Im Tal der Cyberweiber


Essay, 2000

6 Seiten


Leseprobe


Was Globalisierung so alles anrichtet

IM TAL DER CYBER-WEIBER

Neulich unterhielt ich mich mit einer jungen Frau über ihre Stelle in einem Marketingunternehmen, die sie erst vor kurzem angetreten hatte und er­fuhr, sie sei durch und durch ein «glo­baler Mensch» geworden — sozusagen globalisiert. Toll, dachte ich. Nur, was um Himmels Willen ist eine globali­sierte Frau?

Wollte sie mir mitteilen, dass sie ein weiteres Attribut besitze, ähnlich ei­ner verheirateten Frau, einer flam­bierten oder einer sterilisierten Frau? War sie jetzt, als globalisierte Frau eine moderne Nomadin geworden - und, wer oder was hatte sie dazu ge­macht? Ich verabschiedete mich recht bald; unsicher und noch immer unwis­send. Aber ich habe mich inzwischen schlau gemacht, schliesslich will frau nicht dumm sterben.

Wie die Metapher der Postmoderne, habe ich gelernt, transportiert auch der Begriff Globalisierung ein diffuses Bewusstsein über eine gesellschaft­liche Erscheinung, eine Vielfalt von Entwicklungen in den Bereichen Fi­nanzen, Informationsnetz, Kultur, Un­ternehmenspolitik, Umwelt und so weiter.

AM ANFANG WAR DAS WORT

Der Begriff «Globalisierung» hat eine geradezu erstaunliche Karriere hinter sich, Ist er ursprünglich Mitte der achtziger Jahre im Managementbe­reich internationaler Konzerne ent­standen, war er bereits 1996 in den Top Ten der «Worte des Jahres» der Gesellschaft für Deutsche Sprache an­gekommen. Seither scheint alles glo­bal zu sein — oder zumindest auf dem Weg dorthin. Aber der Prozess der Globalisierung erscheint im alltagssprachlichen Gebrauch auch als eine Entwicklung, die Ängste und Unsi­cherheiten vermittelt. Globalisierung gefährdet den Sozialstaat. Heisst es. Globalisierung drückt die Löhne und gefährdet Arbeitsplätze. Heisst es. Der Begriff, häufig gepaart mit «Weltmarkt» und «Standort», ist in­zwischen im rhetorischen Repertoire von Politikern ebenso Zuhause wie bei Publizisten und Journalisten. Nicht zuletzt wegen dieser häufigen Ver­wendung bleibt der Begriff in der Alltagssprache seltsam diffus und zuwei­len bedrohlich.

Dabei stand am Beginn der Entwick­lung die enthusiastische Vorstellung, dass Staaten davon profitieren, wenn sie sich wirtschaftlich untereinander austauschen, statt sich abzukapseln und auf sich selbst zu konzentrieren. Die OECD (Organisation for Economic Cooperation and Development) defi­niert Globalisierung als “Prozess, durch den Märkte und Produktion in verschiedenen Ländern immer mehr voneinander abhängig werden. Dank der Dynamik des Handels mit Gütern und Dienstleistungen und durch die Bewegung von Kapital und Technologie». Somit ist Globalisierung zweifellos ein in starkem Masse öko­nomisches Phänomen. Es ist mit ihm ein Prozess gemeint, der bis in die An­fänge der Industrialisierung zurück reicht. Sprunghaft beschleunigt wur­de die weltweite Öffnung der Märkte durch eine Reihe unterschiedlicher Faktoren. So konnten beispielsweise nicht zuletzt auf der letzten Messe Cebit die neuesten innovativen Ent­wicklungen im Bereich der Mikroelek­tronik bestaunt werden. Die Gewin­nung, Übertragung und Speicherung von Informationen (Optoelektronik) entwickelt sich derart rasant, dass wir kaum noch hinterherkommen. Und das sekundenschnelle Übertragen von komplizierten Konstruktionsplänen für Maschinen an jeden Ort der Welt ruft schon lange keine Begeisterungs­stürme mehr hervor.

GLOBAL WIDER WILLEN

Aber der Begriff meint nicht nur Öff­nung der Märkte. Auch das Geld überwindet inzwischen nahezu alle Grenzen. Längst — wenn auch nicht immer bewusst — verhalten sich Kon­sumentlnnen genauso global wie Un­ternehmen, suchen nach preiswerten Produkten und nutzen so die kosten­günstigen Herstellungsbedingungen anderer Staaten. Das trifft nicht für Sie zu? Dann werfen Sie doch mal ei­nen Blick auf das Etikett Ihres letzten «supergünstigen» Pullovers oder auf die Spielsachen im Kinderzimmer...

Während die einen, wie offenbar auch meine sympathische Gesprächs-partnerin, beim Thema Globalisierung in eine regelrechte Aufbruchstim­mung geraten und bereits die «Be­freiung aus engen und überholten Grenzen» am Horizont erblicken, fühlen sich die Kritiker der Entwick­lung ausgeliefert und sehen keine Chance der Kontrolle und des Eingrei­fens mehr. Für sie scheint sich die Globalisierung geradezu wie eine ge­waltige Lawine über ihnen zusam­menzubrauen. Sie sind es auch, die in den Globalisierungstendenzen eine kulturelle Nivellierung sehen. Dies vor allem dann, wenn aus ökonomischen Interessen heraus einheitliche Stan­dards weltweit festgelegt oder mit grossem Werbeaufwand kulturelle Werte international durchgesetzt werden. Somit wird im Endeffekt häufig ein Lebensstil geprägt, dessen Bedeutung dann weit über das Ur­sprungsland — häufig die USA — hin­ausreicht.

Ist «globalisiert zu sein» demnach fremdbestimmt, ansteckend oder in irgendeiner Form nachteilig? Ich möchte im Folgenden einige Bereiche des alltäglichen Lebens näher be­trachten und die Auswirkungen von

Globalisierung für den/die Einzelne(n) skizzieren.

WER BIN ICH?

Wenn ich über mich selbst nachdenke und versuche anderen ein Bild von mir zu geben, kann dies über Eigen­schaften geschehen, die ich für mich als eigentümlich betrachte, in denen ich mich von anderen unterscheide. Ich kann mich aber auch über eine be­wusst gewählte oder erlebte Zu­gehörigkeit definieren. Dann sage ich z.B. über mich, dass ich eine Frau, ei­ne Schweizerin, eine Protestantin bin — und eben kein Mann, kein Ukrainer, kein Atheist. In allen diesen Fällen mache ich eine Identität geltend, die ich mit anderen gemeinsam habe und die mich zugleich von anderen unter­scheidet. Was aber geschieht nun, wenn durch Globalisierung ein neues Selbstver­ständnis entsteht? Wenn sich die «globale Frau» nicht mehr in ein Kul­tursystem integriert sieht, da die Un­terschiede mehr und mehr verschwim­men? Kommt es zu einer Gesellschaft von Gleichen? Voraussetzung wäre hier, dass Schutz und Recht universal zugänglich, der Status des Fremden aufgehoben wäre — die Universalisie­rung der Menschenrechte. Insofern ist der beliebte Autoaufkleber «Jeder ist ein Ausländer — fast überall» die Kurz­form der globalisierten Gesellschaft par excellence.

WOHIN GEHE ICH?

Unsere Grossmütter und Mütter —wenn sie nicht auf Grund von Vertrei­bung oder Krieg dazu gezwungen waren — wussten, wohin sie gehen be­ziehungsweise nicht gehen. Das Le­ben bestand aus räumlicher Konti­nuität; sie wurden gross, arbeiteten und starben an ein und demselben Ort oder in unmittelbarer Nähe von ihm. Heute kann fast niemand mehr davon ausgehen, dass sie nicht meh­rere Male in ihrem Leben die Koffer packt — vor allem, wenn sie erwerbs­tätig ist. «Wanderungsbewegung» nennen das die Soziologen und mei­nen damit allgemein die Entwicklung, dass wir an unterschiedlichen Orten heranwachsen, lernen, arbeiten und unseren Lebensabend verbringen.Aber mit dem Umzug ist es nicht ge­tan. Mit jeder örtlichen Veränderung wechseln wir auch die Bezugsperso­nen, die Orientierung und unter Um­ständen die Sprache.

WORÜBER UND WIE VERMITTLE ICH MICH?

Welche Möglichkeiten habe ich, mich jemandem mitzuteilen? Ich kann ihr schreiben, sie anrufen oder — und hier sind wir mitten im Prozess der Globa­lisierung — ihr mailen. Die Entwick­lung von neuen lnformations- und Kommunikationstechniken — und hierzu gehört vor allem das Internet —hat nicht nur dazu geführt, dass schätzungsweise 60 bis 90 Millionen Menschen heute rund um den Globus in Sekundenschnelle kommunizieren können. Diese Art des Austausches hat auch dazu geführt, dass in grossen Unternehmen weniger Teamsitzungen abgehalten werden und dafür Informationen «durch das Netz» rauschen. Globalisierung trägt also auch dazu bei, persönliche Kon­takte zu Gunsten von Zeiteinsparun­gen durch elektronische Kontakte zu ersetzen.

SCHADE

Hatte ich neulich, nach diesem inter­essanten Gespräch mit der jungen Frau noch das flaue Gefühl im Magen, etwas ganz Aussergewöhnliches ver­passt zu haben, atme ich inzwischen insgeheim auf. Meine Gesprächspart­nerin tut mir ein bisschen leid: Wollte sie mir doch offensichtlich mit ihrer Selbstbeschreibung vermitteln, dass sie nicht mehr so ohne weiteres ihre Identität und ihren «Heimathafen» identifizieren kann und in ihrer neu­en Firma häufiger per Mail als von Angesicht zu Angesicht mit den Kol­legInnen spricht...

Ende der Leseprobe aus 6 Seiten

Details

Titel
Im Tal der Cyberweiber
Hochschule
Universität Konstanz
Autor
Jahr
2000
Seiten
6
Katalognummer
V110341
ISBN (eBook)
9783640085163
Dateigröße
406 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Universität war nur mein Arbeitgeber. Der Artikel erschien in der Schweiz bei: NORA. Die Frau in Leben und Arbeit. 5/00, 4-5
Schlagworte
Cyberweiber
Arbeit zitieren
Dr. Sabrina Böhmer (Autor:in), 2000, Im Tal der Cyberweiber, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110341

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