Grammatikalisierung im tschadischen Aspektsystem


Hausarbeit, 2005

21 Seiten, Note: 2

A. M. Beigui (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Was will die folgende Arbeit

1. Grammatikalisierung
1.1. Geschichte der Grammatikalisierungstheorie
1.2. Was ist Grammatikalisierung
1.3. Einführung in das Thema dieser Arbeit

2. Die Unterteilung der tschadische Sprachfamilie

3. Grammatikalisierungsphänomene im Aspektsystem
3.1. Diachrone Entwicklung der Aspektmarkierung
3.1.1. Segmentale Distinktivität der Verbstämme
3.1.2. Der Ton des Verbstamms
3.1.3. Der Ton des Subjektpronomens
3.2. Zusammenfassung

Literaturverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis:

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Was will die folgende Arbeit

Folgende Hausarbeit ist aufgrund eines Seminars mit dem Titel „Grammatikalisierung“ bei Prof.Dr.Reh, der ich für einschlägige Tipps danken möchte, im Sommersemester 2004 entstanden. Im Seminar wurden die Grundsätze und Phänomene, die als Grammatikalisierung kategorisiert werden diskutiert, also verfolgt diese Arbeit diesen Ansatz in ihrer Untersuchungen. Anhand einzelner Sprachen der tschadischen Sprachfamilie sollen Grammatikalisierungsprozesse im Aspektsystem analysiert werden. Eine Zusammenfassung der analysierten Prozesse soll einen verallgemeinerten Blick auf die Entwicklung des Aspektsystems in tschadischen Sprachen geben, wie sie auch in der Literatur vertreten werden. Die zu analysierenden Daten wurden aus komparativen Arbeiten, Beschreibungen einzelner Sprachen und in der Literatur wiedergegebener Paradigmensets zusammengestellt. Hypothesen und Rekonstruktionen basieren vor allem auf Arbeiten von Jungraithmayr, Wolff, Newmann und Schuh.

1. Grammatikalisierung

1.1. Geschichte der Grammatikalisierungstheorie

Dass eine Sprache sich sowohl aus lexikalischen, als auch aus grammatischen Formen konstituiert, ist in der Geschichte der Sprachwissenschaft ein seit langem erkanntes und bekanntes Phänomen. In der europäischen Wissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts repräsentieren Wilhelm v. Humboldts Ausführungen über den „Ursprung grammatischer Formen“ (1822) die zeitgenössische Suche nach Typologien von Sprachen. Diese Zeit vertrat die Idee linearer, evolutionärer Stufen in den grammatischen Erscheinungen von Sprachen. Mit Georg v. der Gabelentz’s Ausführungen (1891) erschien erstmals eine Aufstellung von Prinzipien, die für die Entwicklung grammatischer Formen verantwortlich sein sollten. Gabelentz beschrieb die Motivation zur Grammatikalisierung von linguistischen Elementen durch den Konflikt der Sprecher einerseits zu vereinfachenden Artikulationen zu tendieren und andererseits der Notwendigkeit eine Distinktivität verschiedener grammatischer Funktionen zu bewahren. Auf diese Art konnte Gabelentz eine Spirale postulieren, in der sich Sprachveränderungen zyklisch abspielten ohne das Wort „Grammatikalisierung“ als linguistische Kategorie einzuführen. Erst der französische Linguist Meillet (1922) rückte den Prozess der Grammatikalisierung als linguistisches Konzept in den Mittelpunkt seiner Arbeit, um Sprachveränderungen zu erklären. Er erkannte unter dem Begriff „grammaticalization“ das altbekannte Prinzip der analogen Bildungsweise in Sprachkonstruktionen und eine Transformation grammatischer Morpheme aus lexikalischen

Einheiten. Er schreibt:

„these two processes, analogical innovation and the attribution of grammatical character to a previously autonomous word, are the only ones by which new grammatical forms are constituted.“ (S:31)

Bis in die 1970’er hinein blieb die weitere Erforschung von Grammatikalisierungsprozessen in nicht-indoeuropäischen Sprachen weitgehend unbeachtet, bis die Suche nach Universalien im Sprachwandel und das Interesse für diachrone Erklärungsansätze synchroner Spracherscheinungen neu erwachte. Givons Arbeit zur morphologischen Entwicklung in einigen afrikanischen Sprachen (1971, 1979) und Greenbergs vergleichenden Arbeiten zu afrikanischen Sprachen (1966,1978) markieren einen Anfang in der Erforschung dieser Prozesse in afrikanischen Sprachen. Einen historischen Überblick über die Forschungsgeschichte der Grammatikalisierung gibt Lehmann (1982). Einen allgemeinen Überblick über Mechanismen, die Grammatikalisierungsprozessen zugrunde liegen, geben Hopper,Traugott (1983). Motivation und Faktoren einer Grammatikalisierung werden in Heine,Claudi,Hünnemeyer (1984) diskutiert. Eine ausführliche Kategorisierung von Grammatikalisierungsphänomenen anhand afrikanischer Sprachen mit zahlreichen Beispielen

findet sich in Heine,Reh (1984).

1.2. Was ist Grammatikalisierung

Grammatikalisierungsprozesse wiederholen sich in Zyklen oder Spiralen (HR:68) und sind in der Regel unidirektional in Richtung eines „mehr an Grammatik und weniger an Semantik/Pragmatik“ eines Morphems und/oder einer Konstruktion (HCH:4). Grammatikalisierung ist ein prozeßhafter Vorgang, der meist als diachrone Entwicklung aufgefasst wird und stellt als solches eine Universalie in Sprachen dar (HCH:4). Sie ist ein Kontinuum, dessen Phänomene als vorübergehend stabile Zustände einer Sprache erscheinen können, die aber auch von graduellem Charakter sind, indem mehrere Funktionen einer Form bzw. mehrere Interpretationsmöglichkeiten einer Form in einer Sprache koexistieren können (HR:15). Den Grad der Grammatikalisierung für eine Einheit kann man an der Menge der Ersetzungsmöglichkeiten für die Einheit an derselben syntaktischen Stelle messen; je weniger Substitutionsmitglieder gleicher Kategorie vorhanden sind, desto grammatischer die Einheit (Reh:im Seminar) Folgende Definitionen geben die Ansätze in der genannten Literatur wieder. Heine & Reh definieren Grammatikalisierung als einen Prozess, bei dem eine linguistische Einheit bestimmte Transformationserscheinungen zeigt.

„With the term “grammaticalization” we refer essentially to an evolution whereby linguistic units lose in semantic complexity, pragmatic significance, syntactic freedom, and phonetic substance, respectively.” (HR:15)

Traugott & König definieren Grammatikalisierung wesentlich enger, als einen Prozess, bei dem eine lexikalische Einheit die grammatische Funktion erhält alte oder neue Beziehun-

gen zu vercoden.

“Grammaticalization…refers primarily to the dynamic, unidirectional historical process whereby lexical items in the course of time acquire a new status as grammatical, morphosyntactic forms, and in the process come to code relation that either were not coded before or were coded differently”

(Traugott,König, zitiert in: HCH:4)

Im Lexikon der Sprachwissenschaft (Bußmann1990) ist folgender Eintrag zu finden:

„...Bezeichnung eines Sprachwandelprozesses, in dessen Verlauf eine autonome lexikalische Einheit allmählich die Funktion einer abhängigen grammatischen Kategorie erwirbt. (...). Unter formalen Aspekt tritt ein Verlust an syntaktischer Unabhängigkeit und morphologischer Unterscheidbarkeit von anderen Elementen des gleichen Paradigmas ein; außerdem wird das Vorhandensein des grammatikalisierten Elements mehr und mehr obligatorisch bei gleichzeitig wachsender Abhängigkeit von bzw. phonologischer Anpassung an eine andere (autonome) sprachliche Einheit. Dieser Prozeß [sic] wird begleitet vom allmählichen Schwinden phonologischer Merkmale im segmentalen und suprasegmentalen Bereich, sein absoluter Endpunkt ist in der Regel >>zero phonological content<<“

Diese Definition unterscheidet sich von den zwei vorhergehenden vor allem in der Prämisse, dass der Grammatikalisierung ein Prozess zu Grunde liegt bei dem eine Einheit von einem autonomen Status zu einem abhängigen Status gelangt.

Für die folgende Analyse wird eine Symbiose der Definitionen von (HR) und (HCH) angesetzt, bei der eine Formfunktionseinheit einem Prozess unterliegt, in dessen Verlauf bestimmte Phänomene zu beobachten sind. Eine ausführliche Darstellung der beobachtbaren Phänomene, die die Grammatikalisierung einer Einheiten konstituieren, findet sich in Heine,Reh (:67) „Thus, the more grammaticalization processes a given linguistic unit

undergoes,

(1) the more does it lose in semantic complexity, functional significance and/or expressive value;
(2) the more is the number of members belonging to the same category or paradigmatic set reduced (…);
(3) the more does it lose in pragmatic significance and gain in syntactic significance;
(4) the more does its syntactic variability decrease, i.e., the more does its position within the clause become fixed;
(5) the smaller is the number of other linguistic units combining with it;
(6) the more does its use become obligatory in certain contexts and ungrammatical in others;
(7) the more does it coalesce phonetically, morphosyntactically and semantically with other units;
(8) the more does it lose in phonological substance;
(9) the more is its morphophonological status affected by the following

evolution: allophony > allomorphy > suppletion.”

1.3. Einführung in das Thema dieser Arbeit

Erstmals hat Klingenheben in seiner Arbeit „Die Tempora Westafrikas und die semitischen Tempora„ (1929) eine Beschreibung des Aspektsystems oder „Aktionsarten“ in der damals noch hamitisch genannten Sprachfamilie anhand der Hausa-Sprache vorgestellt. Seitdem sind viele Artikel erschienen, die verschiedene Punkte der verbalen und verbonominalen Paradigmen in verschiedenen tschadischen Sprachen vergleichen, und versuchen eine historische Kontinuität der heute beobachtbaren Formen und Funktionen herzustellen. Dabei sind mehrere kontroverse Interpretationen aufgetreten, die in erster Linie die Genese heutiger Formen der Aspektmarkierung betreffen, außerdem die Vielfalt der beobachtbaren morphophonologischen Formen und Funktionen der einzelnen Paradigmen und ihre historische Rekonstruktion und Herleitung. Das Hausa nimmt dabei eine Sonderstellung ein, nicht nur was seine Konstruktion der einzelnen Paradigmen betrifft, sondern auch bezüglich seiner Stellung der am häufigsten und ausführlichsten beschriebenen Sprache. Zur historisch-komparativen Diskussion der verschiedenen Kategorisierungen des Hausaaspektsystems siehe Wolff (1991) Jungraithmayr (1983) und Newmann,Schuh (1974) (siehe aber auch Parson (1965) und Gouffe (1963/66) zur synchronen Beschreibung des Hausa- Verbalsystems).

In der Rekonstruktion des tschadischen Aspektsystems tritt die erste Kontroverse bei einzelnen Autoren in der Verortung des Grundaspektes und der Rekonstruktion protosprachlicher Kategorien auf. Jungraithmayr (1977a:83,1966b:232) macht im tschadischen System eine grundlegende, binäre Opposition Perfektiv; -i/-e vs. Imperfektiv; -a als rekonstruierbar aus und nimmt eine Ausdifferenzierung des Imperfektiv in 1. Punktualis (inklusive Aorist und Jussiv) und 2. durativ (Progressiv) bei marginaler heutiger Nutzung des Perfektiv an. Entsprechend schreibt er in seinen komparativen Arbeiten von einem historischen Paradigma, dem: „…Aorist-Subjunctive with its mixed Indicative-Mood character [which] still reflects an originally unfolded state of development...“ (1966b:228ff,1968:22), aus dem sich ein narratives und ein modales Paradigma entwickelt hätten. Newmann,Schuh (1974:7) stimmen in ihren Analysen Jungraithmayr zu, rekonstruieren allerdings neben der Opposition Perfektiv vs. Imperfektiv zusätzlich zwei unmarkierte Paradigmen; einen Grundaspekt und einen Subjunktiv. Wolff (1984:225:227) lehnt eine aspektuell binäre Opposition für das Prototschadische ab und geht von zwei historischen Verbalstämmen nebst einem nominalem Stamm aus, wobei der modale Verbstamm (Subjunktiv) durch ein Auslaut -i gekennzeichnet gewesen sei. Darüber hinaus nimmt er für das Prototschadische einen Aorist (oder Grundaspekt) an, der neben dem morphologisch markierten Subjunktiv (oder Jussiv) existierte, durch Zero gekennzeichnet war und im Laufe der Entwicklung mit diesem zusammengefallen sei. Und rekonstruiert aufgrund seiner Daten aus dem Biu-Mandara Zweig den Zusammenfall eines verbonominalen Aspektstammes mit einer Pluralstammformation, die beide das Element -a- aufwiesen. Erst aus dieser Entwicklung soll sich laut Wolff ein Imperfektiv-Stamm gebildet haben (1991:173ff:176, 1984:227:228f). Schuh (1976:6-10) rekonstruiert er für das Prototschadische drei distinktive Verbalstämme: einen vokalisch distinktiven, lexikalischen Stamm, einen Subjunktiv-Stamm mit Auslaut -i und einen Imperfektiv-Stamm der Form CaCa und nimmt zumindest für das Daffo an, dass Grundaspekt und Perfektiv “...probably developed from a single proto-form“.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Grammatikalisierung im tschadischen Aspektsystem
Hochschule
Universität Hamburg
Note
2
Autoren
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V109431
ISBN (eBook)
9783640076123
Dateigröße
408 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Grammatikalisierung, Aspektsystem, tschadische Sprachen
Arbeit zitieren
A. M. Beigui (Autor:in)Schirin (Autor:in), 2005, Grammatikalisierung im tschadischen Aspektsystem, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109431

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