Thingspiele sollten ganz im Sinne der Theateravantgarde das klassische Theater revolutionieren, gleichzeitig aber der Vermittlung der NS-Ideologie dienen. In der Bezeichnung Volksgenosse kommt ein entscheidender Punkt für die Schaffung des Thingspiels zum Ausdruck. Mit Hilfe der Thingspiele sollte aus Volksgenossen eine Volksgemeinschaft entstehen.
Was das ist, wie diese entstehen sollte und warum sie letztendlich scheiterte, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Die Arbeit kann aber nur einen kurzen Überblick über die Aspekte des Thingspiels geben, wobei das Hauptaugenmerk auf der Frage liegen soll, wie diese Volksgemeinschaft etabliert werden sollte.
In einem ersten Teil erfolgt eine Erläuterung zum Thingspiel allgemein, zur Organisation und Konzept, während im zweiten Teil dann konkreter auf die architektonischen Aspekte und die Inszenierung eingegangen werden soll.
Inhalt
1. Einleitung
2. Das Thingspiel
2.1. Definition des Begriffes
2.2. Wurzeln
2.2. Gründung, Organisation
2.3. Thingspieltheorie
3. Thingspielstätten
3.1. Bau der Thingspielstätten
3.2. Raumkonzept
3.3. Bühne
3.4. Zuschauerraum
3.5. Natur
3.6. Ton
3.7. multifunktionaler Charakter
4. Inszenierung
4.1. Schauspieler
4.2. Chor
4.3. Zuschauer
4.4. Inhalt
4.5. Kostüme, Kulisse, Licht
5. Ende der Thingspielbewegung
6. Resumée
7. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
„Wir Nationalsozialisten werden [...] das Theater der Fünfzig- und der Hunderttausend schaffen, wir werden auch den letzten Volksgenossen in den Bann der dramatischen Kunst ziehen.“1 So bezeichnete Joseph Goebbels 1933 den Anspruch der Nationalsozialisten, der sich in der Schaffung so genannter Thingspiele manifestieren sollte. Thingspiele sollten ganz im Sinne der Theateravantgarde das klassische Theater revolutionieren, gleichzeitig
aber der Vermittlung der NS-Ideologie dienen. In der Bezeichnung Volksgenosse kommt ein entscheidender Punkt für die Schaffung des Thingspiels zum Ausdruck. Mit Hilfe der Thingspiele sollte aus Volksgenossen eine Volksgemeinschaft entstehen.
Was das ist, wie diese entstehen sollte und warum sie letztendlich scheiterte, soll Gegenstand dieser Arbeit sein. Die Arbeit kann aber nur einen kurzen Überblick über die Aspekte des Thingspiels geben, wobei das Hauptaugenmerk auf der Frage liegen soll, wie diese Volksgemeinschaft etabliert werden sollte.
In einem ersten Teil erfolgt eine Erläuterung zum Thingspiel allgemein, zur Organisation und Konzept, während im zweiten Teil dann konkreter auf die architektonischen Aspekte und die Inszenierung eingegangen werden soll.
2. Das Thingspiel
2.1. Definition des Begriffes
Der Begriff Thingspiel geht auf den Kölner Theaterwissenschaftler Carl Niessen zurück, der 1933 dabei an „den alten Begriff der rechtlich-politischen Versammlung im Steinring“2 dachte. Es geht um die Volks- und Gerichtsversammlungen bei den Germanen, die in Folge der Rückbesinnung der Nationalsozialisten auf die deutsche und germanische Geschichte herangezogen wurde und
„verband damit die Vorstellung einer germanischen Variante des griechischen Theaters in neuzeitlicher Form. Wie dort aus theatralischer Schau und politischer Versammlung eine kultische Handlung entstanden war, sollte nun aus der Verbindung des Volkstheaters als Massentheater und der politischen Kundgebung im Geiste der Volksgemeinschaft eine kultische Festgemeinde erwachsen.“ 3
Hauptidee war hierbei die Herausbildung und Festigung der Volksgemeinschaft. Es sollte eine von Klassengegensätzen freie Gesellschaft entstehen, die eine Einheit des Volkes auf nationaler, völkischer und rassischer Grundlage darstellen sollte.
2.2. Wurzeln
Die Nationalsozialisten bezeichneten das Thingspiel immer wieder als etwas genuin neues, etwas typisch Nationalsozialistisches. Dass dies, wie so oft bei den Nazis, nicht stimmt, soll nun kurz erläutert werden. Es werden aber nur einige Bezüge zu älteren Formen aufgezeigt, die wohl offensichtlich sind. Eine tiefer gehende Analyse würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen und wird daher außer Acht gelassen.
Wurzeln finden wir u.a. im mittelalterlichen Mysterienspiel.
„Die Erlösung der Gläubigen durch die Tat eines göttlichen einzelnen, die starre Antinomie vom Gut und Böse in Gestalt feindlicher Heerscharen und der moralische Appell der 'imitatio' bilden die Grundlage für die Vermittlung weltanschaulich geprägter Inhalte.“4
Alle diese Charakteristika des Mysterienspiels finden wir im Thingspiel wieder, besonders die Erlösung durch einen Einzelnen.5 Der moralische Appell und die Vermittlung bestimmter Inhalte sind klares Anliegen des Thingspiels, was im Folgenden noch klarer werden wird.
Im 20. Jahrhundert wurde das religiöse Theater durch das Laienspiel, das sich in der Jungendbewegung bildete, von der Freilichttheaterbewegung abgelöst und fortgeführt. Bereits dort wandte man sich gegen das klassische Guckkastentheater und auch das Laienspiel finden wir zumindest in der Anfangszeit des Thingspiels wieder.
Eben diese Abwendung vom klassischen Theater war immer auch eine Forderung der Theater-Avantgarde. Besonders in der Weimarer Zeit zeigte sich dies in Versuchen wie Piscators „Beteiligungstheater“, Reinhardts „Theater der Fünftausend“ oder Gropius
„Totaltheater“. Nicht zuletzt Goebbels Rede vom „Theater der Fünfzigtausend“ ist ein deutlicher Verweis aus Reinhardt. Weitere, aber immer von den Nazis verschwiegene Elemente wurden vom linken Agitprop-Theater übernommen.6
2.2. Gründung, Organisation
Nachdem nun kurz auf einige Wurzeln eingegangen wurde, soll nun der Frage nachgegangen werden, wie sich das Thingspiel organisierte, wie der Staat versuchte, es für seine Dienste zu nutzen.
Zu Beginn der 30er Jahre gab es eine sehr aktive, aber unorganisierte Natur- oder Freiluft- theaterbewegung, die den Heimat- und Naturverbundenheitsaspekt betonte.
1932 formierte sich unter der Leitung von Wilhelm Karl Gerst der "Reichsbund zur Förde- rung der Freilichtspiele", der ab 1933 von dem Kölner Theaterwissenschaftler Carl Niessen unterstützt wurde.
Der Reichsbund stieß auf beachtliche Resonanz: dem zugehörigen Dichterkreis gehörten namhafte Dramatiker an, z. B. Ödon von Horvàth und Carl Zuckmeyer.
In der Zielsetzung des Vereins hieß es:
"Der Verein bezweckt die Pflege und Förderung der deutschen gemeinnützigen Freilichttheater und Volksschauspiele im Sinne der Kunstpflege und/oder Volksbildung unter besonderer Berücksichtigung der Interessen der minderbemittelten Bevölkerung. [...]. (..) den Zusammenschluß der deutschen Freilichttheater und Volksschauspiele zu gemeinsamer Vertretung ihrer Interessen, (...), insbesondere der Gestaltung eines wertvollen Spielplanes und seiner volksbildnerischen Auswertung."7
Nach der Machtergreifung entstand im Sommer 1933 der „Reichsbund der Deutschen Frei- licht- und Volksschauspiele“, unter der Präsidentschaft Otto Laubingers, der Leiter der Theaterabteilung im Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda war. Im Kern je- doch bleibt der Verein identisch mit dem "Reichsbund der deutschen Freilicht- und Volks- schauspiele". Es sollte ihm nur der Anstrich des Neuen verliehen werden.
2.3. Thingspieltheorie
Die Thingspielbewegung sollte von staatlicher Seite durch drei Mittel gelenkt werden. Neben der Organisation der Reichstheater (siehe 2.2.) und dem Bau der Thingstätten (siehe 3.1.) stand die Entwicklung einer nationalsozialistischen Thingspieltheorie an oberster Stelle.
In dieser Entwicklung kann man schon eine Unkonkretheit und Unfertigkeit erkennen, die sich in den anderen Bereichen des Thingspiels fortsetzen wird.
Schon sehr früh zeigten sich zwei entgegen gesetzte Bewegungen im kulturpolitischen Bereich ab. Auf der einen Seite standen die Ideen der „extrem konservativen, antimodernistischen, germanisch-völkischen Rosenberg-Gruppe.“8 Demgegenüber standen die Anliegen der “mehr an modernen Kunstrichtungen (Expressionismus, Neue Sachlichkeit, Sozialkritik) orientierten Goebbels-Gruppe.“9
Die Kritik der Rosenberg-Anhänger richtete sich allgemein gegen „Schwulst und patriotischen Kitsch“10, oft auch gegen den Einsatz expressionistischer Mittel. Zumeist
handelte es sich aber nur um verbale Angriffe, eigene Konzepte für eine Thingspieltheorie hatten sie nicht.
Eine klare Definition des Thingspiels blieb lange aus. Klar war man sich nur in der Abgrenzung von der traditionellen Guckkastenbühne.
Erst der Reichsdramaturg Schlösser fand einen Ansatz, indem er die Vorformen definierte:
„Erstens das Oratorium, will heißen ein Programm aus Chören und Einzelsprüchen, zweitens die Pantomime- die Allegorie, lebende Bilder, Fahnenweihe, Festakte-, drittens der Aufzug-Paraden, Festzüge, Versammlungen- und viertens der Tanz- Ballett, Ausdruckstanz, Gymnastik, Sportfeste.“11
Diese Elemente sollten durch die Musik verbunden werden, sowie „durch einen
‚Kulturwillen’ und durch ‚das dramatische Gesetz als formgebendes, treibendes Moment, also die ‚einheitliche dramatische Fabel’“.12
Dazu musste ein neues Raumkonzept erarbeitet werden, welches im folgenden Kapitel erläutert werden wird.
[...]
1 Goebbels, Mai 1933 in: Daiber, Hans Schaufenster der Diktatur, Theater im Machtbereich Hitlers. Stuttgart 1995
2 Eichberg, Henning u.a.: Massenspiele: NS-Thingspiele, Arbeiterweihespiel und olympisches Zeremoniell. Stuttgart 1977, S. 214
3 Stommer, Rainer: „Da oben versinkt einem der Alltag…“ Thingstätten im Dritten Reich als Demonstration der Volksgemeinschaftsideologie. In: Peukert, Detlev J.K.: Die Reihen fast geschlossen. Wuppertal 1981. S. 154
4 Reichl, Johannes M.: Das Thingspiel: Über den Versuch eines nationalsozialistischen Lehrstück-Theaters. Frankfurt/Main 1988, S. 7
5 vgl. Führerprinzip unter 4.4.
6 Dies soll nur eine kurze Auflistung von möglichen Inspirationen des Thingspiels sein und dient dazu, deutlich zu machen, dass nicht etwas gänzlich Neues geschaffen wurde. Einen detaillierten Vergleich mit den anderen Formen wäre sicherlich spannend und aufschlussreich, ist aber nicht Konzept dieser Arbeit. Für eine tiefer gehende Definition der Versuche: Brauneck, Manfred: Theater im 20. Jahrhundert. Reinbeck 1982
7 Aus der Satzung des "Reichsbundes zur Förderung der Freilichtspiele e.V." vom 22.12.1932, zitiert nach: Stommer, Rainer: Die inszenierte Volksgemeinschaft. Die Thing-Bewegung im dritten Reich. Marburg 1985, S. 260
8 Eichberg, S. 31
9 ebd., S. 31
10 ebd., S. 31
11 Schlösser, Rainer: Das Volk und seine Bühne. Berlin 1935, S. 57
Häufig gestellte Fragen
Was ist der Inhalt des Dokuments "Inhalt"?
Das Dokument ist eine umfassende Vorschau auf ein Werk über das Thingspiel im Nationalsozialismus. Es enthält ein Inhaltsverzeichnis, eine Einleitung, Definitionen, eine Analyse der Wurzeln und Organisation des Thingspiels, Beschreibungen der Thingspielstätten und Inszenierungen, sowie ein Resümee und ein Literaturverzeichnis.
Was ist ein Thingspiel?
Ein Thingspiel war eine Art Freilichttheater, das von den Nationalsozialisten gefördert wurde. Es sollte an germanische Volks- und Gerichtsversammlungen erinnern und die Volksgemeinschaft stärken.
Wer war Carl Niessen?
Carl Niessen war ein Kölner Theaterwissenschaftler, der den Begriff "Thingspiel" prägte und eine wichtige Rolle in der frühen Thingspielbewegung spielte.
Was waren die Wurzeln des Thingspiels?
Die Wurzeln des Thingspiels liegen im mittelalterlichen Mysterienspiel, im Laienspiel der Jugendbewegung und in den Experimenten der Theateravantgarde der Weimarer Zeit (z.B. Piscator, Reinhardt, Gropius) und dem Agitprop-Theater.
Wie war die Thingspielbewegung organisiert?
Zunächst gab es eine unorganisierte Freilichttheaterbewegung. 1932 formierte sich der "Reichsbund zur Förderung der Freilichtspiele", der 1933 in den "Reichsbund der Deutschen Freilicht- und Volksschauspiele" unter der Leitung von Otto Laubinger (Ministerium für Volksaufklärung und Propaganda) umgewandelt wurde. Der Staat versuchte, die Bewegung zu lenken.
Gab es eine einheitliche Thingspieltheorie?
Nein, die Entwicklung einer Thingspieltheorie war von Anfang an von Widersprüchen und Unklarheiten geprägt. Es gab zwei gegensätzliche Bewegungen: eine konservative, antimodernistische Gruppe um Rosenberg und eine eher modernen Kunstrichtungen zugewandte Gruppe um Goebbels.
Was waren die wesentlichen Elemente einer Thingspielinszenierung?
Die Elemente einer Inszenierung bestanden aus Oratorium, Pantomime, Aufzug, Tanz und Musik. Diese sollten durch einen "Kulturwillen" und ein "dramatisches Gesetz" verbunden werden.
Was waren die Ziele der Thingspielbewegung?
Das Hauptziel war die Schaffung und Festigung der Volksgemeinschaft, einer klassenfreien Gesellschaft auf nationaler, völkischer und rassischer Grundlage. Es sollte eine Einheit des Volkes geschaffen werden.
Welche Kritik gab es am Thingspiel?
Die Kritik richtete sich oft gegen "Schwulst und patriotischen Kitsch" sowie gegen den Einsatz expressionistischer Mittel.
- Arbeit zitieren
- Sascha Braun (Autor:in), 2004, Auf der Suche nach der Volksgemeinschaft - Das nationalsozialistische Thingspiel, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/108689