Der Donjuanismus bei Moliere, Byron und Hoffmann - ein Vergleich


Seminararbeit, 2003

23 Seiten, Note: 1-

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Repräsentation des Don Juan bei Molière, Byron und Hoffmann
2.1 Die Darstellung der Figur
2.1.1 Der berechnende Stratege
2.1.2 Der gebeutelte Suchende
2.1.3 Der verbitterte Zerstörer
2.2 Die Funktion des Erzählers

3. Von der Klassik zur Romantik - der Begriff des Donjuanismus im Wandel
3.1 Ein Definitionsversuch
3.2 Don Juan im religiösen Kontext (Molière)
3.3 Don Juan als Verkörperung der romantischen Liebe (Byron)
3.4 Don Juan als neue Richtung zur Ästhetik (Hoffmann)

4. Resümee/Ausblick

5. Literatur

1. Einleitung

Don Juan ist eine Figur, die von vielen Dichtern in unterschiedlichen Zeiten zu Romanen, Dramen oder gar Opern verarbeitet wurde. Don Juan ist ein Mythos, der einen speziellen Typ Mensch repräsentiert und sogar schon Sprichwörtlichkeit besitzt. Doch was genau ist ein Don Juan? Ist er nur der „séducteur libertin“1, der „Typus des gottlosen Verführers und Mörders“2 oder steckt mehr hinter dieser Figur? Was ist seine Natur? Was sein Ziel? Wodurch wird er motiviert? Nach welchen Strategien handelt er? Wer ist er und was verkörpert er?

Fragen, denen in dieser Arbeit anhand der gleichnamigen Werke Molières3, Byrons4 und Hoffmanns5 auf den Grund gegangen werden soll. Da jedoch jeder Held so erscheint wie ihn sein Dichter erschafft, soll auch untersucht werden, inwieweit der Autor selbst bzw. die Form, die er gewählt hat, um Don Juan zu präsentieren (Drama, Versepos, Briefform), dessen Charakterzüge bestimmt und bewertet. Diese sehr unterschiedlichen Gattungen eröffnen dem Autor einen Gestaltungsraum, und reflektieren seine Rolle.

Des weiteren stellt sich die Frage, wie sich der Typ Don Juan im Laufe der Zeit verändert (falls er dies tut). Deshalb soll der Urtyp des Don Juan definiert und seine Entwicklung im Laufe der Zeit dokumentiert werden. So wird die Ausweitung von der bloßen Figur zum umfassenden Thema (Donjuanismus) erkennbar.

Diese drei Ansätze (der Mythos selbst, seine Darstellung und seine Entwicklung) sollen helfen, dem Mythos um diesen kontroversen Helden näher zu kommen. Doch zunächst wird die Frage nach der Darstellung des Don Juan in den drei Werken anhand von ausgesuchten Textstellen näher zu betrachten sein.

2. Die Repräsentation des Don Juan bei Molière, Byron und Hoffmann

Wenn man sich dem Typus Don Juan nähern und ihn in seinen ganzen unterschiedlichen Facetten kennenlernen will, sollte man sich zuerst vier Grundfragen stellen: die nach seiner Natur, seinem Ziel, seiner Motivation und nach seiner Strategie. Diese vier Ansätze können auch weiter helfen die Unterschiede zwischen den einzelnen Don Juan Figuren aufzudecken, denn sie suchen gezielt nach den bewußten und unbewußten Seiten dieses Charakters. Die „Natur“ bezeichnet das „Wesen eines Dinges, Charakter, Veranlagung“6, sagt uns etwas über die Seiten eines Menschen, die unveränderbar und oft unbewußt sind. Das Ziel wird vom Menschen selbst gewählt und gehört somit der bewußten Seite an, sagt unter Umständen aber viel über das Unbewußte aus, da es die Dinge bezeichnet, für die wir uns einsetzen und kämpfen. Also heißt die Frage nach dem Ziel eigentlich: Was ist wichtig? Die Motivation wiederum bestimmt unsere Position innerhalb eines Gefüges von anderen Personen oder Einflüssen und entscheidet darüber, ob wir uns eher selbst leiten oder leiten lassen (von innen bzw. von außen motiviert). Der letzte Ansatz, die Frage nach der Strategie, ist auch gleichzeitig die Frage nach dem „wie?“ und sehr eng mit dem Ziel verknüpft. Man kann also fragen, wie weit ein Mensch bereit ist zu gehen, um dieses Ziel zu erreichen. Diese vier Ansätze sind jedoch alle aufs engste miteinander verbunden und teils Voraussetzung für, teils Folge von einander. Unter diesen Aspekten sollen nun die drei von Molière, Byron und Hoffmann dargestellten Figuren untersucht und voneinander abgegrenzt werden.

Um diesem Problem auf den Grund zu gehen, ist man jedoch vom Dichter abhängig. Er stellt den Charakter, die Figur da, erlaubt sich Kommentare und Bewertungen. Hier muß also die Frage sein: wie sollen wir die Figur wahrnehmen? Dies und die Art der Darstellung (Gattung), die über die Rolle des Autors entscheidet (passiv/aktiv), soll deshalb in einem zweiten Unterpunkt behandelt werden.

2.1 Die Darstellung der Figur

Was alle drei Don Juan Charaktere gemeinsam haben, auch wenn die eigentliche Handlung in den drei Stücken differiert, ist, daß sie zu aller erst Frauenhelden sind. Über ihre zahlreichen Eroberungen wird berichtet und eine oder mehrere weibliche Hauptperson(en) (Done Elvire, Donna Julia, Haidée, Donna Anna) tragen dazu bei, die Haltung des Helden ihnen gegenüber zu illustrieren.

2.1.1 Der berechnende Stratege

Von Molières Dom Juan erfährt der Leser schon im ersten Akt, Szene II, seine Einstellung zu Liebe und Beziehungen zu Frauen. In einem Gespräch mit Sganarelle, dem Diener, der ihn in seinem Verhalten in Bezug auf Done Elvire kritisiert, läßt er sich zu folgendem Monolog hinreißen, der seine ganze Art, sein Handeln und sein Denken offenlegt.

Quoi? Tu veux qu’on se lie à demeurer au premier objet qui nous prend, qu’on renonce au monde pour lui, et qu’on n’ait plus d’yeux pour personne? La belle chose de vouloir se piquer d’un faux honneur d’être fidèle, de s’ensevelir pour toujours dans une passion, et d’être mort dès sa jeunesse à toutes les autres beautés qui nous peuvent frapper les yeux! Non, non: la constance n’est bonne que pour des ridicules; toutes les belles ont droit de nous charmer et l’avantage d’être rencontrée la prmière ne doit point dérober aux autres les justes prétentions qu’elles ont toutes sur nos coeurs.[...] l’amour que j’ai pour une belle n’engage point mon âme à faire injustice aux autres; je conserve des yeux pour voir le mérite de toutes, et rends à chacune les hommages et les tributs où la nature nous oblige. [...] tout le plaisir de l’amour est dans le changement. On goûte une douceur extrème à réduire, par cent hommages, le coeur d’une jeune beauté, à voir de jour en jour les petits progrés qu’on y fait, [...] à forcer pied à pied toutes les petites résistances qu’elle nous oppose, à vaincre les scrupules dont elle se fait un honneur et la mener doucement où nous avons envie de la faire venir. Mais lorsqu’on en est maître une fois, il n’y a plus rien à dire ni rien à souhaiter; tout le beau de la passion est fini, et nous nous endormons dans la tranquillité d’un tel amour...7

Ein langer Monolog, doch für die oben genannten vier Fragen von zentraler Bedeutung, da diese hier alle von Don Juan höchst persönlich beantwortet werden. Schon der Suche nach seiner Natur kann im ersten Satz auf den Grund gegangen werden: er ist ein unabhängiger Mensch, den nichts und niemand binden kann und für den Stillstand mit dem Tod gleich zu setzen ist („d’être mort dès sa jeunesse“). Konstanz ist nicht für ihn gemacht, er sucht seine Herausforderung in immer wechselnden Abenteuern. Doch dieser Unabhängigkeitsdrang ist nur eine Seite seiner Natur. Die andere ist seine Skrupellosigkeit, die hier schon angedeutet wird und später in mehreren Szenen weiterverfolgt werden kann. Er betrachtet die Menschen in der Welt um ihn herum als „Objekte“, und nach diesem Grundsatz behandelt er sie auch auf dem Weg zum Ziel.

Dieses Ziel ist von einer Besessenheit nach Eroberungen geprägt, wobei er nicht unterscheidet wer das „Objekt“ seiner Gelüste sein soll (Done Elvire, die Adelige, Charlotte, die Bäuerin). Don Juan will erobern, aber nur um des Eroberns willen. Das Ziel ist also nicht die eroberte Person, sondern das Erzwingen seines Willens, die Jagd. Je größer die Hindernisse, die sich ihm dabei in den Weg stellen (z.B. Elvire, die im Kloster lebt), desto süßer der Sieg. Er will sich selbst zum Meister der Situation machen, da ihm Hindernisse immer überwindbar scheinen. „Dom Juan aime posséder par conquête; plus la difficulté est grande, plus la conquête est véritablement conquête, et du coup, la possession, réelle.“8 Er läßt sich immer wieder aufs neue faszinieren und in demselben Moment , in dem er ein neues „Objekt“ für seinen Eros gefunden hat, ist die Vergangenheit vergessen. Dom Juans ganzes Denken ist auf Zukunft ausgerichtet, was ihn auch immer wieder im Laufe des Stücks in Schwierigkeiten bringt, da die Menschen um ihn herum, die Vergangenheit eben nicht einfach auf sich beruhen lassen können (Done Elvire und die Brüder).

Diese donjuaneske Welt wird von seinem Ego, und nichts anderem, regiert. Seine Regeln werden von ihm selbst aufgestellt und sind die einzig gültigen. Er ist ein aufs höchste von innen motivierter Mensch, für den die Gesetzte der „normalen“ Welt nicht gelten („vouloir se piquer d’un faux honneur d’être fidèle“). Diese seine Welt jedoch besteht nur für den Moment und ist nicht von Dauerhaftigkeit, genau wie seine Beziehungen. Er vertritt andere Werte: in dem Moment, in dem er neue Verpflichtungen eingeht, existieren die alten schlicht und einfach nicht mehr. „Dans un monde où toutes les institutions, tous les codes sont fixes, permanents, Dom Juan omet de dire que pour lui ces institutions et ces codes sont momentanés...9 “ In seiner Welt gelten auch nur seine Waffen, mit denen er es immer wieder schafft, den Eindringlingen aus der „normalen“ Welt, die mit seinen Regeln nicht vertraut sind, Paroli zu bieten. Seine Waffen beruhen alle auf Kommunikation bzw. das Beenden derselben: schweigen, ignorieren oder verlassen des Schauplatzes gehören genauso in sein Repertoire wie unterbrechen und entwerten dessen, was das Gegenüber sagt (z. B. das Gespräch mit Sganarelle über „Arithmétique“, Akt III/1). Es kann jedoch genauso vorkommen, daß er zum Schwert greift oder Ohrfeigen verteilt (Elvires Brüder, Pierrot). Wenn er dann doch einmal lügt, sind es die von ihm gewählten Lügen und nicht die, die ihm gesellschaftliche Normen vorschreiben (Gespräch mit Elvire, Akt I/3). Auch bei seinen Waffen erkennt man also die strikte Motivation von innen und seine Weigerung, sich länger mit ein und derselben Sache auseinanderzusetzen.

Doch diese Welt des Don Juan hat nicht nur diese eine Seite der Inkonstanz und Regellosigkeit. Er könnte nicht so viele Frauen beeindrucken und regelrecht faszinieren, wenn er nur ein unzuverlässiger Egomane und Lebemann wäre. Hier sind wir nun am springenden Punkt seiner Strategie angelangt, die für den Dom Juan Molières geradezu charakteristisch ist, denn dessen Welt hat auch seine Vorteile. Da es in seiner Welt keine festen Regeln gibt, ist alles möglich: Schönheit, Reichtum, Macht, Begehrtsein - selbst für Menschen, die sich so etwas nie vorstellen konnten (Szene mit Charlotte, Akt 2/II). Also verherrlicht er sein weibliches Gegenüber („Ah! que cette taille est jolie!...Ah! que ce visage est mignon!...“10 ), macht ihr ihre außergewöhnlichen Eigenschaften bewußt („Quoi? une personne comme vous serait la femme d’un simple paysan? Non, non, ...“11 ), holt sie aus ihrer Welt heraus und verspricht die große Freiheit („...je vous arrache de ce misérable lieu...“12 ). Nachdem man jedoch einmal diese Welt betreten hat, gibt es nichts mehr, was sicher ist, die Werte der „normalen“ Welt verlieren ihre Gültigkeit. Und genau hier ist der Punkt, wo Dom Juan sich schuldig macht gegenüber all der verführten Frauen („le crime de Don Juan13 “): er lockt sie mit all den Versprechen an, unterschlägt aber, daß sie nicht von ewiger Gültigkeit sind (wie das in der Welt seiner Gegenüber sein mag). „Dire non à Dom Juan, c’est s’emprisonner dans des codes ou des ordres que l’évidence même de son existence rend illusoires; dire oui à Dom Juan, c’est renier toute solidité, toute certitude, c’est accepter un monde d’où se sont enfuies les valeurs.14

2.1.2 Der gebeutelte Suchende

Byrons Don Juan trägt einige ähnliche Züge, hat jedoch allein durch sein Alter andere Voraussetzungen als der Molières. Seine Natur - ganz anders als die des Molièreschen Don Juan - beruht auf totaler Passivität. Alle Abenteuer, die er erlebt, passieren ihm mehr oder minder durch Zufall und auch seine Verbindungen mit diversen Frauen sind keinesfalls von ihm herbeigeführt. Er ist kein skrupelloser Lebemann, sondern eher ein „schüchterner, sechzehnjähriger, bartloser Junge, schlank, gutaussehend, ziemlich naiv und in seinen Liebesaffären meistens der passive Teil.15 “ Oft gerät er an ältere Frauen (Donna Julia, Haremsdamen), die ihn eher umsorgen und ihrerseits verführen, weil sie von seiner Unschuld so angetan sind. Selbst Haidée, genauso jung wie Juan, sieht ihn im Licht von Kindlichkeit („infant Juan16 “), Schutzbedürftigkeit („the babe upon his mother’s breast17 “) und Unschuld, was zum größten Teil durch seine fast makellose Schönheit („very pretty fellow18 “) ausgelöst wird. Eine Art Zauber umgibt ihn, mit dem er jede Frau für sich einnimmt, selbst dann wenn er selbst als Frau verkleidet im Harem auftaucht.

Seine Ziele, falls er welche hat, sind höchstens auf den Augenblick bezogen (z. B. sich nach dem Schiffbruch an Land zu retten, im Krieg ein Held zu werden o.ä.), ziehen sich jedoch nicht wie beim Molièreschen Juan wie ein roter Faden durchs ganze Stück. Im Allgemeinen kann bei diesem Juan schon von seiner Natur aus keine Rede von Zielen sein, denn seine Abenteuer suchen vielmehr ihn als umgekehrt.

Die Frage nach der Natur dieses Charakters scheint aufgrund seiner passiven Haltung der Schlüssel zu seinem Verständnis zu sein, denn auch unter den Aspekten Motivation und Strategie ist ihm nicht beizukommen. Er ist ein aufs höchste von außen motivierter Mensch - jedoch nicht von Regeln und Werten, sondern von den anderen Menschen um ihn herum und von seinen höchst abenteuerlichen Schicksalsschlägen, die er immer wieder erleidet (Schiffbruch, Sklavenmarkt, Krieg). Mann kann ihm jedoch nicht absprechen, daß er immer das beste aus diesen Situationen herausholt, wobei ihm der Zufall und sein schönes Gesicht natürlich entscheidend zur Hilfe kommen.

Doch erstaunlicher Weise hat auch dieser naive und unschuldige Jüngling etwas gemein mit dem Molièrschen Frevler: es ist ihrer beider Fähigkeit, die Vergangenheit ruhen zu lassen und sich der Zukunft zuzuwenden. Beim Byronschen Juan geschieht dies zwar innerhalb der „normalen“ Welt, doch auch bei ihm besteht diese Welt nicht für immer und wird sehr schnell von einer neuen abgelöst - jedoch nicht durch das ewige Verfolgen neuer Abenteuer, sondern einfach durch neu eingetretene Situationen. Man bedenke zum Beispiel wie Byron Juans Liebe zu Haidée „zur idealen Liebe romantisiert19 “, eine Liebe, die für die Ewigkeit geschaffen ist und nicht von dieser Welt scheint.

All these were theirs, for they were children still/ and children still they should have ever been./ They were not made in the real world to fill/ a busy character in the dull scene, but like two beings born from out a rill, a nymph and her beloved, all unseen/ to pass their lives in fountains and on flowers/ and never know the weight of human hours.20

Natürlich steht Don Juan noch unter diesem Einfluß als er Gulbeyaz trifft und sich ihr verweigert („ Juan was good and might have been still better, /but he had got Haidée into his head/ However strange, he could not yet forget her...“21 ), aber kurze Zeit später ist auch diese ewige, niemals sterbende Liebe vergessen (Haremsdamen, Katharina) und wird nicht mehr erwähnt. Es scheint, als ob auch dieser Don Juan immer wieder die Liebe auf den ersten Blick kennt und an jeder Frau irgend etwas eindrucksvolles, liebenswertes findet. Doch anders als der Molièresche Held ist er frei von jeglicher Arglist und Berechnung und nutzt diese Begeisterungsfähigkeit nicht aus, um die Frauen zu verführen (diese verführen ja im Gegenteil ihn). Dieses ideale Licht, in dem er jede Frau sieht, ist jedoch auch ein Teil dessen, was die Frauen an ihm anzieht, wie bei Molières Don Juan. Byrons Held ist jedoch etwas zu naiv, um diese Eigenschaft auszubauen und für seine Zwecke zu benutzen (wozu ihm auch jeglicher Wille fehlen würde). Dieser Juan ist eine Art Candide, der durch Schicksalsschläge und Zufälle von einer Küste zur andern verschlagen wird, sich mit seinem schönen Gesicht und seiner liebreizenden Art (jedoch nicht bewußt eingesetzt) durchschlägt und mit einer begeisterten Naivität alles aufsaugt, was das Leben ihm bietet.

2.1.3 Der verbitterte Zerstörer

Hoffmanns Don Juan hingegen gleicht sehr viel mehr dem Molièreschen wie dem Byronschen, was schon allein die Beschreibung seiner Äußerlichkeiten, die der reisende Enthusiast über ihn abgibt, mehr als deutlich macht.

Eine kräftige, herrliche Gestalt: das Gesicht ist männlich schön, eine erhabene Nase, durchbohrende Augen, weichgeformte Lippen; das sonderbare Spiel eines Stirnmuskels über den Augenbrauen bringt sekundenlang etwas von Mephistopheles in die Physiognomie, das, ohne dem Gesicht die Schönheit zu rauben, einen unwillkürlichen Schauer erregt.22

Im Gegensatz zu Byrons Held haben wir es hier nicht mit einem bartlosen Jüngling zu tun, sondern mit einem starken, schönen Mann, dem aber auch eine gewisse teuflische Grausamkeit ins Gesicht geschrieben steht. Dieses „teuflische“ Element begegnet uns in der ganzen Natur dieses Charakters wieder. Ähnlich wie der Molièresche Juan stolpert er einer Eroberung nach der nächsten hinterher, jedoch nicht, weil er die Faszination der Eroberung selbst schätzt, sondern weil er ein Suchender nach „dem Ideal endlicher Befriedigung23 “ ist.

In Don Juans Gemüt kam durch des Erbfeindes List der Gedanke, daß durch die Liebe, durch den Genuß des Weibes schon auf Erden das erfüllt werden könne, was bloß als himmlische Verheißung in unserer Brust wohnt und eben jene unendliche Sehnsucht ist, die uns mit dem Überirdischen in unmittelbaren Rapport setzt.24

Er sucht das, was das Leben ausmacht in den Frauen, will nicht hin nehmen, sondern nehmen - eine Suche, die enttäuscht wird, und zwar mit jeder neuen Eroberung einmal mehr. Er fordert höhere Mächte heraus - aus Bitterkeit, weil ihm sein Wunsch versagt blieb - und muß fallen. Auch er ist von innen motiviert, jedoch weniger aus Egoismus heraus, als aus Verachtung den anderen Menschen und Gott gegenüber, die ihm seinen Wunsch nicht erfüllen konnten. Also muß er, wie der Molièresche Held, zerstören.

Doch wie schon in der ersten Beschreibung seines Äußeren gesehen, macht ihn diese dämonische Besessenheit nicht abstoßend. Dieser tiefe Schmerz und die Enttäuschung, die in ihm wütet, seine ganze Leidenschaft, macht das aus, was die Frauen anzieht. Er kann die Menschen, die dafür empfänglich sind, entzünden mit seiner „übermenschlichen Sinnlichkeit25, wie er es ja mit Donna Anna und selbst dem reisenden Enthusiasten schafft, die beide als eine Art Gegenpol zu Helden fungieren. Donna Anna als seine Rettung, die er verschmäht, der reisende Enthusiast, als der, der erkennt, was Juan nicht vergönnt ist. Das einzige, was ihm übrig bleibt, ist zu zerstören - die anderen und sich selbst. Doch dieses zerstörerische und zugleich faszinierende Feuer des Helden wird von der Wut in ihm geschert und ist nicht berechnende Herausforderung wie beim Molièreschen Juan.

2.2 Die Funktion des Erzählers

Die oben erwähnte Faszination, die den Erzähler selbst ergreifen kann oder nicht kann, soll in diesem Abschnitt thematisiert werden. Sie ist natürlich zum großen Teil, davon abhängig, welche Rolle der Erzähler einnehmen will: läßt er seine Meinung durch die Figuren ausdrücken, hält er sich über der Szene oder nimmt er daran teil? Diese Entscheidung wird hauptsächlich durch die Erzählform bestimmt. In einem Drama, wo der Erzähler sich persönlich (als lyrisches Ich) nie einschaltet, kommt ihm eine völlig andere Rolle zu wie in einem Versepos oder Brief.

Die Kraft des Molièreschen Juans liegt im Wort. Nicht umsonst tritt er in einem Drama auf. Anhand der Dinge, die er über sich selbst und andere sagt, lernen wir ihn sozusagen „live“ kennen und können anhand der Dialoge Stück für Stück über ihn herausfinden. Natürlich ist der Erzähler nicht völlig verschwunden - er war es ja der die gesprochenen Worte und die auftretenden Figuren gewählt hat. Doch er spricht durch die Figuren zu uns - auf die Art wie sie, ihrem Charakter gemäß - reden sollten. So redet die fromme und von gesellschaftlichen Regeln geprägte Elvire oft in stereotypen Codes (als sie ihm ihre Lüge anbietet), die bäurische Charlotte mit einem ebensolchen Dialekt und naiv-komischen Inhalten (ist auf der Stelle bereit, sich als Dame zu begreifen) und Don Juan selbst sagt schon durch seine Art zu kommunizieren (unterbrechen, weglaufen, ablenken, Schwert ziehen) sehr viel über seinen eigentlichen Charakter aus. Seine Dialoge, die Form, wie er mit den anderen Menschen umgeht sind selbst Repräsentation des Molièreschen Donjuanismus. Auch er benutzt Stereotypen, doch meint sie im Gegensatz zu den anderen nicht ernst. „Don Juan gibt nichts, und am allerwenigsten sein Wort. Er tauscht nichts, sondern leiht sich lediglich Signifikante aus. Er macht es so, daß das Imaginäre seiner Gesprächspartner sich in diesen Illusionen wiedererkennt und ihnen hingeben kann.26 “ Dieser Don Juan ist ein Stratege, was in fast allen Dialogen, die er führt, zum Vorschein kommt. Er wird durch seine kommunikativen Waffen immer zum Meister der Situation, sei es, als er Elvires Forderung nach Rechtfertigung abschmettert (I/3) oder als er Charlotte (live!) nach allen Regeln der Kunst verführt und sämtliche Widerstände einreißt (II/2). Eine weitere „Einmischung“ des Autors im Drama ist die Handlung selbst. So erleben wir, daß jedes Mal, wenn Juan gerade eine neue Eroberung im Auge hat, ihn die Folgen einer vergangenen Liebschaft einholt, was dem ganzen Stück eine unglaubliche Schnelligkeit verleiht, die ja gleichzeitig symptomatisch für Juans Lebensstil ist. Molière läßt also den Juan für sich selbst sprechen und präsentiert ihn uns als Strategen und Meister der Kommunikation.

Ganz anders in Byrons Versepos. Hier tritt der Poet als Erzähler, Kommentator, Maler auf. Er zeichnet nicht Figuren im Zusammenhang, er zeichnet eine ganze Zeit (Ausschweifungen über Liebe, Krieg und Gesellschaft). Und vor allem: er hat zu allem und jedem eine Meinung. Durch diese Vordergrundrolle des Dichters (er bezeichnet sich als Freund der Familie Juans) erfährt man sehr wenig über Don Juan selbst. Er wird nie wirklich lebendig, außer in exakt den Szenen, wo Sprache eigentlich überhaupt keine Rolle spielt, z.B. in der Liebesszene am Strand.

They feared no eyes nor ears on that lone beach,/ they felt no terrors from the night, they were/ all in all to each other. Though their speech/ was broken words, they thought a language there,/ and all the burning tongues the passions teach/ found in one sigh the best interpreter/ of nature’s oracle, first love, that all/ which Eve has left her daughters since her fall.27

Doch der Dichter muß sich auch oft zu Juans eigentlichem Schicksal zurückrufen, wenn er wieder einmal zu allgemeineren Themen abschweift. Es scheint fast, als wäre Don Juan nur eine Art Sprachrohr, die es dem Dichter ermöglicht, sich über ein Thema nach dem anderen (anhand eines Exempels, das immer wieder zur Rate gezogen werden kann) ungestört auszulassen. Der eigentliche Held wird ständig durch den übermächtigen Erzähler in den Hintergrund gedrängt und darf erst wieder auftauchen, wenn dieser es „erlaubt“.

Byrons beharrliche Bemühung um ein öffentliches Selbstbild,..., führt in Don Juan zu dramatischer Verkleidung und Fragmentierung mit dem Ziel kritischer und humorbesetzter Rekonstruktion der Person des Dichters, deren Wertnormen unter intensivem Einbezug des Lesers erörtert und revidiert werden.28

Die malerischen, intimen Passagen jedoch, in denen Juan lebendig wird, dienen zumeist der Beschreibung der Romantischen Liebe (und ihren Pendants Krieg und Tod). Auch hier wird eine vollendete Hingabe skizziert, jedoch beruht sie bei Juan und Haidée auf Gegenseitigkeit. „Byron delineates the privacy of Juan and Haidée as a mutual transparency, a vision of complete reciprocal love seemingly prior to the fall into selfhood.29 “ Und genau hier wird der absolute Gegensatz zum Molièreschen Helden deutlich, denn bei diesem ist die Liebe nicht gegenseitig und steht schon gar nicht über dem Ego.

Diese Passagen machen das aus, was die Figur Juans am Leben hält - trotz der Übermacht des Dichters oder gerade durch sie, denn sie werden durch die gewählte poetische Form begünstigt. Doch diese Don Juan Figur ist im Gegensatz zu Molières Held, der uns aus der Situation heraus und immer in Bewegung präsentiert wird, wie ein Bild, bei dem die Details beeindrucken, die Farben, die Komposition.

In der Erzählung in Briefform von Hoffmann, nimmt der Erzähler wiederum eine völlig andere Rolle ein, als in den beiden vorherigen Werken. Er steht nicht irgendwo außerhalb der Handlung, sondern wird darin eingebunden, verfängt sich.

Er erlebt den treulosen Liebhaber auf der Flucht vor sich selbst und den Ansprüchen der Liebe, den Verräter und den Mörder als eine „unheimliche Gewalt“, in deren Bann die Weiber „selbst ihr Verderben vollenden“; die „Menschlein um ihn her“ sind „nur aufgestellt zu seiner Lust, in ihr mattliches Tun und Treiben verderbend einzugreifen“.30

Der Held auf der Bühne fasziniert ihn durch diese unbändige Kraft und Wut, die er ausstrahlt. Bis hierher ist der Erzähler noch Zuschauer des Stücks, doch dann wird er in den Sog der Oper hinein gezogen: Donna Anna erscheint ihm leibhaftig und spricht zu ihm. Von da an wird der Erzähler zu einer Art Gegenpol des Don Juan. Er hat insgesamt viel mit ihm gemeinsam. Auch er sucht das „positive Lebensgeheimnis31 “, doch im Gegensatz zu Juan erkennt er es, als es sich ihm in der Form der Donna Anna offenbart. „In ihr begegnet ihm auf den Flügeln der Kunst das ewig Weibliche, und als Inbegriff des Menschlichen und somit des Göttlichen erschließt ihm diese Begegnung das Reich des Geistes, jenes Wunderland Dschinnistan, dahin schon immer seine Sehnsucht ging.32 “ Der Erzähler macht also den Schritt, den Don Juan nicht fertig gebracht hat, als Donna Anna zu seiner Erlösung auftauchte. Er ist nicht verbittert und kann gerettet werden.

Hier haben wir also einen Erzähler, der in das Stück hinein gesogen wird und dem Juan sozusagen zum Konkurrenten wird. Jedoch kann er errettet werden - im Gegensatz zum eigentlichen Helden, der sich nicht mit der Rolle des Menschen zufrieden geben kann. Neben dem Erzähler verblaßt der Held als bemitleidenswerter, verbitterter Rächer.

3. Von der Klassik zur Romantik - Der Begriff des Donjuanismus im Wandel

Bis hierher haben wir nun die drei verschiedenen Don Juan Figuren kennengelernt und auch mehr über die Rolle erfahren, die der Dichter ihnen zugesteht, den Charakter, die Natur dieses Menschen. Doch nun stellt sich die Frage wozu der Juan benutzt wurde. Was sollte er verkörpern? Und warum braucht es dazu gerade einen Typen wie ihn? Was also macht den Donjuan ismus aus?

Hierzu soll nun zuerst eine Definition des Begriffs „Donjuanismus“ versucht werden, um dann zu verfolgen, wie er sich im Laufe der Zeiten weiterentwickelt hat und welche Aspekte ihn ausmachten.

3.1 Ein Definitionsversuch

Der Donjuanismus heute beschränkt sich meist auf das Sinnliche, die Unverantwortlichkeit der unbändigen Lust, das absolute Begehren, doch man vergißt dabei, daß diese Komponente in den Anfängen des Helden, nur eine wichtige Nebenrolle spielte. In der Urfassung von Tirso de Molina wird Juan zuerst unter theologischen Aspekten wichtig: der von Gott bestrafte Sünder. Ein besonderes Zeichen dafür ist der steinerne Gast, der auch bei Molière auftaucht und seine eigentliche Sünde, den Hochmut gegenüber Gott, symbolisiert. „Erst im 19. Jahrhundert erscheint Don Juan als derjenige, dem sein sinnliches Begehren zum Verhängnis wird, von dessen Sinnlichkeit aber auch eine zugleich bedrohliche und faszinierende Kraft ausgeht.33 Doch wie kam es dazu, daß ein und dieselbe Figur unter solch unterschiedlichen Blickpunkten betrachtet werden können? Und bleibt die Figur zu mindest was die Komponente der Sinnlichkeit anbelangt identisch?

Albert Camus entwickelt in seinem Werk „Der Mythos von Sisyphos34 “ eine weitläufige Theorie über diese Figur, was das Begehren anbelangt und sein Verhältnis zum Metaphysischen beschreibt. Don Juan ist seiner Theorie zu Folge ein lebensbejahender und bewußter Mensch. Diese zwei Eigenschaften zeichnen ihn am meisten aus und unterscheiden ihn von z. B. Faust. Er bedauert und bereut nicht und ist sich bewußt darüber. Er verurteilt sich nicht selbst, will kein Heiliger sein. Der Unterschied zwischen einem solchen und dem Juan besteht darin, daß der Heilige mehr auf die Qualität im Leben setzt, Juan allerdings die Quantität vorzieht.

Nicht aus Mangel an Liebe geht Don Juan von Frau zu Frau. Es ist lächerlich, ihn als einen Trunkenen auf der Suche nach der allumfassenden Liebe darzustellen. Aber weil er alle gleich stürmisch und jedes Mal mit Einsatz seiner ganzen Person liebt, muß er diese Gabe und diese Vertiefung wiederholen. Daher hofft jede ihm zu geben, was ihm bis dahin keine gegeben hat. Sie alle täuschen sich jedes Mal völlig, und es gelingt ihnen nur, ihn die Notwendigkeit dieser Wiederholung empfinden zu lassen35.

Juan verläßt eine Frau nicht, weil er sie nicht mehr begehrt, sondern weil er eine andere begehrt. Er „verbraucht“ Frauen, tauscht sie aus, doch was war interessiert ihn nicht. Er blickt nur nach vorne. Er propagiert die vergängliche Liebe als Ideal im Gegensatz zur Gesellschaft um ihn herum. Nach seiner Theorie haben die Menschen, die diese große unvergängliche Liebe finden, „das Herz von der Welt abgewandt.36 “ Don Juans Liebe ist eine befreiende Liebe. „Sie bringt alle Gesichter der Welt mit sich, und ihr Schauder kommt aus dem Wissen, daß sie vergänglich ist.37 “ Und Juan ist sich dessen bewußt. Er weiß um wirklich alle Konsequenzen, die diese Einstellung mit sich bringt, doch er nimmt sie bewußt in Kauf, denn sie bedeuten keine Strafe für ihn.

Eine weitere hervorstechende Eigenschaft ist, daß Don Juan seine Grenzen kennt - so merkwürdig sich das anhören mag. Er bewegt sich natürlich auf unsicherem Grund, doch auf diesem ist er ein Meister. Er begeht jedoch nicht den Fehler, sich über diesen Spielraum hinaus zu erheben, und sich Hoffnung auf ein anderes Leben zu machen. „Die Hölle ist für ihn etwas, das man herausfordert. Für den göttlichen Zorn kennt er nur eine Antwort: die männliche Ehre.38

Zusammenfassend kann man also sagen, daß der Don Juan, seinem Mythos zufolge, ein Genie ist, das sich über sein Handeln, dessen Ursprünge und Folgen bewußt ist. Er hat keine Angst vor der Zukunft, sein Denken ist geradezu darauf ausgerichtet und nur wenig kann ihn überraschen. Er glaubt nicht an eine ewige Liebe, sondern sucht sein Glück in der befreienden, vergänglichen. Er liebt das Leben in seiner ganzen Unvollkommenheit und sehnt sich nicht nach einem anderen. Dieser Juan ist ein starker, mutiger Charakter, der zu sich selbst steht und nicht bereut.

3.2 Don Juan im religiösen Kontext (Moliére)

Bei Molières Don Juan können noch die Spuren der ursprünglich religiösen Figur Don Juan erkannt werden. Der steinerne Gast, zum Beispiel, der die Verkörperung der Moral und des Himmels ist. Jedoch wird hier deutlich, daß dieser gegen den Molièreschen Helden nichts mehr ausrichten kann. Während der Burlador noch um Vergebung der Sünden flehte, tritt hier ein Juan auf, der als „kalter Rationalist und Atheist, nicht mehr in eine metaphysische Weltordnung einzubinden39 “ ist. Der steinerne Gast beeindruckt ihn keineswegs, auch wenn er nicht ganz hinter sein Geheimnis kommt und den Geist will er mit dem Schwert bekämpfen. Letztendlich fährt er zwar zur Hölle, doch zurück bleibt ein schreiender Sganarelle, der seinen Lohn fordert („Mes gages! mes gages!mes gages“40 ) und somit der Situation einen lächerlichen und irdischen Beigeschmack gibt.

Auch wird der Juan zum ersten Mal mit gerade diesen komischen (Comedia dell’Arte) Elementen ausgestattet: die Gegenüberstellung von Sganarelle und dem Helden und die Verführungsszene der Charlotte, die in bäuerlichem Milieu stattfinden, genauso wie die vielen komischen Dialoge, in denen der Held seine Waffen ausspielt tragen dazu bei.

Der Molièresche Juan entspricht am ehesten dem Bild, welches Camus vom Mythos zeichnet. Der totale Rationalist, der keine Angst kennt und dem Sganarelle als eine Art Karikatur gegenüber steht. Er ist zukunftsfixiert und hastet von einer Eroberung zur nächsten. Auch ihn drängt es überhaupt nicht danach ein „Heiliger“ zu sein. Er übernimmt diese Rolle allerhöchstens für Täuschungsmanöver (Vater, Done Elvire), ist sich jedoch immer darüber bewußt (und gibt es Sganarelle gegenüber zu), daß es nur eine Rolle bleibt.

...mais quoique ce puisse être, cela n’est pas capable ni de convaincre mon ésprit, ni d’ébranler mon âme, et si j’ai dit que je voulais corrigier ma conduite et me jeter dans un train de vie exemplaire, c’est un dessein que j’ai formé par pure politique, un stratègme utile, une grimace nécessaire où je veux me contraindre, pour ménager un père dont j’ai besoin...41

3. 3 Don Juan als Verkörperung der Romantischen Liebe (Byron)

Mit der Romantik verändert sich nicht nur die Thematik der Don Juan Figur, sondern auch sein Charakter. „Don Juan se transforme ainsi, à l’image de ses auteurs, en un personnage mélancolique, rêveur et réprouvé. Ange déchu, il sait que sa lutte avec Dieu est vaine, vouée à l’échec, mais sa grandeur tragique est de rechercher, justement, cet affrontement inéluctable.42 “ Byrons Figur entspricht diesem Bild, ist er doch wirklich vom Schicksal gebeutelt, muß seine große Liebe verlassen, gerät in Kriege und auf Sklavenmärkte. „Über diesen gemarterten und bejammernswerten Don Juan will keiner lachen. Man bedauert ihn.“43 Doch bei Byron ist dies sicher auch der gewählten Form zu verdanken. Das komische Element ist der Dichter selbst, der mit seiner Sprache immer wieder geniale Be- und Umschreibungen anrüchiger Szenen in den Vordergrund stellt (die Biene, die die Haremsdame sticht) oder zynische Gesellschaftsporträts entwirft.

Ein weiterer Nachteil des Byronschen Juan ist, daß er nicht „in Aktion“ auftritt. „Als Verkörperung unmittelbarer Sinnlichkeit sei Don Juan intentional auf die dramatische Gattung...bezogen und könne seine erotische Wirkung nur kraft seiner Präsenz auf der Bühne entfalten.“44 Wahrscheinlich ist das auch einer der Gründe, warum Byrons Held so passiv erscheint. Mit dem Camusschen Mythos hat er nicht mehr viel gemeinsam. Er ist nicht mehr der bewußte Stratege und Rationalist, sondern eher ein vom Schicksal gebeutelter Suchender.

Les écrivains du début du XIXe siècle choisissent en effet pour emblème le jeune homme seul, sombre, au visage tourné vers le ciel, errant sur la terre, cherchant partout des contrastes - la vie et la mort, l’ombre et la lumière, le bien et le mal - sans admettre jamais son propre inachèvement.45

So ist ein weiteres Thema, das der Byronsche Don Juan ausdrückt, die Paralellität von Liebe, Krieg und Tod. „Byron announces <<fierce loves and faithless wars>> (vii.8) as his subject, and the reversal of Spenser is possible because at one level love and war function identically. The link between the two actions is passion, etymologically the root of passivity.46 “ Dies wird widergespiegelt durch die Figur der Katharina, die zugleich Aggression und Leidenschaft verkörpert. Auch die Liebe mit Haidée ist eine Art Symbol des Todes, da sie in ihrer Vollkommenheit nicht weiterentwickelbar ist und Stillstand bedeutet.

Bei Byron entfernen wir uns also nun vom klassischen Juan-Modell, welches eher auf die religiöse Bedeutung des Atheisten und Freigeistes wert legt und kommen zu einem melancholischen, düsteren Juan, der den Dualismus von Liebe und Tod durchlebt. „Romantische Liebe wird, kaum daß sie als Modell eingeführt ist, schon nachdrücklich dementiert und mit ihrem Gegenteil Gewalt und Tod konfrontiert.47

3. 4 Don Juan als neue Richtung zur Ästhetik (Hoffmann)

Hoffmann unterzieht den Don Juan einer Ästhetischen Betrachtung und benutzt seine Figur zur „Etablierung einer neuen Auffassung von Kunst.“48 Spätestens von jetzt an hat der Don Juan die Molinasche Rolle der moralischen Verstöße gegen alle Regeln und Werte verloren. Er ist nicht mehr das „schlechte Beispiel“. Don Juan wird in Relation zum Künstler gesetzt, den er mit seiner Sinnlichkeit herausfordert.

Denn in der Phantasietätigkeit bzw. in der künstlerischen Aktivität wird eine neue Sinnlichkeit produziert, der eine eigenständige Wirklichkeit zukommt. Wirklichkeit und Kunst vermischen sich, es wird eine neue Ebene konstituiert, die den Rezipienten der Kunst dazu verführt, sich ihr und seinen eigenen Phantasien zu überlassen.49

Somit ist es also Hoffmann, der den Akzent auf den sinnlichen Aspekt des Juan legt - gerade durch diese „Darstellung in der Darstellung“. Doch er bezieht sich als aller erstes auf die Sinnlichkeit der Kunst. Die Sinnlichkeit der Figur springt wie ein Funke auf den Künstler über. Das Thema Don Juan dient nunmehr „als Aufhänger für die Reflexion50 “. Dafür spricht auch, daß Hoffmanns Juan eine Bühnenfigur ist. Durch die Interpretation des Betrachters wird die Handlung im Stück zum Leben selbst. „Es geht um die Etablierung einer Kunstauffassung, die ihre Impulse nicht aus der Wirklichkeit bezieht, sondern in einer Interpretation eines anderen Kunstwerkes gewinnt.51

In Hoffmanns Verarbeitung des Don-Juan-Materials wird die Sinnlichkeit, der in den Anfängen dieses Stoffs nur mittlere Bedeutung zugemessen wurde, zum Thema an sich.

4. Resümee/Ausblick

Daß der Donjuanismus wirklich ein Mythos ist, erkennt man nach der Betrachtung der drei Ausarbeitungen von Molière, Byron und Hoffmann. Es gibt ein Grundthema, das immer die unbedingte Sinnlichkeit des Helden bleibt, doch sowohl der Held selbst als auch die Bedeutung dieser Sinnlichkeit im weiteren Kontext verändern sich im Laufe der Zeiten.

Hatte noch der Molièresche Juan, ein großer Stratege und Freigeist, eher eine Funktion inne, die im religiösen, moralischen Zusammenhang gesehen werden kann, verliert der Byronsche Held diese Komponente schon und repräsentiert ein Gesellschafts- und Zeitenporträt, sowie die romantische Liebe an sich.

Die Romantik fand ihre eigene Schreibweise zur Darstellung der erfahrenen Realität, und auch dort, wo die romantische Kunst versagte, war die Ursache die gleiche, die sonst ihre künstlerische Leistung erzwang: Der objektive Grund fürs Scheitern und Gelingen der Kunst, war das ,Kranke’ der Wirklichkeit.52

Auch ist er ein völlig anderer Heldentypus, ohne das sinnliche Element, das ihm durch den Dichter gegeben wird zu vernachlässigen. Hoffmann zuletzt geht noch weiter und stellt das Sinnliche als das Elementare des Donjuanismus heraus - jedoch auf die Kunst bezogen.

Die drei jeweils gewählten Gattungen kommen jedem der drei Verkörperungen des Donjuanismus zu gute: Bei Molière der Held, der in eigenen Worten Gott mit seiner Sinnlichkeit herausfordert, bei Byron der Juan dessen Sinnlichkeit im Dichter selbst ein Sprachrohr findet und bei Hoffmann die Bühnenfigur, die den Künstler mit seiner Sinnlichkeit zur Reflexion anregt.

5. Literatur

Primärwerke:

- Byron, George Gordon (1973): Don Juan, London: Penguin.
- Hoffmann, E. T. A. (1964): Don Juan, Stuttgart: Reclam.
- Molière (1994): Dom Juan ou le festin de pi è rre, Paris: Flammarion.

Sekundärwerke:

- Biet, Christian (1998): Don Juan. Mille et trois r é cits d ’ un mythe, Paris: Gallimard.
- Camus, Albert (1960): Der Mythos von Sisyphos, Düsseldorf: Karl Rauch Verlag. · Dubost, Jean-Pierre (1988): Eros und Vernunft. Literatur und Libertinage, Frankfurt a. M.: Athenäum.
- Guicharnaud, Jacques (1963): Moli è re, une aventure th éâ trale, Paris: Gallimard. · Haustedt, Birgit (1992): Die Kunst der Verführung, Stuttgart: M & P Verlag. · Kraft, Herbert (1979): „E. T. A. Hoffmann: Geschichtlichkeit und Illusion“, in: Ribbat, Ernst (Hg.): Romantik. Ein literaturwissenschaftliches Studienbuch, Königstein/Ts.: Athenäum.
- Kremer, Detlef (1996): Prosa der Romantik, Stuttgart/Weimar: Metzler Verlag.
- Manning, Peter J. (1990): „Don Juan and Byron’s Imperceptiveness to the English Word.“, in: Wu, Duncan (Hg.): Romanticism. A critical reader, Oxford/Cambridge: Blackwell.
- Müller, Hartmut (1981): Byron, Hamburg: Rowohlt.
- von Schenck, Ernst (1939): E. T. A. Hoffmann. Ein Kampf um das Bild des Menschen, Berlin: Die Runde Verlag.

Nachschlagewerke:

- Bertelsmann Universallexikon (1992), Gütersloh: Bertelsmann Lexikon Verlag.
- Jens, Walter (H.g.) (1989): Kindlers Literaturlexikon, Bd.3, München: Kindler Verlag.
- Le Petit Larousse Illustr é (1999), Paris: Larousse.
- Meyers Taschenlexikon (1992): Bd. 3. Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich: B.I.- Taschenbuchverlag.

[...]


1 Le Petit Larousse (1999: 345).

2 Meyers Taschenlexikon (1992: 17).

3 Molière (1994).

4 Byron (1973).

5 Hoffmann (1964).

6 Bertelsmann (1992: 613).

7 Molière (1994:16f).

8 Guicharnaud (1963: 211).

9 Guicharnaud (1963: 239).

10 Molière (1994: 34).

11 Molière (1994: 35).

12 Molière (1994: 36).

13 Guicharnaud (1963: 232).

14 Guicharnaud (1963: 232).

15 Müller (198: 118).

16 Byron (1973: 137).

17 Byron (1973: 139).

18 Byron (1973: 139).

19 Kindler (1989 :448).

20 Byron (1973: 192).

21 Byron (1973: 250).

22 Hoffmann (1964: 57).

23 Hoffmann (1964: 67).

24 Hoffmann (1964: 67).

25 Hoffmann (1964: 69).

26 Dubost (1988: 95). Nach: Reichler, Claude (1979): La diabolie, Paris: Minuit, S. 73.

27 Byron (1973:149).

28 Kindler (1989: 449).

29 Manning (1990: 220).

30 von Schenck (1939: 197).

31 von Schenck (1939: 198).

32 von Schenck (1939: 200).

33 Haustedt (1992: 50).

34 Camus (1960).

35 Camus (1960: 91).

36 Camus (1960: 95).

37 Camus (1960: 95).

38 Camus (1960: 93).

39 Haustedt (1992: 47).

40 Molière (1994: 96).

41 Molière (1994: 87).

42 Biet (1998: 46).

43 Camus (1960: 96).

44 Haustedt (1992: 49).

45 Biet (1998: 46).

46 Manning (1990: 222f).

47 Kremer (1996: 115).

48 Haustedt (1992: 50).

49 Haustedt (1992: 51).

50 Haustedt (1992: 49).

51 Haustedt (1992: 51).

52 Kraft (1979: 138).

Ende der Leseprobe aus 23 Seiten

Details

Titel
Der Donjuanismus bei Moliere, Byron und Hoffmann - ein Vergleich
Hochschule
Universität Stuttgart
Veranstaltung
HS Les comedies de Moliere
Note
1-
Jahr
2003
Seiten
23
Katalognummer
V108067
ISBN (eBook)
9783640062713
Dateigröße
771 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Donjuanismus, Moliere, Byron, Hoffmann, Vergleich, Moliere
Arbeit zitieren
Anonym, 2003, Der Donjuanismus bei Moliere, Byron und Hoffmann - ein Vergleich, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108067

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