Häufig gestellte Fragen zu Büchners "Woyzeck": Interpretation des Märchens in Szene 19
Was ist die zentrale Bedeutung des Märchens der Großmutter in Szene 19 von Büchners "Woyzeck"?
Das Märchen der Großmutter in Szene 19 dient als Schlüssel zur Interpretation des gesamten Stücks. Es symbolisiert die existenzielle Lage Woyzecks und die grundlegende Weltanschauung des Dramas. Das Märchen, das mit einem üblicherweise positiven Genre bricht, zeigt ein Kind, das nach Glück sucht, aber nur Enttäuschung findet. Diese Erfahrung spiegelt Woyzecks hilfloses Dasein wider und unterstreicht seine ausweglose Situation.
Wie spiegelt das Märchen die Situation Woyzecks wider?
Woyzeck, wie das Kind im Märchen, sucht nach Glück und Geborgenheit, findet aber nur Enttäuschung und Ausgrenzung. Er ist ein Opfer seiner gesellschaftlichen Umstände, seiner Armut und der sozialen Ungerechtigkeit. Ähnlich dem Kind im Märchen, das in einer zerstörten Welt allein zurückbleibt, erlebt Woyzeck Isolation und Verzweiflung, die schließlich in Gewalt und Selbstzerstörung münden.
Wie lässt sich das Weltbild, das im Märchen zum Ausdruck kommt, geistesgeschichtlich einordnen?
Das in dem Märchen dargestellte pessimistische und desillusionierte Weltbild steht im Kontext des Vormärz, der Epoche, in der Büchner "Woyzeck" schrieb. Die Unsicherheit und Zerrissenheit der Gesellschaft, das Scheitern traditioneller Werte und Normen spiegeln sich in der hoffnungslosen Situation des Kindes und Woyzecks wider. Büchner zeigt die Schattenseiten des Lebens und die gesellschaftlichen Missstände, ohne sich vor der Realität zu verschließen. Das Märchen kann als Ausdruck einer kritischen Auseinandersetzung mit der damaligen Gesellschaft und ihren Ungerechtigkeiten interpretiert werden, mit Anspielungen auf die Französische Revolution und die Notwendigkeit, die Welt "wie sie sein soll" zu zeigen.
Welche Rolle spielt das Märchen für das Verständnis von Woyzecks Charakter?
Das Märchen verdeutlicht Woyzecks Hilflosigkeit und seine fehlende Möglichkeit zur Selbstbestimmung. Im Gegensatz zum klassischen tragischen Helden fehlt ihm ein rettendes Ideenreich, Gottvertrauen oder männliches Selbstbewusstsein. Er ist ein Opfer der Umstände, ein wehrloser, unbedeutender Mensch, der von Armut und der materiellen Welt in den Wahnsinn getrieben wird. Seine Isolation und seine letztendliche Gewalttat sind Ausdruck dieser ausweglosen Situation.
Welche Bedeutung hat das schlechte Ende des Märchens im Kontext des Stücks?
Das schlechte Ende des Märchens unterstreicht die tragische Ausweglosigkeit von Woyzecks Situation. Im Gegensatz zu traditionellen Märchen, die oft mit einem glücklichen Ende abschließen, zeigt Büchners Märchen eine Welt, in der Glück und Hoffnung keine Rolle spielen. Dieses pessimistische Weltbild prägt das gesamte Stück und zeigt die unversöhnliche Härte der Wirklichkeit, der Woyzeck hilflos ausgeliefert ist.
Wie verhält sich Woyzeck zum klassischen tragischen Helden?
Woyzeck ist der Gegenentwurf zum klassischen tragischen Helden. Er ist kein edler Kämpfer, der für eine höhere Idee stirbt. Er ist vielmehr ein Opfer der sozialen Verhältnisse, ein Mensch, dessen Leid durch Armut, gesellschaftliche Ausgrenzung und innere Zerrissenheit verursacht wird. Sein Handeln ist nicht das Ergebnis bewusster Entscheidungen, sondern die Folge seiner hilflosen Lage.
Interpretieren Sie das Märchen der Großmutter (Szene 19)! Zeigen Sie, dass das im Märchen zum Ausdruck kommende Weltbild grundlegend für das ganze Stück ist. Ordnen Sie diese Auffassung Büchners auch kurz geistes-geschichtlich ein!
Büchners "Woyzeck" stellt in der Geschichte der deutschen Literatur den Beginn des sozialen Dramas dar. Das Werk ist nur als Fragment überliefert und hatte einen entscheidenden Einfluss auf die Moderne. Es wurde erst im Naturalismus wieder entdeckt und beschreibt eine realistische Darstellung der seelischen Zerstörung eines Menschen. Das Stück wurde in der Epoche des Vormärz geschrieben, dessen Kennzeichen: Unzufriedenheit des Bürgertums, Unsicherheit und Zerrissenheit (Ablehnen oder Klammern an Werte und Normen) sind.
Woyzeck, ein einfacher Soldat, muss, um seine Familie (seine Geliebte Marie und den unehelichen Sohn) ernähren zu können, für den Hauptmann und den Doktor arbeiten. Beide lassen ihn ihre soziale und geistige Überlegenheit spüren. Für letzteren hat er sich zeitweise sogar als medizinisches Versuchsobjekt zur Verfügung gestellt, um seine finanzielle Lage zu verbessern. Seine Braut Marie betrügt ihn aber mit dem Tambourmajor, und der Hauptmann weiß die Eifersucht Woyzecks zu wecken. Hilflos sieht der Arme zu, wie Marie mit dem verdächtigen Tambourmajor im Wirtshaus tanzt, er beginnt einen Streit mit ihm, unterliegt aber. Außer sich über die Untreue Maries gibt er alle Hoffnung auf ein bisschen Glück in dieser Welt auf, denn sie und das Kind waren seine einzige Existenzgrundlage. Heimlich und mit merkwürdiger innerer Beherrschtheit bereitet er alles auf den Tod vor, ersticht seine geliebte Marie auf einem Waldweg, stürzt sich dann in ein tolles Wirtshaustreiben, um schließlich selbst den Tod zu suchen. Er ertränkt sich in einem Teich.
In der 19. Szene „Marie mit Mädchen vor der Haustür“ fordert Marie die Großmutter auf ihr und den drei Kindern eine Geschichte zu erzählen. Großmutter erzählt ein Märchen, das an das Märchen „Sterntaler“ erinnert. Normalerweise gehen Märchen gut aus, aber dieses Märchen geht schlecht aus. Das Kind in dem Märchen hat keine Eltern mehr und sucht ihr Glück beim Mond, der allerdings nur ein Stück Holz war, bei der Sonne, die nur eine vertrocknete Sonnenblume war und bei den Sternen, die nur brennende Mücken. Daraufhin beschließt das Kind zurück zur Erde zu gehen, welche aber inzwischen ein umgestürzter Hafen ist. Das Kind bleibt allein und einsam zurück. Am Ende der Szene tritt Woyzeck auf, der Marie auffordert, mit ihm zu gehen.
Das Märchen charakterisiert das ganze Stück und ist das Symbol für die Existenz Woyzecks. Woyzeck ist der äußerste Gegensatz zum klassischen Ideal zum tragischen Helden. Sein elendes Dasein ist von Hilflosigkeit und Armut geprägt. Er wird vom Leben herumgestoßen ähnlich wie das Kind in Großmutters Märchen. Auch es versucht immer wieder auf eine neue Art und Weise woanders sein Glück zu finden, doch wird immer wieder enttäuscht. Woyzeck verfügt über kein befreiendes Ideenreich, rettendes Gottvertrauen oder schützendes männliches Selbstbewusstsein. Woyzeck wird, wie auch das Kind in Großmutters Märchen als Sinnbild des wehrlosen, unbedeutenden Menschen hingestellt. Woyzeck wird letztendlich vom Armut und der materiellen Welt in den Wahnsinn getrieben. Das Kind in dem Märchen fühlt sich am Ende allein und diese Einsamkeit scheint unvergänglich zu sein. Woyzeck erhält in dem ganzen Stück kaum Geborgenheit und bleibt auch bis zum Ende allein. Woyzeck löst seine Beziehungen zur Umwelt auf und verschachtelt sich immer mehr in seiner eigenen Welt; er ist determiniert. Er geht soweit, dass er aus Eifersucht ein Verbrechen begeht und seine eigentlich geliebte Marie ermordet.
Büchner will mit diesem Märchen die eigentliche Welt darstellen und spielt somit auch auf die Französische Revolution an. Er betont, man müsse „die Welt“ zeigen, „wie sie sein soll“. Büchner möchte sich nicht vor den Schattenseiten des Lebens verstecken und offenbart sie seinen Lesern durch das Elend des Kindes in dem Märchen der Großmutter, welches ebenso das gesamte Elend Woyzecks symbolisiert, der trotz des Suchens nie sein Glück finden wird.
- Arbeit zitieren
- Ina Goebels (Autor:in), 2005, Büchner, Georg - Woyzeck - Szene 19. Das Märchen der Großmutter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109272