Die vorliegenden Arbeit möchte die Voraussetzungen für L´Euridice analysieren: Die theoretisch-philosophischen Grundüberlegungen, die im Umfeld Rinuccinis angestellt wurden, die literarischen Gattungen, die in die neue Form einflossen, sowie die musikalischen Stile, die man für die Oper weiterverwendete.
Es soll gezeigt werden, wie Rinuccini zu einer singbaren und szenisch aufführbaren Sprache kommen konnte. So soll der Status von L´Euridice zwischen Tradition und Neuheit verdeutlicht werden.
Es sind mehrere Ausgaben des Librettos zu L´Euridice verfügbar. Der Druck, der dem Publikum der Uraufführung als Souvenir mitgegeben wurde, unterscheidet sich an einigen Stellen von der von Peri vertonten Version. Daher ist es wichtig, sich in einer librettologischen Diskussion auf Rinuccinis Originaltext und nicht auf die Version in Peris Partitur zu beziehen. Die vorliegende Arbeit zitiert die Ausgabe im Anhang der Dissertation von Barbara Russano-Hanning.
Inhalt
1 Einleitung
2 Geistig-kulturelles Umfeld der Entstehung
2.1 Die „Florentiner Camerata“
2.2 Philosophische Überlegungen
2.3 Die „Florentiner Intermedien“
3 Literarische Vorbedingungen
3.1 Die Tragödie
3.2 Pastorale und Tragicommedia
3.3 Madrigal, Ritterepik und Sacra rappresentazione
4 Zeitgenössische poetologische Kategorien
4.1 Gravità e dolcezza
4.2 Affetti
4.3 il Meraviglioso
5 L´Euridice
5.1 Grobgliederung
5.2 Rezitativ
5.3 Geschlossene Formen
6 Fazit
7 Literatur
1 Einleitung
Mit dem zum Zweck der kompletten Vertonung und szenisch-musikalischen Darbietung konzipierten Bühnentext L´Euridice von Ottavio Rinuccini mündet eine längere Experimentierphase in ein Werk, das in der Sekundärdiskussion als „erste Oper“ allgemein anerkannt ist, auch wenn es an Beliebtheit von Alessandro Striggios und Claudio Monteverdis Orfeo heute bei weitem überflügelt wird.
L´Euridice wurde im Jahre 1600 sowohl von Jacopo Peri, als auch von Giulio Caccini vertont, wobei der Vertonung Peris größere Bekanntheit zuteil wurde, da sie bei den Hochzeitsfeierlichkeiten von Maria de´ Medici mit Heinrich IV von Frankreich – dem Anlaß der Dichtung und Komposition – aufgeführt wurde.
Peri und Caccini gehörten wie Rinuccini einem Kreis von Florentiner Adligen, Intellektuellen und Künstlern an, die an dem Projekt, abendfüllende Bühnenwerke komplett zu musizieren, schon lange mit großem philosophischen, künstlerischen und finanziellen Einsatz arbeiteten. Es galt auf musikalischem Gebiet, eine geeignete Form von rezitierendem Sologesang zu finden. Die Dichter mußten eine Schreibart konzipieren, die den Erfordernissen szenischer Darstellung und denen der musikalischen Komposition gleichzeitig gerecht wurde. Für den Erfolg war es außerdem nötig, die Neuerungen theoretisch vorzudenken, zu begleiten und zu untermauern.
Eine neue Kunstgattung wird nie voraussetzungslos aus der Phantasie der Künstler geschöpft. Vielmehr werden in der Regel vorhandene Vorbilder für den neuen Zweck kombiniert bzw. umgedeutet. Dies gilt auch für das Opernlibretto.
Die vorliegenden Arbeit möchte die Voraussetzungen für L´Euridice analysieren: Die theoretisch-philosophischen Grundüberlegungen, die im Umfeld Rinuccinis angestellt wurden, die literarischen Gattungen, die in die neue Form einflossen, sowie die musikalischen Stile, die man für die Oper weiterverwendete.
Es soll gezeigt werden, wie Rinuccini zu einer singbaren und szenisch aufführbaren Sprache kommen konnte. So soll der Status von L´Euridice zwischen Tradition und Neuheit verdeutlicht werden.
Es sind mehrere Ausgaben des Librettos zu L´Euridice verfügbar. Der Druck, der dem Publikum der Uraufführung als Souvenir mitgegeben wurde, unterscheidet sich an einigen Stellen von der von Peri vertonten Version. Daher ist es wichtig, sich in einer librettologischen Diskussion auf Rinuccinis Originaltext und nicht auf die Version in Peris Partitur zu beziehen. Die vorliegende Arbeit zitiert die Ausgabe im Anhang der Dissertation von Barbara Russano-Hanning[1].
2 Geistig-kulturelles Umfeld der Entstehung
2.1 Die „Florentiner Camerata“
In Florenz existierte wie in anderen italienischen Städten des 16. Jahrhundert bereits seit Bembos Zeiten die Tradition, daß sich Künstler und Intellektuelle um einen adligen Mäzen versammelten, um philosophische und kulturelle Themen zu diskutieren und die Ergebnisse umzusetzen. Einige dieser Zirkel hatten bereits während ihres Bestehens feste Namen (z.B. die Accademie degli Alterati, die Accademia della Crusca etc.). Rinuccini frequentierte einen Kreis um die gentleman composers [2] Giovanni Bardi und Jacopo Corsi.
Er bekam den allgemein gebräuchlichen Namen „Florentiner Camerata“ von Caccini, der ihn in der Widmung seiner Euridice an Bardi (1600) gebrauchte.[3] Solerti setzt ihr Bestehen von 1580 bis 1589 an,[4] wobei es keine fest umrissene Zeit gibt. Als Schlußpunkt könnte Bardis Weggang nach Rom 1592 gewertet werden, wobei sich die Versammlungen mit hoher Wahrscheinlichkeit im Hause Corsi fortsetzten.[5]
Giovanni de´Bardis Sohn Piero beschreibt die Veranstaltungen seines Elternhauses folgendermaßen:
„ Avendo il signor Giovanni mio padre gran diletto alla musica, nella quale, in que´tempi, egli era compositore di qualche stima, aveva sempre d´intorno i più celebri uomini della città, eruditi in tal professione, e invitandoli a casa sua, formava quasi una dilettevole e continua accademia, dalla quale stando lontano il vizio, e in particolare ogni sorte di giuoco, la nobile gioventù fiorentina veniva allettata con molto guadagno, trattenendosi non solo nella musica, ma ancora in discorsi e insegnamenti di poesia, d´astrologia, e d´altre scienze, che portavano utile vicendevole a sì bella conversazione.”[6]
Nimmt man diese Jahrzehnte im Nachhinein entstandene Beschreibung als maßgeblich an, so geht aus ihr erstens die Verflechtung von praktisch-künstlerischen und theoretischen Herangehensweisen hervor, zweitens auch der Charakter von Schöngeistigkeit und gehobener Unterhaltung. Das Personal war offenbar gemischten Alters: „ celebri uomini “, „ eruditi “ trafen in einer Form von „ insegnamenti “ auf die „ nobile gioventù “.
Gesichert ist die Teilnahme von Vincenzo Galilei, Giulio Caccini, Jacopo Peri, Pietro Strozzi, wahrscheinlich die Cavalieris (nach 1584), Corsis, und Malvezzis. Da Rinuccini erst 1562 geboren und damit viel jünger als Bardi (*1534) und Galilei (* um 1520) war, stellt sich die Frage, ob er bereits 1580 an der Camerata teilgenommen haben kann. Vermutlich war er erst Teil der „ nobile gioventù “ und erwarb sich mit den Jahren das Ansehen eines „ erudito “. Seine prominente Mitwirkung an den Florentiner Intermedien von 1589 belegt seinen frühen Erfolg.
Neben einigen naturwissenschaftlichen Studien war die Entwicklung eines monodischen Rezitationsstils nach Vorbild der griechischen Musik Hauptgegenstand der Bemühungen dieser Camerata. Erstes Ergebnis waren heute verschollene Kompositionen Galileis, ab 1581 auch Monodien Caccinis, die er in der für die Epochenzäsur um 1600 einschlägigen Sammlung „ Le nuove musiche “ (1601) herausgab.
2.2 Philosophische Überlegungen
Die musikphilosophischen Gedanken, die im Umkreis Rinuccinis rezipiert und angestellt wurden, sind schwer kurz zusammenzufassen, da sie zwar um ein Themenfeld kreisten, aber eine große Anzahl im Detail heterogener Ergebnisse von unterschiedlicher Qualität und Tragweite hervorbrachten. Das besagte Thema, die antike Musik, ihre angenommene Großartigkeit, beschäftigte eine Reihe von Denkern des 16. Jahrhunderts auch außerhalb Florenz´.[7]
Aus der Antikenbetrachtung ließen sich zwei verschiedene Konzepte der Ziele von Musik gewinnen: Ein Platonisches, die Hörer zur Tugend zu belehren, indem man sie erfreut, und ein Aristotelisches, sie innerlich zu Reinigen (Katharsis), indem man große Gefühle erregt.
Die wichtigsten florentiner humanistischen Musiktheoretiker waren Girolamo Mei und Vincenzo Galilei. Galilei frequentierte die „Florentiner Camerata“, Mei fungierte, obwohl Altersgenosse, als Galileis Lehrer. 1519 in Florenz geboren, zog er um 1560 nach Rom und zählte folglich nicht zu den ständigen Gästen des Grafen Bardi. Sein Werk bildete dennoch die Grundlagen für die Überlegungen der Camerata. Meis Schriften[8] waren zwar nicht gedruckt, kursierten aber seit 1568 in handschriftlicher Form, da er mit Bardi und Galilei befreundet war.
Mei näherte sich der griechischen Musik nicht nur in philosophischen, sondern auch in tonsatztheoretischen Fragen, indem er die antiken Modi nutzbar zu machen suchte. Er war, wie nach ihm Galilei, der Ansicht, daß die griechische Musik monodisch gewesen sei, und forderte eine Wiederauflage dieser Singweise. Von der zeitgenössischen polyphonen Kompositionsweise hielt er nicht viel. Die Musik müsse sich mit der Schwesterkunst Rede vereinigen. Sie teile mit ihr die Komponenten Rhythmus und Harmonie. Musik und Rede könnten die Bewegungen der Seele nachbilden und so dieselben Regungen im Zuhörer hervorrufen – ein ziemlich mechanistisches Gefühlskonzept, das an Descartes gemahnt. Neben einigen anderen kunsttheoretischen Schriften verfaßte Mei auch eine Geschichte der toskanischen Literatur, Del verso toscano Trattato del Signor Hieronimo Mei Gentiluomo fiorentino distinto in tre libri.[9] Die Überlegungen, die er über Versformen und Gattungen, über Gestaltungsprinzipien und ihre Funktion anstellt, geben häufig Aufschluß über den Stand der Diskussion, auch was die Eignung zur Vertonung und szenischen Darbietung angeht.
Vincenzo Galilei, geboren um 1520 bei Florenz, ein angesehener Lautenist, studierte Musiktheorie bei Zarlino in Venedig und bei Mei in Rom.
Das wichtigste theoretische Werk, das die Florentiner Camerata hervorbrachte, war sein „ Dialogo della musica antica, e della moderna “, gedruckt bei Marescotti in Florenz 1581. Er ist Bardi gewidmet und der Widmungsträger tritt neben Strozzi als Dialogpartner auf.
Galilei kritisierte hier an der zeitgenössischen, hochkomplexen Kontrapunktkunst ihre mangelnde Fähigkeit, Gefühle zu erregen. Die Vorstellungen Meis von der wiedererweckten antiken Rezitierkunst konkretisierte Galilei in eigenen Kompositionen: Zwei Klagen des Jeremias und eine Klage des Ugolino trug Galilei 1582, indem er sich selbst auf der Viola begleitete, vor. Die Kompositionen sind jedoch verschollen.
Neben Galilei traten auch die adeligen Gastgeber, Bardi und Doni, als Autoren von musikphilosophischen Traktaten hervor. Patron Giovanni Bardi zum Beispiel verfaßte einen „ Discorso mandato […] a Giulio Caccini sopra la musica antica e´l cantar bene”.[10]
Insgesamt waren die Erzeugnisse des Kreises theoretisch durchdrungen. Es existierte die Vorstellung, daß alles Tun, auch die Kunst, vom Verstand seine Berechtigung erlangen müsse, wie gleich der Anfang des Vorworts von Jacopo Peri zur gedruckten Partitur der Euridice belegt:
Prima, ch´io vi porga (benigni Lettori) queste Musiche mie, ho stimato, convenirmisi farvi noto quello, che m´ha indotto a ritrovare questa nuovo maniera di canto, poichè di tutte le operazioni humane, la ragione debbe essere principio, e fonte; E chi non puo renderla agevolmente da a credere, d´haver operato a caso.
Rinuccini hat, wie Peri, kein theoretisches Traktat verfaßt. Doch auch aus seinen Äußerungen, seien es Vorworte, seien es die Passagen seiner Werke, die für Grundsatzfragen Raum bieten (insbesondere die Prologe), geht eine große theoretische Bewußtheit seines künstlerischen Schaffens hervor, deren Grundlagen mit jenen Galileis harmonieren.[11]
2.3 Die „Florentiner Intermedien“
Intermedien sind kurze Theaterspektakel mit hohem Musikanteil, die zwischen den Akten des Sprechtheaters aufgeführt wurden. Zu späteren Zeiten der Operngeschichte wurden auch gänzlich gesungene Intermedien zwischen Opernakten gespielt.
Die Familie de´Medici nutzte Intermedien, um ihren Ruhm und den der Stadt Florenz als Theaterstadt zu verbreiten.[12] Solche Theaterereignisse fanden alljährlich zu unterschiedlichsten Anlässen statt. Dabei fiel im Abstand von jeweils zirka einem Vierteljahrhundert ein Ereignis besonders prachtvoll aus, nämlich die Intermedien von 1539, 1565 und 1589.
Die Florentiner Intermedien ab 1585 sind frühe Ausprägungen der Bemühungen der Florentiner Camerata um gesungene Rede auf der Bühne. Besondere Pracht entfalteten die Intermedien zu La Pellegrina anläßlich der Hochzeit Ferdinands I. de´Medici mit Christina von Lothringen 1589. Der Anlaß beweist das hohe Prestige der auf internationale Aufmerksamkeit zielenden Darbietung.
Drei dieser sechs Intermedien stammen ganz von Ottavio Rinuccini, zwei weitere zum größten Teil (den Rest hat Graf Bardi persönlich verfaßt). Interessant ist, daß sich die Intermedien inhaltlich alle mit der Kraft der Musik auseinandersetzen, also mit dem Kernthema der florentiner musiktheoretischen Antikenbetrachtung.
Das erste Intermedium reflektiert die Sphärenharmonie, das vierte (von Bardi geschriebene) die Feuerdämonen, das sechste das Geschenk von Harmonie und Rhythmus von den Göttern an die Menschen.
Das zweite Intermedium schildert, wie die Töchter des Pieros (die Pieriden) die Musen zum Gesangswettbewerb herausfordern und in Elstern verwandelt werden, das dritte, wie Apollo die Einwohner Delphis vor der pythischen Schlange rettet. Beide Intermedien basieren auf Ovid.
Das fünfte schließlich erzählt die Sage von Arion, der sich vor dem Ertrinken rettet, indem er durch seinen Gesang einen Delphin überzeugt, ihn an Land zu bringen – eine dem Orpheus-Mythos verwandte Geschichte.
Die Musik der Intermedien ist zum größeren Teil noch polyphon. Der Stil, der Charakteristikum der abendfüllenden Opern werden sollte – die solistische Gesangsweise, die über einem akkordischen Begleitinstrument zeitlich flexibel deklamiert – klang jedoch auch schon an, und zwar im Solomadrigal der Armonia Dorica im 1. und in Arions Gesang im 5. Intermedium, komponiert von Jacopo Peri.
Die Musik zu den Intermedien von 1589 wurde 1591 gedruckt. Auffällig ist, daß zu den Passagen mit dramatischem Bühnengeschehen (Arions Sprung ins Wasser, Apollos Kampf mit dem Ungeheuer) keine Musik überliefert ist.[13] Daraus wird ersichtlich, daß die Anforderungen einer gänzlich musizierten Oper in diesem Punkt noch nicht erfüllt werden konnten.
3 Literarische Vorbedingungen
3.1 Die Tragödie
Inwiefern die ersten Opern als der Versuch verstanden werden müssen, die antike Tragödie wiederauferstehen zu lassen, ist ein Zankapfel der Musikwissenschaft.[14]
Die dahingehende Deklaration der Erfindung der Oper als „produktives Mißverständnis“ ist als vereinfachte Darstellungsweise der Prozesse um 1600, wie sie für populärwissenschaftliche Zwecke oder in Überblicksveranstaltungen der Musikgeschichte verwendet werden mag, ebenso unausrottbar wie legitim, da so immerhin eine wesentliche Komponente erfaßt wird.
So umstritten das tatsächliche substantielle Einfließen antiker Kunstprinzipien in die Erzeugnisse der Florentiner Camerata ist, so evident ist zumindest ihre Präsenz in der Selbstdarstellung.
In keiner zeitgenössischen theoretischen Äußerung fehlt der deutliche Hinweis auf die Patenschaft der antiken Tragödiendichter, auf das Ziel, ihre Kunst wiederaufleben zu lassen.
So hebt Rinuccinis Vorwort zum Erstdruck seines Librettos an:
„ È stata openione di molti, Cristianissima Regina, che gli antichi Greci e Romani cantassero su le scene le tragedie intere […].”[15]
Es folgt eine Verbeugung zweifelhafter Ehrlichkeit vor der Überlegenheit der antiken Musik. Man habe es für unmöglich gehalten, eine solche Kunstform mit zeitgenössischen Mitteln wiederaufleben zu lassen. Peris Musik habe Rinuccini jedoch eines Besseren belehrt.
Aufschlußreich für die Frage nach dem Bezug zur griechischen Tragödie ist der Prolog zu L´Euridice. Da tritt die Tragödie in Person auf die Bühne, sie äußert sich jedoch in Form der orazianischen Odenstrophe – ein äußerliches Bekenntnis zur Tragödie, aber in der Substanz eines zur Ode, also zur Lyrik.
Bei genauerer Betrachtung der Metadiskussion, die den frühesten Opern vorausging, ergibt sich, daß ein Wiederaufleben der griechischen Tragödie zwar wünschenswert, aber unmöglich schien, da die zeitgenössischen Tragödien zum gänzlichen Singen als völlig ungeeignet angesehen wurden. Gegen eine gesungene Wiedergabe sprachen u.a. die Vielfalt ihrer Charaktere und Themenstränge.[16] Eine detaillierte Wiedergabe des theoretischen Diskurses im Florenz des 16. Jahrhunderts würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Als Beispiel soll hier ein Zitat von Agostino Michele dienen, auf das sich die Ausführungen M.G. Accorsis und Barbara Russano-Hannings beziehen:[17]
„[…] il canto era talmente caro, e gratioso à gli ascoltanti [antichi] , che con lui recitavano le Tragedie intere, et hor che ciò facesse sommo fastidio, et indicibile noia arrecarebbe.”
So kann zusammengefaßt werden, daß die Wiederbelebung der antiken Tragödie ein theoretischer Wunsch der Florentiner Intellektuellen und Künstler war, der bei der Entwicklung der ersten Opern als eine entscheidende Triebfeder wirkte. Ergebnis war jedoch, und das war allen Beteiligten klar, eine neue Gattung, die aus der Antikenrezeption Impulse erhalten hatte, aber keine antike Kunstform wiederaufleben ließ und dies auch nicht sollte.
Zum Selbstverständnis der Neuheit paßt auch, daß Peri Rinuccinis Text als „ nuovo poema “[18] anpreist.
Während die Übernahmen aus der klassischen Antike insgesamt ein weites Feld sind, die den Stoff aus Ovids Metamorphosen, den Hendekasyllabus, die orazianische Odenstrophe und vieles mehr betreffen, sind die Elemente, die L´Euridice mit der griechischen Tragödie verbinden, relativ einfach zu benennen:
Die (unbewiesene) Grundannahme des ununterbrochenen Singens, die Verwendung des Chores zur Kommentierung des Geschehens, die Einbindung von Geschehnissen außerhalb der Bühne durch Botenerzählungen, die Abwicklung aller Vorgänge in der Zeit von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang, die Fünfteilung.[19]
Was die Verwendung des Chores angeht, so fungiert er bei Rinuccini auch als Handlungsteilnehmer und Dialogpartner. Die Funktion des Chores geht also über die des Tragödienchores qualitativ hinaus.
Von der Botenerzählung wird in so breitem Umfang Gebrauch gemacht, daß in diesem Punkt genausogut die Entfernung von der griechischen Tragödie deutlich wird. So basiert die zweite Szene auf Dafnes Bericht vom Tod Euridices, die dritte auf der Erzählung Arcetros, wie Orpheus von der Göttin Venus gerettet wurde, und ein Gutteil der fünften Szene auf Amintas Nachricht von der Wiederkehr des Brautpaars. Das ist zusammengezählt die Hälfte des Stückes, das so einen undramatischen, narrativen Charakter erhält, der dem der antiken Tragödie fremd ist.
3.2 Pastorale und Tragicommedia
Viele der ersten Opernlibretti wurden von ihren Autoren als „ favole pastorali “ bwz. „ pastorali tutti in musica “ deklariert.[20] Rinuccini tat es nicht für L´Euridice, wohl aber für La Dafne. Dies geschieht nicht ohne theoretische Vorüberlegungen aus dem Kreis der Camerata. So befand Giovanni Battista Doni die Hirtensphäre als besonders geeignet für musikalische Bühnenkunst, da es der Glaubwürdigkeit des Geschehens zuträglich sei, daß die Hirten ohnehin sehr viel sängen:
„[…] così anco se gli potesse convedere di avere la melodia in tutte le sue parti, massime perché vi si rappresen tano Deità, Ninfe, e Pastori di quell´antichissimo secolo, nel quale la Musica era naturale, e la favella quasi poetica.”[21]
Das entspricht den Theorien Battista Guarinis über die Hirten Arkadiens,
„ gente avvezza a non discorrere, a non pensare, a non esercitar altro che nobilissimi canti e leggiadrissime poesie, quando per lor diletto […][22]
Auch die Suche nach einer mittleren Stilhöhe zwischen Tragischem und Komischem, die bei den Dramatikern gegen Ende des 16. Jahrhunderts in der Luft lag, fand in Arkadien ihr Ziel. Hirten als Protagonisten gehören einer niederen Gesellschaftsschicht an, doch ihr Angesiedeltsein in einer ewig-sommerlichen Phantasiewelt erlaubt ihnen, sich ausschließlich den tiefen Gefühlen ihrer nichtsdestotrotz edlen Seelen zu widmen.
Als repräsentativ für den Stand der Metadiskussion zur Entstehungszeit von L´Euridice kann Angelo Ingegneris Schrift Della poesia rappresentativa e del modo di rappresentare le favole sceniche von 1598 gelten. Für Ingegneri sind Pastoralen das einzig spielbare dramatische Genre. Die zeitgenössischen Tragödien seien künstlerisch mangelhaft, zu teuer, zu traurig, außerdem mündeten sie in die Bestrafung des Tyrannen, was die Adligen Auftraggeber nicht gern sahen.[23]
Noch bevor Ingegneri seine Schrift veröffentlichte, wurden die ersten Pastoralen komplett vertont, und zwar 1591 von Emilio de´Cavalieri (1550-1602).[24] Die Musik ist verschollen, aber es ist bekannt, daß hier kein Rezitationsstil vorweggenommen, sondern eine Serie kleiner Arien komponiert worden war.[25]
Das erste italienische Theaterstück im Hirtenmilleu, Polizianos Orfeo (1480), schlägt gleichzeitig bereits die Brücke zum Orpheus-Mythos. Die Bezüge zu Rinuccinis Euridice wie auch zu Striggios Orfeo sind nicht zu übersehen.[26]
Unter den zahlreichen Erzeugnissen des pastoralen Genres, das mit seiner Präsenz von der Renaissance bis ins 19. Jahrhundert, wie Stefano Carrai bemerkt[27], eines der dauerhaftesten überhaupt ist, wirkten vor allem zwei Werke des 16. Jahrhunderts epochemachend: Torquato Tassos Aminta (1573) und Battista Guarinis Il Pastor fido (1590, 21602).
Guarini deklarierte seinen Pastor fido als Tragicommedia. Daran erweist sich einerseits, daß Pastorale und Tragikomödie als Genres nicht zu trennen sind. Andererseits zeigt die Zuweisung, daß die Stilhöhenfrage im zeitgenössischen Diskurs dermaßen im Vordergrund stand, daß der neu gefundene Gattungsbegriff explizit darauf bezugnimmt.
Guarini kehrt dem aristotelischen Katharsis-Ideal den Rücken, und zwar nicht nur in seinem Werk, das nicht mehr erschrecken will, sondern auch in seinen theoretischen Äußerungen. So argumentiert er in seiner Schrift Il Verrato, ovvero difesa di quanto ha scritto M. Giason De Nores contra le tragicommedie e le pastorali in un suo discorso di poesia, der von Bühnenstücken erregte Aufruhr sei teilweise schädlich und für die Reinigung der Seele sei jetzt, im Gegensatz zur Antike, die katholische Religion zuständig.[28]
Dergleichen Äußerungen hat Rinuccini nicht hinterlassen, aber im Prolog zu L´Euridice wird gleichwohl überdeutlich, daß eine kathartische Wirkung durch das Erregen von Angst und Schrecken nicht intendiert ist.
Wie Guarinis ist auch Rinuccinis Ziel die Vertreibung der malinconia, einer mehr kontemplativen als traurigen Geistesverfassung, die sich in der vorangehenden Epoche Dichter auf ihre Fahnen geschrieben hatten – Accorsi spricht von einer „ malinconia ciceroniana-platonica-bembiana und weist sie für Petrarca und Tasso nach.[29]
Die nachdenkliche, auch gottesbetrachtende Melancholie der Zeit vor Guarini mußte eine neue Erscheinungsweise finden, um in die frühen Opernlibretti einzugehen: Das Lamento, dessen Traurigkeit nicht mehr intellektuell, sondern gefühlsbetont ist. Daß affettuosità und nicht Intellektualität in der Oper ihren Platz findet, ist ein Grundmerkmal, das sich über die Jahrhunderte kaum verändert hat.
Wie aus den obigen Ausführungen hervorgeht, ist keine Gattungsgrenze zwischen Pastorale und tragicommedia zu ziehen. Vielmehr bedeutet der Begriff der tragicommedia eine Konzentration des heterogenen Pastoralgenres auf einen Charakterzug, der den Zeitgenossen besonders am Herzen lag: den Status als mittlere Gattung.
Beides, Hirtensphäre und stilistische Mittellage, sollten für die frühen Opern bestimmend werden.
3.3 Madrigal, Ritterepik und Sacra rappresentazione
„Madrigal“ ist ursprünglich der Name einer Textgattung. Mehrere Etymologien stehen nebeneinander, wobei der Herleitungsversuch aus „ matricalis “ den Aspekt der Muttersprachlichkeit, derjenige aus „ mandria “ den Bezug zur Hirtensphäre verdeutlicht. Beide Eigenschaften sind bei der Definition der Madrigaldichtung von Bedeutung. Formal zeichnet sich das Madrigal durch die freie Mischung von Sieben- und Elfsilblern aus, ist ansonsten jedoch sehr variabel in Ausdehnung und Reimstruktur.
Zu Rinuccinis Zeit verstand man unter einem Madrigal eine mehrstimmige Komposition, die den Inhalt des zugrundeliegenden Gedichts musikalisch verdeutlichte, wobei häufig einzelne Worte bildhaften Ausdruck fanden (Madrigalismen). Die vertonten Texte waren zumeist Liebeslyrik in Sieben- und Elfsilblern, der Bezug zur Arcadia nicht zwingend.
Wer L´Euridice anhört, wird wohl kaum Madrigale assoziieren. Dennoch schuldet das erste Opernlibretto der polyphonen Kurzgattung viel, und zwar fast seine gesamte Textur.
Bis auf die Frottola-ähnlichen Chorstücke an den Nahtstellen der Szenen ist L´Euridice in von Siebensilblern durchbrochenen Elfsilbler in freier Reimstruktur gehalten. M.G. Accorsi identifiziert die Schreibweise als „ scrittura scenica per madrigali allargati, giustappoti, continuati, dialogati […]”.[30]
Das heißt, der Madrigalvers, dessen Eignung zur Vertonung sich schon erwiesen hatte, wurde von Rinuccini auf die lange Distanz angewendet. Vorbilder konnte er bei Tasso und Guarini finden, wobei hier die Madrigale ihrem ursprünglichen Zweck gemäß als lyrische Einzelepisoden angewendet wurden.
Es ist wichtig festzuhalten, daß Rinuccini mit dem Madrigalvers nicht auf eine dramatische, sondern eine lyrische Form zurückgriff. Seine Eignung für größere Ausdehnungen hatte der Madrigalvers schon in den zu Idyllen ausgewachsenen Eklogendichtungen unter Beweis stellen können, nicht jedoch sein Funktionieren auf der Bühne. Mit der Wahl einer lyrischen Textur gewährleistete Rinuccini die grundsätzliche Eignung seiner Verse zur musikalischen Darbietung, gefährdete jedoch die Bühnenwirkung.
Verse für dramatische Theaterstücke existierten vor Rinuccini, ebenso Verse für den Sologesang. Rinuccinis Aufgabe bestand darin, einen Vers zu konzipieren, der beides vereinte.
Es ist ein Klischee der Musikgeschichte, daß die Monodie die Erfindung der Jahrhundertwende zum 17. Jahrhundert gewesen sei. Dabei gab es längst eine blühende solistische Vortragskultur, die sowohl kürzere Stücke als auch ganze Epen einschloß. Peri selbst war ein beliebter, sich selbst auf der Laute begleitender Vokalsolist.
Rinuccini hätte also auf der Suche nach einer Textgrundlage für längeren Sologesang zuerst auf die Ritterepen Tassos und Ariosts stoßen müssen, die auf der Grundlage sich wiederholender Melodiemodelle vorgetragen wurden.
Das Vorbild der gesungenen Epen hätte Rinuccini auf die Oktavenstrophe führen müssen, in der Tassos Gerusalemme liberata wie auch der ältere Orlando furioso von Ariost komplett gedichtet war. Die acht Elfsilbler im Reimschema ABABABCC konnten sogar bereits eine Bühnentradition vorweisen, waren sie doch das gängige Modell in den Sacre rappresentazioni.[31]
Die Sacra rappresentazione ihrerseits blickte zu Rinuccinis Zeiten bereits auf eine Jahrhunderte währende Geschichte zurück. Diese szenische Darbietung religiöser Inhalte zu festen Tagen im Kirchenjahr ist bis heute in Italien nicht ausgestorben. Musik war immer präsent, aber komplett vertont wurde erstmals La rappresentazione di anima, et di corpo, und zwar im Euridice -Jahr 1600. Die Druckversion lag einen Monat vor der Uraufführung von L´Euridice vor. Das Libretto von Agostino Manni ist durchgängig in Terzinen, dem Schema der Divina comedia geschrieben.
Doch weder Terzine noch Oktave sind in Rinuccinis Libretti in größerem Maße eingegangen.[32] Die einzige Stelle mit Terzinen in L´Euridice ist dennoch nicht unbedeutend, ist Orfeos Freudengesang Gioite al canto mio selve frondose doch eine der ganz wenigen geschlossenen Solonummern (s.u. Kapitel 5.3).
Es zeigt sich, daß Terzine und Oktave für geschlossene Liednummern gut geeignet sind, aber nicht die Freiheiten gewähren, die für den stile recitativo Peris notwendig sind. Im Rezitativ mit seinen rhythmischen und harmonischen Lizenzen bestand jedoch die epochale Neuerungsleistung des Autorenduos Rinuccini/Peri.
4 Zeitgenössische poetologische Kategorien
4.1 Gravità e dolcezza
In der Widmung an Maria de´Medici, die dem Partiturdruck von L´Euridice (Florenz, Marescotti 1601) vorangestellt ist, preist Jacopo Peri die besondere Leistung Rinuccinis an, in seinem Text zwei schwer vereinbare Qualitäten auf einen Nenner gebracht zu haben: gravità und dolcezza:
Ove il Signor Ottavio Rinuccini, e nell´ordinar´, e nello spiegar sì nobil favola, adornandola tra mille grazie e mille vaghezze, con maravigliosa unione di quelle due che sì difficilmente s´accompagnano Gravità e Dolcezza; ha dimostrato d´esser´ al par, de´ più famosi Antichi […].[33]
Dieses Lob scheint auf den ersten Blick sehr oberflächlich gehalten („ mille grazie e mille vaghezze “), doch bei genauerer Betrachtung erweist sich, daß gravità und dolcezza, angekündigt mit der Wendung quelle due, als allgemeine Kategorien des zeitgenössischen Diskurses wohlbekannt gewesen sein müssen.[34]
Gravità und dolcezza, so geht aus dem Zitat hervor, gereichten einem Werk zum Schmuck („ adornandola “). Dabei ist ihr gleichzeitiges Auftreten zwar erstrebenswert, was das Adjektiv „ maravigliosa “ anzeigt, aber sehr schwierig zu bewerkstelligen („ che sì difficilmente s´accompagnano “). Die Bewältigung dieser Aufgabe hebt Rinuccini auf Augenhöhe mit den verehrten Dichtern der klassischen Antike.
Wenn die Vereinigung von gravità und dolcezza ein Ziel der literarischen Epoche war, das Problem jedoch ein Gattungstheoretisches, so liegt es nahe, die beiden Begriffe als Schlagworte sich bislang gegenseitig ausschließender Gattungsstränge zu verstehen. Gleichzeitig geht aus dem Zitat die Annahme einer antiken Gattung hervor, die beide Charakteristika vereint. Die Innovation, die man sich aus der Kombination von gravità und dolcezza erhoffte, war also zugleich durch antike Vorbilder angespornt und legitimiert.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß gravità das Merkmal großer Stilhöhe ist, wie sie der antiken, aber auch der zeitgenössischen Tragödie zueigen war, während dolcezza den lyrischen Formen zuzuschreiben war.
In der Variante „ gravità e piacevolezza” hatte schon der Literaturpapst Pietro Bembo in seiner Schrift Prose della volgar lingua (1325) das Gegensatzpaar definiert.[35] Bembo attestierte Francesco Petrarca die Präsenz beider Größen in seinem Werk. Man kann davon ausgehen, daß Bembos Aussagen dem Florentiner Intellektuellenkreis auch nach Jahrhunderten sehr präsent waren.
Die höfische ernste Oper benötigte eine gehobene Stilebene und einen abendfüllenden Umfang wie eine Tragödie, mußte aber musizierbar sein wie eine lyrische Form. Die Analyse von gravità und dolcezza in L´Euridice bringt uns also an den Kern der Leistung Rinuccinis als des ersten Opernlibrettisten und erlaubt Rückschlüsse über das junge Opernlibretto als Mischgattung.
Interessant ist in diesem Zusammenhang bereits der Prolog zu L´Euridice, stellt der doch gleichzeitig ein Bekenntnis zur und eine Abkehr von der antiken Tragödie dar. Die personifizierte Tragödie dem Werk nicht nur voranzustellen, sondern ihr sogar den Rang der Erzählerin des gesamten Stücks zuzuweisen, ist eindeutig ein Element der gravità.
Gleichzeitig bekennt die Tragödie selbst explizit:
„ Ecco i mesti coturni e i foschi panni
Cangio, e desto nei cor più dolci affetti.”[36]
Eindeutiger und exponierter konnte sich Rinuccini zu seinem Ziel, gravità und dolcezza auf einen Nenner zu bringen, nicht bekennen.
Dolcezza manifestiert sich sowohl auf inhaltlicher als auch auf formaler Ebene. Bestimmte Gegenstände wurden zu Rinuccinis Zeiten als dem Lyrischen zugehörig verstanden, wobei das Repertoire in hohem Grade standardisiert war. Einen kleinen Katalog stellt M.G. Accorsi auf: „ amori felici o sospirosi, natura idillica, fiori, gemme, bellezza femminile.”[37]
Damit verbunden war ein fester Wortschatz, der zuweilen auch zeitgenössischen Spott, wie die Aufzählung in Giraldi Cinzios La tragedia a chi legge (1547), auf sich zog: „ fiori, erbe, ombre, antri, onde, aure soavi, rubin, perle, zafir, topazi e oro”[38] würden von den Schriftstellern mißbraucht.
Die Standartlexik der Süßigkeit war bereits mit Petrarca, also um die Mitte des 14. Jahrhunderts, so klar definiert, daß ihr Topos-Charakter zugesprochen werden kann. Zum Beleg, daß Rinuccini sich ihrer bediente, kann fast jeder beliebige Vers außerhalb der Unterweltepisode in L´Euridice dienen. Nehmen wir den Anfang der 1. Szene,
„ Ninfe ch´i bei crin d´oro
Scogliete liete allo scherzar de´venti,
E voi ch´almo tesoro
Dentro chiudete a bei rubini ardenti,
[…]”[39]
so finden wir schon Cinzios Gold und Rubine, und das Scherzen des Windes steht den süßen Lüften an Wohlbekanntheit ebenfalls nicht nach.
Der Bezug zu Petrarca manifestiert sich in L´Euridice aber nicht nur in der Verwendung der entsprechenden lyrischen Sprache, sondern auch explizit in prominenten Petrarca-Zitaten wie dem Vers „ Non vede un simil par d´amanti il sole “[40] aus Due rose fresche et colte in paradiso (Rerum vulgarium fragmenta, prima parte, CCXLV). Daß eine solche Hommage nicht unbemerkt vorüberging, zeigt sich am Verhalten Jacopo Peris, der den Vers – was aus Rinuccinis Librettodruck nicht hervorgeht – als Refrain mehrmals wiederkehren läßt und so quasi als Motto der Szene etabliert.
Der Einsatz des Chores ist eine Reminiszenz an die griechische Tragödie und insofern ein Element der gravità. Doch auch hier zeigt sich die Tendenz des Werkes zum Ausgleich, zum temperamento. Denn die Chöre bedienen sich des oben beschriebenen lyrischen Vokabulars und sind in einfachen Metren und Reimschemata gestaltet.
Als Beispiel soll eine Strophe aus dem Schlußchor der 3. Szene dienen. Er steht in Achtsilblern, ottonari, einem Versmaß, das der Volksmusik, Tanz und Frottola zugeordnet wurde.
„ Se de boschi i verdi onori
Raggirar su nudi campi
Fa stridor d´orrido Verno
Sorgono anco, e frond` e fiori
Appressando i dolci lampi
Della luce il carro eterno.” [41]
Das Versmaß ist verläßlich durchgehalten, das Reimschema ABCABC[42] leicht erkennbar und das petrarchistische Naturidiom präsent.
Ein weiteres Moment von gravità sind moralisierende Sentenzen wie Plutos Ausspruch
„ Romper le proprie leggi è vil possanza
Anzi reca sovente, e biasimo, e danno.“[43]
Sie sind jedoch sehr selten.[44]
So bestätigt die Analyse Peris Votum. L´Euridice vereint Elemente großer Stilhöhe mit lyrischen und (ansatzweise) volkstümlichen Gestaltungsprinzipien.
Ausgewogenheit zwischen oben und unten, zwischen tragisch und froh wird schon aus der Anlage von L´Euridice deutlich: Halbgötter treten mit Hirten zusammen auf – so hatte es schon Poliziano vorgemacht – , und eine tragische Begebenheit endet glücklich.[45]
Die Ästhetik der Mäßigung zeigt sich aber auch in vielen Details – paradigmatisch der Vers „ Non è il ben ne il pianto eterno”[46].
L´Euridice geht den Mittelweg zwischen gravità und dolcezza auf stilistischer, formaler und inhaltlicher Ebene.
4.2 Affetti
In seiner Descrizione delle felicissime nozze della Cristianissima Maestà di Madama Maria Medici Regina di Francia nennt Michelangelo Buonarotti il Giovane Rinuccinis Werk “affettuosa e gentilissima favola” [47] . Wem der weitere Werdegang der Barockoper präsent ist, horcht hier auf, ist doch die Darstellung von Affekten – und deren Auslösen beim Publikum – Hauptziel der barocken Opernkomposition.
In der weiteren Beschreibung der Aufführung ist bei Buonarotti von der Darstellung von Affekten mehrfach die Rede: Pluto wird von Orfeos Gesang bewegt („ mossosi alla suavità del canto “), und Orfeo und Euridice freuen sich ihrer Liebe („ essi amando di nuovo gioiscono “). Es fällt aber auf, daß offenbar das Publikum in diese Affekte nicht mit hineingezogen wurde. „ Piacer vario “ empfand der Zuschauer, nicht Trauer, Rührung und Freude über die Wechselfälle des Orpheus. Nach einer irgendwie gearteten Wirkung von Poesie und Musik auf den Zuschauer sucht man vergebens, einzig die Kulissen, „ che parean veri “, scheinen einen erwähnenswerten Eindruck gemacht zu haben.[48]
Die hochstilisierte Sprache und der narrative, undramatische Charakter des Stückes war auch nicht dazu angetan, die Emotionen brodeln zu lassen.
Nun war die humanistische Idealvorstellung von der griechischen Tragödie die eines Theaters der Affekte, von der Musik potenziert.[49] Damit waren durchaus nicht nur die dargestellten, sondern auch die beim Publikum erregten Gefühle gemeint. Nur sollten, wie der Prolog zu L´Euridice verrät, „ dolci affetti “ Teil der Zuschauer sein. In einem Satz auf die Spitze gebracht, war das paradoxe Ziel der frühen Opernästhetik, die dargestellten Affekte zu potenzieren, die beim Publikum ausgelösten jedoch zu temperieren.
4.3 il Meraviglioso
Aus der ersten Reform der Dichter Apostolo Zeno und Pietro Metastasio ging das Opernlibretto in einer gefestigten, stark standardisierten Form hervor. Die Erfordernisse an den Librettisten konnten klar definiert werden. So hatte das Libretto neben den formalen Kriterien, die sich aus der Verteilung der Arien auf die Szenen und Darsteller ergaben, nicht nur Anlässe für die verschiedenen Affekte bereitzustellen, die in den Arien zum Ausdruck gebracht werden sollten, sondern auch mußte auch inhaltlich Gelegenheit für eindrucksvolles Bühnengeschehen bieten. Besonders geeignet, die Schaulust des Publikums zufriedenzustellen, waren aufwendige Bühnenspektakel wie Feuersbrünste, Seeungeheuer u.ä. Alles, was nur die Welt des Theaters dem staunenden Zuschauer vor Augen führen kann, kann unter dem Begriff des „ meraviglioso “ zusammengefaßt werden.
Von den Kritikern der Seria-Oper ist immer wieder das Überhandnehmen dieser als oberflächlich geschmähten Komponente des multimedialen Massenmediums Oper bemängelt worden. Nun ist, will man L´Euridice zwischen Tradition und Nachwirkung lokalisieren, von Interesse, inwiefern schon hier, so elitär und intellektuell das Werk auch sein möge, das Wunderbare, il meraviglioso zu seinem Recht kommt.
Die schon oben zitierte zeitgenössische Beschreibung von Michelangelo Buonarotti jedenfalls würdigt ausführlich in mehreren Absätzen alles, was auf der Bühne zu sehen war, während die Leistungen Peris und Rinuccinis in einem Nebensatz abhandelt werden. „ Vaghissime “ sind die Naturlandschaften der Hirtenwelt, „ spaventevoli “ die Höllenabgründe. Besonderes Interesse gilt den Leistungen der Bühnentechnik, „ magnifico apparato “, beispielsweise der taghellen Beleuchtung („ una luce come di giorno “) der Oberwelt und der brennenden Stadt Dites in der Unterwelt.
Zumindest in der Rezeption der Zuschauer hatte also das Bühnenspektakel in der Oper von Anfang an großes Gewicht. Daß L´Euridice ein Vergnügen für den Verstand und für die Sinne war, hält Buonarottis letzter Satz fest: „ il tutto compiutamente passando […] con piacer vario, e di mente e di senso, in chi vi fu spettatore.”[50]
5 L´Euridice
5.1 Grobgliederung
Vorbemerkung: Fünf- oder Sechsteilung?
In der Sekundärliteratur konkurrieren für L´Euridice zwei Grobgliederungen: Eine in fünf und eine in sechs Teile. Der letzte Abschnitt wird von den Befürwortern der Sechsteiligkeit[51] in zwei Teile untergliedert.
Von Rinuccini liegen keine Szenenüberschriften vor. Die großen Abschnitte werden jedoch in den ersten vier Fällen unstrittig von Chorstücken getrennt. Nun sind diese gliedernden Chorstücke nicht die einzigen dem Chor zugewiesenen Textpassagen. Vielmehr erhält der Chor nicht nur (nach dem Vorbild der antiken Tragödie) die Funktion des außenstehenden Betrachters – diese reflektierenden Blöcke sind diejenigen, die das Stück formal gliedern – sondern ist auch als Handlungs- und Dialogteilnehmer in die Szenen eingeflochten. Die Aufgaben des Chorgesanges verschmelzen so weit mit denen der Einzelsänger, daß nicht selten Textpassagen von Peri von Chor zu Sologesang umgewidmet werden konnten.
Der Chor zwischen fünfter und angenommener sechster Szene lautet:
„ O di che bel seren s´ammanta il Cielo.
Al suon di tue parole
Fulgido più, ch´in sul mattin non suole
E più ride la terra, e più s´infiora
Al tramontar del dì ch´in sù l´Aurora. “ [52]
Eben ist die gute Nachricht überbracht worden, daß Orpheus und Eurydike zurückkehren.
Die Chorpassage trägt zwar mit den angestellten Vergleichen betrachtenden Charakter, unterscheidet sich hierin jedoch nicht von den vorangehenden Solopassagen. Das „ tue “ weist den Chor in diesem Fall eindeutig als Dialogteilnehmer aus. Auch die Mischung aus Sieben- und Elfsilblern ist dieselbe wie in den narrativ rezitierenden und dialogisierenden Passagen. Er teilt folglich die Eigenschaften der Szenenendchöre nicht.
Zusammen mit der Annahme, daß Rinuccini bestimmt eine Fünfteilung nach Vorbild der antiken Tragödie favorisiert hätte[53], spricht daher viel für die Fünfteilung.
Nach den oben zitierten Versen einen neuen Abschnitt beginnen zu lassen legt auf der anderen Seite der Auftritt Orfeos und Euridices, der wichtigsten Figuren, nahe, der eine deutliche inhaltliche Zäsur darstellt.
Es gibt also für beide Interpretationen gute Argumente. Ich tendiere vor allem deshalb zur Fünfteilung, weil der Chor „ O di che bel seren s´ammanta il Cielo “, Vers 679ff, weder im Umfang noch in der Struktur den anderen Gliederungschören gleicht.
Den fünf Szenen ist, wie wiederholt erwähnt, ein Prolog vorangestellt.
Die erste Szene spielt in idyllischer Natur. Der Chor der Nymphen und Hirten dialogisiert mit Euridice über ihr Liebesglück. Die Szene endet mit einer strophischen Aufforderung zum Tanzen durch den Chor mit der wiederkehrenden Strophe „ Al canto, al ballo “ (Vers 85ff).
Die zweite Szene spielt sich zunächst zwischen solistischen Dialogpartnern, nämlich zwischen Orpheus und seinen Freunden Arcetro und Tirsi ab. Letzterer singt eine der wenigen Arien des Stückes, „ Nel puro ardor “, bereits im Libretto erkennbar durch ihre regelmäßige Vers- und Reimstruktur. Ein Rückblick auf Orpheus´ vergangenes Liebesleid bringt einen Hauch Traurigkeit, bevor mit der Botin Dafne die Schreckensnachricht von Euridices Tod über die Gesellschaft hereinbricht. Ein Chor („ Cruda morte ahi pur potesti “, Vers 265ff.) in regelmäßigen Strophen aus Ottonari mit zwei Refrainversen („ Sospirate aure celesti/ Lagrimate o Selve, o Campi “), der einen weiten Bogen von Betrachtungen und Vergleichen über den Tod und die Liebe spannt, schließt die Szene.
Die dritte Szene gibt Raum für die Erzählung Arcetros, wie Orpheus von Venus mitgenommen wurde. Der Chor hält mit kurzen Fragen den Dialog aufrecht. Die abschließende Chornummer („ Se de´ boschi i verdi onori “, Vers 372ff.) ist wieder sehr kontemplativ und gesättigt von Naturvergleichen.
In Szene vier verläßt Venus Orpheus am Eingang zur Unterwelt. Orpheus überzeugt mit Hilfe Charons und Radamantes Pluto, Euridice herauszugeben. Der abschließende Chor der Schatten und Unterweltgötter („ Poi che gl´eterni imperi “, Vers 553ff) besteht aus fünf gereimten Strophen à sechs Verse à sieben Silben und lobt Orfeos Leistung.
Der letzte Abschnitt spielt wieder in der Welt der Lebenden. Aminta hat Gelegenheit, vom Kommen des Hochzeitspaares zu erzählen. Orfeos Auftritt nach dem oben erwähnten Chor „ O di che bel seren “ ist die Arie „ Gioite al canto mio “, in Terzinen gedichtet. Nach einem kleinen Stück Dialog zwischen dem Chor, Euridice, Arcetro, Orfeo, Aminta und Dafne erklingt ein regelmäßig gereimter Schlußchor („ Biondo arcier “, Vers 743ff), der den Sieg der Liebe und des Orpheus preist.
5.2 Rezitativ
Im Stile recitativo ist die größte Innovationsleistung Rinuccinis und Peris zu sehen, waren doch, wie oben geschildert, für geschlossene Sologesangsnummern wie für Chorstücke Vorbilder vorhanden, auf die man zurückgreifen konnte.
Jacopo Peri beschreibt im Vorwort an die Leser der gedruckten Partitur seiner Euridice recht detailliert, wie er sein Ziel, eine Singweise genau zwischen Sprechen und Singen zu finden, verwirklicht hat. Demselben Ziel mußte auch der Rezitativvers Rinuccinis dienen.
Auf die Poesie bezogen lautet die Vorgabe, einen Vers zu schreiben, der möglichst nah am natürlichen Redefluß ist – reine Prosa wäre der Würde des Anlasses nicht gerecht geworden. Alles Vorhersehbare wie regelmäßige Verse und Reime ziehen den Text in Richtung Kunst, alles Unregelmäßige und Unvorhersehbare geben ihm Spontaneität und Natürlichkeit.
Vor diesem Hintergrund scheint die Wahl des Madrigalverses plausibel. Der traditionsreiche Elfsilbler gehört einer gehobenen Kunstsphäre an. Durch unregelmäßig eingestreute Siebensilbler wird das Gleichmaß durchbrochen.
Rinuccini bedient sich auch des Reims als eines Merkmals künstlerisch gestalteter Sprache, doch läßt er sich in den parti recitative nicht auf regelmäßige Reimschemata ein.
Kreuz- und Paarreime treten frei ein, gehäuft an den kontemplativeren, weniger häufig an den dramatischeren Stellen der Handlung.
Als Passage mit vielen, wenn auch unregelmäßigen Reimen sei Euridices Auftritt in der 1. Szene zitiert:
„ In mille guise e mille
crescon le gioie mie dentro al mio petto
Mentre ogn´una di voi par che scintille
Dal bel´ guardo seren riso, e diletto;
Ma deh compagne amate
Là tra quell´ombre grate
Moviam di quel´fiorito boschetto
E quivi al suon de limpidi cristalli
Trarrem liete carole, e lieti balli.”[54]
Jeder Vers ist mit anderen Versen durch Reime verbunden. Kreuzreime und Paarreime sind gleichermaßen vertreten, meist in Form von Reimpaaren, aber im Fall der Endung „ -etto “ sind es drei Reimwörter.
Siebensilbige und elfsilbige Verse wechseln ohne erkennbare Regelmäßigkeit. Im Fall der Endung „- ille “ reimt sich ein Sieben- auf einen Elfsilbler.
Der Wortschatz speist sich aus dem standardisierten Lyrikidiom („ seren riso “, „ fiorito boschetto “, „ limpidi cristalli “). Die Kombinationen von Adjektiven und Nomina sind nicht überraschend, sondern bekannt. Dies bedeutet eine niedrige Informationsdichte, wie sie dem Verständnis gesungener Texte nur zuträglich sein kann. Einem Leser der Euridice mag diese Sprache klischeehaft und verbraucht vorkommen. Für den Hörer der Oper hat sie seinen Sinn. Insofern besteht in der lexikalischen Vorhersehbarkeit eine spezifische Qualität Rinuccinis als Opernlibrettist.
Als ein emotionaler Höhepunkt der Oper kann Orfeos Reaktion auf die Todesnachricht gelten:
„ Non piango, e non sospiro
O mia cara Euridice
Che sospirar, che lagrimar non posso.
Cadavero infelice,
O mio core, o mia speme, o pace, o vita.
Ohime chi mi t´ha tolto
Chi mi t´ha tolto, ohime dove se gita?
Tosto vedrai, ch´in vano
Non chiamasti morendo il tuo consorte;
Non son, non son lontano
Io vengo, o cara vita, o cara morte.”[55]
Die ersten sieben Verse sind sehr viel unübersichtlicher als die Vergleichsstelle “In mille guise […]“. „ Sospiro “, „ posso “ und „ tolto “ bleiben ungereimt. Die verbleibenden Reime kommen unerwartet. Kreuzreime würden normalerweise das Gedicht in Vierzeiler oder allenfalls Dreizeiler gliedern, hier legen die Reime dagegen eine Einteilung in vier plus drei nahe. Diese widerspricht wiederum der Einteilung durch die Interpunktion (drei plus zwei plus zwei).
Siebensilbler häufen sich, was der Stelle eine zerrissene, holpernde Wirkung verleiht.[56]
Eine gewisse Konsolidierung geht mit den letzten vier Versen einher. Zwei Kreuzreime korrespondieren mit der Silbenzahl (aBaB)[57]. So zerfällt die Passage in zwei Hälften, was auch der syntaktischen Struktur entspricht. Dies gibt die emotionale Situation Orfeos wieder, der nach einigen fassungslosen Fragen und Ausrufen („ ohime dove sei gita? “ etc.) mit seinem Entschluß, Euridice nachzufolgen, einige Festigkeit wiedergewinnt.
An dieser spannungsgeladenen Stelle finden wir anstatt der petrarchesk-idyllischen Adjektiv-Nomen-Kombinationen eine wirkliche Pointe in der Umformung des Kosewortes „ cara vita “ in „ cara morte “.
Reime geben formale Struktur. Sie schließen Einheiten zusammen. Dies entspricht auf musikalischer Ebene der Kadenz. Regelmäßige Reime bringen regelmäßige Kadenzziele und damit gleichlange musikalische Phrasen hervor. Ungereimte Zeilen verhindern das Kadenzieren, der Fortgang des Geschehens wird also an den Stellen mit weniger Reimen beschleunigt.
Man beachte in beiden Passagen das Fehlen von Enjambements und Binnenkommata, also von Elementen, die das Korrespondieren von Sinneinheiten mit Verseinheiten sprengen. Dies ist ebenfalls der Vertonungsabsicht geschuldet, da der gesungene Text nur verstanden wird, wenn Sinneinheiten auch mit musikalischen Phrasen korrespondieren. Es ist zwar möglich, bei Enjambements die musikalischen Einheiten an den syntaktischen anstatt an denen der Verse zu orientieren. Dann wird jedoch der Vers unrezipierbar, so daß man gleich Prosa hätte schreiben können.
Aus der Gegenüberstellung dieser prominenten Solopassagen wurde deutlich, nach welchen Prinzipien Rinuccini seinen Rezitativvers gestaltet und wie er diese Prinzipien gemäß der jeweiligen Bühnensituation modifiziert.
5.3 Geschlossene Formen
Die Zweiheit von Rezitativteilen und geschlossenen Formen ist eine für die weitere Entwicklung des Opernlibrettos essentielle Einrichtung. Die barocke Oper basiert in ihrer gefestigten Form auf dem Wechsel von handlungstragenden Rezitativteilen und geschlossenen Soloarien, die Affekte ausdrücken, während die Handlung innehält. Dies korrespondiert mit prosaähnlicher Sprache in den handlungstragenden Teilen und vers- und reimgebundener Sprache in den Arien.
Schon bei Poliziano ist die Bemühung erkennbar, luoghi oziosi zur Gliederung des Stückes einzusetzen und diese durch ihre Textur von Rest des Stückes abzuheben. Interessant ist, daß bei Poliziano die Handlung sich in strengen Oktaven vollzieht, während die luoghi oziosi freier gestaltet sind. Dieses Prinzip hat sich, wie oben ausgeführt, bei Rinuccini bereits umgekehrt und blieb in dieser Form für die weitere Entwicklung der Gattung verbindlich: Isometrische Verse mit festem Reimschema bringen gebundene Musikstücke hervor.
In L´Euridice sind auch die Dialogteile weitgehend frei von dramatischer Handlung, sie sind narrativ bzw. lyrisch. Die geschlossenen Stücke haben hier also nicht vorrangig die dramaturgischen Aufgaben von luoghi oziosi zu erfüllen, sondern die strukturellen. Sie dienen als Anker in einer unüberschaubaren Weite von Rezitativversen. Dies gilt insbesondere für die strophischen Chornummern, die, wie oben gezeigt, für die Grobgliederung des Stückes verantwortlich sind.
Erstaunlich ist die Vielfalt an Strophenformen und Metren, mit der Rinuccini die Schlußchöre gestaltet. Tatsächlich ist kein Chor so strukturiert wie der andere.
„ Al canto, al ballo “ gliedert sich in Vierzeiler im Reimschema ABBA. Die A-Verse sind Elfsilbler, die B-Verse Siebensilbler. Der Wechsel von Elf- und Siebensilblern knüpft an die Madrigaldichtung an und stellt so einen engen Bezug zur Hirtensphäre her. Das gebildete Versmaß wird vom einfachen Reimschema gemäßigt. Hirten und Natur bilden folgerichtig das inhaltliche Kolorit („ prato adorno “, „ Pastor “, „ boschereccie Ninfe “ etc).
„ Cruda morte “ ist der erste Chor in Ottonari. An Vierzeiler mit Kreuzreim schließen sich ab der zweiten Strophe die beiden letzten Verse der ersten Strophe als Refrainverse an, die, wie aus dem Kreuzreim-Schema zu schließen ist, ungereimt sind: „ Sospirate aure celesti/ Lagrimate o Selve, o Campi “). Der Ottonario gehört nicht der gehobenen dichterischen Sprache an, sondern findet vor allem in volkstümlichen und volkstümelnden Dichtungen, z.B. in Frottolen oder Canzonen, Verwendung. Mei lobt an diesem Versmaß in seiner Schrift Del verso toscano sein emotionales Potential, das nicht durch zu viel Kunst abgeschwächt sei.[58] Doch inhaltlich wirkt Rinuccini dem effektiv-affektiven Charakter des Ottonario durch eine Serie von Gleichnissen aus der Welt der Natur und der unvermeidlichen Seefahrt, die in lehrreiche Sentenzen münden, entgegen:
„[…][59]
Ben Nocchier costante, e forte
Sa schernir marino sdegno
Ahi fuggir colpo di morte
Già non val mortal ingegno.
Sospirate […]”
Der Chor “Se de´ boschi i verdi onori” gliedert sich in drei Sextinen-Strophen in Ottonari mit dem Reimschema ABCABC. Auch er hat wenig Volkstümlich-Unmittelbares an sich, er ist sogar noch abstrakter als „ Cruda morte “, wo immerhin einiger Ausdruck der Klage zu finden ist. „ Se de´boschi “ besteht komplett aus topischen Wettergleichnissen und Sentenzen über den Lauf der Welt: Nach dem Winter folgt der Frühling (1. Strophe), nach dem Unwetter klart es wieder auf (2. Strophe), alles ist in Bewegung, auf Leid folgt Freud (3. Strophe).
Die Sprache ist die eines Poeta doctus, er bezeichnet z.B. in Anlehnung an die antike Vorstellung die Sonne als Wagen („ carro eterno “, Vers 377). So hält Rinuccini auch hier die Waage zwischen Einfachheit des Versmaßes und Hochstilisierung der Ausdrucksweise.
Den Chor der Unterweltgottheiten dichtet Rinuccini ganz in Settenari, die Sextinen im Reimschema ABABCC bilden. Die Gestaltung in Siebensilblern ähnelt auf den ersten Blick an Kürze und Regelmäßigkeit derjenigen in Achtsilblern, doch zwingt der Siebensilbler zu auftaktiger Betonung, während der Achtsilbler auf einer betonten Silbe beginnt. Man muß den Siebensilbler also als versetto, als defizienten Elfsilbler begreifen – ein sinniger Kunstgriff: Die Einwohner der Unterwelt sind leidvoll unvollständige Wesen, die vergeblich versuchen, sich den Ausdrucksformen der Lebenden anzunähern.
Den lebendigsten Eindruck macht der letzte Chor, „ Biondo arcier “. Ottonari wechseln mit Quaternari (848848), das Reimschema verbindet jeweils Verse unterschiedlicher Länge miteinander (AaBCcB). Gerade die kurzen Zeilen erzielen einen Effekt von Schnelligkeit, Freudigkeit und Tanz. Das Schema ist bereits von Chiabrera bekannt (z.B. „ Belle rose purpurine “).[60] Chiabrera verwendete erstmals Metren französischer Canzonetten für italienische Liedtexte und fühlte sich von Rinuccini regelrecht bestohlen.[61]
Der Schlußchor der Oper ist mit acht Strophen besonders lang. Durch seine Nähe zum Tanz führt er gewissermaßen aus der Oper heraus, in die Hochzeitsfestivitäten hinein.
Geschlossene Sologesangsnummern, die Hauptattraktion der reifen Barockoper, nehmen in L´Euridice einen äußerst geringen Stellenwert ein. Weder dienen sie erkennbar zur Strukturierung des Verlaufs, noch wird auch nur annähernd jeder Solist mit einer Arie bedacht, noch markieren sie emotionale Höhepunkte. Vielmehr erinnern sie an eingeschobene Gesangsstücke in Sprechtheaterstücken, die bedeuten, daß der Charakter tatsächlich ein Lied anstimmt. Dieser Eindruck entsteht insbesondere bei „ Nel puro ardor “, Vers 144ff. Anders als mit einer Gesangsdarbietung des Hirten Tirsi ist der plötzliche Ausbruch aus dem Rezitativstil nicht zu erklären. Die Arie teilt sich in zwei Strophen. Der erste Vers ist jeweils ein Endecasillabo. Die nächsten Verse bestehen aus in 5 plus 6 Silben unterteilte Endecasillabi, es schließt ein einzelner Fünfsilbler ab. Das Reimschema lautet Aabbccdd. Die kurzen Verse mit regelmäßigen Reimen bringen in der Vertonung gleichmäßig lange Gesangsphrasen und häufige Kadenzziele mit sich, so daß der Charakter einer einfachen Kanzonette aufkommt.
Auch in Orfeos Arie „ Gioite al canto mio” hält Rinuccini am Elfsilbler fest. Das Reimschema der Terzine konnte, wie oben ausgeführt, bereits auf eine lange Gesangstradition zurückblicken. Um eine gerade Anzahl von musikalischen Phrasen zu erhalten, wie es bei einfachen Liedformen naheliegt, wurde in dem einschlägigen Modell, dem capitolo, jeweils der letzte der drei Verse wiederholt. Dies geschieht auch in Peris und Caccinis Vertonung der Passage.
Beide Arien sind eher kurz. Sie geben nur in sehr bescheidenem Rahmen Gelegenheit zur sängerischen Selbstdarstellung. Man kann sagen, daß dieser Punkt, der später die gesamte Struktur der Barockoper bestimmen sollte, hier keine Bedeutung hat, bzw. daß man sich für den Vortrag des neuen Rezitativstils mehr interessierte. Die Leistung der Sänger bestand in der mittleren Vortragsweise zwischen Rede und Gesang und nicht im Anbringen möglichst virtuoser Verzierungen.
Strophische geschlossene Gedichte verwendet Rinuccini ergo hauptsächlich für die strukturierenden Chöre. Es überwiegt, mit inhaltlich begründeten Ausnahmen, der liedhafte Ottonario. Arien spielen eine untergeordnete Rolle. Hier hält Rinuccini am Endecasillabo fest.
6 Fazit
Eine Gattungsdefinition aus Rinuccinis Feder wäre bei der Erforschung der Genre-Implikationen des ersten Opernlibrettos von großem Nutzen gewesen. Seine Dafne bezeichnet er noch, analog zu Polizianos Favola d´Orfeo, als favola und betont so den Bezug zum Mythos. Arianna, nach L´Euridice, führt als tragedia auf den mißverständlichen Tragödien-Pfad.
Für L´Euridice enthält uns Rinuccini eine vergleichbare Übertitelung vor. Eine Analyse der wirkenden Kunstprinzipien offenbart eine Fülle von Intertexten und relevanten Vorbildgattungen. Das Opernlibretto als neue Kunstform mußte sich sowohl als Bühnenstück als auch als Gesangsstück bewähren. Beides gleichzeitig, und abendfüllend, hatte es bisher noch nicht gegeben. So bedient sich Rinuccini der Vorbilder aus beiden Sphären, aus Theatergattungen wie der Pastorale bzw. Tragikomödie und aus lyrischen Solovortragstexten wie dem Madrigal und den Epen Ariosts und Tassos. Wichtige Anregungen empfing er aus seinen humanistischen Studien und den Schlüssen, die sein geistiges Umfeld daraus zog.
So entstammen die Grundidee des komplett gesungenen Theaterabends, die Fünfteilung und die Verwendung des kommentierenden und strukturierenden Chores der Vorstellung, die sich die Florentiner Camerata von der antiken Tragödie machte. Der Orpheus-Stoff sowie die Strophenform des Prologs kommen aus der antiken Epik.
Die Tragikomödie liefert das Hirtengenre als mittlere Stilebene zwischen dem Erhabenen und dem Volkstümlichen. Die Versstruktur im freien Wechsel von Elf- und Siebensilblern hat ihr Vorbild im Madrigal. Die Textur der Szenenschlußchöre aus einfachen gereimten Strophen und vorwiegend achtsilbigen Versen schließlich entspricht der einfacher zeitgenössischer Tanzlieder.
So kann auch im Fall des ersten Opernlibrettos beobachtet werden, daß bei der Schöpfung einer neuen Gattung immer viel Überkommenes synthetisiert wird, um mit Hegel zu sprechen: aufgehoben. Die Innovationsleistung Rinuccinis und seiner Komponisten besteht in demjenigen Teil, den sie selbst in ihren Vorworten herausstreichen und der auch in den Traktaten ihrer philosophischen Vordenker als Ziel erscheint: Der Schaffung eines über längere Strecken tragfähigen Rezitationsstils.
7 Literatur
Accorsi, Maria Grazia: Amore e Melodramma. Studi sui libretti per musica. Modena 2001.
Buck, August: Der Orpheus-Mythos in der italienischen Renaissance, in: Schriften und Vorträge des Petrarca-Instituts Köln, XV, Krefeld 1961.
Carrai, Stefano (Hg.): La Poesia pastorale nel rinascimento. Padua MCMXCVIII
Dahlhaus, Carl und Eggebrecht, Hans Heinrich (Hg.): Brockhaus Riemann Musiklexikon, Mainz 1979.
Della Corte, Andrea: Drammi per musica dal Rinuccini allo Zeno, Bd. 1, Torino 1958.
Carter, Tim: Jacopo Peri 1561 – 1633. His Life and Works, New York/London 1989.
Fabbri, Paolo: Il secolo cantante. Per una storia del libretto d´opera in Italia nel Seicento. Rom 2003.
Gier, Albert (Hg): Oper als Text. Romanistische Beiträge zur Libretto-Forschung. Heidelberg 1986.
Knörrich, Otto: Lexikon lyrischer Formen. Stuttgart 1992.
Leopold, Silke: Die Oper im 17. Jahrhundert. In: Siegfried Mauser (Hg.): Handbuch der musikalischen Gattungen. Laaber 2004.
Peri, Jacopo: Le musiche sopra l´Euridice. Con nota alla ristampa di Rossanna Dalmonte, Bologna1995.
Russano-Hanning, Barbara: Of Poetry and Music´s Power. Humanism and the Creation of Opera. Michigan 1980.
Solerti, Angelo: Gli Albori del Melodramma, Torino 1903.
Pistoleri, Laura: Del recitar cantando. Per uno studio comparativo dell´ Euridice di Jacopo Peri e dell´Euridice di Giulio Caccini, in: Musica e Teatro. Quaderni degli amici della Scala, Milano 1990.
[...]
[1] Russano-Hanning, Barbara: Of Poetry and Music´s Power. Humanism and the Creation of Opera. Michigan 1980.
[2] Russano-Hanning, S. 8.
[3] Die Musik in Geschichte und Gegenwart: Bardi, Giovanni, Conte di Vernio, S. 1. Digitale Bibliothek Band 60: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, S. 5432ff (vgl. MGG Bd. 01, S. 1256), Bärenreiter-Verlag 1986
[4] Solerti, Bd. 1, S. 37.
[5] Russano-Hanning, S. 9.
[6] Zitiert nach Leopold, S. 50.
[7] Vgl. Russano-Hanning, S. 7.
[8] Musiktheoretische Schriften: Fünf Briefe über antike Musik, teilweise 1602 als „ Discorso sopra la musica antica e moderna “ gedruckt; „ De modis musicis antiquorum libri IV “ (zwischen 1566 und 1572); „ De nomi delle corde del monochordo “ (vor 1582); „ Trattato della musica “ (nicht datierbar). Vgl. Carl Dahlhaus (Hg.): Brockhaus Riemann Musiklexikon, Mainz 1979, Bd. 3, S. 106.
[9] Zitiert nach Russano-Hanning, S. 345.
[10] Zitiert nach Russano-Hanning, S. 353.
[11] Die Trennung von Künstler und Theoretiker kam allgemein erst sehr viel später, etwa mit dem 19. Jahrhundert, auf. Persönlichkeiten des 16./17. Jahrhunderts taten sich mal mehr in dieser, mehr in jener Disziplin hervor, wobei grundsätzlich von einer Personalunion von Künstler und Theoretiker ausgegangen wurde. So lassen sich, beispielsweise aus Vorworten, auch von Komponisten wie Claudio Monteverdi, die kein Lehrwerk hinterlassen haben, häufig große Teile einer Lehre oder Philosophie ziehen.
[12] Vgl. Leopold, S. 34.
[13] Vgl. Leopold, S. 42.
[14] Vgl. Leopold, S. 49.
[15] Zitiert nach Solerti, Bd. II., S. 107.
[16] Vgl. Accorsi, S. 54.
[17] Michele, Agostino: Discorso, come si possono scrivere con molta lode le comedie, e le tragedie in prosa. Venedig 1597, zitiert nach Russano-Hanning, S. 195.
[18] Peri, L´Euridice, Widmung an Maria de´Medici im Erstdruck.
[19] Sie ist im Fall von L´Euridice umstritten (s.u.).
[20] Vlg. Russano-Hanning, S. 46.
[21] Giovanni Battista Doni, Trattato, Cap. 6, S. 15, zitiert nach Russano-Hanning, S. 216.
[22] Zitiert nach Accorsi, S. 64.
[23] Vgl. Accorsi, S. 52.
[24] Vgl. Russano-Hanning, S. 45f.
[25] Ebda.
[26] Vg. Russano-Hanning, S. 47.
[27] Carrai, S. V.
[28] “[…] che bisogno abbiamo noi oggi di purgar il terrore e la commiserazione con le tragiche viste, avendo i precetti santissimi della nostra religione che ce l´insegna con la parola evangelica?”
Battista Guarini, zitiert nach Fabbri, S. 7.
[29] Vgl. Accorsi, S. 57.
[30] Accorsi, S. 67.
[31] Vgl. Russano-Hanning, S. 57.
[32] Ein Katalog aller Belegstellen findet sich bei Russano-Hanning, S. 161.
[33] Peri, L´Euridice, Widmung, ohne Seitenzahl, Nachdruck 1995.
[34] M. G. Accorsi nennt sie die „qualità topiche dell´eccellenza per un testo poetico: quasi un luogo commune della critica e della prassi compostiva”. (Accorsi, S. 15.)
[35] Vgl. ebda.
[36] Ottavio Rinuccini, L´Euridice, Vers 11f., zitiert nach Russano Hanning, S. 271, Hervorhebung von LK.
[37] Accorsi, S. 61.
[38] Zitiert nach Accorsi, S. 61.
[39] L´Euridice, Scena 1, Vers 29ff, zitiert nach Russano-Hanning, S. 272.
[40] L´Euridice, Scena 1, Vers 53, zitiert nach Russano-Hanning, S. 272.
[41] L´Euridice, Scena 3, Vers 372ff., zitiert nach Russano-Hanning, S. 283.
[42] Nach Accorsi (S. 66) eine canzona chiabreresca.
[43] L´Euridice, Vers , 531f., zitiert nach Russano-Hanning, S. 287.
[44] Vgl. Accorsi, S. 65.
[45] Vgl. Accorsi, S. 53.
[46] L´Euridice, Vers 388, zitiert nach Russano-Hanning, S. 283; vgl. Accorsi, S. 65.
[47] Zitiert nach Solerti, Bd. II, S. 113.
[48] Ebda.
[49] Vgl. Accorsi, S. 60
[50] Ebda.
[51] Accorsi, S. 53, Russano-Hanning, S. 292.
[52] Zitiert nach Russano-Hanning, S. 292.
[53] Vgl. Carter, S. 158. Daß die Fünfzahl auch eine Entsprechung zu üblicherweise fünf Intermedi sei, wie Carter ebda. argumentiert, ist aber unrichtig, da zwischen fünf Akten einer Tragödie nur vier Intermedi Raum finden, was denn auch die gängige Anzahl war (Vgl. Leopold, S. 33).
[54] L´Euridice, Scena 1, Vers 73ff.
[55] L´Euridice, Scena 2, Vers 226ff (Russano-Hanning, S. 278).
[56] Aus der Bezeichnung des Settenario als Endecasillabo „ rotto “ bzw. „ spezzato “ , wie sie beispielsweise Giraldo Cinzio verwendet (vgl. Fabbri, S. 18), geht das Verständnis des Siebensilblers als defizitärer Elfsilbler hervor, was seinen vermehrten Einsatz an emotional zerrissenen Stellen noch plausibler werden läßt.
[57] Kleinbuchstaben: Settenario; Großbuchstaben: Endecasillabo.
[58] Vgl. Russano-Hanning, S. 141.
[59] Vers 289ff.
[60] Vgl. Russano-Hanning, S. 142.
Häufig gestellte Fragen zu L´Euridice
Was ist L´Euridice und warum ist es bedeutend?
L´Euridice ist ein Bühnenwerk von Ottavio Rinuccini, das als "erste Oper" gilt. Es ist ein Ergebnis langer Experimentierphasen, die darauf abzielten, ein abendfüllendes Bühnenwerk komplett zu musizieren. Obwohl es nicht so populär ist wie Monteverdis Orfeo, markiert es einen wichtigen Wendepunkt in der Musikgeschichte.
Wer hat L´Euridice vertont und wann wurde es aufgeführt?
L´Euridice wurde im Jahr 1600 sowohl von Jacopo Peri als auch von Giulio Caccini vertont. Peris Vertonung wurde bekannter, da sie bei den Hochzeitsfeierlichkeiten von Maria de’ Medici mit Heinrich IV. von Frankreich aufgeführt wurde.
Was waren die philosophischen und künstlerischen Hintergründe für die Entstehung von L´Euridice?
Die Entstehung von L´Euridice wurzelte in den philosophischen und künstlerischen Bestrebungen der "Florentiner Camerata", eines Kreises von Adligen, Intellektuellen und Künstlern, die sich zum Ziel gesetzt hatten, die antike griechische Tragödie wiederzubeleben, indem sie Bühnenwerke komplett mit Musik unterlegten. Dies beinhaltete die Entwicklung eines rezitierenden Sologesangs, der die szenische Darstellung und musikalische Komposition vereinen sollte. Theoretiker wie Girolamo Mei und Vincenzo Galilei lieferten wichtige Grundlagen durch ihre Studien der antiken Musik.
Welche literarischen Gattungen beeinflussten L´Euridice?
Neben der Idee der griechischen Tragödie flossen auch Elemente aus anderen literarischen Gattungen in L´Euridice ein, darunter die Pastorale und Tragikomödie, das Madrigal, die Ritterepik und die Sacra rappresentazione. Insbesondere die Hirtensphäre und die stilistische Mittellage der Tragikomödie prägten die frühe Oper.
Was sind Gravità und Dolcezza im Kontext von L´Euridice?
Gravità (Ernsthaftigkeit) und dolcezza (Süße) waren zeitgenössische poetologische Kategorien, die im Idealfall in einem Werk vereint werden sollten. Peri lobte Rinuccini für die gelungene Verbindung dieser beiden schwer vereinbaren Qualitäten. Gravità steht für die hohe Stilebene der Tragödie, während dolcezza den lyrischen Formen zuzuschreiben ist.
Was ist der Stile Recitativo in L´Euridice?
Der stile recitativo, ein rezitierender Stil zwischen Sprechen und Singen, war eine der größten Innovationen von Rinuccini und Peri. Er ermöglichte es, den Text in einer Weise zu präsentieren, die sowohl die Natürlichkeit der Rede als auch die Ausdruckskraft der Musik vereinte.
Welche Rolle spielen geschlossene Formen (Arien, Chöre) in L´Euridice?
Obwohl die Oper später stark auf Arien setzte, spielen geschlossene Formen in L´Euridice eine geringere Rolle. Sie dienen eher der Strukturierung des Stücks und weniger der sängerischen Selbstdarstellung. Die Chöre sind vielfältig gestaltet und dienen oft als Gliederungselemente und Kommentare zum Geschehen. Arien wie "Nel puro ardor" wirken wie eingeschobene Gesangsstücke.
Was ist il Meraviglioso im Kontext von L´Euridice?
Il Meraviglioso bezieht sich auf das Wunderbare. Es meint alles, was auf der Bühne zu sehen war. In der Rezeption hatte das Bühnenspektakel großes Gewicht.
Wie ist L´Euridice strukturiert?
Es gibt zwei Interpretationen: Die Fünf- und die Sechsteilung. Es wird oft in fünf Szenen unterteilt, denen ein Prolog vorangestellt ist. Die Szenen wechseln zwischen idyllischen und dramatischen Momenten und beinhalten Dialoge, Botenberichte und Chorgesänge. Der Ausgang ist, anders als die klassische Tragödie, gut.
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- Laura Krämer (Author), 2005, L´Euridice von Ottavio Rinuccini, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110587