Pro und Kontra Ritalin als Therapeutikum bei ADS


Studienarbeit, 2004

24 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Inhalt:

1. Ritalin in der öffentlichen Diskussion

2. Ritalin in seiner aktuellen Anwendung in Deutschland

3. Die Wirkungsweise von Ritalin

4. Risiken des Einsatzes von Ritalin

5. Risiken des Verzichts auf Ritalin

6. Fazit

7. Literatur

1. Ritalin in der öffentlichen Diskussion

ADS ist populär geworden. Fast jeder Lehrer kann Schüler benennen, bei denen er vermutet oder zu wissen glaubt, dass sie unter ADS leiden. Eltern erhoffen sich über den Weg ADS- Diagnose Hilfen für ihr schwieriges Kind.

Sowohl die Lehrer und Erzieher als auch die Eltern von ADS- Kindern suchen aber auch für sich selbst Entlastung: Ein ADS-Kind in einer Klasse/ Kindergruppe bindet unter Umständen so viel Energie des Pädagogen an sich wie fünf andere Kinder. Eltern sehen sich häufig mit dem Vorwurf konfrontiert, ihrer erzieherischen Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein. Die häusliche und familiäre Situation ist oftmals bestimmt durch häufige Konflikte im täglichen Miteinander, in deren Mittelpunkt das Kind/ der Jugendliche mit ADS steht. Viele Eltern haben möglicherweise schon auf verschiedenen Wegen vergeblich versucht, die dauerhaft angespannte Situation zu entschärfen. Eltern in dieser Lage sehen sich auch konfrontiert mit ihrer eigenen Verunsicherung, mit Selbstzweifeln und Schuldgefühlen und immer wieder auch mit dem Kampf gegen die eigene Resignation. Hinzu kommt die begründete Sorge um die persönliche, schulische und später auch berufliche Entwicklung ihres Kindes (Neuhaus 2000, S. 115).

Eltern müssen diesbezüglich Entscheidungen treffen zur Gestaltung von Situationen, in die sie in hohem Maße emotional eingebunden sind. Immer wieder sind Hoffnungen, Angst vor Enttäuschungen, Unsicherheiten bezüglich der eigenen Kompetenz und Angst vor den Folgen von Fehlentscheidungen Faktoren, die neben der sachlichen Abwägung objektiver wissenschaftlicher Erkenntnisse die Entscheidungen der Eltern prägen.

Die In-Aussicht-Stellung der Diagnose ADS gibt nun den betroffenen Eltern und Pädagogen die Hoffnung auf ein wissenschaftlich begründetes Konzept professioneller Hilfe. Sehr bald sehen sich die Eltern dann mit der Notwendigkeit konfrontiert, zur medikamentösen Therapie Stellung zu beziehen. Die öffentliche Debatte über ADS wird sehr kontrovers, dabei leidenschaftlich und emotionsgeladen geführt, gerade in Bezug zu Ritalin[1]. Im Internet finden sich jede Menge Foren zum Thema ADS, in denen Eltern und Lehrer von ADS- Kindern, selbst Betroffene, Therapeuten, Ärzte und andere professionell beteiligte sehr angeregte Debatten führen. Immer wieder steht die Frage nach der Ablehnung oder der Akzeptanz von Amphetaminen wie Ritalin im Mittelpunkt. Die Zahl der Experten auf diesem Gebiet ist gewaltig, genauso gewaltig ist aber auch die Streubreite der Standpunkte und vor allem der Argumentationen, die diese Standpunkte stützen sollen.

Die Fülle der Bücher, die vor allem Eltern und Lehrern als Ratgeber angeboten werden, zeichnet ein ebenso uneinheitliches Bild. Neben einer Vielzahl möglicher Ursachen der Entstehung von ADS werden vielfältige therapeutische Konzepte diskutiert. In diesem Zuge wird oft unter Verweis auf gravierende Nebenwirkungen von Ritalin festgestellt, dass dies keine Alternative zur jeweils dargebotenen Therapie darstellt. Nicht selten wird z.B. aus der chemischen Verwandtschaft des Ritalin mit Kokain polemisch der Schluss gezogen, Ritalin habe ein vergleichbares Suchtpotential.[2]

Andererseits wird Ritalin oft als unausweichlich nötiges Mittel dargestellt, das eine bestehende physiologische Fehlfunktion auf chemischem Wege korrigiert. Damit wird ihm eine ähnliche Bedeutsamkeit zugesprochen, wie die der Insulin-Spritze für den Diabetiker.

Dem Betroffenen, der sich auf der Suche nach Hilfe und Unterstützung in diesen Dschungel begibt, wird es ziemlich schwer gemacht, zwischen seriösen Informationen und solchen, die unter dem Deckmantel von Wissenschaftlichkeit kommerzielle, religiöse oder ideologische Interessen vertreten, zu unterscheiden.

Die starke Polarisierung für oder gegen Ritalin verstellt oft den Blick auf eine meines Erachtens wesentliche Frage:

Welchen Stellenwert hat die medikamentöse Therapie von ADS neben/ in Verbindung mit anderen Therapieformen?

2. Ritalin in seiner aktuellen Anwendung in Deutschland

Von 1990 bis 2001 ist die Anzahl der Ritalin- Verschreibungen in Deutschland auf das 30fache angestiegen. In anderen europäischen Ländern ist eine ähnliche Entwicklung erkennbar (Hüther/Bonney 2002). Hüther und Bonney (2002) bezeichnen diese Entwicklung als besorgniserregend und fragen nach möglichen Gründen für diesen rasanten Anstieg:

- Ist der Wirkstoff besonders gut ?
- Hat sich die Diagnose- Praxis so weiterentwickelt, dass mehr ADS-Fälle erkannt werden?
- Haben sich die Lebens- und Entwicklungsbedingungen so dramatisch geändert, dass sich die Ausprägung von ADS vervielfacht hat? oder
- Ist die größere Bereitschaft der Ärzte, Ritalin zu verschreiben, die Ursache für diesen Anstieg? Kennzeichnen die Anstiegsraten evtl. vor allem die steigende Häufigkeit von Fehlverschreibungen?
- Tragen gestiegene Leistungserwartungen und/oder höherer gesellschaftlicher und ökonomischer Druck auf Betroffene, deren Eltern, Lehrer und Ärzte dazu bei, dass Ritalin häufiger verschrieben wird?

(vgl. Hüther/Bonney 2002, S. 13 ff)

Offensichtlich ist der Anstieg der Ritalin -Verordnungen auch Folge einer geänderten gesellschaftlichen Reflexion des Phänomens ADS.

Schätzungen gehen von etwa 170 000 bis 350 000 behandlungsbedürftigen Kindern in Deutschland aus. Eine Dauerbehandlung mit Stimulanzien wie Ritalin erhielten bis zum Herbst 2001 etwa 50 000. (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.12). Angesichts dieser Zahlen ist sogar ein weiterer Anstieg der Verschreibungen zu erwarten. Besorgniserregend ist diese Entwicklung aber nur unter der Annahme, dass die medikamentöse Behandlung des ADS durch Ritalin generell oder zumindest häufig fehlindiziert ist oder dass die positiven Wirkungen gegenüber den zu erwartenden Nebenwirkungen (medizinischen wie psychosozialen) nicht vertretbar sind.

3. Die Wirkungsweise von Ritalin

Obwohl Ritalin und andere Stimulanzien nachweislich bei zwischen 50 und 95 Prozent der Kinder mit ADS zu einer Verbesserung der Symptomatik, vor allem in den Bereichen allgemeines Verhalten, schulische Leistungen und soziale Integrationsfähigkeit führen (Barkley 2002), ist die Wirkungsweise nicht vollständig geklärt. Als gesichert gilt, dass Ritalin die Freisetzung des Botenstoffes Dopamin anregt und seine Resorption hemmt. Es existieren jedoch zwei grundsätzlich verschiedene Argumentationsketten, die die Verbindung zwischen diesem neurophysiologischen Effekt und den beobachtbaren Wirkungen auf die ADS- Symptomatik herstellen: Die Dopaminmangel- und die Dopaminüberschuss- Hypothese:

Seit Mitte der 80er Jahre hat sich ein neurophysiologisches Erklärungsmodell etabliert, das gegenwärtig von vielen Kinder- und Jugendpsychiatern vertreten wird. Darin wird die Leitsymptomatik des ADS (Hyperkinese, Aufmerksamkeitsdefizit, mangelnde Impulskontrolle) zurückgeführt auf eine gestörte Steuerung und Kontrolle von Verhaltensreaktionen, vor allem kognitiver und motorischer Prozesse. Dies wiederum wird gesehen als Folge einer verminderten Aktivität bzw. einer defizitären Ausbildung des dopaminergen Systems im Kortex (beteiligt an der Regulation von motorischer Aktivität, Neugier und der Entwicklung von Handlungsstrategien), in limbischen Hirnregionen (beteiligt an der Regulation von Motivation und Emotionalität) sowie im Striatum (beteiligt an der Regulation von Aufmerksamkeit, Reaktionsbereitschaft und Motorik). Diese Störung des dopaminergen Systems wird beschrieben als verminderte Dopamin- Ausschüttung (Rezeptordefekte) an den Synapsen und/oder eine verstärkte Dopamin- Wiederaufnahme (Transporterdefekte), so dass zu wenig Dopamin zur Verfügung steht. Dieser Dopaminmangel lässt sich durch Ritalin -Gaben kompensieren. Barkley (2002) weist darauf hin, dass vieles für diese These spricht, dass aber die aktuelle Datenlage keine eindeutigen Schlüsse zulässt. Dennoch hat sich dieser Argumentationsring fest etabliert und bestimmt das Geschehen in der klinischen Praxis, in Forschungseinrichtungen, in Pharmaunternehmen, in Universitäten, auf Kongressen und Schulungen. (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.23)

Für diese vermutete neurophysiologische Abweichung werden verschiedene Ursachen in Betracht gezogen. Neben Umweltbedingungen (z.B. Alkohol- und Nikotinkonsum während der Schwangerschaft, Bleivergiftungen), denen eine eher marginale Bedeutung zugesprochen wird (Neuhaus 1999), werden vor allem genetische Dispositionen genannt. Nach Barkley (2002) lassen die heute vorliegenden Erkenntnisse darauf schließen, dass die meisten ADS- Fälle genetisch bedingt sind. Als einen spezifischen Faktor, der bei ADS vererbt wird, vermutet Barkley eine Störanfälligkeit der Entwicklung des frontalen Kortexes und des nucleus caudate (vgl. Barkley 2002, S.124).

Hüther und Bonney (2002) weisen auf Widersprüche innerhalb dieses „Standart-Modells“ bzw. auf Widersprüche zu aktuelleren neurobiologischen Erkenntnissen hin. Vor allem die stärker werdende Einsicht, dass die Herausformung neuronaler Verschaltungen im sich entwickelnden Gehirn nicht quasi automatisch, gesteuert durch ein genetisches Programm, erfolgen, sondern in hohem Maße von den jeweilig vorgefundenen Nutzungsbedingungen und –Anforderungen geformt und stabilisiert werden, zwänge zur Überprüfung des ursprünglichen Konzeptes. Unter dem Hinweis, dass ein Wirkungsnachweis kein Beweis für die Gültigkeit einer Wirkhypothese ist, mahnen sie Skepsis gegenüber bisherigen Vorstellungen an und entwickeln eine andere Argumentationskette, basierend auf folgenden grundsätzlichen Überlegungen bzw. Erkenntnissen:

- Einige neurologische Befunde bei ADS, z.B. die beobachtbare verstärkte Aufnahme von Dopamin, gestatten neben der Interpretation als Transporterdefekt innerhalb der Dopaminmangel- Hypothese auch die Annahme einer erhöhten dopaminergen Innervationsdichte, eine verstärkte Ausprägung desjenigen neuronalen Netzwerkes, das bei der Wahrnehmung von allem Neuen, Aufregenden, bisher noch nie Dagewesenen aktiviert wird.
- Die Ausprägung des dopaminergen Systems besitzt im Zeitraum zwischen Geburt und Pubertät eine starke Dynamik. Die dopaminerge Innervation steigt in diesem Zeitraum enorm an, während sie danach kontinuierlich bis zum Erreichen der Altersgrenze abfällt.
- Die Ausprägung des dopaminergen Systems ist abhängig von der Häufigkeit und Stärke, mit der es durch die Wahrnehmung neuer Stimuli und Reize aktiviert wird.
- Das Gehirn als neuronale Matrix ist plastisch und verformbar. Nicht nur sensorische Eindrücke und motorische Handlungsmuster, sondern alle Interaktionen zwischen Person und Umwelt, so auch zwischenmenschliche Erfahrungen, werden in neuronalen Netzwerken des Gehirn kodiert. Die Plastizität ist um so höher, je weniger ausgereift das Gehirn ist.

Möglicherweise gibt es Kinder, die von ihrer genetischen Disposition her erheblich wacher, aufgeweckter, neugieriger und leichter stimulierbar sind als andere. Diese Kinder laufen Gefahr, in einen Teufelskreis zu geraten:

Da ihr dopaminerges System wesentlich häufiger als das „normaler“ Kinder aktiviert wird, wird auch das Auswachsen seiner axonalen Fortsätze besonders stark angeregt. Ihr dopaminerges System wird sich immer besser entwickeln und immer wirkungsvoller arbeiten, so dass diese Kinder immer leichter durch alle möglichen neuartigen Reize stimuliert und angeregt werden. Wenn es nicht gelingt, diesen Kreislauf frühzeitig zu durchbrechen, wird das Kind früher oder später durch seinen überstarken Antrieb, seine enorme innere Unruhe, seine ständige Suche nach neuen Stimuli auffallen (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.69f.). Es werden also zunehmend Nervenzellverschaltungen stimuliert und somit im Laufe der Zeit zu immer besserer und effektiverer Wirksamkeit weiterentwickelt, die für die Steuerung ungerichteter Motorik, unselektiver Wahrnehmung und ungerichteter Aufmerksamkeit zuständig sind. Diejenigen neuronalen Verschaltungen, die für die Fokussierung der Aufmerksamkeit und die Impulskontrolle zuständig sind, werden entsprechend weniger stark in Anspruch genommen und erhalten somit weniger Reize, die ihren weiteren Ausbau anregen. Die sichtbaren Symptome sind auffällige Ablenkbarkeit und mangelnde Konzentrationsfähigkeit

Auch die zunehmenden psychosozialen Konflikte können zur Stabilisierung von Verhaltensmustern beitragen, die als Fehlverhalten oder Verhaltensstörungen anzusehen sind: Die durch diese Konflikte erzeugte emotionale Verunsicherung und die damit verbundene Stressreaktion löst biochemische Vorgänge aus, die diejenigen neuronalen Verbindungen ausbaut, die das Kind zur Wiedererlangung seines emotionalen Gleichgewichtes nutzt. Versucht es das durch Zappeln, wird es zu einem immer „besseren“ Zappelphilipp. Versucht es das durch Stören, wird sein Störverhalten immer effektiver. Versucht es das durch Weghören, wird es zunächst auf einem, womöglich gar auf beiden Ohren taub. (vgl. Hüther/ Bonney 2002, S.70) Wenn ein Kind eine solche Verhaltensstörung im Verlauf seiner ersten Lebensjahre als Folge von ungünstigen Startbedingungen und/oder schwieriger familiärer und sozialer Verhältnisse entwickelt hat, ist sein Gehirn anders strukturiert und organisiert als das eines „normalen“ Kindes, und zwar nicht nur in Bezug auf das dopaminerge System, sondern alle Hirnbereiche und neuronalen Netzwerke betreffend, die an der Regulation von motorischer Aktivität, Aufmerksamkeit und Impulsivität beteiligt sind.

Der Hypothese einer Unterfunktion des dopaminergen Systems, die durch ein Dopamin- Defizit gekennzeichnet ist, wird hier die Hypothese der Überfunktion des dopaminergen Systems gegenübergestellt, aus der sich die gleichen Kernsymptome des ADS ableiten lassen. Die beobachtbare Wirkung des Ritalin wird in diesem Konzept vollkommen anders erklärt:

Auch hier würde die Verabreichung von Ritalin die Dopaminausschüttung erhöhen. Da aber das dopaminerge System sowieso schon auf hohem Niveau aktiviert ist und man somit von einem schon vorhandenen Dopaminüberschuss ausgehen muss, wird das betreffende Kind von einer weiteren Erhöhung des Dopaminspiegels nichts oder nicht viel merken. Durch die plötzliche massive Dopaminfreisetzung werden aber die Dopamin- Reserven, die sich in den Speichervesikeln befinden, aufgebraucht. Die leeren Speicher können nur langsam, etwa über einen Zeitraum von drei bis fünf Stunden, wieder aufgefüllt werden. Ein Mensch mit einem normal entwickelten dopaminergen System wird in dieser Zeit „durchhängen“, wird lust- und antriebslos sein. ADS- Kinder würden jedoch in diesem Zeitraum erleben können wie es ist, wenn ihrem überentwickelten Antriebssystem die Puste ausgegangen ist. (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.72)

Auch dieser Ansatz lässt viele Fragen offen und steht (in der oben dargestellten Form) im Widerspruch zu einigen empirischen Erkenntnissen: Z.B. lässt sich die Langzeitwirkung von Ritalin SR ® bzw. von zeitlich versetzt eingenommenen Einzeldosen von Ritalin innerhalb dieses Ansatzes nicht erklären.

Beide Hypothesen haben eine Gemeinsamkeit: Sie betrachten Ritalin (durchaus in Anerkennung der Wirkung auf die ADS- Symptomatik) nicht als Heilmittel gegen die Ursachen von ADS. Während aber die Dopaminmangel- Hypothese keine echte Alternative zur medikamentösen Kompensation des Defizits sieht, sehen Hüther und Bonney den Stellenwert von Ritalin & Co. anders: Eine Behandlung von ADS ausschließlich mit Psychostimulantien stellt keine tragfähige Strategie zur nachhaltigen Korrektur einer derartig komplexen, durch das Zusammenwirken unterschiedlicher Faktoren bedingte Fehlentwicklung dar (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.82)

Hoehne (2003) stellt fest, dass im Laufe der Jahrzehnte zwar sehr viele sehr unterschiedlicher Erklärungsmuster veröffentlicht wurden, die in unterschiedlicher Gewichtung durchaus zutreffen könnten, wobei aber jedes für sich keineswegs zufriedenstellend ist. Bei jedem einzelnen Kind könnte man in seinem Lebensrahmen eine Betonung der einen oder anderen Ursache finden.

Über die beobachtbaren Wirkungen von Ritalin herrscht weitgehend Einigkeit. Hüther und Bonney (2002) haben die Erfahrungen der letzten 4 Jahrzehnte folgendermaßen zusammengefasst:

- Bei einer Vielzahl der Patienten änderte sich das gestörte Verhalten unter Methylphenidat prompt, zuverlässig und ohne Toleranzentwicklung,
- Insbesondere die Symptome Hyperaktivität, Unruhe, Impulsivität und Aggressivität werden gemildert oder verschwinden ganz.
- Schulrelevante Fähigkeiten wie Wahrnehmung, Konzentration, Aufmerksamkeit und motorisches Verhalten. Weiterhin wurden eine höhere Vigilanz, fokussierte Aufmerksamkeit, verminderte Ablenkbarkeit und ein erheblicher Lernzuwachs beobachtet.
- Die Verbesserung des Schriftbildes lässt auf eine Stabilisierung der Feinmotorik schließen.
- Die behandelten Kinder zeigten ein deutlich angepassteres Verhalten bei reduzierte Aktivitätsniveau.

(vgl. Hüther/Bonney 2002, S.74)

Neuhaus (1999) verweist außerdem auf eine Erhöhung der Leistungsfähigkeit des Kurzzeitgedächtnisses.

4. Risiken des Einsatzes von Ritalin

Neuhaus (1999) weist darauf hin, dass für die Untersuchung der Stimulantien- Therapie und ihrer Auswirkungen auf ADS- Kinder mehr Forschung betrieben wurde als für irgend eine andere Behandlungsform bei irgend einer kinderpsychiatrischen Störung. Bis zum Herbst 2001 sind mehr als eine halbe Million Berichte über medikamentöse Behandlungen von ADHS-Kindern erschienen. (Hüther/ Bonney 2002, S.76)

Obwohl zu den Wirkmechanismen von Ritalin auf die ADS- Symptomatik nach wie vor nur Hypothesen vorliegen, können zu vielen medizinischen Risiken und Nebenwirkungen von Ritalin fundierte Aussagen getroffen werden.

Der Einsatz von Ritalin hat aber auch soziale und psychosoziale Konsequenzen, die ein Risiko darstellen können.

Im Folgenden werden einige Risiken diskutiert, die häufig angeführt werden und/ oder die von verschiedenen Wissenschaftlern stark unterschiedlich bewertet werden:

Ritalin ist eine Droge. Es macht high. Es hat Suchtpotential. Es ebnet den Weg zu Drogenmissbrauch:

Es gibt Berichte aus den USA, denen zufolge Ritalin als Droge von Jugendlichen konsumiert wird, die kein ADS haben. Es wird geschluckt oder pulverisiert geschnupft und kann so bei Jugendlichen und Erwachsenen leicht euphorisierend wirken. In Wasser gelöst und intravenös injiziert soll die Wirkung mit der von Kokain vergleichbar sein. 1995 wurden in den USA in etwa genauso viele Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren wegen einer Überdosis von Ritalin in Notaufnahmen von Krankenhäusern aufgenommen wie wegen übermäßigem Kokainkonsum (Hüther/Bonney 2002).

Diese euphorisierende Wirkung scheint aber nicht bei Kindern aufzutreten und auch nicht bei Jugendlichen und Erwachsenen, die Ritalin wegen ihrer ADS- Symptomatik nehmen, und zwar so dosiert, dass der erwünschte und erwartete Effekt der Verbesserung der Symptomatik eintritt (Barkley 2002, Schäfer 1998).

ADSler berichten bei einer zu hohen Dosierung eher von unangenehmen Empfindungen wie Überdrehtheit und Unruhe, vergleichbar mit einem „Kaffeerausch“.

Viele Vertreter aus der Gruppe der Amphetamine besitzen ein Suchtpotential ( z.B. das schon 1936 bei ADS-Symptomatik eingesetzte Benzedrin) und einige sind in der Drogenszene hoch im Kurs. Die chemische Zugehörigkeit von Methylphenidat – also Ritalin – zu dieser Gruppe ließ es dem Gesetzgeber angeraten erscheinen, Ritalin unter die strengeren Regelungen der Betäubungsmittelverordnung zu stellen. Einige Autoren interpretieren diesen Sachverhalt unzulässiger Weise dahingehend, dass Ritalin „amtlich“ als Suchtmittel eingestuft sei.

Es existiert keine Studie, in der die Entstehung einer Abhängigkeit nachgewiesen worden wäre. Dies bezieht sich sowohl auf die Anwendung bei ADS als auch auf den Missbrauch als Rauschmittel. In der aktuellen Packungsbeilage sind keine Hinweise auf die Gefahr von Abhängigkeiten mehr aufgenommen. Haben einige Ärzte in Deutschland noch vor einigen Jahren dazu geraten, Ritalin schleichend abzusetzen, um eventuell auftretende Entzugserscheinungen abzumildern, so ist es heute durchaus eine übliche Empfehlung für Schulkinder, am Wochenende und während der Ferien auf Ritalin zu verzichten.

Auf die These, Ritalin sei eine Einstiegsdroge, wird unter 5. eingegangen.

Ritalin ändert nichts an den eigentlichen Ursachen des ADS. Es ist eine Scheinlösung und verstellt den Blick auf das eigentliche Problem:

Hier gehen die Meinungen der Fachleute auseinander. Barkley (2002), der bisweilen als führender ADS-Fachmann in den USA zitiert wird (Neuhaus 1999), bezeichnet diese Aussage als schlichtweg falsch und als Legende. Er schließt aus, dass sich ADS ausschließlich auf Umweltfaktoren, etwa zu nachsichtige Erziehung oder zu wenig Liebe im Elternhaus, zurückführen ließe. Er sieht ADS als eine weitgehend genetisch bedingte Störung an, die durch eine Unterfunktion in bestimmten Hirnregionen gekennzeichnet ist und so die ADS-Symptomatik hervorruft. Dieser Unterfunktion muss durch Stimulanzien kompensiert werden. Er vergleicht die Notwendigkeit der Stimulanzientherapie und deren Alternativlosigkeit mit der Insulinbehandlung eines Kindes mit Diabetes. (vgl. Barkley 2002, S.396f) Konsequenz dieser Sichtweise wäre die Notwendigkeit, auf Ritalin über einen langen Zeitraum und, wenn sich die Symptomatik nicht „verwächst“, evtl. lebenslang angewiesen zu sein.

Viele Autoren verweisen darauf, dass Ritalin die Symptomatik positiv beeinflussen kann, aber nicht in der Lage ist, ADS ursächlich zu beseitigen.

Schäfer (1998) stellt fest, dass die kurzfristige Wirksamkeit von Ritalin nicht anzuzweifeln sei, meint jedoch, dass langfristige Therapieerfolge nur dann zu erwarten seien, wenn die medikamentöse Behandlung von anderen Therapieformen, wie z.B. Verhaltenstherapie für die Kinder / Jugendlichen, Elternberatung, Elterntraining, begleitet wird. (vgl. Schäfer 1998, S.62)

Hüther und Bonney beklagen, dass auch in der Fachwelt dieser Zusammenhang nicht entsprechend gewichtet wird. Ihren Zahlen zufolge käme auf 170 Studien, die sich mit medikamentöser Therapie befassen, nur eine Studie über psychotherapeutische Verfahren. Sie verweisen eindringlich auf die Möglichkeiten nichtmedikamentöser, insbesondere psychotherapeutischer Behandlungen. Es sei hinreichend nachgewiesen worden, dass Vernachlässigung, Missbrauch und emotionale Verunsicherung während der Kindheit die weitere Hirnentwicklung nachhaltig beeinflussen und entscheidend beteiligt sind an der späteren Ausbildung unterschiedlicher psychischer Störungen. Unbewusste frühe Kränkungen und Ängste sind bestimmend dafür, wie und wofür das Gehirn benutzt und durch die Art dieser Nutzung strukturiert wird.

Aber nicht nur negative Erfahrungen wirken sich auf die Strukturierung des sich entwickelnden Gehirns aus. Auch alles, was einem Kind oder einem Jugendlichen mit ADS hilft, besser als bisher mit bestimmten Belastungen fertig zu werden, sie zu verarbeiten und einen Ausweg aus dem Teufelskreis von Angst, Verunsicherung und vergeblichen eigenen Lösungsversuchen zu finden, schlägt sich in der physiologischen Ausprägung des Gehirns nieder. Dies gilt insbesondere für alles was ihm hilft, wieder sicherer zu werden, haltbietende emotionale Bindungen zu entwickeln, neues Selbstvertrauen zu erlangen und all die unbewussten frühen Kränkungen und Ängste zu überwinden. (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.79) Auf der Basis dieser Argumentation erheben sie die Forderung nach psychotherapeutischer Unterstützung nicht nur des betroffenen Kindes und Jugendlichen, sondern auch seines Umfeldes, insbesondere des familiären.

Die Frage nach dem Einsatz von Ritalin stellt sich hier nicht mehr primär unter dem Aspekt der Kompensation neurophysiologischer Defekte. Das Verschwinden der ADS-Symptomatik durch eine Stimulantientherapie könnte darüber hinwegtäuschen, dass das Kind und seine Familie substantielle Hilfen benötigen. (vgl. Hüther/Bonney 2002, S.139)

Auch in gesellschaftlichen Prozessen und Konstellationen sehen sie Ursachen, die eine gesunde Entwicklung erschweren und das Risiko erhöhen, ADS zu entwickeln.

Eine systemische Sicht auf das Phänomen ADS wird u.A. von Hoehne und Resch entwickelt. Resch(2003) weist auf die Auswirkungen der Globalisierung auf das Kleinklima von Lebensräumen hin und stellt in diesem Zusammenhang fest, dass der emotionale Dialog zwischen Erwachsenen und Kindern beeinträchtigt wird. Der wachsende psychosoziale Druck, der auf den Eltern lastet, wird über die Erziehungs- und Beziehungskultur der Familien auch auf die Kinder übertragen. Das beeinträchtigt die kindliche Selbstentwicklung, was wiederum eine Schwächung der Fähigkeiten, mit den postmodernen Maximen überhaupt zu Rande zu kommen, zur Folge hat. (vgl. Resch 2003, S.36)

Hoehne(2003) zeigt Parallelen auf zwischen dem Anstieg der auffallenden Verhaltensweisen und der raschen Veränderungen der Lebensbedingungen für Kinder in ihrer Umwelt in den letzten Jahrzehnten:

- Kinder haben immer weniger Räume, insbesondere Spielräume zur Verfügung, die sie selbst gestalten können.
- Das Neugierverhalten von Kindern wird eingeengt durch vorgefertigte Spiel- und Lerninhalte.
- Kinder haben immer weniger frei zur Verfügung stehende Zeit.
- Das allgemeine Lebenstempo beschleunigt sich, Leistungsanforderungen werden schärfer.
- Die Zahl der Kinder in unserer Gesellschaft sinkt, die Gesellschaft wird zunehmend durch Erwachsene geprägt.
- Kinder sind immer stärker auf Kontakte zu Erwachsenen angewiesen, weil immer weniger Geschwisterkinder oder Freunde von Kindern erreichbar sind.
- Die Lebenswelten der Kinder haben die Tendenz zur Verinselung, sie werden zunehmend von Erwachsenen bestimmt und Kindern verordnet.

(vgl. Hoehne 2003, S.122)

Für Kinder wird es immer schwieriger, in dieser Welt einen entsprechenden Freiraum zu finden, in dem sie sich selbst verwirklichen, „in dem sie selber ihren Raum und ihre Zeit entfalten können“ (S.122).

Hoehne weist auf die Möglichkeit der Erklärung der ADS-Symptomatik aus systemischer Sicht hin: als eine Form kindlicher Ausdrucksweise, die signalisieren soll „Mir geht es nicht gut, ich möchte etwas verändert haben, bitte helft mir“. (S.122) Auch Hoehne (2003) betont, dass aufgrund eines veränderten Handelns oder Verhaltens sich auch die Neurotransmitter in ihrer Zusammensetzung und Anhäufung ändern. Ähnlich wie Hüther und Bonney löst er damit die linear- kausalen Erklärungsversuche, nach denen die ADS-Symptome die Folge neurophysiologischer Veränderungen sind, ab und stellt fest, dass Ursache und Wirkung nicht in einem klar definierten linearen Zusammenhang stehen.

Diese systemische Interpretation der ADS-Symptomatik als Hilferuf macht nachdrücklich eine Gefahr deutlich: Das unreflektierte „Verschwindenlassen“ der Symptomatik durch Ritalin beraubt die betroffenen Kinder eines Kommunikationsweges. Der Druck zur Veränderung der Umwelt und der Interaktionsmuster, den das „störende“ Verhalten schafft, wird wirkungslos.

Hartmann (1997) beschreibt das ADS-typische Verhalten innerhalb eines Kontinuums möglicher menschlicher Verhaltensweisen und stellt dar, wie gerade die Besonderheiten in der Aufmerksamkeitsstruktur und in der Impulssteuerung, die heute als Fehlverhalten beschrieben werden, in früheren Kulturstufen der Menschheit unabdingbare Eigenschaften zum Überleben der Gruppe waren. Er kritisiert in diesem Zusammenhang die Praxis der Zuschreibung von „Krankheit“, die immer eine Stigmatisierung mit sich bringt und fragt, inwieweit dies Spiegel von gesellschaftlichen und sozio-ökologischen Veränderungen ist (z.B. „Krankheit Linkshändertum“, vgl. Hartmann 2000, S.30f). Hartmann (1997) appelliert nachdrücklich an Betroffene und deren Umfeld, die spezifischen Stärken von ADSlern wahrzunehmen, zu kultivieren (d.h. sie in Bezug zu setzen zu den Anforderungen unserer Gesellschaft) und gezielt zur erfolgreichen Lebensgestaltung zu nutzen.[3]

Fazit:

1. Ritalin darf nicht als Lösung des Problems ADS angesehen werden.
2. Der Einsatz von Ritalin birgt die Gefahr, alle Beteiligten (Eltern, Pädagogen, Ärzte, Betroffene und Fachleute) zu beruhigen, wo Beunruhigung im aktivierenden und motivierenden Sinne, die den Mut und die Kraft für Veränderungen schaffen kann, nötig ist.

Die medizinischen Nebenwirkungen von Ritalin sind gravierend und nicht beherrschbar: Kurz- und mittelfristige Wirkungen und Nebenwirkungen sind umfangreich beschrieben und bekannt und werden i.A. als gut beherrschbar (u.U. durch Absetzen des Medikamentes) beschrieben. Sie sollen hier nicht weiter dargestellt werden.

Weitgehend im spekulativen Bereich bewegen sich Äußerungen über die Wirkung von Ritalin auf die neuronale Konstituierung und Ausreifung des sich entwickelnden Gehirns.

Untersuchungen an jungen Ratten (Moll et al. 2001, nach Hüther/Bonney 2002) haben gezeigt, dass sich das dopaminerge System bei chronischer Verabreichung von Ritalin weniger stark entwickelt und zeitlebens weniger intensiv bleibt. Vorausgesetzt, diese Ergebnisse lassen sich auf die Entwicklung des menschlichen Gehirns übertragen[4], ließe das folgende Schlussfolgerungen zu:

Wenn, wie Hüther und Bonney (2002) in Betracht ziehen, das dopaminerge System von ADS- Kindern tatsächlich zu stark ausgebildet sein sollte, so würde es möglicherweise durch diese Behandlung an seiner weiteren Entfaltung gehindert, also gewissermaßen „zurückgestutzt“ werden. In diesem Falle könnte sich Ritalin tatsächlich langfristig ausgleichend auf die Entwicklung der neuronalen Matrix auswirken.

Wenn das dopaminerge System aber tatsächlich, wie in der klassischen These vermutet, unterentwickelt und unzureichend aktiv ist, würde eine frühe und intensive Ritalinbehandlung dieses Defizit sogar noch weiter verstärken und somit weiter in die Krankheit hineinführen.

Auch Fehlindikationen oder Anwendung bei Kindern, deren dopaminerges System nicht überstark entwickelt ist, würden eine defizitäre Ausformung der dopaminergen Innervation zur Folge haben. Dann bestünde die Gefahr, dass sich die Voraussetzungen für die spätere Entstehung des Parkinson- Syndroms verbessern, welches gerade durch eine unzureichende Aktivität des dopaminergen Systems gekennzeichnet ist. (Hüther/Bonney 2002, S. 73)

5. Risiken des Verzichts auf Ritalin

Angesichts der zur Zeit bestehenden Ungewissheiten über die Wirkmechanismen von Ritalin und über nicht auszuschließende gravierende Langzeitfolgen einer Ritalin-Dauerbehandlung im Kindes- und Jugendalter wird die Vehemenz, mit der Ritalin -kritische Standpunkte in der Öffentlichkeit vertreten werden, ein Stück weit nachvollziehbar. Ritalin darf nur als „Notlösung“ betrachtet werden. Die Forderung, nach alternativen Formen des Umgangs mit ADS zu suchen, ist berechtigt.

Eine aus meiner Sicht nicht akzeptable Art, dem Phänomen ADS zu begegnen besteht darin, ADS als „Mode-Phänomen“, als theoretisches Konstrukt ohne real existierende Entsprechung o.ä. zu betrachten. Wichtig erscheint mir in diesem Zusammenhang folgender Bezug:

ADS stellt für sich betrachtet keine Beeinträchtigung des Betroffenen dar, wie etwa ein Schnupfen oder ein gebrochenes Bein. ADS wird zur Beeinträchtigung erst im Kontext mit dem sozialen Umfeld, im Spannungsbogen zwischen Anforderungen und Normen der Gesellschaft und den Möglichkeiten des Betroffenen, diese zu erfüllen. Hartmann (1997) beschreibt, wie die konkrete Lebenssituation des Betroffenen darüber entscheidet, ob aus der ADS- Symptomatik tatsächlich eine Beeinträchtigung erwächst und stützt seine These u.A. mit folgendem Zitat:

„Ich habe als Arzt in eingeborenen Jägergesellschaften in allen Teilen der Welt gearbeitet, von Asien bis Nord- und Südamerika. Immer und immer wieder habe ich dort bei Erwachsenen und Kindern die Konstellation von Verhaltensmustern gesehen, die wir ADD [Attention Deficit Disorder; d.V.]nennen.

Bei Stämmen in Nordamerika, wie zum Beispiel bei den Karibujägern des McKenzie Basin, tragen diese Anpassungsmerkmale – die ständige Kontrolle der Umgebung, die schnelle Entscheidungsfindung (Impulsivität) und die Risikobereitschaft – Jahr für Jahr zum Überleben des Stammes bei.

Die gleichen Verhaltensweisen machen es jedoch den Kindern dieser Stämme schwer, in unseren westlichen Schulen Erfolg zu haben, wenn wir versuchen, ihnen unseren westlichen Stundenplan aufzuzwingen.“ (Krymen zit. n. Hartmann 1997, S.42)

ADS darf also nicht nur als medizinisches Problem verstanden werden. Mangelnde Fokussierung der Aufmerksamkeit und hohe Impulsivität werden erst dann zu Störungen, wenn sie zur Ursache von ständigen und schwerwiegenden Konflikten werden. Dann können allerdings Teufelskreise induziert werden in der Art, wie sie von Neuhaus (1999) als „Lerngeschichte“ beschrieben wird:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Solche Abwärtsspiralen können sich in verschiedenen Lebensbereichen bilden, stabilisieren und generalisieren und, wie Hüther und Bonney (2002) gezeigt haben, in der Ausbildung neuronaler Netzwerke materialisieren.

Schulversagen, missglückte soziale und berufliche Karrieren, erhöhte Gefahr, in die Kriminalität abzurutschen und erhöhte Gefahr, psychisch zu erkranken (z.B. an Depressionen) sind häufige Folgen.

Wenn Eltern oder Lehrer sich hilfesuchend an Fachleute wenden, dann nicht primär etwa wegen der Spezifik der Aufmerksamkeitsfokussierung, sondern wegen des bereits bestehenden enormen Leidensdruckes, der aus dem Wirken solcher Abwärtsspiralen resultiert.

Kinder mit ADS und deren Eltern befinden sich, wenn sie Hilfe suchen, im allgemeinen in chronischen Konfliktsituationen und brauchen Hilfen, die möglichst schnell und effektiv aus der Krise führen.

Es gibt vielfältige pädagogische und psychologische therapeutische Programme, die darauf abzielen, die Kommunikations- und Interaktionsmuster zwischen dem Kind mit ADS und seinem Umfeld umzugestalten und interne Kontroll- und Steuerungsinstanzen zu etablieren und zu trainieren. Alle diese Programme haben gemeinsam,

- dass sie Erfahrungen ermöglichen sollen, die innerhalb der eingefahrenen Negativ-Spirale nicht machbar sind
- dass sie bestehende Verhaltensmuster „überschreiben“ und durch neue ersetzen sollen
- dass sie nicht eine kurzfristige Lösung bestehender Konflikte versprechen.

Außerdem setzen sie voraus,

- dass i.A. eine relativ großen Personengruppe, insbesondere aus der Familie und den Bildungsinstitutionen den Willen und die Fähigkeit zur Mitwirkung haben und
- dass sie professionell angeleitet/unterstützt werden.

Es ist schlicht eine Tatsache, dass für viele Betroffene ein entsprechendes pädagogisches/therapeutisches Angebot nicht erreichbar ist. Vielerorts fühlen sich Kinderärzte und Lehrer, aber auch Psychologen nicht kompetent. Der Kontakt zu „Spezialisten“ bedeutet oftmals lange Wartezeiten und weite Fahrtstrecken, so dass eine kontinuierliche und zeitnahe Zusammenarbeit kaum möglich ist. Für viele Familien ist dieser Aufwand nicht zu bewältigen.

In diesen Fällen kann Ritalin, sofern es entsprechend indiziert ist, die Situation schnell und deutlich entlasten:

- Schulisches „Abrutschen“ kann gestoppt werden, das Erfahrungsfeld „Lernen/Schule/schulische Leistungen“ kann wieder positiv besetzt werden.
- Entspannung im familiären Bereich, es werden weniger traumatische Situationen erlebt (z.B. „Drama Hausaufgaben“ oder „Drama Zimmer aufräumen“).
- Die Anbahnung, Erhaltung und Gestaltung von befriedigenden sozialen Beziehungen gelingt besser. Es gelingt, sich sozial angepasster zu verhalten. Negative Rückmeldungen werden seltener.

Ritalin kann also ebenso wie therapeutische Verfahren dazu beitragen, „Abwärtsspiralen“ aufzubrechen und Freiräume für die Entstehung neuer Verhaltensstrukturen zu schaffen, jedoch mit zwei wesentlichen Unterschieden:

1. Ritalin wirkt sofort, aber nur kurzfristig.
2. Ritalin bewirkt keine nachhaltigen Änderungen im Umfeld des Betroffenen.

Hüther und Bonney (2002) weisen darauf hin, dass auch die durch medikamentöse Behandlung erzielten neuen Nutzungsbedingungen des Gehirns dazu führen, dass die fortan intensiver und erfolgreicher benutzten neuronalen Verschaltungen zu einer entsprechenden strukturellen Verankerung im Gehirn führen.

In den skandinavischen Ländern wird die Verschreibung und Anwendung von Ritalin u.A. an die Bedingung einer therapeutischen Begleitbehandlung geknüpft. Damit wird bereits durch die Gesetzgebung die These gewürdigt, dass die Behandlung von ADS mit Ritalin keine tragfähige Strategie zur nachhaltigen Korrektur einer derartig komplexen Fehlentwicklung ist.

Möglicherweise kann die Anbahnung und der Verlauf einer Therapie durch Ritalin aber günstig beeinflusst werden. Die Kombination von niedrig dosierter Stimulanzien- und Verhaltenstherapie ist wahrscheinlich wirkungsvoller ist als jede Behandlungsmaßnahme für sich alleine. (Schäfer 1998) Die prompten Wirkungen von Ritalin können therapeutisch gezielt zur Schaffung und Auslotung neuer Erfahrungsräume genutzt werden. Sie können Freiräume im Verhaltensrepertoire schaffen, in denen therapeutisch unterstützt neue Strukturen wachsen können.

Doch auch, wenn Kindern und Jugendlichen Ritalin als Langzeitmedikament ohne begleitende Therapien verabreicht wird, hat es positive Auswirkungen auf eine erfolgreiche Sozialisation. Barkley (2002) führt Studienergebnisse an, die belegen, dass Jugendliche mit ADS, die medikamentös behandelt wurden, deutlich seltener zu Drogen griffen als Jugendliche mit ADS, die keine Medikamente nahmen. Dieses Ergebnis lässt sich verschieden interpretieren: Zum einen dahin, dass die Dauermedikation die Ausprägung von Abwärtsspiralen verhindert oder vermindert hat, zum anderen könnte man die relative Häufigkeit von Drogenkonsum bei Jugendlichen mit ADS als Versuche der Selbstmedikation ansehen, die durch die Einnahme von Stimulanzien überflüssig wird. So erhöht z.B. Nikotin die Wirksamkeit des Dopamins, was eine der Ursachen dafür sein dürfte, warum ADSler überdurchschnittlich oft Raucher sind.

„Als ich siebzehn war, habe ich endlich etwas gefunden, dass die ständig surrenden Rädchen in meinem Hirn abschaltete: Alkohol. Als ich dreiundzwanzig war, war ich ein völlig heruntergekommener Säufer. Ich war wirklich total am Ende. Mit Gottes Hilfe und der Unterstützung der Anonymen Alkoholiker habe ich es wieder geschafft.

Aber erst als ich dreißig war und angefangen hatte, Ritalin zu nehmen, hörte endlich das ständige Rattern in meinem Kopf auf, die andauernden Ablenkungen aus allen Richtungen. Damals konnte ich zum erstenmal Blumen riechen und das Leben erfahren. Ich konnte anderen zuhören und verstehen, was sie sagten.

Und seither habe ich mich geändert: Früher musste ich gegen das heiße Verlangen nach einem Drink ankämpfen. Heute habe ich diesen Drang nicht mehr.“ (Anonym, zit. n. Hartmann1997)

6.Fazit

Sind die Kinder mit ADS krank oder ist es unsere Gesellschaft? Die Ursachen für ADS sind nicht zuerst in den Gehirnen zu suchen. Genetische Veranlagung kann nicht als hinreichende Erklärung für die wachsende Zahl der Kinder, die unter ADS leiden, hingenommen werden. Maßgeblichen Anteil an den besorgniserregenden Fehlentwicklungen unserer Kinder hat die Gesellschaft, in der und von der sie erzogen werden. Hüther und Bonney werfen dazu kritische Fragen auf:

- Weshalb kommen immer wieder Kinder zur Welt, auf die sich niemand freut?
- Weshalb sind wir eigentlich außerstande, unsere schwangeren Frauen hinreichend effektiv gegenüber allen äußeren Einflüssen abzuschirmen, die die ungestörte Entwicklung und Reifung ihres ungeborenen Kindes beeinträchtigen?
- Weshalb sind viele Eltern in ihrer Erziehungsarbeit verunsichert und leicht durch fremde Vorstellungen zu beeinflussen?
- Weshalb zerfallen so viele Partnerschaften gerade dann, wenn die Kinder beide Eltern besonders dringend brauchen?
- Sind die Erziehungseinrichtungen für unsere Kinder wirklich so beschaffen, dass sie den Bedürfnissen und den Entwicklungsmöglichkeiten dieser Kinder gerecht werden?
- Gibt es in der heutigen, aufgeregten, hektischen, leistungs- und konkurrenzorientierten Welt der Erwachsenen überhaupt noch hinreichend Platz und Zeit für Kinder?
- Weshalb fällt es vielen Eltern schwer, klare Grenzen für ihre Kinder festzulegen und einzuhalten?

(vgl. Hüther/Bonney 2002, S.81f.)

Die oftmals frappierende Wirksamkeit von Ritalin gegen die Symptome von ADS und deren unmittelbare sozialen Folgeerscheinungen lässt die Versuchung wachsen, soziale Verantwortung unter dem Deckmantel medizinischer Gegebenheiten zu verstecken. Das gilt für Eltern und Großeltern, für deren Nachbarn und Freunde wie für Pädagogen, Mediziner und Politiker.

Dennoch wird es unter den bisher und wahrscheinlich auch in nächster Zukunft gegebenen Bedingungen oft nicht verantwortbar sein, konsequent auf Ritalin zu verzichten.

Der Einsatz von Ritalin als Langzeitmedikament bei Kindern und Jugendlichen beinhaltet Risiken, die nach dem heutigen Wissensstand nicht kalkulierbar sind.

Der absolute Verzicht auf Ritalin in einer Gesellschaft, die nicht in ausreichendem Maße Alternativen bereithält, würde eine Inkaufnahme von beträchtlichen Risiken bedeuten, die sehr wohl abschätzbar sind.

Professionelle und Betroffene werden ihrer Verantwortung nicht gerecht, wenn sie Ritalin als alleiniges Mittel einsetzen, um ADS zu begegnen. Sowohl eine Verteufelung als auch Stilisierung des Ritalin als „Heilbringer“ sind nicht angebracht. Betroffene stehen vor der Aufgabe, die Risiken des Einsatzes von Ritalin und die des Verzichts darauf gegeneinander abzuwägen.

ADS darf nicht mehr nur als isoliertes medizinisches Problem wahrgenommen wird, sondern auch als gesellschaftliches Phänomen.

„Überall dort, wo Erwachsene die Anhäufung materieller Güter, das eigene Wohlergehen und die individuelle Bedürfnisbefriedigung zur wichtigsten Richtschnur ihrer Lebensgestaltung zu machen beginnen, kann sich irgendwann nur noch das entfalten, was durch Konkurrenz, Erfolgsdruck, Neid und Habgier hervorgebracht wird. Alles andere verkümmert. Auch Kinder verkümmern.“ (Hüther/Bonney 2002, S.143)

Die Wahrnehmung von dem, was wir heute als ADS bezeichnen, hat sich seit Hoffmanns „Struwwelpeter“ verschoben: Weg von einer Verhaltensstörung (als Spiegel konkreter Lebensumstände und Sozialisationsprozesse), hin zu einem physiologisch erklärbaren medizinischen Faktum. Spiegelt dies (u.a.) vielleicht auch ein Stück weit den kollektiven Versuch wieder, die Verantwortung an Fachleute zu delegieren und sich damit loszukaufen?

Die an Breite gewinnende öffentliche Diskussion über ADS spiegelt nicht nur den steigenden individuellen Leidensdruck der Betroffenen wieder, sondern ist im systemischen Sinne auch Anzeiger einer Krise unserer Gesellschaft. Sie zeigt an, das unser Zusammenleben „aus der Fassung“ geraten ist.

Die Verantwortung für den Umgang mit dem Phänomen ADS beschränkt sich nicht nur auf Profis und Betroffene. ADS fordert durch seine immer stärker werdende Präsenz in unserem Bewusstsein eine Änderung unseres kollektiven Selbstverständnisses, unserer materiellen und vor allem unserer kulturellen und sozialen Wert- und Normvorstellungen.

7. Literatur:

- Aust-Claus, E., Hammer, P.-M.: Das ADS- Buch. Neue Konzentrationshilfen für Zappelphillippe und Träumer. Ratingen 1999
- Barkley, R. A.: Das große ADHS- Handbuch für Eltern. Verantwortung übernehmen für Kinder mit Aufmerksamkeitsdefizit und Hyperaktivität. Bern, Göttingen, Toronto, Seattle 2002
- Bolvansky, R., Czerwenka, K., Kinze, W.: Hyperaktive Kinder. Weinheim und Basel 1997
- Franke, U. (Hrsg.):Therapie aggressiver und hyperaktiver Kinder. 2. erw. Aufl. Stuttgart, Jena, New York 1995
- Hartmann, T.: Eine andere Art, die Welt zu sehen. Das Aufmerksamkeits-Defizit-Syndrom ADD. Eine praktische Lebenshilfe für aufmerksamkeitsgestörte Kinder und Jugendliche. 2. Aufl., Lübeck, Berlin, Essen, Wiesbaden 1997
- Hartmann. T.: ADD: Veränderungen selbst bewirken. Lübeck, Berlin, Essen, Wiesbaden 2000
- Hüther, G., Bonney, H.: Neues vom Zappelphillipp. ADS: verstehen, vorbeugen, handeln. Düsseldorf, Zürich 2002
- Hoehne, R.: ADS/ADHS – Erscheinungsbilder, Positionen, Sichtweisen. in: Klein, M., Klein, J. (Hrsg.): Bindung, Selbstregulation und ADS. Eltern und Kinder in Krisen mit Zutrauen begleiten. Dortmund 2003
- Neuhaus, C.: Das hyperaktive Kind und seine Probleme. Berlin 1999
- Neuhaus, C.: Hyperaktive Jugendliche und ihre Probleme. Erwachsenwerden mit ADS. Was Eltern tun können. Berlin 2000
- Resch, F.: Was Kindern zusteht: Bedingungen einer kindgerechten Welt. in: Klein, M., Klein, J. (Hrsg.): Bindung, Selbstregulation und ADS. Eltern und Kinder in Krisen mit Zutrauen begleiten. Dortmund 2003
- Schäfer, U.: Mußt du dauernd rumzappeln? Die hyperkinetische Störung: Ein Ratgeber. Bern 1998
- Simonsohn, B.: Hyperaktivität. Warum Ritalin keine Lösung ist. München 2001
- Ziegler, C.: Aufmerksamkeitsstörungen bei Kindern. Neurobiologische Einsichten und hypnotherapeutische Behandlung. Stuttgart 2001

[...]


[1] In der öffentlichen Diskussion des Einsatzes von Amphetaminen zur Behandlung von ADS wird in Deutschland vor allem das Medikament Ritalin genannt. Ritalin ist seit 1956 auf dem Markt. Es ist das wirksamste und seit den 70er Jahren weltweit mit Abstand am häufigsten eingesetzte Medikament. Es basiert wie auch die Medikamente CONCERTA, Equasym, Medikinet und Ritalin SR auf dem Wirkstoff Methylphenidathydrochlorid. Im folgenden wird Ritalin als Stellvertreter dieser Gruppe genannt. Weitere Stimulanzien aus der Gruppe der Amphetamine sind Tradon, Pemolin, D- Amphetamin und Adderall. Auf Antidepressiva und das Bluthochdruckmittel Clonidin, die gelegentlich im Zusammenhang mit ADS diskutiert werden, wird hier kein Bezug genommen.

[2] Auf dem deutschsprachigen Büchermarkt gibt es etliche dicke Bücher, deren Anliegen es ist, vor Ritalin zu warnen. Oft sind die Darstellungen verzerrend, aus dem Zusammenhang genommen und bewusst dramatisierend. Die Liste der aufgezählten Gefahren und Risiken ist fast nicht mehr zu überschauen. Simonsohn (2001, S.89ff) nennt auf 9 Seiten u.a. folgende Nebenwirkungen in dieser Reihenfolge: Desensibilisierung durch Überstimulierung; Reizbarkeit und Nervosität, Einschlafprobleme, erhöhter Blutdruck, Appetitlosigkeit, Herzversagen, Appetitverlust, Tics, Sehstörungen, Schlafstörungen, Bauchschmerzen, Herzrasen, erhöhter Blutdruck, Überempfindlichkeit einschließlich Hautausschlägen, Nesselsucht, Fieber, Gelenkschmerzen, Schälrötelsucht, Erythema exsudativum multiforme (eine akute entzündliche Hautkrankheit) mit Zerstörung der Blutgefäße und Purpura thrombocytopenica (schwere Blutgerinnungsstörung), Appetitlosigkeit, Übelkeit, Schwindelgefühle, Herzklopfen, Kopfschmerzen, Dyskinesie (Hemmung der willkürlichen Muskelbewegung), Schläfrigkeit, Blutdruck- und Pulsveränderungen sowohl nach oben als auch nach unten, Tachykardie, Angina pectoris, Pulsarrhythmie, Bauchschmerzen, Gewichtsverlust bei Dauerbehandlung, Tourette- Syndrom, Kopfschmerzen und Erhöhung der Krampfbereitschaft, Schlaflosigkeit und Müdigkeit, Sehstörungen, Gelenkschmerzen, Haarausfall, EEG-Veränderungen, epileptische Anfälle, Konzentrationsmangel, Kopfschmerzen, Nervosität, Kribbelgefühle, Schädigung der Herzkranzgefäße, Angina-Pectoris- Anfälle mit Spasmen, Lethargie, Nägelbeißen, Geräuschempfindlichkeit, Albträume, Gehirnblutung mit Dauerschäden oder tödlichem Ausgang, Entzugssymptome wie Magen-Darm-Störungen, Erschöpfung, Herzrasen und Zitterigkeit, Nervosität, Selbstablehnung, Verwirrung, Anspannung, Unruhe, visuelle und akustische Halluzinationen, Verschlimmerung von Schizophrenie, paranoide Wahnvorstellungen, Psychosen, bizarres Verhalten, Projektionen, Trägheit, Angriffslust, Aggressivität, Gemütsflachheit, zwanghaftes Sprechen, Besorgnis, Störung der Traumphasen, erhöhte Euphorie, Depressionen, Ängstlichkeit, sozialer Rückzug, Reizbarkeit, Introvertiertheit, Mangel an positiven Affekten, psychotische Symptome, zusehends Verschlechterung des sozialen Verhaltens bei fortgesetzter Behandlung

[3] Kinder und Jugendliche lehnen Ritalin mitunter ab, weil sie sich unter dem Medikament „nicht als sich selbst“, „als fremd“ erleben und diese Differenz zwischen ihrem Selbstbild und ihrem aktuellen Erleben als unangenehm und verunsichernd empfinden.

[4] Einige Mediziner lehnen die Übertragbarkeit dieser Ergebnisse auf den Menschen unter dem Hinweis ab, dass die Entwicklung des Rattenhirns grundsätzlich anderen Mechanismen folgt, z.B. einer ausgeprägten Prävalenz genetischer Dispositionen. Hüther und Bonney verweisen dagegen auf andere Rattenexperimente, in denen geänderte Interaktionsmuster entsprechende Veränderung der neuronalen Matrix hervorriefen. Zumindest insoweit würden analoge Mechanismen wie beim Menschen wirken.

Ende der Leseprobe aus 24 Seiten

Details

Titel
Pro und Kontra Ritalin als Therapeutikum bei ADS
Hochschule
Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
24
Katalognummer
V109428
ISBN (eBook)
9783640076093
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgehend von aktuellen Theorien zur Entstehung/ Erklärung von ADS/ADHS werden mögliche Wirkmechanismen von Medikamenten mit dem Wirkstoff Methylphenidat diskutiert. Insbesondere für die kindliche Entwicklung unter den sozialen Bedingungen in Deutschland werden mögliche Chancen, aber auch Grenzen und Risiken der medikamentösen Therapie von ADS untersucht. Der Autor ist seit 10 Jahren als Sonderschullehrer und seit 6 Jahren als Seminarleiter zum Thema ADS tätig.
Schlagworte
Kontra, Ritalin, Therapeutikum
Arbeit zitieren
Matthias Friedrich (Autor:in), 2004, Pro und Kontra Ritalin als Therapeutikum bei ADS, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109428

Kommentare

  • Gast am 15.9.2007

    Mein Sohn nahm Equasym.

    Mein Sohn nahm ca. 1,5 Jahre Equasym, sein Verhalten besserte sich in der Schule und in seinem Freundeskreis. Er erhielt 1 Tablette mit 10 mg am Morgen, denn restlichen Tag ohne.Das klappte alles ganz gut. Aber nach ca. 1,5 Jahren wurde er immer müder u.s.w . Ich ließ beim Kinderarzt ein Blutbild wegen der Leberwerte machen, dieser war sehr schlecht. Daraufhin setzte ich das Medikament ab. Mein Sohn ist 1,5 Jahre später mit 16 Jahren ( am 08.10.2007) an einem Anarysma (Hirnbluttung) Verstorben. Er hatte 3 Anarysmen im Gehirn, eins von Ihnen ist beim Seilspringen geplatzt. Er lag 14 tage im Koma.Mein kleiner Sohn er ist jetzt 14,5 Jahre alt, nahm diese Medikament ca.1 Jahr. Er ist nicht so sportlich wie mein großer Sohn gewesen daher wurde auch der Blutdruck nicht so angeregt, wurde bei der Angioraphie 1 kleines Anarysma festgestellt, was Ihn zur weiteren beobachtung zwingt und auch in der Lebensweise einschränkt. Wir als Eltern(Angehörige) haben auch eine Angiographie bei uns machen lassen. Bei uns wurde nichts festgestellt, daher gehe ich von einer Familienanamese nicht mehr aus.
    Es ist nicht erwiesen das es von diesem Medikament kommt aber ich hätte auf ein Funktionierendes Kind verzichtet wenn ich damals diese Nebenwirkungen gewußt hätte, das Sie in unserer Familie eintreten könnten.
    Mit Freundlichen Gruß
    Kayam

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Titel: Pro und Kontra Ritalin als Therapeutikum bei ADS



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