„Der Roman hat im Laufe seiner langen Geschichte so vielgestaltige Gebilde hervorgebracht, daß man ihn als eine literarische Gattung innerhalb des Epischen nicht definieren kann, wohl aber beschreiben, wie er in einer bestimmten Zeit ausgesehen hat, was er erzählt, wie er gebaut war und – sofern man darüber etwas weiß – was Autoren und Publikum von ihm hielten.“
Mit diesen Worten steigt Xenja von Ertzdorff in ihre Untersuchung zum literarischen Schaffen des Rudolfs von Ems ein. Gerade das Erstlingswerk des späthöfischen Autors Rudolf, ‚Der guote Gêrhart’ bedient hervorragend diese Formulierung. Denn obwohl sich die Wissenschaftler bei dem um 1210/11 bis 1214/15 entstandenen Werk formal auf die Gattung des ‚Versromans’ einigen konnten, ist eine exakte Festlegung aus der inhaltlichen Perspektive heraus nicht wirklich erfolgt. Dementsprechend verschieden fallen die Interpretationen unter diesem Gesichtspunkt aus. Das bestätigt, was Wolfgang Walliczek über Rudolfs Werk festhält: Es ist ein „literarische[s] Novum“ und lässt sich demzufolge nur schwer in die gängigen Kategorien einordnen. Dennoch wurde es natürlich versucht, denn wie schon Umberto Eco sagte, „[...] sprechen [Bücher] immer von anderen Büchern, und jede Geschichte erzählt eine längst schon erzählte Geschichte.“ Diese Annahme bestätigt Hilkert Weddige, wenn er sagt, dass es damals „[...] nicht auf die Erfindung neuer Stoffe [ankommt].“
Die folgenden Seiten sollen die verschiedenen Einordnungsversuche erläutern und begründen, inwieweit ‚Der guote Gêrhart’ in die jeweilige Gattung hineinpasst.
Häufig gestellte Fragen zu „Der guote Gêrhart“ von Rudolf von Ems
Was ist der Gegenstand der vorliegenden Arbeit?
Die Arbeit untersucht die Einordnung des mittelhochdeutschen Versromans „Der guote Gêrhart“ von Rudolf von Ems in verschiedene literarische Gattungen. Sie analysiert, inwieweit das Werk Merkmale des Artusromans, der Patrizierdichtung, der Propagandadichtung und der Streitnovelle aufweist.
Welche Gattungen werden im Bezug auf „Der guote Gêrhart“ diskutiert?
Die Arbeit behandelt die Einordnung des Werkes in die Gattungen des Artusromans, der Patrizierdichtung, der Propagandadichtung und der Streitnovelle. Es wird untersucht, welche typischen Merkmale jeder Gattung in „Der guote Gêrhart“ erkennbar sind und wie diese mit der spezifischen Erzählweise des Textes in Verbindung stehen.
Wie wird der Protagonist Gêrhart charakterisiert?
Gêrhart wird als Kaufmann aus Köln dargestellt, der auf seinen Handelsreisen verschiedene Abenteuer erlebt. Die Arbeit diskutiert, inwieweit Gêrharts Charakter dem Idealbild eines edlen Ritters entspricht oder ob er eher als pragmatische und realistische Figur zu verstehen ist, die sich mit den sozialen und wirtschaftlichen Realitäten seiner Zeit auseinandersetzt.
Welche Rolle spielt der „doppelte Kursus“ in der Erzählstruktur?
Der „doppelte Kursus“, eine typische Struktur des Artusromans, ist in „Der guote Gêrhart“ erkennbar. Die Arbeit analysiert die beiden Handlungszyklen und untersucht deren Bedeutung für die Gesamtinterpretation des Werkes. Es wird dabei auch die Frage beleuchtet, wie Rudolf von Ems dieses Schema an die jeweilige soziale und wirtschaftliche Realität anpasst.
Welchen Einfluss hat die französische Literatur auf „Der guote Gêrhart“?
Die Arbeit betont den Einfluss der französischen höfischen Literatur auf „Der guote Gêrhart“. Es wird diskutiert, wie Rudolf von Ems französische Muster und Motive aufnimmt und sie an die deutsche Kultur und die spezifische Situation im Rheinland anpasst.
Wie wird der historische Kontext des Werkes berücksichtigt?
Die Arbeit untersucht den historischen Kontext des Werkes, indem sie die soziale und politische Situation des 13. Jahrhunderts beleuchtet. Der Einfluss der Kreuzzüge, die Rolle der Kaufleute und die moralischen und wirtschaftlichen Aspekte des Handels werden in Bezug auf Gêrharts Abenteuer und die Interpretation des Romans diskutiert.
Welche Quellen werden in der Arbeit verwendet?
Die Arbeit stützt sich auf eine Vielzahl von sekundärliterarischen Quellen, darunter Werke von Xenja von Ertzdorff, Otto Neudeck, Wolfgang Walliczek, Umberto Eco, Hilkert Weddige, Thomas Bein, Werner Wunderlich und Sonja Zöller. Zitate aus dem Primärtext (Der guote Gêrhart) werden im laufenden Text mit Versangaben versehen.
Wie wird der wissenschaftliche Stand der Forschung zu „Der guote Gêrhart“ dargestellt?
Die Arbeit präsentiert einen Überblick über den wissenschaftlichen Diskurs zu „Der guote Gêrhart“. Sie zeigt die verschiedenen Interpretationsansätze und diskutiert die Frage der Einordnung des Werkes in die mittelalterliche Literatur. Dabei wird auch die Entwicklung der Forschung und die Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Deutungen berücksichtigt.
Welche Schlussfolgerungen zieht die Arbeit?
Die Arbeit kommt zu dem Schluss, dass „Der guote Gêrhart“ ein komplexes und vielschichtiges Werk ist, das sich nicht eindeutig einer literarischen Gattung zuordnen lässt. Es zeigt eine Mischung verschiedener literarischer Traditionen und spiegelt die soziale und wirtschaftliche Realität des 13. Jahrhunderts wider. Der Roman ist als „literarisches Novum“ einzustufen.
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Artusroman – Gêrhart als edler Ritter
3 Die Patrizierdichtung – Ein Lob auf den Kaufmann
4 Die Propagandadichtung – Der politische Gêrhart
5 Die Streitnovelle – Der vollkommene Gêrhart
6 Schluss
7 Bibliographie
Ein formaler Hinweis
Quellennachweise aus dem Primärtext finden sich im laufenden Text, in Klammern nach dem jeweiligen Zitat, in folgenden Format: (V. [Verszeile]). Dieses Format ist nicht zu verwechseln mit Jahresangaben in Klammern.
Alle Nachweise von Zitaten aus der Sekundärliteratur erfolgen in Fußnoten am Ende der jeweiligen Seite.
1 Einleitung
Der Roman hat im Laufe seiner langen Geschichte so vielgestaltige Gebilde hervorgebracht, daß man ihn als eine literarische Gattung innerhalb des Epischen nicht definieren kann, wohl aber beschreiben, wie er in einer bestimmten Zeit ausgesehen hat, was er erzählt, wie er gebaut war und – sofern man darüber etwas weiß – was Autoren und Publikum von ihm hielten.[1]
Mit diesen Worten steigt Xenja von Ertzdorff in ihre Untersuchung zum literarischen Schaffen des Rudolfs von Ems ein. Gerade das Erstlingswerk des späthöfischen Autors Rudolf, ‚Der guote Gêrhart’ bedient hervorragend diese Formulierung. Denn obwohl sich die Wissenschaftler bei dem um 1210/11 bis 1214/15 entstandenen Werk formal auf die Gattung des ‚Versromans’ einigen konnten, ist eine exakte Festlegung aus der inhaltlichen Perspektive heraus nicht wirklich erfolgt.[2] Dementsprechend verschieden
fallen die Interpretationen unter diesem Gesichtspunkt aus. Das bestätigt, was Wolfgang Walliczek über Rudolfs Werk festhält: Es ist ein „literarische[s] Novum“[3] und lässt sich demzufolge nur schwer in die gängigen Kategorien einordnen. Dennoch wurde es natürlich versucht, denn wie schon Umberto Eco sagte, „[...] sprechen [Bücher] immer von anderen Büchern, und jede Geschichte erzählt eine längst schon erzählte Geschichte.“[4] Diese Annahme bestätigt Hilkert Weddige, wenn er sagt, dass es damals
„[...] nicht auf die Erfindung neuer Stoffe [ankommt].“[5]
Die folgenden Seiten sollen die verschiedenen Einordnungsversuche erläutern und begründen, inwieweit ‚Der guote Gêrhart’ in die jeweilige Gattung hineinpasst.
2 Der Artusroman – Gêrhart als edler Ritter
Generell lässt sich zunächst festhalten, dass die „höfische Literatur zwischen 1170 und 1230/50 [...] auch als ‚ritterlich-höfische’ [...] bezeichnet [wird]“[6] „Frankreich ist richtungsweisend für die höfische Literatur und Kultur Deutschlands.“[7] „Zahlreiche französische Modewörter [...] bezeugen die Intensität dieses Einflusses.“[8] Und abgesehen vom ‚Nibelungenlied’ ist die ‚Artusepik’ der beliebteste epische Texttyp des Mittelalters.[9] Diese wurde durch Chrétien de Troyes (ca. 1135-1188) in Frankreich begründet und fand mit den Romanen ‚Erec’ und ‚Iwein’ von Hartmann von Aue auch ihren Weg nach Deutschland.[10]
Demnach würde es nicht verwundern, wenn Rudolf sich dieses Musters für den ‚Guoten Gêrhart’ bedient hatte. Schließlich sah er sich selbst als „Dienstmann“[11], was ihn nach dem Verständnis mancher Germanisten auch zum ‚Ritter’ machte.[12] Das Ritterideal mit seinen Tugendwerten diente nämlich für den gesamten Adel als Vorbild für angemessenes Verhalten.[13] Zusätzlich sei erwähnt, dass sich Rudolf den höfischen Meistern, Hartmann, Wolfram und Gottfried, verpflichtet fühlte.[14] Lange galt er sogar als „unkreativer Nachahmer der großen Meister“[15], was ihm dem Titel des ‚Epigonen’ einbrachte. Diese Annahme ist heute so nicht mehr gültig, wie das oben angeführte Zitat des ‚literarischen Novums’ schon vermuten lässt. Das schließt jedoch nicht aus, dass ‚Der guote Gêrhart’ ein Artusroman sein könnte.
Das wohl auffälligste Schema, das Rudolf anscheinend vom Artusroman übernommen hat, ist der ‚doppelte Kursus’. Die Binnengeschichte gliedert sich in zwei Zyklen.
Der Kaufmann Gêrhart beginnt seine Reise in seiner Heimatstadt Köln in Richtung „Sarant“ (V. 1198). Gewöhnlich ist der Ausgangspunkt eines Artusromans der Hof des legendären britischen Königs, doch Rudolf könnte mit dem Transfer in die Rheinstadt dem gewünschten Wirklichkeitsbezug seiner Erzählung Rechnung getragen haben, um somit dem sonst märchenhaften Charakter der Artusepik entgegenzuwirken.[16] Auch die „Handlungsträger sind nicht mehr fiktive, sondern pragmatisch behandelte realistische Figuren.“[17] Damit zollt Rudolf wahrscheinlich der „sozialen Realität“[18] Tribut, welche weit entfernt war vom Ideal des edlen Ritters. [G]egen 1200 können wir feststellen, daß sich die Feudaldichtung mit einem tief gehenden Widerspruch auseinanderzusetzen beginnt, nämlich mit der Tatsache, daß die in ihr gestaltete Idealwelt mit der sozialen und politischen Wirklichkeit der Feudalgesellschaft [...] in keiner Weise übereinstimmte.[19]
Statt eines „Sich-Einsetzens des Starken für den Schwachen“[20] gab es u.a. zahlreiche Kreuzzüge mit Hunderttausenden von Opfern.[21]
Nichtsdestoweniger bleibt der ‚doppelte Kursus’ als Muster erhalten. Mit einem „ungewitter winde vil“ (V. 1223) beginnt Gêrharts ‚âventiure’, die ihn bis nach „Marroch“ (V. 1413) verschlägt. Dass Marokko damals ein Land von Heiden war, in das der christliche Kaufmann gelangte, entspricht dem Zweck der Kreuzzüge, der bekanntlich der Kampf gegen die Ungläubigen war. Allerdings versucht Gêrhart nicht die dort ansässigen Heiden zu bekehren, sondern vielmehr ein gutes Geschäft zu machen. Für die Bekehrung wäre der Kölner Kaufmann aus Sicht der Kirche wahrscheinlich auch gänzlich ungeeignet gewesen, da gerade jene Institution das Händlertum „mit moralischer Skepsis betrachtete“[22] und u.a. den Zins verbot.[23]
Trotzdem waren die Fernhändler der damaligen Zeit weit mehr als „kühl kalkulierende, nüchterne, allein am Profit orientierte Rechner“[24]. Im Seehandel gingen sie ein enormes Risiko auf ihren Fahrten ein und gebrauchten für ihre Reisen „noch lange Zeit den Begriff der aventiure “[25]. Sie nannten „sich daher im Mittelalter selbstbewusst beruflich
‚Abenteurer’.“[26] Sonja Zöller führt noch weitere Übereinstimmungen von Rittern und
Kaufleuten an: So waren beide Gruppen vom „‚allgemeinen Ehrbegriff des Adels’ beeinflußt“[27] und ein Kaufmann konnte durch Reichtum und Reputation auch in den Adel, und somit in das Rittertum, aufsteigen.[28] Weiterhin lassen sich in der deutschen höfischen Literatur öfters Bewertungen von Kaufleuten finden, die mit Begriffen aus dem „ritterlich-höfischen Bereich“[29] beschrieben werden.[30] Doch auch außerhalb der Fiktion, so Sonja Zöller, war „[d]er ritterliche Kaufmann [...] eine Erscheinung der historischen Realität.“[31] Hier wurde ihm auch die „ethische Verpflichtung“[32] übertragen, sich um die Armen zu sorgen.[33]
[...]
[1] Xenja von Ertzdorff: Rudolf von Ems. Untersuchungen zum höfischen Roman im 13. Jahrhundert. München: Fink 1967. S. 7f.
[2] Vgl. Otto Neudeck: Erzählen von Kaiser Otto. Zur Fiktionalisierung von Geschichte in mittelhochdeutscher Literatur. Köln, Weimar, Wien: Böhlau 2003 (= Norm und Struktur. Studien zum sozialen Wandel in Mittelalter und früher Neuzeit 18). S. 202.
[3] Walliczek, Wolfgang: Rudolf von Ems. In: Die deutsche Literatur des Mittelalters. Verfasserlexikon. Bd. 8: Rev-Sit. 2. Aufl. Hrsg. von Kurt Ruh. Berlin, New York: de Gruyter 1992. S. 328.
[4] Sonja Zöller: Kaiser, Kaufmann und die Macht des Geldes. Gerhard Unmaze von Köln als Finanzier der
Reichspolitik und der ‚Gute Gerhard’ des Rudolf von Ems. München: Fink 1993 (= Forschungen zur Geschichte der älteren deutschen Literatur 16). S. 167.
[5] Hilkert Weddige: Einführung in die germanistische Mediävistik. 5. Aufl. München: Beck 2003. S. 191.
[6] Weddige 2003: S. 187.
[7] Ebd. S. 190.
[8] Ebd.
[9] Vgl. Thomas Bein: Germanistische Mediävistik. Eine Einführung. 2. Aufl. Berlin: Erich Schmidt Verlag 2005 (= Grundlagen der Germanistik 35). S. 172.
[10] Vgl. Weddige 2003: S. 194f.
[11] Walliczek 1992: S. 322.
[12] Vgl. Weddige 2003: S. 171f.
[13] Vgl. Werner Wunderlich: Der ‚ritterliche’ Kaufmann. Literatursoziologische Studien zu Rudolf von Ems’ ‚Der guote Gêrhart’. Kronberg: Scriptor 1975 (= Scriptor Hochschulschriften.
Literaturwissenschaft 7). S. 10.
[14] Vgl. Walliczek 1992: S. 325f.
[15] Neudeck 2003: S. 193.
[16] Vgl. Weddige 2003: S. 194f.
[17] Wunderlich 1975: S. 171.
[18] Walliczek 1992: S. 328.
[19] Wunderlich 1975: S. 11.
[20] Bein 2005: S. 173.
[21] Brockhaus Enzyklopädie in 30 Bänden. 21. Aufl. Bd. 15: KIND-KRUS. Leipzig, Mannheim: F.A. Brockhaus 2006. S. 737.
[22] Zöller 1993: S. 99.
[23] Vgl. ebd. S. 102.
[24] Zöller 1993: S. 93.
[25] Ebd.
[26] Ebd.
[27] Ebd.
[28] Vgl. ebd.
[29] Ebd. S. 94.
[30] Vgl. ebd.
[31] Ebd. S. 95.
[32] Ebd. S. 96.
[33] Vgl. ebd.
- Arbeit zitieren
- Karsten Tischer (Autor:in), 2007, Gattungspoetische Überlegungen zu Rudolfs von Ems Roman "Der guote Gêrhart", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/110924