Kunstprojekt im öffentlichen Raum als Methode der Gemeinwesenarbeit - Am Beispiel Strafvollzug: Kommunikationsbrücken zwischen drinnen und draußen


Hausarbeit, 2006

17 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Soziokultur und Kunstprojekte im öffentlichen Raum
2.1 Der Begriff der Soziokultur
2.2 Was ist öffentlicher Raum?
2.3 Die Möglichkeiten von Kunst und Kultur
2.4 Partizipatorische Kunstprojekte

Exkurs: Soziokulturelle Zentren

3. Kunst als Vermittler zwischen gegensätzlichen Sozialräumen
3.1 Beispiel: Von drinnen und draußen
3.2 Vision: Rapbattle, Gedichtevorlesung und Tattooentwürfe

4. Stellungnahme - Schlussgedanken

Literaturverzeichnis

Bücher und Arbeitspapiere:

Internet:

In jedem Straftäter steckt etwas von einem Künstler.
Und in jedem Künstler steckt etwas von einem Straftäter.
Gemein ist ihnen der Widerstand, die Marginalität, das Leiden.

zitiert aus: L’Art vers la liberté (Arte: Kunst im Knast), http://archives.arte-tv.com/thema/prisonart/dtext/ (Stand 15.06.2006)

1. Einleitung

Unser gemeinsames Interesse für jugendliche Straftäter und den Jugendstrafvollzug im Allgemeinen führte uns in die Jugendstrafanstalt Laufen-Lebenau, in der die jüngsten Straftäter Bayerns untergebracht sind, um im Rahmen unserer Diplomarbeit dort Interviews zu führen.

Die eine von uns hatte bereits ihr Praktikumsjahr dort verbracht und leitet nun ehrenamtlich einmal wöchentlich eine Entspannungsgruppe dort, die andere begleitet einige der vorher in der JVA interviewte Heranwachsenden nach ihrer Entlassung auf ihrem Weg in Freiheit.

Da uns alles, was mit dieser Thematik zu tun hat "brennend" interessiert und wir festgestellt haben, dass die inhaftierten Jugendlichen wenig bis gar keine "Lobby" haben – sich eigentlich niemand mehr für ihre Probleme interessiert, sobald sie aus unserer Gesellschaft ausgeschlossen und in das Jugendgefängnis eingesperrt sind – machten wir uns auch auf der Ebene unseres Seminars Methoden der Gemeinwesenarbeit Gedanken, wie wir einen unterstützenden Beitrag für unsere Klientel leisten können. Zum einen, um die Belange der inhaftierten Jugendlichen der Öffentlichkeit und der Politik ins Bewusstsein zu bringen, die oft vorherrschenden unmenschlichen Haftbedingungen aufzuzeigen und so für eine Änderung der Zustände hinsichtlich der Intensivierung individueller haftbegleitender Unterstützung, dem Ausbau von Resozialisierungsmaßnahmen, der Verbesserung der Entlassungsvorbereitung zu sorgen oder auch, um durch die Verdeutlichung der Biographie der Inhaftierten, Verständnis zu wecken für ihre Situation und damit zur Schaffung der Voraussetzung für einen menschlicheren Umgang mit ihnen. Zum anderen, um Jugendlichen draußen, die Gefahr laufen einen ähnlichen Weg einzuschlagen und Eltern oder anderen interessierten Bürgern aufzuzeigen, wie schnell es oft zu einem gesellschaftlichen Ausschluss durch Einschluss kommen kann.

Wir haben sehr viel Zeit mit den Eingesperrten verbracht und überrascht festgestellt, dass viele von ihnen unentdeckte künstlerische Begabungen in sich tragen – diese haben wir uns zunutze gemacht und gemeinsam mit acht der jungen Männer, die am Entspannungstraining teilnehmen, eine Vision für ein Kunstprojekt im öffentlichen Raum entwickelt, das wir am Ende dieser Arbeit vorstellen.

Zuerst wollen wir aber einen kurzen Überblick über das Feld geben, in dem wir uns mit unserer Idee bewegen werden, um im Anschluss daran ein bereits realisiertes Kunstprojekt zu präsentieren, das sich ebenfalls zwischen den beiden nebeneinander existierenden sozialen Räumen hin- und herbewegt – dem öffentlichen Raum draußen, der für jeden, nicht eingesperrten Bürger zugänglich ist und dem geschlossenen Raum Gefängnis, der für freie Bürger nicht uneingeschränkt zugänglich ist und von den eingesperrten Menschen nicht verlassen werden kann.

2. Soziokultur und Kunstprojekte im öffentlichen Raum

Die Frage nach der eigenen Verortung in der Gesellschaft bzw. im Stadtteil (oder Dorf) führt direkt in das Wirkungsfeld der Soziokultur (Bernd Hesse zum Prinzip Soziokultur: "Solidarisch, lebendig, bunt und vielfältig, lebensnah, mit- statt gegeneinander, emanzipatorisch. Und immer in der Hoffnung, die Welt ein bisschen besser zu machen").[1]

Bezogen für Kunstprojekte im öffentlichen Raum lassen sich folgende Fragen formulieren: Was bedeutet öffentlicher Raum heute? Wie wird er definiert? Und wie lässt er sich gestalten?

2.1 Der Begriff der Soziokultur

Der Begriff "Soziokultur" (Sozio-Kultur) bedeutet übersetzt: Gesellschafts-Kultur und unterstellt damit eigentlich das Vorhandensein einer Kultur, die nicht gesellschaftlich ist. Trotzdem hat sich diese Wortschöpfung in den westdeutschen Bundesländern seit knapp 30 Jahren und in den ostdeutschen nach der Wende etabliert. Obwohl "Soziokultur" Gegenstand von Kulturpolitik und öffentlicher Förderung ist, bleibt ihr eigentlicher Inhalt weiterhin unbestimmt, sehr vielgestaltig und wenig klar definiert.

Dennoch zeichnet sich das soziokulturelle Verständnis von Kultur, Kulturarbeit und Kulturpolitik trotz vieler unterschiedlicher Ausdrucksformen und diskontinuierlicher Entwicklungen durch einige gemeinsame inhaltliche Grundsätze aus.

Dazu zählen Ansprüche wie

- die kulturelle und künstlerische Selbsttätigkeit der Menschen zu stärken sowie zur Selbstorganisation und Selbstverwaltung von Kultureinrichtungen und Kulturprojekten beizutragen

- die künstlerische Produktions-, Vermittlungs- und Aneignungsformen in die Alltagskultur einzubinden und möglichst vielen Menschen den Zugang zu Kultur und Kunst zu erleichtern

- die Integration verschiedener Altersgruppen, sozialer Schichten und unterschiedlicher Nationalitäten durch kulturelle Aktivitäten zu unterstützen und somit zum innergesellschaftlichen Kulturaustausch beizutragen

- das Verständnis emanzipativer kultureller Praxis, die helfen möchte, dass Menschen selbst "Bilder eines gelungenen Lebens" entwickeln und ausprobieren können[2]

2.2 Was ist öffentlicher Raum?

Man versteht unter öffentlichem Raum Orte, die für jeden frei und ohne Bezahlung zugänglich und nutzbar sind. Es zählen Straßen und öffentliche Plätze ebenso wie Gebäude dazu, die frei zugänglich sind und meist dem Staat gehören. Große Teile der Natur können ebenso zum öffentlichen Raum gezählt werden wie Stadtmöbel, die mit ihrer Plakatwerbung Objekte im öffentlichen Raum sind. Öffentlicher Raum wird zunehmend privatisiert und steht dann nicht mehr allen Menschen zur Verfügung, sondern nur denjenigen, denen es vom Besitzer erlaubt ist.[3]

Der Stadtteil bzw. das Dorf als Bezugspunkt verliert auch durch die Auflösung lokaler Identitäten in einer mobiler und virtueller werdenden Welt, zunehmend an Bedeutung.

Dennoch ist die Neugestaltung der öffentlichen Räume in den letzten Jahren zu einem wichtigen Anliegen der Stadtplanung geworden. Trotz ihres Funktionsverlustes als Orte politischer Willensbildung und Kundgebungen haben die Plätze zur Freizeitgestaltung von jung und alt, zu Spiel und Beobachtung, als Treffs und zur Selbstdarstellung wichtige kulturelle und soziale Alltagsaufgaben zu erfüllen.[4]

Unsere Definition für "Kunst im öffentlichen Raum" in dieser Arbeit schließt auch künstlerische Arbeiten mit ein, die über das Radio, das Fernsehen oder via Internet vermittelt werden. Der Umgang mit neuen Medien ist genauso in der Definition des öffentlichen Raumes enthalten, wie auch urbane Gestaltungen, Landschaftskunst und nicht zuletzt Kunst am Bau.

2.3 Die Möglichkeiten von Kunst und Kultur

Mithilfe von Kunstprojekten im öffentlichen Raum ist es möglich, bei Menschen Bewusstseinsprozesse in Gang zu setzen oder zu fördern, welche die Mitglieder einer Gesellschaft überhaupt erst dazu in die Lage versetzen, Lösungsstrategien und Visionen zu entwickeln.

Das in der Kunst enthaltene Potential zur Intervention in der Gesellschaft ist vielfältig:

Durch Kunst besteht gleichermaßen die Möglichkeit, Wirklichkeit aufzuzeigen, darzustellen, Widersprüche erkennbar sowie erfahrbar zu machen aber auch, Realität zu gestalten – wie beispielsweise den öffentlichen Lebensraum.

Der Umgang mit Kunst stellt damit für die an der Kunstproduktion beteiligten KünstlerInnen, die BürgerInnen als auch für die KunstkonsumentInnen eine Methode dar, die Welt zu analysieren und zu erkunden.

2.4 Partizipatorische Kunstprojekte

Um dieses Potential des Mediums Kunst fruchtbar werden zu lassen und die kulturelle und gesellschaftliche Partizipation von StadtteilbewohnerInnen bzw. DorfbewohnerInnen zu fördern, ist eine professionelle Begleitung interaktiver Projekte unerlässlich und gibt diesem Bereich somit eine besondere sozialarbeiterische Relevanz.

Soziokulturelle Partizipationsprojekte bieten auch die Chance, multifunktionalen Inszenierungen von passivem Konsumverhalten, wie es die postmoderne Passagen- und Erlebniskultur hervorbringt, etwas entgegenzusetzen: Die kontinuierliche Rückeroberung des öffentlichen Raumes sowohl durch die KünstlerInnen als auch durch die Bevölkerung selbst.

Dieser Ansatz lässt sich als Form ästhetischer Bildung begreifen, die den öffentlichen Raum zum Ort sozialen Handelns und kreativer Mitgestaltung der Umwelt werden lässt – so dass es neben dem ökonomisierten Raum für Kunst und Kultur auch Orte gibt, wo diese primär gelebt statt gekauft werden.[5]

Hier könnten zum Beispiel durch im Stadtteil (oder Dorf) tätige SozialarbeiterInnen gemeinsam mit dort ansässigen Bürgern Teams gebildet werden, die selbst (und miteinander) in gestalterische Prozesse gehen und daraus Projekte z. B. im Stadtteil entwickeln und sie nicht an künstlerische oder kulturpädagogische ExpertInnen delegieren.

Ein geeigneter Raum für die Planung und Durchführung eines solchen Kunstprojektes im öffentlichen Raum könnte neben den unter Punkt 2.1 (Was ist öffentlicher Raum?) beschriebenen Orten ein soziokulturelles Zentrum – als welches sich beispielsweise das Kulturhaus Milbertshofen[6] verstanden wissen möchte – sein.

Exkurs: Soziokulturelle Zentren

″Freiräume schaffen, Selbsthilfe und Vernetzung stärken, zwischen Kulturen vermitteln, Konfliktkultur fördern, das ist ein großer Teil des Alltags eines soziokulturellen Zentrums. Soziokultur ist die Kultur des Zusammenlebens. Überall, wo Menschen sich füreinander interessieren, sich umeinander kümmern, gemeinsame Interessen verfolgen, dort ist Soziokultur.

Aber eine gute Idee braucht auch Unterstützung: einen Raum, eine Infrastruktur. Dann können zum Beispiel Jugendliche, die lieber zusammen Basketball spielen, als auf der Straße rumzuhängen, eine Turnhalle dafür finden. Dann können Eltern einen Spieletreff aufbauen, Theaterbegeisterte ihr Stück aufführen und Selbsthilfegruppen gemeinsam Probleme anpacken.″[7]

Mit unterschiedlicher Akzentuierung betätigen sich soziokulturelle Zentren heute vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit (Kinderläden, offener Bereich, Hausaufgabenhilfe, Kreativkurse, Ferienfreizeiten, Berufsvorbereitung und Ausbildung, Beratung, Beschäftigungsprojekte, offene Werkstätten), in der Stadtteilarbeit (Stadt(teil)-Zeitung, Stadtteilfeste, stadtentwicklungspolitische Initiativen, Zusammenarbeit mit BürgerInnen-Initiativen, Vereinen und Schulen), in der Programm- und Veranstaltungsarbeit (Theater, Kabarett, Musik, Ausstellungen, Lesungen, Kino, Disco- und Tanzveranstaltungen) auch jeweils für bestimmte Zielgruppen.

Mit Angeboten für SeniorInnen (Kreativ- und Gesundheitsvorsorge-Kurse, soziale Versorgung, Geschichtswerkstätten, Tanzveranstaltungen, Buchausleihe) in der Bildungs- und politischen Arbeit (Seminare, Workshops, Bildungsurlaube, Diskussionsveranstaltungen, Sprachkurse).

Darüber hinaus sind soziokulturelle Zentren auch "Dienstleister" in einem Stadtteil, einer Stadt oder Region. Sie überlassen kulturell, sozial oder politisch tätigen Vereinen, Gruppen und Initiativen Räumlichkeiten und technische Infrastruktur in eigener Verantwortung, stellen Proben- und Produktionsmöglichkeiten für Musik- und Theatergruppen sowie KünstlerInnen Ateliers zur Verfügung u.v.m.

Außerdem gehört zu fast allen Einrichtungen ein offener Kommunikationsbereich mit Gastronomie, als Teestube, Café, Kneipe oder Restaurant.[8]

3. Kunst als Vermittler zwischen gegensätzlichen
Sozialräumen

Im nachfolgend dargestellten Kunstprojekt sind zwar nicht Sozialarbeiter die Initiatoren, dennoch ist es ein soziokulturelles Partizipationsprojekt, an dem sich Menschen aus zwei Sozialräumen beteiligten, die nicht unterschiedlicher sein könnten und dennoch ein nebeneinander bestehender Teil unserer Gesellschaft sind.

Die Idee, Kunst zum Träger von wechselseitiger Teilnahme einander sonst verschlossener Bereiche zu machen diente als Vorbild, für die Entwicklung einer Vision aus der Jugendstrafanstalt Laufen-Lebenau, in der die jüngsten Straftäter Bayerns untergebracht sind und deren Beschreibung im Punkt 3.2 folgt.

3.1 Beispiel: Von drinnen und draußen

″Der Raum nimmt einen gefangen. Mit schwarzer Plastikfolie wurde das Tageslicht ausgesperrt. Und so bleibt den Besuchern im Hofgartensaal der der Kemptener Residenz nichts anderes übrig, als auf die Bilder zu schauen, die auf Wände, Säulen und Gewölbe projiziert werden. Gefängnismauern sind zu sehen, Zäune, Gitter. Und Menschen mit Tätowierungen, glatt rasierten Schädeln, nackten Oberkörpern, in Häftlingskleidung. Man fühlt sich tatsächlich nicht wie in einer altehrwürdigen Ausstellungshalle, sondern wie im Gefängnis. Ein vielstimmiges Gemurmel sorgt zusätzlich für eine beklemmende Atmosphäre. Es kommt von den CD-Playern in den Fensternischen. Aus den Lautsprechern tönen Männerstimmen. Sie erzählen von verkorksten Leben, von Drogenkarrieren, Alkoholabhängigkeiten, kriminellen Energien, von Verhaftungen und Gerichtsverfahren. Und vom Alltag im Männer-Gefängnis. Genauer gesagt vom Leben in der Justizvollzugsanstalt Kempten.″[9]

Was wie eine Knast-Doku erscheint, ist in Wirklichkeit ein einzigartiges Kunstprojekt. Es läuft schon fast vier Jahre und findet nun in der oben dargestellten Multimedia-Schau sowie einem Buch mit Erzählungen und Bildern aus dem Gefängnis seinen Abschluss. "Von Draußen und Drinnen" heißt das Konzept der drei Allgäuer Künstler Waltraud Funk, Gerhart Kindermann und Christian Hörl.

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In einem ersten Teil im Jahr 2002 forderten sie über 113.000 Flyer, die in den Tageszeitungen im Einzugsbereich der Justizvollzugsanstalt Kempten beilagen, die Allgäuer auf, Fotogrüße in die neue JVA zu schicken. 880 Menschen beteiligten sich daran. 430 Fotografien wählte das Künstlertrio aus und komponierte für den Speisesaal des Gefängnisses eine 22 Meter lange und zwei Meter hohe Bilderwand. Ein Kunstwerk, entstanden aus behutsam geförderten Austausch, der sichtbar macht, dass "die da draußen" Kontakt aufgenommen haben mit "denen da drinnen" – sie nicht vergessen haben.

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Dann drehten die Künstler den Spieß um. Zusammen mit Sozialarbeitern und Geistlichen der Anstalt wählten sie ein Dutzend Häftlinge aus, drückten ihnen Kameras in die Hand mit der Bitte, den Gefängnisalltag abzulichten, um den Menschen draußen ihre Lebenswelt zu zeigen. Die Künstler unterstützten die Häftlinge mit Ratschlägen und Gruppengesprächen. 1.000 Bilder entstanden so. 230 davon sind nun auf den Wänden und Decken des Hofgartensaales zu sehen, 100 im Buch.

Die Sicht der Dinge von Menschen, die wir aus unserer Gemeinschaft ausgeschlossen haben – festgehalten um veröffentlicht bzw. in den öffentlichen Raum transportiert zu werden.
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Die Initiatoren waren in mehrerlei Hinsicht überrascht. Einerseits vom großen Interesse im Gefängnis. Immerhin 50 Häftlinge wollten sich beteiligen - viel mehr als erwartet. Aber auch die Angestellten und die Gefängnisleitung kooperierten gerne. Der Anstaltsleiter lobte das Projekt als eine spannende Sache und für die Öffentlichkeitsarbeit der Anstalt als sehr hilfreich. Außerdem beeindruckte ihn die Offenheit der Gefangenen gegenüber den Künstlern. Andererseits waren die Künstler erstaunt über die Qualität der Fotos. Bedrohlich ragen Mauern und Zäune empor, versperren Gitter die Fenster und Türen - und vermitteln so drastisch wie plastisch das Gefühl, weggesperrt zu sein. Mit elf Insassen wurden schließlich längere Interviews geführt, in denen sie über sich selbst und ihr Leben im Gefängnis erzählen. Diese Tondokumente ergänzen die Schau in der Hofgartenhalle (und in Textform die Fotos im Buch).

Vermutlich wird es den Betrachtern und Lesern ähnlich ergehen wie dem Künstler-Trio. Kindermann: "Unsere Sicht auf die Gefangenenwelt hat sich verändert, das Verständnis für die Häftlinge und ihr Leben sind gewachsen."

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3.2 Vision: Rapbattle, Gedichtevorlesung und Tattooentwürfe

Verständis wecken in der Öffentlichkeit für die Situation straffällig gewordener inhaftierter Jugendlicher und die Möglichkeit für einen gegenseitigen Austausch eröffnen – ist auch Hintergrund der Idee von jungen Inhaftierten der JVA Laufen-Lebenau, die sie gemeinsam mit uns entwickelt haben.

Bei der Entwicklung dieser Vision unterstützen wir – die Verfasserinnen – eine Gruppe eingesperrter Heranwachsender, die eine von uns in Form einer wöchentlich stattfindenden ehrenamtlichen Entspannungsgruppe betreut.

Ein weiteres Anliegen, das die Gruppe mit der (noch nicht abgeschlossenen) Verwirklichung ihres Plans verbindet, ist: Eine Warnung für gefährdete Jugendliche sein – diesen Gedanken haben sie vollständig selbst konstruiert, ohne jeglichen Impuls unsererseits.

Der Gedanke, in von Jugendkriminalität bedrohten oder bereits betroffenen Stadtteilen bzw. ländlichen Gegenden ein Kunstprojekt durchzuführen kam uns, als wir für unsere Diplomarbeit mehrere Interviews mit jungen Häftlingen durchführten und in der JVA Laufen Statistiken zur Herkunft der Betroffenen lasen. Wir stellten fest, dass es beispielsweise im Raum München Stadtteile gibt, aus denen mehr Inhaftierte stammen, als aus anderen. Dasselbe gilt für bestimmte ländliche Regionen Bayerns. Die zunächst vage Vorstellung nahm Gestalt an, mit in Laufen-Lebenau einsitzenden Jugendlichen in eines der stark von Jugendkriminalität betroffenen Stadtgebiete zu gehen und dort gemeinsam mit den dort lebenden Jugendlichen zum gegenseitigen Austausch eine Art Workshop zu veranstalten, in dem es um das Thema Kunst gehen sollte – und zwar um Kunst, wie und in welcher Form die Jugendlichen selbst sie verstehen und ausdrücken.

In den Gesprächen mit den jungen Erwachsenen im Gefängnis erfuhren wir, dass es in der Jugendstrafanstalt aktuell ist, sich Raptexte auszudenken und sich über die vergitterten Fenster Rapbattles zu liefern.

Wir hatten aber nur einen grob umrissenen Entwurf im Kopf, als wir bei einem Gruppenabend die jungen Männer fragten, ob sie mitmachen wollten, mit uns einen Plan zu entwickeln, wie wir ihre jeweiligen Wege, wie sie in den Knast gekommen sind oder ihre Erlebnisse und Gedanken während der Haft oder was sie sonst noch den Jugendlichen draußen mitteilen wollten, nach draußen transportieren und mitteilen könnten. Wir waren fasziniert, mit welcher Begeisterung die Gruppe, bestehend aus acht jungen Männern die Idee aufnahm und sich sogleich an die Arbeit machte.

In der folgenden Gruppenveranstaltung hatten sich alle schon Gedanken gemacht, wie wir vorgehen wollten. In den folgenden Wochen schrieben die jungen Männer in Form von Raptexten auf, was sie den Jugendlichen draußen mitteilen wollten.

Ein anderes beliebtes Hobby, dem die Gefangenen in ihren Hafträumen nachgehen ist das Schreiben von Gedichten oder das Zeichnen von Tattooentwürfen. Wir beschlossen, dass wir begleitend zu der Rapbattleveranstaltung eine Ausstellung mit ihren Tattooentwürfen machen wollten und sie in den Pausen zwischen den Rapbattles ihre Gedichte vorlesen würden.

Ein Rapbattle soll immer zwischen einem inhaftierten Jugendlichen und einem stadtteilansässigen Jugendlichen stattfinden. Ebenso sollen die Gedichtevorlesungen in gegenseitigem Wechsel ablaufen, genauso wie in der Ausstellung der Tattooentwürfe eigene Kunstwerke der Jugendlichen "draußen" zu sehen sein sollen – dies können auch eigene Ideen sein, die wir als SozialarbeiterInnen im Vorfeld unterstützend begleiten können.

Selbstverständlich wussten die jungen Häftlinge vor Beginn der Planungen, dass es sich bei unserem Projekt vorläufig nur um ein rein fiktives handelt. Bevor man überhaupt in eine reale Organisation des Vorhabens einsteigt, d.h. sich draußen konkret um einen Veranstaltungsort, Ansprechpartner, Kostenträger usw. kümmert, muss mit den Verantwortlichen der Anstalt bzw. vermutlich sogar mit dem Justizministerium abgesprochen werden, wer von den Inhaftierten aufgrund möglicher Haftlockerungen oder anderer Aspekte, überhaupt für die Teilnahme eines solchen Kunstprojektes in Frage kommt.

Ort der Veranstaltung könnte ein Kulturhaus (wie in Milbertshofen) oder ein öffentlicher Platz eines von Jugendkriminalität bedrohten Stadtteils oder einer Ortschaft sein. Eventuell könnte man auch in Zusammenarbeit mit der Polizei, die an der Entwicklung von kriminalitätspräventiven Maßnahmen interessiert sein müsste oder mit den im Stadtteil zuständigen SozialarbeiterInnen ein solches Vorhaben planen.

Um in Erfahrung zu bringen, ob die im Stadtteil lebenden Jugendlichen an einer solchen Veranstaltung interessiert sind oder man sie dafür begeistern könnte, kann z.B. eine andere, im Seminar vorgestellte Methode, die "aktivierende Befragung" eingesetzt werden. Diese Methode erscheint uns sinnvoll, da sie eine längere Begleitung der Jugendlichen – die sowieso Voraussetzung bei der Projektplanung ist – benötigt. Außerdem sind in einem Stadtteil mit erhöhter Jugendkriminalität vermutlich die Faktoren gegeben, bei der eine aktivierende Befragung sinnvoll ist wie beispielsweise Veränderungsbedarf, persönliche Ressourcen (der Stadtteilbewohner, die sich durch die Kriminalität bedroht sehen), finanzielle Ressourcen (z.B. von der Stadt zur Kriminalitätsprävention, will Sicherheit der Bürger gewährleisten) usw.

Angesprochener Personenkreis könnten gefährdete Jugendliche, deren Eltern oder andere Interessierte sein.

Das Projekt soll ebenso wie "Von Drinnen und Draußen", zwei Realitäten zeigen und zum gegenseitigen Austausch anregen, die gegensätzlicher nicht sein könnten, und die doch nebeneinander existieren und so ein Beitrag leisten zu mehr gegenseitigem Verständnis oder klar machen, wie der Weg in den Knast aussehen kann. Die Menschen "draußen" sensibler für die Probleme der straffällig gewordenen Jugendlichen machen, um ihnen auf diese Art vielleicht den Weg zurück in die Gesellschaft zu erleichtern.

4. Stellungnahme - Schlussgedanken

Die Arbeit an diesem Thema hat uns unerwartet viel Freude bereitet – unerwartet aus dem Grund, weil keine von uns beiden sich zum einen mit dem Thema Kunst genauer beschäftigt hat und zum anderen, weil wir nicht gedacht hatten, dass die jungen Männer tatsächlich so begeistert mitmachen und "am Ball" bleiben würden, ihre Vorschläge auch in die Tat umzusetzen. Unser Horizont hat sich auch erweitert was den Kunstbegriff an sich betrifft: Raptexte schreiben und Rapbattles austragen bedeutet für die Jugendlichen mit denen wir zusammen gearbeitet haben Kunst.

Schade ist natürlich, da waren wir Gruppenmitglieder uns alle einig, dass wir das Projekt noch nicht ganz verwirklichen können und nicht gleich tatsächlich in einen Stadtteil damit gehen können. Aber unsere Vision bleibt: Nach Beendigung unseres Studiums wollen wir uns weiter für straffällig gewordene Jugendliche einsetzen – mit dem Einsatz von Kunstprojekten im öffentlichen Raum haben wir eine effektive Methode dafür kennen gelernt.

Zur Veranschaulichung der Arbeit unserer Künstler haben wir dem Anhang einige selbstverfasste Raptexte mit ausdrücklicher Genehmigung der Jugendlichen beigelegt.

Literaturverzeichnis

Bücher und Arbeitspapiere:

Augsburger Allgemeine Zeitung(28.04.2006). Von Draußen und Drinnen. Kunst geht durch Mauern.

Bomheuer, Andreas; Spieckermann, Gerd; Stüdemann, Jörg (1994). Projektförderung und Soziokultur. Essen: Arbeitshilfen Soziokultur.

FUNK, Waltraud; HÖRL Christian; KINDERMANN Gerhart (2003). Von Draußen und Drinnen. Immenstadt: J. Eberl Verlag KG.

Knoblich, Tobias J. (2001). Das Prinzip Soziokultur - Geschichte und Perspektiven, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 11/2001, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung.

Internet:

ask23: Die Kunst der Soziokultur. Partizipatorische Kunstprojekte (im öffentlichen Raum)als soziokulturelle Vision http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt01-5.html (Stand 02.07.2006)

Bundesvereinigung soziokultureller Zentren

http://www.soziokultur.de (Stand 15.06.2006)

Bundeszentrale für politische Bildung. Soziokultur West – Soziokultur Ost. Bernd Wagner - wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Kulturpolitik der Kulturpolitischen Gesellschaft Bonn.

http://www.bpb.de/publikationen/WTEV3Z,0,0,Soziokultur_West_Soziokultur_Ost.html(Stand 03.07.2006)

Hamburg/St. Pauli: Theater-Kooperationsprojekt zur WM 2006 Titel: HEIMSPIEL – Aus der Tiefe des Viertels - Planung / Erarbeitung: 2005 /2006 Aufführungen http://www.koelibri.de (Stand 28.05.2006)

Hessen: Entwicklungskonzept "Soziokultur in Hessen 2002-2006" http://www.hessen-szene.de/public/profil/soziokultur.html (Stand 15.06.2006)

München:

Gefährliche Kreuzungen - Die Grammatik der Toleranz. Die Landeshauptstadt München fördert mit ihrer bundesweit einzigartigen Projektreihe Ortstermine seit 2004 Kunst im öffentlichen Raum. Erstmals erhalten die Ortstermine in diesem Jahr thematische Schwerpunkte. Das Colloquium fokussiert »Die Grammatik der Toleranz« und bereitet auf die im Herbst 2006 unter dem Titel »Gefährliche Kreuzungen« geplanten Kunstprojekte inhaltlich vor.http://www.muenchen.de/vip8/prod2/mde/_de/rubriken/Rathaus/55_kult/40_veranstaltungen/10_programme/ortstermine/colloquium.pdf (Stand 28.05.2006)

Kulturhaus Milbertshofenhttp://www.kulturhaus-milbertshofen.de/ (Stand 02.07.2006)

Kunstprojekte Riem war ein Modellversuch der Landeshauptstadt München für öffentliche Kunst in der Messestadt Riem, einem neu entstehenden Münchner Stadtteil

http://www.kunstprojekte-riem.de (Stand 28.05.2006)

LAG Soziokultur Bayern e.V. Geschäftsstelle - c/o Pasinger Fabrik GmbH

http://www.soziokultur-bayern.de (Stand 02.07.2006)

Stadtplanungsforum Stuttgart. Thesenpapier Teilbereich "Öffentlicher Raum". http://www.stadtplanungsforum.de/mat/SPF-STEK-ak-oeffentlicherraum-05-05-03.pdf (Stand 15.06.2006)

VON DRINNEN UND DRAUSSEN, ein Projekt von Waltraud Funk, Christian Hörl, Gerhart Kindermann, mit Unterstützung der Justizvollzugsanstalt Kempten und des Hochbauamts Kempten

http://www.vondraussenunddrinnen.de (Stand 28.05.2006)

[...]


[1] Vgl. http://www.hessen-szene.de/public/profil/soziokultur.html

[2] Vgl. http://www.bpb.de/publikationen/WTEV3Z,0,0,Soziokultur_West_Soziokultur_Ost.html

[3] Vgl. http://www.stadtplanungsforum.de/mat/SPF-STEK-ak-oeffentlicherraum-05-05-03.pdf

[4] Ebenda

[5] Vgl. http://ask23.hfbk-hamburg.de/draft/archiv/ml_publikationen/kt01-5.html

[6] http://www.kulturhaus-milbertshofen.de

[7] http://www.soziokultur-bayern.de

[8] Vgl. http://www.soziokultur.de

[9] Bericht aus der Augsburger Allgemeinen Zeitung vom 28.04.2006

Ende der Leseprobe aus 17 Seiten

Details

Titel
Kunstprojekt im öffentlichen Raum als Methode der Gemeinwesenarbeit - Am Beispiel Strafvollzug: Kommunikationsbrücken zwischen drinnen und draußen
Hochschule
Hochschule München  (Sozialwesen)
Veranstaltung
Handlungslehre der Sozialen Arbeit
Note
1,3
Autoren
Jahr
2006
Seiten
17
Katalognummer
V111192
ISBN (eBook)
9783640092802
Dateigröße
541 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kunstprojekt, Raum, Methode, Gemeinwesenarbeit, Beispiel, Strafvollzug, Kommunikationsbrücken, Handlungslehre, Sozialen, Arbeit
Arbeit zitieren
Dipl.-Sozialpäd. (FH) Gabriela Springer (Autor:in)Susanne Butterhof (Autor:in), 2006, Kunstprojekt im öffentlichen Raum als Methode der Gemeinwesenarbeit - Am Beispiel Strafvollzug: Kommunikationsbrücken zwischen drinnen und draußen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111192

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