Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Das Vorspiel und die Konsequenzen zur Schleyerentführung.
1. Die Terrorismusentwicklung bis zur Schleyerentführung:
2. Konsequenzen in der öffentlichen Wahrnehmung und der politisch Handelnden:
II. Der kleine Krisenstab - das Nervenzentrum während der Schleyerentführung.
1. Zielvorstellungen der Krisenstabsmitglieder und die Rolle Helmut Schmidts:
2. Kurze Momente der menschlichen Unzulänglichkeit, die Angst Gefühle zu zeigen:
III. Der große Krisenstab, ein einmaliges überparteiliches Beratungsorgan mit realem machtpolitischen Interesse.
1. Schmidt erklärte, argumentierte, hörte zu, aber entschied alleine:
2. Machtpolitisches Taktieren im Hintergrund:
3. Die Bundesrepublik als wehrhafte und wahrhafte Demokratie:
IV. Rechtsmäßige Kritik oder verletzte Eitelkeit? Der Bundeskanzler hat nicht Befürworter sein Politik um sich.
V. Das Ansehen Helmut Schmidts und die Reaktionen der Öffentlichkeit.
VI. Schlussbetrachtung.
Literatur und Quellenverzeichnis:
Erklärung:
Einleitung:
Neben den wirtschaftlichen Problemen, der steigenden Arbeitslosigkeit in der Bundesrepublik Deutschland und der Außenpolitik entwickelte sich der Terrorismus der RAF (Rote Armee Fraktion) und deren Bekämpfung zu einem der wichtigsten innenpolitischen Betätigungsfeldern des fünften Bundeskanzlers der Bundesrepublik Deutschland, Helmut Schmidt (SPD). Schmidt wurde 1918 in Hamburg geboren und engagierte sich nach seinem Volkswirtschaftsstudium in der Politik. 1974 trat er die Nachfolge des ersten SPD Bundeskanzlers Willy Brandt an und regierte bis 1982.
Der Herbst 1977 stellte für Helmut Schmidt eine Zerreisprobe dar. Auf der einen Seite die Verantwortung für die entführten Menschen und auf der anderen Seite die Auffassung von einem Staat, der nicht erpressbar sein darf. Höhepunkte des RAF Terrors bildeten die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Hanns – Martin Schleyer und der Lufthansamaschine Landshut, die auf dem Rückflug von Mallorca in die Bundesrepublik von arabischen Terroristen entführt wurde.
Schmidt musste in diesem Herbst handeln und stand unter großem politischen, öffentlichen und persönlichen Druck. Gemeinsam mit der Opposition arbeitete er im Krisenstab mit und versuchte, die Geiseln zu befreien und den Staat nicht zu schwächen. Ein Balanceakt, der ihm nicht ganz glückte. Hanns – Martin Schleyer wurde nach der erfolgreichen Befreiung der Mogadischugeiseln ermordet aufgefunden. Die deutschen Mallorcatouristen kehrten glücklich und unverletzt in die Bundesrepublik Deutschland zurück. Allein der Lufthansakapitän wurde von den arabischen Terroristen getötet.
In dieser Seminararbeit soll die Rolle Helmut Schmidts in den Krisenstäben während der Entführung von Hanns – Martin Schleyer und der Lufthansamaschine Landshut analysiert und dargestellt werden. Dabei soll vor allem die Persönlichkeit und die Wahrnehmung Dritter Helmut Schmidts herausgearbeitet und beurteilt werden. Zu Beginn wird die Ausgangssituation der Entführung von Hanns – Martin Schleyer erläutert. Dem schließt sich die Beurteilung von Konsequenzen für die deutsche Innenpolitik an. Dabei wird eine Unterscheidung zwischen den öffentlichen Wahrnehmung und der politischen Handlungen vollzogen.
Anschließend wird das wohl wichtigste Entscheidungsorgan der Entführung analysiert: Der kleine Krisenstab. Dieser eignet sich besonders gut zur Beurteilung von Helmut Schmidts Rolle, weil in diesem Zirkel die entscheidenden Maßnahmen für eine mögliche Befreiung getroffen wurden. Darüber hinaus gibt es vor allem zum kleinen Krisenstab sehr aufschlussreiche Literatur, die sich über die Biographie des ehemaligen BKA (Bundeskriminalamt) Chef Horst Herold bis zu Biographien von Helmut Schmidt und Hanns – Martin Schleyer erstreckt. Im Anschluss daran wird das überparteiliche Beratungsorgan, der große Krisenstab genauer untersucht und die Zusammensetzung erklärt. Es wird der Versuch unternommen, die Erklärung für die Etablierung des großen Krisenstabes neben dem entscheidenden kleinen Krisenstab zu beleuchten und zu beurteilen. Besonders interessant ist das Kapitel zur Kritik an Helmut Schmidt, dass sich dem großen Krisenstab anschließt und am besten verdeutlicht, wie Helmut Schmidt von seinen Mitstreitern gesehen und bewertet worden ist. Dieses bittet neben den sehr Schmidtfreundlich gefärbten Biographie einen kritischen Blick auf die Führungspersönlichkeit Helmut Schmidts.
Neben der Wahrnehmung durch seine politischen Vertrauten und Kollegen ist vor allem die Beurteilung der Handlungen Helmut Schmidts durch die Bevölkerung interessant. Diese schließt sich direkt dem Kapitel zur Kritik an Helmut Schmidts Führungsstil an und bietet gleichzeitig eine Schlussbetrachtung der Ereignisse im Herbst 1977.
I. Das Vorspiel und die Konsequenzen zur Schleyerentführung.
1. Die Terrorismusentwicklung bis zur Schleyerentführung:
Mit der Entführung des BDI (Bund der Deutschen Industrie) und BDA (Bund der Deutschen Arbeitgeber) Präsidenten Hanns- Martin Schleyers durch die RAF am 5. September 1977 sah sich Helmut Schmidt (SPD) als erster deutscher Bundeskanzler gezwungen, sich dem Terrorismus durch die RAF entgegen zu setzen und die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland als rüstige und wehrhafte Demokratie unter Beweis zu stellen.
Das Vorspiel zur Entführung Schleyers und der anschließenden Entführung der Lufthansamaschine Landshut „reicht bis in den Ausgang der sechziger Jahre zurück, als sich nach dem Tod von Benno Ohnesorg und dem Attentat auf Rudi Dutschke eine Gruppe von Radikalen abspaltete.“[1] Aus dieser Radikalisierung entwickelte sich eine gewaltbereite linksradikale Gruppe, die in der frühen Phase von Helmut Schmidts Kanzlerschaft den CDU Spitzenkandidat Peter Lorenz entführte, die Stockholmer Botschaft überfiel und mehrere Menschen tötete und die ihren Höhepunkt mit der Ermordung des Generalbundesanwaltes Siegfried Buback und dem Bankier Jürgen Ponto im Jahre 1977 erlebte. Ihre Forderungen waren immer gleich: Die Freipressung der in deutschen Gefängnissen Einsitzenden ersten Generation der RAF um Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Ulrike Meinhof.
2. Konsequenzen in der öffentlichen Wahrnehmung und der politisch Handelnden:
In den Köpfern der Bundesbürgern bleich doch vor allem die wochenlange Entführung von Hanns – Martin Schleyer. Dieses liegt im wesentlichen an der ausgedehnten Berichterstattung in den Medien, weil die Terroristen über das Medium Fernsehen und den Presseagenturen mit der Bundesregierung korrespondierten, und zugleich mit der gewaltigen Polizeipräsenz in der Öffentlichkeit (Panzer etc.). Dazu kommt die Entführung der Lufthansamaschine Landshut, die auch unschuldige Staatsbürger in das Visier des Terrorismus nahm. Diese Ausnahmesituation erforderte schnelle, nüchterne Entscheidungen. „Die Terrorserie stellte die deutsche Politik auf eine bislang nicht gekannte Bewährungsprobe“[2]. Sowohl „die Struktur des Konflikts ist neu – auch die Struktur der Entscheidungsspielräume“[3]. Bislang führte ein Staat gegen einen anderen Staat auf internationaler Ebene Krieg, doch eine Auseinandersetzung eines Staates mit Feinden aus dem Inneren war bisher in der Bundesrepublik unbekannt gewesen.
Dazu kamen als neue Entscheidungsgremien neben den demokratisch legitimierten Staatsorganen, wie das Parlament der kleine und der große Krisenstab. „Auch heute noch weist Alt-Bundeskanzler Schmidt darauf hin, daß man das nun gebildete, täglich tagende Berater- und Entscheidungsgremium nicht Krisenstab sondern Kleine Lage nannte. Ziel dieser Feststellung durch Helmut Schmidt ist, „nicht – zugeben müssen, daß der Staat durch die RAF in eine tatsächliche Krise, nämlich in eine Krise des Rechtstaates gestürzt worden war. Dennoch setzte sich die Bezeichnung „Krisenstab“ durch,“[4] und wird auch in dieser Arbeit verwendet.
II. Der kleine Krisenstab - das Nervenzentrum während der Schleyerentführung.
1. Zielvorstellungen der Krisenstabsmitglieder und die Rolle Helmut Schmidts:
Dem kleinen Krisenstab gehörten neben dem Bundeskanzler Helmut Schmidt, der trotz unterschiedlichen, politischen Ansichten ein Freund von Hanns – Martin Schleyer war, der Innenminister Maihofer, Justizminister Vogel, Kanzleramtschef Schüler, Regierungssprecher Bölling und BKA Chef Horst Herold. Besonders tragisch ist dabei anzumerken, dass Hanns – Martin Schleyer noch einige Tage vor seiner Entführung durch die RAF Helmut Schmidt in dessen Ferienhaus am Brahnsee besucht hat und Schmidt ihn vor drohenden Gefahren gewarnt hat. „Schmidt wies den Arbeitgeberpräsident darauf hin, dass es Anzeichen für eine geplante Entführung gibt“[5].
Die kleine Lage, der kleine Krisenstab, formuliert drei offizielle Ziele der Bundesregierung. „Erstens: Hanns Martin Schleyer lebend zu befreien. Zweitens. Die Entführer zu ergreifen und vor Gericht zu stellen. Drittens: Die Handlungsfähigkeit des Staates und das Vertrauen in ihn im In – und Ausland nicht zu gefährden; also auch: die Gefangenen, deren Freilassung erpresst werden sollte, nicht freizugeben.“[6] Im kleinen Krisenstab wurden die Entscheidungen gefällt. Helmut Schmidt ließt sich beraten, hörte den Experten um den BKA Chef Horst Herold zu und zeichnete sich vor allem durch „Nervenstärke und Standhaftigkeit“[7] aus. Die Entscheidungen traf zwar Schmidt, der „... hielt sich im wesentlichen an die Vorgaben und Analysen des BKA Lenkers“.[8] Dieses ist typisch für Helmut Schmidts Führungsstil. Auch in anderen Politikbereichen ließ sich Schmidt von Außen beraten und fällte dann seine Entscheidungen. Neben dem BKA Chef Horst Herold spielen andere Rechts- und Verfassungsexperten eine exponierte Stellung. Schmidt versuchte vor allem im großen Krisenstab „seinen Beschlüssen einen wissenschaftlichen Anstrich“[9] zu geben. Hauptperson war dabei der Polizeipsychologe Salewski. Doch an wirklichen Entscheidungen ließ Schmidt seinen Experten nicht mitentscheiden. „Er [Salewski] war freilich bloße Zierde, zu Sachenentscheidungen konnte er nichts beitragen...“.[10]
2. Kurze Momente der menschlichen Unzulänglichkeit, die Angst Gefühle zu zeigen:
Überspitzt formuliert kann man feststellen, dass der kleine Krisenstab eine Art Notregierung darstellte. Die übrigen Amtgeschäfte des Bundeskanzler ruhten zwar nicht, hatten aber auch keine besondere Bedeutung. Alles konzentrierte sich auf den Fall Schleyer. Für Helmut Schmidt war es wichtig, Menschen um sich zu haben, denen er vertrauen konnte und innerhalb des Krisenstabes, als Nervenzentrum, wo alle Informationen zusammenliefen entwickelte sich auch unter den Mitgliedern ein enges, vertrautes Verhältnis.
Diese Notverbrüderung lässt sich aus der dramatischen Situation erklären und es ist interessant, das diese Konstellation von Politikern nie wieder zusammen traf. Hiermit wollte man höchstwahrscheinlich vermeiden wieder an die dramatischen Ereignisse aus dem Herbst 1977 erinnert zu werden. Eine Art Schmerzbewältigung und einer offener Umgang mit dem Thema durch alle Teilnehmer, die im kleinen Krisenstab manchmal auch ihren Gefühlen freien Lauf lassen mussten, um die nervliche Anspannung für kurze Zeit aufzuheben fand nicht statt. Bezeichnend sind dafür die Tränen, die Helmut Schmidt nach der Befreiung der Landshut Maschine vergisst. Es bleibt jedoch die Frage, ob sich diese Tränen durch Glück und der sich lösenden Anspannung zu erklären sind oder durch die Trauer um Hanns – Martin Schleyer, der nach der Geiselbefreiung erschossen aufgefunden wurde. Diese Frage wird ungeklärt bleiben, aber es ist erstaunlich, wie viel Helmut Schmidt von dieser emotionalen und nervlichen Anstrengung noch nicht verarbeitet zu haben scheint. In seinen Interviews wirkt der Altbundeskanzler in allen Bereichen und bei allen kritischen Fragen souverän und selbstbeherrscht. Bei kritischen Fragen zum Krisenstab, der Schleyerentführung und der RAF erscheint Schmidt jedoch plötzlich emotional aufgeladen. Im Interview mit dem NDR (Norddeutscher Rundfunk) anlässlich seines 85sten Geburtstages lässt er den Interviewer kaum ausreden und wirft „das waren Mörder ein[11] “ in Bezug auf Gudrun Ensslin und die weiteren damals in Haft sitzenden RAF Terroristen. Eine emotionale Aufladung, die er als Bundeskanzler nicht ablegen konnte, er hat sie vielmehr im sich an die Schleyerentführung anschließenden Alltagsstress verdrängt und nicht verarbeitet. Dieses wird besonders durch die Tatsache bestärkt, dass Schmidt durch den Tod Schleyers einen persönlich, engen Freund verloren hat doppelt. „Ich habe Hanns – Martin Schleyer gut gekannt und sehr geschätzt...“[12]. „Seine Ermordung...hat mich auch persönlich tief getroffen“.[13]
III. Der große Krisenstab, ein einmaliges überparteiliches Beratungsorgan mit realem machtpolitischen Interesse.
1. Schmidt erklärte, argumentierte, hörte zu, aber entschied alleine:
Neben dem kleinen Krisenstab, der täglich im Bonner Kanzleramt tagte, errichtete die Bundesregierung, federführend unter Helmut Schmidt den „Großen Politischen Beraterkreis“[14], der im Gegensatz zu kleinen Krisenstab weniger oft tagte. Der große Krisenstab, wie der Beraterkreis später genannt wurde, war unter anderem mit wichtigen Politikern aus der CDU Opposition, den betroffenen Ministerpräsidenten, die in ihren Bundesländern RAF Häftlinge in Gefängnissen einsitzen hatten, und Vertretern aus der Industrie besetzt.
Schmidt informierte die Opposition, hörte sie an und erklärte seine Entscheidungen. Doch getroffen wurden diese alleine im kleinen Krisenstab. Die politische Linie in beiden Krisenstäben war klar: Der Staat dürfe nicht erpressbar sein. Auch der spätere Bundeskanzler Helmut Kohl, ein enger Freund von Hanns-Martin Schleyer verteidigte die Linie der Nichterpressbarkeit des Staates im Krisenstab. Innenminister Maihofer erinnert sich an folgende Szene: „Ich habe den Kohl angeguckt und er mich. Da hat er nur eines gesagt: Nein! (Helmut Kohl selbst hatte bereits am 15.7.1976 in einer persönlichen Unterredung BKA-Chef Herold gegenüber erklärt, daß er im Fall einer Geiselnahme nicht ausgetauscht werden wollte).“[15]
2. Machtpolitisches Taktieren im Hintergrund:
Geschickt verstand es Helmut Schmidt die Oppositionspolitiker mit in die Verantwortung einzubinden. Dabei war sich Helmut Schmidt immer bewusst, dass er am Ende die Verantwortung alleine tragen müsse und unter Umständen auch ein „Rücktritt damit verbunden gewesen wäre“[16]. Helmut Schmidt erklärt mehrere Jahre nach der Entführung von Hanns – Martin Schleyer und der Landshut, das diese Zeit, „die schwerste Zeit, die ich als Politiker, als Bundeskanzler erlebt habe“[17] gewesen ist. Neben dem Aspekt, auch ein wenig die Verantwortung an die CDU mit abzugeben, kommt auch noch das parteipolitische Kalkül. Schmidt wäre nach seinen Angaben nach der Schleyerentführung und der Mogadischuentführung bei einem negativen Ausgang der Geiselbefreiung zurückgetreten. Das hätte bedeutet, dass in der Bundesrepublik Neuwahlen hätten durchgeführt werden müssen. Das Wahlvolk wäre geschockt gewesen und damit hätte der Kanzler und die SPD eine wahrscheinliche Niederlage bei dem Wahlgang erlitten. Die Lösung des Problems war, auch die Opposition in unangenehmen Entscheidungen mit in die Verantwortung zu nehmen, um nicht am Ende behaupten zu können, sie hätten von nichts gewusst und wohlmöglich politisches Kapital aus ihren Handlungen zu schlagen.
3. Die Bundesrepublik als wehrhafte und wahrhafte Demokratie:
Neben der angesprochenen Machtpolitik war der Krisenstab jedoch auch ein Beweis für die Wehrhaftigkeit der Demokratie; denn alle demokratischen Lager vereinten sich in diesem Kreis und stellten sich dem Terrorismus, der die junge deutsche Demokratie gefährdete, mächtig entgegen. Dies führte allerdings nicht zur Entwicklung von politischen Freundschaften zwischen den Akteuren, so dass der parlamentarische Alltag mit Haushaltsdebatten schnell wieder die Harmonie von damals vergessen ließ. Jedoch sorgte der Große Krisenstab auch auf Dauer für mehr Respekt unter den agierenden Personen.
IV. Rechtsmäßige Kritik oder verletzte Eitelkeit? Der Bundeskanzler hat nicht Befürworter sein Politik um sich.
Schmidt und die Krisenstäbe stehen unter Dauerstress. Jede Minute kann eine neue Situation eintreten und eine Entscheidung kann durchaus die falsche gewesen sein. Die Entscheidung von Schmidt, hart zu bleiben und die Nichterpressbarkeit des Staates zu demonstrieren und umzusetzen, symbolisiert Helmut Schmidts Verantwortungsgefühl gegenüber den Bürgern und dem Staat. Er reizt das Machbare der Verfassung aus, hält sich jedoch an die Verfassung und „bleibt dabei, dass er nur tun kann, was die Verfassung erlaubt“.[18] Helmut Schmidts Verantwortungsgefühl gegenüber der Bevölkerung, dem Staat, gegenüber seinem Freund Hanns – Martin Schleyer und gegenüber der Familie Schleyer ist eine schwere Bürde, die der Kanzler in dieser Zeit tragen muss. Schmidt legt seinen Verantwortungsbegriff „in zwei Richtungen aus“[19]. Einerseits bedeutet er, „sich rechtfertigen zu müssen, nötigenfalls sich korrigieren (lassen) müssen, im äußersten Fall: abtreten müssen“[20]. Durch diese Argumentation lässt sich Helmut Schmidt in der Schleyer Entführung und der Landshutentführung eine Hintertür offen, um seinen Rücktritt zu argumentieren. Helmut Schmidt ist ein Realist und weiß um die Situation und wie es um seinen Freund Hanns – Martin Schleyer bestellt ist. Je länger sich die Entführung herauszögert, weiß Schmidt, dass die Chancen Schleyer lebend zu befreien sinken. Mit der Befreiung der Landshutmaschine auf dem somalischen Flughafen in Mogadischu muss Schmidt sofort klar gewesen sein, dass die unblutige Befreiung der Mallorcatouristen das Todesurteil für Hanns – Martin Schleyer bedeutet.
Im kleinen Krisenstab wurden im Zusammenhang mit der Landshutentführung auch sogenannte „exotische Lösungen“[21] diskutiert. Darunter die Vorschläge, die „Einführung der Todesstrafe“[22], „oder „Standrecht“ für Terroristen, fingierte Freilassung von Baader & Co., Ausrufung des allgemeinen Notstands.“[23]. Schmidt hat jedoch, „wohl von vornherein nicht vor, sich auf solche und ähnliche exotischen Abenteuer einzulassen“[24]. Schmidt hielt sich an die Verfassung, auch wenn der Sohn von Hanns – Martin Schleyer, Hans Eberhard Schleyer das Gegenteil zu beweisen versuchte. Er klagte am Bundesverfassungsgericht und berief sich auf den Schutz der Menschenwürde und des Lebens. Seine Klage wurde jedoch abgelehnt. Für Helmut Schmidt und den Krisenstab war die Abweisung der Klage der Familie Schleyer die Bestätigung ihrer Politik und ihres Handelns. Schmidt war es immer wichtig, nah an der Verfassung zu handeln bzw. zu entscheiden. Das Bundesverfassungsgericht, als Bundesorgan und Teil des demokratischen Rechtsstaates unterstützt dieses Handeln und reiht sich durch seine Entscheidung symbolisch in die Front der Demokratischen Organe gegen die Terroristen ein. Das beeinflusst auch die Auswirkung auf die Bevölkerung, die ebenfalls geschlossen hinter Helmut Schmidt stand.
Doch Schmidt muss sich auch Kritik gefallen lassen. Nicht nur die Familie Schleyer kritisierte den Bundeskanzler und die Bundesregierung hinsichtlich ihrer Taktik des Zeitgewinnens, auch im kleinen Krisenstab gab es Misstöne über das Verhalten des Bundeskanzlers.
Vor allem der Innenminister Maihofer (FDP) und sein Staatssekretär Fröhlich kritisierten die Art und Weise, wie sich Helmut Schmidt im Krisenstab verhalten hat. Fröhlich charakterisierte den Bundeskanzler als „Deichgraf“.[25] Dazu passte auch seine knappe, metallene Kommandostimme; außerdem ist er ein bisschen rechthaberisch“[26], argumentiert Fröhlich. Auch Maihofer, der FDP Innenminister, der kurze Zeit später aus dem Amt schied, kritisierte vor allem den Führungsstil des Kanzlers: „Der Herr Schmidt hat ja immer die Meinung gehabt, daß er immer alles besser als jeder andere versteht, daß er der größere Kriminalist ist als Herr Herold, der größere Strafrechtler ist als Herr Maihofer. In jener Phase war er unerträglich. Also in den Selbstbeweihräucherungen und Selbstdarstellungen im Krisenstab, ein Brimborium, furchtbar. Ich wende mich gegen diese überfrachteten Selbstdarstellungsdrang, eine Quälerei bis zur Lächerlichkeit. So was von Gernegroß.“[27]
Bei beiden Politikern war es vermutlich gekränkte Eitelkeit, die sie zu diesen kritischen Äußerungen hinreißen ließ. Maihofer, war im Gegensatz zu dem Realisten Schmidt und dem Technokraten Herold ein Rechtsphilosoph, ein Professor. Dieses missbilligte Schmidt. „Die bedächtige Art des Professors lag auch Helmut Schmidt nicht.“[28] Nicht der Innenminister, ein Schlüsselminister in jeder Regierung gab Helmut Schmidt Hinweise und Gedankenanstöße, sondern der BKA Chef Herold, ein normalerweise untergeordneter Beamte des Innenministeriums. Dieses kränkte Maihofer vermutlich und Hans Joachim Vogel, der ehemalige Justizminister, bestätigt diese These. „Herold war ein Drängender und Entschiedener, sein Minister [Maihofer] reflektierte und phrasierte.“[29]
V. Das Ansehen Helmut Schmidts und die Reaktionen der Öffentlichkeit.
Helmut Schmidts Popularität innerhalb der Bevölkerung stieg nach der unblutigen Befreiung der Mogadischu Geiseln schlagartig an. Schon während der Entführung von Hanns – Martin Schleyer wurde dem Kanzler eine tadellose Arbeit testiert. In Volksbefragungen des Allensbacher Instituts für Demoskopie „stellte sich heraus, daß ihm (Helmut Schmidt) selbst unter CDU-Anhängern zweiundvierzig Prozent der Befragten richtiges Verhalten bescheinigten. Siebenundsiebzig Prozent waren mit Nachrichtensperre einverstanden, und vierundachtzig Prozent glaubten an eine langwierige Fahndung“[30]. Auch „eine Infas – Umfrage vom November bestätigt diesen Ansehenszuwachs: 58 Prozent der Befragten bekundeten Helmut Schmidt ihr Vertrauen. Der Mogadischu – Bonus hat seinen Vorsprung vergrößert.“[31]
Vor allem die Einschränkung des Grundrechtes der Pressefreiheit ist eindeutiges Indiz dafür, dass durch die Aufgabe von Grundrechten höhere Sicherheit suggeriert wird und dieses bei der Bevölkerung auf große Akzeptanz trifft. Parallelen zum Patriot Act der Regierung Bush nach den Anschlägen vom 11. September 2001 können durchaus gezogen werden.
Doch viel interessanter als die Befragungen während des Herbstes 1977 sind die Verschiebungen in der Wählergunst. Der Spiegel testierte der Regierung Schmidt in der Ausgabe 37 aus dem Jahre 1977 „Regierung Schmidt: ratlos. Konjunktur, Arbeitslose, Steuern, Rente.“[32] Neun Ausgaben später steht die Regierung Schmidt und der Bundeskanzler im Blickpunkt der Weltöffentlichkeit. Der Spiegel bahnt Schmidt auf die Titelseite der Ausgabe 44/1977 mit der Überschrift: „Nach Mogadischu: Der bewunderte Deutsche.“[33] Innerhalb weniger Wochen ist es Helmut Schmidt gelungen, von innenpolitischen Problemen unbewusst abzulenken und sein Krisenmanagement in den Fokus der Öffentlichkeit zu transportieren. Im September 1977 zeigten sich laut Allensbach nur 39 Prozent der Bevölkerung mit der Politik Helmut Schmidts einverstanden. Im November 1977, ein Monat nach der Schleyer- und Landshutentführung steigt die Zustimmung für Helmut Schmidts Politik auf 51 Prozent der Befragten.[34] Auch die Charaktere Helmut Schmidt in der Wahrnehmung der Bevölkerung veränderten sich dramatisch. Für die Eigenschaftskarte, die die Befragten zur der jeweiligen Person abgeben konnten, entscheiden sich im November 1978 61 Prozent für die Eigenschaftskarte: „Ein Politiker mit Verstand und klarer Linie“[35]. Dies sind Spätauswirkungen der entschiedenen, klaren Linie im Krisenstab, deren Einzelheiten in den folgenden Jahren immer mehr zu Tage kamen. Bei der Befragung ist ebenfalls ein wenig humoristisch festzuhalten, dass sich 26 Prozent im Jahre 1978 für die Karte: „Überheblich“[36] entschieden haben. Eine Eigenschaft, die, die Bürger dem SPD Kanzler Schmidt nie zuvor angerechnet haben.
Die Befragung des Allensbacher Instituts beweist die These, dass sich in Krisenzeiten die Bevölkerung um den Kanzler und die Regierung scharrt und die Zustimmung zu seiner Politik und die Popularitätswerte bedeutend steigen. Ein Trend, den wir nicht nur bei Helmut Schmidt feststellen können. Doch erstaunlich ist, dass sich diese Popularität über seine Amtszeit hinaus gehalten hat. Am Ende seiner Amtszeit 1982 misst das Allensbacher Institut in der Rubrik „Briefe an den Bundeskanzler“[37] „eine Zustimmung, Glückwünsche etc. mit 36 Prozent“[38]. „Im Gegensatz dazu nur 22 Prozent Briefe mit kritischen Inhalten“[39]. Die Menschen vertrauen ihrem Krisenkanzler, der nicht nur im Herbst 1977 verantwortungsbewusst gehandelt hat.
VI. Schlussbetrachtung.
Helmut Schmidt ist und bleibt einer der interessantesten Bundeskanzler. In seiner Amtszeit sind Entscheidungen getroffen worden, die historische Bedeutung haben. Auch die Terrorbekämpfung gehört zu diesen historischen Entscheidungen. Es ist also nicht verwunderlich, dass der Altbundeskanzler nach wie vor hohe Popularität innerhalb der Bevölkerung hat. War er es doch Schmidt, der als erster deutscher Regierungschef Probleme lösen musste, die zuvor unbekannt waren und der Bevölkerung zu Recht Angst machten. Auch wenn Schmidt, seinen Freund Hanns – Martin Schleyer im Herbst 1977 auf tragische Weise verlor, so hat er doch die Handlungsfähigkeit einer jungen, deutschen Demokratie bewiesen und die Stärken der demokratischen Institutionen gebündelt und durch eine Argumentation angelehnt an die Verfassung die best mögliche Lösung herbeigeführt. Dieses scheint Schmidt jedoch mit einer nie überwundenen Trauer zu bezahlen, die er sich wahrscheinlich bis heute nicht eingestehen kann.
Literaturverzeichnis:
Der Spiegel: Bandnr. 37, Hamburg 1977.
Der Spiegel Bandnr. 44, Hamburg 1977.
Dönhoff, Gräfin Marion u.a. (Hrsg.): Hart am Wind. Helmut Schmidts politische Laufbahn. Hamburg 1979.
Hachmeister, Lutz: Schleyer. Eine deutsche Geschichte. München 2004.
Nayhauß von, Graf Mainhardt: Helmut Schmidt. Mensch und Macher. Bergisch Gladbach 1988.
NDR Audio: Helmut Schmidt. Bilanz eines großen Staatsmannes. Hamburg 2004.
Neumann – Noelle, Elisabeth und Piel, Edgar (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie. 1978 – 1983. München 1983.
Rupps, Martin: Helmut Schmidt. Eine politische Biographie. Stuttgart 2002.
Schenk, Dieter: Der Chef. Horst Herold und das BKA. Hamburg 1998.
Schmidt, Helmut: Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen. Berlin 1996.
Quellenverzeichnis:
Carr, Jonathan: Helmut Schmidt. Helmsman of Germany. London 1985.
Archiv der Gegenwart. Deutschland 1949 bis 1999. Band 7, November 1973 bis 1979 Juni, Sankt Augustin 2000.
Steffahn, Harald: Helmut Schmidt. Hamburg 2004.
Erklärung:
Hiermit erkläre ich, dass ich diese Seminarhausarbeit alleine, ohne weitere fremde Hilfe, die hier nicht aufgeführt ist geschrieben habe.
24.02.2005, Robert Weber
[...]
[1] Martin Rupps: Helmut Schmidt. Eine politische Biographie. Stuttgart 2002, S. 237.
[2] Rupps: Helmut Schmidt, S. 240.
[3] Ebd., S.240.
[4] Dieter Schenk: Der Chef. Horst Herold und das BKA. Hamburg 1998, S. 278-279.
[5] Rupps: Helmut Schmidt, S. 243.
[6] Lutz Hachmeister: Schleyer. Eine deutsche Geschichte. München 2004, S. 386.
[7] Rupps: Helmut Schmidt, S. 248.
[8] Hachmeister: Schleyer, S. 387.
[9] Schenk: Der Chef, S. 291.
[10] Ebd., S. 291.
[11] NDR Audio: Helmut Schmidt. Bilanz eines großen Staatsmannes. 2004.
[12] Helmut Schmidt: Weggefährten. Erinnerungen und Reflexionen. Berlin 1996, S.189.
[13] Ebd., S. 189.
[14] Schenk: Der Chef, S. 288.
[15] Ebd., S. 289.
[16] Vgl. Rupps: Helmut Schmidt, S. 232.
[17] Rupps: Helmut Schmidt, S. 241.
[18] Rupps: Helmut Schmidt, S. 248.
[19] Ebd., S. 257.
[20] Ebd., S. 257.
[21] Hachmeister: Schleyer, S. 387.
[22] Ebd., S. 387.
[23] Ebd., S. 387.
[24] Ebd., S. 387.
[25] Schenk: Der Chef, S. 285.
[26] Schenk: Der Chef, S. 285.
[27] Hachmeister: Schleyer, S. 388.
[28] Schenk: Der Chef, S. 286.
[29] Ebd., S. 286.
[30] Mainhardt Graf von Nayhauß: Helmut Schmidt. Mensch und Macher. Bergisch Gladbach 1988, S. 183.
[31] Kurt Becker: Ein Jahr als gewählter Kanzler. Bewältigte Probleme schüttelte er schnell ab. In: Marion Gräfin Dönhoff u.a. (Hrsg.): Hart am Wind. Helmut Schmidts politische Laufbahn. Hamburg 1979, S.237.
[32] Der Spiegel, 37/1977, Titelseite.
[33] Der Spiegel, 44/1977, Titelseite.
[34] Elisabeth Noelle – Neumann, Edgar Piel (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch der Demoskopie. 1978 – 1983. München 1983, S. 241.
[35] Ebd., S. 241.
[36] Ebd., S. 241.
[37] Noelle – Neumann, Piel (Hrsg.): Allensbacher Jahrbuch, S. 243.
[38] Ebd., S. 243.
[39] Ebd., S. 243.
- Arbeit zitieren
- Robert Weber (Autor:in), 2004, Helmut Schmidts Rolle in den Krisenstäben während der Schleyerentführung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110181