Die Lehre des Buddha und die buddhistische Literatur


Seminararbeit, 2005

19 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Die Lehre des Buddha
Das Kontinuum der Vergänglichkeit und Daseinsfaktoren
Abhängiges Entstehen
Die Vier edlen Wahrheiten und der achtfache Pfad
Buddhistische Heilslehre und Nirvana
Paradigmenwechsel im Buddhismus

2. Tibetischer Buddhismus

3. Zen-Buddhismus

4. Die buddhistische Literatur

5. Westlicher Buddhismus am Beispiel von Hermann Hesse

Literaturverzeichnis

Die Lehre des Buddha und die buddhistische Literatur

von Michael Leicht

1. Die Lehre des Buddha

Der Begriff Buddhismus stammt von Sanskrit „buddh“ = erwachen und meint das Erwachen aus der Finsternis des Nicht-Wissens zum Licht der Lehre. Alles ist Leid, unbeständig und ohne Selbst. Es geht um Wissens-Erlangung aus eigener Kraft ohne göttliche Offenbarung. Der Buddhismus löst alle beharrenden Substanzen in bewegliche Daseinsfaktoren auf und betont damit die Vergänglichkeit alles Irdischen. Durch die Weitergabe seiner Botschaft setzt Buddha das Rad der Lehre in Bewegung. Auf den ersten Blick überraschend ist, dass sich mit dem Buddhismus eine Religion über 2000 Jahre in den Köpfen und Herzen der Menschen hat halten können, obwohl sie den ganzen Sinn unserer Existenz bereits in den Wurzeln unterminiert.

Im Hinduismus erscheint der Kosmos noch als Illusion und Spiel aus dem Absoluten und kehrt darin auch immer wieder zurück. Welten entstehen und vergehen. Die Welt, führt Krishna in der Bhagavad Gita aus, ist nur ein Spiel, das Gott mit sich selbst aufführt. Durch seine Zauberkraft (maya) lässt er alle Wesen herumwirbeln (wie Puppen) auf einer Puppenbühne. Im Hinduismus gewinnt die Seele in der Befreiung ihre Einheit mit dem Absoluten zurück. Der Buddhismus kann nun als eine Weiterentwicklung, bzw. „Reformation“ des Hinduismus gesehen werden. Beibehalten worden ist der Gedanke der Welt als eine Welt des Leidens, in der man über mehrere Wiedergeburten hinweg gefangen bleiben kann (samsara). Alles Leben wird im Buddhismus als vergänglich und leidvoll betrachtet. Während im Hinduismus die Alleinheit/Brahman mit der individuellen Seele/Atman im Zentrum steht, ist das Ziel des Buddhismus das Erreichen des Nirwanas, des Nichts und der Leere. Dieser Unterschied ist zentral, den die Bedeutung der Meditation ist in beiden Religionen hoch. Anstelle einer Alleinheit steht im Buddhismus „ein schwarzes Loch“ – das Nichts – im Zentrum, obgleich Friede auch zum buddhistischen Nirwana gehört. Der zweite grosse Unterschied zwischen Hinduismus und Buddhismus ist, welche Rolle das „Ich“ spielt. Die hinduistische Lehre vom Atman postuliert eine Unsterblichkeit des Menschen. Der Buddhismus sieht statt dessen die „Ich“-Illusion, die es zu überwinden gilt (Anatman). Die Idee, dass wir in einer illusionären Welt leben könnten, übernimmt der Buddhismus vom Hinduismus. Im Hinduismus gilt die Welt als maya – Illusion. Im Buddhismus wird nun spezielles Gewicht auf das Ich als Illusion gelegt.[1] Damit stellt der Buddhismus nicht nur ein Gegenstück zum Hinduismus und dort ganz besonders zum Advaita Vedanta dar, sondern ist auch eine Anti-These zur, abendländischen, neuzeitlichen Subjekt- und Vernunftphilosophie dar. In seiner radikalen Skepsis fängt Descartes an, an allem zu zweifeln, bis er meint in seinem Ich eine unerschütterliche Grundlage gefunden zu haben: Ich denke, also bin ich!

Das Kontinuum der Vergänglichkeit und Daseinsfaktoren

Sowohl der Mensch als auch die von ihm erlebte Welt bilden kein einheitliches Ganzes, sondern eine Kombination von Einzelbestandteilen, die sich immer wieder verbinden, lösen und neu verbinden. Dauerhaftes, beharrendes Sein gibt es überhaupt nicht. Es gibt nur ständigen Wandel, ewiges Fliessen im ununterbrochenen Entstehen und Vergehen der dharmas. Alles Sein ist nur ein Momentanes, das aufblitzt und in dem Augenblick, wo wir es wahrnehmen können, ist es schon wieder vergangen. Es gibt kein beharrendes Sein, alles ist vergänglich. Nur der Augenblick ist wirklich. Das Universum aber ist nichts als ein unablässiger Strom von einzelnen Seinsmomenten, ein „Kontinuum der Vergänglichkeit“. So kann es auch kein beharrendes Ich in uns geben. Auch Seele und Bewusstsein vergehen und entstehen in jedem Augenblick neu. Von nichts kann ich wirklich sagen, dass bin ich. Nur die Schnelligkeit, mit der sich die geistigen Prozesse vollziehen, und ihre Verwobenheit ineinander lassen den täuschenden Eindruck entstehen, als gäbe es hinter ihnen ein dauerhaftes, sich selbst gleichbleibendes Ich.[2] Wir können uns auch die buddhistische Vorstellung des „Ichs“/ des „Bewusstseinsstroms“ auch bildlich so vorstellen, dass eine Kerze die nächste Kerze anzündet und dann verlischt. So wird der Lichtimpuls trotzdem weitergegeben, obwohl die einzelne Kerze sofort wieder erlischt. Es sind da nur Prozesse, Erscheinungen, das freie Spiel des Geistes. Das einzige Zeitlose und Unveränderliche ist die Leerheit.[3]

Das Ich ist eine Täuschung und vergänglich. Der Erleuchtungsweg führt mit Desidentifikationsmystik und verschiedenen Methoden der Entindividualisierung (Das bin ich nicht; Nicht-Ich = anatman) über alles Welthafte oder Personhafte hinaus (akosmisch, apersonal, atheistisch). Es gibt kein Selbst, keine Seele, sondern nur eine Folge von Impulsen. Das Ich ist nur eine „Zusammenballung“ von Daseinsfaktoren (dharmas): a) Körper, Sinne, Körperlichkeit; b) Empfindung; c) Wahrnehmungen und Vorstellungen; d) Triebkräfte; e) Bewusstsein. Zusammen machen sie den Inhalt der Individualität aus. Der falsche Glaube an die Individualität soll im Buddhismus aber aufgehoben werden.[4]

Das Individuum und seine Welt sind also dem stetigen Werden und Vergehen ausgesetzt, wobei die Einzelfaktoren (dharmas) einer strengen Gesetzmässigkeit unterworfen sind. Ein ethisches Weltgesetz (dharma) existiert und alle Einzelbestandteile sind nur verschiedene Ausdrucksformen des einen Weltgesetzes. Daher werden die Einzelfaktoren auch dharma genannt. Durch ihre Kombination entsteht überall Schein und Einheitlichkeit, wie etwa beim Menschen ein „Selbst“. Der ständige Strom der Daseinsfaktoren wird auch durch den Tod nicht unterbrochen. Sie wirken über den Tod des konkreten „Individuums“ hinaus und schaffen in neuen Kombinationen die Grundlage für die Existenz eines neuen „Individuums“.[5]

Jedes dharma entsteht in gesetzmässiger Folge aus den Bedingungen, die mit dem vorausgehenden Vorhandensein anderer Dharmas gesetzt sind. In das Kausalgesetz ist alles Geschehen unentrinnbar eingespannt. Insofern gibt es auch im Buddhismus etwas Dauerhaftes: das Weltgesetz (dharma). Das Gesetz von Ursache und Wirkung gilt für die moralischen Vorgänge (karma: Tat-Wirkungs-Zusammenhang als schicksalbestimmende Macht) in nicht geringerer Strenge als für das äussere Geschehen.[6] Es ist ein sittliches Gesetz, eine sittliche Weltordnung. Wie kann dabei der ewige Kreislauf von leidvollen Wiedergeburten unterbrochen werden?

Abhängiges Entstehen

Bevor wir genauer auf den Erlösungsweg des Buddhas aus Samsara eingehen, wollen wir erst noch einmal genauer das „Entstehen in Abhängigkeit“ anschauen (pratiyasamutpada). Abhängiges Entstehen bedeutet nicht, dass nichts existiert, aber es ist verschieden von Existenz, welche Unabhängigkeit impliziert, noch ist es Nicht-Existenz, welche Erscheinung verneint. Abhängiges Entstehn besteht aus 12 Gliedern, welche nach folgender Formel funktionieren:

1) Durch Nichtwissen im Ausgang entstehen
2) Die Triebkräfte, durch die Triebkräfte entsteht
3) Ein Bewusstsein, durch das Bewusstsein entsteht
4) Eine geistig-leibliche Individualität, durch diese Individualität entstehen
5) Die 6 Sinne, durch die 6 Sinne entsteht
6) Berührung, durch die Berührung entsteht
7) Empfindung, durch die Empfindung entsteht
8) Der „Durst“, durch den Durst entsteht
9) Der Lebenshang/ Anhaften, durch den Lebenshang entsteht
10) Karmisches Werden, durch karmisches Werden entsteht
11) die Wiedergeburt, durch die Wiedergeburt entsteht
12) Altern, Sterben, Kummer, Wehklagen, Leid, Gram und Verzweiflung.

Das 8. Glied, der „Durst“, meint die sinnliche Begierde, besonders den Geschlechtstrieb. Das 9. Glied, der Lebenshang, meint ein Ergreifen der Sinnenwelt „wie die Flamme den Brennstoff ergreift“. Das Wissen um diese Zusammenhänge kann die karmische Triebkraft (Glied 10) hindern, immer weitere Wiedergeburten in Gang zu setzen, und so die Erlösung einleiten. Das Wissen ist notwendig, da für den Buddhismus mit dem Nicht-Wissen (Glied 1) der gesamte Kreislauf des Unglücks beginnt.

Buddhas Lehre ist von den Zeichen der Vergänglichkeit geprägt. Jeder Mensch wird altern, krank werden und sterben. Das ist das Grundproblem allen menschlichen Daseins. Alles ist vergänglich und wird deswegen leidvoll. Was ist der Sinn des Lebens, wenn es Krankheit, Tod, Leiden und Armut gibt? Buddha hat nun einen Ausweg aus dem Leiden gefunden. Er gilt deshalb als der Erleuchtete (bodhi) oder der Erwachte. Erleuchtung ist das Versiegen der Ursachen, die das Leiden hervorbringt. Nirwana bedeutet „ausblasen“ und bezieht sich auf die Unterbrechung des „Treibstoffs“ der Kontinuität. Er hat Antworten gefunden auf die vier Urfragen, was das Leiden ist, wie es entsteht, wie es überwunden werden kann und welches der Weg ist, dies zu erreichen?

Buddhas Botschaft ist dabei nicht pessimistisch, resignativ oder gar nihilistisch, weil nicht auf ein Jenseits vertröstet wird. Sie will hier im Diesseits, ja im Alltag einen Weg zeigen. In dem Masse wie wir um die Dinge wissen, dass sie keine Dauer haben, erfolgt daraus, dass wir uns dem Strom hingeben können. Wir müssen uns jedoch trotzdem auf diesem spirituellen Weg bemühen. Unwissenheit und Täuschung müssen überwunden werden. Sonst bleiben uns die Gesetzmässigkeiten des Lebens verborgen. Buddhas existenzielle „vier edle Wahrheiten“ sollen dem Menschen bei der Bewältigung seines Lebens helfen.

[...]


[1] N.B. Hat die Königin Mutter von Buddha Maya geheissen. Sie wurde Göttin der Illusion genannt.

[2] Eine solche Anschauungsweise bedingt ein ganz andersartiges Verhältnis zur Zeit als das unsrige. Während wir in der Zeit etwas Kontinuierliches sehen, das sich aus der Vergangenheit durch den Punkt, den wir Gegenwart nennen, in die Zukunft erstreckt, ist für den Buddhisten der Zeitablauf kein zusammenhängendes Fliessen, sondern die Aufeinanderfolge von lauter Einzelmomenten (Störig, 1988: 56).

[3] In der Nur-Geist-Schule ist alles Geist. In der strikten Leerheitsphilosophie Nagarjuna wird eine positive Umschreibung des Wesens der Dinge vermieden und nur von Leerheit gesprochen. Und in Tibet wird klassischerweise eine Zusammenschau von Leerheit und Geist gelehrt.

[4] In der modernen Evolutionstheorie kommt man ebenfalls zum Schluss, dass das Ich eine Illusion sein könnte. Aber mit einer anderen Begründung als im Buddhismus. Ich-Bewusstsein hat sich als Stärke und Vorteil im Kampf ums Dasein entwickelt. Je stärker das Bewusstsein, um so besser. Entsprechend gibt es einen Widerspruch zwischen der aufsteigenden Entwicklung nach der Theorie der Evolution und der absteigenden Entwicklung nach der buddhistischen Tradition.

[5] Wie ist es aber mit dem Dogma der Wiedergeburt, wenn es kein Selbst und keine Seele gibt? – Vorausgesetzt, dass aus dem notwendigen Zusammenhang alles Geschehen das Neue gesetzmässig aus dem Alten hervorgegangen ist, ist der Tod kein Spezialfall. Denn die „Seele“ eines „Individuums“ vergeht und entsteht eh ständig neu, ob tot oder lebendig. In Wahrheit gibt es keine zeit-räumliche Einheiten, sondern nur Einheiten in bezug auf die einzelnen Dharmas.

[6] Humes Kausalitätskritik kann als ein anderer Grund angesehen werden, warum wir falsche Vorstellungen von Dingen haben, die es so in der Natur gar nicht gibt. Das „kausal“ verursachte Nacheinander von zwei Dingen, erscheint uns so, als ob es „kausal“ verursacht wäre. In Wirklichkeit können wir aber nicht sicher sagen, ob zwischen Ursache und Wirkung eine notwendige Verknüpfung besteht? Kausalität kann auch nur eine Form von Gewöhnung sein. Ideengeschichtlich wichtig ist, dass der Versuch diese paradoxe Theorie der Kausalität zu widerlegen, zu den Beweggründen für Kants Vernunftkritik gehört.

Die Kantsche Unterscheidung zwischen Erscheinung und Ding an sich hat sowohl mit der Ideenlehre Platons viel gemeinsam, wie auch mit indischen Maya-Illusionsvorstellungen. Der Idealismus ist Lehre von der bloss scheinbaren Existenz dieser unseren Sinne sich darstellenden Welt.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Lehre des Buddha und die buddhistische Literatur
Hochschule
Université de Fribourg - Universität Freiburg (Schweiz)
Veranstaltung
Vorbereitung Studienreise "Auf den Spuren des Buddha", 2006
Autor
Jahr
2005
Seiten
19
Katalognummer
V110612
ISBN (eBook)
9783640087754
ISBN (Buch)
9783640116553
Dateigröße
492 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Bei der Arbeit handelt es sich um eine vorbereitende Seminararbeit für eine Studienreise nach Indien, "Auf den Spuren des Buddha", 2006. Meine Arbeit wurde nicht benotet, aber anschliessend von Prof. A Nayak auf seiner Universitätswebsite e-veröffentlicht: http://www.unifr.ch/imr/03.lehreBuddha.pdf
Schlagworte
Buddha, Religion, Buddhismus
Arbeit zitieren
Dr. phil. Michael Leicht (Autor:in), 2005, Die Lehre des Buddha und die buddhistische Literatur, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110612

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