Analogie und Sprache - Betrachtungen zum Analogie-Begriff bei Saussure und Wittgenstein


Magisterarbeit, 2007

78 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung

2 Die Zwei-Welten-Ontologie
2.1 Sprechen besteht wesentlich in der Anwendung von Regeln
2.2 Die Regeln des Sprechens sind universal und autonom

3 Saussure
3.1 Grundlegende Einsichten
3.1.1 Die kontinuierliche Transformation der Sprache in der Zeit und im Raum
3.1.2 Die Sprache: eine eigentümliche Institution
3.2 Saussures Semiologie
3.2.1 Das Prinzip der Differenz: Sème = Parasème
3.2.2 Das Aposème
3.2.3 Der notwendig soziale Charakter der Sprache
3.3 Analogie
3.3.1 Analogie als „Phänomen der intelligenten Transformation“
3.3.2 Iteration, Fluktuanz, Analogie

4 Vom Diskurs zum Sprachspiel

5 Wittgenstein
5.1 Wittgensteins Gebrauch des Terms ‚Analogie’
5.2 Projektion
5.3 Regelbefolgung vs. Projektion

6 Die Metaphorizität der Analogie
6.1 Aufbau eines Symbolsystems
6.2 Die Metapher

7 Parasemische Schöpfung, Projektion und Metapher
7.1 Die Problematik einer Unterscheidung verschiedener Analogieformen
7.2 Analogie als „grammatische Bewegung“

8 Schluss

9 Literatur

1 Einleitung

Der zentrale Begriff dieser Arbeit ist jener der Analogie und zwar nicht in einem ontologischen, erkenntnis- oder wissenschaftstheoretischen sondern in einem sprachtheoretischen Sinn. Es geht hier also in erster Linie um die analogische Kreativität in der sprachlichen Performanz als Ursache für den Sprachwandel. Zur Explikation dieses Konzepts der ‚Analogie’ werde ich die Verwendung des Begriffs in den Schriften Ferdinand de Saussures und Ludwig Wittgensteins beleuchten.

Der Problemhorizont, vor dem unsere Betrachtung des Analogiebegriffs bei Saussure und Wittgenstein stattfindet, ist die von Sybille Krämer so genannte „Zwei-Welten-Ontologie“ der Sprache, welche der Analogie als Veränderung der Kompetenz durch die Performanz, der langue durch die parole, in ihrer Theorie keinen Platz einräumt. Dieser Grundgedanke der Zwei-Welten-Ontologie wird im zweiten Kapitel skizziert.

Anschließend werden in den Kapiteln 3 bis 5 mit Saussure und Wittgenstein und einer genaueren Betrachtung ihres Gebrauchs des Ausdrucks ‚Analogie’ die Unadäquatheit der Zwei-Welten-Ontologie nachgewiesen und die Umrisse eines alternativen Sprachbildes gezeichnet werden. Das Saussure-Kapitel gliedert sich in eine Darstellung der grundlegenden Einsichten, die eine jede Sprachtheorie zu berücksichtigen hat, um sodann Saussures Semiologie zu entfalten, mit deren Begriffsinstrumentarium ich mich schließlich an die Betrachtung von Saussures Analogie-Begriffs mache. Dabei wird deutlich, dass Saussure die Analogie allein auf morphologischer Ebene betrachtet.

Nach einer Überleitung zu Wittgenstein in Kapitel 4 wird im fünften Kapitel die Analogie bei Wittgenstein als Zustand tiefengrammatischer Verhältnisse in der Sprache gedeutet, welche durch Projektionen entstanden sind. Wir werden sehen, dass es sich um Projektionen syntaktischer Gefüge wie auch einzelner Wörter handeln kann. Am Ende des Kapitels werden wir die Projektion gegen die konventionelle Regelbefolgung abgrenzen.

In Kapitel Sechs führe ich zunächst in Goodmans symboltheoretische Begrifflichkeit ein, um sodann seinen umfassenden Metaphernbegriff darzustellen und die Analogie als eine solche Metapher auszuweisen. Auf dieser Basis sowie mit Rekurs auf eine Betrachtung Saussures werde ich die Problematik einer Unterscheidung verschiedener Analogie- bzw. Metaphernformen verdeutlichen, um schließlich die Synthese der verschiedenen Analogietypen im Begriff der ‚grammatischen Bewegung’ vorzuschlagen. Zum Abschluss der Arbeit erfolgt die erneute Kritik an der Zwei-Welten-Ontologie, deren Vertreter für den „Verlust der Analogie“ in der Sprachtheorie verantwortlich gemacht werden.

2 Die Zwei-Welten-Ontologie

Der Ausdruck „Zwei-Welten-Ontologie“ bzw. „Zwei-Welten-Bild“ oder „Zwei-Welten-Modell“[1] der Sprache ist von Sybille Krämer geprägt. Sie benutzt ihn in einer „Diagnose“[2] von Sprachtheorien des 20. Jahrhunderts, die der klassischen Unterscheidung zwischen system- und handlungsorientierten Sprachtheorien zuwiderläuft, deren Witz also darin besteht, „einen Darstellungsweg jenseits der vertrauten linguistischen und philosophischen Kontroversen zu beschreiben.“[3] Dies hat zur Konsequenz, dass Krämer sowohl die ‚üblichen Verdächtigen’ Chomsky und – den fiktiven[4] – Saussure als Vertreter des Zwei-Welten-Modells einordnet, zudem aber auch pragmatisch orientierte Sprachtheoretiker wie John R. Searle, Jürgen Habermas und Karl Otto Apel.

Die zentrale Annahme der Zwei-Welten-Ontologie der Sprache ist die einer „Sprache hinter dem Sprechen“, eines „logisch-genealogischen Vorrangs“[5] der –virtuell[6], institutionell[7], hirnphysiologisch[8] existierenden oder auch als eine kontrafaktische „operativ wirksame Fiktion“[9] konzipierten – reinen Sprache vor dem jedesmaligen, raumzeitlich situierten Sprechen.

Als Ausgangspunkt sowie Ziel der späteren Kritik dieser Arbeit soll hier eine grundlegende Implikation der Zwei-Welten-Ontologie beleuchtet werden: die Annahme eines universalen sprachlichen Regelsystems, welches zwar das Sprechen determiniert, von diesem aber nicht affiziert wird. Ich werde also von einer Hierarchisierung von reiner, universaler Sprache und konkretem Sprechakt sprechen.[10]

Dieser Universalismus independenter Regeln des Zwei-Welten-Modells behauptet also 1.) dass wir im jedesmaligen Sprechen Regeln folgen, welche dem einzelnen raumzeitlich bestimmbaren Sprechakt zugrundeliegen und welche die universellen Eigenschaften von Sprache darstellen, „an denen alles teilhat, was überhaupt ‚Sprache’ bzw. ‚Rede’ genannt werden kann“[11] sowie 2.) dass diese Regeln unsere Sprachhandlungen zwar determinieren, von diesen aber wiederum nicht beeinflusst werden.

2.1 Sprechen besteht wesentlich in der Anwendung von Regeln

„Unsere Sprachlichkeit zu erklären bedeutet, die Regeln zu beschreiben, denen wir im Sprechen folgen; seien dies nun Regeln, nach denen wir elementare sprachliche Einheiten zu grammatisch korrekten Sätzen verknüpfen oder Regeln, nach denen wir Sätze als verständigungsorientierte Äußerungen gebrauchen. Eine Sprache zu beherrschen, setzt somit die implizite Kenntnis dieser Regeln voraus“[12].

Das Zwei-Welten-Bild der Sprache sieht das jedesmalige Sprechen auf der Ebene der Illokution, wie der Syntax, Wortwahl und Morphologie als einen Fall von regelgeleitetem Handeln an: diese Annahme impliziert, dass die Sprachregeln notwendige Bedingung der Sprechhandlung sind, dass sie a priori feststehen und dass die wesentlichen Eigenschaften der Sprechhandlung durch die Regeln bestimmt sind.

Diese Auffassung vom Sprechen entspricht – man kann hier sehr passend auf Wittgenstein vorgreifen – dem Verfahren nach einem Kalkül. Ein Kalkül ist – wie etwa der Fremdwörterduden erläutert – eine „durch ein System von Regeln festgelegte Methode“[13]. Die These von der Benutzung der Sprache als dem Verfahren nach einem Kalkül birgt mehrere zusammenhängende Annahmen in Bezug auf den Regelbegriff in sich, die Klaus Puhl wie folgt expliziert:

„1. Für das Lernen, Verstehen, Meinen und Befolgen einer Regel ist die Benutzung eines Ausdrucks oder einer mentalen Repräsentation der Regel notwendig und hinreichend.
2. Die Regel, nach der jemand handelt, muß von vorneherein feststehen.
3. Alle Aspekte eines regelfolgenden Verhaltens müssen durch die Regel (d.h. nach 1. durch ihren Ausdruck) bestimmt sein.“[14]

Die allgemeine Kritik dieses Regelbegriffs wird hier nicht tiefergehend betrachtet werden.[15] Die Analogie ist eine sprachliche Handlung, die dieser Konzeption entgegengeht, weil sie gerade dadurch definiert ist, dass im Sprechen ein Regelbruch stattfindet.

2.2 Die Regeln des Sprechens sind universal und autonom

Aus den gerade aufgezählten drei Implikationen eines Kalkül-Begriffs vom Sprechen lässt sich auf unseren Hauptkritikpunkt, auf die Autonomie des Regelsystems, seine Unabhängigkeit von der Regelbefolgung, schließen. So die Regel von vorneherein, a priori feststeht und laut Punkt 3 das Handeln vollständig bestimmt, bleibt kein Spielraum im Handeln, um über die Regel hinauszugehen und sie dadurch zu erweitern.

Zwar ist nach Krämer eine Leistung der Zwei-Welten-Ontologie darin zu sehen, dass sie dem „repräsentationalen Sprachkonzept die Nachfolge [aufkündigt], insofern Form, Ordnung, System und Regel durch Sprache nicht bloß zur Darstellung kommen, sondern jetzt in der Sprache selbst lokalisiert werden und durch sie auch alleine begründbar sind. Die Sprache wird zur Springquelle von Form, Systematizität und Regel, und das macht sie autonom; die Sprache stellt Strukturen nicht dar, sondern wird selbst strukturgebende Instanz.“[16]

Autonom wird die Sprache aber nicht nur gegenüber der Welt konzipiert, sondern auch gegenüber ihrer Anwendung, dem jeweiligen Sprechakt. Die Sprache, als Regelsystem oder interne Grammatik stellt damit eine autonome, independente Kompetenz dar, das jedesmalige Sprechen kann nicht auf sie rückwirken, d.h. das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kompetenz und Performanz ist als ein einseitiges bestimmt. Die Realisierung des Regelsystems im jedesmaligen Sprechen ist wesentlich durch das zugrundeliegende Regelsystem bestimmt und eine Rückwirkung von der Performanz auf das Regelsystem ist jedoch nicht vorgesehen. In diesem Sinne haben wir es also auf der Seite der Kompetenz mit einem universal-geltenden Regelsystem, einem Kalkül zu tun, welches als reine Sprache die wesentliche Struktur der je konkret realisierten Sprechakte determiniert, ohne in seiner Beschaffenheit durch diese Sprechhandlungen in irgendeiner Weise affiziert zu werden. Zwar kann die Realisierung unter Umständen in einem gewissen Rahmen variieren, die Variationsbreite ist aber endlich.[17]

Die Regeln der Sprache werden im Zwei-Welten-Modell als sprachliche Universalien angesehen, die allgemein und umfassend das konstituieren, was als ‚Sprache’ bezeichnet werden darf:

Es gibt grammatische resp. pragmatische Universalien, an denen alles teilhat, was überhaupt ‚Sprache’ bzw. ‚Rede’ genannt zu werden verdient. Als Sprechen bzw. Kommunizieren zählt nur, was diese universellen Eigenschaften exemplifiziert. Das, was am Sprechen hinausgeht über den Sachverhalt, Manifestation eines universalen Typus zu sein, ist sprachfremden Bedingungen geschuldet und stellt – gemessen am Maßstab der reinen Sprache und Kommunikation – das Außer-Sprachliche dar. Der privilegierte Gegenstand von Sprachwissenschaft und Sprachphilosophie sind die syntaktischen, semantischen und pragmatischen Universalien.“[18]

Die Zwei-Welten-Ontologie impliziert also die Annahme einer Universalität der Sprachregeln auf der Ebene der Grammatik, Semantik wie der Pragmatik, d.h. sprachtheoretische Ansätze solchen Typs rekonstruieren das kommunikative Knowing-how als ein Knowing-that, das als „ein Wissen um die universalen Bedingungen von Kommunikation“[19] dem Sprechen zugrunde liege. Somit handele es sich beim Sprechen um die Anwendung der „universalen Sprachmuster“[20].

Im Rahmen eines solchen Sprachbildes ist nun „das Sprechen gegenüber der reinen Sprache prinzipiell etwas unvollständiges, mangelhaftes, defizitäres, verzerrtes [sic]: weniger Form denn Deformation.“[21] Entsprechend verfolgen Vertreter dieser Sichtweise in ihrer Bestimmung der Sprache eine „Purifizierungsstrategie“[22], mittels der alles, was im konkreten Sprachgebrauch nicht als Realisierung von universalen Sprachtypen kategorisiert werden kann, einfach zu einem „Epiphänomen“[23] degradiert wird und somit nicht zur Sprache gehört, von dem bei einer Darstellung der Sprache mithin abstrahiert werden könne. Ludwig Jäger nennt diese Strategie das „ Idealisierungs -Konzept der Sprache“[24], das den Ausgangspunkt der „ kognitivistischen Modellierung des Sprachbegriffs “ bilde. Auch Krämer spricht von einer „Strategie der Idealisierung“[25], welche die Vertreter des Zwei-Welten-Bildes verfolgen, um das Postulat einer kognitiven, universalen Regelkompetenz systematisch fassen zu können.

Im Folgenden wird mit der Betrachtung der Sprachtheorie Saussures und Wittgensteins die Einseitigkeit eines solchen Sprachbildes herausgestellt werden.

3 Saussure

Vor dem skizzierten Hintergrund des Zwei-Welten-Bildes der Sprache[26] werde ich mich jetzt bei meinen Reflexionen zu den beiden Autoren Saussure und Wittgenstein einer Betrachtung der Sprache zuwenden, welche die Regelanwendung, die Performanz als wesentlichen Bestandteil der Sprache berücksichtigt und sie gar als den Ursprung sprachlicher Regeln ausweist, ihr also eine sprachkonstitutive Funktion zuschreibt. Dabei werde ich besonders einen zentralen Begriff einer solchen Sprachauffassung – den der Analogie – einer genaueren Untersuchung unterziehen.

3.1 Grundlegende Einsichten

Zum Verständnis des Analogie-Begriffs bei Saussure sind zunächst dessen grundlegenden Einsichten über Sprache zu erläutern, welche der „Definitionsarbeit“[27], also der Sprachtheorie, sowie einer daraus folgenden Wissenschaftstheorie und Methodologie einer jeden Sprachwissenschaft zugrundeliegen sollten. Diese legt er in seinen – notes genannten – fragmenthaften Notizen dar, die meist nicht in der gewohnten linear-stringenten, kohärenten Weise wissenschaftlicher oder philosophischer Texte einen Gedanken entfalten, sondern oft aphoristisch und somit häufig die Richtung des Gedankengangs wechselnd das weite Gebiet der Sprache durchwandern.[28]

Ich werde mich hier zunächst auf die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre des 19. Jahrhunderts entstandenen notes beziehen[29]. Bei diesen metatheoretischen, d.h. einer jeden wissenschaftlichen Betrachtung vorgängigen Erörterungen bestimmt Saussure die Gesetze der Sprache, welche eine jede Linguistik berücksichtigen muss. Somit bleiben diese Gesetze „für alle späteren Entwürfe Saussures bestimmend“[30] und dienen der Gegenstandsbestimmung der Sprachwissenschaft, die ja Saussures erklärtes Ziel ist, als Fundament.

Darauf basierend werde ich Saussures Ansätze zu einer Semiologie in den Notes Item darstellen, die ein begriffliches Instrumentarium zur abschließenden Beleuchtung seines Analogie-Begriffs liefern.

3.1.1 Die kontinuierliche Transformation der Sprache in der Zeit und im Raum

Der Aufhänger der Genfer Antrittsvorlesung Saussures von 1891 ist die Frage, ob die Sprachwissenschaft ihren Platz unter den Naturwissenschaften oder unter den Geisteswissenschaften hat. Saussures Antwort ist denkbar einfach: Er erklärt diese Debatte für abgeschlossen[31] und behauptet, man habe mittlerweile „die wahre Natur der Tatsachen der Sprache“ „besser begriffen“ und somit sei es „einsichtiger geworden, daß die Wissenschaft der Sprache [‚langage’] eine historische und nichts als eine historische Wissenschaft“[32] sei.

Es ist dieser historische Charakter der Sprache, der die Zugehörigkeit der Sprachwissenschaft zu den Geisteswissenschaften bestimmt, den Saussure einer genaueren Analyse unterzieht. Dabei macht er zwei „Hauptpunkte“[33], „Merkmale“ oder „Gesetze“[34] aus, welche das Sein der Sprache in der historischen Dimension bestimmen und den Linguisten „für das Studium einzelner Tatsachen auf einem ganz bestimmten Terrain [ansiedeln]“[35]. Es handelt sich also um elementare, vorwissenschaftliche Prinzipien der Sprache mit „universeller Gültigkeit“[36], die jegliche wissenschaftliche Betrachtung der Sprache zu berücksichtigen hat:

Erstens das „Prinzip der Kontinutät in der Zeit“[37] und im Raum[38], welches als erstes „Gesetz der Weitergabe menschlichen Redens“ besagt, dass es keinen „Bruch“[39] oder „Sprung“[40] in der Geschichte einer Sprache gibt, dass wir es vielmehr mit einer „unweigerlichen Ununterbrochenheit[41] zu tun haben, denn: „Jedes Individuum gebraucht am folgenden Tag dasselbe Idiom, das es am Vortag gesprochen hatte, und dies hat sich schon immer so abgespielt.“[42] Dieser Sachverhalt sei – negativ – durch zwei Irrtümer illustriert, welche Saussure im Zuge der Etablierung dieses ersten Prinzips – in Anlehnung an Gaston Paris[43] – entlarvt:

Den einen Irrtum bezeichne ich als Irrtum der genealogischen Abfolge verschiedener Sprachen. Er findet in solchen Formulierungen wie „ Das Französische kommt vom Latein[44] oder auch in der Rede von „Mutter-Sprachen“ und „Tochter-Sprachen“ seinen Ausdruck. Saussure hält dem entgegen:

„Das Französische kommt nicht vom Latein, sondern es ist das Latein, das Latein, das man zu einem bestimmten Datum und innerhalb bestimmter geographischer Grenzen spricht. Chanter kommt nicht von lateinisch cantare, sondern es ist das lateinische cantare.“[45]

Der andere Irrtum ist jener von der Sprache als Organismus, der geboren wird, lebt und stirbt. Saussure zitiert Hovelacque als Vertreter dieser Auffassung[46]. Saussure stellt klar, dass „in Wirklichkeit … die Sprache [‚langue’] nicht ein in der Zeit definiertes und begrenztes Wesen“ ist, dass sie weder geboren wird noch stirbt und zwar „aus einer Ursache [‚cause’], welche die innere Organisation dieser Sprache betrifft“[47]. Diese „innere Organisation“ der Sprache ist eine analogische und wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit herausgearbeitet werden. Damit verbunden ist die Annahme, dass wir es mit dem Sprachursprung nicht mit einem ursprünglichen Vertrag, einer creatio ex nihilo zu tun haben können, weil jede langue in der Aufnahme und Veränderung vorgängiger Sprachstrukturen existiert.[48]

Das zweite universelle Prinzip ist jenes der Transformation der Sprache in der Zeit und im Raum. Und hiermit bewegen wir uns auf der Domäne des analogischen (und des ihm entgegengesetzten phonetischen) Wandels. Zunächst scheint dieses Prinzip in einem offensichtlichen Widerspruch zum Gesetz der Kontinuität zu stehen. Saussure betont aber, dass „der Gesichtspunkt der Bewegung der Sprache in der Zeit “ „keinen Moment, denn hier liegt alles, dazu kommt, in Konflikt zu sein mit der Einheit der Sprache [‚langue’] in der Zeit“[49]. Vielmehr befinden sich diese beiden Prinzipien „in einer derart engen und evidenten Wechselbeziehung, daß, sobald wir versucht sind, die eine zu verkennen, wir der anderen Unrecht tun“[50]. Die Transformation ist nämlich niemals „Produktion eines neuen sprachlichen/linguistischen Wesens, das eine unterschiedene Existenz hätte, von dem, was ihm vorangeht und was ihm folgen wird“[51], sie ist niemals ‚Sprung’ oder ‚Bruch’, sondern basiert immer auf der kreativen Anwendung der bestehenden Relationen, die das System sprachlicher Zeichen zu einem bestimmten Zeitpunkt konstituieren. So ist in der Transformation ein Moment der Ununterbrochenheit, der Kontinuität enthalten. Aus diesem Grund ist diese Transformation auch eine unmerkliche, sie ist nur mittels eines Vergleichs zweier voneinander weit entfernter (Zeit-) Räume beobachtbar. Saussure hat dieses Phänomen sehr anschaulich mit der folgenden Anekdote dargestellt:

“Ein Original namens Boguslawski hat kürzlich in einer russischen Stadt die Eröffnung einer neuen Art von Ausstellung ankündigen lassen: Es waren ganz einfach 480 photographische Porträts, die alle dieselbe Person darstellen, ihn, Boguslawski, und identisch, in derselben Pose. Seit zwanzig Jahren, mit einer bewundernswerten Regelmäßigkeit, begab sich dieser Mann am Ersten und am Fünfzehnten jedes Monats zu seinem Photographen … Ich brauche Ihnen nicht zu sagen, daß wenn man in diesem Maße auf der Wand zwei Photographien nähme, die nahe beieinander liegen, man den gleichen Boguslawski hätte, daß aber, wenn man Nummer 480 und Nummer 1 nimmt, man zwei Boguslawski hat.“[52]

Christian Stetter hat dieses Moment der Transformation in Anlehnung an Dilthey und Stegmeier das Phänomen der Fluktuanz der Sprache getauft.[53] Dieses universale, das Leben jeder Sprache bestimmende Prinzip der Fluktuanz ist ein schwerwiegendes Hindernis für die Konstitution eines Gegenstands der Sprachwissenschaft. Insofern wir es mit stetig wandelnden, d.h. in der Zeit nicht identischen Phänomenen zu tun haben, wird es nahezu unmöglich, linguistische Gegenstände oder Einheiten zu definieren.

Die begrifflichen Mittel der Saussureschen Semiologie[54] werden ein Verständnis der Hintergründe dieses grundlegenden ‚Gesetzes der Weitergabe menschlichen Redens’ ermöglichen sowie uns die Begriffe für eine genaue Betrachtung des analogischen Wandels der Sprache liefern. Zunächst widme ich mich aber von einer anderen Seite dem Problem der vorwissenschaftlichen Konstitution sprachlicher Einheiten.

3.1.2 Die Sprache: eine eigentümliche Institution

Die zweite fundamentale Annahme Saussures bezieht sich in direkter Weise auf das grundlegende Problem der Konstitution des Gegenstands der Sprachwissenschaft, d.h. auf die Frage: Wie definiere ich Einheiten, Identitäten, die im Folgenden einer wissenschaftlichen Untersuchung unterzogen werden? Saussure war sich – entgegen der sprachwissenschaftlichen Tradition – bewusst, dass die Beantwortung dieser Frage die primäre Aufgabe ist, der sich die Sprachwissenschaft vor der Entwicklung einer Wissenschaftstheorie und Methodologie und vor der konkreten sprachwissenschaftlichen Forschung zu widmen habe. Im Unterschied zum junggrammatischen Paradigma der sprachwissenschaftlichen Forschung und dem vorherrschenden wissenschaftstheoretischen Konventionalismus[55] war es dieser „erkenntniskritische Grundzug“[56], der das Saussuresche Denken Zeit seines Lebens prägte.

Die Notwendigkeit einer vorgängigen Bestimmung des Gegenstands der Sprachwissenschaft drängte sich Saussure deswegen auf, weil er erkannte, dass eine Übernahme von Forschungsprinzipien aus den Naturwissenschaften nicht in Frage kommt und zwar aus dem Grund, dass sich der Gegenstand Sprache von den Gegenständen der Naturwissenschaften wie auch anderer Geistes- und Sozialwissenschaften wesentlich unterscheidet. Diese Auffassung richtet sich gegen die junggrammatische Schule, die der Meinung war, dass die Sprachlaute unmittelbar sinnlich gegeben seien und somit einer naturwissenschaftlichen Untersuchung der Laute und ihrer Entwicklung nichts im Wege stand. Der Gegenstand Sprache ist aber ein besonderer, und zwar weil er sich eben nicht auf Naturphänomene zurückführen lässt.

Wiederholt taucht dieser Gedanke zum Beispiel in Saussures Entwurf zu einem Artikel über den US-amerikanischen Sprachforscher William Dwight Whitney (1827-1894) auf[57]. Ausgehend von seiner Suche nach einer Rechtfertigung für die Rede von der Identität eines Zeichens, also für eine Etablierung des Zeichens als einer Entität, als eines identischen Gegenstands kommt Saussure immer wieder auf diesen besonderen Charakter der Sprache zurück: Im Anschluss an Whitney nennt er die langage eine „menschliche Institution“[58], was sie für die naturwissenschaftliche Betrachtung disqualifiziert. Außerdem sei diese Institution Sprache „ ohne Analogie[59] zu anderen Institutionen und unterscheide sich somit auch von anderen Gegenständen der Geistes- und Sozialwissenschaften. So ist die Sprache „eine menschliche Institution, aber von solcher Natur, daß alle andern menschlichen Institutionen … uns nur täuschen können über ihre wahre Natur, wenn wir ihrer Analogie trauen.“[60]

Auf welcher Eigenschaft beruht dieser außerordentliche Charakter der Sprache? Saussure begründet den Sonderstatus der Institution des sprachlichen Zeichens dadurch, dass die Verbindung von sprachlichen Zeichenformen und einer Vorstellung[61] nicht „auf natürliche Bezüge … , auf eine Übereinstimmung zwischen den Dingen als finales Prinzip“[62] gegründet sei, sondern auf „die Unvernunft selbst“[63]: Sprachliche Zeichen sind unabhängig von dem durch sie Bezeichneten, es gibt keine feste Beziehung zwischen signifiant und signifié[64]. Außerdem sind sowohl signifiant als auch signifié in keinster Weise durch irgendein Prinzip fixiert oder gar vorherbestimmt, denn: Zum einen ist der sprachliche Signifikant nicht selbstbedeutsam zum anderen gibt es auch keine transzendentalen Signifikate, keine außersprachliche Bedeutung.[65]

Im Vergleich zu anderen menschlichen Institutionen – Saussure nennt z.B. die Mode, das Recht oder das Geld – lässt sich diese Besonderheit so darstellen:

Wir bedienen uns der Zeichen, dieser ‚besonderen Vereinigung’[66] von signifiant und signifié, zum Zwecke der Verständigung. Letztlich gibt es aber – aufgrund der fehlenden Selbstbedeutsamkeit des Signifikanten – keine Notwendigkeit zum Zwecke der Bezeichnung eines bestimmten Begriffs, wie z.B. dem Begriff ‚Kuh’ ein bestimmtes Zeichen zu verwenden:

„Die Institution irgendeines Zeichens, zum Beispiel σ oder s oder von cow oder vacca, um die Vorstellung von Kuh [‚vache’] zu bezeichnen, ist auf die Unvernunft selbst gegründet; das heißt, daß es keine in der Natur der Dinge und in ihrer Übereinstimmung [‚convenance’] begründete Vernunft/Ursache [‚raison’] gibt, die in irgendeinem Moment eingreifen würde“.[67]

Dieser Einsicht kann jede Person folgen. Dazu muss sie sich allein die Existenz verschiedener Sprachen vergegenwärtigen. Eine Institution wie die Mode hingegen muss sich immer nach der natürlichen, physischen Beschaffenheit des menschlichen Körpers richten[68], so dass wir für eine wissenschaftliche Betrachtung solcher Institutionen eine feste Grundlage, ein „finales“ oder ‚erstes’ Prinzip[69], haben, auf der wir unsere Untersuchungen aufbauen können.

Wie schon erwähnt ist Saussure in seiner note über Whitney noch sehr einer repräsentationstheoretischen Terminologie verhaftet, obwohl er dabei ist, dieses zeichentheoretische Paradigma zu sprengen. Gemäß einer mentalistischen repräsentationalen Theorie der Sprache[70] ließe sich – in Ermangelung eines ‚vernünftigen’ signifiants als ‚natürlicher’ Grundlage einer Sprachwissenschaft –, das Signifikat, d.h. die ‚Vorstellung’, seinerseits als signifiant denken, welcher wiederum die Gegenstände repräsentiert, die letztenendes als fester ontologischer Grund für eine Sprachwissenschaft bzw. zumindest für eine Semantik dienen könnten. Diesen Weg geht Saussure aber nicht, er folgert vielmehr aus den bisherigen Überlegungen das „gänzlich letzte Gesetz der Sprache“[71]. Es besagt, „daß es nichts gibt, was dauernd in einem Term residieren kann (dies als direkte Folge des Umstands, daß die sprachlichen/linguistischen Symbole keine feste Beziehung zu dem haben, was sie bezeichnen sollen)“[72]. Das heißt, weil die Verbindung von signifiant und signifié eine irrationale ist, eine ‚radikal arbiträre’[73], gibt es demgemäß keinen fixen Bezugspunkt, oder – mit Saussures Worten – kein „finales Prinzip“, welcher das Kriterium für Identität eines Zeichens ist.[74] Vielmehr haben wir zuallererst nur verschiedene Gesichtspunkte und „sonst [ ] … ist es schlicht unmöglich, eine sprachliche Tatsache zu erfassen“[75]. In den „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft“ heißt es:

„Anderswo gibt es Dinge, gegebene Gegenstände, bei denen es einem freisteht, sie hinterher unter verschiedenen Gesichtspunkten zu betrachten. Hier gibt es zunächst Gesichtspunkte, richtige oder falsche [Hervorhebung von mir, A.P.], aber einzig Gesichtspunkte, mit Hilfe deren man sekundär Dinge SCHAFFT. Diesen Schöpfungen entsprechen Realitäten, wenn der Ausgangspunkt richtig ist, oder sie entsprechen ihnen nicht im gegenteiligen Fall: Aber in beiden Fällen ist kein Ding, kein Gegenstand auch nur einen Moment in sich selbst gegeben. Auch dann nicht, wenn es um die allermateriellste Tatsache geht, die am offensichtlichsten in sich selbst definiert zu sein scheint wie zum Beispiel eine Folge von stimmlichen Lauten.“[76]

Was ist nun der ‚richtige Gesichtspunkt’, von dem ausgehend man linguistische ‚Realitäten’ erschafft? Was ergibt sich unter diesen Bedingungen für die anfänglich gestellte Frage nach der Bestimmung von identischen Gegenständen, von Entitäten, die man einer sprachwissenschaftlichen Untersuchung zuführen kann? Anhand welchen Kriteriums bestimmen wir sprachliche bzw. linguistische Einheiten, wenn sowohl signifiant als auch signifié nicht als naturgegebene, unveränderbare Basis fungieren können? Saussures Antwort findet sich in seiner note über Morphologie unter der deutlichen Überschrift „Großes Prinzip“:

„Was in einem gegebenen Sprachzustand real ist, das ist das, dessen sich die sprechenden Subjekte bewußt sind, es ist alles das, dessen sie sich bewußt sind, und nichts als das, dessen sie sich bewußt sein können.“[77]

Weder von der Seite des signifiant noch von der Seite des signifiés aus kann Sprache also als auf Naturphänomenen basierend begriffen werden „weil in jedem Augenblick ihrer [der ‚langue’, A.P.] Existenz sprachlich nur das EXISTIERT, was vom Bewußtsein wahrgenommen wird, d.h. was Zeichen ist oder wird.“[78] Die Existenz der sprachlichen Einheiten ist eine psychologische. Linguistische Entitäten lassen sich somit nur mit Rekurs auf das Bewusstsein der Sprachbenutzer bestimmen, d.h. nur mit Rekurs auf das Zeichen als Synthese aus Laut und Bedeutung.

Denn: „Die Sprache [‚langue’] ist sich des Lautes nur als Zeichen bewußt“[79]. Es ist also ein wesentlicher Gedanke Saussures, dass die Sprachbenutzer sich nur des Zeichen als Ganzem bewusst sind, sie Bewusstsein nur von ‚Sinn-Formen’[80], vom Zeichenganzen haben. Saussure spricht auch von einer „Unklarheit und Vergeblichkeit der Vorstellung eines Gegensatzes zwischen Laut und Vorstellung, der Form und dem Sinn, dem Zeichen und der Bedeutung.“[81] Dementsprechend schließt er auf die Unmöglichkeit einer reinen Untersuchung der Sprach formen und konstatiert: „Der wahre Name der Morphologie wäre: Theorie der Zeichen – und nicht der Formen.“[82]

Christian Stetter spricht in diesem Zusammenhang vom „logisch-hermeneutischen Gesichtspunkt“ den Saussure zur Geltung bringe, der besagt, „daß ein fait linguistique nur existiere, sofern es als Zeichen von einem Sprecherbewußtsein artikuliert und verstanden wird, als Tatsache also, daß der Ausdruck x das und das bedeutet.“[83] Aus diesem Grund bezeichnet Stetter die Existenzweise der Sprache auch als eine noumenale, d.h. im Gegensatz zu einer realistischen Seinsweise existiert Sprache nur im Verstand der sprechenden und verstehenden Subjekte, ist „durch und durch idealer Natur“.[84]

Ich habe somit zwei grundlegende Erkenntnisse Saussures dargestellt – die kontinuierliche Transformation der Sprache in der Zeit und den noumenalen Charakter des sprachlichen Zeichens – und damit den Horizont für alle weiteren Überlegungen Saussures aufgespannt. Allerdings handelt es sich –wie oben schon angedeutet – um denkbar ungünstige Ausgangsbedingungen für eine Grundlegung der Linguistik: Eine Bestimmung diskreter, zeitlich abgegrenzter Entitäten ist durch die kontinuierliche Transformation der Sprache einerseits wie durch ihren noumenalen Charakter großen Schwierigkeiten ausgesetzt.

Am Ende seiner note über Whitney zieht Saussure aus dieser Problemlage Schlussfolgerungen, welche den Ausgangspunkt für seine weiteren Überlegungen zur metatheoretischen Grundlegung der Sprachwissenschaft darstellen:

1.) „Sprache [‚langage’] ist nichts mehr als ein besonderer Fall der Theorie der Zeichen“, d.h. der Semiologie.
2.) Ein Zeichen ist „von seiner Natur her bestimmt …, übermittelt/weitergegeben [‚transmis’] zu werden “, d.h. es ist allein aufgrund seiner Transmission existent.[85]

In den folgenden beiden Teilen der Arbeit werde ich Saussures Auseinandersetzung mit diesen beiden Schlussfolgerungen und die Ergebnisse seiner Überlegungen behandeln. In 3.1 wird Saussures Semiologie – wie er sie in den Notes Item entwirft – dargestellt, im darauffolgenden Abschnitt werde ich mich schließlich mit dem Phänomen der Analogie befassen, wobei der transmissive Charakter der Sprachzeichen ebenso wie das Verhältnis von langue und parole konkretisiert werden.[86]

3.2 Saussures Semiologie

Die folgenden Darstellungen der Saussureschen Semiologie werden vornehmlich aus den Notes Item gespeist, welche das „semiologische Hauptstück“[87] der Notizen Saussures darstellen. In ihnen entwirft Saussure, aufbauend auf seinen grundlegenden Einsichten zur Sprache, „das Projekt einer Semiologie als Begründungsbasis linguistischer Kategorien“[88], um die entstandene Problematik des Gegenstands der Linguistik in den Griff zu bekommen.

3.2.1 Das Prinzip der Differenz:Sème = Parasème

Saussure verortet – mit den Worten Chrisitan Stetter – den „systematischen Grund“[89] der ungünstigen Ausgangsstellung für eine Grundlegung der Linguistik „in einem Begriff des sprachlichen Zeichens, welcher einem isolierten Ausdruck eine ebenso isolierte Bedeutung zuordnet.“[90] Bei diesem „semiotischen Mythos der Repräsentation“[91] handelt es sich um die einschlägige Zeichentheorie der philosophischen Tradition, die von einer sprachvorgängigen Existenz von Lautformen sowie Bedeutungen als „transzendentales Signifikat“[92] ausgeht– welches in der Regel die Vorstellungen, die Gedanken sind, die auf die Welt der Gegenstände verweisen –, die in der Kommunikation einer Sprachgemeinschaft konventionell verknüpft werden, um als Mittel der nachträglichen Übertragung sprachvorgängiger Bedeutungen zu dienen.[93] Das Sprachzeichen ist hier lediglich Mittel der Nomenklatur vorher erkannter Entitäten und Sachverhalte zum Zweck des interindividuellen ‚Transports’ der Bedeutungen und trägt zur Konstitution der Erkenntnisgegenstände nichts bei.

Saussure verabschiedet sich – an sein „Großes Prinzip“ anschließend – mit seiner Semiologie vom dualen Zeichenbegriff und damit von einer instrumentalistisch-repräsentationalen Zeichenidee, welche er zu den „grundlegenden Irrtümern“[94] zählt, um diesen – wie Christian Stetter bemerkt – „durch ein Konzept differentieller Wertbestimmung zu ersetzen.“[95] Die klassische Annahme von der Sprache als einer Onymik[96], einer „Nomenklatur von Objekten“, „von vorgängig gegebenen Objekten“[97] nennt er – ähnlich wie später Wittgenstein – das Resultat einer Verallgemeinerung eines ‚falschen Beispiels’ - und zwar ‚des Plumpsten, was es in der Semiologie gibt’[98] – auf die Struktur der Sprache schlechthin.[99] Saussures Semiologie impliziert nun eine erkenntniskonstitutive Funktion der Sprache: Erst die Sprache ermöglicht die Erkenntnis unterschiedener Gegenstände und Begriffe, d.h. es gibt weder eine „dem Prozeß der Verständigung logisch (nicht zeitlich!) vorausliegende Welt bestimmter Gegenstände und Sachverhalte“[100] noch einen „dem Prozeß der Verständigung logisch vorausliegenden, gleichsam transzendenten Bedeutungsgrund bestimmter Begriffe oder Denkinhalte, den es in der Verständigung lediglich noch zu repräsentieren gälte.“[101]

Begriffe und Denkinhalte werden – wie die Lautformen auf der anderen Seite – erst mit ihrer Vereinigung im Zeichen als differente, identische Formen und Begriffe gebildet: „[I]n Wirklichkeit ist in der Sprache [langue] weder der Begriff noch die Form bestimmt; es gibt keine andere Bestimmung als die des Begriffs durch die Form und die der Form durch den Begriff“.[102] Paradoxerweise schafft also eine synthetische Einheit des Zeichens, die dem Sprecher nur als Ganzes verständlich ist, die er nur als Ganzes gebraucht, die Möglichkeit der – nachträglichen – Unterscheidung von Laut und Begriff, welche allerdings die Zerstörung des Zeichens voraussetzt. Ich rekurriere hier auf eine Formulierung im Cours[103], die Saussures Auffassung sehr passend wiedergibt:

„Es ist nicht die charakteristische Rolle der Sprache gegenüber dem Denken, ein lautliches materielles Mittel für den Ausdruck der Gedanken zu schaffen, sondern als Vermittlerin zwischen dem Denken und dem Laut zu dienen, dergestalt, dass deren Vereinigung notwendig zu wechselseitigen Abgrenzungen von Einheiten führt. Das Denken, von seiner Natur her chaotisch, wird gezwungen, sich in seiner Zergliederung zu präzisieren. Es gibt also weder eine Materialisation von Gedanken noch eine Vergeistigung von Lauten, sondern es handelt sich um diese auf irgendeine Weise mysteriöse Tatsache, dass der ‚Gedanken-Laut’ Gliederungen mit sich bringt und dass die Sprache diese Einheiten bildet, indem sie sich zwischen zwei amorphen Massen konstituiert.“[104]

Was Saussure im Cours den ‚Gedanken-Laut’ nennt, bezeichnet er in den Notes Item als sème. An das ‚Große Prinzip’ anschließend, dass den Sprechern ein Zeichen nur als Ganzes, als bedeutsames Lautbild, bewusst ist[105], geht er von der synthetischen Einheit des Zeichens, einer „Vereinigung von besonderer Art“[106] aus, welche er sème tauft:

„Item. Unter anderem beseitigt oder möchte das Wort sème beseitigen jede Vorherrschaft und jede anfängliche Trennung zwischen der stimmlichen Seite und der ideologischen Seite des Zeichens. Es stellt das Ganze des Zeichens dar, das heißt Zeichen und Bedeutung in einer Art Persönlichkeit vereint.“[107]

Allerdings, betont Saussure, „wäre es falsch zu sagen, daß wir aus sème statt Zeichen eine sehr wesentliche Frage machen. – Die Wahrheit ist, daß parasème und aposème wesentliche Begriffe sind.“[108] Was hat es nun mit diesem Begriff des parasème auf sich?

Der Begriff des parasème folgt aus Saussures Kritik an den klassischen Repräsentationstheorien, gegen die er nämlich das ‚Prinzip der Differenz’ formuliert. Saussure redet schon in der Whitney-Note von sprachlichen Zeichen als Termen, die „ihren Wert allein in ihrer gegenseitigen Differenz “ haben und keiner habe „nicht einmal in einem seiner Teilchen (…), seine Bedeutung anderswo als in diesem Geflecht [‚plexus’] ewig negativer Differenzen.“[109] Und weiter:

„Es ist von absoluter, sogar apriorischer Evidenz, daß es niemals ein einzelnes/einziges Sprachfragment [‚fragment de langue’] geben wird, das auf etwas anderes gegründet sein kann, im Sinne eines letzten Prinzips, als auf sein Nichtzusammenfallen oder auf den Grad seines Nichtzusammenfallens mit dem Rest“.[110]

Das parasème ist nun das sème in der Perspektive des Geflechts negativer Differenzen, welches die langue ist. Es ist ein durch sein ‚Nichtzusammenfallen’ mit anderen parasèmes bestimmtes Zeichen, ein Wert, der durch die Opposition zu anderen Werten, also durch Negativität bestimmt ist:[111]

„Item. Die parasèmes

Für irgendein Wort, das Teil der Sprache [‚langue’] ist, ist ein zweites Wort, das mit dem ersten keinerlei ‚Verwandtschaft’ hat, ein parasème. Die einzige und einfache Eigenschaft des parasème ist es, zu einem selben psychologischen Zeichensystem zu gehören“[112].

Der Term ‚ parasème ’ steht also für das Zeichen als Element eines Zeichensystems. Außerdem macht Saussure hier deutlich, dass es sich bei den parasèmes um Wörter handelt und nicht um Sätze oder gar kleinere Einheiten als Wörter.[113] In den N otes Item lesen wir auch:

Item. Während es eine Analyse braucht, um die Elemente des Worts festzulegen, resultiert das Wort nicht aus der Analyse des Satzes. Denn der Satz existiert nur in der Rede [‚parole’], in der diskursiven Sprache [‚langue discursive’], während das Wort eine Einheit ist, die außerhalb jedes Diskurses im mentalen Schatz lebt.“[114]

Letztendlich handelt es sich also bei dem ‚Großen Prinzip’ und dem Differenzprinzip um zwei Seiten derselben Medaille. So schreibt Saussure: „Das sème existiert nicht nur durch Phonismus und Bedeutung, sondern auch durch seinen Zusammenhang mit anderen sèmes.“[115] Und an anderer Stelle wird die wesentliche Verbindung der beiden Prinzipien noch deutlicher, wenn Saussure schreibt: Die sprachlichen Identitäten zu einem bestimmten Zeitpunkt „sind durch das Verhältnis von Bedeutung und Zeichen oder durch das Verhältnis der Zeichen untereinander festgelegt, was keinen Unterschied macht.“[116] Folglich setzt Saussure also sème mit parasème gleich, d.h jedes Zeichen als synthetische Einheit von signifiant und signifié, jedes sème, existiert als solches nur als Teil eines Systems, d.h. in Differenz zu anderen Zeichen. Es konstituiert sich als negative Größe in Opposition zu den anderen sème desselben Systems.

Wenn das sème qua parasème Bedeutung nur als Teil eines Systems hat, in Differenz zu den anderen Zeichen, drängt sich hier die Frage auf, wie wir uns dieses System vorzustellen haben. Handelt es sich dabei um die langue des klassischen Strukturalismus, der sich ja auf Saussure als seinen Gründer beruft, also um ein fixes System von Zeichen, das allen Sprechern einer Sprache gemein ist und deren Sprechhandlungen, die jeweilige parole, determiniert?[117] Ich betrachte hier ja Saussure als Kritiker der Zwei-Welten-Ontologie. Dementsprechend handelt es sich bei der langue nicht um eine einseitig deterministische, hierarchische Auffassung von Sprachsystem und Sprachgebrauch.

Entgegen einer solchen „unilateral-deterministische[n] Interpretation“[118] des Verhältnisses von langue und parole haben wir es vielmehr mit einem „Wechselspiel“ dieser beiden Aspekte von Sprache zu tun, mit einer Interdependenz von Parasemie und Diskurs. Dabei ist festzuhalten, dass wir es bei den parasèmes mit Einheiten der individuellen Ebene zu tun haben, denn sie sind Teil eines „psychologischen Zeichensystem[s]“[119], eben der individuellen langue. Das Zeichen als parasème existiert nur im Subjekt, in der individuellen Psyche. Dem gegenüber befindet sich die soziale, überindividuelle langue, die langue als soziale Tatsache.[120] In ihrer sozialen Dimension ist die langue nun eben die Institution Sprache, das konventionelle System sprachlicher Gewohnheiten einer Sprachgemeinschaft, welches intersubjektiv zugänglich ist.[121]. Sie lässt sich als mehr oder weniger große Übereinstimmung der individuellen Parasemien verstehen, als die Tatsache, dass der Gebrauch der sèmes mit einer gewissen Regelmäßigkeit, eben mit Kontinuität verbunden ist.

Die langue qua Parasemie ist aber nicht ein für jeden Sprecher einer Sprache identisches Zeichengeflecht, ein fixes System, sie unterliegt vielmehr dem Phänomen der kontinuierlichen Transformation, und ist nicht einmal an aufeinanderfolgenden Zeitpunkten für den jeweiligen Sprecher identisch.[122] Saussure hält das Zeichen also für eine mentale Entität, aber eine solche – wie ich im folgenden Abschnitt herausarbeiten werde –, „deren Genese fortwährend von den Bedingungen seiner interaktiven Prozessierung im Diskurs abhängen.“[123] Das heißt, konstitutiv für die Existenz des sème als parasème ist der interindividuelle Disurs, die parole.

Diese beiden grundlegenden Annahmen Saussures sollen noch näher beleuchtet werden. Zu diesem Zweck muss zunächst der Begriff des aposème eingeführt und sodann die Funktion des Diskurses, des intersubjektiven Gebrauchs für die Zeichenkonstitution behandelt werden.

Ich habe also die individuelle, psychische Existenz des Zeichens qua parasème verdeutlicht. Saussure schreibt dazu: „Es gibt einen ersten – psychischen, inneren – Bereich, in dem das Zeichen ebenso wie die Bedeutung existieren, das eine untrennbar mit dem anderen verbunden“. Allerdings, unmittelbar daran anschließend heißt es: „es gibt einen zweiten, äußeren [Bereich, A.P.], wo nur noch das ‚Zeichen’ existiert, aber dann verdient das Zeichen, das auf eine Abfolge von Schallwellen reduziert ist, für uns nur noch die Bezeichnung lautliche Figur.“[124]

Bei dieser ‚lautlichen Figur’, die im äußeren – im wahrsten Sinne des Wortes – interindividuellen Bereich existiert, handelt es sich um das Aposème, dem wir uns im folgenden Abschnitt widmen werden.

3.2.2 Das Aposème

Wir haben uns bisher mit dem Teil der Saussureschen Semiologie befasst, der sich auf seine Ablehnung einer repräsentationalen Zeichentheorie und auf das „Große Prinzip“ gründet und wurden so zum Prinzip der Differenz und dem Begriff des sème/parasème geführt. Nun gilt es, die grundlegende Einsicht Saussures in den Fluktuanzcharakter der Sprache zu berücksichtigen[125], der Sprache als ‚werdende Substanz’[126] bestimmt. Wir müssen das ‚soziohistorische Phänomen’, die ‚unaufhörliche soziale Wirkung’, die den „Wirbel der Zeichen in der vertikalen Kolonne“ verursacht in Augenschein nehmen, um nicht irrtümlich die langue für ein fixes System zu halten.[127] Der Begriff des aposème spielt eine wichtige Rolle bei dieser Betrachtung. Ich werde hier kurz seine wichtigsten Charakteristika erläutern und im folgenden Abschnitt die sprachkonstitutive Rolle des Diskurses, des Gebrauchs und damit des aposème als einer diskursiven, sozialen Größe betrachten.

Während es sich beim parasème um das sème, das Zeichenganze, als Teil eines individuellen psychischen Zeichensystems handelt, also um eine psychische ‚Entität’, bezieht sich der Begriff aposème auf die real erscheinende Zeichen gestalt, im Falle der oralen Sprache also auf die lautliche Erscheinung des Zeichens. Bei dem Ausdruck ‚ aposème ’ handelt es sich somit gleichsam um einen medientheoretischen, weil er sich auf die „Hülle des Zeichens“[128] in ihrer medialen Erscheinungswirklichkeit bezieht. Saussure entwickelt den Begriff gegen den des signifiant, welcher ja noch einer repräsentationalen Zeichenidee verhaftet ist. Entgegen der Annahme einer je autonomen Existenz der beiden Seiten des Zeichens signifiant und signifié, liegt dem Begriff des Aposème keine Zerstörung des Zeichens zugrunde, denn es ist die Hülle des synthetischen Zeichens und „nicht die Hülle einer Bedeutung.“[129] Es ist ein „von einem Zeichen abgeleitetes und abstrahiertes Ding oder ein Ding, das seiner Bedeutung oder von Bedeutung entledigt ist“[130], das also nicht selbstbedeutsam ist. Im Gegensatz zur klassischen Opposition ‚Laut’ gegen ‚Bedeutung’ setzt Saussure also sème und aposème in Opposition und unterscheidet damit den ‚materiellen Laut’ gegen „ die Gruppe Laut-Vorstellung[131] oder „ lautliche Figur “ gegen die „ Sinn-Form[132] oder den ‚Gedanken-Laut’[133]. Ludwig Jäger redet in diesem Zusammenhang von „zwei Aggregatzuständen“ der Lautseite des Zeichens, zum einen als Element des psychischen sème und zum anderen als physische Erscheinung, als a posème.[134]

Der Witz des Aposème ist nun, dass es als materielle Erscheinung die Bedingung der Möglichkeit interindividueller, sozialer Kommunikation ist, welche wiederum der Ort der Konstitution der Zeichen qua parasème im Individuum ist. Damit verkörpert es die grundlegende Bedeutung der Sozialität, des Diskurses, der interindividuellen parole für die Existenz der langue. Während also das sème qua parasème eine individuelle psychologische Größe ist kann man – so Saussure – „im Diskursiven von aposèmes (von lautlichen Figuren [‚figure vocales’]) reden“[135], wobei zu berücksichtigen ist, dass eine wechselseitige Abhängigkeit zwischen beiden Seiten besteht: Das parasème konstituiert sich im interindividuellen Gebrauch der aposème, die wiederum ‚Zeichenhüllen’ nur vor dem Hintergrund je individueller Parasemien sind. Ohne diesen parasemischen Hintergrund, den individuellen „trésor de la langue“ der Kommunizierenden wären sie allein Geräusch und Kommunikation käme nicht zustande.[136] Aposèmes sind die in der parole, im diskursiven Vollzug erscheinenden präsenten Lautgestalten, während die parasèmes gegen die das verwendete aposème mit seiner Integration in eine Parasemie – sozusagen mit seiner ‚Parasemierung’ – seine Bedeutung gewinnt, in Opposition zu denen es semantisiert wird, virtuell in einer depräsenten, absenten Struktur existieren, weil sie gerade nicht verwendet werden.[137]

Den sprachkonstitutiven Charakter des Diskurses, der parole, des sozialen Aspekts der Sprache gilt es im nächsten Abschnitt genauer zu beleuchten.

3.2.3 Der notwendig soziale Charakter der Sprache

Im Gegensatz zu einer zwei-Welten-ontologischen Konzeption der Sprache, welche die langue als „die notwendige Bedingung für die Sprache [langage] darstellt“, und somit diese als die „Anwendung“[138] jener sieht, behauptet Saussure, man sehe „daß eine durchgängige notwendige Reziprozität besteht und daß die Sprache [langue] im Akt des Sprechens [act de langage] gleichzeitig ihre Anwendung sowie ihre einzige und stete Quelle findet [] daß die Sprache [langage] gleichzeitig Anwendung und ständige Hervorbringung der Sprache [langue] ist, nicht nur die Reproduktion und die Produktion“[139].

Der Akt des Sprechens, mit anderen Worten der Diskurs oder die parole[140] ist – Saussure macht das hier ganz deutlich – nicht nur Anwendung, sondern „stete Quelle“, Ort der „Hervorbringung“ und der „Produktion“ der Sprache, d.h. sowohl der individuellen Parasemien als auch der überindividuellen langue.

Das aposème spielt bei dieser immerwährend im Diskurs stattfindenden Erschaffung der langue eine grundlegende Rolle, weil es als lautliche Erscheinung den materialen Mittler zwischen den Individuen spielt. Es bietet als bedeutungsloser, nicht semantisierter Laut den kommunizierenden Individuen materiale „Anlässe für mögliche Semantisierungen, d.h. kommunikative Deutungsangebote“[141]. Ihm wird – durch die Intention des Sprechenden oder im Verstehen des Hörenden – erst in der Integration in einen subjektiven parasemischen Sinnzusammenhang Bedeutung gegeben. Jäger schreibt dazu:

„[K]onstitutiv für das Zustandekommen von Verständigung ist … das Aposème insofern, als es die, sowohl vom Verständigungssubjekt gedeutete, als auch vom Verständigungspartner zu deutende, in sich bedeutungslose ‚Hülle des Sème’ darstellt, wobei die Rede vom ‚in sich bedeutungslosen’ Aposème herausstellen soll, daß Bedeutung nichts ist was in irgend einer ominösen Weise der physikalisch erscheinenden (‚ertönenden’) Lautgestalt anhaftet, sondern ein Effekt, der sich bei der Deutung von Lautgestalten im Lichte subjektiver Sinnhorizonte allererst einstellt.“[142]

Wir haben uns also den Kommunikationsvorgang wie folgt vorzustellen:

In der Intention des Sprechers wie im Verstehensvorgang des Hörers hängt sich unser Geist an „Terme, die in sich null und nichtig sind“[143], an aposèmes, und verleiht ihnen, mit dieser Integration in ein Netz, ein System von Zeichen, Bedeutung. Dabei können sich die Kommunikationspartner im übrigen niemals über den Grad des Gelingens der Kommunikation sicher sein, dieser schwankt – im Falle „transparenter“ Kommunikation – zwischen den Polen völligen Missverstehens, welches ja immer noch ein Verstehen ist – und Verstehen.[144] So die Kommunikationspartner allerdings in einer Phase sind, in der sie das Zustandekommen eines Verstehens bezweifeln und die Kommunikation selbst thematisieren, um durch „semantisches Mäandern“[145] wieder einen gemeinsamen Ausgangspunkt der weiteren Kommunikation zu finden, spricht man bei dieser Metakommunikation von einer Störungt.[146] Jede Verständigungshandlung wird so „zu einem kommunikativen Ort, an dem die Interaktionspartner in einer spezifischen Weise an der Konstitution des kommunizierten Sinns beteiligt sind“[147], indem sie den ‚in sich null und nichtigen Termen’, den aposèmes Bedeutung verleihen.

Saussure selbst hat eine solche Kommunikationstheorie nicht konkret ausgearbeitet, sondern mit seiner Semiologie den Anstoß dazu gegeben. Gleichwohl impliziert diese Semiologie die Annahme der parole, des Diskurses als Ursprungsort der langue und Saussure hat diesen Gedanken an verschiedenen Stellen eindeutig zum Ausdruck gebracht. So schreibt er:

„Welchen Gesichtspunkt man auch immer einnimmt, ein Wort existiert tatsächlich nur durch die Anerkennung [sanction], die ihm immer wieder durch diejenigen zuteil wird, die es verwenden.“[148]

Ein jedes Wort, jedes sème existiert also nur durch die Anerkennung der Sprachbenutzer, d.h. durch die wiederholte Verwendung des Zeichens.[149] Andernorts in Bezug auf das Zeichensystem, die langue, schreibt Saussure: „Implizites Element [élement tacite], das alles andere hervorbringt; daß die Sprache [langue] unter den Menschen zirkuliert, daß sie sozial ist.“[150] Das individuelle Zeichen, das sème qua parasème, wie das Zeichensystem als Ganzes sind also notwendig mit der Institution Sprache, mit dem – in Anlehnung an Wittgenstein – Gebrauch der Zeichen in Sprachspielen einer Lebensform verbunden: „Nur das Zeichensystem, das etwas Kollektives geworden ist, verdient den Namen eines Zeichensystems, ist ein Zeichensystem“[151].

Mit Christian Stetter lassen sich nun zusammenfassend zwei „Grundtatbestände“ für Saussures „Konzeption der ‚langue’“ festhalten:

S 1: Jede sprachliche Einheit (‚terme’) ist Element (‚parasème) eines Systems von Zeichen (‚langue’).

S 2: Die Etablierung einer parasemischen Relation geschieht in der parole.[152]

Die parole ist die ‚korrelative Instanz der langue ’, sie ist „der Ort der sozialen Arbeit am ‚jedesmaligen’ System“[153]. Das aposème bildet dabei gewissermaßen die Gelenkstelle von parole und Parasemie, ist Zentrum des immerwährenden Wechselspiels von langue und parole. Wie sich Saussure die stetige Genese der Sprache in der parole vorstellt und wie dabei die Freiheit der Sprachbenutzer, ihre Kreativität mittels Analogiebildungen, den Fluktuanzcharakter der Sprache ausmacht, werden wir im nächsten Unterkapitel betrachten, wo die ‚soziale Arbeit am jedesmaligen System’ in Form der analogischen Transformation in den Blick genommen wird.

3.3 Analogie

Auf der Basis der dargelegten semiologischen Grundeinsichten Saussures lassen sich die Gründe des zu Anfang eingeführten Phänomens der kontinuierlichen Transformation der Sprache nun folgendermaßen fassen: Da das sème/parasème sich allein durch Negativität, durch sein Nichtzusammenfallen mit anderen Termen des Systems bestimmt, weil das Zeichen „auf die Unvernunft selbst gegründet“[154], d.h. arbiträr ist, gibt es keinen positiven Fixpunkt des sème, es hat seine Identität allein im Bewusstsein der Sprachbenutzer, im wiederholenden Gebrauch der aposèmes. In der sozialen Zirkulation ändert sich – wie wir unten sehen werden – das aposème eines sème notwendigerweise phonetisch, und die langue als Ganzes analogisch[155], weil es keinen Fixpunkt der Zeichen – weder als ein präexistentes Bezugnahmeobjekt noch als Selbstbedeutsamkeit der Lautformen – gibt. Also wird jede Parasemie und damit auch die Sprache als Institution vielmehr im sozialen Gebrauch, in ihrer Anwendung notwendig verändert.

So erklärt sich nun auch die Kontinuität: Um die Sprache zur Verständigung nutzen zu können müssen die Sprachbenutzer von der Kontinuität identischer Zeichen ausgehen, das ist Bedingung der Möglichkeit von Kommunikation. Dieses Bewusstsein der Identität eines Zeichens schafft nun wiederum das Zeichen als Identisches, bedingt aber auch seine Veränderbarkeit.

In der Analogie finden wir die Wechselbeziehung zwischen langue und parole, zwischen Parasemie und Sprechakt, zwischen Transformation und Kontinuität expliziert als bewusste Kreation neuer Zeichen durch den Sprachbenutzer. Die analogische Veränderung nennt Saussure entsprechend das „ principe général des creations de la langue[156] und er schreibt:

„[I]rgendeine langue zu irgendeinem Zeitpunkt ist nichts anderes als eine weitreichende Verflechtung von Analogiebildungen, die einen absolut frisch, die andern so weit zurückgehend, daß man sie nur erraten kann.“[157]

Jede existierende Sprache ist also jeweils das Ergebnis vergangener analogischer Kreationen.

Saussure unterscheidet den analogischen schon in seiner Genfer Antrittsvorlesung vom phonetischen Wandel. Dieser ist ein nicht-intendierter Wandel der das sème allein von der Perspektive des aposème, der Lautseite betrifft, d.h. die physiologische und physische Seite des Zeichens – oder wie Saussure es auch nennt: den „Kadaver des Wortes“[158] – verändert. Er ist somit unbewusst, wird – im Gegensatz zum analogischen Wandel – nicht bewusst zur Innovation in der langue eingesetzt, mit anderen Worten: er passiert schlicht und einfach. Saussure bezeichnet ihn deshalb auch als „rein mechanisch e Operation“[159], die nicht von Sinn geleitet ist, weil sie ja auch nur die bedeutungslose ‚Hülle des Zeichens’ betrifft.

In den Notes Item heißt es dazu:

Item. Die sprechenden Subjekte haben nicht das geringste Bewußtsein von den aposèmes, die sie aussprechen, nicht mehr als von der reinen Vorstellung auf der anderen Seite. Sie sind sich nur des sème bewußt. Das ist es, was die vollständig mechanische Veränderung des aposème durch die Jahrhunderte sicherstellt.“[160]

Der phonetische Wandel war zu Saussures Zeit zentraler Gegenstand der Sprachwissenschaft. Die junggrammatische Schule versuchte vornehmlich, Gesetze für den Wandel der Laute, für den mechanischen Ablauf der Lautverschiebungen aufzustellen.[161] Denn der Lautwandel „schlägt blindlings alle Formen der langue, in welchen sich der fragliche Laut vorfindet, und bietet folglich das Merkmal der mathematischen Regelmäßigkeit“[162], was ihn zu einer ‚naturwissenschaftlichen’ Untersuchung prädestiniert.[163]

Gegenüber dem hier kurz skizzierten phonetischen Wandel gilt es nun die analogische Transformation der Sprache zu betrachten. Eine nähere Betrachtung des phonetischen Wandels ist hier nicht nötig, weil die beiden Arten der sprachlichen Transformation voneinander unabhängig stattfinden. So schreibt Saussure, dass „die eine [die Sprache transformierende Operation] … in vollkommen unabhängiger Weise von der anderen wirkt, ausgenommen in ein paar sehr speziellen Fällen, die zwar sehr viel Beachtung fanden, aber wirklich ungewöhnlich sind.“[164]

3.3.1 Analogie als „Phänomen der intelligenten Transformation“

Saussure führt die Analogie im Cours als eine Art Reaktion der langue auf den phonetischen Wandel ein. Da der phonetische Wandel als rein mechanische Veränderung ‚blindlings’ alle Formen der Sprache, die den betreffenden Laut enthalten, „ohne Rücksicht auf ihre Funktion im jeweiligen System betrifft, zerstört er dessen Ökonomie“[165]. Denn durch ihn wird „die Summe der existierenden Formen in der langue … vergrößert“[166]. Die analogischen Veränderungen sind dagegen „einigend und arbeiten gegen die phonetischen Veränderungen“[167], indem sie –wie wir sehen werden – in der langue Symmetrien wiederherstellen.[168]

Das wesentliche Unterscheidungsmerkmal zwischen phonetischen und analogischen Wandel ist, dass es sich entgegen dem ‚mechanischen’ phonetischen Wandel beim analogischen um eine kreative, intelligente Operation handelt, eine bewusste Handlung, die der Intentionalität der Sprecher geschuldet ist. Mit anderen Worten: Während der phonetische Wandel allein ein Wandel des aposèmes, des ‚Wortkadavers’ ist, handelt es sich beim analogischen Wandel um einen Wandel des sèmes, bzw. – wie wir sehen werden – um die Schöpfung, die Kreation eines neuen sèmes / parasèmes und damit um ein grammatisches Phänomen[169]:

Item. Sehr darauf achten, daß es im analogischen Wandel keinen Wandel des aposème gibt. Das Paradox löst sich bereits auf, wenn man statt ‚Wandel des aposème ’ ‚Wandel des aposème eines Worts ’ oder ‚des aposème eines sème ’ sagt. Man schafft ein anderes sème, ein parasème (zu dem natürlich ein aposème gehört). Es gibt keinen Wandel eines Teils des ersten sème. Der Wandel ist vollständig im Bereich des sèmes. Er wird ganz vom Sinn geleitet.“[170]

Beim „Wandel des aposème eines sème “ handelt es sich um den phonetischen Wandel, der mechanisch und sinnlos ist. Die Kreation eines neuen sèmes / parasèmes, die analogische Kreation, ist dagegen ‚vom Sinn geleitet’, die Sprecher gehen bewusst und intentional vor. Ihr intentionaler Charakter, die Tatsache, dass sie dem Bewusstsein eines intelligenten Sprechers geschuldet ist, legt auch den Ort der Betrachtung der Analogie fest: Dies ist die parole, der interindividuelle Diskurs, in dem freie intelligente Individuen kommunizieren. Um die „unaufhörliche, alltägliche Kreation in der langue“[171], welche die Analogie ist, verstehen zu können, müssen wir uns also notwendigerweise auf die Ebene der parole, den Ort der ‚Hervorbringung’, der ‚Produktion’ der langue begeben[172], denn: „Alle Veränderungen [modifications], seien es phonetische oder grammatische (analogische), entstehen einzig und allein in der Rede [dans le discursif].“[173]

Wie haben wir uns die analogische Kreation nun genauer vorzustellen?

Betrachten wir zunächst eine Definition Saussures:

„Eine analogische Form ist eine nach dem Bild einer anderen kreierte Form. Analogischer Wandel findet statt, wenn für eine bestehende traditionelle Form eine andere durch Assoziation gebildete eingesetzt wird.“[174]

Wie findet dieser Wandel nun statt und was heißt es, dass das neue sème durch Assoziation’ gebildet wird?

Im ‚Drama’ der analogischen Innovation spielen drei Personen mit:

1. „der bis dahin weitergegebene, vererbte, legitime Typ.
2. der Konkurrent
3. eine Kollektivperson: die Formen, die den Konkurrenten hervorbringen.“[175]

Wir haben z.B. den Typ honor, der im Laufe der Zeit honos als Nominativ Singular des entsprechenden Substantivparadigmas (honos / honor, honoris …) ersetzte.[176] Saussure beschreibt dieses Phänomen, das mit Lautwandelgesetzen nicht erklärt werden kann, mithilfe der genannten ‚drei handelnden Personen’, die in diesem Fall wären: 1.) der traditionelle Typ honos, 2.) der Konkurrent honor und 3.) das mit honor assoziierte Paradigma – im wahrsten Sinne des Wortes[177]orator, oratoris. Als Darstellungsweise des analogischen Wandels wählt Saussure für gewöhnlich die „Formel der vierten Proportionalen“[178]: orator: oratoris = x: honoris. Die gesuchte Form x, welche sich bei einer Analogiebildung am Beispiel von orator, oratoris ergibt, ist folglich honor.

Bei genauerem Hinsehen wird nun deutlich, dass das überlieferte Wort keine Rolle bei der Kreation des neuen Worts spielt. Obwohl Saussure dies in seinen Genfer Vorlesungen durch die Verwendung entsprechender Beispiele nahelegt, ist es kein wesentliches Merkmal der analogischen Kreation, dass das neu erschaffene Wort in Konkurrenz zu einem bestehenden, traditionellen Typ tritt. Allein die Schaffung eines Wortes aufgrund des Vorbildes eines anderen macht das Phänomen der Analogie aus. Eine zu ersetzende Form ist weder für eine analogische Bildung notwendig – weshalb Saussure im übrigen auch den Terminus der analogischen Transformation, des analogischen Wandels ablehnt und ihm die Ausdrücke ‚Kreation’ und ‚Innovation’ vorzieht[179] – noch findet sie sich bei allen analogischen Bildungen. Im Gegenteil kann man davon ausgehen, das die Kreation neuer Wörter, die nicht alte Typen ersetzen, häufiger stattfindet als der von Saussure zumeist beispielhaft genannte Fall der Konkurrenz eines alten und neuen Worts.[180] Saussure gebraucht diese Beispiele im Cours, weil er die Analogie in Anschluss an und im Vergleich zum phonetischen Wandel betrachtet. Dass die Konkurrenz zweier Formen für die Analogiebildung nicht notwendig ist, war Saussure aber durchaus bewusst:

“Es ist die Verdrängung der traditionellen Form, welche die Illusion eines Wandels erweckt; nun ist aber das Schicksal dieser Form, sein Verschwinden oder seine Erhaltung eine von der Tatsache der Analogie unabhängige Tatsache. Es ist gleichgültig, ob die neue Form in Konkurrenz zu einer existierenden Form tritt oder ob sie nichts zu ersetzen hat …: In beiden Fällen gibt es eine Kreation, oder besser: Innovation, neue Kreation, ausgehend von bereits gegebenen Elementen“.[181]

An anderer Stelle nennt Saussure die Analogiebildung eine „Dekomposition“ der Einheiten der langue, der parasèmes, auf welche eine „Rekomposition“, die Erschaffung neuer Wörter anhand der gewonnenen Elemente folgt. So schreibt er in seiner note zur Morphologie:

„Wenn neue Formen auftauchen, spielt sich alles, wir haben es gesehen, über die Dekomposition der existierenden Formen ab und über Rekomposition anderer Formen mittels Materialien, welche von den ersteren [den dekomponierten existierenden Formen, A.P.] geliefert werden. (…)

Aber niemals ist es der Sprache [‚langue’] möglich, eine Form so mir nichts, dir nichts und durch einen wirklich schöpferischen Akt zu erschaffen. Immer stammen die Elemente der neuen Form aus dem bestehenden Fonds. Weil sich nun dieser Fonds aus Worten zusammensetzt und nicht aus Suffixen, Wurzeln etc., braucht es immer, um neues zusammenzusetzen, eine vorgängige und geheime Dekompositionsarbeit.“[182]

Sehr schön wird diese analogische Kreation mit dem Terminus „parasemische Schöpfung“ veranschaulicht.[183] Der ‚bestehende Fonds’, aus dem die Sprecher die Formen zu Zwecken der sprachlichen Innovation schöpfen, ist ja die langue, bzw. das jeweilige im sozialen Diskurs entwickelte parasemische Netzwerk eines Sprechers. Das neu kreierte Wort wird durch die bestehenden parasèmes zur Welt gebracht.

Parasèmes sind nach Saussure Worte und nicht kleinere Einheiten wie Suffixe, Wurzeln etc. aber auch keine Sätze.[184] Die Elemente des Wortes erschließen die Sprecher in der analogischen Kreation durch Analyse, sie zerlegen die Wörter aufgrund ihrer Relationen untereinander, indem sie z.B. ein Flexionsparadigma mit einem anderen vergleichen. „Wir gehen immer mittels Proportionen vor … Es ist demnach immer das gemachte Wort, das unsere grundlegende Einheit ist.“[185] Aus den gemachten, d.h. verwendeten und verstandenen Wörtern lösen die Sprecher sämtliche Elemente heraus, die sie zur Bildung eines neuen Zeichens benötigen. D.h. es wird im eigentlichen Sinne nichts Neues kreiert, denn alle Elemente sind bereit Teil der langue, wir haben es vielmehr allein mit einer neuartigen Kombination bestehender Elemente zu tun:

„Es wird also nie eine Schöpfung ex nihilo geben, sondern jede Erneuerung wird nur die neue Anwendung von Elementen sein, die vom vorangehenden Sprachzustand [‚état de langage’] geliefert werden. So kommt es, daß die analogische Erneuerung, die in gewisser Weise sehr destruktiv ist, dennoch niemals etwas anderes macht, als die Kette der seit dem Ursprung der langues überlieferten Elemente fortzusetzen, ohne sie je zerreißen zu können.“[186]

In der analogischen Kreativität als grundlegendem Prinzip des sprachlichen Wandels spiegelt sich auf diese Weise die ‚enge und evidente Wechselbeziehung’ zwischen Transformation und Kontinuität wieder, das der Sprache wesentliche Zusammenspiel der Destruktion einer bestehenden langue mit ihrer Fortsetzung, ihrer Erhaltung.[187]

Morphologische Einheiten existieren also immer nur als Elemente des ‚gemachten Wortes’ d.h. als Elemente verwendeter, verstandener Spracherscheinungen. Dem Linguisten ist es nur möglich, die morphologischen Einheiten ex post, aus der nachträglichen Analyse von Neubildungen und Analogien zu erhalten. So antwortet Saussure folgerichtig auf die Frage, wie man die Existenz einer morphologischen Einheit einer Sprache beweist: „Wie in allen solchen Fällen sind es die Neologismen, das heißt Formen, in welchen sich die Aktivität der Sprache [‚langue’] in einem einwandfreien Dokument zeigt“[188].

Und er kommt zu dem Schluss:

„Die morphologische Analyse des Grammatikers wird in dem Maße nicht als Abstraktion gelten können, als sie sich mit der Analyse der Sprache [‚langue’] im Einklang befindet, die in den Neologismen und Analogiebildungen belegt sind.“[189]

Allerdings handelt es sich bei der langue nicht um einen fixen Fundus von Elementen, aus dem stetig neue Wörter komponiert werden, sondern der Fluktuanzcharakter der Sprache bringt eine „kapitale Tatsache“ mit sich, die es zu berücksichtigen gilt: „daß nämlich die Analysen, welche die Analyse der langue selbst zu einem bestimmten Moment wiedergeben, nicht notwendig den Analysen entsprechen, welche diese in einem vorhergehenden Zustand vorgenommen hatte.“[190] Neben anderen Ursachen nennt Saussure hier den phonetischen Wandel. So gliederte sich z.B. früher cantor in can-tor, wohingegen chanteur sich heute chant-eur gliedert.[191] Daraus folgt für die Analyse der langue, d.h. für die Analyse die sich im Sprachgebrauch der Sprecher, in ihren kreativen Neubildungen zeigt, nach der sich wiederum der Linguist zu richten hat: „Alles hängt folglich von der reziproken Situation der verwandten Formen zu einer gegebenen Epoche ab. Die Analyse ist nur für eine bestimmte Zeit wahr.“[192]

Die Sprecher schöpfen also zum Zwecke der Neubildung von Zeichen, „ aus den bereits gemachten Worten[193] “, gewinnen aus der Analyse dieser Worte Elemente, aus denen sie neue Wörter bilden. In diesem Akt kreieren sie – mittels einer Rekomposition bereits existierender Elemente – neue parasèmes und transformieren so die langue als Ganzes. Aus welchem Grund aber, unter welchen Umständen, kreieren Sprecher neue Wörter? Die Sprecher improvisieren das neue Wort in der parole, weil im kommunikativen Kontext der Bedarf besteht, etwas auszudrücken, für das es entweder kein vorhandenes sème gibt oder aber der Sprecher dasselbe nicht kennt. So nennt Saussure die neu gebildete Form eine „von der parole, von der Not hervorgerufene Form“.[194] Aus dem Grund zeigt sich die analogische Kreativität regelmäßig bei kleinen Kindern, die, weil sie viele Formen noch nicht gehört oder benutzt haben und ihr Gedächtnis auch nicht in der Lage wäre, alle zu behalten, gezwungen sind, „Zeichen fortwährend selbst herzustellen“[195]. Will das Kind z.B. mitteilen, jemand habe gerufen, ohne die stark flektierte Vergangenheitsform von ‚rufen’ vorher gehört bzw. gelernt zu haben, so bildet es diese selbst analogisch nach dem Muster er sagt: er sagte = er ruft: x. So wird es also etwa sagen: „Papa rufte.“

Diese analogische Kreation ist von Sinn geleitet, vom Bedürfnis des Sprechers, z.B. des Kindes, etwas zu kommunizieren, was es bisher konkret noch nicht gelernt hat. Oder auch: Er möchte etwas ausdrücken, für das es keine standardisierte Form gibt.

„Jede Neuerung entsteht durch Improvisation im Sprechen (und geht von dort entweder in den inneren Schatz [trésor intime] des Hörers oder in den des Sprechers ein, sie entsteht aber somit im Zusammenhang der gesprochenen Sprache [langage discursif].“[196]

Die Feststellung einer wichtigen Beschränkung des Saussureschen Analogiebegriffs – dem aufmerksamen Leser dürfte es diese längst aufgefallen sein – ist nach der ausführlichen Darstellung der Analogie angebracht: Die analogische Kreation operiert bei Saussure allein auf der Ebene der Morphologie, nur die Kreation neuer Wörter durch die innovative Kombination bestehender Morpheme gilt als Analogie. Ich werde in Kapitel 7 darauf zurückkommen.

3.3.2 Iteration, Fluktuanz, Analogie

In diesem Unterkapitel machen wir einen kleinen Exkurs zu Jacques Derrida, um darauf hinzuweisen, dass das Konzept der Différance bzw. der Iterabilität, das dieser ja u.a. aus einer dekonstruktivistischen Lektüre des Cours gewinnt[197], beim authentischen Saussure schon enthalten ist, dass – wie es Ludwig Jäger ausdrückt – Saussure nicht der Begründer, sondern vielmehr einer der „grundlegendsten Kritiker“ der „modernen, strukturellen Linguistik“ ist[198] oder – mit Johannes Fehr gesprochen – „dass Saussure den Poststrukturalismus schon antizipiert hat, noch ehe er zum Vater des Strukturalismus ausgerufen werden konnte.“[199]

Derridas Projekt ist das einer Dekonstruktion der klassischen abendländischen Philosophie, der „Präsenzmetaphysik“ oder des „Logozentrismus“. Er führt den Charakter dieser Philosophie auf den ihr inhärenten Zeichenbegriff, auf das signe (signum) als Einheit von signifiant (signans) und signifié (signatum) zurück:

Durch das Beibehalten der im wesentlichen und im rechtlichen Sinn strengen Trennung zwischen signans und signatum sowie der Gleichstellung von signatum und Begriff bleibt von Rechts wegen die Möglichkeit offen, einen Begriff zu denken, der in sich selbst Signifikat ist, und zwar aufgrund seiner einfachen gedanklichen Präsenz und seiner Unabhängigkeit gegenüber der Sprache, das heißt gegenüber einem Signifikantensystem. (…) Er erfüllt die klassische Forderung nach einem, wie ich es genannt habe, „transzendentalen Signifikat“, das von seinem Wesen her nicht auf einen Signifikanten verweist, sondern über die Signifikantenkette hinausgeht, und das von einem bestimmten Zeitpunkt an nicht mehr die Funktion eines Signifikanten hat.[200]

Die Annahme eines transzendentalen, präsenten, fixen Signifikats, eines Signifikats, mittels dessen sich die Identität eines Zeichens positiv bestimmen lässt, ist also eng mit dem Logozentrismus verknüpft. Derrida versucht nun – wie Fehr schreibt – „aufzuzeigen, dass Saussures Theorie im Verhältnis zu dieser Tradition eine komplexe, wenn nicht eine paradoxe Stellung einnimmt“[201]. So ist Derrida der Meinung, dass Saussure „sich an einer Grenze befindet: in der Metaphysik, die es zu dekonstruieren gilt, und zugleich jenseits des Zeichenbegriffs (Signifikat/Signifikant), dessen er sich noch bedient.“[202] Saussure habe mit seiner Abkehr von einem absoluten, präsenten Signifikat hin zum Differenzprinzip den richtigen Weg eingeschlagen, indem er „den differentiellen und formellen Charakter der semiologischen Funktionsweise hervorgehoben“[203] und die Identität eines Zeichens als eine negative, als eine durch Opposition zu anderen Zeichen konstituierte, herausgestellt hat.

Deshalb schließt Derrida einerseits mit dem Konzept der différance an das Prinzip der Differenz an, kritisiert aber andererseits Saussures Verhaftetbleiben am dualen Zeichenbegriff, welcher ja per se die Möglichkeit eines transzendentalen Signifikats bedingt.[204] Aus diesem dualen Zeichenbegriff folge nun ein Kommunikationsbegriff, „der in der Tat eine Transmission impliziert; eine Transmission, die darin besteht, daß die Identität eines bezeichneten Objekts, eines Sinns oder eines Begriffs, die von Rechts wegen vom Übergangs- und Bezeichnungsvorgang selbst abgetrennt werden können, von einem Subjekt zum anderen weitergeleitet werden soll.“[205]

Die Derridasche Kritik des dualen Zeichenbegriffs verläuft also analog zur oben geschilderten Kritik des authentischen Saussures an der Nomenklatur-Auffassung der Sprache.[206] Dennoch nimmt Derrida für sich in Anspruch, über Saussure hinauszugehen und eine Radikalisierung des Prinzips der Differenz, bzw. seine ‚kohärente Anwendung’[207] zu betreiben, indem er behauptet, „daß wir jeden Bezeichnungsvorgang als ein formales Spiel von Differenzen anzusehen haben. Dabei handelt es sich um Spuren.“[208] Mit anderen Worten: Die Identität eines Zeichens beruht nicht allein auf der Relation zu den anderen Zeichen desselben Systems, auf der Differenz, sondern auch auf seiner Funktion als Spur, mit der die Verwendung eines Zeichens einerseits durch vorherige Verwendungsweisen bestimmt ist und andererseits nachherige Verwendungsweisen bestimmt. Die Spur des zitierten Zeichens, die Spur vorheriger Kontexte der Zeichenverwendung ist notwendige Bedingung der Identität eines Zeichens. Es ist somit die Historizität des Zeichens, sein sozialer Charakter, der sich in der Weitergabe des Zeichens zwischen Personen zeigt, seine wiederholte Verwendung, die das Zeichen allererst konstituiert. Eine jede wiederholende Verwendung eines Zeichens trägt dabei die Spur vorhergehender Verwendungsweisen in sich, wiederholt das Zeichen in gewissem Maße, wobei es jedoch notwendig verändert wird und gilt als Regel für die zukünftige Verwendung.

Bei Derrida klingt das so:

„Die différance bewirkt, daß die Bewegung des Bedeutens nur möglich ist, wenn jedes sogenannte ‚gegenwärtige’ Element, das auf der Szene der Anwesenheit erscheint, sich auf etwas anderes als sich selbst bezieht, während es das Merkmal [ marque ] des vergangenen Elementes an sich behält und sich bereits durch das Merkmal seiner Beziehung zu einem zukünftigen Element aushöhlen läßt, wobei die Spur sich weniger auf die sogenannte Zukunft bezieht als auf die sogenannte Vergangenheit und die sogenannte Gegenwart durch eben diese Beziehung zu dem, was es nicht ist“.[209]

Derridas Terminus der Iterabilität beschreibt dieses grundlegende Prinzip der Zeichenkonstitution sehr treffend: Iterierbarkeit ist die Verknüpfung der Wiederholbarkeit mit gleichzeitiger Veränderung: „[ I ] ter, nochmals, kommt von itara, anders im Sanskrit“ und Derrida benutzt den Term zur „Ausbeutung dieser Logik …, die die Wiederholung mit der Andersheit verknüpft“[210].

Bedingung der Möglichkeit der Selbstidentität eines Zeichens ist nach Derrida widersprüchlicherweise die Iterabilität, die zugleich die Selbstidentität des Zeichens verunmöglicht, weil sie ja Andersheit impliziert. Iterabilität – d.h. variierte Wiederholung – konstituiert die „Einheit der signifikanten Form“[211], den type, der wiederum als Regel für seine Iterabilität gilt. „Weil nämlich [die] Einheit der signifikanten Form nur durch ihre Iterabilität konstituiert wird“[212] und „jede Wiederholung zugleich mit einer Andersheit verbunden“[213] ist, ist das zeichenkonstituierende Prinzip gleichzeitig das, was ihre Identität unmöglich macht. Zeichen werden also allererst durch ihre Sozialität, durch ihre Weitergabe oder Zitation konstituiert und dadurch wiederum notwendig verändert.

Derridas Gegenentwurf zum zweistelligen hierarchischen Zeichenbegriff kann als „Modell des unendlichen Verweises“[214] oder „Modell der Signifikantenkette“[215] bezeichnet werde. Jeder Signifikant verweist in seiner Iteration auf vorherige Verwendungen wie auch auf die anderen Elemente im Zeichensystem, so dass „sich jedes ‚Element’ … aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert.“[216] Deshalb ist der Ausdruck ‚Signifikantenkette’ irreführend und sollte besser durch ‚Gewebe’ oder ‚Text’ ersetzt werden, wie auch Derrida es vorschlägt.[217]

„Kein Element kann je die Funktion eines Zeichens haben, ohne auf ein anderes Element, das selbst nicht einfach präsent ist, zu verweisen, sei es auf dem Gebiet der gesprochenen oder auf dem Gebiet der geschriebenen Sprache. Aus dieser Verkettung folgt, daß sich jedes ‚Element’ … aufgrund der in ihm vorhandenen Spur der anderen Elemente der Kette oder des Systems konstituiert. Diese Verkettung, dieses Gewebe ist der Text, welcher nur aus der Transformation eines anderen Textes hervorgeht. Es gibt nichts, weder in den Elementen noch im System, das irgendwann oder irgendwo einfach anwesend oder abwesend wäre.“[218]

Wie ich oben herausgearbeitet habe, finden sich diese wesentlichen Merkmale der Zeichenkonstitution sowie das damit verbundene Problem, die Identität eines Zeichens zu bestimmen, schon bei Saussure: die Ablehnung des dualen Zeichenbegriffs, der notwendig soziale Charakter des Zeichens in der Weitergabe und damit verbunden die Historizität der Sprache, die eine Kontinuität der langue – auf sozialer wie individueller Ebene – in ‚evidenter Wechselbeziehung’ mit ihrer Transformation impliziert.

Das folgende Zitat Saussures zur kontinuierlichen Transformation der Sprache in der Zeit z.B. könnte sich auch als eine Charakterisierung der Iterabilität in Derridas Texten finden: „Die Kontinuität schließt die Tatsache der Veränderung, die eine Verschiebung von Werten ist, mit ein.“[219]

Mareike Buss hat nun das Konzept der Spur – zweifellos in Anlehnung an Derrida – auch auf Saussure übertragen, indem sie auf der Basis der wechselseitigen Konstitution von parole und langue diese als ein „System von Gebrauchsspuren “ charakterisiert hat. Ich folge hier dieser Argumentation:

„In den individuellen parasemischen Strukturen des ‚inneren Schatzes’ eines Sprechers oder Hörers sind die Spuren vormaliger Zeichenverwendungen verzeichnet – Gebrauchsspuren.“[220] Auf diesen Gebrauchsspuren wandelnd orientieren sich die Sprecher an den bisherigen Zeichenverwendungen, wobei sie in der jeweiligen Anwendung die Spur mehr oder weniger verändern. In der parole findet die Konstitution wie Erneuerung der Spur statt, die gleichzeitig Voraussetzung der Sprech- oder Verstehenshandlung ist:

„Die langue ist als System von Gebrauchsspuren der sich stets verändernde Hintergrund, vor dem die kommunikativen Akte der Sprechergemeinschaft ablaufen. (…) Die durch den Sprachgebrauch sanktionierten Sprachverwendungen wirken auf das parasemische Netzwerk zurück, indem sie übliche Zeichenverwendungen sedimentieren und verstärken, während das System durch neue, unübliche Verwendungen verändert wird.“[221]

Die Analogie lässt sich auch vor diesem Hintergrund als ein grundlegendes Prinzip der sprachlichen Fluktuanz, der Iterabilität des Sprachzeichens ausmachen. Mit der analogischen Kreation bewegen sich die Sprecher auf den Spuren der je vorgängigen langue, indem sie aus einer Analyse ihrer je individuellen Parasemien schöpfen, um im gleichen Zug die soziale wie individuelle langue im selben Zug zu verändern.

Mit dem Gedanken der Konstitution, der Genese der langue im Diskurs, welcher wiederum als Anwendung derselben gilt, kurz: mit der Konzeption der notwendigen Iterierbarkeit des Zeichens und der langue als ein System von Gebrauchsspuren lässt sich – wie Mareike Buss anmerkt – die Hierarchisierung von Regel und Anwendung im Zwei-Welten-Modell ins Wanken bringen:

„Die traditionelle dichotomische Hierarchie von langue und parole, also das Grundaxiom des ‚Zwei-Welten-Modells’ gerät damit ins Wanken, denn nicht das System hat Vorrang vor den einzelnen Sprechakten, sondern es besteht eine Wechselwirkung zwischen den beiden Instanzen“.[222]

4 Vom Diskurs zum Sprachspiel

Ich habe oben ausführlich die Saussuresche Semiologie als Gegenkonzeption zur Zwei-Welten-Ontologie herausgearbeitet. Dabei habe ich mich auf die analogische Kreation neuer Spracheinheiten als Ort der Veränderung der langue durch die parole konzentriert, als den Ort, an dem mittels des aposème als Gelenkstelle zwischen parole und Parasemie die langue von ihrer individuellen wie von ihrer sozialen Seite verändert wird. Damit habe ich die Unzulänglichkeit einer Hierarchisierung von Kompetenz und Performanz erwiesen, die Auffassung vom jedesmaligen Sprechen als Deformation der reinen Sprache als verfälschend herausgestellt. Vielmehr ist es ja die Deformation, die eine Form erst konstituiert.

Im Folgenden werden wir uns Wittgenstein widmen, vor allem seinen Philosophischen Untersuchungen. Eine deutliche Parallele im Denken Saussures und Wittgensteins ist die Kritik des dualen Zeichenbegriffs. Christian Stetter sieht auch eine klare Parallele Wittgensteins zu Derrida, der – wie gerade gezeigt – in seinen Ansichten zum sprachlichen Zeichen stark Saussure ähnelt, wenn er behauptet, „daß die Sprachkritik Wittgensteins in den Philosophischen Untersuchungen dadurch eine neue Qualität erhält, daß sie zur Metaphysikkritik wird in Form der Destruktion des repräsentativen Zeichenbegriffs. Die erste Bedingung dafür, daß sie so ‚zu sich selbst’ kommt, ist die endgültige Überwindung der Abbildtheorie.“[223]

Wie in Abschnitt 3.2.3 herausgearbeitet ist jede Sprache notwendig sozial. Der Grund liegt in der „innere[n] Nichtigkeit [‚nullité’] der Zeichen“[224], im Arbitraritätsprinzip des Zeichens, welches – mit Stetter gesprochen – „zur transzendentalen Bedingung des Gebrauchsprinzips der Bedeutung“[225] wird. Entsprechend heißt es bei Wittgenstein: „Jedes Zeichen scheint allein tot … Im Gebrauch lebt es.“[226]

Saussure hat uns nun nicht nur mit dem Differenzprinzip und dem parasème das begriffliche Werkzeug für ein psychologisches Verständnis der Sprachbenutzer geliefert, sondern auch den engen Zusammenhang der Bedeutung eines Wortes mit seinem Gebrauch, seiner Funktion gesehen:

„Wir setzen keinen ernsthaften Unterschied zwischen den Termini Wert, Sinn, Funktion oder Gebrauchsweise einer Form an, nicht einmal zwischen diesen und dem ‚Begriff’ als Inhalt einer Form; diese Termini sind synonym.“[227]

Es ist aber Wittgenstein, der mit der Beschreibung verschiedener „Sprachspiele“ diese Synonymie von Bedeutung und Gebrauch eines Wortes, d.h. eben dieses Gebrauchsprinzip der Bedeutung tiefergehend betrachtet. Es ist Wittgenstein, der mit seiner ausgiebigen Betrachtung und Beschreibung von Sprachspielen die tatsächliche Konstitution der Sprache verständlich zu machen sucht, der das „Arbeiten der Sprache“[228] beschreibt.

Während die analogische Kreation bei Saussure auf der morphologischen Ebene stattfindet und eine Neukombination bestehender morphologischer Elemente der langue bedeutet, werden wir bei einer Betrachtung von Wittgensteins Analogie-Begriff, den wir mit Hans J. Schneiders Projektionsbegriff erklären, den Fall vorfinden, dass ein bestehendes sème wie auch ein syntaktisches Gefüge durch die Kreativität der Sprecher in unkonventioneller Weise gebraucht wird, wodurch sich das sème und mit ihm die gesamte Parasemie wandelt.

5 Wittgenstein

Ich werde in diesem Kapitel zunächst einen Aspekt des wittgensteinschen Gebrauchs des Ausdrucks ‚Analogie’ skizzieren, den Aspekt von Analogien als Sprach zuständen. Anschließend werde ich mit Hans Julius Schneiders Interpretation des Wittgensteinschen Begriffs der Projektion in der Philosophischen Grammatik die Genesis von Analogien erläutern. Zum Abschluss des Kapitels erfolgt eine knappe Erläuterung des Regelbegriffs der Philosophischen Untersuchungen in Abgrenzungen zur Projektion als kreativem Regelbruch.

5.1 Wittgensteins Gebrauch des Terms ‚Analogie’

Die Betrachtung des Ausdrucks ‚Analogie’ in den Schriften Wittgensteins führt uns direkt ins Zentrum seines Philosophierens. Denn einerseits bestimmt Wittgenstein Analogien unserer Sprache als hauptsächliche Gründe für die Verirrungen der traditionellen Philosophie, der Metaphysik, die Wittgenstein ja destruieren will. Andererseits ist Wittgensteins Methode zu philosophieren grundlegend geprägt vom analogischen Denken. Er therapiert uns von den durch unerkannte Analogien entstandenen philosophischen Fragen, oftmals indem er uns mittels von ihm selbst kreierter Analogien eine Sache in neuem Licht sehen lässt.

Ich werde mich hier vor allem dem ersten Punkt widmen, der den Grund für Wittgensteins Philosophieren abgibt.[229] So schreibt er schon im Big Typescript:

„Wenn ich einen philosophischen Fehler rektifiziere und sage, man hat sich das immer so vorgestellt, aber so ist es nicht, so muß ich immer eine Analogie aufzeigen, nach der man gedacht hat, die man aber nicht als Analogie erkannt hat.“[230]

In diesem Typoskript, das Wittgenstein wahrscheinlich im Laufe des Jahres 1933 verfasste[231], bestimmt Wittgenstein sein Ziel also als eine Berichtigung philosophischer Fehler, welche mittels des Aufzeigens nicht erkannter Analogien stattfinden soll. Demgemäß spricht er auch noch in den Philosophischen Untersuchungen davon, Klarheit zu schaffen durch das Wegräumen von Missverständnissen, „die den Gebrauch von Worten betreffen; hervorgerufen, unter anderem, durch gewisse Analogien zwischen den Ausdrucksformen in verschiedenen Gebieten unserer Sprache.“[232]

Um ein besseres Verständnis von der Irreführung durch Analogien zu erlangen, bietet sich als begriffliche Basis eine Erläuterung der wittgensteinschen Unterscheidung von Oberflächen- und Tiefengrammatik an. Gleichwohl Wittgenstein diese Termini nur in einem Abschnitt der Philosophischen Untersuchungen erwähnt, sind diese Begriffe zum Verständnis vieler Gedanken Wittgensteins – wie z.B. seines Begriffs der Analogie – von äußerstem Nutzen. In PU 664 heißt es:

„Man könnte im Gebrauch eines Wortes eine ‚Oberflächengrammatik’ von einer ‚Tiefengrammatik’ unterscheiden. Das, was sich uns am Gebrauch eines Worts unmittelbar einprägt, ist seine Verwendungsweise im Satzbau, der Teil seines Gebrauchs – könnte man sagen – den man mit dem Ohr erfassen kann. – Und nun vergleiche die Tiefengrammatik, des Wortes ‚meinen’ etwa, mit dem, was seine Oberflächengrammatik uns würde vermuten lassen. Kein Wunder, wenn man es schwer findet, sich auszukennen.“[233]

Bei der Oberflächengrammatik handelt es sich um die Verwendungsweise der Wörter im Satzbau, das heißt um die Ordnung der Wörter im Syntagma. Somit entspricht der Term ‚Oberflächengrammatik’ in etwa der klassischen Auffassung von Grammatik. Eine solche klassische Grammatik leistet die Einteilung der Wörter in Subjekt, Prädikat, Objekt etc., also in Wortklassen, deren Elemente dadurch bestimmt sind, dass sie an ihren jeweiligen Stellen im Satzbau austauschbar sind, ohne die Wohlgeformtheit des Satzes zu beeinträchtigen.

Das, was Wittgenstein ‚Tiefengrammatik’ oder oftmals auch nur ‚Grammatik’ nennt ist ein zentraler Begriff der wittgensteinschen Spätphilosophie und bezieht sich auf den Gebrauch eines Wortes in Sprachspielen, d.h. den Gebrauch von Sprache in sozialen Handlungs zusammenhängen, die mit Sprechhandlungen verbunden sind. Wenn er im oben schon zitierten Abschnitt 90 der P hilosophischen Untersuchungen die klarifizierende Betrachtung eine „grammatische“ nennt, bezieht er sich explizit darauf, Licht in philosophische Probleme zu bringen, indem er „Mißverständnisse, die den Gebrauch von Worten betreffen“[234], den Gebrauch von Worten „in verschiedenen Gebieten unserer Sprache“, aufklären will. Das tut er mittels des Aufzeigens von irreführenden Analogien, welches uns vor Irrwegen bewahren und dabei helfen soll, „sich auszukennen“[235].

Im Blauen Buch schildert Wittgenstein die Gefahr, analoge Oberflächengrammatiken von Wörtern als gleichfalls analoge Tiefengrammatiken zu deuten, folgendermaßen: „Wenn Wörter in unserer Umgangssprache prima facie analoge Grammatiken haben, sind wir geneigt zu versuchen, sie analog zu deuten; d.h. wir versuchen, die Analogie durchweg bestehen zu lassen.“[236]

Wir nehmen also die augenscheinliche Gleichförmigkeit der oberflächengrammatischen Verwendungsweise zweier Wörter – wie z.B. ‚sagen’ und ‚meinen’ – wahr und schließen auf eine tiefengrammatische Gemeinsamkeit, in dem betrachteten Beispiel also auf die Bezugnahme des Wortes auf eine Handlung nicht nur beim Wort ‚sagen’, sondern auch mit dem Wort ‚meinen’, welches sich dann auf eine geistige Handlung bezieht.

Die gleichförmige Strukturiertheit der Oberflächengrammatik ist also die Quelle philosophischer Irrtümer oder wie Wittgenstein auch sagt: „Es ist eine Hauptquelle unseres Unverständnisses, daß wir den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen. – Unserer Grammatik fehlt es an Übersichtlichkeit.“[237]

Nun hat Wittgenstein es sich zur Aufgabe gemacht eine „übersichtliche Darstellung“[238] unserer Grammatik zu liefern. Gleichwohl handelt es sich dabei nicht um eine umfassende Darstellung, denn „es wird nun an Beispielen eine Methode gezeigt, und die Reihe dieser Beispiele kann man abbrechen. – Es werden Probleme gelöst (Schwierigkeiten beseitigt), nicht ein Problem.“[239] Wittgenstein zufolge hat ein philosophisches Problem, das ja immer daraus resultiert, dass uns die „Einsicht in das Arbeiten der Sprache“[240] fehlt, dass wir also „den Gebrauch unserer Wörter nicht übersehen“ die Form: „’Ich kenne mich nicht aus.’“[241] Anstatt also unreflektiert die „unverstandene Verwendung“ eines Wortes wie z.B. ‚verstehen’ „als Ausdruck eines seltsamen Vorgangs zu deuten“[242] und darauf aufbauend eine Reihe philosophischer Probleme zu konstruieren, sieht Wittgenstein seine grammatische Orientierungslosigkeit ein und versucht mit einer „Menge von Landschaftsskizzen“[243], die ja per se rein beschreibend sind, den Grund der Probleme in einer Missachtung oder einem Missverstehen der tiefengrammatischen Beziehungen unserer Sprache freizulegen und damit die Probleme selbst aus der Welt zu schaffen. Dass diese Aufgabe durch Beschreibung von bereits Bestehendem und nicht durch Erklärung geleistet wird, zeigt sich sehr schön in PU 109:

„[W]ir dürfen keinerlei Theorie aufstellen. Es darf nichts Hypothetisches in unsern Betrachtungen sein. Alle Erklärung muß fort, und nur Beschreibung an ihre Stelle treten. Und diese Beschreibung empfängt ihr Licht, d.i. ihren Zweck, von den philosophischen Problemen. Diese sind freilich keine empirischen, sondern sie werden durch eine Einsicht in das Arbeiten unserer Sprache gelöst, und zwar so, daß dieses erkannt wird: entgegen dem Trieb, es mißzuverstehen. Diese Probleme werden gelöst, nicht durch Beibringen neuer Erfahrung, sondern durch Zusammenstellung des längst Bekannten. Die Philosophie ist ein Kampf gegen die Verhexung unsres Verstandes durch die Mittel unserer Sprache.“[244]

Ich werde mich nach dieser Skizze der wittgensteinschen Charakterisierung eines philosophischen Problems und nach unserem kurzen Blick auf seine Methode an diesem Ort aber nicht mit weiteren Konsequenzen von Wittgensteins grundlegenden Einsichten für die Methode seiner Philosophie oder für eine Philosophie des Geistes befassen.

Die vorhergehende Betrachtung macht deutlich, das Wittgenstein den Ausdruck ‚Analogie’ überwiegend benutzt, um auf bestehende grammatische Verhältnisse hinzuweisen, auf oberflächengrammatische Ähnlichkeiten von Formen unserer Sprache, die sich nicht mit Ähnlichkeiten in der Tiefengrammatik , d.h. in ihren Gebrauchsweisen, decken und denen wir deswegen unsere philosophischen Probleme verdanken. Ich werde im nächsten Schritt das Zustandekommen von Analogien in der Sprech handlung und damit die analogische Verfasstheit der Sprache mit der Interpretation von Wittgensteins Begriff der Projektion durch Hans Julius Schneider erläutern. Wir deuten also Analogien im Sinne bestehender grammatischer Verhältnisse als überkommene Produkte kreativer Handlungen, nämlich der Projektionen. Wir vereinfachen insofern Wittgensteins Analogiebegriff zum Zweck eines besseren Verständnisses, indem wir sagen: Der Terminus ‚Analogie’ bezieht sich auf einen Sprach zustand, auf grammatische Verhältnisse unserer Sprache, welche aber je Ergebnis kreativer Sprechhandlungen, nämlich von Projektionen, sind.

5.2 Projektion

Die Grundlage dieses Abschnitts bildet ein Gedankengang aus Hans Julius Schneiders Buch Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur in der Sprache.[245] Schneider beginnt seine Argumentation mit einem Vergleich Wittgensteins aus der Philosophischen Grammatik, wo dieser unsere gewöhnliche Subjekt-Prädikat-Objekt-Struktur, also das, was er später Oberflächengrammatik nennen wird, einer Projektion gegenüberstellt.[246] Zunächst geht Wittgenstein von der Annahme einer Ebene I aus, welche die Wirklichkeit bzw. logische Formen darstellt, die in eine Ebene II, die Sprache, projiziert wird.[247]

Die Stelle in der Philosophischen Grammatik, auf die sich Schneiders Interpretation bezieht, lautet wie folgt:

„Es wäre unsere Aufgabe, Figuren verschiedener Gestalt, die sich in einer Ebene I befänden, in eine Ebene II zu projizieren. Wir könnten dann eine Projektionsmethode bestimmen (etwa die der orthogonalen Projektion) und nach ihr die Abbildung führen. Wir könnten dann auch leicht von den Bildern auf der Ebene II auf die Figuren in I Schlüsse ziehen. Wir können aber auch diesen Weg einschlagen: Wir bestimmen etwa (vielleicht weil uns diese Darstellung am bequemsten ist) daß die Bilder in der zweiten Ebene sämtlich Kreise sein sollen, – was immer die abgebildeten Figuren in der ersten Ebene sein mögen. Das heißt, verschiedene Figuren der ersten Ebene werden durch verschiedene Projektionsmethoden in die zweite abgebildet. Um dann die Kreise in II als Bilder der Figuren in I zu deuten, werde ich zu jedem Kreis die Projektionsmethode angeben müssen; die bloße Tatsache aber, daß sich eine Figur in I als ein Kreis in II darstellt, sagt nun allein noch nichts über die Gestalt der abgebildeten Figur. Daß das Bild in II ein Kreis ist, ist ja die festgesetzte Norm unserer Abbildung. – Dasselbe geschieht nun, wenn wir die Wirklichkeit nach der Subjekt-Prädikat Norm in unsere Sprache abbilden. Das Subjekt-Prädikat Schema dient als Projektion unzähliger verschiedener logischer Formen.“[248]

Die ‚festgesetzte Norm der Abbildung’ ist im Beispiel also nicht eine bestimmte Projektionsmethode, wie z.B. die orthogonale, sondern eine Festlegung der auf der Ebene II erscheinenden Formen, die kreisförmig sein bzw. Subjekt-Prädikat-Form haben sollen. Wir haben also traditionell unser Subjekt-Prädikat-Schema, welches als einförmige Projektion verschiedener „logischer Formen“ bzw. verschiedener Sachverhalte dient. Das Abgebildete selbst scheint mithin bei Wittgenstein nicht einfach als Wirklichkeit gefasst zu sein, denn er nennt ja auch ‚logische Formen’ als Ausgang des Projektionsprozesses. Wir wollen hier jedoch der Auseinandersetzung Wittgensteins mit seinen Lehrern Frege und Russell nicht weiter folgen, weil eine solche logische Betrachtung unseren Rahmen sprengen würde und werden uns deswegen auf die Darstellung der Probleme beschränken, welche eine Konzeption der Projektion von Wirklichkeit mit sich bringt.[249]

Tatsache ist: Damit die Projektionen verschiedener Dinge jeweils die normierte Struktur aufweisen, muss sich von Projektion zu Projektion die Projektionsmethode unterscheiden. Da diese aber nicht angegeben wird, lässt sich schließen: So wir nur die Projektionen nicht aber die jeweilige Projektionsmethode kennen, ist es unmöglich eine Aussage über die Struktur des Projizierten, d.h. der Wirklichkeit oder der ‚logischen Formen’, zu machen. Somit wird die Oberflächengrammatik nicht dem Abgebildeten gerecht, d.h. sie ist inadäquat, weil sie eben nicht immer „orthogonal“ oder mit einer anderen regelmäßigen Projektionsmethode abbildet: „Sie ist verfälschend, weil sie relevante Unterschiede verwischt oder ganz verschwinden läßt.“[250] Dementsprechend vermutet Schneider: Wittgensteins „primäres Ziel ist offenbar, auf Differenzierungen in den Gebrauchsmöglichkeiten eines Ausdrucks oder einer Ausdrucksweise hinzuweisen.“[251]

Als Beispiel einer solchen Differenzierung betrachtet Wittgenstein Namen und behauptet: Wir haben verschiedene Arten von Namen, „da verschiedene grammatische Regeln von ihnen gelten“[252]. Handelt es sich z.B. um Namen für räumliche Gegenstände, „so beruht unsere Verwendung dieser Namen auf einem Kriterium der Identität, das die Kontinuität der Bewegung der Körper und ihre Undurchdringlichkeit zur Voraussetzung hat.“[253] Dieser Gebrauch von Namen ist nun nicht möglich, wenn wir es mit sich gegenseitig durchdringenden Dingen zu tun haben, z.B. mit zwei zusammenfließenden Flüssen. Wittgenstein spricht hier von der Möglichkeit, „daß ich nun ein ganz neues Kriterium der Identität einführe“[254], was Schneider als einen ‚aktiven Schritt’ bezeichnet, „der frei gewählt wird“[255]. So können wir den vereinten Fluss nach einem der beiden zusammenfließenden Flüsse benennen, etwa nach dem, der in die gleiche Richtung fließt, wie Wittgenstein vorschlägt, oder nach dem Fluss, der die größere Wassermenge führt oder aber wir geben dem Fluss nach der Vereinigung einen ganz neuen Namen. Der ausschlaggebende Punkt hier ist:

„Die Regeln, die die verschiedenen Arten von Namen konstituieren (Personennamen, Flußnamen etc.), sind … nicht durch ‚die Wirklichkeit’ festgelegt; es hätte hier keinen Sinn zu sagen, diejenige Unterscheidung von Wortarten sei eine logische, deren Regeln sich (im Sinne einer orthogonalen Projektion) an der Wirklichkeit orientieren. (…) Vielmehr müssen wir selbst, wenn wir Flüssen auf eine ähnliche [d.h. analoge, A.P.] Art, wie wir es bei Personen tun, Namen geben wollen, wenn unsere gewohnten Identitätskriterien dabei aber nicht brauchbar sind, in einem voranschreitenden projektiven Schritt neue Kriterien festlegen.“[256]

Hier zeichnet sich schon ab, wie Schneider das wittgensteinsche Bild von der Projektion interpretiert, wie er bei Wittgenstein eine Drehung dieses Bildes ausmacht. So haben wir es in unserem Namenbeispiel mit der Erschließung einer neuen Gebrauchsmöglichkeit von Namen, einer Anwendung von Namen „in einem neuen Anwendungskontext“[257] zu tun, wenn wir beginnen, sich gegenseitig durchdringenden Gebilden wie Flüssen Namen zu geben und im selben Zuge für die benannten Dinge Identitätskriterien zu entwickeln gezwungen sind, die aber wohlgemerkt nicht von der Realität vorgegeben sind.

An das Fluss-Beispiel anschließend folgert Schneider für die sprachlichen Projektionen:

„Der Ausgangspunkt einer Projektion in diesem Sinne ist also nicht eine in sich schon strukturierte und nun sprachlich zu artikulierende Wirklichkeit; die Gleichförmigkeit der grammatischen Formen ist nicht das Resultat einer Reduktion einer für sich existierenden, verfügbaren Vielfalt auf wenige sprachliche Formen. Vielmehr ist der Ausgangspunkt der Projektion die für einen bestimmten, notwendigerweise zunächst spezifischen sprachlichen Handlungsbereich schon entwickelte Form, die dann in einem freien, aus den jeweils bis dahin verfügbaren Handlungsmöglichkeiten (‚Regeln’) der Sprache nicht vorhersehbaren Schritt der Spontaneität, der Phantasie, auf andere Bereiche des Handelns übertragen wird, wobei ein äußerer oder innerer Handlungsdruck durchaus eine Rolle spielen kann.[258]

In der Not bzw. unter ‚äußerem oder innerem Handlungsdruck’ stehend, weil es etwas Neues auszudrücken gilt, d.h. ein Sprachspiel zu spielen ist, dessen Regeln noch nicht konventional festgelegt sind, sind die Sprachbenutzer gezwungen, bestehende sprachliche Formen in einem ‚freien Schritt der Spontaneität, der Phantasie’, auf neue Handlungsbereiche zu übertragen, womit sie das Fundament für mögliche neue Sprachspiele legen, die sich mit der regelmäßigen Wiederholung der Projektion konstituieren. Schneider präsentiert schließlich die Pointe von Wittgensteins Projektionsvergleich:

Die Projektionsstrahlen haben ihre Richtung um einhundertachtzig Grad gedreht: sie gehen nicht mehr von ‚der Wirklichkeit’ zur Sprache (deren Struktur im orthogonalen Fall der Struktur dieser ‚Wirklichkeit’ entspricht), sondern von der Sprache (von einem spezifischen Sprachspiel) zu bisher nicht zur Sprache gekommenen Bereichen der ‚Wirklichkeit’.“[259]

Mithin behauptet auch Wittgenstein einen erkenntniskonstitutiven Charakter der Sprache. Entsprechend konstatiert auch Kurt Wuchterl mit Bezug auf das Verhältnis von Sprache und Welt bei Wittgenstein: „[N]icht die Welt, deren Struktur sich in der Sprache zeigt, schreibt der Sprache ihr Wesen vor, sondern die Sprache ist als Ausdruck einer originären Lebensform das Urgegebene, von der aus die Welt anvisiert werden kann.“[260] Damit „zeichnet [die Sprache] nicht einfach die ontologischen Strukturen nach, sondern stellt ein Konstitutionssystem der Welt dar. (…) Die Sprache ist an der Gegenstandskonstitution beteiligt.“[261]

In diesem Zusammenhang ist bemerkenswert, dass Schneider im weiteren Verlauf seines Gedankengangs auf eine Stelle im Braunen Buch verweist, wo Wittgenstein die Projektion einer räumlichen Zustandsbeschreibung auf die Fähigkeit eines Menschen, etwas zu tun, die sich in Ausdrücken wie ‚er ist in der Lage oder imstande … zu tun’ niederschlägt, als Metapher bezeichnet. Letztendlich handelt es sich bei einer Projektion – wir werden diesen Umstand im sechsten Kapitel mit Nelson Goodman genauer betrachten – um eine Metapher, eine Übertragung, einen Transfer, denn: „Eine verfügbare Ausdrucksweise wird auf eine neue Art von Fällen übertragen; ein neues Problem sehen und lösen wir im Licht und mit Hilfe einer alten sprachlichen Form.“[262] Wittgenstein hat also schon die Projektion als Metapher begriffen, Analogien konstituieren sich somit in linguistischen Übertragungshandlungen. Schneider bezeichnet die Projektion dementsprechend auch als Metapher, er unterscheidet aber die – von ihm vornehmlich betrachtete – ‚syntaktische Metapher’, in deren Vollzug ja ‚Komplexbildungsweisen’ oder „Fügungsweisen“[263], d.h. syntaktische Strukturen, wie etwa die Subjekt-Prädikat-Struktur, auf verschiedene Bereiche menschlichen Handelns projiziert werden von der traditionellen (‚lexikalischen’) Metapher, bei der „ein ‚lexikalisches’ Wort so verwendet wird, wie es der bis dahin üblichen Sprachpraxis nicht entspricht.“[264] Wir werden in Kapitel 7 auf die Problematik der Unterscheidung von Metaphern auf verschiedenen sprachlichen Ebenen zurückkommen.

Nun ist dieser metaphorischen Projektion, ob ‚syntaktisch’ oder ‚lexikalisch’, ähnlich wie Saussures analogischer Kreation, ja ein ‚konstitutiver Charakter’ inhärent.[265] Dabei handelt es sich um die Tatsache, dass die Übertragung einer Form von einer konventionellen Weise des Gebrauchs auf einen ‚neuen Bereich der Wirklichkeit’ sich nicht durch einen ‚eigentlichen’ Sprachgebrauch ersetzen lässt. Das ist auch der Grund warum Wittgenstein Analogien zwar oft als ‚irreführend’, ausdrücklich aber nicht als ‚falsch’ bezeichnet.[266] Sie haben eben ihre erkenntniskonstitutive Funktion und ermöglichen uns die Erschließung neuer Bereiche der Wirklichkeit. Folglich sind sie in den jeweiligen Sprachspielen unersetzlich, denn sie ‚tun ihre Schuldigkeit’.[267]

5.3 Regelbefolgung vs. Projektion

Wir wollen nun die Unterschiede und Gemeinsamkeiten sowie das Zusammenspiel von Regelbefolgung und Projektion, von gewöhnlichem Sprachgebrauch und Analogie, betrachten. Schneider spricht hier von ‚entgegengesetzten Seiten des Kontinuums’ sprachlicher „’Operationen’ der Phantasie“[268], die er als „Operationen in einem Kalkül“ auf der einen und die bereits erläuterten „Projektionsschritte“ auf der anderen Seite bestimmt. Da sich beide Handlungen in unterschiedlichem Maße der Phantasie bedienen, muss wohl auch die Regelbefolgung einen kreativen Kern enthalten, was im Folgenden gezeigt werden soll.

Die folgende kurze Erläuterung des Regelbegriffs in den Philosophischen Untersuchungen liefert die allgemeine Kritik am Regelbegriff der Zwei-Welten-Ontologie wie wir ihn in 2.1 skizziert haben. Wir orientieren uns in unserer Betrachtung der wittgensteinschen Auffassung vom Regelbefolgen an Christian Stetters Aufzählung von drei Aspekten des Befolgens einer Regel, die Wittgenstein hervorhebt: 1. den praktischen Aspekt, 2. den normativen Aspekt und 3. den sozialen Aspekt.[269]

Der praktische Aspekt bezieht sich auf den kreativen Akt in jeder Regelbefolgung, welcher uns hier am meisten interessiert. Entgegen der Annahme, das Einer-Regel-folgen bestehe in einem hermeneutischen Akt, in einem Akt der Deutung, stellt Wittgenstein fest, dass eine Regel deuten lediglich heißt: „einen Ausdruck der Regel durch einen anderen ersetzen“.[270] Zudem arbeitet er an verschiedenen Stellen heraus, dass ein Regelausdruck genauso wie seine Deutung, die ja den Regelausdruck nur durch einen anderen ersetzt, nicht a priori ihre Befolgung unmissverständlich festlegen kann. „Jede Deutung hängt, mitsamt dem Gedeuteten in der Luft; sie kann ihm nicht als Stütze dienen. Die Deutungen allein bestimmen die Bedeutung nicht.“[271]

Jede Regel stellt vielmehr in ihrer Form als eine allgemeine Anweisung den Regelanwender vor die Frage, ob und wie er die Regel im je speziellen Fall anwenden soll. Die Anwendung der Regel selbst kann nicht geregelt sein, weil diese Regelung der Regel auch missverständlich wäre und wiederum einer Regel bedürfte etc., so dass wir zu folgendem Schluss kommen: „Das Befolgen einer Regel kann letztlich nicht selbst geregelt sein; andernfalls geriete man in einen infiniten Regress.“[272] Somit muss man „die Anwendung der Regel im besonderen Fall“ eben „ohne Führung machen.“[273] Es gibt nämlich keinen Regelausdruck, der „keinen Zweifel eindringen“[274] lässt, das ‚Spiel’, welches wir mit den Wörtern unserer Sprache spielen „ist nicht überall von Regeln begrenzt“[275]. Am Ende ist der Gebrauch der Sprache ein Handeln, wir vollziehen den Sprechakt spontan, eben ‚ohne Führung’.[276] Der Regel folgen’ ist eine Praxis.[277] und zwar eine kreative Praxis, denn „auch die erprobteste Regelanwendung fordert immer wieder einen Schritt der Phantasie.“[278] Auch die abgedroschensten Sprechhandlungen bergen in sich einen kreativen Kern. Die Bedeutung einer Regel zeigt sich nun mit Wittgenstein in diesem Akt ihrer Befolgung, in der praktischen Anwendung.

Die Projektionen finden wir wie gesagt am anderen Pol kreativer sprachlicher Handlungen, da sie weitaus größeres kreatives Potential voraussetzen. Schneider setzt die beiden Grenzfälle phantasievoller Handlungen auch als „Kalkül und Phantasie“[279] gegeneinander und bezeichnet die „Ineinanderschachtelung von Rechen- und Projektionsschritten“ mit Wittgenstein „als ein charakteristisches Merkmal natürlicher Sprachen“[280]:

„Das Einverständnis, das Gelingen im Handeln, erfordert in jedem Einzelschritt Übertragungsfähigkeit, ‚Phantasie’; es ermöglicht dann aber den Aufbau komplexer Handlungen, deren Muster auf neue Fälle schematisch angewendet werden können; es werden nach Regeln Strukturen erzeugt (‚Kalkül’). Sind sie vorhanden und beherrscht, laden sie zu Übertragungen, Projektionen, ‚Mißbräuchen’ ein, d.h. zu neuen, nicht schematisch erreichbaren Schritten.“[281]

Dies besagt, dass jede Analogie letztenendes aus einem durch den regelmäßigen Gebrauch seiner Elemente konstituierten Zeichensystem hervorgeht. Oder wie wir im Abschnitt 3.3.1 mehrmals in Bezug auf die Analogie bei Saussure betonten, wird jede innovative Form aus der bestehenden langue heraus gebildet, ist somit keine creatio ex nihilo, sondern hat ihre Grundlage im überkommenen Zeichensystem.

Diesen systematischen, konventionellen Aspekt der Regelbefolgung, der als Voraussetzung von Regelbrüchen, Projektionen, analogischen Handlungen notwendig ist, finden wir in den beiden anderen Seiten – der normativen und sozialen Seite – der Regelbefolgung aufgehoben, die ich nun kurz erläutere. Dies geschieht ohne eine weitere Unterscheidung der beiden Aspekte, die für unsere Zwecke nicht nötig ist, weil die normative und soziale Seite eng miteinander verknüpft sind.

Der normative Zwang ergibt sich daraus, dass ein Verstoß gegen eine Regel von anderen Mitgliedern der Sprach- und Lebensgemeinschaft sanktioniert wird. Wittgenstein schreibt: „Einer Regel folgen, das ist analog dem: einen Befehl befolgen. Man wird dazu abgerichtet und man reagiert auf ihn in bestimmter Weise.“[282] Durch Abrichtung und die Sanktionierung unerwünschten Verhaltens wird die Regelmäßigkeit der Regelbefolgung durch den Einzelnen sichergestellt. Schon das Hineinwachsen in eine Gemeinschaft ist wesentlich mit der Abrichtung, mit dem Erlernen ihrer Regeln, der Gepflogenheiten, verbunden, die man sodann „blind“ befolgt.[283]

Hier sind wir auch schon beim sozialen Zug des wittgensteinschen Regelbegriffs angelangt. In PU 199 macht Wittgenstein deutlich, die „Grammatik“ des Wortes „Regel“ lasse es nicht zu, dass „ein einziges Mal nur ein Mensch einer Regel gefolgt“[284] sei. Demnach ist es ein notwendiges Charakteristikum der Regel, dass sie in einer Gemeinschaft existiert und befolgt wird: „Einer Regel folgen, eine Mitteilung machen, einen Befehl geben, eine Schachpartie spielen sind Gepflogenheiten[285]. Hier wird auch der historische Charakter der Rede, ihre Konstitution durch wiederholte Anwendung in einer Gruppe deutlich.

Damit von einer Regel gesprochen werden kann – Wittgenstein argumentiert dafür aufwändig in seiner Widerlegung der Möglichkeit einer privaten Sprache – ist Öffentlichkeit zur Kontrolle der richtigen Regelbefolgung eine notwendige Bedingung: So ist es nicht ausreichend, dass jemand glaubt, einer Regel zu folgen, damit wir auf die tatsächliche korrekte Regelbefolgung schließen können. In einer privaten Sprache, deren Wörter allein für einen einzelnen Sprachbenutzer gelten sollen, sind aber der Glauben, die Regel zu befolgen und die korrekte Regelbefolgung nicht voneinander zu trennen. Die Privatsprachenproblematik soll hier aber nicht näher betrachtet werden.[286]

Die Existenz einer Regel, eine Gepflogenheit setzt also eine Gemeinschaft voraus, eine Lebensform, deren Mitglieder sich in Sprachspielen, im sprachlichen wie nichtsprachlichen Handeln, wechselseitig auf regelmäßige Verhaltensweisen abrichten und Fehlverhalten sanktionieren. Somit können wir auch das Gebrauchsprinzip der Bedeutung konkretisieren. Man kann zwar sagen: „Alle Bedeutungen der Wörter konkretisieren sich in ihrem Gebrauch innerhalb eines Sprachspiels.“[287] Allerdings reicht der Gebrauch alleine nicht aus. Wir können z.B. an Platons Hermogenes denken, dessen radikaler sprachlicher Konventionalismus Kommunikation verunmöglichen würde.[288] „Doch die bloße Verwendung von Wörtern bildet noch keine Sprache. Erst die Regelhaftigkeit im Gebrauch ermöglicht das Sprachspiel.“[289] Diese Regelhaftigkeit findet sich aber nur in einem sozialen Zusammenhang, einer Gemeinschaft. Das Gebrauchsprinzip bezieht sich nicht nur auf die produktive Seite der Bedeutungskonstitution, sondern beinhaltet auch ihren sozialen und historischen Aspekt, nämlich die regelmäßige Handlungsweise der Mitglieder der Gemeinschaft in der Zeit, ihr kontinuierliches Spiel mehr oder weniger bestimmter Sprachspiele.

Nach dieser kurzen Untersuchung des Verhältnisses von Regelfolgen und Regelmissbrauch oder kreativem Regelbruch, d.h. der Projektion, werden wir uns im folgenden Kapitel der Metaphorizität der Analogie widmen. Dies tun wir mit einer kurzen Einführung des Goodmanschen Metaphern- oder Transferbegriffs, der uns eine systematische Begrifflichkeit auf der Grundlage eines extensionalen Zeichenbegriffs liefert, die uns in unserer abschließenden Synthese des saussureschen Analogie- und des wittgensteinschen Projektionsbegriff als eine unabhängige Terminologie von großem Nutzen sein wird.[290]

6 Die Metaphorizität der Analogie

Um ein Verständnis des goodmanschen Metaphernbegriffs zu gewährleisten, wird hier zunächst die nötigste Terminologie seiner allgemeinen Symboltheorie erläutert. Nelson Goodman hat einen sehr weiten Symbolbegriff.[291] Die Sprache ist nur ein Symbolsystem neben anderen wie Kunst, Wissenschaft und sogar der Wahrnehmung. Von Goodmans Philosophie kann man sagen, dass sie den Ansatz der sprachanalytischen Philosophie weiterentwickelt, weil sie alle symbolischen Prozesse als erkenntnisschaffend ansieht, um daraus folgend eine allgemeine Symboltheorie zu entwickeln. Goodman könnte demnach als ein Vertreter des medial turns verstanden werden[292]. Er selbst sieht sich in der Tradition Kants und des linguistic turns. So schreibt er in der Einleitung seines Buches „Weisen der Welterzeugung“, dieses gehöre „zur Hauptströmung der modernen Philosophie …, die damit begann, daß Kant die Struktur der Welt durch die Struktur des Geistes ersetzte, in deren Fortführung C.I. Lewis die Struktur der Begriffe an die Stelle der Struktur des Geistes treten ließ, und die nun schließlich dahin gekommen ist, die Struktur der Begriffe durch die Strukturen der verschiedenen Symbolsysteme der Wissenschaften, der Philosophie, der Künste, der Wahrnehmung und der alltäglichen Rede zu ersetzen.“[293]

Diese verschiedenen Symbolsysteme liefern uns ‚Beschreibungsweisen’, mittels derer wir Weltversionen für die verschiedensten Zwecke kreieren: „Wir sind bei allem, was beschrieben wird, auf Beschreibungsweisen beschränkt. Unser Universum besteht sozusagen aus diesen Weisen und nicht aus einer Welt oder aus Welten.“[294] Symbolsysteme ermöglichen also Welterkenntnis, indem wir in ihnen Weltversion erschaffen. Neue Weltversionen entstehen immer aus alten Weltversionen anhand verschiedener Arten der Welterzeugung.[295] Was Goodman glaubt finden oder vielmehr erschaffen zu können ist eine „sie alle umfassende[] Organisation“[296]. Er geht dabei den Weg „einer analytischen Erforschung von Typen und Funktionen von Symbolen und Symbolsystemen.“[297] Denn Weltversionen sind uns in Symbolsystemen gegeben.

6.1 Aufbau eines Symbolsystems

Wie erwähnt haben wir es bei Goodmans Zeichenbegriff mit einem extensionalen zu tun, d.h. es findet eine klare Trennung zwischen der formalen, syntaktischen Seite eines Zeichensystems, dem Symbol schema und der Anwendung eines solchen, dem Schema im Gebrauch, statt, welches erst ein Symbol system genannt wird.[298]

Wenn wir auf einen Gegenstand oder eine Eigenschaft bezugnehmen, wenden wir dafür ein Etikett an. Ein Etikett gehört zu einer ‚Familie von Alternativen’[299], einem Schema, und funktioniert nur in, nicht isoliert von einem solchen. Denn: „Wir kategorisieren durch Mengen von Alternativen.“[300] Hier klingt das saussuresche Prinzip der Differenz an. Ein Etikett, das der Einordnung eines Gegenstands in eine Kategorie dient, hängt in seiner Bedeutung und seiner Extension von den anderen im jeweiligen Kontext anwendbaren Etiketten ab. „Was als rot gilt, variiert etwas, und zwar abhängig davon, ob Gegenstände als rot oder nicht rot oder als rot oder orange oder gelb oder grün oder blau oder violett klassifiziert werden.“[301]

Welches Schema wir anwenden, ob eines mit starkem „Auflösungsgrad“[302], d.h. einer großen Menge von unterscheidenden Etiketten, oder ein grobkörniges, hängt von Gewohnheit und Kontext ab, von dem jeweiligen Sprachspiel, das wir spielen. So verwenden wir ein gröberes Farbschema, wenn wir auf einen Menschen in einer Menge hinweisen wollen als wenn ein Modedesigner eine neue Oberbekleidungs-Kollektion entwirft. In dem einen Fall z.B. wenden wir auf eine Jacke das Etikett blau’ an, während der Modedesigner vielleicht auf dieselbe Jacke das Etikett ‚indigo’ anwendete.

Der Ausdruck Symbolschema ist eine rein syntaktische Kategorie. Er bezieht sich bei Goodman allein auf eine Familie von Etiketten als einer rein formalen Menge von alternativen Zeichengestalten, abstrahiert von ihrer Anwendung auf eine Sphäre. Von einer Sphäre sprechen wir, wenn der Gebrauch eines Schemas ins Spiel kommt, es ist der Bereich von Gegenständen, der durch ein Schema sortiert wird, auf den die Etiketten bezugnehmen. Das auf eine Sphäre angewendete Symbolschema, das Symbolschema im Gebrauch ist ein Symbolsystem. Der Begriff ‚Symbolsystem’ beinhaltet bei Goodman also immer einen semantischen Aspekt, eine Bezugnahme auf eine Sphäre. Ein Schema kann auf verschiedene Sphären angewendet werden. Genauso kann eine Sphäre durch verschiedene Schemata sortiert werden.

Das Verhältnis von einer Sphäre und dem sie ordnenden Schema ist aber nicht so einfach, wie es hier geschildert wurde. Denn Gegenstände, ja die Welt, existieren für uns ja nur in Symbolsystemen, welche eine erkenntnisschaffende Funktion haben. Also kann eine Sphäre von Gegenständen nicht vorgängig zu und unabhängig von ihrer Sortierung durch ein Symbolschema existieren. Die Gegenstände einer Sphäre werden gleichermaßen mit ihrer Organisation durch ein Symbolschema geschaffen. Das Erkennen und das Wiedererkennen von Einzeldingen sowie das Erkennen von Sphären von Gegenständen sind nur unter der Voraussetzung einer Ordnung mittels eines Symbolschemas möglich. „Identifikation beruht auf der Einteilung in Entitäten und Arten“[303] und „Wiederholung ist ebenso wie Identifikation relativ zu Organisation.“[304] Wir haben es somit auch bei Goodman mit einer erkenntniskonstitutiven Funktion von Symbolen zu tun, allerdings ist diese nicht auf Sprachzeichen beschränkt.

In der anschließenden Betrachtung der Metapher werden wir sehen, wie ein konventionell auf eine bestimmte Sphäre angewendetes Symbolschema dazu dienen kann, auf eine andere Sphäre transferiert, Ordnung in diese zu bringen.

6.2 Die Metapher

Goodman nennt eine Metapher – metaphorisch – den Transfer eines Etiketts und des mit ihm assoziierten Schemas von seiner „Heimatsphäre“, der Sphäre seiner „Naturalisierung“[305] auf eine andere oder die Verlagerung oder Umkehrung eines Schemas innerhalb einer Sphäre. Das heißt, wird ein Etikett oder ein gesamtes Schema von der Sphäre, auf die es lange gewohnheitsmäßig angewendet wurde, auf eine neue Sphäre übertragen, so spricht Goodman von Metapher.

Die Möglichkeiten des Transfers von Schemata sind unbegrenzt, d.h. wir können ein beliebiges Schema nahezu auf beliebige Sphären übertragen. Allerdings wird diese „Neuorientierung eines ganzen Netzwerkes von Etiketten“[306] in ihrer Anwendung auf die neue Sphäre von ihrer vorherigen Benutzung gelenkt, ist also nicht vollkommen willkürlich. „Selbst dort, wo einer höchst merkwürdigen und fremdartigen Sphäre ein Schema aufgezwungen wird, dirigiert vorausgegangene Praxis die Anwendung von Etiketten.“[307] So kann ich etwa unser Schema zur Kategorisierung von Temperaturgraden auf „Töne, Schattierungen, Persönlichkeiten oder auf Näherungsgrade an eine richtige Antwort“ übertragen; „aber welche Elemente in der gewählten Sphäre warm sind oder wärmer als andere, das ist dann in hohem Maße festgelegt.“[308]

Goodman unterscheidet analog zu unserer in Abschnitt 5.3 erfolgten Abgrenzung von Regelbefolgung und Projektion die Metapher von der „routinemäßigen Projektion“[309]. Beide bedeuten zwar einen innovativen Umgang mit Symbolen, aber nur die Metapher bricht mit überkommenen Regeln, während die ‚routinemäßige Projektion’ eine konventionelle, kalkülhafte Symbolverwendung bedeutet[310]: „Jedes Zutreffen eines Prädikats auf ein neues Ereignis oder einen neu gefundenen Gegenstand ist neu; aber eine derartige routinemäßige Projektion begründet noch keine Metapher.“[311] Um von einer Metapher zu reden, muss vielmehr die Routine, die konventionelle Regelbefolgung aufgekündigt werden, der metaphorische Gebrauch handelt der Regel zuwider, er bricht mit der Gepflogenheit. Während die routinemäßige Projektion das „bloße[s] Anwenden eines vertrauten Etiketts auf neue Dinge“ ist, wenden wir es bei der Metapher „auf neuartige Weise“[312] an. Als „kalkulierte Kategorienverwechslung“[313] bewirkt die Metapher eine Spannung zwischen Regelbruch und Konvention:

„[E]ine Metapher ist eine Affäre zwischen einem Prädikat mit Vergangenheit und einem Gegenstand, der sich unter Protest hingibt. Bei der routinemäßigen Projektion wendet die Gewohnheit ein Etikett auf einen noch nicht entschiedenen Fall an. Eine willkürliche Anwendung eines neugeprägten Ausdrucks wird ebenfalls nicht durch eine frühere Entscheidung gestört. Aber die metaphorische Anwendung eines Etiketts auf einen Gegenstand setzt sich über eine explizite oder stillschweigende frühere Ablehnung dieses Etiketts für diesen Gegenstand hinweg. Wo es Metaphern gibt, gibt es Konflikte“.“[314]

Der Konflikt entbrennt durch die doppelte Verwendungsweise des metaphorischen Ausdrucks. „Bei der Metapher … wird ein Ausdruck mit einer durch Gewohnheit etablierten Extension anderswo unter dem Einfluß dieser Gewohnheit angewandt; hier liegt sowohl Abweichen von als auch Achtung vor dem Vorhergehenden vor.“[315]

Goodman unterscheidet verschiedene „Modi der Metapher“[316], die er in zwei Klassen unterteilt: zum einen können wir es bei einer Metapher mit einem „Transfer eines Schemas zwischen disjunkten Sphären“[317] zu tun haben zum anderen mit dem Transfer eines Schemas innerhalb einer Sphäre oder zwischen sich überschneidenden Sphären. Auf der einen Seite finden sich Personifikation, Synekdoche und Antonomasie, auf der anderen Hyperbel, Untertreibung, Ironie etc.

Symbolsysteme sind nun – auch für Goodman – von Metaphern durchzogen, „Metaphern durchdringen jeden normalen oder speziellen Diskurs“[318]. Den Grund für die Metaphorizität eines Symbolsystems sieht Goodman im „Bedürfnis nach Ökonomie“, in der unser Gedächtnis entlastenden Wirkung von Metaphern:

Der „unablässige Gebrauch von Metaphern entspringt nicht nur der Liebe zur literarischen Farbigkeit, sondern auch dem dringenden Bedürfnis nach Ökonomie. Wären wir nicht in der Lage, Schemata ohne weiteres zu übertragen, um neue Sortierungen und Ordnungen hervorzubringen, dann müßten wir uns mit unhandlich vielen verschiedenen Schemata belasten, und zwar entweder durch Übernahme eines ungeheuer großen Vokabulars elementarer oder durch Erarbeitung außerordentlich vieler zusammengesetzter Ausdrücke.“[319]

Diese Argumentation erinnert an Saussures Begründung für die analogische Verfasstheit der (zumindest morphologischen Ebene der) Sprache, die er auf die Beschränktheit des menschlichen Gedächtnisses sowie das Bedürfnis nach Ökonomie in der langue zurückführt, auf das Bedürfnis nach Symmetrie.[320]

Allerdings ist hier nochmals auf die ordnende Funktion des Transfers eines Schemas zurückzukommen. Sei es die neue Ordnung einer schon bekannten und bereits auf andere Weise geordneten Sphäre oder die Erschließung einer neuen Sphäre mittels des Transfers eines Schemas; immer haben wir es mit der Kreation einer neuen Weltversion, mit der Konstitution von Welt, von Erkenntnis zu tun. Die Metapher lässt sich somit als umfassende ‚Weise der Welterzeugung’ verstehen, die der Tilgung, Ergänzung, wie (Neu-)Ordnung, Komposition und Dekomposition etc. von Weltversionen fähig ist.

7 Parasemische Schöpfung, Projektion und Metapher

Wir haben nun ausführlich die analogische Verfasstheit der Sprache wie auch anderer Symbolsysteme betrachtet, die sich auf den erkenntnisschaffenden und ökonomischen Charakter der Analogie gründet. Im Laufe dieser Arbeit sind uns aber drei unterschiedliche Analogie- oder Metaphernbegriffe begegnet: die morphologische Metapher bei Saussure, die syntaktische Metapher oder Projektion und die ‚lexikalische’ Metapher bei Wittgenstein und Schneider. Soeben haben wir Goodmans umfassenden, sich auch auf andere Symbolsysteme außer der Sprache beziehenden, Metaphernbegriff erläutert.

In diesem Kapitel geht es zuerst darum, die Problematik einer Unterscheidung zwischen verschiedenen Phänomenen der Metapher oder Analogie darzustellen, um darauf aufbauend die bisher betrachteten Analogietypen unter einem Prinzip zu vereinen.

7.1 Die Problematik einer Unterscheidung verschiedener Analogieformen

Die anschließende Betrachtung der Problematik einer Unterscheidung von morphologischer, lexikalischer und syntaktischer Analogie nimmt eine Frage auf, die sich im Zuge der Betrachtung der analogischen Kreation bei Saussure und der kreativen Projektion bei Wittgenstein und Schneider immer wieder aufdrängte: Haben wir es bei diesen metaphorischen Prozessen nicht mit einer Betrachtung unterschiedlicher sprachlicher Handlungen auf verschiedenen Ebenen der Sprache zu tun? Befasst sich nicht Saussure mit der Kreation neuer Wörter auf morphologischer Ebene, während es sich bei einer Metapher um die Schaffung neuer Wort bedeutungen durch einen innovativen Gebrauch von alten Wörtern handelt oder bei der Projektion eines syntaktischen Gefüges um ein entsprechend s yntaktisches Phänomen?

Saussure hat die Problematik wie folgt formuliert[321]:

„[E]ine Schwierigkeit wird darin bestehen, die parasemische Schöpfung vom parasemischen Einfluß abzugrenzen, der den Sinn eines sème vollständig verändern kann, ohne daß wir erkennen würden, daß es ein anderes sème ist. Wenn aber die ‚Form’ ändert, sagen wir ausdrücklich, daß es ein anderes sème ist. Ist dieser Unterschied gerechtfertigt?“[322]

Der ‚parasemische Einfluss’ resultiert nämlich zum großen Teil aus (‚lexikalischen’) Metaphern, wie wir gleich mit Goodman zeigen werden.[323] Diese Frage berührt also die Frage nach der Unterscheidung von Morphologie und Lexikologie.

Inwiefern können wir es beim parasemischen Einfluss mit dem Produkt des Transfers von Etiketten oder Schemata zu tun haben? Wie oben bereits angedeutet, ähnelt sich die Rede Goodmans vom Symbolschema als einer ‚Familie von Alternativen’ sehr dem saussureschen Prinzip der Differenz. „Wir kategorisieren durch Mengen von Alternativen“, durch Mengen von Etiketten, d.h. durch Symbolschemata. Dabei funktioniert jedes Etikett „nicht isoliert, sondern in seiner Zugehörigkeit zu einer Familie“[324]. Jeder Transfer bedeutet eine „Neuorientierung eines ganzen Netzwerkes von Etiketten“[325], d.h. jeder unkonventionelle Gebrauch eines Etiketts eines Schemas – wie z.B. die Metapher – wirkt sich verändernd auf den Gebrauch aller Etiketten des Schemas aus. Der Transfer eines Etiketts auf eine andere Sphäre ändert für dieses Sprachspiel die Bedeutung eines gesamten Etikettennetzwerks, erschafft gewissermaßen eine ganze Reihe neuer parasèmes. Dieses Phänomen lässt sich – neben anderen[326] – als parasemischer Einfluss verstehen und es handelt sich um eine Wirkung der– von uns so kategorisierten – lexikalischen Metapher.

Im Anschluss an das ‚große Prinzip’, welches ja zur Identifikation linguistischer Einheiten den Rekurs auf die ‚Sinn-Formen’ des Sprecherbewusstseins festschreibt, lässt sich an der klaren Unterscheidung zwischen Morphologie und Lexikologie als Unterteilungen der Grammatik zweifeln. So macht Saussure die Ignoranz des doppelten Charakters des Zeichens, der Entgegensetzung von sème und aposème, verantwortlich für fragwürdige Kategorisierungen in der Grammatik:

„Die Sprache [langue] hat eine physische und eine psychische Seite. Der unverzeihliche Irrtum aber, der sich auf tausenderlei Weise in jeden Abschnitt einer Grammatik übertragen wird, besteht darin, zu glauben, daß die psychische Seite der Begriff, die physische Seite hingegen der Laut, die Form, das Wort sei. Die Dinge sind ein wenig komplizierter.“[327]

Wir werden zur Konkretisierung dieser Unklarheiten traditioneller Grammatiken auf einen Gedankengang Saussures aus seiner zweiten Genfer Vorlesung rekurrieren, in deren Folge er die Unterscheidung zwischen Morphologie und Grammatik, zwischen Lexikologie und Grammatik als „illusorisch“ bezeichnet.

Saussure geht auch hier von dem Prinzip aus, dass wir eine identische, differenzierte Form nur in Hinsicht auf ihre Bedeutung, ihren je bestimmten Gebrauch, haben und zieht für die klassischen linguistischen Einteilungen die entsprechenden Schlüsse: “Die Morphologie … Bezieht sie sich auf einen wesentlich anderen Begriff als den der Grammatik? Man wird antworten: Die Grammatik befasst sich mit den Funktionen der Formen, wohingegen die Morphologie ihre Zustände ermittelt.“[328] So bestimme z.B. die Morphologie die Genitivform eines Wortes, während die Grammatik uns sagt, wann wir sie zu verwenden haben.

Saussure behauptet dagegen:

„Diese Unterscheidung ist illusorisch. Man kann nicht anders als über ihre Bedeutung Einheiten separieren. Jedesmal, wenn man die verschiedenen Formen derselben Deklination feststellt, stellt man fest, dass die unterschiedlichen Formen eine unterschiedliche Funktion haben.[329]

Eine Flexionsform existiert nur in Differenz zu den anderen Flexionsformen eines Paradigmas und „diese Differenz ist nichts anderes als die Differenz der Funktionen.“[330] Mit anderen Worten: Unterschiedliche Einheiten unserer Sprache etablieren sich in Differenz zu anderen Einheiten. Diese Differenzen zwischen Einheiten wiederum sind Produkt des unterschiedlichen Gebrauchs von Zeichen. Saussure zieht den Schluss: „Das Studium der Formen und der Funktionen“, „Morphologie und Grammatik, das ist dasselbe.“[331] Schließlich wirkt das Prinzip der Differenz auf allen grammatischen Ebenen in derselben Art und Weise.

Darüberhinaus betrachtet Saussure die Unterscheidung von Lexikologie und Grammatik und fragt entsprechend: „Ist die Lexikologie eine wohl unterschiedene Unterbteilung [der Grammatik]?“[332] Auch diese Unterscheidung sieht Saussure als illusorisch an und begründet diese Behauptung damit, dass sich dieselben Bedeutungsunterschiede (z.B. Aktiv vs. Passiv, Perfekt vs. Imperfekt) in der einen Sprache morphologisch und in der anderen Sprache lexikologisch realisieren.[333] Saussures Urteil über die theoretische Begründung der Einteilungen der Grammatik lautet schließlich, obwohl sie in der linguistischen Praxis von Nutzen sein mögen und es übertrieben wäre, sich vor ihnen zu hüten[334]: „Wenn man rational versucht, zwischen allen diesen in der Praxis angewendeten Unterteilungen Trennlinien zu ziehen, gelangt man auf keinen soliden Boden.“[335]

Ich werde hier dem Gedankengang der Genfer Vorlesung nicht weiter folgen. Eine Betrachtung von Saussures ‚rationaler’ Unterteilung der Grammatik in die ‚assoziative’ oder ‚intuitive’ sowie ‚diskursive’ oder ‚syntagmatische’ Ebene, an deren Schnittpunkt sich der jeweilige, synchronische Wert einer sprachlichen Einheit bestimmt, bleibt hier aus.[336] Vielmehr geht es mir hier darum, Saussures Gedanken der Ununterscheidbarkeit der traditionellen grammatischen Ebenen aufzunehmen, einer Ununterscheidbarkeit, die sich darauf gründet, dass wir für die Bestimmung unterschiedlicher morphologischer, wie lexikalischer oder syntaktischer Formen das gleiche Kriterium, nämlich einen Unterschied in ihrer Funktion, in ihrem Gebrauch, heranziehen müssen.

7.2 Analogie als „grammatische Bewegung“

Die erläuterte Problematik der Unterscheidung verschiedener grammatischer Metaphern benutze ich als Anlass für eine Reduzierung unterschiedlicher Metapherntypen auf ein Grundprinzip der Metapher/Analogie: Die Analogie oder Metapher ist der Transfer, die Übertragung einer sprachlichen Form, vom Kontext ihres gewöhnlichen, routinemäßigen Gebrauchs in einen neuen ungewöhnlichen Gebrauchskontext. Dabei handelt es sich um eine freie, improvisierte, phantasievolle Handlung, die im Rahmen des Diskurses, der Interaktion zwischen Individuen stattfindet.

Diese Beschreibung ist allgemein genug gehalten, um von der morphologischen bis zur syntaktischen Metapher alle genannten Formen der Metapher zu umfassen. Warum Saussure seine ausführliche Untersuchung der Analogie auf die morphologische Ebene beschränkt, ist unklar. Aus der Behauptung der Ununterscheidbarkeit der grammatischen Ebenen hätte er eine Erweiterung seines Analogiemodells folgern müssen. In einer note über „[d]ie Rede, Ort der Veränderungen“ setzt er die Analogie mit einer grammatischen Veränderung gleich: „Alle Veränderungen [modifications], seien es phonetische oder grammatische (analogische), entstehen einzig und allein in der Rede [dans le discursif].“[337] Saussure hat also die Analogie als ‚grammatisches’ Phänomen bezeichnet und hätte sie in letzter Konsequenz breiter konzeptionieren müssen, indem er auch den Transfer lexikalischer wie syntaktischer Einheiten darunter subsumiert.[338] Das habe ich nun in dieser Arbeit getan, indem wir die verschiedenen Konzeptionen auf ein Prinzip zurückgeführt haben.

Saussure spricht also von der Analogie als ‚grammatischem Wandel’ und auch bei Wittgenstein hatten wir die Analogie ja als Wirkung von Projektionen interpretiert, welche wir als die Anwendung einer überkommenen in bestimmten Sprachspielen routiniert verwendeten sprachlichen Form auf neue Bereiche der Wirklichkeit, des Handelns explizierten. Dabei werden mit der Projektion oberflächengrammatischer Formen von einem Bereich des (sprachlichen) Handelns die neuen Bereiche erst konstituiert. Schneider selbst hat seine Betrachtung auf die Projektion des Subjekt-Prädikat-Schemas beschränkt. Allerdings findet sich in den Philosophischen Untersuchungen Wittgensteins eine solche Verwendung traditioneller grammatischer Unterscheidungen gar nicht mehr. Wittgensteins Grammatikbegriff ist im Spätwerk sehr allgemein und die Grammatik eines Zeichens ist sein Gebrauch in Sprachspielen, seine Funktion in der Sprache. Ich bin der Meinung, dass Wittgensteins Grammatikbegriff sich mit dem Grammatikbegriff Saussures hinreichend deckt, den ich ausgehend von der Problematik der Unterscheidbarkeit verschiedener grammatischer Ebenen angedeutet habe. Der Frage nach dem Gebrauch von ‚Grammatik’ bei Saussure und Wittgenstein und inwiefern dieser übereinstimmt kann hier – so interessant sie auch ist – nicht weiter nachgegangen werden.[339]

Schließlich möchte ich vorschlagen, diese sprachlichen Phänomene, auf die im Verlaufe dieser Arbeit mit den verschiedensten Etiketten – Analogie, Projektion, (morphologische, lexikalische, semantische) Metapher, Transfer, parasemische Schöpfung, grammatischer Wandel – Bezug genommen wurde, unter einem weiteren – von Wittgenstein geborgten – Etikett zusammenzufassen, das meiner Meinung das Phänomen am treffendsten beschreibt.

Dieses Etikett ist „die grammatische Bewegung“. Wir finden es in den Philosophischen Untersuchungen, wo Wittgenstein es im Rahmen einer erneuten Auseinandersetzung mit dem Solipsismus, in seiner „Neuauflage der Gesichtsfeldmetapher aus dem Tractatus“[340] benutzt, um die „neue Sprachweise“, den „neuen Vergleich“, die „neue Empfindung“[341] eines Vertreters des Solipsismus zu charakterisieren: „Du deutest die neue Auffassung als das Sehen eines neuen Gegenstands. Du deutest eine grammatische Bewegung, die du gemacht hast: als quasi-physikalische Erscheinung, die du beobachtest.“[342] Wittgenstein nennt hier also das neue Bild – das ist im Übrigen das Bild des „visuellen Zimmers“[343] –, in das der Solipsist „das Ich und seine Wahrnehmungs- und Empfindungswelt“[344] fasst, also die neue Sprechweise über einen bereits normalsprachlich strukturierten Bereich der Wirklichkeit, des Handelns, eine ‚grammatische Bewegung’. Es handelt sich bei dieser gleichsam um eine Metapher, eine Projektion, die eine bestehende Weltversion durch ein geborgtes Schema neu sortiert.[345]

Die Bezeichnung ‚grammatische Bewegung’ scheint mir nach unserer Betrachtung der Problematik einer Unterscheidung verschiedener grammatischer Ebenen aus folgendem Grund sehr treffend: Dieser besteht in der Doppeldeutigkeit des Ausdrucks ‚grammatische Bewegung’. Es ist nämlich unklar, ob er sich auf eine Bewegung in der Grammatik, d.h eine Bewegung eines Teils der Grammatik – etwa der Transfer eines Schemas auf eine neue Sphäre – bezieht oder auf eine Bewegung, einen Wandel der Grammatik selbst. Und es sind ja gerade diese beiden Bewegungen, die eine Analogie oder Metapher mit sich bringt. Denn die parasemische Schöpfung, die Geburt einer Analogie aus der bestehenden langue, der Regelbruch, der unter der Führung der Regel stattfindet, wirkt immer zugleich auf das Regelsystem zurück und verändert es.

Eine bestehende Grammatik, ein bestehender Sprachgebrauch, lädt zu seiner Übertretung ein, evoziert Regelbrüche, Bewegung innerhalb der Grammatik. Im Nachhinein haben wir es aber auch mit einer veränderten, neuen Grammatik zu tun.

8 Schluss

Dieser Status der grammatischen Bewegung als durch bestehende Regeln geleitete Bewegung in der Grammatik wie auch einer Bewegung der Grammatik selbst, wird sehr deutlich in Saussures Reden von der Analogie als ‚grammatischem’ Phänomen, auf die ich hier noch einmal zurückkommen möchte: „Alles, was in der Synchronie einer langue ist, einschließlich der Analogie (= Konsequenz unserer Aktivität), lässt sich sehr gut in dem Term ‚Grammatik’ zusammenfassen, in seinem dem üblichen sehr ähnlichen Sinn.“[346] Ich möchte hier nun abschließend die Paradoxie dieser Ausdrucksweise verdeutlichen, um auf die Analogie als grundlegende Zerschlagung einer Zwei-Welten-Ontologie hinzuführen. Im obigen Zitat wird – mit der Etikettierung der Analogie als ‚grammatischem Wandel’ – ein Zwiespalt, eine Doppelbödigkeit der Analogie deutlich. Saussure setzt das Grammatische nämlich mit der Menge der Differenzen in der Synchronie gleich, weil wir es nur in einem Sprachzustand mit durch ihre Bedeutung differenzierten Einheiten zu tun haben, wie er nicht müde wird zu betonen.[347] Deswegen ist es paradox, die Analogie als für den sprachlichen Wandel, die Entfaltung der Diachronie der Sprache, hauptverantwortliches Phänomen, mit dem Prädikat ‚grammatisch’ zu versehen. Die Analogie stellt somit nicht nur den Ort der Veränderung der langue durch die parole dar, mit ihr wird nicht nur die einseitige Abhängigkeit der parole von der langue und somit eine Hierarchisierung des Verhältnisses der beiden Aspekte von Sprache erschüttert. In ihr berühren sich auch Synchronie und Diachronie, sowie die anderen von Saussure zu Begründung der Sprachwissenschaft entwickelten Dichotomien. Jäger schreibt dazu:

„Mit der Kategorie der Analogie ist … das Zentrum der Saussureschen Theorie erreicht. Denn unter diesem Begriff arbeitet Saussure jenen Wesensgrund der Sprache heraus, in dem die begrifflichen isolierten Wesensmomente Parole – Langue, Diachronie – Synchronie, syntagmatische – assoziative Zeichenbeziehungen, als realiter miteinander vermittelte und ineinander aufgehobene, die historisch-gesellschaftliche Dynamik der Sprache konstituieren.“[348]

Wenn man die klassischen Unterscheidungen der Grammatik benutzen will, so finden die grammatischen Bewegungen auf allen Ebenen statt, d.h es gibt nicht nur auf der Ebene der Morphologie, der Wortwahl und der Syntax stetig grammatische Bewegung, sondern auch auf der Ebene der Illokutionen. Diese ‚illokutive Analogie’ wird von Christian Stetter wie auch Hans J. Schneider angedeutet, wenn dieser von der „Übertragung (Verwendung einer alten Äußerung in einem neuen illokutiven Sinn; z.B. ‚es zieht’ als Aufforderung)“[349] und jener von der ‚analogischen Ausdifferenziertheit’ des „’Makrobereichs’ der Illokution“[350] spricht. Wir werden diese hier nicht weiter betrachten, verweisen nur auf die analogische Strukturiertheit der Illokutionen.[351] Allerdings dürfte es große Schwierigkeiten geben, diese von der ‚syntaktischen’ Analogie abzugrenzen.

Ich bilanziere im Anschluss an Stetter: Die Vertreter der Zwei-Welten-Ontologie haben zu einem „Verlust der Analogie“ beigetragen, der sich als theoretisches Defizit grundlegend auf die sprachwissenschaftliche Modellbildung auswirkt:

„Was indessen der Verlust der Analogie für die Leitvorstellungen von Sprachwissenschaft bedeutet, zeigt in nicht mehr zu überbietender Schärfe die Entwicklung, die Chomskys Mentalismus genommen hat. Mit dem Modularitätskonzept der generativen Theorie und mit der damit einhergehenden, die Differenz von noumenalen und materialen Objekten systematisch nivellierenden Rede vom ‚mind/brain’ ist die Idee von Sprache als noumenalem Objekt, an der Saussure doch immer entschieden festgehalten hatte, definitiv aufgegeben.“[352]

Wie ich in dieser Arbeit gezeigt habe, handelt es sich aber bei der Analogie um ein zentrales Prinzip der Sprachkonstitution wie ihres Wandels, welches jede Sprachtheorie zu berücksichtigen hat.

9 Literatur

Arroyo, Gustavo (2006): Wittgensteins analogisches Denken. Hamburg.

Birk, Andrea (2004): Vom Verschwinden des Subjekts. Eine historisch-systematische Untersuchung zur Solipsismusproblematik bei Wittgenstein.

Download unter: http://deposit.ddb.de/cgi-bin/dokserv?idn=973688610&dok_var=d1&dok_ext=pdf&filename=973688610.pdf (letzter Zugriff am 10.3.2007) ; Gedruckte Version mit demselben Titel: dies. (2006). Paderborn.

Bouquet, Simon (2004): Saussure’s unfinished semantics. In Carol Sanders (Hg.): The Cambridge Companion to Saussure. Cambridge, S. 205-218.

Buss, Mareike (2005): Gebrauchsspuren. Zeichen, System und Gebrauch bei Ferdinand de Saussure. In: Epping-Jäger, Cornelia/ Fehrmann, Gisela/ Linz, Erika (Hgg.): Spuren - Lektüren. Praktiken des Symbolischen. Festschrift für Ludwig Jäger. München, S.211-225.

Chomsky, Noam (1981): Regeln und Repräsentationen. Frankfurt am Main.

Derrida, Jacques (1974): Grammatologie. Frankfurt am Main

Derrida, Jacques (1986): Positionen. Gespräche mit Henri Ronse, Julia Kristeva, Jean-Louis Houdebine, Guy Scarpetta. Graz/Wien.

Derrida, Jacques (2001): Signatur Ereignis Kontext. In: ders.: Limited Inc, hg. von Peter Engelmann. Wien, S.15-45.

Derrida, Jacques (2004): Die différance. In: ders.: Die différance. Ausgewählte Texte. Mit einer Einleitung hg. von Peter Engelmann. Stuttgart, S.110-149.

Duden. Fremdwörterbuch (1997). Hg. und bearbeitet vom Wissenschaftlichen Rat der Dudenredaktion. Mannheim.

Fehr, Johannes (1992): Die Theorie des Zeichens bei Saussure und Derrida oder Jacques Derridas Saussure-Lektüre. In: Cahiers Ferdinand de Saussure 46. Genf, S. 35-54.

Fehr, Johannes (1997): Saussure: Zwischen Linguistik und Semiologie. Ein einleitender Kommentar. In: Saussure (1997), S.17-226.

Godel, Robert (1957): Les Sources Manuscrites du Cours de linguistique générale de F. de Saussure. Genf/Paris. [Zitiert als SM]

Goodman, Nelson (1990): Weisen der Welterzeugung. Übers. von Max Looser. Frankfurt am Main.

Goodman, Nelson (1997): Sprachen der Kunst. Entwurf einer Symboltheorie. Übers. von Bernd Philippi. Frankfurt am Main.

Jäger, Ludwig (1975): Zu einer historischen Rekonstruktion der historischen Sprach-Idee F. de Saussures. Inaugural-Dissertation, Universität Düsseldorf. Bübingen.

Jäger, Ludwig (1976): Ferdinand de Saussures historisch-hermeneutische Idee der Sprache. In: Linguistik und Didaktik 27, S. 210-244.

Jäger, Ludwig (1978): Ferdinand de Saussures semiologische Begründung der Sprachtheorie. In: Zeitschrift für Germanistische Linguistik (ZGL) 6.1, S. 18-30.

Jäger, Ludwig (1986): Der saussuresche Begriff des Aposème als Grundlagenbegriff einer hermeneutischen Semiologie. In: Ders./Christian Stetter (Hgg.): Zeichen und Verstehen. Akten des Aachener Saussure-Kolloquiums 1983. Aachen, S. 7-33.

Jäger, Ludwig (1994): Die Linguistik des Innern. Historische Anmerkungen zu den zeichen- und erkenntnistheoretischen Grundlagen der kognitivistischen Sprachwissenschaft. In: Ders./Bernd Switalla (Hgg.): Germanistik in der Mediengesellschaft. München, S. 291-326.

Jäger, Ludwig (2003): Einleitender Kommentar: Wissenschaft der Sprache. In: Saussure (2003), S.11-55.

Jäger, Ludwig (2004): Störung und Transparenz. Skizze zur performativen Logik des Medialen. In: Sybille Krämer (Hg.): Performativität und Medialität. München: Fink, S. 35-74.

Jäger, Ludwig (2005): Aposème und Diskurs. Saussures performatives Sprachdenken ‚avant la lettre’. [Unveröffentlichtes Typoskript.]

Keil, Geert (2006): Über die deskriptive Unerschöpflichkeit der Einzeldinge. In: ders. & Tietz, Udo: Phänomenologie und Sprachanalyse. Paderborn, S.83-125.

Krämer, Sybille (1996): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen? In: H. E. Wiegand (Hg.): Sprache und Sprachen in den Wissenschaften. Geschichte und Gegenwart. Berlin-New York, S. 372-403.

Krämer, Sybille (2001): Sprache, Sprechakt, Kommunikation. Frankfurt am Main.

Krämer, Sybille (2002): Sprache und Sprechen oder: Wie sinnvoll ist die Unterscheidung zwischen einem Schema und seinem Gebrauch? Ein Überblick. In dies./König, Ekkehard (Hg.): Gibt es eine Sprache hinter dem Sprechen?. Frankfurt am Main, S.97-125.

Lagemann, Jörg (1998): Dem Zeichen auf der Spur. Derrida – Eine Einführung, hg. von Klaus Gloy. Aachen.

Margreiter, Reinhard (1999): Realität und Medialität. Zur Philosophie des „Medial Turn“. In: Medien Journal. Zeitschrift für Kommunikationskultur , Themenheft: Medial Turn. Die Medialisierung der Welt. Bd.23, H.1, , S.9-18.

Platon (1994): Sämtliche Werke Band 3, übersetzt von Friedrich Schleiermacher und Hieronymus und Friedrich Müller (Briefe). Reinbek.

Puhl, Klaus (1998): Regelfolgen. In: Eike von Savigny (Hrsg.): Ludwig Wittgenstein – Philosophische Untersuchungen. Berlin, S.119-142.

Putschke, Wolfgang (1984): Die Arbeiten der Junggrammatiker und ihr Beitrag zur Sprachgeschichtsforschung. In: Werner Besch/Oskar Reichmann/Stefan Sonderegger (Hgg.): Sprachgeschichte. Ein Handbuch zur Geschichte der deutschen Sprache und ihrer Erforschung. Berlin, New York, Erster Halbband, S.331-347.

Saussure, Ferdinand de (1972): Cours de linguistique générale. Édition critique préparée par Tullio de Mauro. Paris. [Zititert als CLG]

Saussure, Ferdinand de (1989): Cours de linguistique générale. Édition critique par Rudolf Engler. Tome 1. Wiesbaden 1968 (21989) [Zitiert als EC]

Saussure, Ferdinand de (1997): Linguistik und Semiologie. Notizen aus dem Nachlaß. Texte, Briefe und Dokumente. Gesammelt, übersetzt und eingeleitet von Johannes Fehr. Frankfurt am Main.

Saussure, Ferdinand de (2003): Wissenschaft der Sprache. Neue Texte aus dem Nachlaß. Herausgegeben und mit einer Einleitung versehen von Ludwig Jäger. Übersetzt und textkritische bearbeitet von Elisabeth Birk und Mareike Buss. Frankfurt am Main.

Schneider, Hans Julius (1992): Phantasie und Kalkül. Über die Polarität von Handlung und Struktur in der Sprache. Frankfurt am Main.

Schwarz, H. (1971): “Analogie”. In: Joachim Ritter/ Karlfried Gründer (Hgg.): Historisches Wörterbuch der Philosophie, Band 1: A–C. Basel, Sp. 214-230.

Shannon, Claude (1949): Communication in the Presence of Noise. In: Proceedings of the Institute of Radio Engineers 37, S.10-21.

Stetter, Christian (1974): Sprachkritik und Transformationsgrammatik. Düsseldorf.

Stetter, Christian (1976): Die Idee der Semiologie bei Ferdinand de Saussure. Ein Beitrag zur Klärung des linguistischen Erkenntnisinteresses. In: Deutsche Sprache 4, 1976, S. 289 – 304.

Stetter, Christian (1992): „Ferdinand de Saussure“. In: Marcelo Dascal, Dietrich Gerhardus, Kuno Lorenz und Georg Meggle (Hgg.): Sprachphilosophie. Ein internationales Handbuch zeitgenössischer Forschung. Berlin/New York, 1. Halbband, S. 510-523.

Stetter, Christian (1996): Strukturale Sprachwissenschaft. In: Tilman Borsche, Hg. (1996): Klassiker der Sprachphilosophie. München S. 421 – 445.

Stetter, Christian (1997): Schrift und Sprache. Frankfurt am Main.

Wittgenstein, Ludwig (1964), Philosophische Bemerkungen, hg. von Rush Rhees, Schriften 2. Frankfurt am Main.

Wittgenstein, Ludwig (1984a): Das Blaue Buch. Eine Philosophische Betrachtung. Herausgegeben von Rush Rhees. Übersetzung des Blue Book und der Ergänzung der Philosophischen Betrachtung aus dem Brown Book von Petra von Morstein. Frankfurt am Main.

Wittgenstein, Ludwig (1984b): Philosophische Grammatik. Herausgegeben von Rush Rhees. Frankfurt.

Wittgenstein, Ludwig (1999): Werkausgabe Band 1. Tractatus logico-philosophicus [u.a.]. Frankfurt am Main, 12. Auflage. [PU]

Wittgenstein, Ludwig (2000): The Big Typescript, Wiener Ausgabe, Band 11. Wien.

Wuchterl, Kurt (1969): Struktur und Sprachspiel bei Wittgenstein. Frankfurt am Main.

[...]


[1] Erstmals verwendet sie den Ausdruck ‚Zwei-Welten-Bild’ der Sprache in Krämer (1999), S. 374. Den noch aussagekräftigeren Ausdruck „Zwei-Welten-Ontologie“ benutzt sie in Krämer (2001), etwa auf S.95 und in Krämer (2002), S.111.

[2] Vgl. Krämer (2001), S.9.

[3] Krämer (2001), S.14.

[4] Ziel dieser Arbeit ist es unter anderem, den authentischen Saussure als Kritiker eines solchen Zwei-Welten-Bildes auszuweisen. Zum authentischen vs. den fiktiven Saussure vgl. Jäger (1975) und Jäger (1976). Krämer selbst betont, dass sie sich auf den „fiktiven Saussure“ und somit auf den Cours de linguistique générale [Saussure (1972), im Folgenden zitiert als CLG] bezieht, dessen Edition die ‚sprachphilosophische Substanz’ des authentischen Saussure „verstümmelt und deformiert“ [vgl. Jäger (1975), S.2].

[5] Krämer 2002, S.98.

[6] Dies bezieht Krämer (2001), S.35 auf (den fiktiven) Saussure. Wir werden im Verlauf der Arbeit ein differenzierteres Bild der Sprachtheorie des ‚authentischen’ Saussure bekommen.

[7] John R. Searle unterscheidet Krämer zufolge das institutionelle Regelsystem einer Einzelsprache, welches wirksam wird, indem es sich in den Dispositionen der Individuen widerspiegelt, von einem universalen Sprechakt-Regelsystem, das im jeweiligen Regelsystem einer Einzelsprache realisiert ist. [Vgl. Krämer (2001), S.71f] Somit wäre jeder Sprechakt eine Anwendung a) unmittelbar der Einzelsprache, die „als Institution ein System konstitutiver Regeln verkörpert“ und b) mittelbar eines universalen sprechakttheoretischen Regelsystems [ebd.].

[8] Mit seinem „first conceptual shift“ von der deskriptiven Betrachtung einer E(xternen)-language zur explanativen Betrachtung der I(nternen)-language hat Chomsky das Objekt seiner Linguistik als ein internes, letztlich neuronal instantiiertes Subsystem des menschlichen kognitiven Apparates, als eine kognitive Struktur klassifiziert, welche als grammatische Kompetenz, als ein „knowledge of form and meaning“ bestimmte Aspekte – nämlich die grammatischen – der menschlichen Rede, d.h. der Performanz regele. [Vgl. Botha (1989), S.68-75]

[9] Habermas (1984): Vorstudien und Ergänzungen zur Theorie des kommunikativen Handelns. Frankfurt am Main, S.180 zitiert nach Krämer (1999), S.376.

[10] Weitere Implikationen des Zwei-Welten-Bildes der Sprache finden sich in Krämer (2001) auf S.98-103.

[11] Krämer (2001), S.98.

[12] Krämer (1999), S.373.

[13] Duden. Fremdwörterbuch (1997), S. 395.

[14] Puhl (1998), S. 124.

[15]. Ich werde lediglich im Wittgenstein-Kapitel, in Abschnitt 5.3 kurz darauf zu sprechen kommen.

[16] Krämer (2001), S.97. Vgl. zum ‚repräsentationalen Sprachkonzept’ unten 3.2.1 und 3.2.3.

[17] Ich denke hier an Chomskys Universalgrammatik, die als ein im mind/brain lokalisiertes System von gewissen universalen, fundamentalen Prinzipien und Parametern, den „initial state of the language faculty“ oder „the genetically encoded linguistic principles” darstellt, auf dem die ontogenetische Entwicklung jeder menschlichen Sprache fußt. [Vgl. Botha (1989), S.25-35.]

[18] Krämer (2001), S.98.

[19] Krämer (1999), 375.

[20] Krämer (2001), 10.

[21] Krämer (2001), S.105.

[22] Krämer (2002), S.103.

[23] Vgl. Chomsky (1981), S.88: “Die Sprache ist aber ein Epiphänomen.” Durch die Purifizierung bleibt bei Chomsky nur das grammatische Wissen, die ‚mentale Grammatik’ oder die ‚I-(nterne) Grammatik’ als reine Sprache und Untersuchungsgegenstand einer Linguistik übrig. Vgl. auch Jäger (1994), S.292-295 für eine knappe Skizze der „ kognitivistischen Modellierung des Sprachbegriffs “.

[24] Jäger (1994), 292.

[25] Krämer (2001), S.99.

[26] Der Term ‚Sprache’ bezieht sich im Folgenden, wenn nicht anders angemerkt, auf die orale Sprache. Saussure und Wittgenstein waren sich des Unterschieds und der Problematik des komplexen Verhältnisses dieser beiden Medien – von langue und écriture – durchaus bewusst, wenn sie auch häufig in ihre Beispiele nicht genug differenzieren. Wir werden aber diese mediale Frage hier nicht weiter thematisieren. Vgl. dazu Stetter (1997), S.117-29.

[27] Vgl. Saussure (1997), S.296, N 9.1 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Ausgangspunkt“: Die „wesentliche Aufgabe der Theorie der Sprache [‚langage’]“ besteht darin, „zu entwirren, was es mit unseren ersten Unterscheidungen auf sich hat. Es ist uns nicht möglich, zuzugestehen, daß man das Recht habe, eine Theorie aufzustellen, in der man sich dieser Definitionsarbeit enthält, obwohl diese bequeme Vorgehensweise bisher das sprachwissenschaftliche Publikum zu befriedigen schien.“

[28] Hier zeigt sich eine Parallele zum Denken Wittgensteins. Zu Saussures „aphoristischen Denkungsart“. Vgl. Jäger (1975), S.285 und Jäger (2oo3), S.44-47, wo auch die Ähnlichkeit zu Wittgenstein herausgestellt wird.

[29] Ich weise darauf hin, dass ich bei allen Saussure-Zitaten zum Zweck der besseren Lesbarkeit auf die Wiedergabe der diakritischen Zeichen verzichte.

[30] Stetter (1996), S.425.

[31] Vgl. Saussure (1997), S.248, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[32] Ebd.

[33] Vgl. Saussure (1997) , S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[34] Vgl. Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[35] Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[36] Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[37] Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“. Die Kursivierung findet sich auch im Original. Soweit nicht anders erwähnt, finden sich sämtliche Hervorhebungen wie Nicht-Hervorhebungen in Zitaten auch in den Originalen wieder.

[38] Ich werde hier eine genaue Erläuterung der Raum-Dimension der beiden Prinzipien unterlassen. Die Prinzipien der Kontinuität und der Transformation beziehen sich analog zur chronologischen auch auf die räumliche Distanz [vgl. Saussure (1997), S.271-277, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Dritte Stunde“] und räumliche wie zeitliche Dimension der Prinzipien „müssen, wenn man eine exakte Sicht der Ereignisse haben will, immer auf einmal und nebeneinander betrachtet werden“ [Saussure (1997), S.251, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“], weil es sich um zwei Phänomene der „Weitergabe der menschlichen Rede“ handelt, die per se eine räumliche und eine zeitliche Dimension hat. Genaugenommen ist die Veränderung im Raum eine Konsequenz aus der Veränderung in der Zeit. In Saussures Notizen zum Cours III heißt es dazu: Der „Veränderung in der Zeit [‚Temps’] [entspricht] immer auch eine Diversifizierung im Raum.“ [Saussure (1997), S.390, N 23.1 „Notizen zu Cours III. Einteilung der Vorlesung und geographische Sprachwissenschaft“]. In den Gartenhausnotizen heißt es, es sei „dasselbe, die geographischen Unterschiede erklären zu wollen oder die Unterschiede zu untersuchen, die die Zeit der Sprache [langue] beibringt, da es ja an jedem Punkt nur eine Veränderung [modification] in der Zeit gibt.“ [Saussure (2003), S.178, [7] [Geographische Diskontinuität]] Vgl. auch Fehrs ausführliche Darstellung der Transformation der Sprache im Raum in Fehr (1997), S.80-86.

[39] Vgl. Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[40] Vgl. Saussure (1997), S.259, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[41] Saussure (1997), S.252, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[42] Ebd.

[43] Vgl. Saussure (1997), S.253, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[44] Saussure (1997), S.253, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[45] Ebd.

[46] Vgl. A. Hovelacque: La linguistique, 4. Auflage, Paris 1888 zitiert nach: Saussure (1997), S.255, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“: „Die Sprache [‚langue’] kommt zur Welt, wächst geht unter und stirbt wie jedes organisierte Wesen“.

[47] Saussure (1997), S.255 N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Erste Stunde“.

[48] Vgl. unten, S.39f.

[49] Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[50] Saussure (1997), S.259, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[51] Saussure (1997), S.258, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[52] Saussure (1997), S.257f, N 1.1 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[53] Vgl. Stetter (1997), S.129.

[54] Vgl. Abschnitt 3.2.

[55] Vgl. hierzu Jäger (1976), S.214-216.

[56] Ein „erkenntniskritischer Grundzug“ macht das Denken schon des jungen Ferdinand de Saussures aus. Es lässt sich anhand seiner Notizen eine ‚ausgeprägte Kontinuität’ dieses erkenntniskritischen Denkens bis zu seinem Tode feststellen. Vgl. Jäger (2003), S.12 und 20 und Jäger (1975), S.202ff.

[57] N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“: Saussure (1997), S.303-328.

[58] Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[59] Ebd.

[60] Ebd.

[61] Ich benutze hier die Termini einer mentalistischen Zeichentheorie der doppelten Repräsentation, welche – knapp formuliert – besagt, dass ein Zeichen auf eine Vorstellung, einen Begriff verweist, der wiederum auf ein außersprachliches Ding bezug nimmt.

[62] Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[63] Saussure (1997), S.318, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[64] Ich verwende hier und in diesem gesamten Abschnitt die Saussuresche Terminologie, wie sie auch aus dem Cours bekannt ist. Diese Begrifflichkeit wird zwar mit einer traditionell-repräsentationalen Zeichentheorie assoziiert [vgl. Anm. 61], allerdings geht Saussure in der Whitney-note auch von einer solchen Abbildtheorie der Sprache aus, um schließlich die Notwendigkeit ihrer Überwindung aufzuweisen.

[65] Vgl. zu dem Begriff des transzendentalen Signifikats Derrida (1986), S.56 und unten Abschnitt 3.3.2.

[66] Vgl. Saussure (1997), S.357 [N 15 „Item“] oder Saussure (2003), S.78, [2c] NATUR DES GEGENSTANDES IN DER SPRACHWISSENSCHAFT, wo es heißt, die sprachliche Tatsache sei „das Ergebnis einer höchst besonderen Art von Vereinigung: insofern als es zwischen einem Zeichen und dem, was es bedeutet, keine Gemeinsamkeit im Wesen gibt.“

[67] Saussure (1997), S.318, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[68] Vgl. Saussure (1997), S.314, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[69] Ebd.

[70] Man kann von einer mentalistischen Abbildtheorie der Sprache sprechen, wenn das Zeichen in ein Modell der doppelten Repräsentation dadurch definiert ist, auf eine Vorstellung bezug zu nehmen, die sich wiederum auf einen Gegenstand oder Sachverhalt beziehen kann. Diesen Sprachbegriff finden wir schon bei Aristoteles. Von einer realistischen Repräsentationstheorie der Sprache spricht man, wenn die Zeichen so konzipiert sind, dass sie sich unmittelbar auf Gegenstände oder Sachverhalte in der Welt beziehen.

[71] Saussure (1997), S.323, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[72] Saussure (1997), S.323f, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[73] Nichts anderes besagt ja das Prinzip der Arbitrarität, als dass die Verbindung eines signifiant mit einem signifié im Zeichen vollkommen frei von jeder vorgängigen Determination ist. Vgl. EC, S.152 III C 280 1123 (Das Kürzel ‚EC’ bezieht sich hier wie im restlichen Text auf die Édition Critique des Cours [Saussure (1989).] Es werden bei dessen Zitation jeweils das Original in der Fußnote angegeben, wobei zuerst die Seitenzahl der Édition Critique, dann die Abschnittangabe des Vorlesungsmanuskripts und schließlich jene zum entsprechenden Abschnitt des Cours genannt werden.): „ Le signe linguistique est arbitraire. Le lien qui relie une image acoustique donnée avec un concept déterminé … est un lien radicalement arbitraire.” Somit ist es also das Arbitraritätsprinzip, welches den eigentümlichen Charakter der Sprache als ‘Institution ohne Analogie’ begründet.

[74] Saussure betont übrigens selbst eine Verbindung, die zwischen dem Prinzip der kontinuierlichen Transformation der Sprache und dem Charakter der Sprache als ‚Institution ohne Analogie’ besteht, wenn er sagt „daß vom Moment an, in dem ein System von Symbolen unabhängig ist von den bezeichneten Objekten, es seinerseits unterworfen war, von der Tatsache der Zeit her, für den Logiker unberechenbare Verschiebungen zu erleiden“ [Saussure (1997), S.311, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“].

[75] Saussure (2003), S.77, [2b] (Stellung der Identitäten).

[76] Saussure (1997), S.300f, N 9.2 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Gesichtspunkt“.

[77] Saussure (1997), S.294, N 7 „Morphologie“.

[78] Saussure (2003), S.106, [8] [ Semiologie ].

[79] Saussure (1997), S.288, N 7 „Morphologie“.

[80] Vgl. Saussure (2003), S.75, [1] Vorwort.

[81] Saussure (1997), S.332, N12 „Zustand und Ereignis“.

[82] Saussure (1997), S.288, N 7 „Morphologie“. Vgl. auch den Abschnitt 3.2.1, wo der Begriff des sème eingeführt wird, der folgerichtig das Zeichen als synthetische Einheit von Form und Inhalt bezeichnet.

[83] Stetter (1997), S.206.

[84] Vgl. Stetter (1997), S. 124 und S.221 und Stetter (1996), S.430.

[85] Vgl. Saussure (1997), S.325, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[86] Ich verwende diesen Gegensatz zwischen Sprachsystem und jedesmaligem Sprechen, analog zur Verendung durch Saussure in seinen Genfer Vorlesungen. Vgl. Jäger (1976), S.232-236 und unten S.25f.

[87] Jäger (1986), S.7; Die folgenden Darstellungen zur Saussureschen Semiologie lehnen sich an die Einsichten Ludwig Jägers an und nehmen dessen hermeneutische Weiterentwicklung der Saussureschen Semiologie auf. Vgl. auch Jäger (1976), Jäger (1986), Jäger (2001).

[88] Stetter (1997), S.210.

[89] Stetter (1996), S.426.

[90] Ebd.

[91] Jäger (1986), S.22.

[92] Vgl. Anm. 65.

[93] Vgl. hierzu auch Jäger (1986), S.22f.

[94] Saussure (1997), S.361, N 15 „ Item “.

[95] Stetter (1997), S.212.

[96] Vgl. Saussure (1997), S.360, N 15 „ Item “.

[97] Saussure (1997), S.338, N 12 „Zustand und Ereignis“.

[98] Vgl. Saussure (1997), S.360, N 15 „ Item “.

[99] Saussure (1997), S.338, N 12 „Zustand und Ereignis“. Bei Wittgenstein heißt es in den Philosophischen Untersuchungen (PU 593): „Eine Hauptursache philosophischer Krankheiten – einseitige Diät: man nährt sein Denken mit nur einer Art von Beispielen.“

[100] Jäger (1986), S.10.

[101] Ebd.

[102] Saussure (2003), S.100, [6e] [Form – lautliche Figur].

[103] Der Ausdruck Cours nimmt entweder auf CLG oder auf die tatsächlichen drei Vorlesungen bezug, wie sie in der Édition Critique wiedergegeben sind.

[104] CLG, S.156 (Ich verwende das Kürzel ‚CLG’ mit Bezug auf den von Charles Bally und Albert Sechehaye herausgegebenen Cours de linguistique générale, der hier in der kritischen Ausgabe von Tullio de Mauro zitiert wird [Saussure 1972].): “Le rôle caractéristique de la langue vis-à-vis de la pensée n’est pas de créer un moyen phonique matériel pour l’expression des idées, mais de servir d’intermédiaire entre la pensée et le son, dans des conditions telles que leur union aboutit nécessairement à des délimitations réciproques d’unités. La pensée, chaotique de sa nature, est forcée de se préciser en se décomposant. Il n’y a donc ni materialisation des pensées, ni spiritualisation des sons, mais il s’agit de ce fait en quelque sorte mystérieux, que la ‘pensée-son’ implique des divisions et que la langue élabore ses unites en se constituent entre deux masses amorphes.” [Übersetzung von mir, A.P. Die folgenden Übersetzungen der Édition Critique des Cours sind auch alle von A.P.]

[105] Vgl. oben Abschnitt 3.1.2.

[106] Saussure (1997), S.357, N 15 “Item”.

[107] Saussure (1997), S.358f, N 15 “Item”.

[108] Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.

[109] Saussure (1997), S.324, N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[110] Ebd.

[111] Valeur /‚Wert’ ist der in den Genfer Vorlesungen benutzte Ausdruck für die Bezeichnung eines Zeichens aus der Perspektive eines Systems von Differenzen.

[112] Saussure (1997), S.361, N 15 “Item”.

[113] Diese Bestimmung des parasème als Wort ist allerdings durchaus kritikwürdig und ließe sich mit Saussures eigener Behauptung der Problematik traditioneller grammatischer Kategorien – wie wir sie in Abschnitt 7.1 erläutern – ins Wanken bringen.

[114] Saussure (1997), S.374, N 15 “Item”.

[115] Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.

[116] Saussure (2003), S.80, [2e] [ Vier Gesichtspunkte ].

[117] Im CLG findet sich diese Bestimmung der Sprache als langue und der langue als ein „abstraktes, überindividuelles System von Zeichen“ [Buss (2004), S.211].

[118] Zur „unilateral-deterministische[n] Interpretation des Langue-Parole-Theorems“ vgl. Jäger (1976), S.232f.

[119] Vgl. Saussure (1997), S.361, N 15 “Item” und siehe oben S.24.

[120] Es ist dies die langue als ein überindividuelles Zeichensystem wie sie einseitig im Cours zum genuinen Objekt der Sprachwissenschaft, unter Ausschluss der parole, gemacht wurde und wie sie darauf in der strukturalistischen Linguistik konzipiert wurde.

[121] Entsprechend der Aufteilung der langue in eine individuelle und soziale, findet sich diese Aufteilung auch auf Seiten der parole, wobei die individuelle parole sich auf die individuelle Realisierung eines Syntagmas auf der Basis einer Parasemie bezieht. Vgl. hierzu Jäger (1976), S.232-236 und dort insbesondere das Kreuzklassifikationsschema auf S. 235.

[122] Wie Mareike Buss bemerkt gelten die Prinzipien der Kontinuität und der ständigen Transformation „auch auf der ebene individueller Parasemien“ [vgl. Buss (2005), S.222]. Vgl. auch Jäger (2001), S.22.

[123] Jäger (2005), S.8.

[124] Saussure (2003), S.79, [2d] [ Prinzip des Dualismus ].

[125] Vgl. Abschnitt 3.1.1. Würden wir an diesem Punkt stehen bleiben, die langue als ein soziales Phänomen definieren, als ein gegebenes, überindividuelles System von Formen, das in der parole seine Anwendung findet, ohne durch den Sprechakt beeinflusst zu werden, so haben wir in etwa die Argumentation des Cours, der das Primat der Synchronie vor der Diachronie und der langue vor der parole postuliert.

[126] Vgl. Stetter (1997), S.129.

[127] Vgl. Saussure (1997), S.355f, N 15 “Item”. Dort wirft Saussure den Psychologen vor, Sprache als fixe Form zu definieren, weil sie sich ausschließlich in dem, was Saussure „die horizontale Tranche der Sprache [‚langue’]“ nennt, bewegen.

[128] Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.

[129] Ebd.

[130] Ebd.

[131] Vgl. Saussure (1997), S.302, N 9.2 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Gesichtspunkt“: „Was dem materiellen Laut entgegengesetzt werden kann, ist die Gruppe Laut-Vorstellung, aber nicht die Vorstellung.“

[132] Vgl. Saussure (2003), S.75, [1] Vorwort: Es ist richtig, „ lautliche Figur einerseits und Sinn-Form [ forme-sens ] andererseits einander entgegenzusetzen.“

[133] Vgl. oben S.23 und Anm. 104.

[134] Vgl. Jäger (2005), S.9 und Jäger (2001), S.21.

[135] Vgl. Saussure (1997), S.359, N 15 “Item”.

[136] EC S.376/383 R 2.23 2522=2560: “S’il est vrai que l’on a toujours besoin du trésor de la langue pour parler, réciproquement, tout ce qui entre dans la langue a d’abord été essayé dans la parole un nombre de fois suffisant pour qu’il en résulte une impression durable; la langue n’est que la consécration de ce qui avait été évoqué par la parole.” Vgl. Buss (2005), S.221: „Kommunikation wird also dadurch ermöglicht, daß die Mitglieder einer Sprachgemeinschaft immer schon über Netzwerke von Parasèmen verfügen, vor deren Folie sie die aktuellen Verwendungen von Aposèmen im Diskurs verstehen bzw. interpretieren.“

[137] Vgl. Jäger (2001), S.21

[138] Vgl. Saussure (2003), S.164, [1] [ Sprache [ langage ] – Sprache [ langue ] – Rede [ parole ]].

[139] Saussure (2003), S.164 [1] [ Sprache [ langage ] – Sprache [ langue ] – Rede [ parole ]].

[140] Zur synonymen Verwendung der Ausdrücke ‚ discours ’ und ‚ parole ’ bei Saussure vgl. Bouquet (2004), S.210-214.

[141] Buss (2005), S.221.

[142] Jäger (1986), S.18.

[143] Vgl. Saussure (1997), S.365, N 15 „ Item “.

[144] Es muss hier unterstrichen werden, dass, im Gegensatz zu vielen Kommunikationstheorien in Bezug auf natürliche Sprachen, die sich an dem – technischen – Kommunikationsmodell von Shannon und Weaver [vgl. Shannon (1949)] orientieren, von einem „Transport“ identischer Bedeutung von A nach B nie gesprochen werden kann, weil sich zwei Parasemien – sowohl verschiedener Personen als auch einer Person zu zwei Zeitpunkten – niemals gleichen.

[145] Jäger (2001), S.23. Im Original kursiviert.

[146] Bei der Störungt handelt es sich um „Unterbrechungen“ oder „Time-out-Phasen“, die der Klärung der Redeintention dienen. Vgl. zu dieser Kommunikationstheorie, die – an Saussure anknüpfend –diese Störungt einerseits sowie die Transparenz andererseits als „die beiden Aggregatzustände, die alle Prozesse medialer Sinn-Inszenierung durchlaufen“ [Jäger (2004), S.59] ansieht Jäger (2004).

[147] Jäger (2001), S.24.

[148] Saussure (2003), S.151, [29b] [ Differenz und Entitäten ].

[149] Gleichzeitig verunmöglicht diese Wiederholung, qua Iteration, die Identität eines Zeichens. Vgl. Abschnitt 3.3.2.

[150] Saussure (2003), S.159, [3] [ Grundlegende Elemente – Laut als solcher – Satz/Ritus – sprachliche Einheit (Zeichen-Laut-Bedeutung) ].

[151] Saussure (2003), S.173, [5] [ Zeichensystem – Gemeinschaft ].

[152] Stetter (1997), S.212.

[153] Stetter (1996), S.429.

[154] Saussure (1997), S.318 , N 10 „Notizen für einen Artikel über Whitney“.

[155] Die analogische Transformation ist ein Wandel der langue und kein Wandel eines aposèmes (=phonetischer Wandel) oder sèmes. Vielmehr handelt es sich um eine Kreation von sèmes wie wir weiter unten sehen werden.

[156] Vgl. EC, S.374 I R 2.19 2510. Ich werde im Folgenden verstärkt auf den Cours zurückgreifen, denn in den Genfer Vorlesungen hat Saussure sich sehr ausführlich mit der Analogie befasst.

[157] Saussure (1997), S.263, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[158] Vgl. EC, S.375 I R 2.21 2514, wo Saussure über den phonetischen Wandel sagt: „On n’a pas le concours d’une autre forme ou du sens du mot; je ne dois invoquer ni l’un ni l’autre; C’est purement le cadavre du mot qui passe de φιλοτερος à φιλτερος.“

[159] Vgl. Saussure (1997), S.261, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[160] Saussure (1997), S.364, N 15 „ Item “.

[161] Vgl. Putschke (1984).

[162] Saussure (1997), S.265, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[163] Dass es sich dabei um eine pseudonaturwissenschaftliche Untersuchung handelt, hat Saussure stets betont. Denn die Einheiten der Untersuchung, d.h. die Laute sind als identische nicht natürlicherweise gegeben, sondern werden stets durch einen gewählten Gesichtspunkt „erschaffen“, sind „das Ergebnis einer verborgenen Operation des Geistes“, nämlich eben das Ergebnis des Verstehens des Zeichenganzen durch das Sprecherbewusstsein. Vgl. oben Abschnitt 3.1.2 und Saussure (2003), S.81f, [3a] [Sich dem Gegenstand nähern] und Saussure (1997), S.296f, N 9.1 „Notizen zu einem Buch über allgemeine Sprachwissenschaft. Ausgangspunkt“.

[164] Saussure (1997), S.269, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Dritte Stunde“.

[165] Stetter (1992), S.516.

[166] Vgl. EC, S.365 I R 2.5 2457: “Le résultat le plus général du changement phonétique est une action différenciatrice. La somme des formes existant dans la langue est augmentée .

[167] EC, S.365 I R 2.5 2458: “[L]es changements analogiques sont unificateurs et travaillent à l’encontre des changements phonetiques.”

[168] Dies nur in dem Fall, dass die analogisch neu gebildete Form eine alte ersetzt. Wie wir unten sehen werden dient die Analogie aber auch der Neubildung von Formen, welche zwar in Symmetrie zu bestehenden kreiert werden aber auch die Summe der Worte in der langue vergrößern.

[169] Vgl. SM 57 II,18 R2. 19-25 [‚SM’ steht hier und im Folgenden für die S ources Manuscrites du Cours de linguistique générale, Godel (1957)]: “Pour distinguer le phénomène analogique du phénomène phonétique, il ne suffit pas d’en reconnaître la nature psychologique: il faut voir que la création analogique est d’ordre grammatical, c’est-à-dire qu’elle s’exerce sur des formes associées aux idées quèlles expriment“. Zum ‚grammatischen’ Charakter der Analogie vgl. Kapitel 7.

[170] Saussure (1997), S.363, N 15 „ Item “.

[171] Vgl. EC, S.369 II R 148 2481: „Une autre erreur proprement linguistique, une autre grosse lacune qui devait plus tard se combler, c’est qu’elle, la première linguistique, a fait extrêmement peu attention à tout l’ordre de phénomènes qui constituent la création incessante, journalière dans la langue: je veux parler d’analogie.”

[172] Vgl. EC, S.376 I R 2.23 2520: „Il faut … ce mettre en face de l’acte de la parole pour comprendre une création analogique.” Und vgl. oben S.29f.

[173] Saussure (2003), S.160, [4] [Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses Buches]. Zur hier von Saussure vollzogenen – wie sich herausstellen wird paradoxen – Gleichsetzung von ‚grammatischer’ und ‚analogischer’ Veränderung vgl. Abschnitt 7.

[174] EC, S.365 I R 2.13 2460: “Une forme analogique est une forme créée à l’image d’une autre. Il y a fait [sic], changement analogique, quand à une forme traditionnelle existante on en substitue une autre créée par association.” Vgl. auch SM 57 I,17 R2.5-19.

[175] Vgl. EC, S.370 I R 2.13 2489: “C’est un drame à trois personnages: le type transmis jusqu’alors, héréditaire, légitime. le concurrent un personnage collectif: les formes qui ont engendré le concurrent.”

[176] Vgl. zu diesem Beispiel Vgl. EC, S.365 I R 2.7 2462-2463.oder EC, S.370 I R 2.13 2490-2492.

[177] ‚Paradigma’ kommt von griechisch παράδειγμα, was mit Beispiel, Vorbild übersetzt wird.

[178] Vgl. EC, S.366 I R 2.6 2464: „Pour trouver la nouvelle forme créée par analogie avec d’autres oun pour exprimer cette analogie, on se sert de la formule de la quatrième proportionnelle “. Schon in seiner Genfer Antrittsvorlesung wählt Saussure diese Darstellungsweise. [Vgl. Saussure (1997), S.262 & 265, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.] Mit dieser Erläuterung der sprachlichen Analogie durch eine geometrische Formel kehrt das Etikett ‚Analogie’ wieder in seine Heimat zurück. Denn ‚Analogie’ war „ursprünglich ein Begriff der Mathematik, der in der pythagoreischen Schule entwickelt wurde“ und so sprach man bei der „Gleichheit von Verhältnissen“ von einer ‚geometrischen Analogie’. [Vgl. Schwarz (1971), Sp.214.] Bei der ‚Vierten Proportionalen’ handelt es sich nun um eine geometrische Formel zur Bestimmung der Länge einer Strecke mithilfe der Strahlensätze, also auf der Basis einer ‚Gleichheit von Verhältnissen’. Sie hat die Form: a : b = c : x.

[179] Vgl. hierzu EC, S.371 I R 2.13 2491: “La forme héréditaire est la seule qui ne participe pas à la formation du nouveau type. On ne peut parler de transformation puisque la prémière forme est absente dans la conscience au moment où s’opère cette soi-disant transformation.” Vgl. auch EC. S.374 I R 2.16 2508: „[C]ette conception [des changements analogique, A.P.] est incorrecte: les formations que nous qualifions de changements reposent sur le même principe que la création.” Vgl. EC, S.374 I R 2.16 2508. Vom analogischen Wandel lässt sich nur in Hinblick auf die langue als Ganzes sprechen. Vgl. Saussure (2003), S.154, [29g] [Analogischer Wandel]: „Der ‚analogische Wandel’, den man insofern mit dem Lautwandel vergleicht, als er der zweite Faktor der Transformation der langue in der Zeit sein soll, kann damit nicht verglichen werden und ist kein Wandel [changement]. Er ist dann sehr wohl für die langue ein Wandel [changement], wenn man sie als eine einzige Masse auffaßt, oder für das allgemeine Verhältnis von Gedanke und Ausdruck, wenn man uns beweist, daß dieses Verhältnis der zentrale Gegenstand ist, dessen Spur der Sprachwissenschaftler versucht im zeitlichen Verlauf zu folgen“.

[180] Vgl. hierzu Schneider (1992), S.343: „Darüber hinaus ist nach dieser Auffassung der konstitutive Fall, d.h. derjenige, in dem der neue Gebrauch durch schon vorhandene ‚wörtliche’ Formulierungen nicht ersetzbar ist, für natürliche Sprachen sowohl charakteristisch als auch quantitativ gesehen der durchaus überwiegende und in diesem Sinne der ‚normale’ Fall.“ Vgl. hierzu auch unten Abschnitt 5.2.

[181] SM 57 I,17 R2.5-19: “C’est l’éviction de la forme traditionnelle qui donne l’illusion d’un changement; or le sort de cette forme, sa disparition ou sa conservation, est un fait indépendant du fait de l’analogie. Il est indifférent que la forme nouvelle entre en concurrence avec une forme existante ou n’ait rien à remplacer …: dans les deux cas, il y a création, ou mieux: innovation, création à nouveau, à partir d’éléments déjà donnés. C’est seulement si l’on envisage l’ensemble de la langue qu’on peut parler de changement.” Vgl. auch EC, S.372f I R 2.16 2500-2509.

[182] Saussure (1997), S.292, N 7 „Morphologie“. Hier erwähnt Saussure auch, „daß sich die Formen, die als Ausgangspunkt für Neubildungen dienten, ihrerseits nicht anders als mittels anderer Formen, welche die Sprache [‚langue’] analysiert hatte, bilden konnten.“ Somit ist das Problem des Sprachursprungs nicht von dem des Sprachwandels zu unterscheiden.

[183] Vgl. Saussure (1997), S.363, N 15 „ Item “. Hier setzt Saussure auch die „parasemische Schöpfung“ vom „parasemischen Einfluß “ ab, arbeitet diesen Unterschied allerdings nicht weiter aus und hat arge Zweifel, ob ein solcher überhaupt gerechtfertigt ist. Hinter dem parasemischen Einfluss steckt der Gedanke, dass ein sème sich durchaus ändern kann, ohne dass seine Hülle, das aposème, dieses erkennen lässt. Das sème wird ein anderes, „ohne daß wir erkennen würden, daß es ein anderes sème ist“. Diese ‚vollständige Veränderung’ des Sinns eines sème kann z.B. Effekt des metaphorischen Gebrauchs eines parasème sein. Wir werden auf diese Problematik am Ende dieser Arbeit zurückkommen. Vgl. Abschnitt 7.1.

[184] Die Einheiten der langue sind – nach Saussure – Wörter, während wir es nur im Diskurs, in der parole mit Sätzen zu tun haben. Vgl. Saussure (1997), S.374f, N 15 „ Item “ und oben S.25.

[185] Saussure (1997), S.294, N 7 „Morphologie“.

[186] Saussure (1997), S.262 N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[187] Vgl. oben S.14.

[188] Saussure (1997), S.290, N 7 „Morphologie“.

[189] Ebd.

[190] Saussure (1997), S.295, N 7 „Morphologie“.

[191] Vgl. ebd.

[192] Saussure (1997), S.295, N 7 „Morphologie“.

[193] Saussure (1997), S.292, N 7 „Morphologie“.

[194] Vgl. EC, S.384 I R 1.22 2562: “On pourrait appeler la nouvelle forme: forme évoquée, suscitée réellement par la parole, par le besoin”.

[195] Saussure (1997), S.263, N 1.2 „Notizen zur Genfer Antrittsvorlesung 1891. Zweite Stunde“.

[196] Saussure (2003), S.160, [4] [ Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses Buches ].

[197] Wir werden uns hier vornehmlich auf den Begriff der Iterierbarkeit beziehen, der mit dem différance -Konzept stark verwandt ist, wenn diese Begriffe nicht sogar synonym sind. Vgl. zur différance Derrida (2004), besonders S.121-130 und zu Derridas Saussure-Lektüre auch Derrida (1974), Kapitel 2: Linguistik und Grammatologie, S.49-129. Derrida unterzieht mit seiner „Saussure-Lektüre“ allerdings nur die dogmatisierte Saussure-Interpretation des Strukturalismus einer ausgiebigen Kritik, setzt sich aber z.B. mit den Notes Item gar nicht auseinander, weswegen es sich auch um eine Cours - und um keine Saussure-Lektüre handelt. [Vgl. Lagemann, Jörg (1998): Dem Zeichen auf der Spur. Derrida – Eine Einführung, hg. von Klaus Gloy, Aachen, S.96ff.]

[198] Vgl. Jäger (1976), S.213: Es sei „geboten, sich bei Saussure aufzuhalten. Nicht bei Saussure als dem ‚großartigen Anstoß der modernen, strukturellen Linguistik’, sondern bei dem authentischen Saussure als gleichsam einem ihrer grundlegendsten Kritiker.“

[199] Fehr (1992), S.54.

[200] Derrida (1986), S.55f.

[201] Fehr (1992), S.40.

[202] Derrida (1974), S.128, Anm.38.

[203] Derrida (1986), S.54.

[204] Derrida hätte nur die Notes Item lesen müssen, um zu sehen, dass Saussure die Problematik des dualen Zeichenbegriffs bewusst war und er versuchte, sie mit einer neuen Terminologie zu überwinden.

[205] Derrida (1986), S.62.

[206] Vgl. oben Abschnitt 3.2.1.

[207] Vgl. Derrida (1986), S.66.

[208] Derrida (1986), S.66.

[209] Derrida (2004), S.125.

[210] Derrida (2001), S.24.

[211] Derrida (2001), S.29.

[212] Ebd.

[213] Krämer (2001), S.226.

[214] Vgl. Lagemann (1998), S.122.

[215] Vgl. ebd., S.124.

[216] Derrida (1986), S.67.

[217] Vgl. ebd.

[218] Derrida (1986), S.66f.

[219] Saussure (1997), S.402, N 23.6 “Notizen zu Cours III. Notwendigkeit der Veränderung der Zeichen: Synchronie und Diachronie”.

[220] Buss (2005), S.222.

[221] Buss (2005), S.223.

[222] Ebd.

[223] Stetter (1974), S.33.

[224] Saussure (1997), S.365, N 15 „ Item “.

[225] Stetter (1996), S.428.

[226] PU 432.

[227] Saussure (2003), S.87f, [3f] [Wert, Sinn, Bedeutung …].

[228] Vgl. Wittgenstein (1999), Abschnitt 109 und 132 [PU 109 & 132]. Im Folgenden werden wie meist üblich die Abschnitte des ersten Teils der Philosophischen Untersuchungen abkürzend mit PU x zitiert, wobei an die Stelle des x die Nummer des jeweiligen Abschnitts tritt.

[229] Zum zweiten Punkt, zu ‚Wittgensteins analogischem Denken’ und Philosophieren vgl. Arroyo (2006).

[230] Wittgenstein (2000), S.408f. Ich zitiere hier und im Folgenden nach der Seitenzählung des Typoskripts. Im Typoskript finden sich hier folgende Varianten: „…, so zeige ich immer auf eine Analogie/so muß ich immer . zeigen/, nach der man sich gerichtet hat, und, daß diese Analogie nicht stimmt.“ Die Schrägstriche ‚/’ markieren Varianten des Typoskript-Textes. Den serifenlos wiedergegebenen Wörtern entspricht eine gewellte Unterstreichung im Typoskript.

[231] Vgl. zur zeitlichen Einordnung die Einleitung in Wittgenstein (2000) von Michael Nedo, S.VII.

[232] PU 90.

[233] PU 664.

[234] PU 90.

[235] Vgl. PU 664 und unten, wo noch weitere Beispiele dieser wittgensteinschen Orientierungsmetaphorik genannt werden.

[236] Wittgenstein (1984), S.23.

[237] PU 122.

[238] Ebd.

[239] PU 133.

[240] PU 109.

[241] PU 123.

[242] Vgl. PU 196.

[243] PU, Vorwort S.231.

[244] PU 109.

[245] Vgl. Schneider (1992), Teil IV, Unterkapitel 6 & 7, S.319-345.

[246] Vgl. Wittgenstein (1984b), S.204f.

[247] Ganz ähnlich zu Saussure und Derrida nehmen Wittgensteins Überlegungen hier wie an anderen Orten auch von einer Repräsentationstheorie der Sprache ihren Ausgang, um – wie wir sehen werden – die Inadäquatheit einer solchen Theorie nachzuweisen.

[248] Wittgenstein (1984a), S.204f. In ähnlicher Form finden wir diesen Vergleich auch in den Philosophischen Bemerkungen Wittgensteins, vgl. Wittgenstein (1964), S.118f.

[249] Zu Wittgensteins Auseinandersetzung mit Frege und Russell an dieser Stelle der Philosophischen Grammatik vgl. Schneider (1992), S.324-331.

[250] Schneider (1992), S.320.

[251] Schneider (1992), S.325.

[252] Wittgenstein (1964), S.118.

[253] Wittgenstein (1984b), S.203f.

[254] Wittgenstein (1984b), S.203.

[255] Schneider (1992), S.330.

[256] Schneider (1992), S.330f.

[257] Schneider (1992), S.332.

[258] Ebd.

[259] Schneider (1992), S.332f.

[260] Wuchterl (1969), S.110.

[261] Wuchterl (1969), S.113. Vgl. zur erkenntniskonstitutiven Funktion der Sprache bei Saussure oben S.22f.

[262] Schneider (1992), S.333.

[263] Vgl. Schneider (1992), S.410f

[264] Schneider (1992), S.410.

[265] Vgl. Schneider (1992), S.339.

[266] Vgl. zu Wittgensteins Verteidigung der Richtigkeit des normalen Gebrauchs von Analogien, die uns beim Philosophieren in die Irre führen können: PU 402, PU 305, PU 306.

[267] PU 402. Vgl. zu dieser zunächst paradox klingenden Haltung Wittgensteins, die Analogien zwar als irreführend nicht aber als falsch zu bezeichnen Schneider (1992), S.336-339.

[268] Schneider (1992), S.342.

[269] Vgl. Stetter (1998), S.571-575.

[270] PU 201.

[271] PU 198.

[272] Stetter (1997), S.577.

[273] PU 292.

[274] Vgl. PU 84.

[275] PU 68.

[276] Dieser kreative Aspekt jeder Regelbefolgung steht nicht im Widerspruch zu ihrem normativen Aspekt. Vielmehr zeigt sich an diesem Punkt bei Wittgenstein das Wechselspiel von Kontinuität und Transformation der Sprache in der Regelbefolgung und Regelveränderung. Vgl. oben Abschnitt 3.1.1 und 3.3.

[277] Vgl. PU 202.

[278] Schneider (1992), S.342, Anm. 69.

[279] Vgl. Schneider (1992), S.343. Der Haupttitel seines Buches ist ja auch „Phantasie und Kalkül“.

[280] Vgl. Schneider (1992), S.342f.

[281] Schneider (1992), S.343.

[282] PU 206.

[283] Vgl. PU 219: „Wenn ich der Regel folge, wähle ich nicht. Ich folge der Regel blind.“

[284] PU199

[285] Ebd.

[286] Vgl. PU 243-315 und Stetter (1997), S.579-587.

[287] Wuchterl, (1969), S.131.

[288] Vgl. Platon, Kratylos 384c-385e. In 385d spricht Hermogenes: „Ich wenigstens, Sokrates, weiß von keiner anderen Richtigkeit der Benennungen als von dieser, daß ich jedes Ding mit einem andern Namen benennen kann, den ich ihm beigelegt habe, und du wieder mit einem andern, den du.“ Zitiert nach: Platon (1994): Sämtliche Werke Band 3. Übersetzt von Friedrich Schleiermacher und Hieronymus und Friedrich Müller (Briefe). Reinbek.

[289] Wuchterl (1969), S.131.

[290] Schneider verweist selbst auf die Ähnlichkeit von Projektion und Metapher, wobei er auch auf Goodmans Metaphernbegriff verweist. Vgl. Schneider (1992), S.366 und dort auch Anm. 5.

[291] Vgl. Goodman (1997), S.9. Dort schreibt Goodman, ‚Symbol’ werde in seinen Werken „als ein sehr allgemeiner und farbloser Ausdruck gebraucht. Er umfasst Buchstaben, Wörter, Texte, Bilder, Diagramme, Karten, Modelle und mehr, aber er hat nichts Gewundenes oder Geheimnisvolles an sich.“

[292] Vgl. zum „medial turn“ Margreiter (1999), der sich mit der Entstehung des medial turn und den Aufgaben einer Medienphilosophie auseinandersetzt.

[293] Goodman (1990), S.10.

[294] Goodman (1990), S.15. Goodman betont, dass die Erschaffung von Weltversionen keine beliebige ist. Vielmehr unterliegt die Kreation von Weltversionen Kriterien wie „Triftigkeit, Bündigkeit, Reichweite, Informationsgehalt und organisierende Kraft des gesamten Systems“. [Vgl. Goodman (1990), S.34.]

[295] Vgl. Goodman (1990), S.20-30. Als „Weisen der Welterzeugung“ aus bereits bestehenden Welten nennt Goodman: Komposition und Dekomposition, Gewichtung, Ordnen, Tilgung und Ergänzung sowie Deformation. Die Metapher zählt er hier nicht auf, allerdings bedeutet ihre Verwendung – wie wir unten sehen werden – eine Neu ordnung und kann auch die anderen Weisen der Welterzeugung mit einschließen.

[296] Goodman (1990), S.18.

[297] Ebd.

[298] Gleichwohl ist sich Goodman bewusst, dass diese Trennung aus einer theoretischen Analyse ex post resultiert, da es uns unmöglich ist eine Zeichengestalt, eine Form unabhängig von ihrer symbolischen Funktion wahrzunehmen: „Nichts wird entblößt gesehen oder bloß gesehen“, „das unschuldige Auge gibt es nicht“ [Goodman (1997), S.19], vielmehr sehen wir immer etwas als etwas.

[299] Vgl. Goodman (1997), S.76.

[300] Goodman (1997), S.76.

[301] Goodman (1997), S.76.

[302] Ich übernehme hier eine – wie mir scheint sehr treffende – Metapher aus dem Bereich der Optik, die Geert Keil in seinem Aufsatz „Über die deskriptive Unerschöpflichkeit der Einzeldinge“ [vgl. Keil (2006), hier: S.99-104] benutzt.

[303] Goodman (1990), S.20.

[304] Goodman (1990), S.22.

[305] Vgl. Goodman (1997), S.80. Goodmans Ausführungen zur Metapher exemplifizieren die Allgegenwart metaphorischer Wortgebräuche wie auch ihren erkenntniskonstitutiven Charakter. Sein Text über die Metapher ist von Metaphern durchzogen. So taucht z.B. die Metapher eines ‚Symbolschemas auf Reisen’ immer wieder auf. Vgl. Goodman (1997), S.76-88.

[306] Goodman (1997), S.76f.

[307] Goodman (1997), S.78.

[308] Vgl. Goodman (1997), S.78.

[309] Goodman (1997), S.74.

[310] Der Projektionsbegriff bei Wittgenstein/Schneider und Goodman wird also für entgegengesetzte Zeichenhandlungen benutzt, die einen nutzen ihn zur Bezeichnung eines freien „nicht vorhersehbaren Schritt der Spontaneität“ (vgl. oben S.56), der andere benutzt ihn gerade für vorhersehbare, routinierte Zeichenhandlungen.

[311] Goodman (1997), S.74.

[312] Ebd.

[313] Goodman (1997), S.77.

[314] Goodman (1997), S.74.

[315] Goodman (1997), S.75.

[316] Goodman (1997), S.84-88.

[317] Goodman (1997), S.84.

[318] Goodman (1997), S.83.

[319] Goodman (1997), S.83f.

[320] Vgl. oben S.35 & 42.

[321] Vgl. oben Anm. 183.

[322] Saussure (1997), S.363, N 15 „ Item “.

[323] Zum anderen könnte man auch von parasemischem Einfluss reden, wo der Gebrauch, d.h. die Bedeutung, der Etiketten eines Schemas sich durch die Verfeinerung des Schemas, durch die Erhöhung seines Auflösungsgrades ändert, die wir durch Hinzufügung zusätzlicher Etiketten erhalten. Goodman würde in diesem Fall wohl auch von einer Neuordnung einer Sphäre oder einer Ergänzung eines bestehenden Symbolsystems sprechen. Saussure schreibt dazu: „Wenn Sie einer Sprache [‚langue’] ein Zeichen neu hinzufügen, vermindern Sie um ebendies die Bedeutung der anderen.“ [Saussure (1997), S.500, „Aus der Mitschrift von A. Riedlinger zum Cours II“]. Ohne den Terminus zu verwenden beschreibt Saussure auch an anderer Stelle sehr schön diese Art des parasemischen Einflusses, die hier nicht weiter beleuchtet wird [Saussure (2003), S.157, [29j] [ Integration oder Postmediation-Reflexion ]]:

„In jedes existierende Zeichen GEHT also in jedem Augenblick ein bestimmter Wert EIN [s’INTÉGRER], bildet sich später aus [se post-élaborer], nicht weniger!!!, der immer nur aufgrund der Gesamtheit der Zeichen bestimmt ist, die zum selben Zeitpunkt vorkommen; und da sich die Anzahl und der reziproke sowie relative Aspekt dieser Zeichen von einem Moment zum anderen auf unendlich vielfältige Weise ändert, wird sich das Ergebnis dieser Aktivität im Hinblick auf jedes Zeichen und im Hinblick auf die Gesamtheit ebenfalls von einem Moment zum anderen auf unberechenbare Weise ändern.“

[324] Goodman (1997), S.76.

[325] Goodman (1997), S.76f.

[326] Vgl. Anm. 323.

[327] Saussure (2003), S.128.

[328] EC, S.305 II R 86 2133f: „[L]a morphologie … Appelle-t-elle une idée essentiellement différente de celle de grammaire? On répondra: la grammaire s’occupe des fonctions de ces formes, tandis que la morphologie en établit les états.”

[329] EC, S.305 G 2.25a 2135: “Cette distinction est illusoire. On ne peut séparer autrement les unités que par la signification. Quand on pose les différentes formes d’une même déclinaison, on pose que les différentes formes ont une fonction différente.”

[330] Vgl. EC, S.305 II R 86 2135: “[O]n veut dire que φύλακος n’a pas la même signification que φύλακα ou φύλακι. Фύλακος en lui n’est absolument rien, n’existe que par son opposition à φύλακι, φύλακα. Mais cette différence n’est pas autre que la différence des fonctions.”

[331] Vgl. EC, S.305 II R 86 2136: “Étude des formes et des fonctions, c’est la même chose.” und EC, S.305 B 55 2136: „Morphologie et grammaire, C’est la même chose.“

[332] Vgl. EC, S.305 G 2.25a 2138: „La lexicologie est-elle un compartiment bien défini?”

[333] Vgl. EC, S.305f II R 87 und G 2.25a 2140-2144.

[334] Vgl. EC, S.306 II R 107 und II C 77 2194.

[335] EC, S.306 II R 88 2147: „Si pour tous ces compartiments, qui ont leur utilité dans la pratique, on essaie rationnellement de tirer des lignes de démarcation, on n’arrive pas à un terrain solide.” An anderer Stelle deutet Saussure ein noch größeres Ausmaß des Problems der Unterscheidung grammatischer Kategorien an, wenn er die Semiologie wie folgt darstellt: „Semiologie = Morphologie, Grammatik, Syntax, Synonymie, Rhetorik, Stilistik, Lexikologie etc. …, was alles nicht voneinander getrennt werden kann“. [Saussure (2003), S.106, [8] [ Semiologie ]]

[336] Vgl. EC S.307-309 2151-2164.

[337] Saussure (2003), S.160, [4] [Die Rede, Ort der Veränderungen – Unterteilungen dieses Buches]. Zur nunmehr paradoxen Bezeichnung der Analogie als ‚grammatische Veränderung’ und dem besondern Status der Analogie vgl. Kapitel 8.

[338] Im Übrigen ist es ja - wie wir in Abschnitt 3.3.2 gesehen haben – der Transfer, sowie die ‚routinemäßige Projektion’, d.h. der ‚Kontextwechsel’ [vgl. Derrida (2001)], der die Identität des Zeichens sowohl konstituiert als auch verunmöglicht. Man könnte – ich kann hier nur in Andeutungen sprechen – zwei Möglichkeiten unterscheiden, Zeichen einheiten zu bestimmen, die beide auf der Transkriptivität des Zeichens beruhen: 1.) über die Konstituierung der Zeicheneinheiten im ungestörten Diskurs, im Modus der Transparenz, in dem wir es mit ‚routinemäßigen Projektionen’ oder auch gelungenen Metaphern zu tun haben und 2.) durch die Betrachtung ‚gestörter Kommunikation’, in denen unverstandene Spracheinheiten aus dem Redefluss herausgetrennt und problematisiert werden. [Vgl. Jäger (2004)] Phoneme sind wir jedenfalls nur auf der zweiten Ebene zu unterscheiden in der Lage.

[339] Zu Saussures Grammatikbegriff finden sich noch einige Worte im nächsten Abschnitt, besonders in Anm. 347.

[340] Vgl. Birk (2004), S.192-197.

[341] Vgl. PU 400.

[342] PU 401, Hervorhebung von mir, A.P.

[343] Vgl. PU 398-400. Für unsere Zwecke muss diese erkenntnistheoretische Problematik nicht weiter bestimmt werden, in deren Rahmen von der ‚grammatischen Bewegung’ spricht.

[344] Birk (2004), S.196.

[345] Birk betont an dieser Stelle [Birk (2004), S.195]: „Ganz entscheidend bei dieser Neufassung des Sprachproblems ist, dass die gewöhnliche Ausdrucksweise nach wie vor als die einzig sinnvolle gilt, dass sie also nicht durch eine adäquatere Sprache ersetzt werden kann, wie Wittgenstein selbst zur Zeit seiner phänomenologischen Überlegungen meinte.“ Die Bedeutung einer grammatischen Bewegung beim Philosophieren und die Beurteilung ihrer Richtigkeit sind hier aber nicht das Thema.

[346] EC, S.303 II R 106 2127: “Tout ce qui est dans la synchronie d’une langue, y compris l’analogie (=conséquence de notre activité), se résume très bien dans le terme de grammaire dans ca conception très voisine de l’ordinaire.” Vgl. auch oben S.73f.

[347] Die Gleichsetzung von synchronischer, grammatischer, morphologischer, semiologischer Betrachtung sowie der Betrachtung des Gebrauchs oder der Funktion sprachlicher Formen in Abgrenzung zur diachronischen bzw. phonetischen Betrachtung durchzieht z.B. den gesamten ersten Teil von Saussure (2003), der den Titel „Über das doppelte Wesen der Sprache“ trägt. Vgl. Saussure (2003), S.75-157, hier z.B. S.79f, [2e] [Vier Gesichtspunkte]: „Gesichtspunkt des Sprachzustandes für sich genommen “ = „Gesichtspunkt eines bestimmten Zeitpunkts “, ‚ semiologischer Gesichtspunkt’, ‚ morphologischer Gesichtspunkt’, ‚ grammatischer Gesichtspunkt’, „Gesichtspunkt der miteinander verbundenen Elemente “. Oder S.91, [5a] [Laut und Sinn]: „Die gesamte Untersuchung einer Sprache [langue] als System, das heißt einer Morphologie, läuft, wenn man so will, auf die Untersuchung des Gebrauchs der Formen oder auf die der Repräsentation der Begriffe hinaus. Es ist falsch zu meinen, es gebe irgendwo Formen, (die für sich selbst, außerhalb ihres Gebrauchs existieren) oder irgendwo Begriffe (die für sich selbst, außerhalb ihrer Repräsentationen existieren)“.

[348] Jäger (1976), S.240.

[349] Schneider (1992), S.410.

[350] Vgl. Stetter (1997), S.170.

[351] Ich belasse es hier dabei, zur ‚illokutiven Analogie’ eine kleine Anekdote zu erzählen: Als der Autor dieser Zeilen im Kindergarten zum ersten Mal mit dem Spiel „Wer hat Angst vorm schwarzen Mann?“ in Berührung kam, hat es eine ganze Weile gedauert, bis er bemerkte, dass der normalerweise beschreibende Konditionalsatz ‚ Und wenn er kommt, dann laufen wir. ’ als eine Aufforderung zum Loslaufen fungierte. So war er die ersten Male der einzige, der stehen blieb, während alle davonliefen, bis die soziale Abrichtung ihre Arbeit getan hatte und er es der Menge gleichtat.

[352] Stetter (1997), S.165f.

Ende der Leseprobe aus 78 Seiten

Details

Titel
Analogie und Sprache - Betrachtungen zum Analogie-Begriff bei Saussure und Wittgenstein
Hochschule
Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen  (Institut für Sprach- und kommunikationswissenschaft)
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
78
Katalognummer
V111110
ISBN (eBook)
9783640092079
Dateigröße
707 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Analogie, Sprache, Analogie-Begriff, Saussure, Wittgenstein, Sprachwandel, Phonetischer Wandel, Analogischer Wandel, Metapher, Zwei-Welten-Ontologie, Sprachtheorie
Arbeit zitieren
Adrian Pohl (Autor:in), 2007, Analogie und Sprache - Betrachtungen zum Analogie-Begriff bei Saussure und Wittgenstein, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111110

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Analogie und Sprache  -  Betrachtungen zum Analogie-Begriff bei Saussure und Wittgenstein



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden