Gleichheit in der lakedaimonischen Gesellschaft - Der Spartiat während der griechischen Klassik


Hausarbeit, 2006

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Das hellenistische Bild der spartanischen Gleichheit

3. Landverteilung und -besitz
3.1 Bedeutung des Landbesitzes
3.2 Frühe Landverteilung
3.3 Landformen und Landweitergabe
3.4 Erneute Verteilung des Erblandes
3.5 Besitzkonzentration im 5. und 4. Jahrhundert

4. Politische Mitbestimmung
4.1 Das politische System in der Archaik
4.2 Apella und Gerusia
4.3 Das Ephorat

5. Ursache des neuen Sparta-Bildes

6. Zusammenfassung

Quellenverzeichnis

Literaturnachweis

1. Einleitung

Vom klassischen Sparta oder Lakedaimon, wie es ihre Einwohner selbst nannten, muss bereits auf die antiken Zeitgenossen eine immense Faszination ausgegangen sein. Der vermeintliche politische und gesellschaftliche Sonderweg, den die Polis nach grundlegenden Reformen einschlug, rief schon damals reges Interesse hervor, welches wohl durch den geringen Umgang mit Fremden noch verstärkt wurde. Obwohl die vorhandenen Informationen nicht sehr umfangreich und recht fragwürdig waren, versuchte man dennoch, diese in Verbindung mit der zeitweiligen Dominanz der Polis zu bringen. Etwa ab dem 3. Jahrhundert., nach dem Zusammenbruch Spartas, zeichneten die antiken Autoren plötzlich ein neues Bild von Sparta, das einer Gesellschaft nahezu völliger Gleichheit. So sollen für alle lakedaimonischen Vollbürger (das Doppelkönigtum ausgenommen) die selben politischen und gesellschaftlichen Rechte und Pflichten geherrscht haben. Obwohl diese Vorstellung bereits in der Antike angezweifelt wurde, wurde sie dennoch bis ins 20. Jahrhundert hinein in unterschiedlichen Kontexten wie etwa der nationalsozialistischen Rassenideologie aufgegriffen1.

Angesichts dieser unterschiedlichen Standpunkte stellt sich uns die Frage, ob es diese idealistische Gleichheit im klassischen Lakedaimon wirklich gab oder ob in der spartanischen Gesellschaft vielmehr ganz andere soziopolitische Verhältnisse existierten, was es zu klären gilt. Da sich die antiken Autoren in Bezug auf Lakedaimon meist mit dem Spartiaten, also dem volljährigen Mann mit vollem Bürgerrecht, befassten, soll sich auch unsere Untersuchung darauf beschränken.

Die zwei Hauptaspekte für die Homogenität einer Gesellschaft jener Zeit dürften zum einen die Besitzverhältnisse des Landes als Lebensgrundlage und zum anderen die Gleichheit politischer Mitbestimmung gewesen sein. Zeitlich beginnt die Epoche unseres Interesses etwa um 500 v. Chr., da die grundlegenden Entwicklungen der Polis wohl um diese Zeit in ihre Schlussphase kamen2. Es muss aber berücksichtigt werden, dass die Entwicklung Spartas fließend ist, und wir bestimmte vorausgehende Ereignisse wegen ihres Einflusses und Zusammenhangs miteinbeziehen müssen. Unser Zeitraum endet etwa mit dem Niedergang der lakedaimonischen Vorherrschaft nach der Schlacht von Leuktra, 371 v. Chr.

Für eine kritische Auseinandersetzung mit der idealen Gleichheit Spartas sollten wir uns zunächst davon ein Bild machen. Zudem werden wir im weiteren Verlauf zu einzelnen Punkten eine andere Polis zum bessern Vergleich heranziehen, wobei sich hier Athen anbietet. Danach können wir den ersten Schwerpunkt, den Landbesitz, mit einer Klärung der Bedeutung des Ackerlandes beginnen. Sodann wollen wir eine frühe Landverteilung untersuchen und zwischen verschiedenen Landformen und deren Weitergabe unterscheiden. Dann sollten wir die Frage klären, ob es zu einer erneuten Landverteilung kam und diesen Bereich mit der Entwicklung und den Zuständen im 4. Jahrhundert abschließen.

In Bezug auf die politische Gleichheit beginnen wir zunächst mit einen Blick auf das vorausgehende Systems Spartas in der archaischen Epoche (800-500 v. Chr.). Daraufhin werden wir die wichtigsten politischen Institutionen - Volksversammlung (Apella), Ältestenrat (Gerusia) und Ephorat - untersuchen. Da die beiden Könige im spartanischen System durch ihre Herkunft eine Sonderrolle genossen, sollen sie nicht intensiver als nötig berücksichtigt werden. Unsere Betrachtung werden wir schließlich mit einem zusammenfassenden Fazit beenden.

2. Das hellenistische Bild der spartanischen Gleichheit

Im Hellenismus setzte sich eine neue Vorstellung von der klassischen spartanischen Gesellschaft durch, die Plutarch noch um 100. n. Chr. in seiner Vita des mythischen Gesetzgebers Lykurgos (Lykurg) zusammen fasste. Lykurgos war bei Plutarch die zentrale Gestalt in Verbindung mit der spartanischen Verfassung. Die moderne Wissenschaft hingegen bezweifelt die historischen Existenz einer wirklichen Person dieses Namens weitestgehend und sieht ihn eher als Vorwand, um die Entwicklung Spartas in der antiken griechischen Polis-Landschaft zu erklären3. Plutarch selbst schien bereits Zweifel an dessen Person zu hegen4, dennoch versuchte er die - nach eigenen Angaben zuverlässigsten - Zeugenaussagen zusammenzufassen. Nach Plutarchs Werk herrschte in Sparta lange Zeit Gesetzlosigkeit und Unordnung 5, bevor Lykurgos durch seine umfassende soziale und politische Reformen wieder für Ordnung gesorgt habe. Durch die durch Lykurgos eingeführte Gerusia („Rat der Alten“), das Doppelkönigtum und dem nach ihm entstandenen Ephorat (5 Beamte mit weitreichenden Kompetenzen) sei schließlich die ideale Mischverfassung mit oligarchischen, monarchistischen und demokratischen Elementen entstanden.

Die vorherrschende soziale Ungleichheit habe er durch eine umfassende Landreform behoben, indem er sämtliches Land in der näheren Umgebung der Stadt in 9.000 gleichgroßen Losen („Klaroi“) auf die Spartiaten verteilt habe. Desweiteren soll er die Bedeutung des Geldes herabgesetzt haben, um die Spartaner an eine einfache Lebensführung ohne Luxus zu gewöhnen. Letztlich habe Plutarch durch seine Reformen die nahezu totalitäre Gesellschaft geschaffen:

Keinem stand es frei zu leben, wie er wollte, sondern sie lebten in der Stadt wie in einem Feldlager nach strengen Vorschriften f ü r all ihr Verhalten und ihre Besch ä ftigungen in der Ö ffentlichkeit, und ü berhaupt glaubten sie nicht sich, sondern dem Vaterlande zu geh ö ren. 6

Die einzige Beschäftigung der Spartiaten habe fürderhin in militärischem Training bestanden, mit dem Ziel, sie zu perfekten Überlebenskünstlern zu machen.

Effektiv ergibt sich letztlich daraus das Bild eines alles durchdringenden Staates, der jede Form von Individualismus unterdrückte und die Lebensführung von Jugend an vorschrieb. Gleichzeitig sorgte dieses System unter den (männlichen) Einwohnern aber auch für völlige Gleichheit an Rechten, Pflichten und Besitz, von den Königen abgesehen, deren Ehrenrechte durch ihre Herkunft legitimiert wurden. Diese idealisierte Form der Gemeinschaft galt jedoch nur für die Spitze der Gesellschaft Lakedaimoniens und beruhte auf der Unterdrückung der Bevölkerungsmehrheit, die ein Sklavendasein als Heloten fristete. In diesem Licht scheint Sparta nicht nur im Kampf um die griechische Hegemonie im Gegensatz zu Athen gestanden zu haben. Auch politisch hätte der lakedaimonische Totalitarismus der demokratischen Athenischen Verfassung des Perikles gegenüber gestanden, die jedem Bürger ein Antrags- und Rederecht in der bestimmenden Volksversammlung gab, also durch die Selbstbestimmung den Einfluss des Einzelnen auf die Stadtpolitik ermöglichte.

Dass diese Form des Lykurgos-Mythos aber fragwürdig ist, zeigt ein Vergleich mit den frühen Quellen. Von Herodot ist der Mythos um 450 als erstes schriftlich überliefert. Er schrieb ihm unter Anderem die Einrichtung der Gerusia, des Ephorats und gemeinsamer Mahlzeiten zu7, jedoch keine Landreform. Auch Xenophon, der aus seiner Bewunderung für Lykurgos keinerlei Hehl machte8, erklärte diesen im 4. Jahrhundert zum Begründer des politischen Systems und tiefgreifender sozialer Reformen. So hätten bereits alle Kinder die selbe Erziehung9 erhalten. Gleichmäßige Landverteilung erwähnt er aber nicht, vielmehr eindeutig die Existenz von finanzieller Ungleichheit10. Auch weitere Autoren dieses Jahrhunderts erwähnten keine Landreformen in Zusammenhang mit Lykurgos. Dieser Vergleich der Quellen unterschiedlicher Epochen zeigt, dass sich das Sparta-Bild seit dem Beginn der Klassik gewandelt haben muss. Die Veränderung der Beschreibungen, vor allem des vermeintlichen Gesetzgebers, lässt zudem Zweifel an dessen historischer Existenz aufkommen und legt nahe, dass auch schon Herodots Überlieferungen über Sparta mythologischen Ursprungs sein könnten.

3. Landverteilung und -besitz

3.1 Bedeutung des Landbesitzes

Wie nahezu alle Stadtstaaten im griechischen Raum war auch Sparta um 500 v. Chr. stark agrarisch geprägt und das Land die Existenzgrundlage der Bevölkerung. Die politische und gesellschaftliche Macht einer Person maß sich also vor allem an seinem Landbesitz, was man daran ausmachen kann, dass die Mächtigen zumeist auch über das meiste Land verfügten, wie beispielsweise im vorsolonischen Athen11. Da die antiken Autoren besagten, dass Lykurgos, der mythische Gesetzgeber Lakedaimons, die Bedeutung des Geldes stark herabgesetzt habe12, kann man davon ausgehen, dass die Zustände dort noch angespannter waren. Den Spartiaten war laut Xenophon sogar jede Form des Gelderwerbs verboten13. Diese Behauptung ist mit Sicherheit übertrieben, zumal der Spartiat laufende Ausgaben wie seinen Unkostenbeitrag für die öffentlichen gemeinsamen Mähler („Syssitien“ oder „Phiditien“) hatte. Dennoch gibt sie einen Hinweis auf die noch intensivere Bindung an das Land als wichtigste Einnahmequelle. Dies gab dem Landlos (Klaros) noch weitere Bedeutung, denn die Teilnahme an den Syssitien war für alle Spartiaten verpflichtend. Wer daran nicht gemäß der allgemeinen Regeln teilnehmen konnte, weil er sein Land eingebüßt hatte oder es nicht genügend Ertrag abwarf, lief Gefahr seine Vollbürgerschaft einzubüßen14. Hierzu machen die Quellen keine genaueren Angaben, es wird sich aber vermutlich um den Verlust der politischen Mitbestimmung und gewisser sozialer Rechte gehandelt haben.

3.2 Frühe Landverteilung

Wie in Athen um 510, so belegten mehrere antike Autoren auch in Sparta frühe soziale Probleme. Isokrates sprach davon, dass die Lakedaimonier nach ihrer Einwanderung auf die Peloponnes in ä rgere Zerr ü ttung als irgendein anderer hellenischer Staat 15 verfallen seien. Genauere Angaben diesbezüglich machte er nicht, man muss aber von internen Machtkämpfen, in jedem Fall aber wohl von sozialem Ungleichgewicht ausgehen. Schließlich soll es aber zu einer friedlichen Wendung gekommen sein: Nachdem nämlich die, welche sich besser als die Menge d ü nkten 16, die restliche Bevölkerung versklavt hatten, f ü hrten sie unter sich selbst eine solche Gleichheit und Demokratie ein, wie sie zur dauernden Erhaltung der Eintracht unter einem Volke n ö tig ist 16. Weiter sollen sie das beste Land zu gleichen Teilen unter sich aufgeteilt haben. Offensichtlich handelt es sich hier um die „Helotisierung“ (Versklavung) eines Teiles der Bevölkerung, die im gerade erst entstehenden spartanischen System fortan vor allem die Feldarbeit zu verrichten hatten. Dreher datiert diesen Zeitpunkt auf das 9. Jahrhundert, da das Helotensystem in Lakedaimon bereits länger etabliert gewesen sein muss, wenn es im siebten Jahrhundert im nach und nach eroberten Messenien eingeführt worden sein soll17. Isokrates Angaben sind kritisch zu betrachten. So ging er noch von einem einmaligen Eindringen eines dorischen Volkes auf den Peloponnes aus, im Zuge dessen die dorischen Lakedaimonier das für ihn zeitgenössische Lakedaimon erobert haben sollen. Die moderne Wissenschaft hingegen tut dies eher als Mythos ab und tendiert zu einem langsamen „Einsickern“ und Vermischen mit der Urbevölkerung. Zudem gab es für die Zeit zwischen 1000 und 800 v. Chr. keine schriftlichen Quellen und die mündlichen Überlieferungen jener Epoche müssen als sehr unsicher gelten. Insofern kann sowohl die erwähnte Gleichheit als auch die gleichmäßige Landverteilung zwar nicht unbedingt inhaltlich, aber doch in ihrer tatsächlichen Form als recht strittig gelten. Entscheidend jedoch ist, dass die Idee der völligen Gleichheit entweder bereits lange vor dem mythischen Lykurgos aufkam, oder doch zumindest existierte, bevor sie mit ihm in Verbindung gebracht wurde. In jedem Fall nährt beides weiter den mythischen Charakter der lykurgischen Landverteilung.

3.3 Landformen und Landweitergabe

In einigen Quellen sind Angaben zu finden, die auf unterschiedliche Formen von Landbesitz schließen lassen. Durch Herakleides Lembos wird uns überliefert, der Verkauf von Land sei unehrenhaft gewesen, der Verkauf „alter Landlose“ hingegen gänzlich verboten18. Aristoteles kannte zwar keine solche explizite Unterscheidung, jedoch erwähnte er die Existenz des „Erbgrundbesitzes“, für den ebenfalls ein Veräußerungsverbot gegolten habe19. Man kann also davon ausgehen, dass es in der lakedaimonischen Gesellschaft zwei unterschiedliche Formen von Landbesitz gab, „alte“ Klaroi (Landlose) oder Erbland und „neue“ Klaroi. Der Unterschied scheint primär darin bestanden zu haben, dass das alte Land nur vererbt werden durfte. Weiter lässt dieser Terminus „altes Land“ auf den Zeitpunkt des Erwerbs schließen.

So muss altes Land logischerweise vor dem neuen Land in Besitz genommen worden sein.

Entweder befand sich also das alte Land in unmittelbarer Umgebung der Polis, das neue hingegen im weiteren Umland, welches erst in späterer Zeit erobert wurde. Oder aber es handelt sich bei den alten Landlosen um Klaroi innerhalb Lakedaimoniens, bei den neuen hingegen um Land in Messenien, welches erst in der zweiten Hälfte des 7. Jahrhunderts endgültig unterworfen wurde. In jedem Fall muss der Unterschied zwischen diesen beiden Landformen im vierten Jahrhundert noch erstaunlich präsent gewesen zu sein. Einen Hinweis für die strikte Trennung findet man bei Xenophon: Er [Lykurgos] gab ihm [dem K ö nig] so viel ausgew ä hltes Land in vielen der Perioikenst ä dte, dass er weder Mangel an den notwendigen Dingen des Lebens hatte noch durch Reichtum hervorragte. 20 Die persönlich freien aber politisch rechtlosen Periöken pflegten im Umland Spartas oder zur Grenzsicherung in den Randgebieten zu siedeln, laut Plutarch sogar auf Weisung Lykurgos'21. Das zur Stadt gehörende Land hingegen sei an die Spartiaten verteilt worden21. Wenn es sich bei dem gesonderten Land der Könige um die neuen Klaroi handelte, würde dies auch die freiere Handhabung bei der Veräußerung erklären. Es stellt sich aber die Frage, ob sie tatsächlich das gesamte neue Land besaßen. Wenn Lykurgos tatsächlich wünschte, dass die Könige nicht übermäßig reich seien, wie Xenophon sagt, können die neuen Landlose nicht sonderlich zahlreich oder zumindest nicht sonderlich groß gewesen sein. Wieso differenziert Aristoteles eine scheinbar so unbedeutende Fläche dann aber überhaupt? Und wenn diese gesonderten Klaroi tatsächlich - laut Xenophon - nur den Königen gehörten, wieso erwähnt Aristoteles dies nicht einfach? Statt dessen erweckt er den Anschein, dass nicht nur die beiden Monarchen im Besitz von gesondertem Land waren sondern auch weitere Spartiaten. Oliva vermutet nicht ohne Grund, dass neben den Königen weitere Spartiaten in den Genuss solch privilegierten Landes gekommen sein könnte22.

Doch kommen wir zurück auf die Landweitergabe, neben dem Zeitpunkt der Eroberung wohl der gewichtigste Unterschied zwischen den zwei Losarten. Während das neue Land sonst kaum erwähnt wurde, erfahren wir über das Erbland mehr. In Bezug auf die Zeit der Instabilität und des Zerfalls Spartas - wohl um 370 - schrieb Plutarch folgendes über die Erbfolge:

Solange sie [die Lakedaimonier] jedoch die Zahl der Familien, die Lykurg festgesetzt hatte, in der Erbfolge beibehielten und der Vater dem Sohn das Landlos hinterlie ß , hielt diese weiterbestehende Ordnung den Staat trotz der sonstigen Gebrechen noch einigerma ß en Aufrecht . 23

Der alleinige Erbanspruch eines Sohnes ergibt sich in der Tat auch als einzige Möglichkeit, da die Zahl der Landlose auf etwa 9.000 beschränkt gewesen sein soll und das Landlos seinen Besitzer nur gerade so ernähren sollte24. Wie weitere Geschwister versorgt wurden bleibt offen, jedenfalls können die spartanischen Familien nicht sonderlich groß gewesen sein. Für das Scheitern dieses Modells machte Plutarch schließlich den Ephoren Epitadeus verantwortlich. Der soll aus Ärgernis über einen Streit mit seinem Sohn, einen Gesetzesantrag eingebracht haben, der es erlaubte das Landlos zwar nicht zu verkaufen aber beliebig zu verschenken und zu vererben. Das Gesetz sei angenommen worden und der Landbesitz habe sich schnell in den Händen Weniger konzentriert23. Doch auch hier findet er in den älteren Quellen Widerspruch. Aristoteles erwähnte das Gesetz, jedoch ohne den vermeintlichen Urheber, den er eigentlich gekannt haben müsste25. Das Gesetz muss also schon wesentlich früher etabliert worden sein. Und auch der Erbfolge eines einzigen Sohnes widersprach er. Aristoteles kritisiert eben jenes „Epitadeus-Gesetz“ und die daraus resultierende Armut. Letztlich soll Sparta aus Mangel an Leuten zugrunde 26 gegangen sein. Gesetzliche Maßnahmen zum Ausgleich der Besitzverhältnisse seien unmöglich gewesen, weil ein Geburtengesetz bestanden hätte, dass der Vater von drei S ö hnen vom Kriegsdienst und der von vier von allen Abgaben frei sein soll 27. Wegen dieses Geburtengesetzes sei die Bevölkerungszahl so hoch gewesen, dass sich das Land nicht vernünftig habe aufteilen lassen. Die Polis soll also nicht durch einen Bevölkerungsmangel zugrunde gegangen sein, der „Mangel an Leuten“ bezieht sich vielmehr auf die geringe Zahl der Vollbürger. Die Bevölkerung soll hingegen so zahlreich gewesen sein, dass das Land nicht wirtschaftlich aufgeteilt werden konnte. Es müssen also mehrere Personen erbberechtigt gewesen sein, was zu Erbteilung führt und die Erhaltung der Gleichheit durch eine feste Zahl von Klaroi unmöglich machte. Des Weiteren bezeugt neben Aristoteles28 auch Plutarch selbst, dass im 4. und 3. Jahrhundert Frauen große Teile des Landes besaßen29, was für eine ältere Änderung des Erbschaftsgesetzes spricht.

3.4 Erneute Verteilung des Erblandes

Offensichtlich war die Erhaltung einer Gleichheit beim Landbesitz auf lange Zeit nicht möglich. Dass es in Sparta dennoch im Gegensatz zu vielen anderen Poleis kaum zu Bürgerkriegen (Staseis) kam, mag daher verwundern. Doch auch hier blieb man laut Aristoteles nicht vor sozialen Konflikten verschont, denn d urch den [Messenischen] Krieg waren n ä mlich manche in Not geraten und forderten nun eine neue Verteilung des Grundbesitzes 30. Bedarf für soziale Refomen muss also durchaus vorhanden gewesen sein. Hodkinson bezweifelt jedoch, dass es jemals zu einer Neuverteilung von Klaroi kam, vor allem, weil sie in keiner klassischen Quelle erwähnt wurde. Er geht vielmehr davon aus, dass hier Spartaner betroffen gewesen seien, die in Messenien mehr Land besässen hätten als in Lakedaimon Mit dem Messenischen Aufstand um 640 v. Chr. wäre ihnen somit der Großteil ihrer Lebensgrundlage abhanden gekommen. Die Antwort Spartas auf deren Forderung sei aber keine Neuverteilung gewesen sondern die Rückeroberung Messeniens31. Doch auch diese Theorie entbehrt sich aller handfesten Belege. Zudem widerspräche sie unseren Vermutungen über die Landverteilung, wonach der gewöhnliche Spartiat nur in Lakedaimonien Land besaß. Ein Grund für das Fehlen einer neueren Landverteilung in den antiken Quellen Herodots und Xenophons könnte sein, dass sie diese außen vor gelassen haben, weil sie sich primär mit Lykurgos befassen wollten. Xenophons „Verfassung der Spartaner“ schreibt in der Tat nahezu alle „Errungenschaften“ mit Ausnahme des Ephorats dem mythischen Staatsmann zu, die Landverteilung wurde jedoch erst später zu seinen Leistungen gerechnet. Schultheß geht gar davon aus, dass mehrfach erneute Zuweisungen von gleichen Landlosen erfolgt sein sollen32, ohne jedoch einen Zeitraum oder Belege zu nennen. Erneute Landverteilungen im kleineren Rahmen könnten aber in der Tat ein Möglichkeit gewesen sein, zumal sie als unauffälligere Maßnahmen vielleicht gerade deshalb den zeitgenössischen Autoren entgangen sind. Auf jeden Fall kann man davon ausgehen, dass in Sparta erneute Landverteilungen, wohl im Anschluss an den 2. Messenischen Krieg um 620 v. Chr., statt fanden. Denn wenn die Polis bereits im siebten Jahrhundert soziale Schwierigkeiten zu verzeichnen hatte, ist es ausgesprochen unwahrscheinlich, dass sie dennoch bis ins vierte Jahrhundert eine solche Stabilität bewahren konnte, dass sie nahezu komplett von Staseis verschont blieb. Vor allem hätte Sparta die Belastung durch die militärische Tätigkeit, die Begründung des Peloponnesischen Bundes ab 600, die Perserkriege ab 500 und den Peloponnesischen Krieg ab 431, wohl nicht so lange kompensieren können.

3.5 Besitzkonzentration im 5. und 4. Jahrhundert

Wenn in der Polis Neuverteilungen statt gefunden haben, so waren sie wohl nicht dauerhaft oder nicht effektiv genug. In seiner „Politeia“ bezog sich Aristoteles auf die jüngste Vergangenheit Lakedaimoniens im 4. Jahrhundert. Unter anderem kritisierte er, dass e in Teil der B ü rger [...] bei ihnen zu einem sehr gro ß en Verm ö gen, ein anderer nur zu einem sehr geringen [gelangte], und so kam der Grundbesitz in wenige H ä nde 33. Spätestens um 350 muss es also endgültig zu einer weitreichenden Landbesitzkonzentration gekommen zu sein. Dass es aber auch schon geraume Zeit früher bedeutende Ungleichheit gegeben haben muss, lässt sich aus einer Erwähnung Xenophons über die Syssitien (gemeinsamen Mahlzeiten) schließen: So habe jeder Spartiat seinen Anteil an der Mahlzeit beigetragen und die Reichen steuern dazu bisweilen auch Weizenbrot bei 34. Weizenbrot jedoch war bei den Lakedaimoniern ein unübliches Nahrungsmittel35, für einen solchen Luxus muss man mehr Land besässen haben als der gewöhnliche Spartiat zur Verfügung hatte. Xenophon erweckt hier sogar den Eindruck, als wären diese Unterschiede etwas gewöhnliches. Plutarchs Gründe für diese Entwicklung hingegen greifen erst mit dem Ende des Krieges gegen Athen. Es sei zum einen die Schuld des Ephoren Epitadeus mit seinem Gesetz über die Landweitergabe, zum anderen die des Heerführers Lysandros, der aus dem Peloponnesischen Krieg Gold mitgebracht und damit das Land korrumpiert hätte36. Infolge dessen sei das lykurgische System zusammengebrochen. Auch Xenophon kritisierte die zunehmende Verweichlichung, die Gier und die grassierende Herrschsucht37, erwähnte aber in diesem Zusammenhang weder den Krieg, noch Lysandros. Auch Aristoteles sah im Erbschaftsgesetz einen Makel. Denn das Gesetz habe das Veräußerungsverbot des Erblandes quasi überflüssig gemacht, da verschuldete Spartiaten ihr Landlos so offiziell verschenken und unter der Hand verkaufen konnten38. Dies kann in der Tat als einer der Hauptgründe für die besitzkonzentrierende Entwicklung gesehen werden. Nicht zu vernachlässigen ist die Erbteilung, da vermutlich mehr als nur ein Kind erbberechtigt war und die Zahl der Gesamtbevölkerung wie gesehen nicht immens abgenommen hat. Die soziale Belastung durch den Krieg mag ihren Teil an der Verarmung eines großen Teiles der Spartiaten gehabt haben, zudem ist nicht auszuschließen, dass soziale Unterschiede von den Wohlhabenderen forciert wurden.

4. Politische Mitbestimmung

4.1 Das politische System in der Archaik

Das politische Gesicht Spartas zur Zeit seiner Institutionalisierung, seiner „Staatwerdung“ in der beginnenden Archaik ist unsicher. Die Quellen befassen sich meist nur am Rande mit dieser Zeit sofern sie nicht gar schon den mythischen Lykurgos in dieser Epoche ansiedeln. Plutarch erwähnte als vor Lykurgos bestehende Institution nur die Monarchie, wobei dieser selbst von königlicher Herkunft gewesen sein soll39. Gewiss ist, dass die lakedaimonische Gesellschaft insgesamt seit der Helotisierung einiger Bevölkerungsteile eine oligarchische Gesellschaft war. Dennoch gibt es einige Hinweise darauf, dass auch innerhalb des Spartiaten-Standes eine oligarchische Schicht Privilegierter vorgeherrscht haben könnte. So glaubt Xenophon, dass Lykurgos seine Reformen nicht umsetzte, bevor er die M ä chtigen in der Stadt f ü r seine Ansichten gewonnen hatte 40 . Da hier nicht explizit die Könige erwähnt werden, scheint also in der Tat eine herrschende Oberschicht existiert zu haben. Auch wenn wir die Lykurgos zugeschriebenen Reformen heute als eine langwierige Entwicklung statt als umwälzende Reformen auf einen Schlag sehen: Es gibt keinen Grund, wieso diese Oberschicht auf ihre Privilegien und ihre Macht hätte verzichten sollen, um der Wandlung in eine homogene, gänzlich gleichberechtigte Gesellschaft zuzustimmen. Die Entwicklung muss also entweder langsam ihrer Macht entgegen gewirkt haben oder aber in ihrem Sinne gewesen sein. Auch die für Sparta so charakteristische Doppelmonarchie kann in eine oligarchische Herrschaftsform passen. Dreher äußert die Vermutung, die lakedaimonischen Könige könnten ursprünglich gewöhnliche Adlige gewesen sein, die sich durch ihr Ansehen dauerhafte Privilegien hätten sichern können41. Dieser Gedanke erscheint plausibel, wenn man in Betracht zieht, dass laut Aristoteles auch in Athen die führenden Amtspersonen der Basileis und Polimarchoi der vorsolonischen Zeit zuerst auf Lebenszeit, dann auf zehn Jahre 42 amtierten. Dass dieser Sonderstellung bewahrt wurde mag nicht zuletzt daran gelegen haben, dass die spartanische Monarchie dazu diente, die spätere Ordnung historisch und mythologisch zu legitimieren.

4.2 Apella und Gerusia

Als Grundlage der spartanischen Verfassung der Klassik kann die sogenannte „große Rhetra“, eine Weisung des Delphischen Orakels an Lykurgos, gelten. Ihren Wortlaut finden wir bei Plutarch:

Bestimme [er, Lykurgos] den Ä ltestenrat von drei ß ig mit den F ü rsten, halte von Zeit zu Zeit eine

Volksversammlung [...] Dann schl ä gst du vor und l ä sst abtreten. Entscheidung und Best ä tigung soll dem Volke zustehen. 43

Hier werden bereits drei Institutionen genannt, die Verfassung scheint sich in spätere Zeit abgesehen von der Einführung des Ephorats nicht mehr grundlegend verändert zu haben. Den Zeitpunkt dieser Konstitution datiert Dreher anhand des Aufstiegs des Delphischen Orakels auf die Zeit zwischen 750 und 650.44 Von Aristoteles erfahren wir, dass eben jener Ältestenrat mit der Gerusia identisch war45, und dass seine Mitglieder ihr Mandat auf Lebenszeit erhielten46. Er soll von besonderer Bedeutung gewesen sein, weil er das Gleichgewicht zwischen den Königen und dem Volk herstellen sollte47. Doch der Eindruck, dass es sich bei der lakedaimonischen Konstitution um einen Idealtypus nach aristotelischer Verfassungslehre gehandelt haben soll, täuscht. Dass die Gerusia mehr zu den Königen denn zum Volk tendierte kann man schon daraus schließen, dass die Monarchen ebenfalls in ihr vertreten waren. Zudem wurden ihre Kompetenzen, die ursprünglich wohl nur aus dem Ausformulieren bzw. Vorschlagen der Gesetzesanträge bestanden, später beträchtlich erweitert. Die gesetzgebende Entscheidung sollte laut der Rhetra der Volksversammlung (Apella) zustehen. Bezüglich einer Selektion nach Besitz oder Herkunft wissen die Quellen nichts zu berichten, die Apella scheint also wie die Athener Ekklesia auch den ärmsten Bevölkerungsschichten zugänglich gewesen zu sein48. Vermutlich hatte die Apella auch die Gerichtsbarkeit für schwerwiegendere Fälle inne, da Herodot erwähnt, dass sie um 500 v. Chr. den angeklagten König Kleomenes frei sprach49. Im 8. Jahrhundert sollen die Könige Theopompos und Polydoros die Rhetra jedoch um einen Zusatz erweitert haben, der der Gerusia das Recht gab, die Volksversammlung aufzulösen, wenn sie den Antrag entgegen dem Wohl des Staates verdrehe 50.

Effektiv bedeutet dies, dass das Volk zum Zuhörer degradiert wurde, da es entgegen seinen Beschlüssen trotzdem überstimmt werden konnte. Xenophon schrieb, dass auch die Leitung der Gerichtsverfahren auf Leben und Tod zu den Aufgaben der Geronten zählten51, vergleichbar der Athenischen Adelsversammlung (Areopag) vor den Reformen des Perikles. Aristoteles äußerte, die Gerusia habe den t ü chtigen M ä nnern 52 offen gestanden. Auffällig ist, dass er diese „Tüchtigen“ in klaren Gegensatz zum Volk an sich setzte, dem scheinbar nur die Anwartschaft auf das Ephorat offen stand. Dies legt den Schluss nahe, dass, obwohl die Wahl der Ältesten durch die Volksversammlung durchgeführt wurde, die Kandidatur nur einem bestimmten Teil der Spartiaten offen stand. In dieser mächtigen Institution hätte sich damit nur ein Teil der ohnehin schon geringen Zahl der „Vollbürger“ beteiligen können. Einen oligarchischen Charakter erhielt die Gerusia außerdem durch ihre kleine Zahl von gerade einmal 28 Geronten, die in verschwindend geringem Verhältnis zu den Ratsversammlungen anderer Poleis stand, etwa 400 in der Athener Boulé53.

4.3 Das Ephorat

Das Ephorat stellte ein fünfköpfiges Gremium. Über ihren Einfluss heißt es, dass sie im h ö chsten Ansehen bei ihnen [den Lakedaimoniern] stehen 54, zeitweilig soll ihre Macht gar der eines Tyrannen gleich 55 gewesen sein. Teilweise wird seine Einrichtung ebenfalls Lykurgos zu56. Nach Plutarch hingegen schuf der König Theopompos das Ephorat um das Volk an der Macht zu beteiligen, da es in den Nachbarländern Messenien und Argos, wo die Könige dazu nicht bereit gewesen waren, zu Konflikten gekommen sei57. Wahrscheinlicher ist jedoch Drehers Annahme, dass die Ephorenämter sich mit der Zeit etablierten und einen kontinuierlichen Machtzuwachs erfuhren58. Bezeugt sind die Ephorenlisten etwa seit Mitte des achten Jahrhunderts. Jeder Vollbürger konnte kandidieren, wobei die Kandidaten nach der lakedaimonischer Manier durch Zuruf von der Apella gewählt wurden. Die Amtszeit dauerte ein Jahr und konnte vermutlich nicht wiederholt werden. Sie hatten die Leitung der Volksversammlung59 inne, konnten Anklage erheben, auch gegen die Könige60, und wachten über die Einhaltung der Gesetze. Durch ihre Wahl durch das Volk scheinen die Ephoren auf den ersten Blick das genaue, demokratische Gegenstück zur Doppelmonarchie bzw. der Gerusia gewesen zu sein, das als mächtige Instanz der Willkür der Obrigkeit entgegen stand. Es sollte aber berücksichtigt werden, dass keine Quelle erwähnt, dass die Ephoren weisungsgebunden waren, wie etwa die Athener Beamten seit Perikles. Sie scheinen ihr Amt umso mehr für eigene Interessen verwendet zu haben. Aristoteles erwähnte, dass sie häufig wegen ihrer Armut käuflich waren61. Die Ephoren scheinen sich also durchaus mit Mächtigen arrangiert zu haben. Deren positiven Sinn sieht er woanders: Die Beh ö rde h ä lt nun [...] den Staat zusammen, weil das Volk, da es an der obersten Gewalt teilnimmt, ruhig bleibt. 62 Zieht man jedoch die Zahl der Ephoren - lediglich fünf auf mehrere tausend Spartiaten - und deren Willkür in Betracht, so wirken das Ephorat alles andere als demokratisch. Der gewöhnliche Spartiate war vielmehr einmal im Jahr in der Lage jemanden zu wählen, der nicht zwingend seine Interessen vertrat. Man kann nicht pauschalisieren, dass die Ephoren stets ihre eigenen Interessen vertreten haben. Dass sie im 3. Jahrhundert die Reformversuche des Königs Agis IV. verhinderten, der versuchte, das soziale Gleichgewicht wieder herzustellen, zeigt jedoch, dass sie auch nicht immer zu Gunsten des breiten Volkes handelten. Ein weiterer Hinweis, dass das Ephorat den Herrschenden trotz seiner Macht nicht zwangsläufig unlieb gewesen sein muss, findet sich bei Xenophon:

...in Sparta dagegen zeigen die M ä chtigsten den gr öß ten Respekt vor den Amtstr ä gern und br ü sten sich damit, da ß sie unterw ü rfig sind und da ß sie, wenn sie gerufen werden, schnell, nicht aber gem ä chlich gehorchen. 63

Deren Hoffnung sei gewesen, dass sie den anderen an Gehorsam gegenüber dem Staat ein Vorbild sein würden, was auch erfolgreich gewesen sei. Ob die Bevölkerung es einfach akzeptiert hätte, sich freiwillig in einem solchen Maße einer Autorität unterzuordnen weil es ein anderer tat, darf bezweifelt werden. Vielmehr wäre es naheliegender, dass sich die Mächtigen der Staatsgewalt beugten, um deren Glaubwürdigkeit und Autorität zu sichern. Wie wir festgestellt haben, verfügte ein kleinerer, privilegierter Teil unter den Spartiaten nicht nur über mehr Ackerland sondern wohl auch über mehr politischen Einfluss als die Anderen. Daher müsste deren primäres Interesse darin bestanden haben, dass diese Situation bestehen bleibt. Hätten sie die Weisungen der Ephoren und die Gesetze allzu offen missachtet, hätten diese als bloßes Unterdrückungswerkzeug den Unmut der restlichen Spartiaten hervorgerufen.

5. Ursache des neuen Sparta-Bildes

Die vermutliche Ursache für diesen bedeutenden Wandel, den das Sparta-Bild noch in der Antike vollzog, liefert Hodkinson. Er macht für diesen Umschwung die Propaganda unter den Königen Agis IV. und Kleomenes III. im 3. Jahrhundert verantwortlich, deren Bestrebungen auch vereinfacht „third-century revolution“ genannt würden64. Ersterer habe - erfolglos - versucht, die „lykurgische“ Gleichheit wieder herzustellen. Kleomenes sei zwar erfolgreicher gewesen, letztlich aber ebenfalls an Makedonien und dem Achaischen Bund gescheitert64. Dabei weißt er darauf hin, dass die idealisierte Darstellung des Spartiatenstandes erst nach der Regierungszeit dieser Könige erwähnt wird, erstmals überliefert durch Polybios im 2. Jahrhundert v. Chr.64. Tatsächlich besagte Plutarch, dem Hodkinson einen starken Bezug auf zeitgenössische „Propagandisten“ der Revolution wie etwa Phylarchos zuschreibt64, dass sich die Könige offen auf die vermeintliche Tätigkeit Lykurgos' bezogen hätten65. Um ihre sozialen, politischen und finanziellen Reformen historisch legitimieren zu können, müssen sie sich also dieses Mythos nicht nur bedient sondern ihn auch bedeutend ausgebaut haben.

6. Zusammenfassung

In Anbetracht dieser Punkte können wir feststellen, dass es die völlige idealistische Gleichheit im klassischen Sparta, wie sie beispielsweise Plutarch wiedergab, nicht gegeben hat. Frühere Quellen vermögen keine solche Beschreibung von Sparta zu geben, erwähnen teilweise sogar wie selbstverständlich soziale Unterschiede.

Obwohl es vermutlich in der Entstehungszeit der Polis im 9. Jahrhundert eine umfassende Landverteilung gab, gibt es keine glaubhaften frühen Belege für eine völlig gleiche Landverteilung. Eine Ausgeglichenheit des Besitzes wurde nie erzielt, unter anderem da die Gesetze über Erbteilung und Landweitergabe dazu auch nicht geeignet waren. Soziale Ungleichheit kann schon zur Zeit der Messenischen Kriege und damit nicht allzu lange nach der Gründung der Polis nachgewiesen werden. Obwohl man davon ausgehen kann, dass der Staat zumindest noch in der Archaik durch Landverteilung Maßnahmen ergriff um die Ungleichheit im Rahmen zu halten und sozialen Konflikten entgegen zu wirken, kam es wohl spätestens seit dem fünften Jahrhundert zu einer zunehmenden Konzentration des Landbesitzes.

Auch in politischer Hinsicht wurde die Gleichheit nie völlig umgesetzt. Trotz der unterschiedlichen Institutionen, war die spartanische Verfassung keine Mischverfassung, wie es auf den ersten Blick erscheinen mag. Die Macht der Gerusia und deren Verwobenheit mit den Königen gab der Verfassung eine starke oligarchische Richtung. Das Mitspracherecht der Volksversammlung konnte, wenn nötig, weitgehend eingeschränkt werden, so dass sich der Einfluss des Volkes häufig auf die Wahl des Ephorats beschränkte. Doch auch dieses war - zumal vermutlich nicht weisungsgebunden - keine demokratische Institution nach aristotelischem Politikverständnis, da die Macht nicht direkt vom Volke ausging. Vielmehr hatte es eher einen aristokratischen bis oligarchischen Charakter. Der Einfluss des gewöhnlichen Spartiaten auf die tatsächlichen politischen Entscheidungen fiel also recht gering aus.

Da die Vorstellung einer früher völlig gleichberechtigten Spartiatengesellschaft erst im 3. Jahrhundert aufkam, kann man davon ausgehen, dass dies auf die zu großen Teilen falsche historische Darstellung der Könige Agis IV. und Kleomenes III. hin geschah.

Quellenverzeichnis

Aristoteles: Politik, übersetzt und erläutert von Eugen Rolfes, Hamburg 3. Auflage 1958 [Ar. Pol.].

Aristoteles: Der Staat der Athener, übersetzt und herausgegeben von Martin Dreher, Stuttgart 1993 [Ar. Pol. ath.].

Heraclidae Pontici Fragmenta de rebus publicis, ed. Georg David Koeler, Halae Saxunum: Ex offic. Rengeriana 1804 [Lembos, Fragmente].

Herodot: Historien, Buch VI - IX, übersetzt von Walter Marg, eingeführt von Detlev Fehling und erläutert von Bernhard Zimmermann, München 1991 [Herodot].

Isokrates: Des Isocrates' Panathenaikos, Langenscheidtsche Bibliothek sämtlicher griechischer und römischer Klassiker (Band 34), übersetzt von Theodor Flathe, Berlin 3. Auflage ca. 1900 [Isokr. Panath.].

Plutarch: Große Griechen und Römer (Band 4), übersetzt und eingeleitet von Konrat Ziegler, Zürich und Stuttgart 1965 [Plut. Vit. Agis].

Plutarch: Große Griechen und Römer (Band 1), übersetzt, eingeleitet und erläutert von Konrat Ziegler, München 1979 [Plut. Vit. Lyk.].

Thukydides: Der Peloponnesische Krieg. Vollständige Ausgabe, Sammlung Dieterich (Band 170), übertragen von August Horneffer, Bremen 1957 [Thuk.].

Xenophon: Die Verfassung der Spartaner, übersetzt und erläutert von Stefan Rebenich, Darmstadt 1998 [Xen. Pol. lak.].

Literaturnachweis

Berve, Helmut: Sparta (Meyers kleine Handbücher Band 7), Leipzig 1937.

Cary, Max: Artikel „Lycurgus (2)“, in: The Oxford Classical Dictionary, Oxford 6. Auflage 1964.

Dreher, Martin: Athen und Sparta, München 2001 [Dreher, Athen].

Hodkinson, Stephen: Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000 [Hodkinson, Sparta].

Oliva, Pavel: Sparta and her Social Problems, Amsterdam und Prag 1971.

Oncken, Wilhelm: Die Staalehre des Aristoteles in historisch-politischen Umrissen. Ein Beitrag zur Geschichte der hellenischen Staatsidee und zur Einführung in die aristotelische Politik (Band 1), Leipzig 1870.

Schultheß, Otto: Artikel "Homoioi", in: RE (Band VIII.2), 1913.

[...]


1 Vgl. z. B. Berve, Helmut: Sparta (Meyers kleine Handbücher Band 7), Leipzig 1937.

2 Vgl. Dreher, Martin: Athen und Sparta, München 2001, 46f [im Folgenden zitiert als Dreher, Athen].

3 Vgl. Cary, Max: Artikel „Lycurgus (2)“, in: The Oxford Classical Dictionary, Oxford 6. Auflage 1964.

4 Plut. Vit. Lyk. 1.

5 Plut. Vit. Lyk. 2.

6 Plut. Vit. Lyk. 24.

7 Herodot 1,65.

8 Xen. Lak. pol. 1,2.

9 Xen. Lak. pol. 2,2.

10 Xen. Lak. pol. 5,3.

11 Ar. Pol. ath. 2,2.

12 Xen. Lak. Pol. 7,5 und Plut. Lyk. 9.

13 Xen. Lak. Pol. 7,2.

14 Ar. Pol. 1271 a 48-50.

15 Isokr. Panath. 177.

16 Isokr. Panath. 178.

17 Vgl. Dreher, Athen, 35.

18 Heraclidae Pontici Fragmenta de rebus publicis, ed. Georg David Koeler, Halae Saxunum 1804, 98 [Autor Herakleides Lembos, früher fälschlich Herakleides Pontikus zugeschrieben] [im Folgenden zitiert als Lembos, Fragmente].

19 Ar. Pol. 1270 a 26.

20 Xen. Pol. Lak. 15,3.

21 Plut. Vit. Lyk. 8.

22 Vgl. Oliva, Pavel: Sparta and her Social Problems, Amsterdam und Prag 1971, 35.

23 Plut. Vit. Agis 5.

24 Plut. Vit. Lyk. 8.

25 Ar. Pol. 1270 a 28-30.

26 Ar. Pol. 1270 a 45.

27 Ar. Pol. 1270 a 53-1270 b 6.

28 Ar. Pol. 1270 a 31-32.

29 Plut. Vit. Agis 7.

30 Ar. Pol. 1307 a 2-4.

31 Vgl. Hodkinson, Stephen: Property and Wealth in Classical Sparta, London 2000, 76 [im Folgenden zitiert als Hodkinson, Sparta].

32 Vgl. Schultheß, Otto: Artikel "Homoioi", in: RE (Band VIII.2), 1913, Sp. 2254.

33 Ar. Pol. 1270 a 20-24.

34 Xen. Pol. lak. 5,3.

35 Lembos, Fragmente, 98.

36 Plut. Vit. Lyk. 30.

37 Xen. Pol. lak. 14,2 - 14,5.

38 Ar. Pol. 1270 a 28-30.

39 Plut. Vit. Lyk. 3.

40 Xen. Pol. lak. 8,1.

41 Vgl. Dreher, Athen, 44.

42 Ar. Pol. ath. 3,1.

43 Plut. Vit. Lyk. 6.

44 Vgl. Dreher, Athen, 44.

45 Ar. Pol. 1270 b 33.

46 Ar. Pol. 1270 b 55.

47 Plut. Vit. Lyk. 5.

48 Ar. Pol. ath. 7,3.

49 Herodot 6,82.

50 Plut. Vit. Lyk. 6.

51 Xen. Pol. lak. 10,2.

52 Ar. Pol. 1270 b 32.

53 Ar. Pol. ath. 8,4.

54 Lembos, Fragmente, 97.

55 Ar. Pol. 1270 b 20.

56 Herodot 1,65.

57 Plut. Vit. Lyk. 7.

58 Vgl. Dreher, Athen, 52.

59 Thuk. 1,87.

60 Herodot 6,82.

61 Ar. Pol. 1270 b 14-15.

62 Ar. Pol. 1270 b 24-26.

63 Xen. Pol. lak. 8,3.

64 Hodkinson, Sparta, 43.

65 Plut. Vit. Agis 4 und 6.

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Gleichheit in der lakedaimonischen Gesellschaft - Der Spartiat während der griechischen Klassik
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Note
1,3
Autor
Jahr
2006
Seiten
20
Katalognummer
V110819
ISBN (eBook)
9783640089796
Dateigröße
501 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Gleichheit, Gesellschaft, Spartiat, Klassik
Arbeit zitieren
Julian Hessenkamp (Autor:in), 2006, Gleichheit in der lakedaimonischen Gesellschaft - Der Spartiat während der griechischen Klassik, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110819

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