Gliederung
1. Einführung
2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Entstehung des Yvain - Entstehung des Iwein
2.2 Unterschiedliche Stellung der mittelalterlichen Frau in Frankreich - Deutschland
2.3 Einwirkung der unmittelbaren Prätexte auf Yvain - Iwein
3. Untersuchung ausgewählter Episoden der Laudine - Handlung
3.1 Die Eheabsicht
3.1.1 Die Eheabsicht bei Chrétien
3.1.2 Die Eheabsicht bei Hartmann
3.2 Die Ringübergabe
3.2.1 Die Ringübergabe bei Chrétien
3.2.2 Die Ringübergabe bei Hartmann
3.3 Die Aufsagebotschaft durch Lunete
3.3.1 Die Aufsagebotschaft durch Lunete(?) bei Chrétien
3.3.2 Die Aufsagebotschaft durch Lunete bei Hartmann
4. Der Kniefall der Laudine
4.1 Auswirkungen auf die Wertung der Laudine
4.2 Die Authentizität der Kniefall - Verse
5. Schluß
6. Bibliographie
6.1 Primärliteratur
6.2 Sekundärliteratur
Die / Der Unterzeichnete versichert, dass sie / er die vorliegende schriftliche Hausarbeit selbständig verfasst und keine anderen als die von ihr / ihm angegebenen Hilfsmittel benutzt hat. Die Stellen der Arbeit, die anderen Werken dem Wortlaut oder dem Sinne nach entnommen sind, wurden in jedem Fall unter Angabe der Quelle (einschließlich des World Wide Web und anderer elektronischer Text- und Datensammlungen) kenntlich gemacht. Dies gilt auch für beigegebene Zeichnungen, bildliche Darstellungen, Skizzen und dergleichen.
(Ort / Datum)
(Unterschrift)
1. Einführung
Dass es sich bei Hartmann von Aues Iwein um eine Nachdichtung des Yvain, der von dem französischen Autor Chrétien de Troyes verfasst worden war, handelt, ist aufgrund der Deckungsgleichheit des Inhalts allgemein ersichtlich. Doch worin liegt die Besonderheit des deutschen Iwein ? Eine reine Übersetzung der französischen Vorlage wäre keine nennenswerte Leistung gewesen. Da sich Hartmann auf der inhaltlichen Ebene sehr genau an Chrétien orientiert hat, müssen die Veränderungen tiefgründiger sein. Die feinen, aber vorhandenen Unterschiede ergeben sich erst bei intensiver Lektüre.
Als Haupthandlungsstrang des Romans kann die Laudine-Handlung betrachtet werden. Schließlich ist Iweins Verstoßung durch sie der Auslöser dafür, daz im [Iwein] in daz hirne sch ô z/ ein zorn unde eine tobesuht, (V. 3232 - 3233). Dieser Wahnsinn bezeichnet den Einschnitt in seinem Leben, nach welchem er zum zweiten aventiurenritt aufbricht, in welchem er einen Entwicklungsprozess durchlebt. Im folgenden möchte ich mich vor allem auf die verschiedene Gestaltung und Wertung der Autoren in Bezug auf die Laudine-Figur beschränken. Anderweitige Textabänderungen, Erweiterungen oder Auslassungen von Versen werden vernachlässigt. Zuerst sollen geschichtliche Faktoren, die auf die Laudine-Handlung bzw. deren Verarbeitung möglicherweise eingewirkt haben, behandelt werden. Anschließend wird die Figur selbst in einzelnen Episoden beleuchtet, um zu untersuchen, inwieweit sich Hartmann an die Vorlage Chrétiens gehalten oder sich von ihr entfernt hat. Besonderes Gewicht ist hierbei auf den Schluss im deutschen Iwein, Laudines Kniefall, zu legen, so dass diesem ein eigener Themenpunkt gewidmet wird. Zusätzlich zu neuerer Forschungsliteratur soll auch die ältere Forschung miteinbezogen werden, da diese dort vielmals zitiert, verwendet oder kritisiert wird. Allen voran hat Volker Mertens versucht die Gestalt der Laudine genauestens zu analysieren und Erklärungen für Hartmanns Verarbeitung ihrer Thematik zu liefern. Bei der Untersuchung der Unterschiede stellt sich auch die Frage nach dem „Warum“. Hat Hartmann die Laudine-Figur umgewertet, da er sich z.B., wie Mertens vermutet, aus Rücksicht auf das Publikum bemühen wollte, „der Weiblichkeit Gutes nachzusagen“1 ?
2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Entstehung des Yvain - Entstehung des Iwein
Über beide Verfasser ist nur wenig bekannt. Die Lebensdaten Chrétiens werden auf ca. 1150 n. Chr., also Mitte des 12. Jahrhunderts - ca. 1190 n.Chr. geschätzt. Seine Schaffenszeit umfasste wahrscheinlich die Jahre 1165 n. Chr. - 1185 n. Chr. Yvain, der Chevalier au lion, steht in der von Chrétien begründeten Tradition des höfischen Versepos und ist als vierter seiner fünf bekanntesten Dichtungen: Erec, Clig è s, Lancelot, Yvain und Perceval entstanden.2 Mertens siedelt die Entstehung des Yvain im Zeitraum von 1182 n. Chr. - 1184 n. Chr. an. Er beruft sich hierbei u.a. auf die Vermutung, dass Chrétiens Roman durch das Vorbild der Marie de Champagne, deren Mann 1182 n. Chr. starb und die sich deshalb in einer Art Laudine - Situation befand, angeregt wurde.3
Die Datierung des Iwein, sowie jegliche Auskünfte über Hartmann, auch seine ungefähren Lebensdaten sind nicht durch historische Quellen oder Urkunden belegt, sondern müssen aus dem Text und Kontext seiner Werke erschlossen werden. Dies gilt sogar für seine Autorschaft:
„ Ein r î ter, der gel ê ret was unde ez an den buochen las, swenner s î ne stunde niht baz bewenden kunde, daz er ouch tihtennes pflac (daz man gerne h œ ren mac, d â k ê rt er s î nen vl î z an: er was genant Hartman und was ein Ouw æ re), der thite diz m æ re. “ (V. 21 - 30)
Da Yvain als Ausgangspunkt der deutschen Fassung zeitlich vor deren Entstehung liegen muss, ist eine Einordnung von den 90er Jahren des 12. Jahrhunderts - 1203 n. Chr., die in Relation zu Wolfram von Eschenbachs Parzival, der sich u.a. auf Iwein bezieht, steht4 durchaus denkbar. Weil weltliche Dichtung in der Regel Auftragsarbeit war, ist dies auch für den Iwein anzunehmen. In wessen Dienst dies aber geschah, ist heute nicht mehr nachzuvollziehen. Hierin könnte ein möglicher Grund für die Umgestaltung der Laudine liegen. Es wäre möglich, dass der Dichter die Figur einer bestimmten Person entsprechend umskizziert hat. Allerdings ist laut Mertens „keine Auftraggeberin namhaft zu machen, die die Änderungen und Präzisierungen auf eine entsprechende Forma vivendi veranlasst haben könnte.“5
2.2 Unterschiedliche Stellung der mittelalterlichen Frau in Frankreich - Deutschland
Eine rein äußerliche Umwertung liegt in der Tatsache, dass Hartmanns Laudine „ k ü neg î n “ (V. 2340), während sie bei Chrétien „nur“ Herzogstochter „ La dame, qui fu fille au duc Laudunet “ (V. 2152 - 2153) ist, vor. Diese Abänderung korrespondiert mit den unterschiedlichen Positionen der Herrscherinnen in beiden Ländern. Im Gegensatz zur französischen Frau, die eine größere Selbständigkeit für sich beanspruchen konnte, ist die Stellung der deutschen Frau etwas schwächer. Dieses Faktum berücksichtigt Hartmann und wandelt die Herzogstochter in eine Königin ab, um ihr den gleichen Handlungsspielraum wie der französischen Vorlage gewähren zu können.6 Dennoch tritt Chrétiens Laudine autonomer und selbstbewusster auf. Sie will ihren Leuten von ihrer bereits beschlossenen Heirat: Se il est tes, qu`a moi ataingne, / (Mes que de par lui ne remaingne,) /Je le ferai, ce vos otroi,/ Seignor de ma terre et de moi . (V. 1803 - 1806) nur berichten und gute Ratschläge einholen, por la costume maintenir/ De vostre fontainne deffandre , (V. 1848 - 1849). Hartmann dagegen lässt Laudine, vorsichtiger agieren. Auch sie ist sich sicher Iwein heiraten zu wollen, vergewissert sich seiner aber zuvor: ich wil iuch gerne: welt ir mich ? (V. 2333). Nach Iweins Zustimmung: `spr æ ch ich n û , vrouwe, nein ich, / s ô w æ r ich ein uns æ lec man . ( V. 2334 - 2335) gibt sie jedoch des weiteren zu bedenken:
dazn v ü eget sich niht under uns drin: n û g â n wir zuo den liuten hin.
[...]
vor den suln wirz niht stillen.
[...]
die suln wir an der rede h â n:
deisw â r ez v ü eget sich deste baz.` (V. 2361 - 2369)
Es hat den Anschein, als ob Hartmanns Laudine mehr von der Zustimmung ihrer Untertanen abhängig wäre und nicht die gleiche Radikalität wie bei Chrétien an den Tag legt, was die These der größeren Selbständigkeit der französischen Frau widerspiegeln würde.
2.3 Einwirkungen der unmittelbaren Prätexte auf Yvain - Iwein
Wie bereits erwähnt, ist der Yvain Chrétiens vierter Roman. Er folgt direkt auf die Dichtung des Lancelot. Dieser ist der Prätext zu Yvain und behandelt vordergründig die Liebe Lancelots zu Guenivre, welche als Minneherrin absolute Verfügungsgewalt über ihn, ihren Minnediener hat. Dies bleibt auch Thema im Yvain. Chrétien differenziert hier die Problematik einer derartigen Minnekonzeption weiter aus und artikuliert sie deutlicher.7 Peter Kern weist daraufhin, dass Lancelot insofern auf Yvains Thematik eingewirkt hat, dass man in diesem eine Art Fortsetzung und Vertiefung des im Lancelot behandelten Minneverhältnisses sehen kann. Der Lancelot war in Deutschland nicht übersetzt worden. Somit muss für Iwein der Erec, Hartmanns erste Nachdichtung einer Vorlage Chrétiens, als Prätext vorausgesetzt werden.8 Wie Chrétien knüpft auch Hartmann an den vorangegangenen Text an. Dies ist besonders an der Stelle zu erkennen, wo er sich unmittelbar auf Erec bezieht: K ê rt ez niht allez an gemach ;/ als dem hern Ê recke geschach,/ der sich ouch als ô manegen tac / durch vrouwen Ê n î ten verlac. (V. 2791 - 2794). Doch auch in der Umzeichnung der Laudine-Figur kann eine Annäherung an die Thematik des Erec erkannt werden. Laudine tritt nicht mehr, wie bei Chrétien, als markante Minneherrin auf, die Akzente werden eher auf ihre Position als alleinstehende Herrscherin gesetzt, die einen Landesverteidiger braucht. Diese Aufgabe wird von Erek und Iwein nicht konsequent ausgeführt, wenn auch in kontroverser Weise. Erek verligt sich bei Enite, Iwein versäumt die rechtzeitige Rückkehr zu Laudine.9
Chrétien dagegen legt mehr Gewicht auf die Minnebeziehung der Eheleute. Yvains Verfehlung besteht laut Lunete darin, dass er Laudine nicht genug liebt; nicht, dass er als Landesverteidiger untauglich sei: „ Bien a sa jangle aparce ü e / Qui se feisoit verais amerre / S ´ estoit fel, soduianz et lerre. […] (V. 2722 - 2724). Somit wird folgendes ersichtlich: Hartmann hat sich im Iwein thematisch, nicht inhaltlich, eher am Erec, als am Yvain orientiert.
3. Untersuchung ausgewählter Episoden der Laudine - Handlung
3.1 Die Eheabsicht
3.1.1 Die Eheabsicht bei Chrétien
Autonomieansprüche der Chrétien - Laudine sind auch in deren Eheabsicht erkennbar. Stoffgeschichtlich hatte sie ursprünglich den Status einer Quellenfee. Insofern sind ihr keine menschlichen Motivationen, wie Liebe zu Grunde zu legen. Sie sucht laut Peter Ihring keinen Liebespartner, sondern einen Quellenverteidiger.10 Dem entspricht folgende Passage im Yvain: „ Et oseriiez vos anprandre / Por moi ma fontainne a deffandere ? “ / „ O ï l voir, dame! vers toz homes.“ / „ Sachiez donc, bien acord é somes.“ (V. 2033 - 2036). Unter diesen Umständen scheint ihr Wille zur Ehe mit Yvain rein politisch und nicht von Zuneigung motiviert. Gleichzeitig ist Ihring der Meinung, dass die ausführlich geschilderte Trauer Laudines um ihren Mann nicht echt ist. Der Autor habe sie lediglich oberflächlich mit einer höfischen Gesinnung ausstatten wollen, die nicht zur Tiefenstruktur, in der Laudine mythologisch geleitet handelt, passt.11
Diese Meinung muss man nicht teilen. Laudines Empfinden scheint sehr wohl echt zu sein, wenn sie auch nicht aus Liebe trauert. Ihre Gebärden werden zwar als maßlos beschrieben: Ses chevos tire et ront ses dras, / Se se repasme a chascun pas, / Ne riens ne la puet conforter ; (V. 1159 - 1161). Mit keinem Wort aber wird Liebe erwähnt. Laudines Trauer könnte von der Tatsache herrühren, dass man ihr den Quellenverteidiger oder den Minnediener(?) genommen hat, da sie ihres Mannes mit den Worten:
[...]„ Biaus sire! de vostre ame Et des merci si voiremaut, Come onques au mien esciant Chevaliers sor sele ne sist, Qui de rien nule vos vaussist ! De vostre enor, biaus sire chiers ! Ne fu onques nus chevaliers,
Ne de la vostre corteisie.
Largesce estoit la vostre amie,
Et hardemanz vostre conpainz. (V. 1288 - 1297)
gedenkt. Neben ihrer Trauer gefällt sie sich aber in erster Linie in der Rolle der begehrten Frau, die absolute Gewalt über ihren Mann, den sie sich ebenso als Minnediener wünscht, ausüben kann. Dies lässt sie nicht im besten Licht erscheinen. Gleichzeitig bereitet Lunete Yvain entsprechend vor:
Ne vos grevera rien, ce croi,
Fors tant (que mantir ne vos doi, Que je feroie tra ï son):
Avoir vos viaut an sa prison, Et s ´ i viaut si avoir le cors,
Que nes li cuers n ´ an soit defors “ (V. 1919 - 1924)
Laudine, als sie sagen kann: Que si vos metez a devise / Del tot an tot an ma franchise / Sanz ce, que ne vos an esforz “ (V. 1983 - 1985) kann mit Yvain als Gemahl vollkommen zufrieden sein, da er die Voraussetzungen des unterwürfigen Dieners und des Landesverteidiger, die sie eine Ehe beabsichtigen lassen, erfüllt.
3.1.2 Die Eheabsicht bei Hartmann
Vordergründig verhält es sich bei Hartmann ähnlich. Auch hier hat sich Laudine aus politischen Gründen für eine neuerliche Heirat entschieden. Dies wird aus ihren eigenen Worten ersichtlich: wandez ist mir s ô gewant, / ich mac verliesen wol m î n lant / hiute ode morgen. / daz muoz ich ê besorgen / mit einem manne der ez wer: (V. 2311 - 2315). Für diese Annahme spricht auch, dass sie den Mörder ihres Mannes: ir [Iwein] habt den k ü nec Askal ô n, / ir vil lieben man, erslagen: (V. 2274 - 2275) erwählt, da der sich aufgrund des Sieges über Askalon optimal für diese Aufgabe qualifiziert hat. So wird er auch von Lunete beschrieben: der in d â jagete unde sluoc, / der ist der tiurer gewesen: / m î n herre ist t ô t und er genesen.` (V. 1968 - 1970). Laudine sieht ein, dass es keinen besseren Landesverteidiger als Iwein gibt. Hier wird ihre harte Seite offenbar; um sich als gute Herrscherin zu zeigen geht sie den Bund der Ehe mit dem Mörder ihres Mannes ein, obwohl sie, anders als bei Chrétien, ihren erschlagenen Mann wirklich geliebt zu haben scheint. Durch ihre unsägliche Trauer: von ir j â mers grimme / s ô viel s î dicke in unmaht: (V. 1324 - 1325) / von j â mer s î v ü rder brach / ir h â r und diu cleider. (V. 1310 - 1311), die Laudine menschlich und verletzlich zeigt, gibt Hartmann wörtlich zu verstehen, dass zwischen beiden eine Liebesbeziehung bestand: wand s î muose t ô ten sehen / einen den liebsten man / den w î p ze liebe ie gewan. (V. 1314 - 1316). Sie hat ihren Mann also nicht rein als Beschützer gesehen, sondern zwischen beiden bestand offensichtlich echte gegenseitige Liebe. Dies würde, wie Werner Schröder Helmut de Boor wiedergibt einer Liebe entsprechen, wie Hartmanns Auffassung sie verlangt.12 Eine ähnliche Liebe zwischen Laudine und Iwein scheint nicht möglich und von Laudine auch nicht gewollt zu sein. Sie sagt:
sît ich ân einen vrumen man
mîn lant niht bevriden kan,
so gewinn ich gerne einen,
und anders deheinen,
den ich sô vrumen erkande
daz er mînem lande
guoten vride bære
und doch mîn man niht wære ´ (V. 1909 - 1916)
Sie will keinen neuen Ehemann, was im Bezug auf die Tatsache, dass sie kurz zuvor ihren geliebten Mann verloren hat völlig verständlich scheint. Sie wirkt ein wenig verzweifelt, da sie mit solch abwegigen Gedanken spielt. Im Grunde ist ihr klar, dass kein Mann ihr Land verteidigen wird, den sie ihn nicht auch zum Ehemann nimmt. Weil sie um ihres Reiches willen dazu gezwungen ist geht sie aus Vernunftgründen eben diese politische Ehe ein. Das lässt sie auch an ihrer Aussage: swie selten ein w î p mannes bite, / ich b æ te iuwer ê . (V. 2330 - 2331) erkennen. Wollte sie einen Minnediener, wie bei Chrétien, würde sie niemals um Iwein werben, sondern nur von ihm umworben werden wollen. Da Hartmann wahrscheinlich nach der Originalvorlage eine Minnebeziehung zwischen beiden entstehen lassen, den politischen Charakter aber wahren wollte, lässt er diu gewaltige Minne (V. 2055) in Person eingreifen, die im Text aus der Herrscherin Laudine auch eine liebende Laudine macht. Dennoch: alr ê st liebet ir der man (V. 2674) nachdem [...] der k ü nec Art û s / durch s î ne [Iweins] bete mit ihm zu h û s (V. 2653 - 2654) geritten war. Nun spricht sie Iwein mit: ´ geselle und herre, (V. 2665) an. Er ist ihr wörtlich lieb geworden, nachdem
1. die Minne eingegriffen hat und
2. wiederum aus politischen Gründen, da er ihr die Ehre eines Besuchs von König Artus verschafft hat
Erkennbar wird hier, dass die Hartmann - Laudine, im Gegensatz zur Chrétien - Laudine, Iwein zuerst als herre und zweitrangig als geselle sieht. Sie hat also aus Kalkül geheiratet wobei minne später hinzugetreten sein mag, während jene vor allem einen Minnediener und erst danach einen Landesverteidiger sucht. Beide heiraten aus Berechnung, aber mit unterschiedlichen Intentionen. Erstere tat dies rein aus Sorge um ihr Reich. Die andere erscheint viel egoistischer, da sie Yvain zwar vordergründig um des Landes willen, wahrscheinlich aber zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse ehelicht.
3.2 Die Ringübergabe
3.2.1. Die Ringübergabe bei Chrétien
Die Ring - Episode ist bei beiden Autoren sehr kurz gehalten. Der formale Ablauf, die Übergabe eines magischen Rings, der Yvain/Iwein vor allerlei Gefahren beschützen soll, während sie auf Turnierurlaub gehen, ist derselbe. Differenzen ergeben sich aber in den Intentionen der verschiedenen Laudine - Figuren.
Bei Chrétien wird die gesamte Passage von Laudine gesprochen. Sie übergibt ihm einen Ring: Mes or metez an vostre doi / C ´ est mien anel, que je vos prest. (V. 2600 - 2601), den sie noch nie einem Ritter überlassen hat. Nun will sie ihn zum erstenmal verschenken und zwar an Yvain, weil sie behauptet ihn zu lieben: Et onques mes a chevalier / Ne le vos prester ne baillier, / Mes par amor le vos doing gi é.“ (V. 2611 - 2613). Wie es sich mit dem Ring verhält legt sie ihm sogleich dar: Et de la pierre, ques ele est, / Vos dirai je tot an apert : (V. 2602 - 2603). Nichts wird ihm zustoßen können, wenn er den Ring trägt, weder Gefängnis, Verwundung, noch irgendein anderes Übel: Prison ne tient ne sanc ne pert (V. 2604). Doch nun kommt die Bedingung: Der Träger muss ein wahrer und treuer Liebender sein: Nus amanz verais et leaus, (V. 2605). Er muss ihn tragen, werthalten und seiner Freundin gedenken: Mes qu ´ il le port et chier le taingne / Et de s ´ amie li sovaigne, (V. 2607 - 2608). In diesen beiden Versen ist deutlich eine Klimax zu erkennen, deren erste Stufe das Tragen des Ringes und letzte das Gedenken an die Freundin ist. Da Laudine Yvain den Ring schenkt, fordert sie diese Bedingungen für sich, ohne dies jedoch explizit in ihrem Namen auszudrücken. Die Botschaft ist klar betont: Sie will von Iwein geliebt werden. Wichtig ist, in welchem Kontext sie den Ring überreicht, da sich auch hier Abweichungen zu Hartmann finden. Laudine will Yvain Urlaub für eine bestimmte Zeit gewähren: […] „ Je vos creant / Le congi é jusqu ´ a un termine; (V. 2562 - 2563). Nach dieser Frist muss er wieder zu ihr zurückkommen, ansonsten wird er ihre Liebe verlieren: De m ´ amor seroiz maz et haves, / Se vos n ´ estes a icel jor / Ceanz avuec moi a sejor “ (V. 2576 - 2578), außer ihn hindert Krankheit oder Gefangenschaft. Diesen Fall kann sie ausnehmen: „ Sire! “ , fet ele, „ et je l ´ i met. (V. 2595), da sie in einem solchen Falle nicht an seiner Liebe zweifeln muss. Laudines Handeln ist scheinbar von Liebe motiviert. Durch ihr gesamtes Auftreten bleibt jedoch der Verdacht, dass dies nur eine oberflächliche Erklärung und sie in Wahrheit mehr auf Verehrung und Macht aus ist. Sie verlangt dass er sofort zu ihr zurückkehrt, wenn die Jahresfrist seines Urlaubs um ist. Im Falle höherer Gewalt jedoch könnte sie ihm eine spätere Rückkunft verzeihen, da dies den Wert und die Aufrichtigkeit seiner Liebe und Verehrung nicht schmälern würde. Der Ring ist hier ein beiderseitiges Minnepfand, Laudine will Yvain damit beschützen und fordert gleichzeitig seine Liebe ein. Es wird deutlich, dass seine Aufgabe als Landesverteidiger hier in den Hintergrund tritt. Sie wird mit keinem Wort erwähnt. Laudine verkörpert hier den Typus der amie.
3.2.2 Die Ringübergabe bei Hartmann
In der deutschen Version des Iwein verhält es sich anders. Zwar übergibt auch hier Laudine ihrem neuen Ehemann einen Ring, den sie bisher niemals jemandem geschenkt hat: unde l â t diz vingerl î n / einen geziuc der rede s î n. / ichn wart nie manne s ô holt / dem ich diz selbe golt / wolde l î hen ode geben. (V. 2945 - 2549). Auch sie spricht davon, dass sie Iwein liebe und zwar in einer Weise, wie sie noch niemanden zuvor geliebt habe. Trotz diesen Worten scheint ihr Handeln dennoch nicht durch persönliche Liebe, bzw. geliebt werden wollen, begründet zu sein. Während die Chétien - Laudine nicht nur bei der Ringübergabe, sondern bereits im Vorfeld von Liebe sprach, was zeigt, dass ihr die Verteidigung des Reiches durch Iwein weniger wichtig ist, steht bei Hartmann die Ringübergabe in einem anderen Kontext. Auch hier wird Iwein nicht wieder aufgenommen, falls er die Jahresfrist überschreitet: ode ichn warte iuwer niht m ê. (V. 2944). Allerdings reagiert Laudine auf seine Aussage: er k æ me wider, m ö hter, ê , / esn latzte in ê haftiu n ô t, / siechtuom vanc ü sse ode der t ô t. (V. 2932 - 2934) nicht. Sie geht darüber hinweg und gibt ihrerseits zu bedenken: [...] ´ iu ist daz wol erkant / daz unsere ê re und unser lant / vil gar û f der w â ge l î t, / ir enkumt uns wider enz î t, / daz ez uns wol geschaden mac. (V. 2935 - 2939). Iweins Aufgabe wird somit klar als die des Landesverteidigers definiert. Die Termini ê re und lant wurden von Hartmann eingefügt. In der französischen Vorlage spielen sie keine Rolle. Laudine fordert nicht, wie bei
Chrétien seine Liebe, sondern seinen Schutz. Der Ring soll ihn darauf verpflichten: unde l â t diz vingerl î n / einen geziuc der rede s î n. (V. 2945 - 2946). Hier wirkt sie zum ersten Mal kühl und reserviert. Sie kann und will auf Iwein keinen Tag länger verzichten, da sie sich ansonsten schutzlos findet. Dies gibt sie ihm deutlich zu verstehen, indem sie seine Einwände, er könne von höherer Gewalt abgehalten werden, nicht beachtet. Hartmann zeichnet die Laudine - Figur hier vollständig um. Sie ist nicht als geselle, bzw. amie, sondern an erster Stelle als Herrscherin eines Landes, als herre zu werten. Es ist verständlich, dass Laudine viel daran liegt Iwein so bald wie möglich gesund wiederzubekommen: er ist s æ lec der in [den Ring] treit. ` (V. 2955). Schließlich ist sie auf ihn angewiesen (vgl. 3.1.2). Ihre Motivation Iwein einen Zauberring zu geben ist die einer Herrscherin, wenn sie auch behauptet Iwein zu lieben, so geschieht dies wahrscheinlich nicht auf persönlicher, sondern auf politischer Ebene. Man denke zurück an ihren Ausspruch: alr ê st liebet ir der man. (V. 2674) nachdem er ihr König Artus als Gast ins Haus gebracht hatte. Laudine liebt Iwein als Beschützer und Verteidiger ihres Landes, da sie den Typus der herre, nicht der geselle verkörpert.
3.3 Die Aufsagebotschaft durch Lunete
3.3.1 Die Aufsagebotschaft durch Lunete (?) bei Chrétien
Es ist stark anzunehmen, dass Lunete die Überbringerin der Botschaft ist, mit der Laudine ihre Liebe zu Yvain aufkündigen lässt, als er die Rückkehrfrist versäumt hat. Jene Botin wird nur mit dameisele (V. 2705) beschrieben, spricht von Laudine aber als Ma dame (V. 2725). Lunete ist das dem Leser einzig bekannte Dienstmädchen und wurde schon mehrmals erwähnt. Die Indizien weisen also auf sie als Botin hin. Obwohl nicht von ihr gesprochen, trägt die Botschaft mit der Laudine ihre Liebe zu Yvain aufkündigen lässt, ihre Handschrift. Denn Lunete war ihm eigentlich immer freundlich gesinnt. Sie war es die ihn in Laudines Burg vor dem Tode gerettet hat: Or soiiez se ü rs et certains, / Que ja, se croire me volez, / Ne seroiz pris ne afolez. (V. 1020 - 1022). Da sie aber in erster Linie ihrer Herrin verpflichtet ist, übernimmt sie den Botenritt. Yvain wird beschuldigt sich als wahrhaft Liebender aufgespielt zu haben, in Wirklichkeit jedoch nur ein Betrüger zu sein, welcher Laudine das Herz gestohlen hat:
Qui se feisoit verais amerre, / S ´ estoit fel, soduianz et lerre. / Ma dame a cist lerre soduite,/ Qui n ´ estoit de nul mal recuite, / Qu ´ il li de ü st anbler son cuer. (V. 2725 - 2728). Hier wird Laudine als ehrlich Liebende dargestellt, aber sicherlich nur um Yvain aus ihrer Sicht als herzlosen Mann zu zeigen. Wenn man in betracht zieht, dass sie keinen Augenblick zögert ihn zu verstoßen und ihm auch keine Chance zur Verteidigung gibt, indem sie Lunete die Nachricht überbringen lässt, kann von echter Liebe, die wohl auch damals Verzeihung beinhaltet hätte, kaum die Rede sein. Lunete wirft Yvain vor: Ma dame paint an sa chanbre a / Trestoz les jorz et toz les tans; (V. 2754 - 2755) Et tu l ´ e ü s an tel despit, /Qu`onques puis ne t`an remanbra. (V. 2752 - 2753). Hier zeigt sich wiederum die „alte“, herrschsüchtige und stolze Laudine. Sie hat in ihrer Kammer Buch geführt über die Tage, die Iwein fort war. Sie konnte also punktgenau sagen, wann er nur einen Tag zu lange ausblieb. Als dies eintritt, verstößt sie ihn sofort durch Lunete, da er sie ihrer Ansicht nach zu gering geachtet hat. Sie kann sich nicht mehr als absolute Minneherrin Yvain gegenüber fühlen, was ihrem Eheverständnis (vgl. 3.1.1) widerspricht. Sie scheint in ihrem Stolz verletzt zu sein und reagiert dadurch sehr emotional, wie eine beleidigte, aber nicht unbedingt liebende Frau. Hier ist vielmehr sie, denn Iwein als herzlos zu bewerten.
3.3.2 Die Aufsagebotschaft durch Lunete bei Hartmann
Im Vergleich zu Chrétien wird explizit ausgedrückt, dass es Lunete ist, die Iwein die Aufsagebotschaft Laudines verkündigt: n û seht w â dort her reit / s î ns w î bes bote, vrou L û nete, (V. 3102 - 3103). Den 51 Versen Chrétiens (V. 2722 - 2773) stehen bei Hartmann allerdings 85 Verse entgegen (V. 3111 - 3196) von denen ein Großteil Lunetes eigenen Gedanken entspringt, wie u.a..:
daz ich ez ie undervienc,
daz iuwer ende niht ergienc
des will ich iemer riuwec sîn: (V. 3147 - 3149)
daz ist hie der her Î wein,
der niender in den siten schein,
dô ich in von êrste sach,
daz untriuwe ode ungemach
ieman von im geschæhe
dem er triuwen verjæhe. (V. 3119 - 3124)
Genau diese Gedanken Lunetes sind es, die der Rede Emotion verleihen. Auf Laudine selbst sind sicherlich die Passagen zurückzuführen, in denen Lunete allgemeiner, sachlicher und v.a. nicht von sich spricht, wie z.B.:
es schînet wol, wizze Krist,
daz mîn vrouwe ein wîp ist,
und daz si sich niht gerechen mac. (V. 3127 - 3129)
nû hânt ir sô mit ir gevarn
daz sich ein wîp wider die man
niemer ze wol behüeten kann. (V. 3160 - 3162)
Mîner vrouwen wirt wol rât,
wan daz ez lasterlîchen stât,
deiswâr unde ist unbillîch: (V. 3167 - 3169)
nû ist iu triuwe unmære. (V. 3174)
Es ist kein Wort von Liebe zu hören. Was der Hauptanklagepunkt bei Chrétien gewesen ist, wird hier völlig ausgelassen. Wiederum zeigt sich, dass Hartmann seine Laudine als Herrscherin eines Reiches und nicht als Herrscherin über einen Minnediener wertet. Die Anklage lautet auf Nichteinhaltung des Treueschwurs Quelle und Land zu verteidigen, nicht auf Versagen als Liebhaber. In allen Passagen, die von Laudine kommen, wird mehr oder weniger deutlich, dass Iwein sie schutzlos zurückgelassen hat, obwohl sie sich als Frau nicht verteidigen kann. Dies geschieht im nüchternen Stil einer Regentin, welche die von ihr geforderte sachliche Dienstleistung nicht erhalten hat und die nun die Konsequenz zieht. Laudine scheint zwar berechnend und unerbittlich, folgt jedoch nur ihren Prinzipien und bleibt sich treu, wenn man ihre Ehemotivation mit einbezieht: Iwein wurde geheiratet, damit er das Land verteidigt, er hat versagt, er wird verstoßen. Im Gegenteil, es werden nochmals ihre Gefühle für Askalon betont: in d û ht des schaden niht genuoc / daz er ir den man sluoc, / erne t æ te ir leides m ê re/ und ben æ me ir l î p und ê re. (V. 3133 - 3136). Laudine hat noch eben nicht vergessen, dass Iwein der Mörder ihres Mannes ist.
4. Der Kniefall der Laudine
4.1 Auswirkung auf die Wertung der Laudine
Die Schlußszenen beider Werke weichen stark voneinander ab. Chrétiens Laudine ist hier sehr abweisend und will Yvain nur aufgrund ihres Eides wieder aufnehmen: „ Certes “ , fet ele, „ je vuel bien, / Por ce, que parjure seroie, / Se tot mon pooir n ´ an feisoie / De pes feire antre vos et moi. (V. 6790 - 6793). Ähnliche Worte: entwunge miche niht der eit, / s ô w æ rez unergangen. (V. 8090 - 8091) spricht sie auch bei Hartmann, doch was darauf folgt findet keine Parallele in der französischen Vorlage: Sie bittet ihn um Verzeihung und fällt ihm zu Füßen: „ her Î wein, lieber herre m î n / tuot gen æ dicl î chen an mir. / [...] d â mite viel s î an s î nen vuoz (V. 8122 - 8130). Dieses Verhalten scheint, obwohl Hartmann immer wieder, die guten Eigenschaften Laudines betont, doch übertrieben. Bis zu Vers 8117 bleibt sie von seinen Entschuldigungen unberührt: ez w æ re mir liep ode leit, / daz ich m î ner gewahrheit / iht wider komen kunde.` (V. 8115 - 8117). Doch plötzlich ändert sich ihre Gesinnung ab Vers 8122 völlig und sie fällt ihm zu Füßen. Diese Szene ist nur schwerlich vereinbar damit, dass sie im übrigen Roman zwar menschlich verstehbar, dennoch aber eher als Landesherrin, denn als Frau gewertet wurde. In ihrem Handeln spiegelt sich Liebe wider. Zum ersten Mal zeigt sie Iwein gegenüber ein aufrichtiges, kein zweckbestimmtes Gefühl. Hier verkörpert sie nicht mehr die Herrscherin, die ihre Ehe mehr als Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, denn als Liebesbeziehung zwischen ihr und dem Gatten gesehen hat. Dies geschieht allerdings nur in den zehn Versen 8122 - 8131, in denen Laudine weich und sympathisch dargestellt wird. Dieser Schluß würde folglich die Konzeption des Ganzen in Frage stellen, wie Werner Schröder Kurt Ruh zitiert.13 Eine andere Interpretationsmöglichkeit, die Laudine weiterhin als Herrscherin zeigen würde, bestünde darin, dass Laudine Iwein noch mehr an sich binden will, indem sie ihm Liebe vortäuscht. Dies scheint eher unwahrscheinlich, denn egal ob sie Iwein liebt oder nicht, er ist so von Liebe und nun auch Treue zu ihr erfüllt: wan kum ich n û ze hulden, / sine wirt von m î nen schulden / niemer m ê re verlorn.` (V. 8111 - 8113), dass sie eine derartige Heuchelei, die gleichzeitig eine Erniedrigung für sie bedeuten müsste, in keiner Weise nötig hat.
4.2 Die Authentizität der Kniefall - Verse
Das Vorhandensein dieser Stelle hat in der Forschung schon für vielerlei Verwirrung gesorgt. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander. Während Mertens meint, dass Laudine Iwein als Königin verstoßen musste, als private Person aber seine Verzeihung erbittet14 vertritt Werner Schröder die These, der Iwein - Schluß stamme gar nicht von Hartmann selbst.15 Im Großteil der Handschriften fehlen die Verse 8121 - 8136, in denen Laudine Iwein zu Füßen fällt. Schon diese Tatsache indiziert deren Problematik Ausschließlich in einer der beiden alten Handschriften, Handschrift B (Gießener 97) sind genannte Verse zu finden, nicht aber in Handschrift A (Heidelberger Cpg 397), die als Basis aller Iwein - Ausgaben dient. Es wurden bereits viele Hypothesen aufgestellt, die diesen sog. „weichen“ Schluß erklären sollten. Es könnte schlicht Hartmanns Intention gewesen sein, Laudine überaus menschlicher zu gestalten als Chrétien, der Schluß könnte von Hartmann nachträglich umgearbeitet worden sein oder von einem Bearbeiter stammen. Letztere Meinung wird von Schröder selbst vertreten und plausibel erklärt. Würde man die Verse 8121 - 8136 entfernen, ergäbe sich die gleiche Situation, mit welcher der französische Yvain endet. Laudine bleibt abweisend, nimmt ihn aber aufgrund ihres Eides wieder auf (sog. „harter“ Schluß). Hartmann hatte laut Schröder keinen ersichtlichen Grund gehabt das Ende abzuändern. Die Verse klingen dennoch hartmannisch. Dies könnte darauf zurück geführt werden, dass ein Bearbeiter im Fußfall Iweins: done wart niht m ê gesezzen: / er b ô t sich dr â te û f ir vuoz / und suochte ir hulde unde ir gruoz / als ein schuldiger man. (V. 2282 - 2285) alle Vorgaben für einen Fußfall Laudines fand und diese nur auf ihren Namen umdichten musste. Das Hauptargument jedoch, dass der „harte“ zugleich der Originalschluß ist, besteht für ihn darin, dass Heinrich von dem Türlin in seiner Cr ô ne Laudines Zorn über die Terminversäumnis als maßlos beschreibt und sie deshalb die Becherprobe nicht bestehen lässt. Weil er ihr gerade diese Härte zum Vorwurf macht, könnte auch das Publikum darin einen Verstoß gegen die triuwe gesehen haben, welchem der Bearbeiter vielleicht Rechnung tragen wollte. Da aber die meisten Handschriften beim „harten“ Schluß bleiben, scheint sich die Bearbeitung nicht durchgesetzt zu haben können.16
5. Schluß
Dass Hartmann die Laudine Chrétiens umgestaltet und einen eigenen Frauentypus konzipiert hat, ist deutlich erkennbar, wenn man die Handlungen und Aussagen der beiden Figuren bzw. Aussagen über sie miteinander vergleicht. Egal ob ihr Kniefall im deutschen Iwein nun von Hartmann selbst stammt oder nicht, so zeichnet er dennoch, in Anbetracht des ganzen Textes ein positiveres Frauenbild, als sein französischer Vorgänger. Seine Laudine wirkt weniger selbstbezogen und egoistisch, sie richtet ihr Augenmerk vor allem auf das von ihr zu regierende Reich. Generell wirkt sie sympathischer und ehrlicher. Vielleicht, weil Hartmann, im Gegensatz zu Chrétien, des öfteren konsequente Erklärungen für ihr Handeln liefert, die nicht durch Laudines Tun widerlegt werden und dadurch glaubwürdiger erscheinen. Jene Erklärungen erläutern bzw. machen ihr Handeln verstehbarer, wie z. B. ihre eilige Heirat mit Iwein (vgl. 3.1). Was Hartmanns wirkliche Intention bei der Umwertung der Laudine war, kann man nicht mehr hundertprozentig rekonstruieren. Mann kann nur auf der Basis der Lektüre Spekulationen anstellen und diese am Text belegen. Durch die dessen Komplexität können mehrere, miteinander konkurrierende Interpretationsmodelle entstehen, die gegeneinander abzuwägen sind. Die wahre, einzig richtige Interpretation wird allerdings nie zu erreichen, bzw. zu beweisen sein. Hier stößt auch die Forschung an ihre Grenzen, da keinerlei private oder fremde Kommentare der mittelalterlichen Autoren zu ihren Werken existieren, die bei der Deutung ihrer Werke behilflich sein könnten. Man ist rein auf Text, Oeuvre des Autors und fremde Texte, die darauf bezug nehmen angewiesen. Aber vielleicht ist gerade das das Spannende an der Mediävistik.
6. Bibliographie
6.1 Primärliteratur:
Chrestien de Troyes, übersetzt und eingeleitet von Ilse Nolting - Hauff, München 1962
Hartmann von Aue, Iwein, Walter de Gruyter (Hrsg.), Berlin /New York 42001
6.2 Sekundärliteratur:
Ihring, Peter, Die überlistete Laudine. Korrektur eines antihöfischen Weiblichkeitskonzepts in Chrétiens Yvain, In: Wolfzettel, Friedrich, Arthurian Romance and Gender Masculin / Féminin dans le roman arthurien medieval Geschlechterrollen im mittelalterlichen Artusroman Amsterdam 1995
Kern, Peter, Text und Prätext. Zur Erklärung einiger Unterschiede von Hartmanns Iwein gegenüber Chrétiens Yvain, In: Trude Ehlert (Hrsg.), Chevaliers errants, demoiselles et l`Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter, Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag, Göppingen 1998
Mertens, Volker, Laudine: Soziale Problematik im Iwein Hartmanns von Aue, Berlin 1978
Schröder, Werner, Laudines Kniefall und der Schluß von Hartmanns Iwein, Stuttgart 1997
[...]
1 Mertens, Laudine: Soziale Problematik im Iwein Hartmanns von Aue, Berlin 1978, S. 12
2 Vgl. Biographien von A - Z, Gastbeitrag von Cethegus: Chrétien de Troyes (ca. 1150 bis ca. 1190 nach Christus) (2000) URL: http://www.weltchronik.de/bio/cethegus/c/chretiendt.html (19.07.2003)
3 Vgl. Mertens, Volker, Laudine, S. 64
4 Vgl. Hartmann von Aue, Iwein, Walter de Gruyter (Hrsg.), Berlin/New York 42001, S. 158
5 Mertens, Volker, Laudine, S. 64
6 Vgl. a.a.o. S. 36 ff
7 Vgl. Kern, Peter, Text und Prätext: Zur Erklärung einiger Unterschiede von Hartmanns Iwein gegenüber Chrétiens Yvain, In: Trude Ehlert (Hrsg.), Chevaliers errantes, demoiselles et l´Autre: höfische und nachhöfische Literatur im europäischen Mittelalter, Festschrift für Xenja von Ertzdorff zum 65. Geburtstag, Göppingen 1998, S. 366
8 Vgl. a.a.o. S. 366 f.
9 Vgl. a.a.o. S. 368 f.
10 Vgl. Ihring, Peter, Die überlistete Laudine. Korrektur eines antihöfischen Weiblichkeitskonzepts in Chrétiens Yvain, In: Wolfzettel, Friedrich (Hrsg.), Arthurian Romance and Gender Masculin/ Féminin dans le roman arthurien médiéval Geschlechterrollen im mittelalterlichen Artusroman, Amsterdam 1995, S. 153
11 Vgl. a.a.o. S. 154
12 Vgl. Schröder, Werner, Laudines Kniefall und der Schluß von Hartmanns Iwein, Stuttgart 1997, S. 3
13 Vgl. Schröder, Werner, Laudines Kniefall und der Schluß von Hartmanns Iwein, S. 4
14 Vgl. Mertens, Laudine, S. 61
15 Vgl. Schröder, Werner, Laudines Kniefall und der Schluß von Hartmanns Iwein, S. 30 f
16 Vgl. a.a.o. S. 4 - 31
- Arbeit zitieren
- Corinna Baumgartner (Autor:in), 2003, Wertung der weiblichen Figuren bei Hartmann von Aue und Chrétien de Troyes am Beispiel der Laudine, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108151