Kommentar zur Metaphysik der Sitten


Hausarbeit, 2003

32 Seiten, Note: 14 (v.18)


Leseprobe


INHALTSVERZEICHNIS

1. Einleitung: Immanuel Kant - Leben und Werk

2. Die Metaphysik der Sitten
2.1. Von der Einteilung einer Metaphysik der Sitten
2.2. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten
2.2.1. Pflicht
2.2.2. Recht oder Unrecht
2.2.3. Verschuldung oder Verbrechen
2.2.4. Natürliche oder positive Gesetze
2.2.5. Die Maxime
2.2.6. Der kategorische Imperativ
2.2.7. Das Gesetz
2.2.8. Die Zurechnung
2.3. Einleitung in die Rechtslehre
2.4. Vom Straf- und Begnadigungsrecht

3. Zusammenfassung

4. Literaturverzeichnis

“Zwei Dinge erfüllen das Gemüt mit immer neuer und zunehmender Bewunderung und Ehrfurcht, je öfter und anhaltender sich das Nachdenken damit beschäftigt: Der bestirnte Himmel über mir, und das moralische Gesetz in mir.”1

1. Einleitung: Immanuel Kant - Leben und Werk

Kant wurde im Jahr 1724 in Königsberg, damals preußisches Reich, geboren. Er wurde im Jahr 1770 Professor an der gleichen Universität, in der er sein Philosophie-, Naturwissenschafts- und Mathematik-Studium abgelegt hat, der Universität Königsberg. Man kann nicht sagen, dass er ein lebendiges Leben hatte, nicht von einem Mann, der seine Stadt nie verlassen hat. Er führte ein ereignisarmes und geregeltes Leben. Man sagt von ihm auch, dass er ziemlich methodisch gewesen war. Im Jahr 1804 stirbt Kant, ebenso in Königsberg2.

Die Zeit, zu der Kant seine Ideen entwickelt hat, war in Frankreich die Zeit der französischen Revolution (1789), in Preußen die Epoche der Regierung Friedrichs des Grossen (1740-1786). In der Philosophie wurde Kant von Hume (1711-1776) und Rousseau (1712-1778) beeinflusst, aber auch von Christian Wolffs, vor allem von dessen Methode3. Sein Werk selbst wird die späteren Zeiten massgebend beeinflussen. Heutzutage spricht man über einen Neukantianismus in der Philosophie.

Kants gesamte Werk hat vielfältige Inhalte. Man kann sie in zwei bestimmte Zeiten aufteilen: vorkritische und kritische Zeit. In seiner vorkritischen Periode beschäftigte er sich mit naturwissenschaftlichen Problemen. Die kritische Zeit basiert auf 3 von seinen berühmten philosophischen Werken: sein Durchbruchswerk ‘Die Kritik der reinen Vernunft’ (1781), ‘Die Kritik der praktischen Vernunft’ (1788) und ‘Die Kritik der Urteilskraft’ (1790). Über diese kritische Zeit hat er selbst geschrieben in der Vorrede der erste Auflage der Kritik der reinen Vernunft:

“Unser Zeitalter ist das eigentliche Zeitalter der Kritik, der sich alles unterwerfen muss. Religion, durch ihre Heiligkeit, und Gesetzgebung durch ihre Majestät, wollen sich gemeiniglich derselben entziehen. Aber alsdann erregen sie gerechten Verdacht wider sich und können auf unverstellte Achtung nicht Anspruch machen, die die Vernunft nur demjenigen bewilligt, was ihre freie und öffentliche Prüfung hat aushalten können.”

Kritik leitet sich aus dem griechischen Wort krinein ab und bedeutet Untersuchung, Prüfung. Kritik der reinen Vernunft, so wie Kant sich dies vorstellt, soll man verstehen als die Überprüfung aller Erkenntnis, unabhängig von aller Erfahrung (darum reine).

Die erste wichtige Frage in Kants Werk bezieht sich auf das Wissen. Er versucht zu verstehen, was man weiß und was man überhaupt wissen kann. Wahre Erkenntnis wäre nur im Zusammenwirken von Sinnlichkeit und Vernunft möglich. Die zweite wichtige Frage ist das Problem der Moral, wobei Kant verstehen will, was man machen soll in Bezug auf andere Menschen aber auch auf sich selbst. Hier findet man den Versuch Recht wissenschaftlich zu begründen, da er mit der Rechtsidealistischen, Rechtstheologischen und Naturrechtlichen Erklärung nichts anfangen konnte.

Eigentlich ist das, was Kant als Wissenschaft bezeichnet, etwas ganz anderes als die Zeit vor ihm. Was Rechtswissenschaft anbelangt, versucht er eine nicht-empirische Begründung des Rechts zu erreichen. Die Empirie für ihn verpflichtet zu nichts.

Kant hat, wie er selbst sagte, die kopernikanische Wendung gemacht in der Erkenntnislehre. Diese Revolution besteht darin, dass anstatt anzunehmen, dass sich das Bewusstsein nach dem Objekt richtet (das man kennen möchte), und sich dadurch das Bewusstsein verbessert, sich die Gegenstände der Erkenntnis nach dem Bewusstsein richten. Das heisst, das Wissen a priori und nicht das Wissen a posteriori soll überhaupt die Erkenntnis ermöglichen.

A priori bedeutet von vornherein und kommt von dem lateinischen Wort prior, das “früher” heisst. Der Begriff de a priori in Kants Werk will bezeichnet unabhängig von aller Erfahrung. Dagegen bedeutet a posteriori im Nachhinein und kommt von dem lateinischen Wort post, das “nach” heisst. Dieser Begriff bedeutet für Kant, dass die Erkenntnis nur nach einer Erfahrung möglich ist. Als Erfahrung versteht er eine kontinuierliche Zusammenfügung (Synthesis) der Wahrnehmungen. Die beiden Voraussetzungen, damit die Erkenntnis a priori passieren kann, sind, dass sie allgemein und notwendigerweiser gelten muss.

Darum verwirft er alle empirische Rechtsbegründung. Eine Rechtsbegründung muss wissenschaftlich gesichert und wahr sein und das wird durch Erfahrung nicht sichergestellt. Hier ein Hinweis darauf aus der Kritik der reinen Vernunft:

“… in Ansehung der” (moralischen und rechtlichen) “Gesetze… ist Erfahrung (leider) die Mutter des Scheins, und es ist höchst verwerflich, die Gesetze über das, was ich tun soll, von demjenigen herzunehmen, oder dadurch einschränken zu wollen, was getan wird.”4

Wichtig ist für Kant zwischen Sein und Sollen zu unterscheiden. Aus dem Leben (Erfahrung/das Sein) darf nicht eine universelle Regel (das Sollen), Gebot oder Verbot, abgeleitet werden.

Die Wahrheit, die durch diese wissenschaftliche Erkenntnis festgestellt wird und nur so gesichert wird, muss befolgt werden. Weil das Recht eine solche Wahrheit enthält, muss es befolgt werden. Die Durchsetzung des Rechts ist nur mit Zwang möglich. Der Begriff des Rechts enthält also den Begriff von Zwang. Solcher Zwang ist ein Beweis der reinen Vernunft, wenn Kant über Recht spricht:

“Recht und Befugnis zu Zwingen bedeuten also einerlei.”5

Nach dieser Einleitung von allgemeinen und wichtigen Aspekten von Kants Werk, kann eine Zusammenfassung und ein Kommentar zu einem Teil des Werkes “Die Metaphysik der Sitten” dargestellt werden.

2. Die Metaphysik der Sitten

Um dieses Thema zu behandeln muss man das Konzept der Metaphysik in der Philosophie verstehen.

Im Lexikon findet man, dass es der Metaphysik “um das Wissen vom Seienden in der Seiendheit, indem sie nach dem Grund für Seiendes, Wesen, Denken und Erkennen fragt” geht.

Der Begriff “Metaphysik” kommt aus dem Griechen “Meta” (“nach”) und “Physis” (“die Natur”). Daraus folgt, dass Metaphysik “die Wissenschaft bezeichnet, die über die Physik hinausgeht.”6

Die wesentliche Frage der Metaphysik aller Zeit ist, ob es im Sein im weiteren Sinn eine Gesetzmässigkeit gibt (ausser in der Natur, wie die Gesetze, dass eine Frucht zu Boden fällt und nicht nach oben). Viele Philosophen und Philosophien versuchten diese Frage zu beantworten (die Antwort der Religion auf diese Frage lautet Gott).

“Von metaphysicher Behauptung ist die Welt satt”. So hat Kant gedacht und nach diesem Gedanken seine Lehre und seine Werke orientiert. Er stellte die gesamte Metaphysik vor seiner Zeit als dogmatisch und unkritisch dar. Sein metaphysischer Ansatz ist sichere Kriterien herauszufinden, anhand derer man die Scheinvernunft von der Wahrheit unterscheiden kann.7

Kants Werk “Die Metaphysik der Sitten” kann in zwei Teile unterteilt werden: Rechts- und Tugendlehre. Von der Rechtslehre behauptet er, dass das Recht nicht ein Form der Macht sein sollte, sondern aus der Vernunft abgeleitet werden muss. Die Verbindlichkeit aller Rechtsregeln ergibt sich also aus einer metaphysischen, rein vernünftigen, von Willen und Subjektivität unabhängigen Begründung (der kategorische Imperativ, s. unten).

Wie viele anderen Philosophen, die sich mit Metaphysik beschäftigten, hat Kant

geglaubt den richtigen Weg für die Ethik gefunden zu haben. Dieses Thema behandelt er in “Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten”, in “Die Kritik der praktischen Vernunf” und in “Die Metaphysik der Sitten”. Es gibt sogar Leute, die behaupten die “Kritik der reinen Vernunft” nur eine Vorbereitung für seine Ethik sei.

Nach seiner Ethik soll der Mensch mit Hilfe seiner Vernunft ein sittliches Verhalten haben nach einem sittlichem Gesetz (auch gennant praktisches oder moralisches Gesetz). Einfach gesagt, nach Kants Ethik zu handeln ist dem Gesetz zu gehorchen. Wie später vorgestellt wird, muss dieses Gesetz einen kategorischen Imperativ enthalten um überhaupt moralisch genannt werden zu können.

2.1. Von der Einteilung einer Metaphysik der Sitten

Zunächst stellt Kant seine Definitionen der wesentlichen Begriffe des behandelten Themas vor:

Alle Gesetzgebung hat zwei Teile: ein Gesetz und eine Triebfeder. Es ist für die Erklärung dieser Begriffe nicht wichtig ob die Gesetzgebung eine innere oder eine äussere Handlung bezeichnet oder ob diese Handlungen sich aus der a priori Vernunft oder aus einer willkürliche Entscheidung ergeben.

Das Gesetz (erster Teil der Gesetzgebung) beschreibt alle Handlungen die geschehen sollen. Dieses ‘Sollen’ ist eine objektive Vorschrift von Handlungen, die jede Person zur Verwirklichung dieser Vorschrift verbindet (z. B., alle schriftlichen und veröffentlichten Gesetze einer Rechtsordnung - obwohl Kant hier nichts über die Publizität der Gesetze sagt). Das heisst, jeder ist verpflichtet diesen beschriebenen Handlungen zu folgen; diese Handlungen sind Pflicht. Sie sind aber noch nicht Pflicht für das Subjekt: sie sind also als Pflicht vorgestellt, aber das Subjekt muss diese Handlung als Pflicht akzeptieren, dafür braucht es eine Triebfeder.

Das Gesetz muss aber auch der Sitte der Menschen entsprechen, sonst würde kein

Mensch die Gesetze beachten, obwohl sie als Pflicht dargestellt sind. Deswegen als zweiter Teil der Gesetzgebung ist die Triebfeder notwendig. Sie ist ein innerer Antrieb jeder Person, der die Gesetze für diese Person (in ihrer inneren Subjektivität) zur Pflicht macht. Durch die Triebfeder wird die Verbindlichkeit eine bestimmte Handlung haben zu müssen, das objektive Gesetz, also, mit der willkürlichen, Überzeugung des Handelnden (seiner Subjektivität) verbunden.

In Hinblick auf die Triebfedern kann man die Gesetzgebung in ethische oder juridische Gesetzgebung unterteilen.

Die ethische Gesetzgebung macht aus einer Pflicht für eine Handlung (aus dem objektiven Gesetz) zugleich eine Triebfeder für eine Handlung (sozusagen eine Selbstpflicht so zu handeln). Die Idee der Pflicht, die jemand hat, ist die Triebfeder zur Handlung. Die Idee der Pflicht soll nach Kant verstanden werden als die Einstellung einer Person, ihre Gründe und Überzeugungen, dass eine Handlung zur Pflicht gemacht werden muss.

Die juridische Gesetzgebung macht aus einer anderen Idee die Triebfeder zur Handlung. Das heisst, es gibt hier eine Trennung zwischen dem, was einer für sich selbst als Idee der Pflicht hat und was Pflicht objektiv ist. Hier ist im Gegensatz zur ethischen Gesetzgebung nicht die Idee der Pflicht die Triebfeder zur Handlung, sondern der äussere Zwang. Das heisst, auch wenn die Person nicht selbst überzeugt ist (keine Idee der Pflicht hat), dass sie so handeln muss, muss sie gezwungen werden. Der Zwang ist für Kant die Triebfeder der juridischen Gesetzgebung.

Die Fragen, die daraus entstehen, sind: ob die Menschen eine gleiche Ethik (ethische Gesetzgebung / Idee der Pflicht) haben oder überhaupt haben können? Können Menschen zu ethischer Handlung verpflichtet werden? Kant selbst beantwortet diese Frage in seinen Werken. Wenn seiner Meinung nach eine gesamte Ethik nicht möglich wäre, hätte seine Mühe keinen Sinn eine Theorie der Ethik (oder eine Metaphysik der Sitten) aufzustellen.

Die gleiche Ethik ist nur möglich, wenn die Menschen ihre Maxime nach dem moralischen Gesetz aufbauen. Das heisst, wenn die Handlung der Menschen nach einigen Prinzipien gemacht wird, die im Einklang mit dem moralischen Gesetz stehen. Dieses moralische Gesetz ist nach Kants Definition ein Gesetz, das im wesentlichen den kategorischen Imperativ enthält.

Personen können nur zu ethischen Handlungen verpflichtet werden, dass heisst von aussen gezwungen werden so zu handeln, wenn die Regeln der ethischen Gesetzgebung den Regeln der juridischen Gesetzgebung entsprechen. Dies ist so, weil die Triebfeder der ethischen Gesetzgebung die Idee der Pflicht ist , also die Idee, die eine Person für sich selbst als Pflicht versteht. Die juridische Gesetzgebung dagegen hat den Zwang als Triebfeder. Sind beide gleich, kann von einer Verpflichtung ethisch zu handeln gesprochen werden.

Diese Ethik würde nach Kant herrschen, wenn für alle Menschen die Vernunft Vollmacht über ihre Willen und nicht über ihre Neigungen hätte.

Zum besseren Verständnis dieser Antwort, müssen die Begrifflichkeiten Kants erklärt werden.

Eine Handlung kann mit einem Gesetz übereinstimmen oder nicht. Hier ist völlig gleichgültig, auf welcher Triebfeder diese Handlung beruht. Wenn die Handlung mit einem Gesetz übereinstimmt, spricht man von Legalität oder Gesetzmässigkeit. Wenn aber die Idee der Pflicht, die einer hat, zur Triebfeder einer Handlung gemacht würde, so nennt man dies Moralität oder Sittlichkeit. Es ist aber nicht ausgeschlossen, dass eine moralische Handlung, das heisst, eine Handlung, die durch die Idee der Pflicht gemacht wurde, auch mit einem Gesetz, das den Zwang als Triebfeder hat, übereinstimmt.

In der juridischen Gesetzgebung, können die Pflichten nur äusserliche sein. Die Rechtsordnung (objektiver Teil der Gesetzgebung) hat keine Macht die Pflicht zur innerlichen Triebfeder, also zur Idee der Pflicht des Handelnden (subjektiver Teil der Gesetzgebung) zu machen. Darum können diese Pflichten nur äusserlich sein. Die ethische Gesetzgebung ist diejenige, die eine Pflicht internalisieren kann und

dadurch die Idee der Pflicht zur Triebfeder der Handlung macht. Das passiert im Inneren der Person, keine äussere Macht hat die Fähigkeit dies zu bewirken.

Die ethische Gesetzgebung verpflichtet jemanden Handlungen zu machen, die völlig unabhängig sind von Handlungen, die von der äusserlichen Gesetzgebung vorgeschrieben sind, jedoch ohne die äusseren Handlungen auszuschliessen. Die ethische Gesetzgebung ist eine innere Gesetzgebung, bestimmt durch die Willkür des Handelnden, weil hier die Idee der Pflicht (Triebfeder so zu handeln) selbst zu dieser ethischen Rechtsordnung (Gesetzgebung) gehört.

Das Halten eines in einem Vertrag gegebenen Versprechens, weil der andere Teil mich kraft des Gesetzes dazu zwingt (pacta sunt servanda), gehört nicht zur Ethik sondern zum Jus. Das ist so, weil die Triebfeder die zur Handlung motiviert, in diesem Fall der Zwang ist und nicht allein die Idee der Pflicht. Aber, wenn die Triebfeder so zu handeln (was versprochen wurde, muss gehalten werden) nicht der äussere Zwang war, sondern die Idee der Pflicht, dann kann man diese Handlung als ethische Handlung einordnen. Die ethische Gesetzgebung kann somit nicht äusserlich sein, weil eben durch die subjektive (innere) Willkür der Person entschieden wird, welche Handlungen als Pflichten aufgenommen werden und welche nicht. Die juridische Gesetzgebung kann äusserlich sein.

Der Unterschied zwischen Rechtslehre und Tugendlehre liegt nach Kant nicht in der Verschiedenheit der Pflichten, sondern in der Verschiedenheit der Gesetzgebung. Mit anderen Worten, es hängt davon ab, ob man die Idee der Pflicht (ethische Gesetzgebung) oder den Zwang (juridische Gesetzgebung) als Triebfeder eingesetzt hat. Wenn jemand ein Verprechen hält, weil er selbst denkt, dass man dies so machen muss, wenn er also seine ethische Gesetzgebung beachtet, dann kann man von Tugendlehre sprechen. Das Gegenteil, aber, wenn jemand so handelt, weil er dazu von aussen gezwungen wird, ohne dass seine Idee der Pflicht ihn beeinflusst, dann spricht man von Rechtslehre. Je nachdem welche Triebfeder man also braucht um eine bestimmte Handlung zu haben von Tugend oder Recht gesprochen wird.

2.2. Vorbegriffe zur Metaphysik der Sitten

2.2.1. Pflicht

Pflicht wird definiert als die Handlung, zu welcher eine Person verbunden ist. Es kommt nicht in Frage wie die Person auf diese Pflicht gekommen ist, also, wie sie sich verpflichtet gemacht hat; nur weil, es Pflicht ist, ist diese Person so gebunden, dass sie einer Vorschrift folgen muss. Die Pflicht ist die Materie der Verbindlichkeit, das heisst, wozu man verbunden ist (was getan werden muss).

In einem anderen Werk “Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten” beschreibt Kant die Pflicht als “die Notwendigkeit einer Handlung aus Achtung fürs Gesetz”. Gesetz ist hier als das moralische Gesetz (Sittlichkeit) zu verstehen.

Kant erklärt noch den Unterschied zwischen einer Erlaubten Handlung und einer Unerlaubten Handlung, weiterhin die Definition der Befugnis. Jede Handlung ist erlaubt (licitum) soweit sie nicht der Verbindlichkeit entgegen ist. Das heisst, eine Handlung, die kein Gebot oder Verbot enthält, ist erlaubt. Unerlaubt (illicitum) ist eben, was nicht erlaubt ist. Die Befugnis (facultas moralis) ist die Freiheit so zu handeln, wenn kein kategorischer Imperative das Gegenteil vorschreibt.

Kant unterscheidet Handlungen in pflichtmässige Handlungen und Handlungen aus Pflicht. Dieser Unterschied liegt nicht in die Folge der Handlung, eher in den Prinzipien (Maxime) der Person, nach denen die Person handelt.

Eine pflichtmässige Handlung ist einschlägig, wenn man von der Triebfeder dieser Handlung (ihre Gründe) ableiten kann, dass die Person so gehandelt hat, weil sie selbst eine unmittelbare Neigung haben könnte, oder in “selbstsüchtiger Absicht” gehandelt hat, wie Kant in “Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten” beschreibt. Es gibt also einen anderen Grund so zu handeln, der nicht allein die Idee der Pflicht selbst ist. Vor allem hat die Person einen Vorteil für sich gesehen durch diese Handlung. Ein Beispiel dafür ist Ehrlichkeit aus Angst vor Strafe. Weil die Person aus Neigung gehandelt hat und nicht aus Pflicht, haben pflichtmässige Handlungen keinen sittlichen Wert.

Im Gegensatz dazu besitzendie Handlungen aus Pflicht alle moralischen Wert. Diese Handlung haben als Motor die Maxime des Handelnden, die, wie später erklärt wird, in Übereinstimmung mit dem moralischen Gesetz sein muss, das den kategorischen Imperativ enthält. Die Person, die aus Pflicht handelt, ist ehrlich, nicht weil sie Angst vor einer Strafe hat, sondern weil sie das Sittengesetz beachtet.

2.2.2. Recht oder Unrecht

Die Pflichtmässigkeit oder Pflichtwidrigkeit einer Tat (factum licitum aut ilicitum) definiert Recht oder Unrecht (rectum aut minus rectum). Es ist völlig gleichgültig, von welcher Art diese Pflicht ist. Übertretung (reatus) ist die Definition einer pflichtwidrigenTat.

Kant definiert Tat als eine Handlung, durch welche der Handelnde als Urheber der Wirkung dieses Aktes zugerechnet wird. Durch diese Zurechnung entsteht die Verbindlichkeit und dadurch die Verantwortung. Person wird als das Subjekt definiert, dessen Handlung zurechnungsfähis ist, das heisst, das Wesen das eine Tat begehen kann oder nicht.

2.2.3. Verschuldung oder Verbrechen

Eine unvorsätzliche Übertretung (unabsichtliche pflichtwidrige Tat), die zugleich zugerechnet werden kann wird als Verschuldung (culpa) definiert. (Wenn jemand etwas macht (eine Tat), das als Unrecht bezeichnet werden kann und gleichzeitig für diese pflichtwidrige Tat eine Person verantwortlich gemacht werden kann). Eine vorsätzliche Übertretung ist, im Gegensatz dazu, verbunden mit dem Bewusstsein, dass diese Tat eine Übertretung ist, ein Verbrechen (dolus). Hier ist vorausgesetzt, dass die Person, die diese Tat begeht, bewusst weiss, dass diese Tat ein Verbrechen ist. Eine Tat ist nach äusserem Gesetz gerecht oder ungerecht (iniustum) je nachdem ob sie Recht oder Unrecht ist.

2.2.4. Natürliche oder positive Gesetze

“Das Verhältnis des Naturrechts zum positiven Recht gehört zu den in der Kantliteratur am häufigsten behandelten, aber bis heute nicht ausdiskutierten Problemen der Rechtslehre.”8

Kant unterscheidet zwischen Gesetzen, die verbinden, und solche die nicht verbinden. Die nicht verbindenden Gesetze sind innere Gesetze, das heisst durch keinen äusseren Zwang kann dieses Gesetz durchgesetzt werden. Die Durchsetzung der nicht verbindenden (inneren) Gesetze ist eine innere Angelegenheit der Person.

Die verbindenden Gesetze sind äusserliche Gesetze (leges externae), da sie einen Zwang als Triebfeder haben. Unter diesen Gesetzen stehen die natürlichen und die positiven Gesetze.

Die natürlichen Gesetze sind äussere Gesetze, die durch die Vernunft erkannt werden können. Die Verbindlichkeit der natürlichen Gesetze ist nicht unbedingt von einer äusseren Gesetzgebung abhängig.

Im Unterschied dazu brauchen positive Gesetze unbedingt eine äusserebrauchen um verbinden zu können, das heisst, um überhaupt Gesetz zu sein. Sie definieren sich damit, dass sie ohne eine äussere Gesetzgebung nicht verbinden können.

2.2.5. Die Maxime

Ursprünglich aus dem Lateinischen abgeleitet (maximae propositiones: Höchste Aussage), bezeichnet die Maxime ein Prinzip des Wollens und zwar ein subjektives Prinzip des Wollens.

Eine Maxime ist eine Regel, die zum Prinzip gemacht wird. Diese Regel ist die Regel eines Handelnden (darum subjektiv), der er sich selbst unterwirft und die er aus eigenen subjektiven Gründen zum Prinzip macht.

Maxime bedeutet also nach einem subjektiven Prinzip zu handeln. Die Person selbst entscheidet nach ihrem Willen, was für Prinzipien ihre Handlung regieren.

Die Sittlichkeit (moralitas) ist die Übereinstimmung einer Maxime der Handlung mit dem Gesetz. Was man hier nach Kant unter dem Gesetz verstehen soll, ist nicht das objektive juridische Gesetz, sondern das moralische Gesetz. Später wird Kant das Gesetz formulieren als einen moralischpraktischen Satz, der einen kategorischen Imperativ enthält. Anders formuliert, eine Handlung durch eine Maxime ist nur moralisch, wenn sie nicht dem katogorischen Imperativ widerspricht.

Man könnte folgendermassen eine Pflicht von einer Maxime unterscheiden: Maxime: wie das Subjekt handeln will; Pflicht: wie das Subjekt handeln soll.

2.2.6. Der kategorische Imperativ

Imperativ ist nach Kant ein Gebot der Vernunft, etwas unbedingtes, das durch ein Sollen ausgedrückt wird.

Es gibt den kategorischen und den hypothetischen Imperativ. Eine Hypothese ist eine Annahme: “wenn morgen die Sonne scheint, dann gehe ich zum Strand”, sozusagen eine “wenn-dann” Formulierung. Der hypothetische Imperativ bezeichnet eine Handlung, die nur unter bestimmten Voraussetzungen geschehen wird. Der kategorische Imperativ dagegen betrifft nicht die Materie der Handlung, sondern bedingungslos (deshalb kategorisch) die Form und das Prinzip, das diese Materie haben wird.

Der kategorische Imperativ erklärt, was Verbindlichkeit überhaupt ist. So tautologisch es klingen mag, definiert Kant Verbindlichkeit als “die Notwendigkeit einer freien Handlung unter einem kategorischen Imperativ der Vernunft”.9

Der kategorische Imperativ stellt eine praktische Regel dar, die eine Handlung notwendig macht. Er kann ein Gebot (Begehung) oder ein Verbot (Unterlassung) sein, je nachdem was für eine Handlung er verbindlich macht. Diese notwendige Handlung ist objektiv-notwendig, abgesehen von allem Zweck (ausser natürlich diese Handlung als notwendig vorzustellen). Der kategorischen Imperativ erfüllt die zwei Voraussetzung des a priori (Allgemeinheit und Notwendigkeit) für das Handeln.

Kants Ethik hat den kategorischen Imperativ als Grundnorm. Nach dieser Ethik sollte man handeln und zwar immer nur nach einer Maxime, von der man gleichzeitig wollen kann, dass sie eine allgemeine Regel (Gesetz) wird. Das ist der kategorische Imperativ.

Die Wichtigkeit des kategorischen Imperativs besteht darin, dass er ein Prinzip darstellt, dass alle Leute anwenden können um mittels ihrer Vernunft (Selbstbestimmung der Vernunft) zu entscheiden, ob ihre Handlung zur Ethik gehört oder nicht, anders gesagt, ob sie sittlich oder unsittlich handeln. Wenn die Maxime des Handelnden mit dem kategorischen Imperativ vereinbar ist, dann ist dieses Prinzip zu handeln ethisch; das ist eine Handlung nach Sittlichkeit.

Letzlich ist jede Maxime, die dem katergorischen Imperativ entgegensetzt ist nicht moralisch. Das ergibt sich aus der Sittenlehre: man soll nach einer Maxime handeln, die auch als allgemeines Gesetz gelten kann. Der Mensch selbst soll nach Kant dieses überprüfen: für jede Handlung muss der Mensch überprüfen, ob sie nach ihren subjektiven Prinzipien (den Grundsätzen, die jemand für sich selbst aufgebaut hat, seine Maxime) sich auch für eine allgemeine Gesetzgebung qualifiziert, ob sie also auch einem allgemeinen Gesetz entspricht.

Anders formuliert: um eine Handlung einzuordnen in sittlich oder nicht sittlich, braucht man die Vernunft. Die Vernunft wird zu dieser Handlung (oder einfach zu der blossen Vorstellung einer Handlung) eine Maxime heranziehen (ein Prinzip so zu handeln ableiten) und dann überprüfen ob diese Maxime verallgemeinert werden kann (ob diese Maxime als allgemeines Gesetz gelten kann). Diese Überprüfung ist eine Überprüfung, ob diese Maxime mit dem kategorischen Imperativ vereinbar ist.

Wichtig ist für Kant, dass der Handelnde autonom handeln muss, das heisst, dass er selbst bestimmen muss, wie er handelt. Der Mensch kann nur dem kategorischen Imperativ gehorsam sein, wenn er seine Handlungen selbst bestimmen kann, wenn also er autonom handelt. Man kann auch sagen, dass diese Autonomie zu handeln die formelle Bedingung jeder Maxime ist (ohne welche er heteronom handelt und dadurch eigentlich nach Fremdbestimmung handelt und nicht nach einer seiner Maxime). Die Fähigkeit autonom zu handeln ist nur möglich, weil die Person ihre Freiheit (Willensfreiheit) ausübt.

Der Begriff “Willensfreiheit” steht im Gegensatz zur Natur, wobei dieser nicht die Natur ausschliesst. In der Welt der Erscheinung gibt es eine Naturkausalität (zum Beispiel Newtons Schwerkraftgesetz: was ich nach oben werfe, fällt unbedingt nach unten); in der vernünftigen Welt gibt es zudem etwas, das in der Natur nicht vorkommt: ein ethisches Sollen.

Dies verdeutlicht Kant durch ein Beispiel: um ein Leben zu retten gibt es kein Gesetz, das jemanden hierzu verpflichtet. Wenn jemand es spontan macht, stellt er ein (ethisches) Sollen dar, das von der Willensfreiheit umgesetzt wurde. Das Beispiel zeigt, dass die Notwendigkeit zu helfen nicht von der Natur vorgegeben wurde. Dies bedeutet, dass diese Notwendigkeit nicht die Natur als Ursache hat, sondern die Freiheit der Menschen (als Kausalität).

Hieraus ergibt sich, dass die Freiheit bezeichnet werden kann als etwas, das eine Handlung spontan anfangen lässt (somit die Kausalität als Freiheit). Die Freiheit jedoch lässt sich nicht beweisen, sie ist eine Annahme.

Die Menschen als “Zweck an sich” gehören auch zum kategorischen Imperativ.

Die Würde der Menschen ist von fundamentaler Bedeutung für Kant. Wenn die Menschen nur als Mittel ausgenutzt werden, dann wäre dies ein Verstoss gegen die sittliche Vernunft. In seinem Werk “Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten” ist dies beschrieben:

“Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als in der Person eines jeden anderen, jederzeit zugleich als Zweck niemals bloss als Mittel brauchst.”10

2.2.7. Das Gesetz

Gesetz ist ein Vorschrift, die einen kategorischen Imperativ enthält. Dieses Gesetz soll verstanden werden als ein moralisches Gesetz.

Das praktische oder moralische Gesetz ist der Maxime gegenüber gestellt. Während die Maxime dem subjektiven Prinzip des Wollens entspricht, ist das Gesetz das objektive Prinzip. In “Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten” erklärt Kant den Begriffe des praktischen Gesetzes:

“Das praktische Gesetz ist die Gesetzmässigkeit, die herrschen würde, wenn bei allen vernünftigen Wesen die Vernunft die volle Gewalt über unseren Willen hätte, und nicht unsere Neigungen!”11

Das heisst, wenn wir aus Pflicht handeln würden anstatt pflichtmässig zu handeln.

Der Gesetzgeber ist das Wesen, das die Gesetze macht. Er ist verantwortlich für die Verbindlichkeit des Gesetzes, somit der Urheber (Autor) dieser Verbindlichkeit. Nicht unbedingt aber wird der Gesetzgeber Urheber des Gesetzes. Das heisst, in diesem Fall ist das Gesetz (moralisches Gesetz) nur zufällig.

2.2.8. Die Zurechnung

Die Zurechnung (imputatio) ist in ihrer moralischen Bedeutung das Urteil, wodurch jemand als Urheber einer Tat (factum) angesehen wird. Diese Tat wird im Gesetz beschrieben. Einfach gesagt macht die Zurechnung jemanden (der Täter) für die Begehung einer Tat verantwortlich.

Der Richter ist die physische Person, die dieses Urteil machen darf, somit die Person, die die Befugnis hat zuzurechnen. Der Gerichtshof ist die andere Person, die die Befugnis zu urteilen hat. Im Gegensatz zu dem Richter (physische Person) ist der Gerichtshof (forum) die moralische Person.

Man sollte nach Kant unterscheiden zwischen meritum, debitum und demeritum, sowie poena und praemium:

Jede Person ist gezwungen zu tun oder zu unterlassen, was das Gesetz vorschreibt. Was jemand pflichtmässig (nicht mit dem Begriff “aus Pflicht” zu verwechseln) mehr tut als er nach dem Gesezt machen müsste, ist verdienstlich (meritum); was er nur gerade macht um diese Pflicht zu erfüllen, ist Schuldigkeit (debitum); was er weniger tut als von ihm gesetzlich verlangt wurde, ist Verschuldung (demeritum).

Je nachdem welche Handlung gemacht wurde, ergibt sich (mit ausnahme der Schuldigkeit) eine rechtliche Folge: Der Effekt einer Verschuldung ist die Strafe (poena); der einer verdienstlichen Tat die Belohnung (praemium).

Eine schuldige Handlung (Begehung oder Unterlassung) kann gute oder schlechte Folgen haben. Was Kant behauptet, ist, dass diese Folgen nicht dem Subjekt zugerechnet werden können (modus imputationis tollens). Die Befolgung eines Gesetzes (eine schuldige Handlung) wird nicht beurteilt. Weil die Person das Gesetz befolgt hat, wird diese Handlung weder bestraft noch belohnt. Diese Konsequenzen sind gleichgültig, soweit die Person ihre Verantworung vor dem Gesetz erfüllt hat (Schuldigkeit).

Im Gegensatz dazu können die guten Folgen einer verdienstlichen Handlung sowie auch die schlimmen Folgen einer unrechtmässigen Handlung dem Subjekt zugerechnet werden (modus imputationis ponens). Dies resultiert im ersten Fall in einer Belohnung, in zweiten in einer Bestrafung, beides so wie im Gesetz vorgesehen.

Der Grad der Zurechnungsfähigkeit (imputabilitas oder die Befugnis, jemanden für eine Tat verantwortlich zu machen) der Handlung ist subjektiv. Je mehr der Grund einer Handlung die Sittlichkeit ist und nicht die Pflicht, desto mehr wird die gute Tat zum Verdienst angerechnet. Das heisst, die Zurechnungsfähigkeit ist davon abhängig, was für einen Willen das Subjekt hat, wenn es handelt, und ob dieser Wille eher die Pflichtmässigkeit als Grund seiner Handlung hat oder die Pflicht.

Je weniger dagegen der Grund einer Handlung die Sittlichkeit ist und je mehr diese Handlung pflichtmässig gemacht wurde, desto mehr wird die Übertretung (Verschuldung) dem Subjekt zugerechnet. Das Subjekt kann eine Tat im Affekt oder mit ruhiger Überlegung verüben. Diese Unterschiedlichkeit der Handlung macht einen Unterschied in der Zurechnung, die Folgen hat.

2.3. Einleitung in die Rechtslehre

Die Grundlegung zur Metaphysik der Sitten und die Metaphysik der Sitten behandeln die Gegenstände der Rechtsphilosophie, also die Rechtslehre.

Kants Rechtsphilosophie kennt zwei Rechtsquellen: die Vernunft und den Willen des Gesetzgebers. Aus der Vernunft sollen Prinzipien a priori hervorgebracht werden; aus dem Willen des Gesetzgebers das positive Recht.

Vom Anfang an, bereits in seiner Einleitung in die Rechtslehre, versucht Kant die Begriffe zu definieren, die wichtig sein werden für die Erklärung seiner Rechtslehre.

Die Rechtslehre (ius) ist der Inbegriff der äusserlichen Gesetze. Da diese Gesetze äusserlich sind, ist diese Rechtslehre eine Lehre des positiven Rechts.

Ein Rechtsgelehrter (iusconsultus) heisst ein Rechtserfahrer, ein peritus, ein Experte, wie man heute definieren würde, in Rechtsfällen. Er ist ein erfahrener Rechtsgelehrter, der sich gut mit der Rechtsklugheit (iurisprudentia), mit der Rechtssprechung sozusagen, auskennt, nicht aber unbedingt mit der Rechtswissenschaft (iurisscientia).

Recht ist in der Definition von Kant eine Handlung, nach deren Maxime die Freiheit der Willkür des einen mit der Freiheit der Willkür des anderen nach einem allgemeinen Gesetz vereinigt werden kann. Diese Definition ist von seinem allgemeinen Prinzip des Rechts abgeleitet:

“Eine jede Handlung ist recht, die oder nach deren Maxime die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit nach einem allgemeinen Gesetze zusammen bestehen kann etc.”.12

Bis zu diesem Punkt hat sich Kant mit der ethischen Frage beschäftigt, in wieweit die Maxime des Handelnden mit dem sittlichen Gesetz in Einklang steht. Mit diesem rechtlichen Prinzip stellt er die Frage anders. Wie verträgt sich meine Freiheit (nach einer von mir ausgewählten Maxime zu handeln) mit der Freiheit des anderen?

Ein Recht entsteht nicht nur aus den willkürlichen Entscheidungen der Handelnden (Maxime). Diese Maxime muss zusätzlich die Freiheit der Willkür jedes Menschen vereinbar machen und den kategorischen Imperativ beachten. Das heisst, diese Maxime muss nach einem allgemeinen Gesetz aufgestellt werden.

Das allgemeines Prinzip des Rechts ist, anders formuliert: eine jede Handlung ist recht (vorausgesetzt, dass diese Handlung sich nach einer Maxime richtet), wenn nach dem Prinzip dieser Handlung (nach deren Maxime) die Freiheit der Willkür eines jeden mit jedermanns Freiheit zusammen bestehen kann (wenn also alle diese Freiheiten vereinbar sind) und diese Maxime nach einem allgemeinen Gesetz entsteht (sich also nach einem kategorischen Imperativ richtet).

Nach diesem Prinzip entsteht ein Unrecht, wenn jemand gehindert wird eine rechtliche Handlung auszuführen. Eine rechtliche Handlung ist eine Handlung nach einem Recht oder eine gerechte Handlung. Dieses Hindernis oder dieser Widerstand kann also mit der Freiheit nach allgemeinem Gesetz nicht bestehen. Letztlich ist ein Unrecht ein Hindernis der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen.

Jeder Mensch kann seine Freiheit bis zu dem Grade ausnutzen wie er die Freiheit der anderen nicht stört. Kant geht noch weiter: die Handlung, die diese Freiheit bestimmen wird, muss in Einklang sein mit dem Gesetz, das heisst, mit dem kategorischen Imperativ.

Ein Recht setzt als Folge einen Zwang zur Einhaltung des Rechtsvorschriftes voraus. Was würde ansonsten passieren, wenn die Freiheit des anderen, die den kategorischen Imperativ nicht befolgt hat, mit meiner Freiheit in Konflikt kommt? Jedes Recht hat de per se die Befugnis zu zwingen. Ein Unrecht behindert die Freiheit zu handeln (nach allgemeinem Gesetz); diese Freiheit wird einen Widerstand darstellen gegen dieses Hindernis, das ist der Zwang; mithin eine Verhinderung eines Hindernisses der Freiheit, wie Kant selbst definiert. Diese Definition ist aber noch nicht vollständig. Die Freiheit, die dieses Hindernis (Zwang) verhindern muss, soll auch mit der Freiheit nach allgemeinen Gesetzen übereinstimmen, sonst würde wieder um ein Unrecht entstehen. So ist der Zwang unmittelbar Bestandteil des Rechts, muss jedoch auch den Grundsatz beachten, dass ein Equilibrium der Freiheiten aller gewahrt bleibt indem aller Freiheit das allgemeine Gesetz beachtet.

Der Unterschied hier zwischen Rechtslehre und Tugendlehre ist eben die Triebfeder, die einer zur Handlung macht: die Idee der Pflicht (ethische Gesetzgebung) oder den Zwang (juridische Gesetzgebung).

Die Person handelt also nach einer ethischen oder juridischen Verpflichtung. Nach einer ethischen Verpflichtung handelt sie aus Pflicht in Beachtung des kategorischen Imperativs. Nach einer juridischen Verpflichtung handelt sie pflichtmässig in Beachtung des Rechtsgesetzes, weil, wenn sie nicht diesem Gesetz folgt, sie ansonsten dazu gezwungen wird.

Die Moralität des Rechts besteht darin, dass die freie Willkür unbedingt mit einem allgemeinen Gesetz übereinstimmen muss. Das heisst, ein Recht ist eine Regel die zuletzt auch dem kategorischen Imperativ unterworfen ist. Genau weil die Beachtung des kategorischen Imperativs notwendig ist, ist das Recht ein moralisches Recht. Es ist wichtig zu beachten, dass jemand, der diesem moralischen Recht folgt, dazu verschiedene Triebfedern haben kann: die Idee der Pflicht oder die Angst vor Strafe.

2.4. Vom Straf- und Begnadigunsrecht

Die Definition des Strafrechts bei Kant lautet: das Recht, das jemand hat, einen Verbrecher mit Schmerz zu belegen. Dieses Recht hat der Befehlshaber (jemand, der Macht genug hat um zu befehlen) gegen den Unterwürfigen (Leute, die diesen Befehlen folgen müssen).

Der Chef des Staates kann nach Kant nicht bestraft werden; ihm kann allenfalls seine Herrschaft entzogen werden. (Ist das aber nicht schon eine Strafe?).

Wer ein Verbrechen (crimen) begeht, ist nach Kants Straftrechtsphilosophie unfähig Staatsbürger zu sein.

Für das öffentliche Verbrechen (crimen publicum) ist das Kriminalgericht zuständig. Das Privatverbrechen liegt in der Zuständigkeit der Zivilgerichte. Hier erkennt man schon die Verteilung der “Jurisdiktion” nach der Qualität des Verbrechens.

Die Privatverbrechen sind als Veruntreuung bezeichnet, das heisst, jede Art von Betrug. Die Privatverbrechen haben diese Qualifikation, weil sie nur eine Person gefährden. Die öffentliche Verbrechen dagegen sind solche, die das Gemeinwesen gefährden. Sie sind von zweierlei Art: niederträchtiger Gemütsart (indolis abiectae) und gewälttätiger Gemütsart (indolis violentae).

Die Idee einer Einteilung der Verbrechen in öffentliche und private hat bereits Hobbes rund 145 Jahre früher vorgeschlagen:

“Da schliesslich bei fast allem Verbrechen ein Unrecht nicht nur einer Einzelperson, sondern auch dem Staat zugefügt worden ist, wird dasselbe Verbrechen, wenn es im Namen des Staates angeklagt wird, ein öffentliches Verbrechen, genannt, wenn die Anklage im Namen eines Privatmannes erhoben wird, ein Privatverbrechen genannt. Die entsprechenden Verfahren werden öffentliche Verfahren, iudica publica, Klagen der Krone oder aber Privatklageverfahren genannt.”13

Bei Beccaria findet man auch eine Einteilung der Verbrechen auf ähnliche Art und Weise:

“Einige Verbrechen zerstören unmittelbar die Gesellschaft oder denjenigen, der sie repräsentiert. Einige verletzen die persönliche Sicherheit eines Bürgers im Hinblick auf Leben, Vermögen oder Ehre. Andere wiederum sind Handlungen, die dem entgegenstehen, was jeder zu tun hat oder nicht zu tun verpflichtet ist im Hinblick auf das öffentliche Wohl.”14

Hobbes hat eher eine Verfahrenssicht für die Einteilung der Verbrechen in öffentliche und private. Es hängt davon ab, wer das Verfahren führt, ob der Staat (öffentliches Verbrechen) oder die private Person (Privatverbrechen). Für Beccaria ist es wichtig um die Verbrechen einzuteilen, wer durch das Verbrechen verletzt wurde, ob eine Person (ein Bürger) oder die Gesellschaft (unmittelbar oder durch Represäntation). Wie vorhergesehen ist die Klassifikation Kants der Beccarias ähnlicher, da er auch die Verbrechen je nachdem wer gefährdet wurde einteilt (eine Person oder das Gemeinwesen).

Die Strafen können nach Kant richterlich (poena forensis) oder natürlich (poena naturalis) sein. Die natürlichen Strafen (bezeichnet von Kant als Laster) sind nicht wichtig für den Gesetzgeber. Der Grund, warum ein Verbrecher richterlich bestraft wird, ist ausschliesslich, weil er ein Verbrechen begangen hat. Die richterliche Strafe also soll keine andere Anwendung finden und keinen anderen Grund haben als einen Verbrecher wegen seines Verbrechens zu bestrafen. Die richterliche Strafe soll nie als Mittel verwendet werden: weder als ein Mittel etwas Gutes für den Verbrecher zu fördern, noch als Mittel für die Gesellschaft. Die Person, die bestraft wird, soll vorher auch straffällig gewesen sein.

In diesem Punkt geht Kant tief in die Kernbegriffe seiner Ethik um auf die Schlussfolgerung zu kommen, dass der Mensch nicht als Mittel eines Zweckes ausgenutzt werden soll. Das ist vollkommen in Übereinstimmung mit seiner Theorie der Menschenwürde (in “Die Grundlegung der Metaphysik der Sitten”), ein Merkmal des kategorischen Imperativs: man soll bei jeder Handlung beachten, dass die Menschheit niemals als Mittel gebraucht werden darf, sondern immer als Zweck.

Das Strafgesetz für Kant ist ein kategorischer Imperativ. Es muss so sein, wenn man Kohärenz in seiner Theorie voraussetzt. Um moralisch genannt werden zu können muss also jede Regel einem allgemeinen Gesetz entsprechen und so ist es auch mit dem Strafgesetz.

Wie die Menschenwürde ist Gerechtigkeit für Kant von so hohem Wert, dass er zu sagen wagt, dass es bei Versagen der Gerechtigkeit keinen Sinn mehr gibt für den Menschen zu leben. Als Beispiel für einen Fall, in dem Gerechtigkeit untergeht, führt Kant den Spruch: “es ist besser, dass ein Mensch sterbe, als dass das ganze Volk verderbe”. Ein werteres Beispiel wäre ein Verbrecher, dass um seiner Strafe entgehen zu können, Ärzte erlauben würde mit ihm Experimente mit ihm zu machen. Diese Entscheidungen entsprechen eher eine utilitaristischen Ethik, in deren Sinne gut ist, was nützlich ist.

Kant verlangt, dass Bestrafung gerecht ist. Es ist ihm sehr wichtig dass Gerechtigkeit zum Prinzip der Bestrafung gemacht wird. Denn, stellt er sich die Frage, nach welchem Massstab sollte die Strafe gerichtet werden um gerecht zu sein? Dafür, antwortet er, ist es unbedingt notwendig das Prinzip der Gleichheit durchzusetzen.

Als Bildnis für das Gleichheitsprinzip zieht Kant die Waage heran, bei der zum Erreichen des Gleichgewichtes jede Seite das exakt gleiche Gewicht haben muss. Rechtlich heisst dies für ihn, dass jemand, der einem anderen eine Übeltat zufügt, sich selbst eine Übel tut.

Nur das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis: Auge um Auge, Zahn um Zahn) kann nach seiner Theorie die Qualität und Quantität der Strafe bestimmen, das heisst welche Strafe der Verbreche verdient und mit welche Intensität diese durchgesetzt werden soll. Dies ist laut Kant der einzige Weg zur reinen und strengen Gerechtigkeit. Keine private Person aber soll die Aufgabe übernehmen dieses

Wiedervergeltungsrecht durchzusetzen, sondern nur das Gericht, dass das einzige legitime Wesen hierfür darstellt.

In unserer Zeit, wo die Strafrechtsphilosophie die Strafe als Präventionsmittel sieht, klingt die Theorie der Strafe pur als Wiedervergeltungsrecht fast wie ein Widerspruch und sehr trocken. Aber man sollte bei einer Bewertung bedenken, was im Hintergrung aller Behauptungen von Kant steht: die Vernunft.

Auch die Strafrechtsphilosophie muss vernünftige Kriterien haben als Massstab für die Bestrafung. Diese Kriterien findet man nach Kant wohl durch die Anwendung der Vernunft. Die Vernunft hat eine Regel gefunden, die moralisch ist, wenn diese notwendig und allgemein ist. Kants Ethik hat also als Kern die Verallgemeinerung, das heisst, den kategorischen Imperativ. Als Kriterium für die Strafe dient die Allgemeinheit, das Gleicheitsprinzip. In der Sprache des Strafrechts ist das Gleichheitsprinzip das Wiedervergeltungsrecht.

Nach dieser Voraussetzung, dass das Wiedervergeltungsrecht die Kriterien der Strafen bestimmt, schlussfolgert Kant: wer Eigentum stiehlt, wird Zwangsarbeit für den Staat leisten müssen; wer gemordet hat, muss selber sterben.

Um Gerechtigkeit auszuüben (durch die richterliche Gewalt) und zugleich das Prinzip der Gleichheit zu halten, muss nach Kants Auffassung jeder Mörder auch als Strafe den Tod leiden. Dieses ist vereinbar mit den allgemeinen Gesetzen a priori (kategorischer Imperativ).

Die einzige Ausnahme, die Kant zulässt ist, dass die Zahl der Täter eines Verbrechens, das mit der Todesstrafe zu bestrafen ist, so hoch ist, dass sich der Staat praktisch entvölkern würde, bei deren Durschsetzung. In diesem Fall, darf das Staatesoberhaupt eine Begnadigung vornehmen, jedoch dann nicht durch das öffentliche Gesetz, sondern durch sein Majestätsrecht (s. u.).

Kant kritisiert die Behauptung von Beccaria, dass Todesstrafe ein Unrecht ist. Beccaria argumentiert wie folgt:

“Es war also die Notwendigkeit, welche die Menschen zur Dahingabe eines Teils der eigenen Freiheit zwang; damit ist aber sicher, dass ein jeder nicht mehr als nur den kleinstmöglichen Teil davon in das öffentliche Gesamtgut einbringen will, eben nur so viel als hinreicht, um die anderen zu seiner Verteidigung zu veranlassen. Die Gesamtheit dieser kleinstmöglichen Teile bildet das Recht zum Strafen. (…) Woher können die Menschen die Berechtigung ableiten, ihresgleichen zu töten? Gewiss hat sie nicht denselben Ursprung wie die Souveränität und die Gesetze. Diese sind nur die Summe kleinster Teile der persönlichen Freiheit, die jeder einzelne der Gesamtheit übertragen hat. Sie stellen den Gesamtwillen dar, der eine Vereinigung der Einzelwillen ist. Wer würde jemals anderen Menschen die Entscheidung, ihn zu töten, überlassen haben wollen?”15

Für Beccaria ist die Todesstrafe deswegen ein Unrecht, weil in dem Moment der Konstitution des Staates die Bürger zwar einen kleinen Teil ihrer Freiheit zum Wohle der allgemeinen Sicherheit aufgegeben haben, jedoch damit nicht dem Souverän das Recht über ihr Leben oder ihren Tod übertragen haben.

Für Kant ist dieses Argument, und er zeigt sich bei dieser Einordnung ungewohnt heftig, eine Sophismus und eine Rechtsverdrehung. Als Widerlegung von Beccarias Theorie, die Todesstrafe sei ein Unrecht, behauptet Kant, dass man sich strafbar macht durch die Begehung eines Verbrechens, weil nämlich der Verbrecher die Straftat gewollt hat, und nicht ungekehrt, weil er die Strafe wollte. Etwas, das man will, kann keine gegen die Person gerichtete Sanktion im Sinne von Strafe sein. Der Verbrecher will die unerlaubte Handlung begehen, jedoch will er nicht die Strafe. Zudem kann der Gesetzgeber nicht zugleich ein Verbrecher sein. Nicht das Volk, und damit auch nicht ein potentieller Verbrecher oder ein tatsächlicher Verbrecher, entscheidet, welche Strafe einem bestimmten Verbrechen entspricht, sondern das Gericht. Als letztes Argument führt Kant an, dass im Sozial Kontrakt nichts über ein Versprechen steht sich strafen zu lassen: “wenn der Befugnis zu strafen ein Versprechen zu Grunde liegen müsste, sich strafen lassen zu wollen, so müsste es diesem auch überlassen werden, sich straffällig zu finden, und der Verbrecher würde sein eigener Richter sein.”16

Auch Hegel hat Überlegungen zur Begründung einer Todesstrafe angestellt. Als eine Art von Synthese zwischen Kant und Beccaria sagt er, dass, obwohl die Person zustimmen müsste um mit dem Tod bestraft zu werden, sie dies wohl gemacht hat als sie das Verbrechen beging:

“Was Beccaria verlangt, dass der Mensch nämlich seine Einwilligung zur Bestrafung geben müsse, ist ganz richtig, aber der Verbrecher erteilt durch seine Tat. Es ist ebensowohl die Natur des Verbrechens wie der eigene Wille des Verbrechers, dass die von ihm ausgehende Verletzung aufgehoben werde.”17

Hegel teilt auch die Meinung, dass die Strafe eine Vergeltungsrechtsfunktion ausübt. Die Strafe ist aber verantwortlich für die Wiederherstellung der Geltung des Rechts.

Interessant ist den Unterschied zwischen Beccaria und Kant wenn sie Gründe für oder gegen die Todesstrafe vorstellen. Beccaria stellt als wichtig die Überprüfung der Nützlichkeit oder der Notwendigkeit dieser Strafe dar:

“Nach alledem kann die Todesstrafe kein Recht sein demgemäss ist sie auch kein solches; sie ist vielmehr ein Krieg, den der Staat gegen einen einzelnen Bürger führt, weil er dessen Vernichtung für notwendig oder nützlich hält. Wenn ich aber den Beweis erbracht haben werde, dass der Tod weder nützlich noch notwendig ist, dann werde ich die Sache der Menschlichkeit gewonnen haben.”18

Kant dagegen fokussiert auf Gerechtigkeit nach Gleichheit und nach allgemeinen Gesetzen a priori:

“So viel also der Mörder sind, die den Mord verübt oder auch befohlen, oder dazu mitgewirkt haben, so viele müssen auch den Tod leiden; so will es die Gerechtigkeit als Idee der richterlichen Gewalt nach allgemeinen a priori begründeten Gesetzen.”19

Diese Argumentation führt Kant bis in die letzte Konsequenz: selbst wenn sich das Gemeinwesen, der Staat, auflöst “müsste der letzte im Gefängnis befindliche Mörder vorher hingerichtet werden, damit jedermann das widerfahre, was seine Taten Wert sind.”20

Kant postuliert zwar die Notwendigkeit (nach Anwendung der Vernunft) der Durchsetzung der Todesstrafe für Verbrecher, die eine Person ermordet haben (Wiedervergeltungsrecht). Er spricht aber über zwei Verbrechen, die seiner Meinung nach eine Ausnahme für diese Strafe darstellen: den Mord eines unehelichen Kindes durch die Mutter und die Tötung eines Angehörigen des Soldatenstandes durch einen anderen im Duell.

Beide Ausnahme rechtfertigt er durch eine Verletzung der Ehre, für die es durch bestehende Gesetze keine adäquate Bestrafung gibt. Er stellt damit in seinem Wertesystem den Begriff der Ehre über den des Gesetzes. (Ob das die Vernunft entspricht?)

Das Begnadigungsrecht ist für ein Kant ein schwieriges Thema. Begnadigung birgt die grosse Gefahr Unrecht zu sein und gegen Kants Prinzip des Widervergeltungsrechts zu verstossen. So darf es keine Begnadigung geben für Verbrechen, die Untertanen gegeneinander verüben. Nur Verbrechen, die gegen den Souverän gerichtet sind, sind potentiell begnadigungsfähig. Jedoch nur unter der Bedingung, dass die Sicherheit des Volkes durch diesen Begnadigungsakt nicht gefährdet wird.

3. Zusammenfassung

Kants Oberstes Prinzip der Sittlichkeit ist: der gute Willen. Ein Willen ist nur gut, wenn die Person aus Pflicht handelt (ein normaler Willen, wie man diesen heutzutage versteht, ist für Kant die Willkür der Menschen, von seiner Freiheit abgeleitet). Für Kant sind sowohl Erfahrung als auch Neigung der Person keine Komponenten des guten Willens. Selbstverständlich ist der Willen ein autonomer Wille (der Mensch bestimmt selbst wie er handelt), nur möglich wegen der Freiheit der Menschen. Der gute Willen ist die praktische Vernunft, weil er aus moralischen Gesetzen die Handlung ableitet. Für die Naturgesetze braucht man keine Vernunft. Um jedoch nach Prinzipien zu handeln und ein Gesetz (Sollen) aufzustellen und diesem zu folgen ist sie unbedingt erforderlich.

Die Menschen handeln nach Triebfedern. Wenn eine Person als Triebfeder zur Handlung die Idee der Pflicht hat (oder aus Pflicht handelt), dann gehört diese Handlung zur Ethik (ethische Gesetzgebung). Dagegen, wenn eine Person die Angst vor der Strafe als Triebfeder zur Handlung hat, handelt sie pflichtmässig (juridische Gesetzgebung) nach dem Rechtsgesetz.

Die Freiheit der Willkür der Person entscheidet, welchen Prinzipien sie folgen wird. Diese Prinzipien sind ihre Maxime. Damit die Person nach einem guten Willen handelt (aus Pflicht), muss sie ihre Maxime einem kategorischen Imperativ anpassen. Das heisst für Kant, dass die Maxime eine Regel enthalten muss, die notwendig ist und für die Allgemeinheit gelten kann (also die wesentlichen Merkmale des kategorischen Imperativs).

Der kategorischen Imperativ ist der Massstabe für Kants Ethik; er ist eine Regel, die zu jeder Zeit und unabhängig von aller Erfahrung und Eigennutz gilt. Der kategorische Imperativ enthält auch die Regel, dass die Menschen immer als Zweck nie als Mittel angesehen werden sollen (Kants Theorie der Menschenwürde).

Auch Kants Rechtslehre ist aus dem Prinzip des kategorischen Imperativs abgeleitet. Eine Handlung ist für ihn recht, wenn die Freiheit der ime richten, zusammen bestehen kann in Beachtung eines allgemeinen Gesetzes.

In seiner Strafrechtsphilosophie ist für Kant entscheidend, dass eine gerechte die Strafe dem Prinzip der Gleichheit folgen muss. Die Qualität und die Quantität der Strafe wird durch das Wiedervergeltungsrecht (ius talionis) bestimmt. Das hat die Rechtfertigung der Todesstrafe zur Folge (wer gemordet hat, muss selber sterben).

4. Literaturverzeichnis

BECCARIA, Cesare. Ü ber Verbrechen und Strafen. 1764. HEGEL, Georg W. F. Rechtsphilosophie. 1821. HOBBES, Thomas. Leviathan. 1651.

KANT, Immanuel. Die Metaphysik der Sitten. 1797.

LUDWIG, Ralf. Kant für Anfänger - Der kategorische Imperativ. 1995.

LUDWIG, Ralf. Kant für Anfänger - Die Kritik der reinen Vernunft. 1995. NAUCKE. Rechtsphilosophische Grundbegriffe.

RITTER, Christian. Immanuel Kant. In: Staatsdenker: in der frühen Neuzeit. Sammlung: Os Pensadores. Kant. 1995.

[...]


1 Kant. Kritik der Praktischen Vernunft, 1788.

2 Sammlung: Os Pensadores. Kant. Verlag: Nova Cultural, S. 5;

3 Ritter, Christian. Immanuel Kant. In: Staatsdenker: in der frühen Neuzeit. Herausgegeben von Michael Stolleis. Verlag: C. H.Beck, S. 333;

4 Naucke, Rechtsphilosophische Grundbegriffe, S. 86;

5 Naucke, Rechtsphilosophische Grundbegriff, S. 91;

6 Ludwig, Kant für Anfänger - Die Kritik der reinen Vernunft, S. 13;

7 Ritter, Christian. Immanuel Kant. In: Staatsdenker: in der frühen Neuzeit. Herausgegeben von Michael Stolleis. Verlag: C. H.Beck., S. 333;

8 Ritter, Christian. Immanuel Kant. In: Staatsdenker: in der frühen Neuzeit. Herausgegeben von Michael Stolleis. Verlag: C. H.Beck., S. 343;

9 Kant, Immanuel. Die Metaphysik der Sitten. Suhrkamp Verlag, S. 327;

10 Naucke, Rechtsphilosophische Grundbegriffe, S. 90;

11 Ludwig, Kant für Anfänger - Der kategorische Imperativ, S. 54;

12 Kant, Immanuel. Die Metaphysik der Sitten. Suhrkamp Verlag, S. 337;

13 Hobbes, Leviathan. (1651);

14 Beccaria. Über Verbrechen und Strafen, 1764;

15 Beccaria. Über Verbrechen und Strafen, 1764;

16 Kant. Metaphysik der Sitten, 1979, S. 458;

17 Hegel. Rechtsphilosophie, 1821.

18 Beccaria. Über Verbrechen und Strafen, 1764;

19 Kant. Die Metaphysik der Sitte, 1797, S. 456;

20 Kant. Die Metaphysik der Sitte, 1797, S. 455;

Ende der Leseprobe aus 32 Seiten

Details

Titel
Kommentar zur Metaphysik der Sitten
Hochschule
Humboldt-Universität zu Berlin
Note
14 (v.18)
Autor
Jahr
2003
Seiten
32
Katalognummer
V109804
ISBN (eBook)
9783640079827
Dateigröße
410 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kommentar, Metaphysik, Sitten
Arbeit zitieren
Daiana Vasquez (Autor:in), 2003, Kommentar zur Metaphysik der Sitten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/109804

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