ist das nur erklärbar, wenn er sich weder für das eine noch für das andere hält. Er ist kein Heide, aber ist auch nicht mehr „einfach Jude“, sondern etwas Drittes.[41]

Betrachtet man die Verfechter der beiden Standpunkte im Streit um die Heidenchristen, tut man gut daran, dabei jedwedes „Schubladen-Denken“ zu unterlassen. Paulus war un- ter bestimmten Umständen durchaus bereit, Zugeständnisse an die jüdischen Traditio- nen zu machen. So verlangte er in Apg 16, 1-3 die Beschneidung des Timotheus, der ei- ne jüdische Mutter hatte, während er bei Titus davon absah. Gleichermaßen war die Motivation der gesetzestreuen Juden und Judenchristen vielfach nicht von persönlicher Ablehnung oder gar Haß gegenüber den Christen geprägt, die nach dem paulinischen Evangelium lebten, sondern von den nachvollziehbare Schwierigkeit, von tief verwur- zelten religiösen Überzeugungen Abschied zu nehmen.

Abschließend bleibt festzuhalten, daß Ereignisse wie die heftige Auseinandersetzung zwischen Petrus und Paulus in Gal 2, 13 die Berichte über einen gelebten Glauben, der auch auf Vergebung und Nächstenliebe beruht, nicht unglaubwürdiger macht; das Gegenteil ist der Fall. Wären die Protagonisten der Apostelgegeschichte als strahlende Helden charakterisiert, die gänzlich gefeit gegen alle menschlichen Verfehlungen die Verkündigung des Evangeliums vorantrieben, wären sie schnell als Legenden entlarvt. Es ist gerade das Eingeständnis von Fehlern und Schwächen, die die ehrliche Überzeu- gung der Nachfolger des Jesus von Nazareth realistisch erscheinen läßt und sie deutlich von den Methoden vieler Betrüger und Scharlatane abhebt.

7. Literatur- und Quellenverzeichnis

7.1 Quellen

Lutherbibel Schulausgabe; durchgesehene Ausgabe in neuer Rechtschreibung, Stuttgart 1999.

7.2 Literatur

Bihlmeyer, Karl; Tüchle, Hermann: Kirchengeschichte. Erster Teil: Das christliche Al-tertum; 19. Auflage, Paderborn u.a. 1996.

Dassmann, Ernst: Kirchengeschichte I. Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten; Kohlhammer-Studienbücher Theologie, Bd. 10, Stuttgart, Berlin, Köln 1991.

Cineira, David: Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission; Herders Biblische Studien, Bd. 19, Freiburg u.a. 1999.

Filson, Floyd: Geschichte des Christentums in neutestamentlicher Zeit; Düsseldorf 1967.

Reinbold, Wolfgang: Propaganda und Mission im ältesten Christentum: eine Untersu- chung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche; Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, H. 188, Göttingen 2000.

Schenke, Ludger: Die Urgemeinde: geschichtliche und theologische Entwicklung; Stutt- gart, Berlin, Köln 1990.

Tilly, Michael: So lebten Jesu Zeitgenossen. Alltag und Frömmigkeit im antiken Juden- tum; Mainz 1997.

Wilcke, Hans-Alwin: Neutestamentliche Umwelt und Zeitgeschichte; ABC des Neuen Testamentes, Bd. 3, Essen 1996.

[...]


[1] Erstellt nach Filson, Floyd: Geschichte des Christentums in neutestamentlicher Zeit; Düsseldorf 1967, S. 421-422.

[2] Mt 28, 18-20; alle Bibelzitate der vorliegenden Arbeit sind der revidierten Lutherübersetzung von 1984 ent- nommen.

[3] Dieser Begriff meint sinngemäß „in der Zerstreuung“.

[4] Vgl. Tilly, Michael: So lebten Jesu Zeitgenossen. Alltag und Frömmigkeit im antiken Judentum; Mainz 1997, S. 14-16.

[5] Zum Judentum bekehrte Heiden. „Volljude“ war man nach jüdischer Überzeugung, wenn mindestens die Mut- ter Jüdin war.

[6] Vgl. Bihlmeyer, Karl; Tüchle, Hermann: Kirchengeschichte. Erster Teil: Das christliche Altertum; 19. Auflage, Paderborn u.a. 1996, S. 41.

[7] Vgl. Filson, Floyd: Geschichte des Christentums in neutestamentlicher Zeit; Düsseldorf 1967, S. 173.

[8] Vgl. Filson (1967), 177-180.

[9] Sieben der in der Bibel gesammelten Paulusbriefe werden nach dem aktuellen Forschungsstand zwei- felsfrei dem Apostel zugeschrieben: der Römer-, der 1./2. Korinther- der Galater-, der Philipper-, der 1. Thessalonicher- und der Philemonbrief. Vgl. Wilcke, Hans-Alwin: Neutestamentliche Umwelt und Zeitgeschichte; ABC des Neuen Testamentes, Bd. 3, Essen 1996, S. 222.

[10] Filson (1967), 178.

[11] Bihlmeyer (1996), 45.

[12] Dies entsprach einem alttestamentlichen Brauch. Vgl. Filson (1967), 185.

[13] Vgl. Apg 1, 15-26.

[14] Vgl. a.a.O.

[15] Apg 6, 1.

[16] Der hohe Rat, auch Synedrium genannt, bildet die geistliche Führung des Judentums.

[17] Vgl. Apg 6; 7, 54-58; 8, 1.

[18] Vgl. Schenke, Ludger: Die Urgemeinde: geschichtliche und theologische Entwicklung; Stuttgart, Berlin, Köln 1990, S. 72.

[19] Vgl. Kraus, Wolfgang: Zwischen Jerusalem und Antiochia. Die ‚Hellenisten‘, Paulus und die Aufnah- me der Heiden in das endzeitliche Gottesvolk; Stuttgarter Bibelstudien, Bd. 179, Stuttgart 1999, S. 27-28.

[20] Vgl. Filson (1967), 197-201.

[21] Vgl. Kraus (1999), 27; Filson (1967), 201.

[22] Vgl. Schenke (1990), 72-73.

[23] „Die aber zerstreut waren wegen der Verfolgung, die sich wegen Stephanus erhob, gingen bis nach Phönizien und Zypern und Antiochia und verkündigten das Wort niemandem anders als allein den Juden. Es waren aber einige unter ihnen, Männer aus Zypern und Kyrene, die kamen nach Antiochia und rede- ten auch zu den Griechen und predigten das Evangelium vom Herrn Jesus.“, Apg 11, 19-20.

[24] Vgl. Apg 8, 5.

[25] Vgl. Kraus (1999), S. 57.

[26] Vgl. Apg 8, 38.

[27] „Kein Entmannter oder Verschnittener soll in die Gemeinde des Herrn kommen.“, 5. Mose 23, 2.

[28] Vgl. Apg 10, 21-11, 18.

[29] Vgl. Apg 9, 1-19.

[30] Vgl. Filson (1967), 209-211.

[31] „Wenn ihr euch nicht beschneiden laßt nach der Ordnung des Mose, könnt ihr nicht selig werden.“, Apg 15, 1.

[32] Vgl. Cineira, David: Die Religionspolitik des Kaisers Claudius und die paulinische Mission; Herders Biblische Studien, Bd. 19, Freiburg u.a. 1999, S. 249-251.

[33] Vgl. Gal 2, 9.

[34] Vgl. Filson (1967), 235.

[35] Vgl. Gal 2, 6-10.

[36] Vgl. Gal 2, 11-14.

[37] Vgl. Kraus (1999), 158-159.

[38] Vgl. Filson (1967), 236.

[39] Ersticktes und Blut meint das Fleisch erstickter Tiere (die beispielsweise in einer Falle gefangen wur- den) und zu Lebensmitteln verarbeitetes Blut.

[40] Dassmann, Ernst: Kirchengeschichte I. Ausbreitung, Leben und Lehre der Kirche in den ersten drei Jahrhunderten; Kohlhammer-Studienbücher Theologie, Bd. 10, Stuttgart, Berlin, Köln 1991, S. 45.

[41] Vgl. Reinbold, Wolfgang: Propaganda und Mission im ältesten Christentum: eine Untersuchung zu den Modalitäten der Ausbreitung der frühen Kirche; Forschungen zur Religion und Literatur des Alten und Neuen Testaments, H. 188, Göttingen 2000, S. 29.

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Details

Titel
"Seid ihr nicht beschnitten, so könnt ihr nicht selig werden" - Der Streit um die Heidenmission
Hochschule
Technische Universität Dresden
Veranstaltung
Proseminar "Die Regierung des Claudius"
Note
1
Autor
Jahr
2002
Seiten
14
Katalognummer
V107980
ISBN (eBook)
9783640061846
Dateigröße
472 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Beschränkt sich in erster Linie auf historische, nicht so sehr auf theologische Aspekte.
Schlagworte
Seid, Streit, Heidenmission, Proseminar, Regierung, Claudius
Arbeit zitieren
Christian Zacke (Autor:in), 2002, "Seid ihr nicht beschnitten, so könnt ihr nicht selig werden" - Der Streit um die Heidenmission, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/107980

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