[...] Haugs ideologietheoretische Herangehensweise ist inspiriert von Antonio Gramsci, der in seinen "Kerkerheften" scharfe Kritik am damals herrschenden Ökonomismus im marxistischen Denken übte und stattdessen eine relative Selbständigkeit der ideologischen und kulturellen Bereiche gegenüber den ökonomischen Interessen konstatierte. Hierbei sah Gramsci deutlich, daß der Faschismus nicht nur durch Gewalt herrschte, sondern auch durch Selbstunterwerfung eines Teils der "sociata civile", der Kulturgesellschaft. Der zweite, vielleicht noch wichtigere Denkanstoß für Haug war Louis Althussers Werk "Ideologie und ideologische Staatsapparate". Althusser bestimmt hier das Subjekt - gemäß der französischen Bedeutung, die Unterworfensein und Autonomie vereint - als durch ideologische Anrufungen konstituiert, in welchen es sich ganz persönlich angesprochen, aufgefordert fühlt. Es wird dem Subjekt etwas vorgegeben, dem es sich unterwerfen, das es aber auch selbst, im eigenen Namen, ausführen muß. Etwas, was es sein soll - und dann aber auch selber ist. Während die Unterwerfung zumeist im Bewußtsein verblaßt und schließlich verschwindet, wird die Sache, für die das Subjekt mobilisiert wird, von ihm als sein Eigenstes erfahren und übernommen. Solch eine Anrufung hat also eine große motivierende Kraft, indem sie in diesem Doppelsinne (von Unterwerfung auf der einen Seite, Aktivierung auf der anderen Seite) ein Subjekt der Ideologie konstituiert. Man kann sich die vielleicht ein wenig deutlicher machen, wenn man an die alttestamentarischen Propheten denkt, die sich von Gott angerufen fühlten - oft noch bevor sie von ihm einen besonderen Auftrag empfingen. Diese Anrufungen veranlaßte sie dann aber auch - und bereitete sie darauf vor, jeden Auftrag bedingungslos zu übernehmen. [...]
Inhaltsverzeichnis
- Ideologie der gesunden Normalität und Ausrottungspolitiken
- Ideologische Subjektion
- Faschistische Ideologie und Evidenzproduktion
- Ideologische Vorbereitung der Ausrottungspolitik
- Zusammenhang ideologischer Kräfte und Klassenantagonismus
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Der Text analysiert Wolfgang Fritz Haugs Werk "Die Faschisierung des bürgerlichen Subjekts" und untersucht, wie das menschliche Bedürfnis nach Sicherheit und Anerkennung in den Wunsch nach Vernichtung umschlagen kann. Haugs ideologietheoretische Analyse des deutschen Faschismus steht im Mittelpunkt.
- Ideologische Subjektion und die Konstitution von Subjekten im Faschismus
- Die Rolle von Evidenzproduktion und der Vernetzung ideologischer Elemente
- Die faschistische Artikulation von Macht und Herrschaft im Gesundheits- und Rassendiskurs
- Die ideologischen Vorbereitungen der Ausrottungspolitik
- Der Zusammenhang zwischen ideologischen Kräften und Klassenantagonismus
Zusammenfassung der Kapitel
Der Essay beginnt mit einer Einführung in Haugs Arbeit und dessen zentrale These: die Konstitution von Subjekten durch ideologische Anrufungen im Faschismus. Es wird Haugs methodischer Ansatz erläutert, der von Gramsci und Althusser inspiriert ist. Anschließend wird die These der Evidenzproduktion und die Vernetzung ideologischer Elemente im Faschismus detailliert beschrieben. Das Kapitel über die ideologischen Vorbereitungen der Ausrottungspolitik beleuchtet die Mechanismen der Minderwertigkeits- und Hochwertigkeitszuschreibungen. Ein weiterer Abschnitt untersucht den Zusammenhang zwischen den ideologischen Kräften und dem Klassenantagonismus in der kapitalistischen Gesellschaft.
Schlüsselwörter
Ideologische Subjektion, Faschismus, Ausrottungspolitik, gesunde Normalität, Evidenzproduktion, Gramsci, Althusser, Gesundheitsdiskurs, Rassendiskurs, Klassenantagonismus, Selbst-Psychiatrisierung.
- Quote paper
- Dr. phil. Walter Grode (Author), 1988, Über die Ideologie der gesunden Normalität und die Ausrottungspolitiken im deutschen Faschismus, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109447