In der vorliegenden Diplomarbeit wird im Kontext der Ungewissheit hinsichtlich einer gemeinsamen Basis der unterschiedlichen Ausprägungen der Psychologie die Frage untersucht, was dem Erleben und Verhalten von Psychologen zu Grunde liegt.
Der erste Teil der Arbeit beleuchtet zunächst unterschiedliche Aspekte von Menschenverständnissen und stellt anschließend die verschiedenen Menschenbilder der unterschiedlichen Richtungen der Psychologen dar. Dabei wird der Frage nachgegangen, wovon Psychologen ausgehen, wenn sie den Pfad der Erklärungssuche für das menschliche Erleben und Verhalten beschreiten.
Der zweite Teil der Arbeit widmet sich einmal einer Quantitativen Erhebung zu den Menschenbildern unter Psychologiestudenten. Auf diese baut anschließend eine Qualitative Befragung auf, in der fünf Psychologiestudenten einmal hinsichtlich ihrer Voraussetzungen und Überzeugungen interviewt werden, die sie in das Psychologiestudium mitbrachten. Weiterhin werden die fünf, hinsichtlich des heutigen Eindrucks über die Psychologie in der Praxis und als Wissenschaft befragt. Abschließend nehmen sie zu der Frage Stellung, ob und wie die vorherrschenden Menschenbilder im Erleben und Verhalten der verschiedenen Psychologen in der Wissenschaft und der Anwendung einen Niederschlag finden.
Im dritten und letzten Teil der Arbeit werden die in den ersten beiden Teilen aufgetauchten Konflikte zwischen den verschiedenen psychologischen Richtungen und den sich daraus ergebenden Fragen zunächst integrativ mittels einer Überbrückung der Gegensätze und der Suche nach einer gemeinsamen Basis aufgearbeitet. Abschließend wird dann ein pragmatischer Ausblick in die Zukunft einer möglicherweise postmodernen Psychologie unternommen und weitere Untersuchungen zum Themenkomplex der vorliegenden Diplomarbeit angeregt.
Inhaltsverzeichnis
1 Vorbemerkungen
1.1 Danksagung
1.2 Zum Sprachgebrauch in dieser Arbeit
2 Einleitung
3 Menschenbilder
3.1 Menschenbilder im Rahmen von Weltbildern
3.1.1 Außenperspektive
3.1.1.1 Kulturperspektive: Produkt versus Prozess
3.1.1.2 Anthropozentrismus versus Holismus
3.1.2 Innenperspektive
3.2 Menschenbilder in der Psychologie
3.2.1 Implizite und explizite Menschenbilder in der Psychologie
3.2.2 Kausale, intentionale und sinnverstehende Modi der Menschenbilder
3.2.3 Reduktiv-implikative und elaborativ-prospektive Menschenbilder
3.2.3.1 Reduktiv-implikative Subjektmodelle
3.2.3.1.1 Behaviourismus
3.2.3.1.2 Kognitivismus
3.2.3.2 Mischformen
3.2.3.2.1 Psychoanalyse
3.2.3.2.2 Systemtheorie und Sozialer Konstruktivismus
3.2.3.3 Elaborativ-prospektive Modelle
3.2.3.3.1 Humanistische Psychologie
3.2.3.3.2 Gestalttherapie
3.2.4 Abschließende Überlegungen zu den Menschenbildern
4 Methodische Vorgehensweise
4.1 Die Auswahl der Stichprobe
4.2 Das Leitfadeninterview
4.2.1 Fragestellung
4.2.2 Transkription
4.2.3 Auswertung
4.2.4 Zusammenfassung
5 Vorstellung der Interviewpartner
5.1 Porträt der Psychologiestudentin H
5.1.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
5.1.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
5.2 Porträt der Psychologiestudentin Y
5.2.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
5.2.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
5.3 Porträt des Psychologiestudenten R
5.3.1 Menschenbild aus seinem Fragebogen
5.3.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
5.4 Porträt der Psychologiestudentin E
5.4.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
5.4.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
5.5 Porträt der Psychologiestudentin T
5.5.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
5.5.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
6 Ergebnisse
6.1 Erwartungen an das Psychologiestudium
6.2 Heutiges Bild von der Psychologie in der Praxis und als Wissenschaft
6.2.1 Beurteilung der Psychologie von der Studentin H
6.2.2 Beurteilung der Psychologie von der Studentin Y
6.2.3 Beurteilung der Psychologie von dem Studenten R
6.2.4 Beurteilung der Psychologie von der Studentin E
6.2.5 Beurteilung der Psychologie von der Studentin T
6.2.6 Gemeinsame Beurteilung
6.3 Auswirkungen von Menschenbildern auf den Umgang der Psychologen mit Menschen
6.3.1 Überlegungen der Studentin H
6.3.2 Überlegungen der Studentin Y
6.3.3 Überlegungen des Studenten R
6.3.4 Überlegungen der Studentin E
6.3.5 Überlegungen der Studentin T
6.3.6 Vergleichende und zusammenfassende Überlegungen
6.3.6.1 Zum Menschenbild
6.3.6.2 Zu den Auswirkungen bei den Befragten selbst
6.3.6.3 Zu den Auswirkungen auf Psychologen allgemein
6.3.6.4 Offene Fragen
7 Diskussion
8 Pragmatischer Ausblick
8.1 Verhaltensgrundsätze bei Kant
8.2 Verhaltensgrundsätze der Postmoderne
8.3 Mögliche Verhaltensgrundsätze einer postmodernen Psychologie
9 Schlussbetrachtung
10 Literatur
Anhang: Fragebogen zum Menschenbild
1 Vorbemerkungen
1.1 Danksagung
Für das Zustandekommen dieser Diplomarbeit möchte ich meiner Frau danken, die mir unterstützend zur Seite stand, meinen Kindern für die tägliche Erdung, die sie mich erfahren ließen, meinem Professor Dr. Heiner Keupp für das Zutrauen, das er mir bezüglich dieser Arbeit entgegenbrachte und die Anregungen, die ich durch ihn erfuhr. Meiner Schwester Judith, meinem Vater und Stefanie Schneider danke ich dafür, dass sie meine Arbeit Korrektur lasen, und meinen Kommilitoninnen und Kommilitonen dafür, dass sie mir so zahlreich für Diskussionen, Fragebögen und Befragungen zur Verfügung standen und mir das Gefühl vermittelten, dass sie in dem, worüber ich schrieb, hinter mir stünden.
1.2 Zum Sprachgebrauch in dieser Arbeit
Aufgrund besserer Lesbarkeit werde ich mich in dieser Arbeit sprachlich auf die männliche Form beschränken, d.h., wenn z.B. von Kommilitonen die Rede ist, sind sowohl weibliche als auch männliche Kommilitonen gemeint.
2 Einleitung
„Je mehr sich psychologische Sichtweisen soziokulturell ausbreiten, desto zweifelhafter ist es um die Identität der Psychologie bestellt. Es wird zunehmend klar: In dieser singularisierten Form gibt es weder „eine Psychologie“ und entsprechend auch keine einheitliche Identität. […] Diese tiefen Spannungen zwischen einer elitären und praxisabstinenten akademischen Psychologie, die sich der Grundlagenforschung verschrieben hat und einer praktisch gewendeten Psychologie haben längst das Bild einer einheitlichen Disziplin und Profession dementiert.“ (Keupp 1994)[1].
„[B]ei den meisten Vertretern/innen [...] besteht [...] nach meiner Beobachtung [... die] Grundüberzeugung, dass "ihre" Psychologie die bessere ist. [...] Das ist ja die Rechtfertigungsgrundlage für alle Hegemonialität, für alle Marginalisierungsversuche gegenüber [... jedem anderen] Paradigma [...], dass letztere[...] die 'schlechtere Psychologie' treibt. Dadurch, dass beide Seiten diese Grundüberzeugung von der prinzipiellen Überlegenheit des eigenen Ansatzes haben, kann sich in Bezug auf die Zusammenführung der beiden Traditionen[2] nichts oder kaum etwas bewegen. In einer solch verfahrenen Situation sind die Klügeren gefragt, nicht, um nachzugeben, sondern um sich geistig zu bewegen: die Einstellung zu entwickeln, dass die Bandbreite und Komplexität des Menschen als Erkenntnis-Objekt so groß sind, dass beide Traditionen sinnvolle Arbeit leisten (können).“ (Groeben 2006)[3].
Zum Ende meines Psychologiestudiums hin konnte ich mich endlich der Frage widmen, welches Thema mich für meine Diplomarbeit besonders interessieren würde. Ich besann mich zunächst auf das, was ich mir von diesem Studium ursprünglich erhoffte. Dieser Erwartung, neuere Erkenntnisse über das wer oder was der Mensch sei und waru m, verglichen mit dem Resultat, also den mir im Studium vorgesetzten Informationen, folgte ein oft nach einem McDonalds Besuch gespürter Zustand, so etwas wie ein substanzleeres Völlegefühl, ein unbefriedigt gefüllter Magen. Ein Empfinden, das mich schon während des gesamten Studiums latent begleitete, und das seinen Ausdruck oft darin fand, dass mich, sobald mich jemand auf mein Studium ansprach, jenseits meiner rationalen Vergegenwärtigung eine Gereiztheit überfiel, die ich nicht zu erklären vermochte.
Nun gewann ich aber den Eindruck, dass ich mit diesem Unbehagen nicht gänzlich allein stand, auch wenn ich vielleicht den Kontakt zu Kommilitonen mit größerer Euphorie hinsichtlich des dargebotenen Stoffes unbewusst eher mied. So versuchte ich in Gesprächen mit Kommilitonen und in kritischer Reflexion meines Unbehagens die Ursachen dieser Unzufriedenheit zu ergründen.
War ich nur den üblichen überhöhten Erwartungen am Anfang eines Studiums aufgesessen und hatte in Verkennung nüchterner wissenschaftlicher Erkenntniseingrenzung in Routine- und Kernerarbeit Luftschlösser erwartet, wo doch nur Lehmhütten Platz fanden? Oder gab es auch eine empirische Basis, aus der sich neue grundlegende und anwendbare Erkenntnishorizonte entbergen ließen, und sich daraus wissenschaftliche Legitimität dem eher defizitären Gefühl des Unmuts weichen konnte?
In Anlehnung an die Hypothese, dass emotionales Empfinden rationale Entscheidungsprozesse einleite, lege ich den folgenden Ausführungen, diese obige einführende Erörterung zu Grunde.
Wenn heutzutage von Psychologie die Rede ist, so ist anzunehmen, dass dieser Begriff bei verschiedenen Menschen unterschiedliche Assoziationen hervorruft. Und das nicht nur in Hinblick auf den praktischen Nutzen, den Menschen dieser Disziplin zuschreiben. Als Beispiel sei hier auf die heterogenen Erwartungen verwiesen, die angehende Psychologiestudenten als entscheidungsführend zu diesem Studienfach benennen.
Die Aufmerksamkeit dieser Disziplin richtet sich ihrem Ursprung nach auf das, was seit der Kopernikanischen Wende [4] der Wissenschaft als Ausgangspunkt für jede Erkenntnis gilt. Es ist der Mensch. Das Anliegen der Psychologie zielt darum darauf, den Menschen in seinem Erleben und Verhalten zu ergründen, und geht dabei insofern implizit vom Menschen als einem selbst reflektierenden Subjekt aus.
Doch spricht man vom Menschen, mag es diejenigen geben, die in Abgrenzung zu anderen Lebensformen sagen, der Mensch ist sich selbst ein Ebenbild, wie das der Universalismus tut. Es wird aber auch andere geben, die einwenden, dass das Einzige, worin der Mensch sich gleiche, seine jeweilige Verschiedenheit zu anderen Menschen sei.
Wie lässt sich dann aber eine Wissenschaft denken, die Gesetzmäßigkeiten an einem Objekt erschließt, welches sich in so vielerlei Hinsicht von den Objekten seiner Art unterscheidet?
Es mag deshalb nicht verwundern, dass Psychologie als einzige Wissenschaft sowohl als Geistes-, Sozial-, als auch als Naturwissenschaft gelten kann. Ebenso wenig darf irritieren, dass in ihr zahlreiche Richtungsstreitigkeiten ausgefochten werden und miteinander konkurrierende Therapieformen existieren. Denn wo so mannigfaltige Unterschiede, wie die des Menschen aufgedeckt werden, muss eine in ihrer Logik sich ausdifferenzierende und spezialisierende Wissenschaft, wie die der Psychologie, folglich auch ähnlich viele Teilwissenschaften hervorbringen.
In Anlehnung an das politische Dilemma, Wer kontrolliert die Kontrolleure? möchte ich mich deshalb dem Thema nähern, Wer ergründet die Ergründer?, also der Frage nachgehen, Was liegt dem Erleben und Verhalten von Psychologen zu Grunde?
Nun möchte ich den resultierenden Spiegel-in-Spiegel Effekt vermeiden, der darin münden würde, über die darüber hinausgehenden Ergründer der Ergründer reflektieren zu müssen. Deshalb steige ich in das Thema ein, indem ich im ersten Teil der Arbeit die verschiedenen Menschenbilder (oder wie einige Humanwissenschaftler und Philosophen nahe legen, die Menschenverständnisse [5] ) der unterschiedlichen Psychologen und durch sie vertretenden Richtungen untersuche. Dabei gehe ich der Frage nach, wovon Psychologen ausgehen, wenn sie den Pfad der Erklärungssuche für das menschliche Erleben und Verhalten beschreiten. Im zweiten Teil der Arbeit befrage ich fünf Kommilitonen, die sich in ihrem Menschenverständnis unterscheiden, zunächst zu ihren Voraussetzungen und Überzeugungen, die sie in das Psychologiestudium mitbrachten. Außerdem lasse ich sie darüber reflektieren, wie sich diese eventuell auf ihr Verhalten auswirkten und über ihre heutigen Eindrücke, die sie von der Psychologie als Wissenschaft gewonnen haben. Abschließend bitte ich sie um eine Stellungnahme, ob und wie die vorherrschenden Menschenbilder im Erleben und Verhalten der verschiedenen Psychologen in der Wissenschaft und der Anwendung einen Niederschlag finden. Im dritten und letzten Teil der Arbeit werde ich mich dem Versuch widmen, die in den ersten beiden Teilen aufgetauchten Konflikte zwischen den verschiedenen psychologischen Richtungen und den sich daraus ergebenden Fragen integrativ mittels einer Überbrückung der Gegensätze und der Suche nach einer gemeinsamen Basis aufzuarbeiten, um dann einen pragmatischen Ausblick in die Zukunft einer möglicherweise postmodernen Psychologie zu wagen.
3 Menschenbilder
3.1 Menschenbilder im Rahmen von Weltbildern
Das Verständnis des Menschen über den Menschen hat naturgemäß eine lange historische Vorgeschichte und ist wohl in keiner Zeit einheitlich gesehen worden. So darf man davon ausgehen, dass aus den resultierenden Konflikten über das Thema einige Differenzierungsmöglichkeiten hervorgehen.
Einen interessanten Zugang liefert beispielsweise der Philosophieprofessor Wilhelm Vossenkuhl (1999, S.46), der Ausgangsfragen formuliert, die über das geistige Gewahrwerden des Menschenbildes hinaus auch die sich daraus ergebenden Konsequenzen mitzuberücksichtigen versuchen.
Danach bedarf die Ausgestaltung des Menschenbildes Antworten auf folgende Fragen:
(1) Wer oder was ist der Mensch?
(2) Welche Folgen hat dieses Selbstverständnis für den Menschen und die Natur?
(3) Welche Ansprüche an den Menschen und die Natur sind damit verbunden?
Sie unterscheiden zwischen der Außenansicht und der Innenansicht über den Menschen und gliedern somit die Betrachtung in mehrere Ebenen. Eine solche Differenzierung wird insbesondere in der Natur-, Geistes- und Sozialwissenschaft vertreten.
a. In der Außenperspektive wird der Mensch in seiner biologischen Art als Naturwesen gesehen. Je nach Betrachtungsweise wird der Mensch als mit den anderen Naturwesen und der nicht belebten Natur in wechselseitiger Abhängigkeit gedacht versus unabhängige Gegenüber- oder Überstellung.
b. Die Innenperspektive des Menschen gründet auf unterschiedliche kognitive, normative und emotionale Anteile und Aspekte des Menschen. Sie können sowohl kultur- oder gattungsspezifisch sein, als auch alle Lebewesen, und insofern den Menschen, betreffen.
3.1.1 Außenperspektive
In der Abgrenzung nach außen lassen sich Menschenbilder auch als Weltbilder verstehen. Um dieses Verhältnis zwischen Menschenbild und Weltbild zu charakterisieren, muss man mehrere Unterscheidungen treffen.
3.1.1.1 Kulturperspektive: Produkt versus Prozess
Zunächst sollte man die Kulturperspektive mit einbeziehen und zwischen der Kultur als Kontext [6] und der Kultur als Antezedenz [7] unterscheiden. Wobei der Begriff Kultur wie folgt verstanden wird, „als Konsequenz einer stammesgeschichtlichen Traditionsbildung zur „natürlichen“ Ausstattung des Menschen […], eine Kultur zu haben […] wobei Kultur und Individuum in dynamischer Wechselwirkung stehen: […] also sowohl als „Produkt“ als auch als „Prozess“ betrachtet werden [muss].“ (Helfrich 2007, S.378) [8] .
Spricht man von Kultur als Kontext, versteht sich darunter der Rahmen, innerhalb dessen sich psychische Gegebenheiten entfalten können. Sie ist eine von außen einwirkende unabhängige Variable. Im Kontextbezug wird unterschieden zwischen universellen Dimensionen der Persönlichkeit und kulturspezifischen Ausmaßen. In der Universalität der Persönlichkeit werden kulturspezifische Besonderheiten als Unterschiede in der Ausprägung der universellen Dimensionen betrachtet. In der Kulturspezifität der Persönlichkeit dagegen werden kulturspezifische Besonderheiten vielmehr als Strukturunterschiede der Dimensionen in den unterschiedlichen Kulturen dargestellt, insofern ließen sich die verschiedenen Kulturen hinsichtlich ihrer Kultur gar nicht vergleichen.
Kultur als Antezedenz versteht sich hingegen als Einflussgröße, die sich maßgeblich auf die psychische Konstitution ihrer Teilnehmer auswirkt. Sie ist ein integraler Anteil der Persönlichkeit. Kultur als Antezedenz unterscheidet, ob der Bauplan eines Menschen funktional und strukturell allgemeingültig ist. Oder ob er sich je nach Kultur unterscheidet, also von der jeweiligen Einbettung in eine bestimmte Kultur abhängig, nicht ohne den kulturellen Kontext zu denken ist.
Es geht hier also um die grundlegende Frage, ob überhaupt aus der eigenen Perspektive generalisierende Aussagen getätigt werden dürfen. Mithin da es sich um universelle Aussagen über ein aus dieser Perspektive als generalisiert aufgefasstes Objekt handelt. Ist also die zur Verallgemeinerung neigende Perspektive nicht selbst Produkt der sie umgebenden Bedingungen? Und ist sie somit nicht vielmehr Ausdruck dieser spezifischen sie umgebenden Bedingungen?
Ich neige dazu, nicht von ausschließenden Gegensätzen auszugehen. Vielmehr bin ich der Ansicht, dass die jeweilige Kultur, in der jemand lebt, sowohl Teil seiner Persönlichkeit ist, und dass sie sich auf seine Struktur und Funktionsweise zum Teil ausprägt. Daneben gilt aber auch, dass es kulturübergreifende allgemeingültige Aspekte gibt, die sich ebenso stark oder weniger stark auswirken können, insofern sind also auch generalisierende Aussagen in begrenzter Weise möglich.
3.1.1.2 Anthropozentrismus versus Holismus
Eine weitere wichtige Unterscheidung betrifft das anthropozentrische [9] und das holistische [10] Welt- und Menschenbild.
a. Das anthropozentrische Menschen- und Weltbild stellt den Menschen in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und macht ihn so zum Ausgangspunkt aller Relationen hinsichtlich der Verhältnisse in der Natur. Demnach sei die Natur „ganz auf den Menschen hin geordnet und seine Ressource, über die er frei verfügen kann.“ (Vossenkuhl 1999, S.49).
Dieses Menschen- und Weltverständnis liegt so unterschiedliche Weltanschauungen zugrunde, wie das christliche und das humanistische Verständnis. Ebenso fast alle darauf gründenden zeitgenössischen Varianten, z.B. die Bio- oder die Pathozentrik.
Das christliche Weltverständnis, nachdem der Mensch sich die Erde untertan machen soll, steht in dieser Hinsicht dem der Aufklärung, dass der Mensch das höchste Naturwesen sei und entsprechend auch den höchsten, nämlich einen absoluten Wert habe (vgl. Kant 1998) in nichts nach. Auch rücken Bio- und Pathozentrik nicht von der anthropozentrischen Sichtweise ab, wenn sie neben dem Menschen andere Lebewesen mit berücksichtigen. Sie bemessen die Höhe des Wertes eines Lebewesens mittels der biologisch definierten Organisationshöhe oder der biologisch bestimmten Leidensfähigkeit und nehmen hierbei wiederum Bezug auf den Menschen. „Ihre Urteile sind immer relativ zum Wert, zu den Interessen und Bedürfnissen des Menschen gefaßt.“ (Vossenkuhl 1999, S.50).
b. Das holistische Menschen- und Weltbild betrachtet die belebte und nicht belebte Natur als Ganzes und verneint einen Mittelpunkt. „[J]eder Teil der Natur [wird] als integraler Bestandteil des Ganzen geachtet [...], und [...] alle ethischen Forderungen [sollen] dem Ganzen gerecht werden“ (Vossenkuhl 1999, S.53). Entsprechend der Würde des Menschen bei Kant (Kant 1998) begreift es die Natur insgesamt als Zweck an sich selbst. Damit grenzt es sich vom anthropozentrischen Weltbild ab, da es keinerlei Anhaltspunkte in der Evolution sieht, die dafür sprechen, dass die Natur einseitig auf den Menschen orientiert ist oder im Menschen ihr Zentrum hat. „Der Mensch ist nur eine Art unter Milliarden anderen [... und] wir [können] aus unserer Perspektive nicht mit guten Gründen annehmen, daß 4,5 Milliarden Jahre Erdgeschichte ohne Wert und Zweck waren, wenn nicht irgendwann der Mensch entstanden wäre.“ (Vossenkuhl 1999, S.52).
Die holistische Verbindung von Mensch und Natur auf Augenhöhe postuliert jedoch kein neues Menschenbild, sondern beruft sich vielmehr auf überkommene traditionelle und religiös geprägte Menschenbilder (mitunter aus anderen Kulturen). Die abzuleitenden Konsequenzen für den Menschen sieht das holistische Menschen- und Weltbild in den besonderen Schutzpflichten, die der Mensch sich und der Natur gegenüber annehmen muss. Als Teil des Ganzen stellt er sich in den Dienst von allem und zwar in der Weise, die seinen Fähigkeiten entspricht. „Die Integration des Menschen in den ganzen Zusammenhang der Natur ohne besondere Rechte, aber mit wesentlichen Schutzpflichten gegenüber der Natur entspricht [...] dem Geist einer Ethik, die der menschlichen Personalität eine wesentliche Rolle beimißt [...,] den Verzicht auf Bemächtigung“ (Vossenkuhl 1999, S.53).
Diese Pflicht, sich nichts und niemandes als Mittel zu bemächtigen, bedeutet bezogen auf den Mitmenschen soviel wie Anerkennung des Anderen im Kantschen Sinne der Würde (Kant 1998). Auf sich selbst bezogen bedeutet es im Heideggerschen Sinne, sich vom Sein An-Wesen [11] zu lassen, in die Lichtung des Seins zu treten (Heidegger 2000) oder wie es etwa die buddhistische Lehre nahe legt, sich aller Anhaftung zu entledigen, um durch den Übertritt ins Nirwana sich Allem in neuer Weise zu verhaften, also die isolierende Hülle des Getrenntseins vom übrigen Sein loszulassen, um im Sein eine neue Verbundenheit zu Allem zu erfahren (Abe 1997). „[Erreicht wird dies nur über den] Verzicht, über sich selbst zu verfügen, über sich selbst zu herrschen“ (Vossenkuhl 1999, S. 53).
Der Unterschied zwischen den beiden Perspektiven lässt sich auch gut anhand der anthropozentrischen Kritik am holistischen Standpunkt veranschaulichen. Diese besagt, dass die Anthropozentrik nicht hintergehbar sei, da die vom Holismus angemahnten Pflichten des Menschen allein vom Menschen gefordert werden können, also auch nur innerhalb der menschlichen Gemeinschaft zu existieren vermögen.
Demgegenüber steht der Hinweis des holistischen Standpunktes, dass Verantwortungsträger und Personen, die moralische Ansprüche stellen, nicht zwingend dieselben Individuen sein müssen, weswegen alles, was ethische Berücksichtigung verdient, nicht zwingend davon abhängig ist, ob die ethische Berücksichtigung auf jemand oder etwas trifft, das in gleicher Weise ethische Rücksicht ausüben kann.
Als Beispiel seien Säuglinge stellvertretend für andere Naturformen genannt, die in ihrem Stadium der Entwicklung Moral weder begreifen, noch selbst anwenden können. Aber nach allgemeinmenschlicher Auffassung haben sie durchaus Anrecht auf moralische Berücksichtigung.
Meiner Meinung nach trifft hier, zumindest was die westlich-abendländisch geprägten Weltbilder betrifft, das Menschenbild der Moderne auf das heraufziehende Menschenverständnis der Postmoderne und wir befinden uns nach Thomas Kuhn in der europäisch-amerikanischen Kultur am Rande eines Paradigmenwechsels. Doch dazu mehr im abschließenden Ausblick (Kapitel 8).
3.1.2 Innenperspektive
Die Innenperspektive des Menschen lässt sich nach Vossenkuhl unterteilen in kognitive, normative und emotionale Anteile und Aspekte des Menschen.
Dabei siedelt er im normativen Bereich die Persönlichkeit an, und darin inbegriffen die Würde in moralischer Hinsicht Zweck an sich selbst zu sein. Es beinhaltet die Rechte, die ihm als Mensch von der Gesellschaft zugebilligt werden und die Meinungsfreiheit. Ebenso umfasst es die Urteilskraft zwischen menschlichen Werten zu unterscheiden, also das Konstrukt dessen, was als gut, als schlecht oder gar böse gilt nachvollziehen und umsetzen zu können.
Im kognitiven Bedeutungsfeld tummelt sich nach ihm vor allem solches Wissen, das man als kristallines bezeichnen könnte, also gesammelte Informationen über den Menschen, seine Beschaffenheit in biologischer und psychischer Struktur und seine Fähigkeiten. Wobei dort die Intelligenz, insbesondere die Sprach-, Lern- und Denkfähigkeit betreffend, heraussticht.
Das emotionale Bedeutungsfeld beinhaltet seiner Ansicht nach die Glücks- und Leidensfähigkeit, sowie die Fähigkeit, sich mittels grundlegender Emotionen in Bewegung zu halten.
Im Zusammenspiel dieser drei Aspekte oder Anteile am Verständnis des Inneren des Menschen geht Vossenkuhl verallgemeinernd davon aus, dass das Normative immer im Vordergrund agiere, wobei es jedoch in unterschiedlichster Weise von der kognitiven oder emotionalen Ebene beeinflusst werden kann. „[Wir müssen] davon ausgehen, daß es immer einen Vorrang des Normativen gibt, was immer inhaltlich unter ‚normativ’ verstanden wird.“ (Vossenkuhl 1999, S.48).
Vossenkuhl urteilt in diesem Sinne, dass der rapide Anstieg an wissenschaftlichem Wissen die Bedeutung der normativen und emotionalen Anteile am Menschenbild immer mehr zu Gunsten der kognitiven Aspekte an den Rand dränge.
Die Ungeklärtheit und Wechselhaftigkeit der Beeinflussung des normativen Bereichs führt insofern immer wieder zu Verunsicherung, inwieweit man sich in den Normen nach kognitiven und/oder nach emotionalen Aspekten richten solle. Als Beispiel sei hier genannt, wenn kognitive und emotionale Aspekte in ihrer Bedeutung, sei es in der Sterbehilfe oder anderswo gegenläufig sind. Der Einzelne mag triftige und sehr emotionale Gründe haben, beispielsweise die dringenden und nachvollziehbaren Bitten nach Erlösung eines leidenden Angehörigen. Diese Motive besitzen jedoch nicht zwangsläufig normativ ähnliche Überzeugungskraft. Wenn kognitive Aspekte hinzugezogen werden, z.B. die Möglichkeit einer massiven Depression bei solchen Patienten, die eventuell heilbar und insofern vorübergehend sein kann, wird es schwer zu entscheiden, welche Aspekte mehr Gültigkeit besitzen sollten. Eine solche Ambivalenz wirkt sich in der Wissenschaftsgesellschaft oft zu Gunsten der kognitiven Ansprüche aus.
Um aber zu entscheiden, wie sich das normative Bedeutungsfeld des Menschenbildes akzentuiert, also Ansprüche, die aus emotionalen und traditionelleren (z.B. religiösen) Aspekten des Menschenbildes resultieren, neben den kognitiven Ansprüchen wirkungsvoll zur Geltung kommen können, muss auf den nächsthöheren normativen Rahmen, also das Weltbild oder die jeweilige Weltanschauung verwiesen werden. Als solche habe ich bereits die mögliche Kulturspezifität der Perspektiven, als auch die anthropozentrische und die holistische Perspektive vorgestellt.
„Menschenbilder sind eingebettet in Weltbilder. Wer z.B. von der Personalität und Würde des Menschen als den normativen Grundlagen des Menschenbildes überzeugt ist, wird von einem Weltbild ausgehen, das einer Weltanschauung oder einer Religion einen normativen Vorrang vor den Wissenschaften einräumt.“ (Vossenkuhl 1999, S.48).
3.2 Menschenbilder in der Psychologie
Nun ist es Eines, zu sagen, jeder Mensch besitzt eine wie auch immer geartete intuitive Vorstellung von dem, was der Mensch ist. Er kann durch das Bewusstwerden seiner Selbst und die Wahrnehmung seiner ihn umgebenden Menschen, sowie die davon in seinem Gedächtnis haften bleibenden Fragmente, auf etwas in dieser Hinsicht zurückgreifen. Etwas Anderes ist es, wenn eine Wissenschaft, die sich explizit mit dem Menschen beschäftigt, seine Theorien auf dieser intuitiven Basis verfasst, was zwangsläufig der Fall ist, wenn der wissenschaftlichen Arbeit keine gewissenhafte Auseinandersetzung mit den eigenen Vorstellungen vorausgeht.
Was es für einen Unterschied machen kann, mit welchen Voraussetzungen, also Grundannahmen, jemand an die Erforschung des Menschen geht, mag ein Beispiel aus einem anderen Bereich illustrieren. Im Strafrecht unterscheidet sich die Beurteilung eines Verhaltens je nach Bezug auf die zu dem Zeitpunkt und Ort des Geschehens vorherrschenden rechtlichen Rahmenbedingungen bisweilen erheblich. Ehrenmorde beispielsweise galten lange Zeit als legitim, und gelten es noch heute in manchen Gegenden der Welt. Die an sich verbotene Tat des Tötens wurde dort deshalb nicht geahndet, weil sie sich auf die hohe Bedeutung stützte, die der Ehre zu der Zeit von den Meinungsführern zugesprochen wurde.
Wäre es nicht folgerichtig auch Beurteilungen in psychologischen Themenbereichen in grundlegenden Rahmenbedingungen zu verankern? Als Beispiel das Verhalten von Repräsentanten einer psychologischen Theorie in Bezug auf diese zu setzen oder weiter noch der Umgang dieser Vertreter mit anderen Menschen an ihrem impliziten oder expliziten Menschenbild zu bemessen?
In dieser Logik erscheint eine Beurteilung der Psychologie in ihren unterschiedlichsten Ausformungen, Richtungen und Ausdifferenzierungen mit Blick auf das darin jeweils vertretende Menschenbild durchaus angebracht. „[Alle] psychologischen Theorien beziehungsweise komplexeren Forschungsprogramme [enthalten] Menschenbilder als anthropologische Kernannahmen der Gegenstands- beziehungsweise Problemkonstituierung“ (Groeben 1997, S.17) [12] .
Doch welcher Kategorien soll man sich bedienen, um die Kern -Konturen der einzelnen psychologischen Theorien und Richtungen anhand ihrer Menschenbilder stärker hervorzuheben? [13] Insbesondere auch, als diese keineswegs immer als in sich homogen zu betrachten sind. Denn wie in allen sozialen Interessengruppen, wie z.B. politischen Parteien oder religiösen Gruppierungen, gibt es durchaus innerhalb der psychologischen Gruppierungen die Tendenz zur Abgrenzung, ebenso wie die Tendenz zur Hinwendung zu anderen psychologischen Gruppierungen. Ich werde daher im Folgenden etwas gröbere und etwas feinere Kriterien zur Unterscheidung und Gruppenbildung versuchen zu verwenden. Außerdem möchte ich in ein möglichst gegenwärtig bleibendes Bewusstsein rufen, dass es sich hier nur um Zuspitzungen in Momentaufnahme handelt und ich niemals dem Anspruch gerecht werden kann, die unterschiedlichen Theorien von Grund auf angemessen zu beurteilen.
So lassen sich in einem ersten Schritt Theorien mit einem expliziten von Theorien mit einem impliziten Menschenverständnis voneinander abgrenzen. Diejenigen, die explizit von einem bestimmten Menschenverständnis ausgehen, formulieren dieses und bauen ihr Handeln bewusst darauf auf. Diejenigen, die es mit empirischen Methoden erforschen wollen, schweigen sich in der Absicht eine objektive Haltung einzunehmen über ihr Menschenverständnis aus, lassen es also nur implizit durchblicken, d.h. an ihrer Wahrnehmung, deren kognitiver Verarbeitung und Umsetzung in Theorien ablesen.
In einem zweiten Schritt folge ich der Argumentation von Eva Jaeggi (1995) und untergliedere die Theorien in solche, die den Menschen von seiner Vergangenheit her, von seinem Ziel, seiner Zukunft und solchen, die ihn sowohl von seiner Vergangenheit, seiner Zukunft als auch von seinen gegenwärtigen Einflüssen her betrachten.
Ein dritter Schritt erfolgt, wenn ich die Theorien nach Groeben und Erb (1997) in solche unterteile, die den Menschen stärker von seiner generellen prozesshaften Seite, also seiner universellen Funktionsweise her begreifen, ihn mitunter so in seinem Wesen vereinfachen, dass er mit weniger komplexen Mechanismen oder Organismen vergleichbar wird, und in solche, die den Menschen von den einfacheren Lebensformen abheben wollen und insofern seine Alleinstehungsmerkmale betonen.
3.2.1 Implizite und explizite Menschenbilder in der Psychologie
Explizite Menschenbilder
Zu den Theorien mit explizit formulierten Menschenbildern zählen insbesondere die humanistisch orientierten Richtungen der Psychologie. Sie rechnen sich oft dem qualitativen Paradigma zu und treten bewusst in Kontrast zu den damals und heute stärker etablierten psychologischen Richtungen. Diese sehen ihrer Ansicht nach den Menschen zu passiv und zu sehr in seiner Reaktivität. „Der Mensch ist oder sollte ein aktiver, autonomer, selbstbestimmter Handelnder, Wählender und Zentrum seines eigenen Lebens sein.“ (Maslow 1997, S.211).
Aufgrund des bewussten Tatmotivs, etwas bewirken zu wollen, vermischen sich bei ihnen mitunter, wie im Zitat von Maslow schön zu sehen, das Ist und das Sollen des Menschen. Und doch bleibt das mit ihrem Menschenbild kohärent. Denn sie begreifen den Menschen als einen solchen, der sich aus eigenem Antrieb verändert, der, ist er noch nicht, wie er sein sollte, sich in diesen Sollzustand begeben kann, ja in seinem Bestreben nach Verwirklichung gar begeben will.
„[Ihre] in Menschenbildern oder Subjektmodellen zusammengefaßten anthropologischen Kernannahmen stellen [...] als problemdefinierende Annahmen keine Hypothesen im klassischen Sinne dar, unterliegen also nicht dem Kriterium der empirischen Wahrheit, sondern bestenfalls dem einer Nützlichkeit in Bezug auf bestimmte anthropologische Zielperspektiven.“ (Groeben 1997, S.18).
Implizite Menschenbilder
Psychologische Theorien mit implizitem Menschenverständnis finden sich dagegen besonders in der naturwissenschaftlich-experimentell orientierten Psychologie, als solche gelten der Behaviourismus in seinen verschiedenen Schattierungen, wie auch der ihnen nachfolgende Kognitivismus.
Sie fühlen sich zumeist dem quantitativen Paradigma verpflichtet und beanspruchen für sich, generelle Aussagen über den Menschen aufzudecken, was man auch so verstehen kann, dass sie nicht von einem bestimmten Menschenverständnis ausgehen, als vielmehr dies erst zum Ende hin erlangen wollen.
„[N]ach deren ‚monistischem’ Wissenschaftsverständnis [ist] das Entscheidende für die Gegenstands- und Problemkonstituierung die einheitliche methodologische Grundstruktur (der experimentellen Empirie)“ (Groeben 1997, S.17) [14] .
3.2.2 Kausale, intentionale und sinnverstehende Modi der Menschenbilder
Eva Jaeggi (1995) nähert sich dem Unterfangen, die psychotherapeutischen Schulen anhand ihrer Menschenbilder zu differenzieren, indem sie auf Jürgen Körners (1985) beschriebene Modi des Begreifens von Biographien zurückgreift.
Bei ihm findet sie kausale, intentionale und sinnverstehende (szenische) Modi hinsichtlich der Annahmen über das eigene Leben, die sie meint, auch auf die Unterschiede bezüglich des Menschenbildes in den verschiedenen Therapieschulen anwenden zu können.
Menschenbilder, die sich im kausalen Modus einordnen lassen, gründen sich darauf, dass sich für alle Geschehnisse im Jetzt Ursachen in der Vergangenheit finden lassen, d.h. das zukünftige Erleben und Verhalten eines Menschen ist dann exakt vorhersehbar, wenn sein vergangenes Erleben und Verhalten und das seiner Umwelt exakt bestimmt werden kann. Der Entwicklungsprozess dieses Menschen entspricht einem Lernprozess und vollzieht sich in einem linearen stetigen Aufbau, dem Zusammenfügen vorhandener Teile. Insofern ist sein Werden auch rückführbar auf diese einzelnen Schritte der Entwicklung, d.h. sein jetziges Wesen ist niemals mehr als die Summe seiner einzelnen Entwicklungsschritte.
Der Mensch als Kausalwesen wird so insbesondere von den Lerntheoretikern interpretiert, die den Menschen im Zusammenspiel seiner Lernerfahrungen sehen und dabei die Sozialisation als Determinante seines Wesens oder Seins begreifen. Sie unterteilen die Ereignisse im Leben des Menschen in Klassen und deuten sein Handeln als regelgeleitet, entsprechend der jeweiligen Erlebniskategorie.
Was dabei ausgeblendet wird, ist die Möglichkeit, dass nicht jede Begebenheit aus den vorherigen Zuständen und Voraussetzungen erklärt werden kann. „Diese Betrachtungsweise [...] hat Mühe, ganz Neues zu erklären“ (Jaeggi 1995, S.87). Zudem scheint bisher nicht ergründet worden zu sein, warum diese Menschen in Bezug auf ihre Vorbilder manchmal entsprechend des Vorbildes handeln, manchmal ihr bisheriges Handeln mit dem ihres Vorbildes zu etwas Neuem integrieren und manchmal gar gegenläufig zum Vorbild agieren. „Diese Betrachtungsweise [...] kennt keine inhaltlichen Gesetze, nach denen dieses Lernen vor sich geht. Denn die drei Lernparadigmen – respondent, operant, Modellernen – geben keine Vorstellung davon, welche Vorzeichen das Gelernte annehmen wird“ (Jaeggi 1995, S.87f).
Die Menschenbilder, die Jaeggi im „ intentionalen Modus“ [15] sieht, gründen auf einer bewussten oder unbewussten Absicht des handelnden Menschen. Sie betonen einen anderen Aspekt des Psychischen. Wenn der kausale Modus erklärt, woher jemand kommt, so versucht der intentionale Modus im Sinne einer gedachten weiterlaufenden Geraden in die Zukunft, dieses Herkommen anhand dem Ende der Geraden zu deuten, also das Woher-Kommen als Wohin-Kommen zu sehen. „In der eigenen Biographie gibt es so gesehen nicht nur Kausalität, sondern auch Finalität.“ (Jaeggi 1995, S.88).
Der Mensch kann entgegen der Prädisposition eigenen Zielen nachgehen, d.h. es gibt ein Selbst, das über die Determinanten hinausgeht. Im Mittelpunkt steht die Frage nach dem Zweck, der Funktion des Handelns. „Der <<Lebensplan>> eines Menschen gehorcht den Gesetzen der Finalität, die Biographie bestimmt sich von übergeordneten Zielen her. [...] Nur solche Erfahrungsmöglichkeiten werden gesucht, die dem <<heimlichen Plan>> des Lebens entsprechen.“ (Jaeggi 1995, S.88) [16] .
Das Menschenbild des intentionalen Menschen findet sich nach Eva Jaeggi vor allem in der Systemischen Therapie oder der Gestalttherapie. Beide Therapierichtungen richten ihr Behandlungskonzept an den Möglichkeiten und Wünsche des Klienten aus, versuchen also den Blick in die Zukunft zu werfen und mittels der Ressourcen des Einzelnen gehbare Wege abzuleiten.
Schließlich gründen die Menschenbilder im „ sinnverstehenden Modus“ [17] neben der Kausalität und der Intentionalität besonders auf dem Bereich der Voraussetzungen innerer, wie äußerer Art des Verhaltens. Die Erlebnisse und Verhaltensweisen des Menschen spielen sich sowohl vor dem Hintergrund der Lebensgeschichte, vor dem Hintergrund der inneren Deutungs- und Empfindungsmustern, als auch den Zweck- und Zielvorstellungen ab. Sie umfassen inneres Erleben und das Erleben des Äußeren. „[Die äußere] Kausalität gewinnt ihren Sinn erst durch den Einbezug der inneren Welt mit ihren (vorausgesetzten) Regeln und Reflexionsmöglichkeiten.“ (Jaeggi 1995, S.89). Ein bestimmtes Ereignis erklärt sich nicht aus sich selbst heraus, sondern nur in Bezug auf die vorherrschende innere Welt, in die es einbricht, von der es erst seine Bedeutung zugeschrieben bekommt.
Der Mensch in seiner Sinnhaftigkeit findet sich nach Eva Jaeggi allein in tiefenpsychologischen Konzepten wieder. Sie ist der Ansicht, dass nur diese die aktuellen Absichten und Erfahrungen der Menschen aus den inneren Vorstellungen und Bewertungen ableiten, die z.B. in den Phantasien aus der Kindheit ihren Ursprung haben. Nur die Tiefenpsychologie schafft demnach eine Verbindung zwischen Finalität und Kausalität. „Diese Betrachtungsweise [...] ist nur dann möglich, wenn [...] das Leben ganzheitlich betrachtbar wird“ (Jaeggi 1995, S.90).
3.2.3 Reduktiv-implikative und elaborativ-prospektive Menschenbilder
Neben der Unterscheidung im Hinblick auf die Absichten der psychologischen Paradigmen und jener hinsichtlich des Einschätzens der Lebensläufe von Menschen, kommt mit der Unterscheidung von Norbert Groeben und Egon Erb ein weiterer Aspekt hinzu. Sie untergliedern die psychologischen Theorien in „reduktiv-implikative“ und „elaborativ-prospektive Subjektmodelle“, d.h. sie betrachten das Menschenverständnis der einzelnen Richtungen nach dem Gesichtspunkt der Besonderheit oder der Gleichheit des Menschen.
3.2.3.1 Reduktiv-implikative Subjektmodelle
Das Reduktive im reduktiv-implikativen Subjektmodell meint eine Vereinfachung im Sinne der Hinwegnahme von Komplexität. D.h. dem Menschen werden solange seine individuellen Eigenheiten abgestreift, bis ein Gerüst bleibt, das in Analogie zu anderen Mechanismen oder Organismen in einfachsten mathematischen Formeln erklärt oder dargestellt werden kann. „[E]in Kriterium, das es gestattet, bestimmte Menschenbilder, die den psychologischen Gegenstand unzulässig auf einzelne, vor allem nicht spezifisch menschliche Merkmale [zu] reduzieren“ (Groeben 1997, S.19).
Der Begriff „implikativ“ weist darauf hin, dass hier ein Menschenverständnis nicht ausdrücklich formuliert wird, sondern lediglich als ein Nebenprodukt methodischer Überlegungen gelten kann.
Als reduktiv-implikative Subjektmodelle finden sich oft solche theoretische Ausrichtungen, die insbesondere Gemeinsamkeiten betrachten, z.B. Fähigkeiten oder Eigenschaften, die allen Menschen in gleicher Weise eigen sind und sich darüber hinaus auch in der Tier-, Pflanzen- oder physikalischen Umwelt finden lassen. Hier steht der Mensch in seinem Gattungungsbegriff im Vordergrund, was gleichzeitig dazu führt, dass spezifisch Menschliches oder gar Bereiche, die nur bestimmte Gruppen oder einzelne Menschen betreffen, weniger Berücksichtigung finden.
Die bekanntesten Vertreter dieses Spektrums finden sich bei denen des Assoziationismus, des Behaviourismus und des Kognitivismus. Außerdem greift die klassische Psychoanalyse in einzelnen Aspekten in der Veranschaulichung menschlicher Erlebens- und Verhaltensbereiche auf nicht-psychische Gegenstandsbereiche zurück.
Diese Modelle sind mechanistisch in ihrer Annahme der Reaktivität des Menschen, d.h. der Verursachung des Handelns von außen. Weiterhin sind sie es in ihrem Elementarismus, also der Erklärbarkeit des Ganzen aus der Betrachtung der Einzelteile, was die Additivität qua Assoziativität mit einschließt. Außerdem sind sie es in ihrer Mutmaßung des Determinismus, d.h. der Vorherbestimmtheit durch die Anlagen und vorherrschenden Bedingungen.
3.2.3.1.1 Behaviourismus
Der Behaviourismus geht in seinen methodischen Überlegungen von der Reaktivität des Menschen aus. „Der Mensch ist eine Maschine, allerdings eine ungeheuer komplexe.“ (Skinner 1969, S.244) [18] , Weiterhin unterliegt der Mensch nach ihm einem Determinismus im Sinne einer Umweltkontrolliertheit. „[D]er Mensch [ist] praktisch vollständig durch die Umwelt kontrollierbar und [wird] kontrolliert“ (Groeben 1997, S.20).
Da zur Umwelt eines Menschen im Allgemeinen auch andere Menschen gezählt werden, muss die Umweltkontrolle als eingeschränkt gedacht werden. Denn Skinner formuliert, dass sie keine willentliche, als vielmehr eine reaktiv regulierende Umweltkontrolle ist. „In einer Demokratie ist der Kontrolleur einer der Kontrollierten, auch wenn er sich in seinen beiden Funktionen unterschiedlich verhält.“ (Skinner 1973, S. 219). Das darf nicht im Kantschen Sinne des selbstgesetzgebenden freien Menschen (Kant 1998, S.78f.) missverstanden werden, denn gerade frei sei der Mensch nach Skinner eben nicht. „Das Postulat, der Mensch verfüge über einen freien Willen oder werde durch eine innere, autonom handelnde Instanz geleitet, [...] sei [Skinners Ansicht nach][…] ein Irrtum.“ (Fahrenberg 2007, S. 46).
Die lerntheoretische Schule verneint eine innere Triebkraft und spricht eher von etwas wie einem Bewegungsdrang ohne Richtung, der dann von der Umwelt ganz in ihrem Sinne gelenkt wird. „Das sogenannte <<Operant>> wird bewegt.“ (Jaeggi 1995, S.123) [19] . Der Mensch setzt sich demzufolge nur durch den Anpassungsdruck von außen in Bewegung. „Ohne [...] Prinzip [...] ist ihm nur der Drang eigen, seine ersten Lebensäußerungen formen zu lassen.“ (Jaeggi 1995, S. 123). Er wird zum Produkt der vorherrschenden Gegebenheiten um ihn herum, ist also vielmehr Teil des Systems, als eigenständiges System. „Der Mensch ist [...] eine tabula rasa [...]. Interessant ist nur, welche <<Schrift>> in den Menschen eingeritzt wurde [...]. Der Mensch löst sich auf in die Geschichte seiner Konditionierungen: welche es sind [...] ist willkürlich, zufällig“ (Jaeggi 1995, S.123) [20] .
Die anthropologische Reduktion liegt hier in der Beschneidung des menschlichen Subjekts um seine Kognitivität und Reflexivität, da in der Verbindung des mechanistischen Determinismus mit einer organismischen Reduktion für alle Organismen einheitlich die automatischen, unvermeidbaren Wirkungen der verstärkenden und bestrafenden Umweltkontingenzen postuliert werden (Groeben 1997, S.20).
3.2.3.1.2 Kognitivismus
Der Kognitivismus stellt die im Behaviourismus ausgeklammerten internal-kognitiven Prozesse in den Mittelpunkt seiner Theorie und vergleicht den menschlichen Geist mit Computerprozessen. Dabei stützt er sich auf die Künstliche-Intelligenz-Forschung (KI-Forschung) und ihre anthropologischen Implikationen. Die KI-Forschung gründet auf dem funktionalen Materialismus [21] und geht davon aus, dass Intelligenz nach den gleichen Mechanismen funktioniert. D.h. ein Computer besitzt genauso wie der Mensch Intelligenz – oder umgekehrt, ist also struktur-Identisch. Das umfasst sowohl die mentale Struktur des Erkenntnisobjekts, wie auch die des Erkenntnissubjekts.
Hier stellt sich in Bezug auf das Menschenverständnis nun die Frage, ob eher der Mensch in diesem Sinne als reduktiv oder der Computer in enorm überhöhter Weise eingeschätzt wird. Wird dem Computer ein rationales Vorgehen zugetraut oder dem Menschen abgesprochen? Ergibt das Zusammenspiel der physikalischen Bausteine des Computers mehr als die Summe seiner Teile oder lässt sich auch jede menschliche Geistigkeit rein physikalisch oder physiologisch erklären? Wird also erwartet, dass der Computer der Zukunft die Fähigkeit erwirbt, das eigene Wissen und Nicht-Wissen zu begreifen, dass er seiner Existenz gewahr wird, ebenso jemand oder etwas Eigenständiges zu sein und sich in zeitlichen Abläufen zu befinden oder verneint man diese Eigenheiten dem Menschen?
„Dass Künstliche Intelligenz bisher weder die intellektuellen Leistungen des alltäglichen Problemlösens noch der wissenschaftlichen Theoriebildung zureichend reproduzieren oder gar (wie vom Grundansatz her immer noch behauptet) ersetzen kann, wird nicht als Falsifikation der Identitätsannahme gewertet, sondern als Indikator für den noch zu verbessernden Forschungsstand. Damit allerdings erweist sich die Struktur-Identitäts-These (zwischen Künstlicher und menschlicher Intelligenz) als axiomatische Setzung, die vor und unabhängig von aller empirischen Erfahrung unterstellt und aufrecht erhalten wird.“ (Groeben 2005, S.6) [22] .
Auch scheint in diesem Ansatz das Entwicklungsmotiv zu fehlen. „[H]ier [wird] implizit so etwas wie Rationalität als zentrales Movens betrachtet [...,] Menschen – hat man ihnen nur einmal klargemacht, daß ihre Einstellungen und Glaubenssätze unvernünftig sind - [finden] von selbst wieder zur rechten Vernunft [...]. Was vernünftig ist, ist wirklich, und was wirklich ist, ist vernünftig.“ (Jaeggi 1995, S.125). Die anthropologische Reduktion besteht hier in der Loslösung der menschlichen Intelligenz von der Person, also „eine Vernachlässigung der existentiellen Tatsache, daß menschliche Kognition immer das Denken eines personalen Subjekts ist“ (Becker 1992, S. 211).
3.2.3.2 Mischformen
Als Mischformen innerhalb der Einteilung zwischen reduktiv-implikativen und elaborativ-prospektiven Subjektmodellen können die gleich folgenden zwei Theorien gelten. Sie zeichnen sich zum einen durch eine Hinwegnahme von Komplexität aus, indem sie in Analogie zu anderen Organismen, Mechanismen oder Systemen treten, um den Menschen in seinen in der Natur liegenden Grundlagen erklären zu können. Zum anderen gibt es jeweils auch Versuche, die spezifisch menschlichen Auswüchse darin zu erkennen und darzustellen.
3.2.3.2.1 Psychoanalyse
Der Psychoanalyse in ihrer klassischen Fassung wird oft vorgeworfen, dass sie sich auf eine bestimmte Gruppe von Menschen, den Neurotikern konzentriere und ihre Erkenntnisse dann generalisierend auf alle Menschen anwende. „[D]aß man das Normale erst dann verstehe, wenn man das Krankhafte studiert habe“ (Herzog 1991, S.132). Mit der Beschränkung der psychosexuellen Komponenten auf die beiden Triebe Eros und Thanatos und der Beschreibung der frühkindlichen Prägung als Hauptursache späterer Entwicklung, vor allem in Form einer Entwicklungspathologie, beschränke die Psychoanalyse die menschliche Genese auf das Dasein oder Fehlen von krankhafter Entwicklung und lasse zudem kaum spätere Brüche darin zu. „Vernachlässigung des Konzepts der Willensfreiheit und der Selbstbestimmung; Konzentration auf abnorme anstelle von normalen Entwicklungen; Überbetonung von Sexualität und Aggression; Vernachlässigung der bewussten Prozesse zugunsten des Unbewussten; Überbetonung instinkthafter Bedürfnisse und biologischer Determiniertheit; [...] Mangel an intersubjektiven wissenschaftlichen Bewährungen für die zentralen Postulate und Theorieperspektiven; insgesamt also eine pessimistische und vor allem abwertende Sichtweise der menschlichen Natur und des menschlichen Schicksals“ (Hoyman 1974, S.375).
Dieser Eindruck kann sich in der Auseinandersetzung mit manchen Vertretern der Psychoanalyse ergeben, vor allem aber, wenn man aus Sicht der humanistischen Psychologie dem Unterschied zur Psychoanalyse Tiefenschärfe geben möchte. Blickt man hingegen weniger aus einem Abgrenzungsgedanken heraus auf die Psychoanalyse, so zeigt sich, dass es dort genauso Repräsentanten gibt, die das Bild des Menschen durchaus vielfältiger gestalten.
Dem Verständnis vom Menschen in der Theorie Freuds unterliegt zwar als wichtigste Triebkraft die Sexualität in ihrer Anziehungswirkung zwischen Menschen, wie auch zwischen Menschen und Dingen. Sexualität wird hier aber als Überbegriff für alles Verbindende verstanden, was den Vermehrungstrieb nur mit einschließt, sich aber nicht auf ihn beschränkt. „Nicht [...] im reifen, erwachsenen Sinn“, sondern „in seiner quasi metaphysischen Bedeutung [...] eine Utopie, die <<in die Vergangenheit gerichtet>> ist. [...] Es ist die Idee der vollkommenen Befriedigung, die auch immer vollkommene Verschmelzung bedeutet“ (Jaeggi 1995, S.102f) [23] . Sie ist vor allem eine fortwährende Triebkraft, da sie nach dem Ideal der Verbindung, nach der restlosen Verschmelzung trachtet, also der Aufhebung jeglicher Trennung.
In dieser Form bildet sie in ihrer Unerfüllbarkeit einen unerschöpflichen Quell an Frustration und in deren Folge an Destruktivität, wobei diese noch auf einen zweiten Triebfaktor, dem Thanatos zurückgeht.
Freud ist weiterhin der Ansicht, dass alle psychischen Prozesse an neurophysiologische Funktionen im Gehirn gekoppelt sind, somit Geist und Körper nicht nur miteinander in Wechselwirkung stehen, sondern vielmehr ein Seinsprinzip zur Grundlage haben. „Es gibt viele Hirnprozesse, die unbemerkt oder automatisiert (neben-bewusst) ablaufen und es gibt vieles, was [...] nur im Moment nicht zugänglich ist.“ Unbewusst dagegen sind die beiden Haupttriebe und die verinnerlichten Moralvorschriften. „[D]ie psychischen Prozesse [haben] eine physiologisch-energetische Grundlage in Gehirnvorgängen [... und können] biochemisch direkt beeinflusst werden“ (Fahrenberg 2007, S.20). In dieser Hinsicht spricht Freud dem Menschen einen freien Willen eher ab. „Willensfreiheit ist eine Illusion, [...] die maßgeblichen Bedingungen [...] sind unbewusst. Der Spielraum, der für ein rationales und freies Abwägen von Handlungsalternativen besteht, ist minimal“ (Fahrenberg 2007, S.20f).
Insofern folgt die menschliche Entwicklung, insbesondere die psychische, unumgänglich diesem Weg nach Utopia. „[S]eine gesamte psychische Entwicklung [verdankt er] der Tatsache […], daß er [...] diese Lust sucht und findet, sich [dabei] aber auch damit auseinandersetzen muß, [… daß] die Befriedigung gestört wird, ausbleibt, Komplikationen unterliegt und nie den vollen Umfang erreicht, den sie eigentlich erstrebt.“ (Jaeggi 1995, S.103f).
Dieser Antrieb wirkt dann sowohl auf die Psyche als auch auf den Körper, verbindet diese gleichsam zu einer Einheit mit gegenseitiger Wechselwirkung, wobei sein vordringlichster Wirkmechanismus der Konflikt ist, durch dessen ständiger Überwindung er ähnlich der Synthese bei der Dialektik Neues hervorbringt. „Konflikte sind notwendig, um psychisches Leben überhaupt zur Entwicklung zu bringen.“ (Jaeggi 1995, S.108).
Die Bewegung ist daher nicht in erster Linie als eine Bewegung zu, einem erschaffenden Vorwärtsschreiten wie bei der humanistischen Psychologie, sondern mehr als eine Bewegung um, einen Zustand beendendes Zurücktreten zu verstehen. Die Psychoanalyse will die Konflikte auflösen, Trennungen überwinden, ist stärker harmonie-, gleichgewichts-, spannungsreduktionsorientiert. Sie ist nicht in erster Linie daran interessiert zu wachsen, größer und besser zu werden, sich bestmöglich zu entwickeln. Sie sucht nach Ruhe im Sturm, nach Frieden, Befriedung, Befriedigung, nicht das große Abenteuer des Neuen. „Freud denkt als Materialist. Die Natur strebt nicht nach Vollkommnung, sondern nach einem Maximum an Befriedigung“ (Jaeggi 1995, S.112f.).
Dieser verbindungschaffende Antrieb liegt dem Menschen sozusagen als generelle Ausstattung zu Grunde und erhält erst, wie durch ein Prisma fallend, durch genetische und Umwelteinflüsse, insbesondere in der entwicklungssensiblen Kindheit ihre jeweilige individuelle Färbung. „[J]eder Mensch [hat] durch das Zusammenwirken von mitgebrachter Anlage und von Einwirkungen auf ihn während seiner Kinderjahre eine bestimmte Eigenart erworben [...], wie er das Liebesleben ausübt, also welche Liebesbedingungen er stellt, welche Triebe er dabei befriedigt und welche Ziele er sich setzt“ (Freud, GW VIII, S. 365f.).
Diese aus Einflüssen resultierenden Eigenarten jedes Einzelnen finden ihren Ausschlag in den von Freud angenommenen psychischen Instanzen des Es, des Ich und des Über-Ichs. „Die Macht des Es drückt die eigentliche Lebensabsicht des Einzelwesens aus. Sie besteht darin, seine mitgebrachten Bedürfnisse zu befriedigen. [… Die Aufgabe des Ichs ist es,] sich am Leben zu erhalten und sich durch die Angst vor Gefahren zu schützen [ Es soll] die günstigste und gefahrloseste Art der Befriedigung mit Rücksicht auf die Außenwelt heraus[…]finden […]. [Die] Hauptleistung [des Über-Ich] bleibt aber die Einschränkung der Befriedigungen.“ (Freud 1938, S.70-71).
Der Urtrieb, der im Sexual- und Thanatostrieb nach Verschmelzung und Zerstörung trachtet, sehnt im Es ungefiltert den Frieden seiner Unruhe und die Unruhe seines Friedens herbei. Im Bild des Staates richtet der Innenminister den Fokus auf den inneren Frieden, sowie auch auf das kulturelle Erblühen. Gleichzeitig zum Es sucht das Über-Ich, die Verinnerlichung der Normen der Eltern, nicht in Konflikt mit der unmittelbaren sozialen Umwelt zu treten. Im Bild des Staates unternimmt der Außenminister als Vertreter der Normen des Staates sein Möglichstes, den Frieden mit den Nachbarstaaten herzustellen oder aufrechtzuerhalten. Damit diese mitunter gegenläufigen Bemühungen zum Wohl des Staates aber keinen Krieg gegeneinander vom Zaun brechen, sucht das Ich, „der primäre Ort des Kontakts zwischen der Persönlichkeit und der äußeren Realität“ (Parsons 1979, S.136), diese beiden Friedensabsichten in Einklang miteinander zu bringen. In der Staatsmetapher bildet das Ich also den Regierungschef, der seine Minister mal mehr und mal weniger im Zaume hält.
Nach Freud bildet sich aus dem Es im Laufe der biologischen Evolution die Ich-Funktion, woraus sich wiederum mittels wiederkehrender Erfahrungen und verinnerlichter Prinzipien das Über-Ich aufbaut. In Anlehnung an den Staat könnte man sagen, beschwören die inneren Interessen die Notwendigkeit herauf mit den von Außen einströmenden Anforderungen umzugehen, also die Gründung einer Diplomatengilde voranzutreiben, welche die unterschiedlichen Interessen in Übereinkunft miteinander bringen sollen. Somit resultiert die wesentliche Struktur des Ichs im Sozialisationsprozess aus den Objektbeziehungen, bzw. Außenkontakten (Freud 1923). Daraus lässt sich zweierlei schlussfolgern: Einmal die Organisierung der Persönlichkeit als System und zum anderen die Beziehung des Individuums zu seiner sozialen Umwelt im Prozess der Persönlichkeitsentwicklung.
Das gewöhnliche Verhalten des Menschen wird also primär durch unbewusste Motive geleitet. Es steht damit in biologischer Disposition zu den Erbanlagen und in sozialer Beeinflussung durch die Prägungen in und um die frühe Kindheit. Dabei gewinnt das Verhalten seine ausgleichende rationale Komponente nach und nach, wenn die unbewussten Motive in Konflikt zu den aufgrund der frühkindlichen Prägung als solche erachteten sozialen Anforderungen treten. „Die Konflikte zwischen diesen mächtigen Einflüssen [... sind Ursache der] Widersprüche des Menschen [...,] Widersprüche zwischen der biologischen Natur des Menschen und der durch die Kultur und Gesellschaft erzwungenen Einschränkungen“ (Fahrenberg 2007, S.19).
Jede als solche zu erachtende Weiterentwicklung des Menschen ist demnach nicht Ziel der Bestrebungen, sondern ein glückliches Nebenprodukt neben vielen anderen weniger glücklichen Nebenprodukten wie denen der psychischen Störungen. Und sollte der Mensch als Gattung sich weiterentwickeln, so allein deswegen, weil sich manche dieser Nebenprodukte als überlebensfähiger als andere erwiesen haben. „ [Die] Bewusstwerdung der eigenen Triebhaftigkeit und Lebenskonflikte [...] gehört [...] zur persönlichen menschlichen Reifung [... und] ermöglich[t] es auch, die sozialen Verhältnisse besser zu verstehen, erlaub[t] aber nur sehr begrenzte Hoffnung auf humane Fortschritte.“ (Fahrenberg 2007, S.19). Viel eher als nach Selbstverwirklichung in der Weiterentwicklung sehen die Menschen bei Freud ihre Lebensperspektive eher in einer zukünftigen Abwesenheit vom Leiden. „[S]ie streben nach dem Glück, sie wollen glücklich werden und so bleiben.“ (Freud 1933, S.42/43).
Freuds Menschenbild kombiniert insofern das biologische Bild der Neurowissenschaftler mit soziokulturellen Aspekten und sieht den Menschen als Teil eines Systems, dem durch das Zusammenspiel mit der Gesellschaft Grenzen auferlegt sind, die er mittels Triebverzicht und Sublimierung in kulturelle und wissenschaftliche Errungenschaften umsetzt.
3.2.3.2.2 Systemtheorie und Sozialer Konstruktivismus
Die psychologischen Systemiker wenden sich in ihren Grundüberlegungen zunächst vom Menschen ab, indem sie ihren Blick auf etwas richten, „was jenseits von Materie und Energie überhaupt noch bleibt“ (Glaser 1997, S.71). Das ist nach ihrem Dafürhalten die Information im Sinne eines Aufeinandereinwirkens, die das Verhalten von Teilen eines Systems und Systemen zueinander in der Zeit anregen. Die Grundaussagen ihrer Theorie finden sich in der Kybernetik und in der Informationstheorie.
Im Gewand des Sozialen Konstruktivismus oder Konstruktionismus, der aus der Systemtheorie zweiter Ordnung hervorgeht, die in Abgrenzung zur Systemtheorie erster Ordnung auch den Betrachter als Teil des Systems erachtet und bereits mit dieser Betrachtung auf das System einwirkt, richtet sich der Blick dagegen vorwiegend auf das spezifisch menschliche System.
Die Vertreter des sozialen Konstruktionismus sehen den Menschen weniger von Umweltreizen, biologischen Prozessen und Genen abhängig, als vielmehr von Sprache, Kultur und Gesellschaft. Es wird hier auch eher von den Menschen, als von dem Menschen gesprochen, da sie hier nicht als autonom handelnde und denkende Individuen auftreten, sondern als Teilmengen von sozialen Beziehungen. Als zentrale Merkmale der sozialen Systeme, in denen sie sich bewegen, gelten die von ihnen erzeugten sprachlichen Bereiche der Ko-Existenz. Diese sind eine Art virtuelle Interaktionsplattform, die sich im Kontakttreten zweier Systemmitglieder ähnlich der Verknüpfung von Neuronen im Gehirn bildet und mannigfaltige Rückwirkungen auf jeden der Interaktionsteilnehmer erzielt. Aus einem solchen Kontakt treten die Teil-Nehmer teiltransformiert in den nächsten Kontakt und immer so weiter. Die Identität eines Jeden wird insofern aus den vielen Überschneidungen im Kontakt zu Anderen immer wieder neu gebildet und ist somit auch Produkt dieser Überschneidungen. „Das menschliche soziale System erweitert die individuelle Kreativität seiner Mitglieder, da das System für die Mitglieder existiert.“ (Maturana 1987, S.217). In der konstruktivistischen Anthropologie ist die Funktion der Sprache und der daraus erwachsenden sozialen Systeme die Erweiterung seiner individuellen Entwicklungsmöglichkeiten. Menschen erschaffen durch ihr Kommunizieren ein gemeinsames Wissen, auf dessen Basis neue Handlungen, neues Sprechen miteinander möglich werden, die wiederum neues Wissen schaffen. So entsteht Schicht für Schicht das riesige kulturelle Gebäude einer Gesellschaft, das uns, die wir darin hineingeboren werden und nur minimale Anteile selbst dazu beisteuern, wie eine zweite Natur umhüllt.
Der Mensch als Einzelner, d.h. als Teil-Nehmer, hat hier keine angeborenen eigenen Instinkte. Das bedeutet nicht, dass Menschen hiernach überhaupt keine angeborenen Eigenschaften besitzen; vielmehr dürfen sie im Vergleich zur kulturellen Prägung als unbedeutend angesehen werden. „Daneben gibt es sicherlich einige wenige Grundbedürfnisse, etwa nach Wasser und Nahrung.“ (von Tiling 2004, S.11). Die Teil-Nehmer sind vielmehr weltoffen und verfügen über Kultur in Form von Institutionen, die im menschlichen Habitus verankert werden. Erlernte Routine ersetzt angeborene Reflexe. Dies ermöglicht Reflexion und Modifikation. Kultur ist das System, dass den Menschen sozialisiert, denn Institutionen sind die sozialen Errungenschaften, die das einzelne Individuum prägen. Menschliches Verhalten kann aber nicht als nur sprachlich-kulturell überformt gedacht werden, denn es ist ohne Sprache und Kultur gar nicht durchführbar. „Die Gesellschaft steht dem Mensch nicht als ‚ärgerliche Tatsache’ gegenüber, sondern macht ihn erst zu dem, was man (in Abhebung zu Tieren oder zu Kaspar Hauser) als Person oder Individuum bezeichnet.“ (von Tiling 2004, S.11) [24] . Das Menschenverständnis basiert hier auf der grundlegenden Annahme, dass der Mensch nur insofern zum Menschen wird und als solcher existiert, weil er in Gemeinschaft steht. Er ist in eine kulturelle Bedeutungswelt eingebunden und interagiert dort mit anderen Menschen.
Auch das Menschenbild der verschiedenen Richtungen der psychologischen Systemtheorie begnügt sich unter Zuhilfenahme von Auf- und Abwertung menschlicher Aspekte auf eine gesonderte Perspektive den Menschen gegenüber. Wie im Menschenverständnis der Behavioristen, wird hier weniger die Innenperspektive des Menschen in Augenschein genommen, als vielmehr eine Außenperspektive, obwohl diese auch aus der Innenperspektive einzelner Beobachter gewonnen ist. „[M]an [will] sich von einer vorrangig auf das Individuum und seine >>internen<< Prozesse fixierten Psychologie verabschieden [...]. Das alltägliche, praktische Leben der Person werde [...] zugunsten einer Analyse der Verwendung von Sprache [ausgeklammert].“ (Zielke 2007, S.150f.) [25] . Deshalb beschränkt sich das hier zugrunde liegende Menschenbild auf die äußeren Abhängigkeiten und Einflüsse der Teil-Nehmer. Es billigt dem Rezipienten keine eigene Gestalt zu, der doch aus den grundsätzlich ähnlichen äußeren Einflüssen etwas Neues macht, indem er Auswahl trifft und Ordnung schafft im heillosen Potpourri der einströmenden Beziehungen. „Die Möglichkeit eines [...] >>dritten Modells<< zwischen dem starken, autonomen >>modernen Subjekt<< und dem selbst- und identitätslosen relational self entgeht den konstruktionistischen Theorien“ (Zielke 2007, S.152) [26] .
3.2.3.3 Elaborativ-prospektive Modelle
Das elaborative an den elaborativ-prospektiven Modellen gilt einer tiefer gehenden Auseinandersetzung mit dem Selbstbild des Menschen. Das wird hier explizit formuliert und geht meist davon aus, dass der Mensch frei ist, d.h. nicht von der Umwelt kontrolliert wird, sondern sie umgekehrt selbst kontrolliert. Weiterhin liegt diesem Selbstbild zu Grunde, dass der Mensch zur Selbstreflexion tendiert und von seiner Veranlagung her gut und handlungsfähig ist.
Als prospektiv bezeichnen sich die Modelle, da sie auf philosophische Traditionen des anthropologischen Selbstverständnisses zurückgreifen und auch die Beziehung des Menschen zur Transzendenz in die Entwicklung psychologischer Gegebenheiten einbeziehen.
Der Blick zielt, allgemein formuliert, auf das spezifisch Menschliche am Menschen, das, was ihn von anderen Lebensformen unterscheidet.
3.2.3.3.1 Humanistische Psychologie
Die Humanistische Psychologie ist ein Versuch, den reduktiv-implikativen Modellen ein solches gegenüberzustellen, das explizit sein Menschenbild zur Grundlage seiner Überlegungen macht, das Besondere und Spezifische am Menschen betont und hierin sein Erleben, die Werte in seiner Bedeutung für den Menschen, sowie seine positiven Fähigkeiten und Entwicklungsmöglichkeiten in Augenschein nimmt, um sie stärker zu fördern. „[Sie] vertritt [...] ein Menschenbild, das von dem klassischen positiven Selbstbild des autonomen, handlungsfähigen Menschen ausgeht: der Mensch als bewußtes, intentionales, im kulturellen Kontext existierendes Wesen, das durch Wahlfreiheit, Entscheidungskraft und eine lebenslange Entwicklung gekennzeichnet ist [...]. Der Bedeutungsgenerierung und Sinnorientierung wird dabei eine konstitutive Funktion im menschlichen Leben zugeschrieben.“ (Groeben 1997, S.29).
Die humanistischen Psychologen greifen insofern auf C.G. Jungs Kritik zurück, der Freud entgegenhielt, dass das menschliche Sein und Verhalten nicht naturwissenschaftlich und deterministisch zu erklären sei, sondern seelenhaft-religiös verstanden werden müsse und die wahre Bestimmung des Menschen in der vollständigen Verwirklichung des Selbst bestehe (Fahrenberg 2007, S.37).
Entgegen den psychologischen Traditionen, von denen sich die humanistische Psychologie abheben will, z.B. der Psychoanalyse, verortet sie den Grundantrieb des Menschen im Selbst, das sich aus einem unbewusstes Kern-Selbst und einem bewussten, phänomenalen Selbst zusammensetzt und grundsätzlich gut ist. Sie setzt ihn also nicht im unbewussten Es an, wie das die Psychoanalyse tut, welches erst im Kontakt mit der Außenwelt ein bewusstes Ich herausbildet und dann nicht grundsätzlich gut, als vielmehr grundsätzlich zweckmäßig ist. Der Grundantrieb wird hier demzufolge gedacht als ein bewusster Anteil, der sich selbst koordiniert. Er kanalisiert seine vier Tendenzen im Sinne der letztgenannten: Die Bedürfnisbefriedigung, die selbst beschränkende Anpassung, die schöpferische Expansion und die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung. „[Das Selbst] ist von Natur aus positiv - von Grund auf sozial, vorwärtsgerichtet, rational und realistisch.“ (Rogers 2002, S.99).
Die unterschiedlichen Richtungen innerhalb der Humanistischen Psychologie lassen sich unterteilen in Sinnfindungs- (z.B. Allport) und Selbstaktualisierungsmodelle (z.B. Maslow, Rogers), die die Konsequenzen der Werte und Ziele aufgreifen und Regulationskompetenzmodelle (z.B. Ruth Cohn), die sich mit den Wegen, also den Prozessen und Mitteln, die zu diesen Zielen führen, beschäftigen.
Maslow unterscheidet in seinem Selbstaktualisierungsansatz die Bedürfnisse nach Überwindung der Defizienz [27] und nach Wachstum und beschreibt die Selbstverwirklichung als Nebenereignis des aus diesen Bedürfnissen abgeleiteten zielbewussten Handelns. Rogers dagegen sieht in der Selbstverwirklichung den eigentlichen Antrieb des Menschen, der aber von der Umwelt gestört oder gehemmt wird und erst mittels der zu erreichenden Grundhaltungen der Kongruenz, Empathie und bedingungslosen Wertschätzung zu seinem Ziel gelangt. „Die wesentliche Triebkraft der Entwicklung ist [...] die Aktualisierungstendenz – ein dem täglichen Wachsen der Pflanzen abgeschautes Prinzip. [... Es] bedeutet, daß in jedem Menschen eine Tendenz zur Entwicklung aller Möglichkeiten besteht, die der Erhaltung und Förderung des Organismus dienen. Es ist also ein ganzheitliches (abstraktes, formales) Prinzip, das Wachstum auslöst.“ (Jaeggi 1995, S.110). Rogers beruft sich dabei auf Kierkegaard, dass ein lebendiges Individuum immerfort im Werden sei (Kierkegaard 1994, S.8) und steht in der Tradition von Aristoteles, nachdem der Mensch sich gemäß eines vorgedachten Planes zu dem entwickelt, was er von seinem Grunde her schon ist. „Die <<fully functioning person>> ist eine, die ihr Entwicklungsgesetz erfüllt hat, sie <<ist>>, was sie <<sein sollte>>.“ (Jaeggi 1995, S. 110f.) [28] . Dieses ganzheitliche Prinzip des Wachstums gründet bei Rogers auf den dualistischen Seinsprinzipen Materie und Bewusstsein, die insofern ganzheitlich sind, als sie miteinander in Wechselwirkung stehen. „[Körper und Seele] sind nicht [...] wirklich in eins zu denken. [... Es] bleibt immer ein Rest an Unverbundenem, das, was im Körper <<nicht zu fassen>> ist, das <<Höhere>>, das <<geistige Prinzip>>.“ (Jaeggi 1995, S.114) [29] . Seine Dynamik liegt in der vorwärtsgerichteten Individualitätstendenz, die dem Selbst innewohnt und die ihn auf sein Ziel hin antreibt und lenkt.
Trotz oder aufgrund ihres Anspruchs, sich von den herrschenden Modellen der Psychoanalyse und des Behaviourismus abzugrenzen, beschränken sich auch diese Modelle nicht nur in der Spezifität, sondern auch auf bestimmte Aspekte und Einflüsse des Menschseins und vernachlässigen andere. Sie greifen z.B. zu wenig auf, die ökologischen, sozialen und politischen Lebensbedingungen und ihre Auswirkungen auf den Menschen. Auch beachten sie kaum die destruktiven und aggressiven Wesenszüge des Menschen, die für viele Schattenseiten des Lebens mit Verantwortung tragen.
Als Ergänzung zu den traditionell vorherrschenden Menschenbildern in den verschiedenen psychologischen Schulen können sie dennoch gelten und haben ihre Berechtigung, besonders auch durch ihren hinzunehmenden Bezug auf ein höheres Seinsprinzip, mithin Gott genannt, das, ob es nun existiert oder nicht, nachweislich eine Bedeutung für und somit auch einen Einfluss auf den Menschen und sein Selbstverständnis hat.
3.2.3.3.2 Gestalttherapie
In der Gestalttherapie wird der Mensch vor allem in seiner sozialen Eigenschaft, also seiner Bezogenheit auf die ihn umgebene Umwelt gesehen. Der menschliche Antrieb resultiert aus der Interaktion des Menschen mit seiner Umwelt. Aus dieser resultieren seine Bedürfnisse, die wiederum die Bildung der Ich-Funktionen anregen, mittels derer dann die Bedürfnisbefriedigung organisiert wird.
Die Wahrnehmung der Umwelt folgt einer Art Bedürfnishierarchie, die, angefangen von grundlegenden, arterhaltenden Erfordernissen wie Nahrung und Wärme, über Schutz und Sicherheit, zu artvermehrenden Erfordernissen wie Sexualität und Liebe, zu artstabilisierenden Erfordernissen wie Anerkennung und Prestige, erst zuletzt auf Differenzierung und Selbstverwirklichung zielt. „Unser Wahrnehmungsapparat ist so gestaltet, daß wir jeweils diejenigen Reize aus der Umwelt als besonders erregend erfahren (Figur), die den jeweils dominierenden Bedürfnissen entsprechen. Sind sie gestillt, tritt aber nicht eine einfache Sättigung ein, die nur dem homöostatischen Prinzip gehorcht. [...] Es ist durch die Bedürfnisstillung [eine] neue Erfahrung gemacht worden, die eine andere Ebene möglich macht“ (Jaeggi 1995, S. 119f.).
Der Antrieb erfolgt dabei so, dass dem menschlichen Regulierungsprinzip ein Drang innewohnt, angefangene Interaktionen mit der Umwelt zu einem abschließenden befriedigenden Ergebnis zu führen. Der Mensch wird also auch hier, wie bei der humanistischen Psychologie, von dem Ziel her, sich abschließend entfaltet zu haben, angezogen. Daraus schöpft die Bewegung ihre Energie. Auf dem Weg dorthin gestaltet sich der Mensch so lange und so häufig neu und ist in diesen unterschiedlichen Gestalten immer wieder neuen Interaktionen mit der Umwelt ausgesetzt, bis er seine wahre Gestalt angenommen hat und zur Ruhe findet. „Die immer wieder neue <<Gestaltung>> des Menschen durch neuartige Erfahrungen wird nunmehr zum [...] Merkmal des modernen (postmodernen) Menschen überhaupt [... und] zeigt [...] die Schwierigkeit, sich als eine eigenständige Identität, die im Wechsel konstant bleibt, zu sehen. [... Das] immer wieder neu sich bildende[…] Selbst [...] spiegelt [... die] Dimension moderner Welt- und Identitätserfahrung wider“ (Jaeggi 1995, S.122).
Auch hier wird der Mensch verkürzt auf einen bestimmten Aspekt gesehen, der in diesem Modell die herausragende Rolle für den Menschen einnimmt. Das ist der beständige Wandel des Menschen, also seine Wandlungsfähigkeit, mehr noch zu sehen als Wandlungsnotwendigkeit aus dem Antrieb zur Gestaltung des wahren Selbst hin. Es integriert auf eine abstrakte Weise die Eingebundenheit des Menschen in ein soziales Geflecht, wobei dieses nicht als Determinante, sondern lediglich als eine Einflussnahme neben den unterschiedlichen Bedürfnissen betrachtet wird.
3.2.4 Abschließende Überlegungen zu den Menschenbildern
Wie immer ich die psychologischen Richtungen, Heuristiken, Theorien oder Therapien untergliedere, so zeigt es sich, dass es nicht so sehr trennende Prämissen oder Grundaussagen sind, auf die die verschiedenen Psychologien aufbauen, als vielmehr Einschränkungen auf bestimmte Aspekte.
Es kann doch Sinn machen, sich vor Überlegungen und Forschungen zum Menschen mit dem eigenen Menschenbild auseinander zu setzen, insbesondere um mögliche blinde Flecken in der eigenen Wahrnehmung, Hypothesenbildung und Forschung mitzuberücksichtigen. Genauso kann es sinnvoll sein, das eigene Menschenbild hintanzustellen, wenn die Absicht verfolgt wird, Menschen unabhängig vom eigenen Verständnis zu ergründen und zu untersuchen. Dies verringert potentiell die Gefahr, die eigenen Ansichten lediglich experimentell zu bestätigen. Es findet Beides seine Berechtigung. Ein aufeinander aufbauendes Vorgehen, sich zunächst das eigene Menschenbild zu verdeutlichen und sich dann auf eine distanzierende Metaperspektive zu begeben, hat allerdings den Vorteil, den Absichten beider Vertreter gleichermaßen zu dienen.
Auch bei dem Verständnis des Menschen in kausaler, intentionaler und sinnverstehender Weise geht es meiner Ansicht nach vielmehr um ein sowohl-als-auch, und ich stimme Eva Jaeggi (1995) zu, dass hier der intentionale auf dem kausalen und der sinnverstehende auf den intentionalen Modus aufbaue, also erst in der Gesamtschau der Verständnisse von einem annähernden Überblick über die Dynamik des Menschen gesprochen werden könne.
Bei den elaborativ-prospektiven und den reduktiv-implikativen Modellen verhält es sich meinem Verständnis nach in gleicher Weise eher um ergänzende, denn um ausschließende Entwürfe. In ihrer Fokussierung auf das Spezifische am Menschen verfallen die Ersteren ebenso einer Spezialisierung, dementsprechend einer Reduktion, was sie den reduktiv-implikativen Modellen vorwerfen. Und nur weil eine Theorie reduktiv ist, muss sie nicht unbrauchbar sein. Sie sollte aber in ihren Grenzen, d.h. in ihrer Anwendbarkeit auf nur bestimmte Aspekte gesehen werden. Erst wenn die Merkmale übergeneralisierend gebraucht werden, wie das durchaus geschieht, sind sie zu kritisieren.
Während die reduktiven Theorien also grundlegende Funktionsmechanismen des Menschen betonen, die, wie Freud im Anblick vieler Gräuel und Folgen des ersten Weltkriegs anmerkt, unter größerer Belastung den Mantel der Zivilisationen abstreifen, richten elaborativ-prospektive Theorien ihren Blick stärker auf eben die rein menschlichen Fähigkeiten, die mit zu dieser Zivilisierung beitragen. Insofern schließt sich auch hier der Kreis zum Verständnis des Menschen erst im Verstehen beider Komponenten, dem in Verwandtschaft zu einfacheren Organismen liegendem Fundament des Menschen, sowie seine darauf aufbauenden Eigenausformungen, die jeweils einzeln gesehen kaum adäquat in sich schlüssig in Bezug zum Menschen werden dürften.
Traue ich allerdings meinem Blick in die Praxis, so habe ich den Eindruck, dass dort ohnehin oft, trotz der jeweiligen Repräsentanz einer Richtung, die Psychologen eher ergänzend in diesem Sinne denken und arbeiten. Und es scheint mir, dass sie es umso mehr tun, je mehr Berufserfahrung sie gewonnen haben. Nur wird das nicht immer gern zugegeben oder zumindest werden die daraus zu folgernden theoretischen Konsequenzen heruntergespielt. Es mag hier, wie beim Gesetzgeber, die Trägheit eines großen Systems, in dem zahllose Stimmen Gehör finden wollen, eine Rolle spielen. Diese Dynamik führt bekanntlich dazu, dass die neu erlassenen Gesetzte oft nur mehr das in Worten nachvollziehen, was sich in der Praxis ohnehin schon durchgesetzt hat. Insofern mag der theoretische Nachvollzug des Miteinanders der verschiedenen Ansätze in der Psychologie nur eine Frage der Zeit zu sein. Zumindest steht zu vermuten, dass das gegenwärtig zu erlebende Gegeneinander in der Psychologie weniger im inhaltlichen Bereich als anderswo, insbesondere im Verteilungskampf um Gelder und Bedeutung oder im wachsenden administrativen Controlling nach wirtschaftlichen Vorbildern, seine Gründe findet.
4 Methodische Vorgehensweise
Nachdem im vorangegangenen Kapitel beschrieben wurde, wovon die psychologischen Systeme, in denen sich Psychologen bewegen, bezüglich des Menschen ausgehen, werde ich nun der Frage nachgehen, welche Vorstellungen Psychologiestudenten haben, bevor sie in die Rolle des Psychologen schlüpfen. Es soll nun also darum gehen, welche Gründe Menschen haben, die Profession des Psychologen zu wählen. Es wird betrachtet, wie sich das Studium gestaltete und mit welchen Inhalten die Studenten in deren Verlauf konfrontiert wurden. Weiterhin soll erörtert werden, inwieweit sich Erwartungen erfüllten oder nicht erfüllten. Abschließend wird dann die Frage aufgeworfen, ob und wie die so gewonnenen Eindrücke auf das Menschenbild, das Rollenverständnis und den Umgang als Psychologe Einfluss gewinnen.
Hierzu befrage ich fünf Kommilitonen der Psychologie zum Ende ihres Studiums hin mit der Methode des Leitfadeninterviews über ihre Erfahrungen in und mit der Psychologie.
4.1 Die Auswahl der Stichprobe
Um fünf Personen, die sich möglichst in ihren Voraussetzungen, Orientierungen und Meinungen unterscheiden aus der unüberschaubaren Menge an Psychologiestudenten an der LMU zu gewinnen, entschloss ich mich, als Unterscheidungskriterium das jeweilige Menschenbild heranzuziehen. Dazu habe ich die im Jahr 2006 revidierte Fassung von Jochen Fahrenbergs Fragebogen zum Menschenbild bei Psychologiestudenten als Grundlage genommen. Da der Fragebogen sich - aus von Fahrenberg spezifizierten Gründen (Fahrenberg 2006, S. 9f.) - auf die Gebiete, Seinsprinzipien, Willensfreiheit und Religiosität beschränkte, ergänzte ich ihn um die auf Hjelle und Zieglers „8 Dimensionen der menschlichen Natur“ (Fahrenberg 2006, S.112) aufbauenden 9 Dimensionen der menschlichen Natur. Mit dem so modifizierten Fragebogen führte ich anschließend eine Erhebung unter den Kommilitonen meines Jahrgangs, respektive am Ende ihres Psychologiestudiums durch.
Dazu verschickte ich per E-Mail den Fragebogen an 60 Kommilitonen des Studienfachs Diplom-Psychologie, deren E-Mail-Adressen sich im Laufe meines Studiums über Verteilerlisten in meinem E-Mail Adressbuch angesammelt hatten, und die ich insofern in der Lage war, namentlich anzuschreiben. Von den 60 persönlich angeschriebenen Kommilitonen, die ca. die Hälfte der Psychologiestudenten meines Jahrgangs an der LMU ausmachten, sandten mir 30 den Fragebogen ausgefüllt zurück.
Unter den Rücksendern des ausgefüllten Fragebogens waren 21 Frauen im Alter von 23 bis 50 (Ø 35,0) Jahren und 9 Männer im Alter von 23 bis 39 (Ø 31,5) Jahren. Von den 30 Personen waren 18 in den alten, 6 in den neuen Bundesländern und 6 im Ausland geboren worden. Von ihnen wurden 20x Klinische Psychologie, 19x Reflexive Sozial-, 11x Familien-, 5x Klinische Entwicklungs-, 2x Tiefen- und je 1x Arbeits- und Organisations-, sowie Allgemeine Psychologie II als psychologische Schwerpunktfächer belegt. Die von ihnen angegebene Anzahl der absolvierten Fachsemester reichte von 7 bis 12 Semestern.
Die Fragebögen wertete ich unter Zuhilfenahme der Auswertungskriterien von Fahrenberg (2006) aus, ordnete die Befragten hinsichtlich ihres Ausprägungsgrades an
(a) humanistischen Aspekten im Menschenbild,
(b) naturalistischen Aspekten im Menschenbild und
(c) theistischen Aspekten im Menschenbild
und wählte schließlich die drei Kommilitonen heraus, die in den drei Aspekten jeweils die höchste Ausprägung aufwiesen, sowie zusätzlich die zwei, die über alle Fragen die geringsten bzw. größten Mittelwertsdifferenzen zu den anderen Befragten aufwiesen.
Alle fünf so ausgewählten Kommilitonen fanden sich anschließend bereit, mir zu einem Interview zur Verfügung zu stehen.
4.2 Das Leitfadeninterview
Für die Qualitativen Interviews wählte ich die Methode des Leitfadeninterviews, da sie auf eine mittlere Strukturierungsqualität sowohl auf Seiten des Interviewten wie auch auf Seiten des Interviewers zielt. Somit grenzt es sich vom narrativen Interview und einem klassischen Fragebogen ab, die jeweils eine hohe Strukturierung auf Seiten des Interviewten oder des Interviewers erfordern.
Für meine Absicht passt diese Methode, insofern ich Kommilitonen befrage, die hinsichtlich des Themas auf gleicher Ebene oder Augenhöhe zu mir stehen, da sie mit mir zusammen das gleiche Studium absolvierten, also die gleiche Kompetenz besitzen, um zum Thema Aussagen zu treffen.
Der Leitfaden des Leitfadeninterviews besteht aus Fragen, die einerseits sicherstellen, dass bestimmte Themenbereiche angesprochen werden, und die andererseits so offen formuliert sind, dass narrative Potentiale genutzt werden können. Das passt insoweit, als ich zwar Eindrücke bezüglich eines eng umgrenzten Themengebietes erfrage, also das Interview mitstrukturieren muss, aber in einem ebensolchen Maße keine lose Fragmentsammlung zusammentrage, als vielmehr ein vom jeweiligen Interviewten in sich geschlossen strukturiertes Bild erfahren will.
Der Vorteil des Leitfadeninterviews gegenüber dem offenen narrativen Interview liegt in meinem Fall zudem in der besseren Vergleichbarkeit der fünf geführten Interviews zu dem jeweils gleichen Leitfaden.
Vor der Erarbeitung des Gespräch-Leitfadens habe ich mich durch die Erörterung der unterschiedlichen Ansätze zu Menschenbildern in der Psychologie im vorangegangenen Kapitel mit dem zu befragenden Thema ausgiebig vertraut gemacht. Im Leitfaden formulierte ich dann Fragen, die inhaltlich aufeinander aufbauen und eine Relevanzsetzung meinerseits bedeuten. Dennoch sollten sie von den Gesprächspartnern aus eigenen Erfahrungen heraus kompetent beantwortet werden können. Es handelt sich zudem um Themen, die in dem vorab Fragebogen bereits angesprochen worden waren.
Der Leitfaden sollte den Interviewten Raum für narrative Passagen zur kohärenten Abrundung ihrer Aussagen bieten, dabei aber jene Punkte systematisch thematisieren, die mich im Hinblick auf mein Diplomarbeitsthema interessieren und Anhaltspunkte zur Vergleichbarkeit der Interviews aufzeigen (Lamnek 1989, S.77).
4.2.1 Fragestellung
Um meinen eigenen Überlegungen und Erörterungen in den vorangegangenen Kapiteln eine intersubjektive Perspektive beizufügen, habe ich den fünf ausgewählten Kommilitonen acht Fragen vorgelegt. Drei davon formulierte ich mit präzisierenden Unterfragen. Die Erwartungen an das Studium im Kontext des eigenen Bildes von der Psychologie, sowie im Kontext der Motivation zum Studium werden in den Fragen 1 bis 3 beleuchtet. Das jetzige Bild im Kontext der eigenen Positionierung wird in den Fragen 4 und 5 behandelt. Und den Auswirkungen vom Menschenbild der psychologischen Richtungen wird über den Weg der Vergegenwärtigung der Verhaltens-Implikationen des eigenen Menschenbildes in den Fragen 6 bis 8 nachgegangen.
Die Fragen lauten wie folgt:
(1) Wie war Dein Bild von der Psychologie vor Deinem Studium?
(2) Warum wolltest Du dieses Fach studieren?
(3) Welche Erwartungen hattest Du ursprünglich an das Studium der Psychologie?
a. Was wolltest Du wissen?
b. Was wolltest Du lernen?
c. Was dachtest Du würden die Professoren Dir bieten?
d. Wie dachtest Du würde sich der Umgang mit den Psychologen und angehenden Psychologen gestalten?
(4) Wie ist Dein Bild von der Psychologie heute?
a. Welche Erwartungen haben sich erfüllt, bzw. nicht erfüllt?
(5) Wie würdest Du Dich innerhalb der unterschiedlichen psychologischen Richtungen positionieren?
(6) Skizziere doch einmal in eigenen Worten, wie Du denkst, dass der Mensch ist.
(7) Welche Auswirkungen, meinst Du, hat Dein Menschenverständnis auf Dein Verhalten anderen Menschen gegenüber?
(8) Welche Auswirkungen, glaubst Du, haben die Menschenbilder der verschiedenen psychologischen Richtungen auf deren Umgang mit Menschen oder auf deren psychologische Arbeit?
a. Kannst Du Beispiele nennen?
b. Oder Hypothesen diesbezüglich formulieren?
4.2.2 Transkription
Die Tonbandaufnahmen aller fünf Interviews habe ich in eine schriftliche Form übertragen. Da es im Interview um Themen ging, von denen ich ausgehe, dass sie Teil des aktiven Bewusstseins eines jeden Interviewten sind, habe ich zu vermeiden versucht, den inhaltlich ausgedrückten Aspekten durch Interpretationen von Nichtangesprochenem, Pausen und sonstigen sprachlichen, mimischen oder gestischen Auffälligkeiten, weitere Aspekte hinzuzufügen.
Insofern habe ich mich hinsichtlich der Transkription dazu entschieden, nonverbale Äußerungen wie Lachen, Seufzen, sowie Pausen und Ähnliches nicht explizit zu vermerken.
4.2.3 Auswertung
Als Grundlage für die Auswertung der Qualitativen Interviewdaten habe ich die interpretativ-explikative Form gewählt. Da die Methoden dieser Form sehr zahlreich sind und vielfach nicht angemessen für meine Erfordernisse passten, orientierte ich mich bei der folgenden Auswertung an den von Lamneck zusammengefassten „vier Phasen der Auswertung“ (Lamneck 2005, S.402), die ein generelleres Vorgehen in diesem Fall nahe legen.
Die erste Auswertungsphase betrifft die Transkription der Einzelinterviews.
- Das Originalmaterial soll in Textform gebracht werden.
- Dabei wird überlegt, wie mit nonverbalen Anteilen des Gespräches umgegangen wird, und inwiefern sie von Bedeutung oder auch nicht sein könnten.
- Im Anschluss wird die Textform noch einmal mit dem Original verglichen und auf Richtigkeit überprüft.
In der zweiten Auswertungsphase werden die einzelnen Texte inhaltlich fokussiert konzentriert.
- Die Aussagen der jeweiligen Texte werden präzisiert, in dem Nebensächlichkeiten und Abschweifungen herausgestrichen wurden.
- Danach werden Kernaussagen herausgearbeitet und in neuer Textform zusammengestellt.
- Diese werden dann kommentierend bewertet.
- Abschließend sind die Kommentare mit den sie betreffenden Textstellen zu einem eigenständigen Text zusammengefügt.
In der dritten Auswertungsphase werden die verschiedenen Interviews miteinander verknüpft und nach interindividuellen Aussagen geordnet.
- Die Gemeinsamkeiten in den Aussagen über die einzelnen Interviews hinweg werden herausgefiltert.
- Die Differenzen in den Aussagen der verschiedenen Interviewten werden berücksichtigt.
- Gemeinsamkeiten und Differenzen werden zusammen betrachtet, und daraus Grundtendenzen herausgelesen.
- Gemeinsame und unterschiedliche Typen und Tendenzen werden an konkreten Beispielen dargestellt und interpretiert.
In der vierten Auswertungsphase wird kontrolliert, ob im Verdichtungsprozess wichtige dazugehörige Aussagen weggefallen oder einzelne Verfälschungen eingetreten sind.
- Der verkürzte Text wird mit dem Transkript des Interviews verglichen.
- Wenn Ungereimtheiten auftauchen, wird die Tonbandaufnahme des Interviews bei der Klärung mit hinzugezogen.
(Lamneck 2005, S. 403f.)
4.2.4 Zusammenfassung
In diesem Kapitel beschrieb ich den Grund und das Ziel meiner Erhebung und erläuterte darauf aufbauend die Methodik der Untersuchung.
Ausgangspunkt war die Frage, mit welchen Erwartungen Psychologiestudenten sich für ihr Studium entschieden, und welche Realitäten den Erwartungen im Laufe des Studiums begegneten.
Über die Auswahl der Stichprobe legte ich dar, dass ich, um möglichst unterschiedliche Standpunkte und Perspektiven zu gewinnen, zunächst eine breitere Fragebogenerhebung bezüglich des Menschenbildes durchführte, um dann fünf Kandidaten mit je unterschiedlichem Menschenbild zu meinem Diplomarbeitsthema qualitativ zu befragen.
Für die Qualitativen Interviews wählte ich die Methode des Leitfadeninterviews, was ich in diesem Kapitel anhand der Beschreibung dieser Methode näher erörterte (Kapitel 4.2). Am Ende dieses Kapitels ging ich dann auf die Transkription und das Auswertungsverfahren der Qualitativen Interviews näher ein.
5 Vorstellung der Interviewpartner
5.1 Porträt der Psychologiestudentin H
Frau H ist 29 Jahre alt, zählt sich als passives Mitglied der evangelischen Kirche und studiert im 10. Semester Psychologie mit den Schwerpunktfächern Familien- und klinische Entwicklungspsychologie.
Frau H wurde für das Interview ausgewählt, da sie den größten Mittelwertsunterschied bezüglich der einzelnen Aspekte im Fragebogen zum Menschenbild [30] gegenüber ihren mitbefragten Kommilitonen aufwies.
5.1.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
Im Fragebogen zum Menschenbild gibt sie an, die Seinsprinzipien des Daseins als komplementär zu verstehen, ohne der Unterteilung dieser in Monismus oder Dualismus eine grundlegende Bedeutung zuzumessen, also sich auf keine von beiden festzulegen.
Weiterhin verneint sie sowohl, sich eines freien Willens bewusst zu sein, als auch, dass dieser nur eine Illusion sei. Sie glaube sich aber uneingeschränkt moralisch für ihr Handeln verantwortlich.
Sie schätzt sich als nicht religiös ein, aber als ausgesprochen interessiert an Sinnfragen. Nach ihr erhält das Leben seinen Sinn allein durch und in Bezug auf den Menschen, verliert ihn auch Angesichts von Leiden nicht, aber besteht darin glücklich zu sein. Sie glaubt nicht an Gott, der für sie eine Konstruktion des Menschen ist, und ebenso wenig an eine Weiterexistenz nach dem Tod. Dementsprechend stellt sie sich die Entwicklung auf der Welt als einen allein auf den Mechanismen der Evolution beruhenden Prozess vor.
In den 9 Dimensionen der menschlichen Natur schätzt sie den Menschen als eher veränderbar und wesentlich stärker von der Umwelt, als von den Genen bestimmt ein. Bei ihr lebt der Einzelne eher selbstbestimmt und wirkt in seiner ausgesprochenen Rationalität eher auf die Umwelt ein, als nur auf sie zu reagieren. Es drängt ihn stärker, sich weiter zu entwickeln, als nur seine Bedürfnisse zu stillen, wobei er stärker von seiner inneren Einschätzung der äußeren Gegebenheiten, als von diesen selbst beeinflusst wird.
Der Mensch entspricht bei ihr weiterhin der Summe seiner Teile und ist wissenschaftlich gut erfassbar.
5.1.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
Für die Studentin H hat die Psychologie aus ihrem Blickwinkel vor der Aufnahme des Studiums hauptsächlich mit Therapie zu tun gehabt. Sie sah in ihr eine Disziplin wie die Soziale Arbeit oder die Medizin, die Menschen in konkreten Problemlagen mit konkreten Anleitungen und Tipps hilft.
Sie ist mit keinen konkreten Erwartungen an das Studium herangegangen, auch wenn sie interessierte, wie der Mensch, wie sein Denken funktioniert, warum manche so und andere anders denken und empfinden, wie sich so etwas entwickelt.
Eher noch hat sie sich erhofft, durch das Studium Werkzeuge an die Hand zu bekommen, mittels der sie ihre eigenen Erfahrungen, Belange und Grenzen von denen der Klienten besser unterscheiden lernen würde.
Von den Professoren war sie ausgegangen, dass sie dadurch, dass sie soviel über Menschen und über das Zusammensein und Ähnliches wüssten, selbstreflektierter und reifer an Dinge herangehen würden, als sie es tatsächlich tun. Außerdem hat sie gehofft, dass es so etwas wie ein Konzept der Psychologie gibt, an dem sich die einzelnen Professoren orientieren. Ebenso hat sie erwartet, dass das jeweilige Lehren sich auf das Lehren der anderen Professoren beziehen würde, also mehr miteinander gelehrt und miteinander gearbeitet würde, als die Inselbildung der einzelnen psychologischen Professionen, die tatsächlich an der LMU vorherrsche.
Ähnliches hat sie von den angehenden Psychologen gedacht, dass sie reifer, selbstreflektierter, mehr auf ihr Fach bezogen, mehr am Gesamtbild des Menschen und sein Funktionieren in Gruppen interessiert wären. Sie hat erwartet, dass sie auch schon stärker ihre jeweilige eigene Linie gefunden hätten und auch mit den anderen Kommilitonen mehr an einem Strang ziehen würden. Weniger gerechnet hat sie mit der Leistungsorientierung, jeder für sich, die sie dann vorgefunden hat.
Die Motivation zum Studium resultierte bei ihr jedoch weniger aus diesen eher unbewussten Erwartungen, sondern gründete vielmehr ganz praktisch auf der Idee, die staatliche Legitimation zu erwerben, um mit Menschen zu arbeiten, da sie eine solche nun mal braucht.
5.2 Porträt der Psychologiestudentin Y
Frau Y ist 39 Jahre alt, passives Mitglied der evangelischen Kirche und studiert im 10. Semester Psychologie mit den Schwerpunktfächern Familien- und Tiefenpsychologie.
Frau Y wurde für das Interview ausgewählt, da sie die kleinsten Mittelwertsunterschiede gegenüber ihren mitbefragten Kommilitonen aufwies.
5.2.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
Im Fragebogen zum Menschenbild gibt sie an, die Seinsprinzipien des Daseins als komplementär zu verstehen, wobei physikalische Prozesse von Bewusstseinsprozessen unbeeinflusst bleiben. Der Unterteilung dieser Seinsprinzipien in Monismus oder Dualismus misst sie keine grundlegende Bedeutung bei und legt sich also auf keine von beiden fest.
Weiterhin kreuzt sie an, sich eines freien Willens bewusst zu sein und meint sich uneingeschränkt moralisch für ihr Handeln verantwortlich.
Sie schätzt sich als eher religiös denn nicht religiös ein und als ausgesprochen interessiert an Sinnfragen. Nach ihr erhält das Leben seinen Sinn sowohl durch und in Bezug auf den Menschen, als auch in Bezug auf Gott. Das Leben kann seinen Sinn aber im Angesicht von Leiden verlieren, denn der besteht auch darin glücklich zu sein.
Bei ihr herrschen Veränderungen in Bezug auf den Glauben an einen Gott vor, doch glaubt sie an eine wenn auch nicht konkretisierbare Weiterexistenz nach dem Tod. Selbst wenn es Gott gäbe, so glaubt sie nicht, dass er eingreift, insofern stellt sie sich die Entwicklung auf der Welt als einen allein auf den Mechanismen der Evolution beruhenden Prozess vor.
In den 9 Dimensionen der menschlichen Natur schätzt sie den Menschen als eher veränderbar und stärker von der Umwelt, als von den Genen bestimmt ein. Er wirkt auf die Umwelt ein, lebt eher selbstbestimmt und tendiert dabei etwas mehr zur Rationalität, denn zu irrationalen Entscheidungen. Es drängt ihn dabei stärker, sich weiter zu entwickeln, als nur seine Bedürfnisse zu stillen. Dabei wird er stärker von seiner inneren Einschätzung der äußeren Gegebenheiten, als von diesen selbst beeinflusst. Weiterhin sieht sie den Menschen als über die Summe seiner Teile hinausgehend und daher wissenschaftlich kaum erfassbar.
5.2.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
Die Studentin Y ging bezüglich der Psychologie von einer Disziplin aus, die Menschen verstehen und aus diesem Verständnis heraus zu helfen, beabsichtigt.
Deshalb ging sie an das Studium mit der Erwartung heran, dort Informationen darüber geboten zu bekommen, warum Menschen sind, wie sie sind, warum es Probleme, psychische Krankheiten und Liebe gibt, was da der Hintergrund ist und wie sich das äußert.
Sie wollte im Studium etwas darüber lernen, wie man professionell mit psychisch kranken oder schwierigen Menschen umgeht und ihnen helfen.
Dabei ging sie von einem großen Wissensfundus auf Seiten der Professoren aus und erhoffte sich, dass diese ihr das Gefühl vermittelten, etwas Erhabenes und Wichtiges zu lernen, auch wenn sie oft gehört hat, dass Psychologieprofessoren deshalb ihre Profession inne hätten, weil sie im Rahmen ihrer Lehrtätigkeit ihre eigenen Probleme aufarbeiten wollten.
Hinsichtlich des Menschenschlages der angehenden Psychologen hatte sie sich ein deutlich stärker an psychologischen Thematiken interessiertes Publikum erwartet, das auch außerhalb der Seminare an intensiven Gesprächen hierzu interessiert wäre, ein nachdenkliches Völkchen, das den Dingen tiefer auf den Grund zu gehen trachten würde.
Ihre Motivation zum Studium gewann sie aus dem Wunsch, sich selbst und andere Menschen, insbesondere im Zwischenmenschlichen besser verstehen zu können, und zum anderen aus dem Eindruck, den sie von beratend tätigen Psychologen gewonnen hatte, die über die alltäglich orientierte Sozialarbeiter Tätigkeit hinaus auch den Problemen der Klienten tiefer auf den Grund zu gehen versuchten.
5.3 Porträt des Psychologiestudenten R
Herr R ist 33 Jahre alt, passives Mitglied einer evangelisch-freikirchlichen Gemeinde und studiert Psychologie im 8.Semester mit den Schwerpunktfächern Familien- und reflexive Sozialpsychologie.
Herr R wurde für das Interview ausgewählt, da er die größte Ausprägung an humanistischen Aspekten in seinem Menschenbild aufwies.
5.3.1 Menschenbild aus seinem Fragebogen
Im Fragebogen zum Menschenbild gibt er an, die Seinsprinzipien des Daseins als komplementär zu verstehen, ohne der Unterteilung dieser in Monismus oder Dualismus eine grundlegende Bedeutung zuzumessen, also sich auf keine von beiden festzulegen.
Weiterhin kreuzt er an, sich eines freien Willens bewusst zu sein, und dass dieser aber eine Illusion ist. Er meint den Menschen uneingeschränkt moralisch für sein Handeln verantwortlich.
Er schätzt sich als weder religiös, noch nicht religiös ein, aber als ausgesprochen interessiert an Sinnfragen. Nach ihm erhält das Leben seinen Sinn allein durch und in Bezug auf den Menschen, verliert ihn auch angesichts von Leiden nicht und besteht nicht allein darin glücklich zu sein. Er glaubt nicht an einen persönlichen Gott, den er für eine Konstruktion des Menschen hält, und ebenso wenig an eine unbestimmbare Weiterexistenz nach dem Tod, aber an eine höhere geistige Macht. Dementsprechend stellt er sich die Entwicklung auf der Welt zwar als einen auf den Mechanismen der Evolution beruhenden Prozess vor, glaubt aber an eine dahinterliegende intelligente Planung.
In den 9 Dimensionen der menschlichen Natur schätzt er den Menschen als stärker veränderbar und eher von den Genen, als von der Umwelt bestimmt ein. Dabei lebt der Einzelne eher selbstbestimmt und wirkt in seiner Tendenz zur Irrationalität eher auf die Umwelt ein, als nur auf sie zu reagieren. Es drängt ihn eher, sich weiterzuentwickeln, als nur seine Bedürfnisse zu stillen, wobei er etwas stärker von seiner inneren Einschätzung der äußeren Gegebenheiten, als von diesen selbst beeinflusst wird.
Weiterhin sieht er den Menschen als über die Summe seiner Teile hinausgehend und daher wissenschaftlich kaum erfassbar an.
5.3.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
Der Student R ging bezüglich der Psychologie von einer Disziplin aus, die nach Erklärungen, nach Ursachen von Verhalten sucht und diese Informationen seinen Studenten bereitstellt.
Erwartet hat er in diesem Sinne, dass er etwas über die Grundlagen des Menschen, die Grundantriebe erfährt und insofern den Menschen besser begreifen lernt. Darauf aufbauend hat er gehofft, die Anwendung dieser Erkenntnisse im Umgang mit Menschen gelehrt zu bekommen. Er hat gedacht, in den Professoren Vorbilder für die Anwendung dieses Wissens zu finden. Und insofern hat er erwartet, dass sie spezifisch auf die Bedürfnisse ihrer Studenten eingingen, sie in ihrer Besonderheit würdigen und fördern würden. Ähnlich dachte R im Studium Kommilitonen mit entsprechenden Vorstellungen und Erwartungen zu treffen, die bedachter, wissender, rücksichtsvoller und harmonischer miteinander umgingen.
Seine Motivation hinsichtlich des Studiums umgreifte neben dieser Erwartung, Menschen besser verstehen zu lernen, noch weitere Aspekte. So folgte er der Einschätzung eines Freundes, dass die Thematik der Psychologie ihm liegen würde, sowie seinem eigenen Wunsch, die gute Ausgangsposition durch ein exzellentes Abitur für einen begehrten Studienplatz für sich nutzbar zu machen.
5.4 Porträt der Psychologiestudentin E
Frau E ist 24 Jahre alt, aktives Mitglied in der katholischen Kirche und studiert im 8. Semester Psychologie mit den Schwerpunktfächern Familien- und klinische Entwicklungspsychologie.
Frau E wurde für das Interview ausgewählt, da sie die größte Ausprägung an theistischen Aspekten in ihrem Menschenbild aufwies.
5.4.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
Im Fragebogen zum Menschenbild gibt sie an, dem Dasein ein grundlegendes Seinsprinzip, das sich in zwei gleichwertige Seinsprinzipien aufgliedert, zuzuschreiben, wobei physiologische Prozesse auf das Bewusstsein ebenso einwirken, wie umgekehrt.
Weiterhin kreuzt sie an, sich eines freien Willens bewusst zu sein und meint sich uneingeschränkt moralisch für ihr Handeln verantwortlich.
Sie schätzt sich als sehr religiös ein und als ebenso interessiert an Sinnfragen. Nach ihr erhält das Leben seinen Sinn in Bezug auf Gott, der als persönliches Gegenüber existiert. Dementsprechend stellt sie sich die Entwicklung auf der Welt als einen von Gott durchdachten und geplanten Ablauf vor, dessen Mechanismus der Evolution folgt, in die Gott aber einzugreifen vermag.
In den 9 Dimensionen der menschlichen Natur schätzt sie den Menschen als eher veränderbar und stärker von der Umwelt, als von den Genen bestimmt ein. Er wirkt auf die Umwelt ein und lebt eher selbstbestimmt. Dabei tendiert er etwas mehr zur Rationalität, denn zu irrationalen Entscheidungen. Es drängt ihn stärker, sich weiterzuentwickeln, als nur seine Bedürfnisse zu stillen. Dabei wird er stärker von seiner inneren Einschätzung der äußeren Gegebenheiten, als von diesen selbst beeinflusst. Weiterhin sieht sie den Menschen als über die Summe seiner Teile hinausgehend und daher wissenschaftlich kaum erfassbar an.
5.4.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
Die Studentin E sah vor ihrem Studium in der Psychologie eine Wissenschaft, die menschliches Handeln, besser zu verstehen versucht.
Von diesem Bild ausgehend, erhoffte sie sich in erster Linie einen größeren Einblick in sozialpsychologische Phänomene, wie Menschen in Gruppen funktionieren und in zweiter Linie, wie sich die Beschaffenheit der Persönlichkeit von Menschen zusammensetzt.
Erlernen wollte sie deshalb insbesondere die Fähigkeit, psychische Phänomene und das Verhalten der Menschen besser analysieren zu können und daneben noch, wie man methodisch an die Informationsbeschaffung geht, wenn man einen Sachverhalt fundierter recherchieren will.
Hinsichtlich der Professoren war sie von der Vorstellung ausgegangen, dass diese ein wenig eigen und verschroben seien. Erwartet hat sie, dass sie die Sachverhalte, die sie herausfinden, ihre Theorien, stärker mit der Praxis verbänden, dass sie klarere Anweisungen gäben, eindeutigere Ergebnisse ihrer Forschung präsentierten und daneben den konkreten Nutzen ihrer Arbeit demonstrierten.
Von den angehenden Psychologen hat sie dagegen eher das Bild gehabt, dass sie unkompliziert, nett zueinander und eher informell sein würden. Sie war davon ausgegangen, dass sie auch weniger karriereorientiert, wie z.B. Politikwissenschaftler wären. Und entsprechende Leute hat sie dann auch unter ihnen finden können.
Ihre Motivation für das Studienfach zog sie insbesondere aus der Hoffnung, etwas über die Gründe zu erfahren, wie Menschen zu Grausamkeiten wie im Holocaust fähig seien und wie es sein könne, dass Jemand sein Mitgefühl für andere komplett ausschaltet.
5.5 Porträt der Psychologiestudentin T
Frau T ist 46 Jahre alt, passives Mitglied der evangelischen Kirche und studiert im 7. Semester Psychologie mit den Schwerpunktfächern Klinische Psychologie und reflexive Sozialpsychologie.
Frau T wurde für das Interview ausgewählt, da sie die größte Ausprägung an naturalistischen Aspekten in ihrem Menschenbild aufwies.
5.5.1 Menschenbild aus ihrem Fragebogen
Im Fragebogen zum Menschenbild gibt sie an, die Seinsprinzipien des Daseins als komplementär zu verstehen, wobei physikalische Prozesse von Bewusstseinsprozessen unbeeinflusst bleiben. Der Unterteilung dieser Seinsprinzipien in Monismus oder Dualismus misst sie keine grundlegende Bedeutung bei und legt sich also auf keine von beiden fest.
Weiterhin kreuzt sie an, sich eines freien Willens bewusst zu sein. Sie meint sich uneingeschränkt moralisch für ihr Handeln verantwortlich.
Sie schätzt sich als nahezu nicht religiös ein, aber als ausgesprochen interessiert an Sinnfragen. Nach ihr hat das Leben keinen tieferen religiösen oder philosophischen Sinn und erhält seinen Sinn allein durch und in Bezug auf den Menschen. Diesen kann er aber im Angesicht von Leiden verlieren, denn er besteht auch darin glücklich zu sein.
Sie glaubt nicht an Gott, der für sie eine Konstruktion des Menschen ist, sondern eher an etwas, wie ein gutes Prinzip in der Welt. Daher glaubt sie auch nicht an eine Weiterexistenz nach dem Tod. Sie stellt sich die Entwicklung auf der Welt als einen allein auf den Mechanismen der Evolution beruhenden Prozess vor.
In den 9 Dimensionen der menschlichen Natur schätzt sie den Menschen als eher veränderbar und wesentlich stärker von der Umwelt, als von den Genen bestimmt ein. Der Einzelne lebt jedoch deutlich selbstbestimmt und wirkt in seiner intuitiven Tendenz zur Rationalität stärker auf die Umwelt ein, als auf sie zu reagieren. Es drängt ihn mehr, sich weiterzuentwickeln, als nur seine Bedürfnisse zu stillen. Dabei wird er mehr von seiner inneren Einschätzung der äußeren Gegebenheiten, als von diesen selbst beeinflusst.
Weiterhin sieht sie den Menschen als über die Summe seiner Teile hinausgehend, aber dabei als wissenschaftlich gut erfassbar an.
5.5.2 Bild, Erwartungen und Motive hinsichtlich der Psychologie
Die Studentin T betrachtete die Psychologie vor ihrem Studium, in Abgrenzung zu der Ansicht in ihrem sozialen Umfeld, als eine Wissenschaft mit naturwissenschaftlichem Anspruch, die sehr statistisch orientiert, mit naturwissenschaftlichen Methoden arbeite. Sie erwartete nicht, dass sie die Studenten befähige, wie das die Personen in ihrem Umfeld annahmen, Menschen auf den Grund ihrer Seele zu schauen.
Von daher hat sie damit gerechnet, mit viel Statistik, Methoden und sehr allgemein gehaltenen Informationen zu allem, was den Menschen betrifft, im Laufe des Studiums zu tun zu haben. Das war zwar nicht das, weswegen sie Psychologie hatte studieren wollen, machte ihr aber aufgrund ihrer ausgeprägten Lernfähigkeit nichts weiter aus. Spezieller interessierte sie die Wahrnehmung der Menschen, aber vor allem auch rein praktisch die Möglichkeit, sich zu orientieren und im Laufe des Studiums die Sachverhalte zu finden und besonders die Personen, die interessanter und spannender waren als andere.
Zu lernen hat sie allerdings erwartet, dass das Studium mehr praktische Übungen, beispielsweise im Bereich Gesprächsführung, bereithalten würde. Sie hat gedacht, dass überhaupt mehr Techniken gelehrt würden, sodass sie am Ende mit einem bestimmten Standardreservoir an Fähigkeiten dastände, mit dem sie dann direkter in das Arbeitsleben einsteigen können würde.
Von den Professoren hat sie sich insbesondere hinsichtlich deren Wissens um die Unterschiede von Menschen ein stärkeres Eingehen auf die Tatsache gewünscht, dass Psychologie-Studenten eine sehr heterogene Gruppe sind, und sich in ihren Reihen nicht allein junge Schulabgänger befinden, sondern auch viele Ältere, Mütter, Familienväter, ehemals Berufstätige etc., die jeweils anders eingebunden, gefordert und gefördert werden müssten. Sie hat sich erwartet, dass die Professoren diesen Unterschieden mehr Platz einräumen und konstruktiver mit dem reichhaltigen Erfahrungsschatz der Studenten umgingen, um diesen vielleicht im Studium stärker nutzbar zu machen.
Den angehenden Psychologen gegenüber hat sie dagegen eher negative Erwartungen gehabt. Aufgrund ihrer bisherigen schlechten Erfahrungen mit Psychologen war sie da sehr skeptisch. Sie hat weder gedacht, diese könnten befähigter im Hinblick auf die Profession der Psychologie sein, also mehr soziale und psychologische Kompetenz besitzen als andere, noch das sie sonst positiv herausstechen würden. Eher hat sie mit Personen gerechnet, die mehr vorgäben etwas zu können. Dem ist dann nicht ganz so gewesen. Viele haben nicht dem Auftreten derer entsprochen, die sie vorher kannte. Insofern ist sie eher positiv überrascht worden, dass die meisten Kommilitonen doch normal, wenn auch nicht besonders waren.
Die Motivation zum Studium der Psychologie ist insofern aus einer anderen Richtung gekommen. Es ging ihr in erster Linie darum, beruflich umzusatteln, aus den Firmen mit ihren hierarchischen Strukturen auszuscheiden, um selbstständig zu arbeiten. Und um in ihrem Alter noch einmal neu zu beginnen, hat sie angenommen, die größten Chancen in und ausreichend Interesse an der Psychologie zu haben. Insbesondere hat sie bezüglich der psychologischen Arbeit, zu ihren Erfahrungen aus der soziologischen Ecke eine Reihe von Überschneidungen gesehen.
6 Ergebnisse
6.1 Erwartungen an das Psychologiestudium
Wie in der Einleitung kurz erwähnt, bekam ich auf die Frage, warum die einzelnen Interviewten Psychologie studieren wollten, eine Reihe von zum Teil sehr unterschiedlichen Motiven zu hören. Ob es nun darum ging, generell mehr über den Menschen zu erfahren, speziell die Ursachen von Grausamkeit bei Menschen zu eruieren, Werkzeuge an die Hand zu bekommen, um adäquater mit Menschen oder speziell mit Hilfsbedürftigen umgehen zu lernen, oder überhaupt die administrative Legitimation zu erwerben, im Beratungsumfeld zu arbeiten oder sich dort selbstständig zu machen.
Diese Motive variierten zum Teil deshalb, weil ihnen, wie in den Aussagen der fünf Studenten zu lesen war, eine je unterschiedliche Erwartung an die Psychologie und das Studium aufgrund von unterschiedlichen Erfahrungen mit Psychologen und der Psychologie zu Grunde lag.
Worauf diese Unterschiede in den Erfahrungen, Erwartungen und Motiven bezüglich der Psychologie zurückzuführen sind, um darauf genereller einzugehen fehlen mir einschlägige Untersuchungen zu dem Thema. Doch vermuten lässt sich, dass hier das heterogene Bild, das die Psychologie nach außen wirft, das Fehlen eines einheitlichen Konzeptes und die teils unversöhnlichen Kompetenzkämpfe, die auch in der Öffentlichkeit ausgetragen werden, zumindest mit eine Rolle spielen.
6.2 Heutiges Bild von der Psychologie in der Praxis und als Wissenschaft
Meine Interviews begannen mit Fragen über die ursprünglichen Ansichten, Erwartungen und Motive, um einen Vergleich zur heutigen Sicht, welche Vorstellungen der Kommilitonen hinsichtlich des Studiums eher überhöht oder nicht angemessen waren und was am Studium darüber hinaus dennoch kritikwürdig bleibt, zu ermöglichen. Hierzu möchte ich zunächst die einzelnen gegenwärtigen Beurteilungen der Kommilitonen über die Psychologie auf der Grundlage der jeweiligen Positionierung innerhalb der psychologischen Richtungen, Forschungs- oder Anwendungsgebiete darstellen. Anschließend werde ich in einer Gesamtschau die, über die verschiedenen Perspektiven hinweg geteilten, positiven und negativen Kritikpunkte sichtbar zu machen versuchen.
6.2.1 Beurteilung der Psychologie von der Studentin H
Studentin H nimmt den Standpunkt ein, dass sie sich unmöglich innerhalb der einzelnen Richtungen positionieren kann. „Ich habe aber nicht wirklich etwas in der Psychologie, wo ich sage, das ist es, womit ich mich wirklich identifizieren kann, von A bis Z.“ [31]
Bei ihr handelt es sich mehr um einzelne Aspekte, die sie für sich herausgreifen möchte. „Von daher denke ich, dass es eigentlich auf ein Gemisch hinausläuft und man sich überall aus den verschiedenen Bereichen etwas holen müsste. Es gibt nicht die eine Richtung, der man sich verschreiben kann, sondern man muss sich aus allen Bereichen etwas herausnehmen und das so zusammensetzten, wie man das Gefühl hat, dass es zusammen passt.“
Als ersten Aspekt nennt sie die Geregeltheit der Forschungsarbeit, die sie sehr schätzt. Sie gibt ihr ein klares Instrumentarium an die Hand, mit dem sie arbeiten kann.
Ebenso wichtig erachtet sie die Anwendungsorientierung, also das Relevanzkriterium, das sich aus dem Messen der psychologischen Arbeit an dem allgemeinen Nutzen ergibt. „Wenn es darum ginge, anderen die Psychologie nahe zu bringen, würde ich was Ganzheitlicheres wählen. Da wäre mir sicherlich wichtig, was in Gruppen passiert, wie dort der Umgang ist, was in solchen Systemen abläuft, sei es Familie, sei es eine größere Gruppe, seien es Freundesgruppen. Wie baut sich das zusammen, also sozialpsychologische Themen. Irgendetwas, was Relevanz hat, und das ist das, was für mich Relevanz hat.“
Ihren persönlichen Schwerpunkt sieht sie im Forschungsgebiet auf Mikroebene. Mehr allerdings, weil ihr die Arbeit Spaß macht und ihr liegt. Die größere Relevanz spricht sie eher der Makroebene zu, d.h. der Mensch und seine Umwelt.
Übertroffen sieht sie ihre Erwartungen an die Psychologie, als sie ihr mittlerweile den Status als echte Wissenschaft zuerkennt. Sie nimmt sie mittlerweile als klar umgrenzte Wissenschaft wahr, die, um bestimmte Sachverhalte zu erheben, auf spezifische Methoden fußt und nicht Pi mal Daumen erschließt.
Erstaunt aber hat sie der Umstand, dass sich ihr das Bild einer gespaltenen Psychologie dargeboten hat, „ich finde, die Psychologie ist auch etwas gespalten“. Sie hat den Eindruck gewonnen, dass sich die Orientierung auf die Ganzheit und die auf die Einzelaspekte unversöhnlich gegenüber stehen. „Es gibt Strömungen, die noch auf die Ganzheit des Menschen achten und ihn wirklich erfassen wollen in großen Theorien, die meinetwegen nicht alles erklären können, aber dennoch versuchen [...] zu beschreiben oder zu erklären. […und die] Kleinfuzelei, z.B. wie bewege ich den kleinen Finger, und das machst du dann dein Leben lang“.
Sie bemängelt den Umstand, dass die an der Naturwissenschaft orientierten Methoden und darauf basierenden Erkenntnisse selten in Bezug auf die aus den Geisteswissenschaften orientierten heuristischen Methoden gezogenen Hypothesen stehen. Enttäuscht hat sie deshalb der Umstand, dass das Ganzheitliche Herangehen immer mehr abnehme, dass es immer mehr in Richtung moderne, d.h. spezialisierende Mikro-Forschung gehe, und die Zusammenschau der Erkenntnisse darüber vergessen wird.
Ein Fazit ist für sie, dass in der Psychologie sehr viel davon abhängt, was für Personen an den Lehrstühlen sitzen. Deren Geisteshaltung und nicht ein allgemeingültiger Lehrplan ist demnach die Basis dessen, was die Psychologiestudenten lernen sollen und dürfen. Für die Studentin H stellt sich die Psychologie daher zwar vom Grund her als eine, aber in der alltäglichen Umsetzung als keine Wissenschaft mehr dar, die allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten erforscht.
6.2.2 Beurteilung der Psychologie von der Studentin Y
Studentin Y sieht ihren Interessenschwerpunkt gegenwärtig im Spannungsfeld von Systemischer Psychologie Kybernetik 2.Ordnung, „der Therapeut ist Teil des Systems“, und Tiefenpsychologie. „Erkenntnisse über unbewusste Konflikte, dass es für einen Teil von Menschen wichtig ist daran zu arbeiten“.
Verhaltenspsychologie hält sie auch für wichtig, die interessiert sie aber nicht so stark. „Es ist wieder mehr an der Oberfläche und dass ist mir nicht tief genug.“
Erfüllt hat ihre Erwartungen das Ausmaß an Informationen innerhalb des Studiums, insbesondere solche über die Wahrnehmung oder über sozialpsychologische Phänomene. Ebenso hat sie so vorhergesehen, dass die dort gelehrten Erkenntnisse wissenschaftlich fundierter sind, als in populären Ratgebern.
Weniger als erhofft wurde gelehrt, wie sie diese Erkenntnisse praktisch umsetzen kann. Der Schwerpunkt des vermittelten lag deutlich nicht auf dem anwendbaren Wissen. In der Hinsicht hat ihr das Studium nur äußerst wenig zu bieten gehabt. Sie sieht sich auch in der Erwartung enttäuscht, dass bezüglich der Erkenntnisse innerhalb der Psychologie ein größerer Konsens bestünde. Sie hat die Bereitschaft auf den verschiedenen Seiten vermisst, das unterschiedliche Wissen zueinander vergleichbar zu machen, miteinander zu verknüpfen und überhaupt zu mehr Einigkeit zu kommen. „[D]ie verschiedenen Richtungen haben sich zwar einander angenährt, aber es gibt noch immer Unterschiede, wie z.B. dass den Verhaltenstherapeuten so etwas wie Gegenübertragung noch immer suspekt ist, und Tiefenpsychologen noch immer skeptisch sind, wie viel Verhaltenstherapie langfristig bringen kann“.
Außerdem hat sie den Eindruck gewonnen, dass die vielen durchgeführten Studien der Psychologie eher das Bild des Menschen verdunkelten, als eine Lichtung im Wald der möglichen Interpretationen zu bieten. „Und ich finde, dass es unglaublich viele Studien gibt, und man manchmal überhaupt nicht mehr weiß, was man annehmen oder glauben möchte“.
Überrascht hat sie, dass die inneren Prozesse des Menschen gar nicht wie erwartet im Vordergrund der Betrachtungen im Studium standen. Sie hatte geglaubt, dass diese in größerem Umfang und vor allem tiefergehend und nicht wie tatsächlich geschehen nur sehr allgemein und oberflächlich abgehandelt würden.
Ein Fazit ist für sie, dass die meisten Psychologen mit ihren Studien eben nicht in erster Linie über die Falsifikation von vorherrschenden Annahmen neue Erkenntnisse zu gewinnen trachten. Es scheint ihr eher unter der Hand als abgemacht zu gelten, dass die Studien allein der Bestätigung der eigenen Ansichten und vertretenen Denkmodelle dienen. Daraus zieht sie für sich den Schluss, dass auch sie nur noch den Statistiken trauen wird, wie es landläufig in der Psychologie heißt, die sie selbst gefälscht hat. Es gilt am Ende, wie schon am Anfang, also wieder allein das, was sie intuitiv als richtig erkennt. „[D]ass es eben doch so ist, dass man oft das herausfindet, was man von vornherein als Denkmodell hinter der Untersuchung stehen hat. Nicht immer, aber dass es doch nach diesem Prinzip funktioniert. Da bin ich kritischer geworden, […]und dass es wieder ganz stark darum geht, was ich für mich intuitiv als richtig sehe, oder von meinem Background her oder so.“
6.2.3 Beurteilung der Psychologie von dem Studenten R
Student R positioniert sich im weiteren Umkreis von reflexiver Sozial- und Familienpsychologie. „[Ich sehe mein Interesse] im Grenzland und über diese Grenzen hinausgehend, wo sich der einzelne Mensch im Verbund von anderen Menschen befindet. Der Schnittpunkt von Psychologie als Wissenschaft vom Einzelnen und Soziologie als Wissenschaft von den, den vielen Menschen oder dem System des und der Menschen, wo gezeigt wird, dass der Mensch sowohl Einzel- als auch Teilwesen ist, also bestimmte Aspekte des Selbstseins und bestimmte Aspekte des Anteilhabens besitzt“.
Innerhalb der Schulen tendiert sein Interesse zur Systemischen Psychologie, ergänzend mit Aspekten aus der Tiefen- und der humanistischen Psychologie. „Die drei Aspekte zusammengenommen, einmal der Mensch als ein getriebener von seiner Veranlagung, von seinen Umweltreizen her, der Mensch als ein selbstbestimmter, selbst handelnder, moralisch verantwortlicher, seine Welt selbst gestaltender und eben der Mensch als Teil eines größeren Ganzen, eines Systems im Systemischen, das ist so die Dreieinheit, in deren Mitte ich mich positionieren würde.“
Positiv aus dem Studium nimmt er mit, dass es seinem Selbstvertrauen im Vertreten seiner Überzeugungen genützt hat, die von ihm und den meisten anderen so erwarteten Mechanismen oder Sachverhalte durch Studien und Experimente bestätigt zu finden. Es macht einfach mehr her, wenn man den eigenen Ideen große Namen unterlegen kann. „[M]ein Wissen [hat sich] eher gefestigt, dadurch, dass es Studien dazu gibt, die bestätigen, dass die Dinge so sind, wie ich sie vorher vermutet habe“.
Eine Reihe von unerfüllten Erwartungen sieht er darin begründet, dass sie nicht wirklich angemessen gewesen waren. Das Studium hat ihn insofern zum Teil auf den Boden der Tatsachen zurückkehren lassen. „Es hat sich gezeigt, dass in der Psychologie die Menschen auch nur Menschen sind, und nicht mehr“.
Dennoch hat es ihn ernüchtert, die Psychologie nicht in einer geschlossenen Form vorzufinden. Es hat sich ihm mehr das Bild eines zusammenhanglosen Potpourris geboten, dessen Inhalt nur wenig Originelles bot. „[D]ass es viele verschiedene Herangehensweisen in der Psychologie gibt, unterschiedlichste Motivationen, unterschiedlichste Vorstellungen auch in im Hinblick auf die Psychologie, was man lernen oder erfahren kann […]. Überall wo Menschen zusammenkommen gibt es ein bestimmtes Schema, wie Menschen miteinander agieren, und auch hier agieren sie in dieser Art, es gibt […] diejenigen, die eher führen, die anderen, die sich eher mitziehen lassen, diejenigen, die eher kreativ sind, die anderen, die mehr reagieren oder nötiges Beiwerk liefern.“
Besonders enttäuscht hat ihn auch das gelehrte Material. Da hätte seiner Ansicht nach mehr Wert auf Qualität im Hinblick auch der Brauchbarkeit gelegt werden müssen, als nur auf Quantität. Der Umfang an überholtem Wissen, worin die Psychologie im Laufe ihrer Historie überall geirrt habe, hätte durchaus kleiner sein und mehr Raum für neuere Erkenntnisse bieten können. „Im Hinblick auf das zu erfahrende Wissen, hab ich das Bild gewonnen, wenig Qualität, viel Quantität.“
Im Hinblick auf die Bereitstellung von Wissen ist es ihm vorgekommen, als lege das Studium den Schwerpunkt deutlich stärker auf die Erdung, d.h. experimentelle Absicherung von bereits vorhandenem Wissen, als die Studenten zur Gewinnung neuerer Erkenntnisse anzuregen. „[W]enn ich gewusst hätte, wie viel ich lernen würde, würde ich mir sicherlich nicht fünf Jahre Studium zugemutet haben, sondern hätte es mir mittels fünf oder sechs Bücher auch anlesen können.“
Wenn er den Vertretern der Psychologie eine Rückmeldung geben könnte, würde er ihnen sagen, dass es dem Bild der Psychologie besser zu Gesicht stünde, wenn sie auf die ihr vielerorts entgegengebrachten hohen Erwartungen weniger mit ätzender Kritik an andere Vertreter ihrer Zunft aufwarteten und statt dessen mehr nach außen hin offensiv ein gemeinsameres Konzept vertreten würden.
6.2.4 Beurteilung der Psychologie von der Studentin E
Studentin E sieht ihren persönlichen Schwerpunkt in der Sozialpsychologie. Darüber hinaus findet sie einzelne Bereichen in der Familien- und der klinischen Psychologie sehr interessant und wichtig. Ihr unterschwelliges Ziel bleibt es Therapeutin zu werden. Am ehesten entspricht ihr dabei die systemische Ausrichtung 2.Ordnung. „[Mein Interesse liegt] in der Richtung des Menschen in sozialen Systemen, in der Familie oder der Partnerbeziehung“.
Der Fokus ihrer Arbeit würde auf der Herkunft und den Rahmenbedingungen in denen der Einzelne lebt, wie er seine Realität konstruiert, liegen. „Ich schaue immer zuerst, wo ist der Mensch eingebettet, worauf reagiert er und welche persönlichen Sachen bringt er dann mit [...] und was trägt dazu bei, dass wir nur noch den und den Ausschnitt sehen, welche Faktoren spielen da eine Rolle“.
Die Verhaltenstherapieausbildung sieht sie dagegen sehr kritisch. „[W]eil ich mich da zu wenig identifizieren kann […,] habe ich einfach Angst, weil du drei, vier, fünf Jahre Ausbildung machst, und das dich einfach prägt, und ich mich nicht in diese Richtung entwickeln möchte.“
Ernüchtert hat sie unabhängig von ihren Erwartungen, dass sich ihr im Laufe der Studienzeit die Psychologie in zwei eher voneinander getrennten Ausrichtungen präsentiert hat. Zum einen hat sie den Eindruck, dass die Psychologie als Wissenschaft die Deutungshoheit der Psychologie für sich in Anspruch nimmt. Zeitgleich behauptet aber auch die Psychologie in der Praxis ihren Vorrang und wird gerade auch in der breiten Öffentlichkeit so wahrgenommen. „Das ist so ein bisschen getrennt, ich hab zum einen die Vorstellung von Psychologie als Wissenschaft und zum anderen Psychologie in der Praxis.“
Dabei scheint ihr, dass beide Seiten ihren Ansprüchen kaum gerecht werden würden. Besonders die Psychologie als Wissenschaft ruft eine wachsende Desillusionierung bei ihr hervor. Da hat sie das Gefühl, die wenden sich immer mehr von der Wirklichkeit ab. „Psychologie als Wissenschaft, das desillusioniert mich immer noch, immer mehr. Die verlieren zum Teil ziemlich stark den Bezug zur Realität und zum Gesamtkontext mehr und mehr. Was hat ein extrem kontrolliertes Laborexperiment noch mit dem normalen Handeln zu tun?“ Zudem führt die innere Zersplitterung in vielen sich voneinander abgrenzenden psychologischen Wissenschaften ihrer Ansicht nach dazu, dass immer weniger der Kontext, in dem die verschiedenen Erkenntnisse stehen, mitberücksichtigt wird. „Alle verengen den Fokus irgendwann auf ihr Spezialgebiet, auf ihre Methoden, auf ihr Paradigma, mit dem sie forschen, und sehen den Gesamtkontext nicht mehr.“ Die Psychologie in der Praxis schottet sich nach ihrer Beobachtung dafür von den wissenschaftlichen Vertretern ab. „Da empfinde ich es dann wieder zu wenig theoretisch fundiert zum Teil, die gehen oft hin und basteln sich ihr eigenes Ding zusammen, was dann irgendwie funktioniert, aber wo ich den Eindruck habe, da kann jeder seine Privatschrulle mit hineinbauen.[… W]enn du außerhalb des Unikontextes bist, dann fehlen dir Zeit und Ressourcen“. So wie der Praxistransfer an der Universität fehlt, so fehlt auch der Theorietransfer in das Praxisfeld der Psychologie. Da fragt sie sich schon, weshalb dann noch Forschung betrieben wird, wenn die Ergebnisse nicht beim Endverbraucher ankommen.
Persönlich enttäuscht hat sie der zunehmend kleinere Raum, der den hermeneutisch orientierten Bereichen wie der Reflexiven Sozialpsychologie innerhalb des Studiums zugestanden wird. „Die ganzen Reflexiven werden halt weniger, das hat mich ein bisschen enttäuscht, weil es das ist, wo ich ursprünglich drangegangen bin, wo ich gesagt hab, ich möchte Theorien“.
Ein Fazit für sich ist, dass der psychologische Betrieb, so wie sie ihn kennen gelernt hat, sie nicht geradezu anspricht dort tätig zu werden. „Da habe ich lange mit mir gehadert, ob ich weiter in der Wissenschaft bleiben soll oder nicht. [… I]m Moment verneine ich das für mich eigentlich eher“. Ihr fehlt es an einer zentralen Schnittstelle, die mehr Austausch herstellt zwischen Theorie und Praxis. Außerdem würde sie mehr qualitative Feldforschungsarbeit betreiben, die Menschen in ihrer sozialen Umgebung studieren und nicht nur einzelne unverbundene Aspekte betrachten wollen. „[N]atürlich kannst Du versuchen einzelne Prozesse herauszufiltern, und sagen, wir kontrollieren alles andere, aber de fakto bist du immer in einem sozialen Referenzrahmen, bist du immer von tausenden Einflüssen kontrolliert und handelst in jeder Situation ihr gemäß […]. Den Menschen als Einzelwesen findet man so in der freien Wildbahn nicht, den gibt es so nicht“.
6.2.5 Beurteilung der Psychologie von der Studentin T
Studentin T nimmt für sich in Anspruch, sich eine eigene passgenaue Position aus Versatzstücken anderer Positionen zusammenzustellen. „In meiner Arbeit würde ich alles anwenden, [...] ich glaube wirklich, dass das so ein gesunder Mix sein muss, so bei den Methoden“. Sie möchte möglichst von allem etwas lernen, sich therapeutische Qualifikationen erwerben und das dann als Grundlage eines Ideenpools nutzen. „Dann kann der Therapeut sehr sehr viel erreichen. Ich denke, dann ist es wirklich eine Kunst, zu gucken, wo steht die Person, und mit welchen Mitteln kann ich arbeiten“. Ihre Methode wäre, vom Auftrag des Klienten auszugehen, danach eine bestimmte Arbeitsweise auszuwählen und die dann nur noch in einzelnen Aspekten im Hinblick auf die Passgenauigkeit zu modifizieren. „Man entscheidet sich für eine grundlegende Richtung, muss aber für jeden einzelnen Aspekt noch einmal schauen, ob dort eine andere Methode besser passen würde, und hier dann auch jeweils nur eine Methode und keinen Mix. Sonst glaube ich, wäre mein Verhalten nicht transparent, also nicht für den Klienten“.
Methoden, die ihr nicht gefallen, von denen sie sich abheben möchte, sind die Gesprächs- und die Verhaltenstherapie. „[D]iese Konzepte, die ich gesehen habe, die fand ich eher erschreckend, also mau, weil die meisten Leute, die sagen, dass ihnen Psychotherapie nichts gebracht habe, sagen, dass es nur ein Gespräch gab, also dass der Therapeut nicht geleitet, strukturiert, Impulse gesetzt hat oder wie immer du das nennen willst. Und das sehe ich ganz genauso, das sehe ich als ganz großes Manko“. „[I]ch bin sicher kein Behaviourist oder ich glaube nicht an die Universalheit der kognitiven Verhaltenstherapie oder so.“
Am Psychologiestudium gefallen hat ihr der diagnostische Bereich. „Dass eben vielfach nicht so gearbeitet wird, wie ich es vorher erlebt hatte, dass per Augenmaß Diagnosen gestellt werden, die eher über den Betrachter, als über den Betrachteten etwas aussagen.“ Es hat sich ihr dort gezeigt, dass die angewendeten Testverfahren ein gutes Hilfsmittel sind, um eigene Beobachtungen zu erweitern, zu unterstützen oder zu widerlegen. „Es ergeben sich immer wieder neue Aspekte, wenn du diese Testverfahren machst, wo du dann auch gucken kannst, wie stark ist dein Eindruck, also wie korrespondiert er mit dem Kind, das ich jetzt getestet hab, das hätte ich nie gedacht, wie stark das zu Buche schlägt, also das ist so ein Bereich, den ich jetzt mittlerweile sehr schätze, weil ich einfach sehe, was für Möglichkeiten stecken da drinnen.“ Ihrer Meinung nach steckt da ein großes Potential drin, besonders im Hinblick auf die Kombination von mehreren Testverfahren. Eine Verknüpfung kann ihren Erfahrungen nach unterschiedliche Perspektive, einen jeweils anderen Fokus bieten und insofern ein sehr detailliertes und verfeinertes Bild von der Untersuchungsperson liefern. „Und ich sehe jetzt auch im Rahmen meiner Diplomarbeit, da wird ein Kind mit verschiedenen Verfahren getestet, in unterschiedlichsten Situationen und Bedingungen, von unterschiedlichen Leuten, und am Ende werden diese ganzen Ergebnisse zusammengetragen. […D]as ist wirklich ein solides Verfahren[…]. Das hatte ich mir so differenziert im Vorfeld nicht vorgestellt, also dass es so was Ausgefeiltes gibt.“
In ihrem Praktikum hat sie besonders die dort vorgefundene interdisziplinäre Arbeit angesprochen. Sie scheint ihr den vielschichtigen und komplexen Anforderungen in der Arbeit mit den Klienten sehr angemessen. „[D]iese runden Tischgespräche, die die gemacht haben, also zu einzelnen Kindern, dass man sich eineinhalb Stunden mit den verschiedenen Professionen an einen Tisch gesetzt hat und auch eben neben diesen diagnostischen Verfahren noch mal die Bilder, die Erfahrungen in der Krankengymnastik, beim Turnen, keine Ahnung, in der Logopädie, eben dieser interdisziplinäre Austausch, das fand ich auch sehr konstruktiv, dass da auch jede Stimme gehört wurde.“
An Negativem ist ihr aufgefallen, dass die psychologische Forschung und Arbeit im Vergleich zur Soziologie viel geringer auf größeren, also mehrere Ebenen und Aspekte umfassenden Theorien fußt. „[Mir ist aufgefallen] dass es da überhaupt keine theoretischen Modelle gibt, also da gibt es so Papers und da sind dann mal dieser Miniaspekt und mal dieser Miniaspekt untersucht worden. Also es fehlt einfach irgendwie auch mal so größere Denker oder auch dieser Raum, das scheint ja heute so zu sein, dass wenn du Karriere machen willst, dass du an der Anzahl deiner Papers gemessen wirst und nicht an dem, dass man wirklich auch versucht synergetisch die Informationen die es gibt, zusammenzubringen, also noch mal in Modelle zu integrieren“.
Ein Fazit ist für sie, dass es nicht die eine Weisheit in der Psychologie gibt, nach der sie sich guten Gewissens ausrichten kann. Nachvollziehbar ist erst einmal nur die in der praktischen Arbeit beobachtete Zusammenarbeit zwischen den Richtungen. Ihr Potential wird sie daher vor allem in einer Zusammenschau der einzelnen Beobachtungen, Perspektiven und Spezialgebiete ausschöpfen können.
6.2.6 Gemeinsame Beurteilung
Meiner Ansicht nach hat sich hier sehr deutlich gezeigt, dass allen das Erleben einer in sich getrennten oder heterogenen Psychologie und daraus erwachsend der Wunsch nach mehr Klarheit und Bezug zueinander gemeinsam ist. „[I]ch finde, die Psychologie ist auch etwas gespalten. Es gibt Strömungen, die noch auf die Ganzheit des Menschen achten [...]. Auf der anderen Seite gibt es diese Kleinfuzelei[...]. Das hat mich schon erstaunt, wie viele Ströme es da gibt, [...] wie unterschiedlich die Dichte ist, die man sich da anguckt“ (Studentin H).
„Weniger erfüllt hat sich die Erwartung [...], dass eine größere Einigkeit besteht in der Psychologie, die Bereitschaft das unterschiedliche Wissen vergleichbar zu machen, zu verknüpfen, überhaupt in der Hinsicht zu mehr Einigkeit zu kommen.“ (Studentin Y).
„Es hat sich gezeigt, [...] dass es viele verschiedene Herangehensweisen in der Psychologie gibt, unterschiedlichste Motivationen, unterschiedlichste Vorstellungen auch in im Hinblick auf die Psychologie, was man lernen oder erfahren kann“ (Student R).
„Das ist so ein bisschen getrennt, ich hab zum einen die Vorstellung von Psychologie als Wissenschaft und zum anderen Psychologie in der Praxis.“ (Studentin E).
„[Es] scheint ja heute so zu sein, dass wenn du Karriere machen willst, dass du an der Anzahl deiner Papers gemessen wirst und nicht an dem, dass man wirklich auch versucht synergetisch die Informationen die es gibt, zusammenzubringen, also noch mal in Modelle zu integrieren, [...] das ist ein ganz großes Manko in der Psychologie“ (Studentin T).
Das mag auch der Grund dafür sein, dass alle die Ansicht äußern, wenn auch in unterschiedlicher Akzentuierung, dass sie sich nicht allein auf eine Richtung, eine Theorie oder eine Lehre beschränken lassen wollen. Vielmehr verstehen sie die verschiedenen Ströme der Psychologie mehr als ein Pool von komplementären Versatzstücken, deren Unterschiede nicht davon abhalten dürfen, sie auf einer höheren Ebene miteinander zu verbinden. „Von daher denke ich, dass es eigentlich auf ein Gemisch hinausläuft und man sich überall aus den verschiedenen Bereichen etwas holen müsste. Es gibt nicht die eine Richtung, der man sich verschreiben kann, sondern man muss sich aus allen Bereichen etwas herausnehmen und das so zusammensetzten, wie man das Gefühl hat, dass es zusammen passt.“ (Studentin H).
„[Ich] bewege [...] mich zwischen systemischer Sichtweise zweiter Ordnung, also Kybernetik 2.Ordnung, also der Therapeut ist Teil des Systems, und tiefenpsychologischen Erkenntnissen über unbewusste Konflikte“ (Studentin Y).
„Von den Schulen her tendiere ich zur Systemischen Psychologie, wobei nicht ausschließlich, sondern ergänzend zu Aspekten, die sowohl die Tiefenpsychologie, als auch die humanistische Psychologie liefern, wo die drei Aspekte zusammenkommen, einmal der Mensch als ein getriebener von seiner Veranlagung, von seinen Umweltreizen her, der Mensch als ein selbstbestimmter, selbst handelnder, moralisch verantwortlicher, seine Welt selbst gestaltender aus dem Bereich der humanistischen Psychologie, und eben der Mensch als Teil eines größeren Ganzen, eines Systems im Systemischen, das ist so die Dreieinheit“ (Student R).
„[D]a fehlt die Schnittstelle, da müsste man mehr Austausch herstellen. Dazu müssten sich aber die Forscher mehr in Richtung Praxis und die Praktiker mehr in Richtung Theorie bewegen, um das Wissen optimal zu nutzen.“ (Studentin E).
„In meiner Arbeit würde ich alles anwenden, [...] ich glaube wirklich, dass das so ein gesunder Mix sein muss, so bei den Methoden“ (Studentin T).
Als möglicher Bezugspunkt für die Psychologie, im Sinne einer Dach-Theorie der verschiedenen psychologischen Ströme, ergibt sich aus den Äußerungen der meisten, dass sich dazu vor allen anderen die Sozialpsychologie eigne. Alle Befragten sehen eine zentrale Wichtigkeit darin, dass die Psychologie den Menschen innerhalb seines sozialen Rahmens betrachten muss. „[W]as in Gruppen passiert, wie dort der Umgang ist, was in solchen Systemen abläuft, sei es Familie, sei es eine größere Gruppe, seien es Freundesgruppen, wie baut sich das zusammen, also sozialpsychologische Themen. [… D]as ist das, was für mich Relevanz hat.“ (Studentin H).
„[A]uch so Sozialpsychologische Themen fand ich interessant.“ (Studentin Y).
„Der Schnittpunkt von Psychologie als Wissenschaft vom Einzelnen und Soziologie als Wissenschaft von den vielen Menschen oder dem System der Menschen, wo gezeigt wird, dass der Mensch sowohl Einzel- als auch Teilwesen ist, also bestimmte Aspekte des Selbstseins und bestimmte Aspekte des Anteilhabens besitzt und dementsprechend die Sozialpsychologie.“ (Student R).
„Mein persönlicher Schwerpunkt ist für mich nach wie vor Sozialpsychologie, [...] in der Richtung des Menschen in sozialen Systemen, in der Familie oder der Partnerbeziehung“, „[Man muss] die Leute in ihrer sozialen Umgebung studieren“ (Studentin E).
Auch betonten drei der fünf Befragten, dass die praktische Anwendung der Theorien und ihre Rückwirkungen auf diese, einen wesentlichen Teil der Psychologie ausmachen sollten. „Weniger erfüllt hat sich die Erwartung, dass auch gelehrt wird, wie man die Erkenntnisse praktisch umsetzen soll“ (Studentin Y).
„[I]ch möchte Theorien, aber ich möchte auch den Praxistransfer haben. Diesen Praxistransfer sehe ich einfach nicht.“ (Studentin E).
„[D]u [wirst] an der Anzahl deiner Papers gemessen [...] und nicht an dem, dass man wirklich auch versucht synergetisch die Informationen, die es gibt, zusammenzubringen“ (Studentin T).
Zwei der fünf Befragten sehen zudem im Methodeninventar einen wichtigen Teilbereich der Psychologie. Zumindest den diagnostischen Testverfahren, die in der Erhebung von Daten eine für den einzelnen Beobachter gewinnbringende intersubjektive Perspektive ermöglichen, sprechen sie diese Rolle zu. „Andererseits finde ich es jetzt klarer, [...] dass es eben Methoden gibt, um bestimmte Dinge zu erfassen, die verwendet werden, dass man nicht nur nach Intuition geht.“ (Studentin H).
„Es ergeben sich immer wieder neue Aspekte, wenn du diese Testverfahren machst, [...] das hätte ich nie gedacht, wie stark das zu Buche schlägt, also das ist so ein Bereich, den ich jetzt mittlerweile sehr schätze, weil ich einfach sehe, was für Möglichkeiten stecken da drinnen.“ (Studentin T).
Ein gemeinsames abschließendes Fazit könnte lauten: Das Potential, das in der wissenschaftlichen Psychologie liegt, wird auch nach über 125 Jahren nicht optimal genutzt. Noch immer besteht, wie von Studentin H beobachtet, eine große Abhängigkeit der Psychologie von den jeweiligen Lehrstuhlinhabern, die je nach Strömung am Lehrstuhl nur gerade ihm genehme Ausschnitte betrachtet. Noch immer gilt die Kritik Poppers von der fehlenden Unabhängigkeit der Studien von den Denkmodellen der Untersucher, wie Studentin Y es erlebt, was zur Folge hat, dass bei psychologischen Untersuchungen eben doch nur das herauskommt, was von vornherein erwartet wird. Insofern bleibt die Intuition das wichtigste Werkzeug der Psychologen. Die Qualität des vermittelten Wissens und der vermittelten Fähigkeiten rechtfertigt daher nicht den Aufwand an Jahren und Mühen, die in das Studium der Psychologie gelegt werden müssen. Noch immer gilt hier ein eher negatives ökonomisches Prinzip, wird hier ein Maximum an Aufwand für ein Minimum an Nutzen betrieben. Noch immer wird zumeist auf Kritik an der eigenen Profession mit Abgrenzung nach außen, anstatt mit Verbesserung nach innen reagiert, wie Student R es erlebt. Es fehlt an einer Schnittstelle, die mehr Austausch und synergetische Effekte herstellen kann zwischen Theorie und Praxis. Der Mensch wird zu sehr isoliert und nicht als soziales Wesen wahrgenommen. Er würde adäquater mit qualitativer Feldforschungsarbeit erfasst werden, als es der Versuch vermag, alle einzelnen Prozesse herauszufiltern, um anschließend eine Prozesssumme zu bilden. Der soziale Referenzrahmen des Menschen verdient der stärkeren Berücksichtigung, wie Studentin E es sieht. Viel zu selten kommt es zu einer auf allen Seiten potentiell eher gewinnbringenden Zusammenarbeit zwischen den einzelnen Strömungen. Mehr noch bedarf es auch des interdisziplinären Raums, wie Studentin T es schlussfolgert.
Vergleicht man die Urteile der Psychologiestudenten, dann drängt sich der Eindruck auf, dass Sigmund Kochs 1973 geübte Kritik bezüglich der Psychologie als Wissenschaft wenig an Aktualität verloren hat. „Die Geschichte der Psychologie ist also weitgehend eine Geschichte wechselnder Ansichten, Lehrmeinungen und Vorstellungen […]. Man sollte aufhören, Studenten durch terminologische Bauernfängerei in dem Glauben zu wiegen, sie studieren eine einzelne Disziplin oder eine Fächergruppe, die tatsächlich oder potentiell durch ein übergreifendes Prinzip zusammengehalten würden. […] Wir sehen uns einer Generation gegenüber, die sich der Orthodoxie nicht einfach deshalb unterwerfen wird, weil sie nun einmal existiert. Diese Jugend mag […] nicht imstande [sein], zu erkennen, was sie so unruhig macht. Aber ich habe den Eindruck, die Unruhe besteht wesentlich in der Entschlossenheit dieser Generation, sich vom oberflächlichen Glanz des Bedeutungsfreien nicht blenden zu lassen […]. Wir erwarten von den Studenten, daß sie eine Literatur lesen und auswendig lernen, die eigentlich nichts anderes ist als Werbung für nichtssagende Konzepte, hochgespielte Theorien, trivialisierte „Entdeckungen“ und fetischistische Methoden, die ihre eigene Geschichte laufend selbst widerlegt.“ (Koch 1973, S.210ff.) [32] .
6.3 Auswirkungen von Menschenbildern auf den Umgang der Psychologen mit Menschen
Was aber liegt nun dem Erleben und Verhalten von Psychologen zu Grunde? Warum entscheiden sich immer wieder Menschen dafür, diese Disziplin zu studieren?
Diese Frage zu beantworten, dürfte kaum leichter sein, als das Anliegen der Psychologie, den Menschen in seinem Erleben und Verhalten zu verstehen. Es kann immer nur annäherungsweise geschehen, denn jede Antwort hierauf vermag nur einen Bruchteil der möglichen Erklärungen widerzuspiegeln. Und wie es in der Wissenschaft der Psychologie üblich ist, werde auch ich keinen umfassenden Erklärungsversuch starten. Ich beschränke mich auf einige grundlegende Gedanken hierzu.
Meine Überlegungen gehen erst einmal grundsätzlich davon aus, dass jede Beschreibung, Erklärung und jedes Urteil einer Referenzgröße bedarf. Somit braucht auch der Versuch, den Menschen in seinem Erleben und Verhalten zu erfassen, eine solche. Weiterhin stelle ich die Hypothese auf, dass die Referenzgröße des Menschen für seine Beschreibung, Erklärung und sein Urteil, sein jeweiliges Menschenbild ist. Und dieses setzt sich wiederum zu großen Teilen aus den jeweiligen Erfahrungen, die der Einzelne mit Menschen gemacht hat und seiner Einschätzung dieser, zusammen.
Daher habe ich durch die letzten drei Fragen des Qualitativen Interviews versucht, meine Kommilitonen anzuregen, über den Einfluss ihres Menschenbildes auf ihr Verhalten nachzudenken. Und davon ausgehend über den Einfluss zu reflektieren, den ein einer psychologischen Theorie zu Grunde liegendes Menschenverständnis möglicherweise auf die Arbeit seiner Repräsentanten hat.
Die jeweiligen Überlegungen der Kommilitonen werde ich im Folgenden einzeln darstellen, um sie dann abschließend in ein Gesamtbild zu integrieren.
6.3.1 Überlegungen der Studentin H
Dem Menschenverständnis der Studentin H nach sind Menschen eigene klar strukturierte Systeme, die sowohl auf sich selbst, als auch auf äußere Dinge reagieren, sich ihrer inneren Struktur dabei aber nicht bewusst sind. „[Man tappt] im Dunkeln […] darüber, wie man strukturiert ist“. Ein bestimmter Bereich, bestimmte Strukturen, beispielsweise Eigenschaften und Temperamente sind ihrer Ansicht nach vorher gegeben. Dennoch kann der Mensch aber relativ frei sein, wenn er es denn wolle. „Vielleicht können sie es nicht, weil sie es nicht wollen“. Sie nimmt an, dass wenn die Menschen sich mehr mit sich selbst auseinandersetzten, sie herausfänden, dass sie grundsätzlich nach Gesetzmäßigkeiten wie die eines Mechanismus funktionierten. Sie wären nur dadurch wechselnden Stimmungen und anderen Schwankungen ausgesetzt und verstünden nicht, was mit ihnen passierte, weil sie sich so wenig für ihr Funktionieren interessierten. Menschen blendeten einfach zu viele Dinge aus oder hielten sie für nicht wichtig oder für zu kompliziert, um sich damit zu beschäftigen. Deshalb gerieten sie häufig in ein allgemeines Fahrwasser, in dem sie dann trieben anstatt zu steuern, obwohl sie es zum Teil könnten. „Ich weiß nicht, wo es anfängt, aber ich glaub, dass der Mensch vielmehr Möglichkeiten hat, als er nutzt“.
Ob und wie sich ihr Bild vom Menschen dann auf ihren eigenen Umgang mit Menschen auswirkt, da betont sie einen Zusammenhang besonders im Aspekt der Möglichkeit zur Eigenverantwortung. Ihre Vorstellung vom Menschen drückt sich in ihrer Erwartungshaltung anderen Menschen gegenüber aus. Sie geht davon aus, dass Menschen sich konsequent gemäß ihrer Möglichkeit, die innere Logik ihrer Handlungen als grundlegende Regeln des Handelns zu erkennen, verhalten sollten. „[W]eil ich den Menschen ziemlich viel Eigenverantwortung zuspreche und dadurch auch sehr viel erwarte, und weil ich dann relativ schnell wieder enttäuscht bin von Leuten, wie sie sich verhalten und darauf natürlich reagiere.“
Aufgrund dieser Möglichkeit zur Mündigkeit des Menschen fordert sie ein, auch wenn diese Erwartung in den meisten Fällen enttäuscht werde, dass die Menschen, mit denen sie zu tun hat, in ihrem Verhalten der inneren Vernunft ihrer Handlungen gemäß konsequent handeln. „[W]enn man sagt, ich hab mich aus den und den Gründen für das entschieden, dann ist meine Forderung, du musst dich in allen anderen Lebensbereichen, die von der Struktur her genauso sind auch so entscheiden. Wenn man einen Grund angibt, eine spezielle Struktur, dann muss man auch die darunter liegende Struktur beachten, die das darin liegende Gesetz für verschiedene Bereiche des Lebens gültig macht.“
Inwiefern auch ein einer psychologischen Theorie zugrunde liegendes Menschenverständnis Einfluss auf die Tätigkeit der Repräsentanten dieser Theorie hat, da gehen ihre Überlegungen dahin, dass die Auswirkungen enorm sein müssten, „weil das ja nicht nur umfasst, wie derjenige auf andere Personen zugeht, sondern natürlich auch, wie diejenigen dann wieder darauf reagieren. Das ist ja der Wahnsinn, was das für Auswirkungen hat, [...] weil man mit den verschiedenen Menschenbildern aufeinander trifft und jeder hat andere Ideen, Forderungen oder Erwartungen, und man muss sich doch irgendwie zusammenfinden.“
Sie findet aber auch Konzepte, die ihrer Arbeit kein explizites Menschenverständnis unterlegen wollen, für schlüssig. „[Da z.B. die Verhaltenstherapeuten] sich ja nicht wirklich mit dem Menschen [beschäftigen], meiner Meinung nach, sondern immer nur mit Aspekten. Und wenn du dich nicht wirklich mit dem Menschen beschäftigst, dann brauchst du zwar kein Menschenbild, aber das ist dann auch ein Menschenbild, kein Menschenbild zu haben.“
Es ist ihrer Ansicht nach vielmehr wichtig, dass es so viele Therapierichtungen mit jeweils unterschiedlichen Menschenbildern gibt, „damit sich die Menschen die Unterstützung suchen, die für sie richtig ist. Ich glaube nicht, dass es da eine Sache gibt, die richtig ist, und eine, die falsch ist, sondern es geht um Passung“. Es können in der Therapeuten-Klienten Interaktion immer auch Menschenbilder aufeinander treffen, die inkompatibel und insofern dieser Beziehung abträglich sind. „[I]ch sehe das bei meiner Mutter, die das meinige nicht akzeptiert. Wenn ich sie aber akzeptiere, dann fühlt sie sich angegriffen.“
Ein Konzept, wie das der Verhaltenstherapie hat insofern seine Berechtigung, weil es eben auch Klienten gibt, die ihre Verhaltensprobleme auf einer Symptomebene gelindert bekommen wollen. Da verhalte es sich ähnlich, wie bei der Verabreichung von symptomlindernden Medikamenten. „Z.B. du hast Husten, du möchtest nicht mehr husten, dann geben wir dir einen Hustensaft, aber dadurch verändert sich nichts, dadurch husten sie zwar nicht mehr, und das ist gut, aber dass sie eigentlich etwas verändern müssten, nicht bei offenem Fenster zu schlafen, als Beispiel, dass wird dadurch dann nicht behoben. [...] Aber Veränderungen sind auch nicht immer in jeder Situation sinnvoll.“ Es dürfen eben die Einschränkungen durch die gegebenen äußeren Realitäten, wie mangelnde Zeit und andere fehlende Ressourcen, nicht unberücksichtigt bleiben. „Das Flexible, das finde ich das Wichtigste, konsequent, aber flexibel, man kann flexibel sein und trotzdem konsequent bleiben, wenn man eine Stufe tiefer geht.“
6.3.2 Überlegungen der Studentin Y
Das Menschenbild von Studentin Y beginnt mit allgemeingültigen, alle Menschen betreffenden Aspekte. „Grundgefühle, wie Angst, Freude, Trauer“. Der Mensch ist ein biologischer Organismus und von biologischen, genetischen Bedingungen, sowie durch die Umwelt und die Kultur geprägt.
Der Mensch ist weiterhin „ein sehr stark reagierendes Wesen“ in einem Netz von anderen re- und zurück reagierenden Wesen. In dieser Eingebundenheit bewirken die vielfältigen Rückwirkungen manchmal Neues. D.h. sie sind trotz ihrer Reaktivität fähig etwas Neues zu erschaffen. Der Mensch muss von seiner Geburt an immerzu auf das ihn Umgebene reagieren und eignet sich so seine Welt an. Dabei entwickelt er nach und nach eigene Strategien des Reagierens. So erlangt er schließlich auch die Möglichkeit ein denkendes Wesen zu werden, das sich Dinge überlegen und Entscheidungen treffen kann. „Ich glaube nicht, dass er grundsätzlich determiniert ist, aber dass wir in vielen Dingen viel determinierter sind, als wir das vielleicht mal gedacht haben. Zu dem Zeitpunkt, wo wir anfangen zu denken, ich kann mich frei entscheiden, so in der Pubertät, da hat man schon jede Menge erfahren. Und da ist man dann schon durch die Erfahrungen sehr determiniert“.
Die Veränderung, die ein Mensch bewirken kann, ist daher nahezu immer begleitet mit einem harten, viele inneren und äußeren Gegenbestrebungen widerstehenden Kampf. „[W]eil man eben doch recht geprägt ist. […Doch] manchmal fällt man plötzlich heraus aus seiner Prägung, […d.h.] dass man nicht in allem determiniert ist, dass wäre ja auch furchtbar.“
Inwiefern sich ihr Bild vom Menschen dann auf ihren Umgang mit ihnen auswirkt, da besteht vor allem in ihrem Interesse an Menschen ein Zusammenhang. Ihr Bild von den großen Einflüssen der Erfahrungen der Menschen auf ihr sein, weckt oft ihre Neugierde, das Verhalten anderer anhand deren Beeinflussungen zu ergründen, seien diese ihr nun sympathisch oder unsympathisch. „[A]uch wenn ich vielleicht zunächst auf der Schiene lande, der ist doof oder die ist so komisch zu mir, denke ich dann als zweites darüber nach, warum ist jemand vielleicht so, und finde es interessant darüber dann Informationen zu erhalten.“ Die von ihr gesehene genetische und soziale Prägung des Menschen bildet die Basis ihres Interesses, während die leise Hoffnung auf ein Quäntchen Freiheit den Ausgangspunkt für ihre vordergründige Wertung markiert. „[D]er Mensch ist vielleicht geprägt, hat vielleicht eine sehr ehrgeizige Mutter, aber, dann denke ich, mein Gott, ich hatte auch nicht eine überglückliche Kindheit, aber hab mich auch mal dafür entschieden, nicht so der superblöde Egoist zu werden, der anderen Menschen weh tut. Da meine ich dann schon, dass man sich entscheiden kann, zumindest in Bezug auf Lebenseinstellungen.“
Die Fähigkeit, entscheiden zu können, bildet sich ihrer Ansicht nach nicht zwangsläufig mit der Zeit heraus, sondern entwickelt sich gemäß der Art der Erfahrungen die man macht. Diese hängen wiederum davon ab, wie eingehend man sich mit sich und seinem Verhalten anderen gegenüber in seinem Leben auseinandersetzt. „[D]as prägt sicherlich auch meinen Umgang mit Menschen, dass ich meine, jeder kann darüber nachdenken oder kann herausfinden, warum was wie ist, zumindest kann er sich auf den Weg machen, und das erwarte ich auch, zumindest von Freunden.“
In Bezug auf den Einfluss eines einer psychologischen Theorie zugrunde liegenden Menschenverständnisses auf die Tätigkeit ihrer Repräsentanten fällt ihr auf, dass sie im tiefenpsychologischen Kontext, die Annahme der unbewussten Abwehr bisweilen in der Umsetzung im therapeutischen Kontext als beunruhigend empfunden hat. Sie entmündige den Klienten als Menschen, gestehe ihm keine freie Wahl seiner Handlung zu und lokalisiere seine jeweiligen Aktionen und Reaktionen in unbewussten Vorgängen. „[W]enn man sagt, jemand ist in der Abwehr, und dass ist alles unbewusst, dann entmündigt man den Menschen auch ein bisschen.“
Bei den Lerntheoretikern sticht ihrer Ansicht nach dagegen hervor, dass diese entsprechend ihrer Verhaltenstheorie davon überzeugt sind, dass der Mensch ein simpler Mechanismus sei, dessen Sein rein auf Konditionierungen gründet. „[D]a finde ich das ist mir zu einfach. Irgendwie stimmt das, dass sind so Prozesse, es gibt so was wie Verstärkungen und negative und positive Verstärkungen usw., aber man guckt in bestimmte Bereiche nicht, schaut nicht genauer hin“.
Insofern glaubt sie die Frage ob das jeweilige Menschenverständnis sich auswirke, grundsätzlich mit ja beantworten zu können. Wenn auch mit einer Einschränkung, denn schlüge es sich konsequent auf das Verhalten der Repräsentanten nieder, so müsste eine den Menschen als unfrei begreifende psychologische Richtung sich ja jeder moralischen Wertung enthalten. Zumindest wäre dies konsequent, solange sie dem ethischen Verhalten nicht absprächen, dass es auf freier Entscheidung basiere. „Indem man davon ausgeht, dass es was Unbewusstes gibt, das ist eine Gradwanderung, dann darf man eigentlich nur Verständnis haben, darf sich nicht über den Menschen stellen.“ Der augenscheinliche Fall aber, dass diese Konsequenz keine Anwendung findet, deutet darauf hin, dass zudem etwas mit hineinspielt, was den Einfluss des Menschenverständnisses der psychologischen Theorie auf seine Repräsentanten entgegenwirke oder diesen zumindest einschränke. „Da erhebt sich der Einzelne doch wieder über das System, in dem er meint, dass er als Einzelperson die, das System verändern kann, ohne dass er, wie er eigentlich meint, Teil des Systems ist, und dementsprechend auch nicht mehr von dem, also sozusagen mehr in dem System auslösen kann, wie umgekehrt, dass das System auf ihn auslöst. Also man muss schon irgendwie schauen, dass man sich da nicht verliert, weil das System, von dem du ja Teil bist, dich auch wieder prägt.“
6.3.3 Überlegungen des Studenten R
Nach Ansicht des Studenten R ist der Mensch ein mehrdimensionales Wesen, das einmal als Organismus in direkter Verwandtschaft zu anderen Organismen der Erde steht. „Der Mensch hat mehrere Dimensionen. Er ist sowohl Organismus, d.h. in Verwandtschaft zu Tieren, anderen Lebewesen, Pflanzen usw.“ Zum anderen ist er auch ein über die Determinanten herausragendes zu freien und eigenen Entscheidungen fähiges Geschöpf. „Der Mensch hat also grundsätzlich ein Mindestmaß an Freiheit“.
Als von inneren Zusammenwirkungen geleiteter Organismus gründet sein Antrieb im Zusammenspiel der Anlage seiner Gene mit den kleinsten eigenen Organismen in den Zellen. Diese unterstützen sich gegenseitig bei günstigsten äußeren Bedingungen im stetigen Vorwärtsschreiten in der Ausfaltung ihrer Dispositionen, ähnlich einem organischen Urwerk. „[Er ist] etwas aus sich selbst heraus wachsendes und entwicklungsorientiert, also hat einen inneren Bauplan, den er erfüllt, zu deren Ziel er hinstrebt, […] in einer determinierten Weise es sich ausgestaltet entsprechend seinen Genen“.
Zum von den Einwirkungen emanzipierenden Geschöpf wird er dann aus der inneren Logik seiner Determination heraus. Die bringt es mit sich, dass seine ausführende Kapazität nicht hinreicht, um alle inneren und äußeren Verursachungen zur sofortigen Auswirkung zu geleiten. So muss der Mensch im Laufe seiner Evolution die Fähigkeit zur Heuristik ausgebildet haben, die wiederum die Basis seiner Freiheit geworden ist. „[Der Mensch ist] frei im Sinne, dass diese Gene Dispositionen sind, die sich nicht ausgestalten müssen, sondern dem Einzelnen einen gewissen Spielraum an Freiheit darüber zu bestimmen lassen. Diese Freiheit hängt wiederum von den Kontexten ab, in denen der Mensch steht. Der Mensch hat also grundsätzlich ein Mindestmaß an Freiheit, nur kann der Mensch je nach Umständen freier oder weniger frei agieren, je nachdem, was ihm genetisch, als auch umweltsozialisiert […] mitgegeben wird.“
In dem Sinne, in dem er befähigt wurde seinen Einflüssen bis zu einem gewissen Grade zu trotzen, wird er zum Grundbaustein eines noch größeren Organismus, der ebenfalls sowohl von seinen Bausteinen beeinflusst, als auch von ihnen bis zu einem gewissen Grad unbeeinflusst agieren kann. „Das sind die zwei Aspekte des Einzelnen. Weiterhin ist der Mensch auch Teil eines größeren Ganzen, das zur Summe etwas Neues hervorbringt, was nicht allein in der Macht der Einzelnen steht, aber an dessen Verursachung er Anteil hat, wie auch an den Auswirkungen, da dieses Ganze Rückwirkungen auf den Einzelnen hat.“ Dabei bleibt er zugleich Einzelwesen innerhalb des organismischen Rahmens, insofern er weiterhin seine individuellen Fähigkeiten zur Geltung bringt und seinen ganz eigenen Bedürfnissen nachgeht. „Menschen haben einen Rahmen, in dem sie sich bewegen können, wobei weder der Rahmen, noch der Einzelne starr an sich ist, sondern ein fließendes Selbst einem fließenden Ganzen gegenüber steht, wobei jedes Selbst und jedes Ganze unendlich viele Möglichkeiten hat sich auszugestalten, wodurch die Verbindungen zwischen beiden unendlich mal unendlich viele Möglichkeiten hat, sich in dieser Verbindung auszugestalten. Also ist der Mensch an sich eine Ausgestaltungsform von unendlicher Möglichkeit.“
Bezüglich der möglichen Implikationen dieses Menschenbildes auf sein Verhalten fällt ihm auf, dass sein Bild, von der unendlichen Ausgestaltungsmöglichkeit des Menschen, ihm einen Toleranzvorschub sich selbst und anderen gegenüber bietet. „[M]ein Verhalten anderen gegenüber […] gestaltet [sich vielfältig], ich [habe] mich durch mein Bild vom Menschsein damit angefreundet […], dass ich mich anderen Menschen gegenüber vielfältig verhalten kann, dass ich diese Vielfältigkeit, auch dieses Schwanken oder dieses sich verändern in meinem Verhalten durchaus mit Selbstbewusstsein und ohne Scham vertrete, dass ich ohne Selbstzweifel einfach der bin, wer ich in jedem Augenblick auch immer sein mag, und das auch vertrete, dass ich so bin, und dass ist in Ordnung, dass ich so bin, und in ähnlich hohem Maße akzeptiere ich auch oder gehe damit um, dass andere Menschen ebenfalls sich jeweils unterschiedlich verhalten, also es keine starre Art gibt, wie sie sind, sondern mal so und mal so, und dass es auch eine gewisse Legitimität gibt, so oder so zu sein“.
Er hat weiterhin ein großes Interesse an anderen Menschen und an ihren Eigenheiten. Er beschreibt sich als sehr neugierig anderen Menschen gegenüber, der es möge andere Menschen kennen zu lernen, genau auf sie zu achten, genau hinzuhören was sie erzählten, und sie gerne einschätze. „[I]ch [bin] offen […] für Erklärungen, warum jemand so ist, wie er ist und [setze] mich auch offen damit auseinander […], und dementsprechend versuch ich sehr zurückhaltend in mein Urteilen anderen Menschen gegenüber zu sein und offen für ihre Eigenheiten.“ Die Auswirkung seines Menschenbildes sieht er insofern als eine sich ableitende Offenheit anderen Menschen gegenüber.
Wenn er darüber nachdenkt, ob ein einer psychologischen Theorie zugrunde liegendes Menschenverständnis Einfluss auf die Tätigkeit ihrer Repräsentanten habe, beantwortet er das spontan mit ja. „Ich glaube, dass die Menschenbilder ein ganz wesentlicher Faktor sind und mit das Verhalten von Menschen, anderen Menschen gegenüber ausmacht. Einfach weil es einen wesentlichen Faktor im Erleben der anderen Menschen bedeutet. Ich begegne Menschen mit einer Erwartung entsprechend meines Menschenbildes“.
Es kann seiner Ansicht nach sogar dazu führen, dass die psychologische Theorie aus ihrem Menschenbild eine Unterteilung ableitet, die zwischen Menschen, die diesem Menschenbild entsprechen, somit normale Menschen, und Menschen, die diesen Erwartungen nicht entsprechen, unterscheidet. „Allgemein gesprochen führt jegliches Menschenbild zu einer Art Dichotomisierung der Menschen und zu weniger Offenheit, die die Vielfältigkeit der Menschen im Blick behalten würde und fragt, wie ist er eigentlich, wie ist er im Grunde seines Seins.“
In der Weise, nimmt er an, versuchen die verschiedenen psychologischen Richtungen Menschen in Schemata zu passen, also ihrem eigenen Bild vom Menschen anzupassen. Dem wohnt die Implikation im Verhalten inne, dass sie den Menschen auf eine berechenbare Eindimensionalität reduzieren. „Was nicht heißt, dass sie mehr falsch machen, als vorher andere, aber eben auch nicht weniger, und dann hat die Psychologie in der Hinsicht keine wirklich eigene Daseinsberechtigung. [...Sie] entsprechen in gewissen Sinne dem Gleichnis des auf Sand gebauten Hauses, was letztendlich am Ende in sich zusammenfallen muss.“
Für sich zieht er daraus den Schluss, dass den Menschenbildern eine ganz bedeutende Rolle zufällt, da sie das Fundament all dessen, was darauf aufgebaut werde bilden. Und erst wenn dieses Fundament stimme, könne auch alles andere in sich stimmig werden und Früchte tragen.
6.3.4 Überlegungen der Studentin E
Studentin E sieht den Menschen als ein in ständiger Bewegung auf etwas hin stehendes, ein nach Autonomie und Verbundenheit strebendes Wesen. „[Er ist] eingespannt zwischen den Dimensionen Autonomie und Verbundenheit.“ Der Mensch besitzt demnach ein Begehren möglichst frei sein. „[Er] glaubt er wäre der Herrscher der Welt und könnte sein Leben vollkommen selbst bestimmen“. Ebenso wird er aber vom Bedürfnis nach Rückgebundenheit geleitet. Es ist diese Ambivalenz, die den Menschen ihrer Ansicht nach hauptsächlich antreibe. Seine Dynamik resultiert aus dem beständigen Versuch, diese Antriebe miteinander in Einklang, in ein Gleichgewicht zu bringen.
Die Krux dieser Dynamik liegt zudem ihrer Ansicht nach darin, dass die Impulse nach Freiheit und nach Verbundenheit keine Antagonisten sind. Der Mensch kann sich seiner Verbundenheit gar nicht entledigen. Er ist immer schon verbunden. Deswegen reagiert er ja auf Dinge, die auf ihn einströmen, die er wahrnimmt. „Selbst wenn du versuchst dich zu emanzipieren um deinen eigenen Weg zu gehen, bekommst du letztlich Input und reagierst darauf.“ Er hat vielmehr zusätzlich die Freiheit, sich in selbstbestimmter Weise zu verhalten. Damit unterliegt er zugleich der Verpflichtung, es auch zu tun. Zumindest hat er trotz seiner Rückgebundenheit keine Entschuldigung für unverantwortliches Handeln, d.h. keine Rechtfertigung es mit eben dieser zu begründen. „[W]ie er reagiert, kommt darauf an, wie er sich entschieden hat, was er in seinem Leben als handlungsleitend ansieht. Also er hat auf jedenfall einen freien Willen und das fast uneingeschränkt. Natürlich hast du Beschränkungen durch die Möglichkeiten, die dir gegeben sind, wo du lebst, aber du hast immer die Möglichkeit zu entscheiden, wie du reagierst.“
In Bezug auf die Auswirkungen, die dieses Menschenbild eventuell auf ihren Umgang mit Menschen hat, meint sie, dass es zumindest darin Einfluss gewinnt, dass sie anderen Menschen die Beschränkung ihrer Handlungsmöglichkeiten weitestgehend zugesteht. „Es ist immer wieder ein Prozess, sich dazu zu überwinden, aber ich versuche die Begrenztheiten der anderen zu sehen, obwohl ich den Eindruck habe, dass er einen freien Willen hat und ich damit relativ hohe Anforderungen und moralische Ansprüche stelle, bezüglich des Verhaltens an sich, und den Maßstäben, nach denen man handelt.“
Ihr Impuls anderen Menschen gegenüber setzt die Freiheit des Willens beim Anderen voraus und misst ihn daran. „Du hast einen freien Willen, also entscheide dich so und so.“ Diese Regung gerät erst unter Aufbietung ihres freien Willens in die Defensive. Er vergegenwärtigt ihr die unfreien Aspekte im Menschsein und bringt sie so dazu, sie bewusst in ihrem Interagieren mit zu berücksichtigen. „Aber ich versuche diesen Begrenztheitsaspekt immer zu sehen [...], diese Dimension mit einzubauen, also ihm die Haltung entgegenzubringen, die Begrenzung ist nun mal da, dafür kann der andere nichts. Das ist für mich ein ständiger arbeitsreicher energieintensiver Prozess.“
Um das zu verdeutlichen, kommt sie auf das Beispiel von Mördern und Triebtätern zu sprechen. „Du merkst schon, der hat die und die Familienhintergründe und er begegnet dir vielleicht noch sympathisch und zeigt auch ein paar Schwächen, dann bist du ganz schnell in dieser extremen Spannung drin. Da fände ich es leichter, wenn ich wüsste, der Mensch hat einen unumschränkt freien Willen. Zu sagen, er ist voll verantwortlich, oder er hat überhaupt keinen freien Willen und ist somit überhaupt nicht verantwortlich. Aber dadurch, dass es immer in diesem Spannungsfeld ist, finde ich sehr schwer.“
Hinsichtlich des Einflusses des Menschenverständnisses einer psychologischen Theorie auf die Tätigkeit ihrer Repräsentanten geht ihre Überlegung dahin, dass das Menschenverständnis sich mit dem seiner Repräsentanten zu etwa 80 % decke. „Es bleibt noch ein Rest von 20 % übrig, was du an Unvorhergesehenem hast, wo du plötzlich so Aha-Erlebnisse haben kannst. Aber ich glaub zu 80 % determiniert dein Welt- und Menschenbild deinen Umgang mit anderen Menschen.“ Und da das Menschenbild des Einzelnen sich im Regelfall auf sein Erleben und Verhalten auswirke, sieht sie auch einen Zusammenhang zwischen dem Menschenverständnis einer Richtung und dem Umgang seiner Repräsentanten mit Menschen.
Zur Untermauerung ihrer Schätzung greift sie den Aspekt der Willensfreiheit des Menschen heraus. Demnach übt die jeweilige Ausprägung an Freiheit des Menschen zwar direkten Einfluss auf sein Menschenbild aus. Und zwar resultieren die Konsequenzen des Menschenbildes im Handeln aus eben dieser Freiheit, seiner Anschauung gemäß handeln zu können. Doch diese Auswirkungen entstehen nicht aus dem Menschenbild selbst heraus, sondern werden lediglich durch es vermittelt. Insofern verändert sich nie der Einfluss des Menschenbildes auf das Verhalten. Nur das Menschenbild selbst und daher auch das resultierende Verhalten kann eine Wandlung durchmachen. „[N]ur eben die Dimension Offenheit [im Menschenbild] wird durch die Reflexivität deines Menschenbildes erhöht.“
Es ist ihrer Meinung nach z.B. ein enormer Unterschied, ob ein Menschenverständnis dem Menschen einen freien Willen lediglich unterlegt oder ihn ihm zugesteht. „Wenn du aber ein Menschenbild hast, das sehr stark in die Richtung geht, der Mensch ist absolut autonom, Umwelteinflüsse spielen fast keine Rolle, der Mensch tritt mir hier aus freiem Willen entgegen, verkleinert sich der Spielraum dessen, was man dem anderen zugesteht, wie er zu sein hat. Dadurch hast du ganz schnell die Leute in eine Kategorie geschaufelt. Dann müsstest du dem Bettler sagen, du hättest Millionär werden können, du hast keine Entschuldigung dafür, dass du auf der Straße sitzt.“ Der Mensch gilt dann quasi, wie in Kants intelligiblen Welt [33] , als von der Freiheit determiniert. Eine zugestandene Freiheit demgegenüber beinhaltet vielfältige Abstufungen von Freiheit bis zur Unfreiheit. Sie bietet insofern gemäß den jeweiligen situationsbedingten Freiheitsgraden eine vielfältigere Ausgestaltungsmöglichkeit des Verhaltens. „Wenn du aber gewisse Begrenztheiten siehst, z.B. mit Elternhaus, kannst du sagen, okay, die Chance, dass du Millionär wirst, ist relativ gesehen viel geringer als die von Einem aus einem guten Elternhaus, du hast vielleicht die Möglichkeit, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß.“
6.3.5 Überlegungen der Studentin T
Studentin T sieht den Menschen zunächst einmal in seiner Eingebundenheit in der Weltgemeinschaft. „Der Mensch ist eine arme Sau. Leider. Also das denke ich einfach wirklich, also wenn man sich die Welt anguckt, [...] wenn er es schafft einigermaßen psychisch gesund zu bleiben, kann er trotzdem, trotz der ganzen Schwierigkeiten relativ gut leben.“
Was seine Stellung innerhalb der allgemeinen Existenz angeht, da ist er sicher nicht der Weisheit letzter Schluss. „[D]er Mensch [ist] aber eher eine Fehlgeburt, eine ungewöhnliche, aber nur eine Möglichkeit unter vielen, und wird sich wahrscheinlich bald selbst auslöschen. Wir stehen uns doch ziemlich selbst im Weg.“
Dem Leben an sich spricht sie aber durchaus eine positive Bedeutung zu. „Also ich glaub [...,] dass das auch irgendwie ein Geschenk sein kann.“ Nur ist die Menschengemeinschaft eben nicht oder noch nicht, die ideale Umsetzung des Konzeptes Leben. „[W]ir stehen uns eben sowas von selber im Wege, aber jetzt nicht nur ich mir selber, sondern wir uns alle irgendwie.“ Um einer solchen Passung willen sollte der Mensch sich ihrer Ansicht nach eher gemäß den Bedingungen des Konzeptes Leben verhalten. Der Mensch muss sich also mehr oder weniger in den Kreislauf des Lebens einfügen und nicht weiterhin annehmen, dass das Konzept Leben sich seinen Bedürfnissen unterzuordnen habe. Er sollte davon ablassen ungebrochen zu versuchen, das Leben unter seine Gewalt zu bringen. „Im Grunde genommen geht es darum, also wir kriegen diese Chance, woher auch immer ja, [...] hier zu leben und wir haben eigentlich nur die Aufgabe es uns gut gehen zu lassen, und denen um uns herum. Und wenn wir das wirklich einfach betreiben, dann kann eigentlich auch nichts schief gehen. In dem Moment, wo er halt einsieht, dass es für alle das Beste ist, für jeden etwas Gutes zu machen, weil vielleicht jeder davon profitiert, kann es auch recht gut funktionieren.“
Es ist aber auch ein Hinweis auf die Freiheit des Menschen, dass das so nicht funktioniere. Es zeigt die Freiheit des Menschen, sich nicht gemäß seiner eigentlichen Bestimmung zu verhalten; wie bei einem Kind, das von seiner Mutter, wenn es die Notwendigkeit nicht einsieht, sich bei kaltem Wetter warm anzuziehen, die Freiheit eingeräumt bekommt, frieren zu dürfen. „Also wenn es überhaupt einen Gott gibt, dann hat er uns ja [...] selbständig gemacht, wir sind ja keine Pappkameraden, wir haben ja was Eigenes bekommen. [...] Dass Gott die Freiheit ist, sich jeden Tag für das richtige zu entscheiden, und ich denke diese Chance haben wir. Wir haben diese nicht guten und guten Komponenten und unsere Aufgabe ist es letztendlich, uns dahin zu entwickeln, sich freiwillig, gerne und auch mit guter Einsicht sozusagen zu finden, und dann könnten wir einige Probleme, die wir jetzt haben ganz fundamental lösen.“
Neben der Freiheit z.B. entgegen der Vernunft zu handeln, wird der Mensch aber in erster Linie durch die Bedingungen um ihn herum und in ihm weitestgehend festgelegt. „Also ich denke schon natürlich, dass ganz viele deterministische Anteile mit drin sind, aber die Kombination, die dann nachher alle zusammengewürfelt sind plus das Temperament, [...] ich denke die Komplexität dessen, was wir im Kopf haben, ermöglicht uns ein Quäntchen Freiheit, wie wir diese hunderttausend Sachen erzielen können, an gesellschaftliche Einflüsse, wie sich das nachher ausprägt, wie du auch lernst mit dir umzugehen, [...] die Vielfalt der Informationen, die so viele unbekannte Größen mit drin hat, so dass du nicht deterministisch voraussagen kannst, was du tun wirst.“
Der wesentliche Aspekt im Menschsein liegt ihr zufolge demnach im Anteilhaben an der Gemeinschaft der Menschen, aus der sich die Freiheit des Menschen erst ergibt. „Dass aber jeder nur für sich selbst verantwortlich ist, sehe ich nicht ganz so, weil ich glaube, dass so die, ich sag mal ich seh halt so, die Älteren haben die Verantwortung für z.B. für die nachfolgende Generation, also insofern glaub ich nicht, dass es so ganz existentialistisch ist, weil es einfach zu starke Verbindungen gibt, zwischen den Jungen und den Alten. Also ich glaube, dass das einfach viel stärker gelebt werden müsste, damit wir einigermaßen glücklich sein könnten, und nicht mehr so arme Kerle sind. So ganz nackt sehe ich das Individuum nicht, also es ist schon immer etwas da, eine Gesellschaft da, in die man hineinkommt. Er ist in erster Linie doch erstmal ein Teilwesen.“
Als Beispiel für diesen Einfluss der Kultur auf den Menschen führt sie eine Erfahrung an, die sie während eines Aufenthaltes in einem afrikanischen Dorf gemacht hat. „[D]u bist so in diese Atmosphäre, also ich würde mich jetzt überhaupt nicht anfällig für sowas halten, aber es ging ratz fatz, weil diese Zuschreibungen sind so stark, und ein so hoher Konsens, dass du, dass du als Frau z.B. dort, dass ist halt das Wichtigste dort für eine Frau, ein Kind zu bekommen, und ich hab ja keine Kinder, und das war dort innerhalb von zwei Wochen war das jetzt ganz selbstverständlich, dass ich das jetzt auch in Angriff nehmen wollte, und ich war hier, und da war das augenblicklich wieder weg, aber dort war das so, wir haben nur darüber gesprochen und ich weiß nicht, dass mir das auch sofort passiert, dass ich das so annehme, als ich zurückkam war ich schon sehr stark, wie, eine Woche war ich ganz von Sinnen, weil ich gar nicht, weil ich mich erstmal wieder finden musste. Hätte ich nie gedacht, dass das so stark wirkt.“
Der Einfluss ihres Menschenbildes auf ihren Umgang mit Menschen, da gibt es für sie zwei Seiten. Eine Seite betrifft die Kontexte, in denen für sie eindeutig die Menschen im Fokus stehen. „[A]lso jetzt wenn ich in das Heim [in dem ich Praktikum mache] fahre, [...] dann ist es so, dass dieses Mitschwingen, Mitfühlen, Handreichen, zu versuchen in eine Gleichschwingung zu kommen, dass die Person ein Stück weit auch tragen, ziehen und mitnehmen können, ich denke, dass mir das in bestimmten Phasen auch eher gelingt“. Die andere Seite betrifft solche Kontexte, in denen sie vorrangig einen funktionalen Anspruch auf sich ruhen spürt, ob der nun von sich selbst oder von anderen ausgeht. „[S]obald ich dieses Lebensumfeld wechsele, bin ich extrem hart. Dann gelten diese psychologischen Regeln nicht, dann bin ich sehr streng, dann habe ich hohe Anforderungen, bin überhaupt nicht mitleidend, mitschwingend, [...] dann könnte ich die Personen, mit denen ich arbeiten muss, ziemlich ausblenden und sehe das sozusagen ganz funktional. Also zack zack zack müssen wir das jetzt machen, und dann, so machen wir das jetzt.“
Bezüglich des Gewichtes des Menschenverständnisses einer psychologischen Theorie auf die Tätigkeit ihrer Repräsentanten geht sie eher von einer höchst indirekten Einflussnahme aus, wenn nicht gar von einem zufälligen Zusammenhang. „Ich glaube einfach nicht, dass diese Psychologen, die ich jetzt kenne, wirklich ein so dezidiertes, also die haben ein anderes, ein unbewusstes Menschenbild, das ist eigentlich das Problem. Ich glaube, wenn die nämlich hingingen und sich wirklich mal ein Kopf darüber machen würden, was sie eigentlich von Menschen denken, dann würden sie sehr profitieren für ihre Arbeit.“
Am ehesten noch würde das Menschenverständnis einer psychologischen Theorie dann Auswirkungen mittels des Verhaltens seiner Repräsentanten haben, wenn die Theorien solche Menschen anzögen, die, bewusst oder nicht, höchst ähnliche Grundgedanken hegten und sich auf dieser Grundlage entsprechend des Menschenverständnis der Theorie verhielten. „Also ich glaube nicht, dass die einzelnen Psychologen sich an dem Menschenbild ihrer Richtung orientieren, sondern jeder hat sein eigenes, ganz unabhängig von der psychologischen Theorie, der man sich verpflichtet fühlt.“ Als Beispiel nennt sie die Gesprächstherapeuten, die sie kennen gelernt hat. „ [Da] korrespondiert das [Menschenverständnis der Theorie] überhaupt nicht [mit dem Verhalten des Therapeuten].“ Sie möchte deshalb aber die Möglichkeit einer Korrespondenz nicht ausschließen. „Es gibt auch Psychologen, von denen ich wirklich dieses professionelle Menschenbild gesehen habe, das sind auch Leute, die ich eher respektiere, aber viele, da kommt mir das eher, das läuft so nebenbei, da laufen die blinden Flecke voll in den therapeutischen Kontext mit ein.“
Der Einfluss des Menschenverständnisses der Theorien ist ihrer Ansicht nach also weniger ein Ist-, als vielmehr ein Sollzustand. „In dem Moment, wo er mit Menschen arbeitet, müsste er eigentlich sein Menschenbild bewusst haben“ Es sollte demnach die Pflicht eines jeden Psychologen sein, sich sein Menschenverständnis und das seiner vertretenen Theorien bewusst zu machen. Es müsste geradezu aktiv in den Umgang integriert und darüber hinaus auch das Menschenbild des jeweiligen Klienten mitberücksichtigt werden. „[W]enn das der richtige Therapeut ist, der das auch richtig macht, dass das Menschenbild des Klienten selber dann nicht unbedingt…. Der Therapeut könnte sagen, ich sehe das Menschenbild des anderen genau, ich muss nicht über meines hinausgehen, ich sehe nur das andere, und jetzt werde ich ihm einige, also vielleicht wird er nicht zu mir in Therapie kommen, aber ich werde ihm einige Denkanstöße mitgeben, so dass er einfach sieht, oh ja, wenn ich das jetzt mal so sehe, dass sich das dann einfach entspannt, dass er einfach ins Nachdenken kommt. Also da sehe ich schon, dass das Handwerkszeug auch so sein muss, dass er dem anderen wieder Türen öffnen kann, wenn es zur therapeutischen Beziehung dann letztendlich nicht kommt. Okay, dass er das dann auch stehen lassen kann, okay, der andere bleibt in seinem Weg, also da kann ich ihn nicht rausziehen, dass ist auch seine Entscheidung, die Freiheit hat er einfach auch, das zu entscheiden.“
6.3.6 Vergleichende und zusammenfassende Überlegungen
6.3.6.1 Zum Menschenbild
Versuche ich nun diese fünf Menschenbilder in eins zusammenzufassen, dann scheint mir eine große Übereinstimmung darin zu liegen, dass Menschen sowohl Einzelwesen oder Einzelsysteme, als auch Teilwesen oder Systemeinheiten sind. Der Mensch befindet sich demnach in einem ständigen Spannungsfeld. Zum einen funktioniert er als Teil eines größeren Ganzen und zum anderen als Einheit vieler integrierter Teile, z.B. des Systems der verschiedenen Körperzellen mit unterschiedlichen Aufgabenbereichen.
„Ich glaube das Menschen eigene Systeme sind, die sowohl auf sich selbst reagieren, als auch auf äußere Dinge. […]Ich glaube, dass die Menschen […] wahnsinnig viel hin- und hergeschmissen werden, und gar nicht genau wissen, was mit ihnen passiert.“ (Studentin H).
„[D]er Mensch [ist] ein sehr stark reagierendes Wesen […], das[…] sehr stark auf das, was ihm widerfährt reagiert und das dann wiederum Rückwirkungen hat, worauf er dann wieder reagiert und handelt, und er daraus dann wieder neue Tatsachen schafft. […D]ass er auf das, was er anfängt zu erfahren, sobald er auf der Welt ist, darauf reagiert und dann eigene Strategien entwickelt“ (Studentin Y).
„Der Mensch hat mehrere Dimensionen. Er ist sowohl Organismus, d.h. […] hat einen inneren Bauplan, den er erfüllt, […] weiterhin ist der Mensch auch Teil eines größeren Ganzen, das zur Summe etwas Neues hervorbringt, was nicht allein in der Macht der Einzelnen steht, aber an der Verursachung er Anteil hat, wie auch an den Auswirkungen, da dieses Ganze Rückwirkungen auf den Einzelnen hat. Menschen haben einen Rahmen, in dem sie sich bewegen können, wobei weder der Rahmen, noch der Einzelne starr an sich ist, sondern ein fließendes Selbst einem fließenden Ganzen gegenüber steht“ (Student R).
„Der Mensch will möglichst frei sein und glaubt er wäre der Herrscher der Welt und könnte sein Leben vollkommen selbst bestimmen, hat aber gleichzeitig das Bedürfnis nach Rückgebundenheit und ist das immer auch. Damit muss man dann klarkommen und muss das in ein Gleichgewicht bringen. Eingespannt zwischen den Dimensionen Autonomie und Verbundenheit.“ (Studentin E).
„So ganz nackt sehe ich das Individuum nicht, also es ist schon immer etwas da, eine Gesellschaft da, in die man hineinkommt. Er ist in erster Linie doch erstmal ein Teilwesen. […] Aber diese Möglichkeit auch Einzelner zu sein, die gibt es immer, ich glaub, dass es da auch eine gewisse Unabhängigkeit von Kultur auch gibt, und es zeigt sich ja auch, dass Menschen eine sekundäre Sozialisation machen können […]. Also es ist beeinflussbar und es sicher auch zu einem gewissen Grad wählbar. Aber es ist unglaublich mächtig.“ (Studentin T).
Grundlegend scheinen auch alle fünf Psychologiestudenten davon auszugehen, dass der Mensch sowohl determiniert, als auch frei ist. Demnach bewegt sich der Mensch in einem ständigen Spannungsfeld von unbeeinflussbaren und beeinflussbaren Gegebenheiten.
„Ich glaube, dass bestimmte Dinge vorher schon gegeben sind, bestimmte Strukturen, aber ich glaube dennoch, dass die Menschen relativ frei sein könnten, wenn sie es denn wollten.“ (Studentin H).
„[Der Mensch ist] bestimmt von biologischen, genetischen, dass sie dadurch geprägt sind, und auch durch die Umwelt, die Kultur. [… A]lle Menschen auf der Welt haben […] Grundgefühle, wie Angst, Freude, Trauer […].Ich glaube nicht, dass er grundsätzlich determiniert ist, aber dass wir in vielen Dingen viel determinierter sind, als wir das vielleicht mal gedacht haben. [… D]ennoch denke ich, dass man sich schon verändern kann oder dass sich die Persönlichkeit schon auch verändern kann, auch wenn nur zum Teil.“ (Studentin Y).
„Der Mensch […] hat einen inneren Bauplan, den er erfüllt, zu deren Ziel er hinstrebt, sowohl in einer determinierten Weise, es sich ausgestaltet entsprechend seinen Genen, als auch frei im Sinne das diese Gene Dispositionen sind, die sich nicht ausgestalten müssen, sondern dem Einzelnen einen gewissen Spielraum an Freiheit darüber zu bestimmen lassen. Diese Freiheit hängt wiederum von den Kontexten ab, in denen der Mensch steht. Der Mensch hat also grundsätzlich ein Mindestmaß an Freiheit, nur kann der Mensch je nach Umständen freier oder weniger frei agieren, je nachdem, was ihm genetisch, als auch umweltsozialisiert bedingt mitgegeben wird.“ (Student R).
„Natürlich hast du Beschränkungen durch die Möglichkeiten, die dir gegeben sind, wo du lebst, aber du hast immer die Möglichkeit zu entscheiden, wie du reagierst.“ (Studentin E).
„Also ich denke schon natürlich dass ganz viele deterministische Anteile mit drin sind, aber die Kombination, die dann nachher alle zusammengewürfelt sind, plus das Temperament, plus, also dass da einfach so ein Quäntchen Freiheit übrig bleibt. Wir sind natürlich alle auch wahnsinnig festgelegt und wir haben auch nicht etwas, was irgendwo von außen in uns reingeflogen kommt, aber ich denke die Komplexität dessen, was wir im Kopf haben, ermöglicht uns ein Quäntchen Freiheit, wie wir diese hunderttausend Sachen erzielen können, an gesellschaftliche Einflüsse, wie sich das nachher ausprägt“ (Studentin T).
Zugespitzt kann man ihre gemeinsame Position so beschreiben: Die von jedem Menschen unbeeinflussbaren Komponenten sind seine genetisch bedingten organischen Voraussetzungen. Kaum beeinflussen kann er die äußeren Einwirkungen der Natur, der Kultur und des sozialen Umfeldes. Seine Freiheit oder Einflussnahme bezüglich dieser Komponenten besteht allein darin, dass ihm die Möglichkeit gegeben ist, sozusagen an den Reglern zu sitzen, um die Stärke der jeweiligen Einflüsse mit zu arrangieren. Denn er ist von seiner Ausstattung her kaum in der Lage, alle auf ihn einströmenden Beeinflussungen und alle genetischen Dispositionen in vollem Umfang gleichzeitig auszuprägen.
In diese erstgenannten Ebenen lässt sich meiner Ansicht nach auch der Bereich des Bindungsverhaltens der Menschen einordnen. Der ist zwar nur von einer Befragten als wesensmäßig benannt worden, es finden sich aber keine Passagen in den Überlegungen der anderen, die dieser Ansicht grundlegend widersprechen. Nach Studentin E bewegt sich also das Bindungsverhalten des Menschen im Spannungsfeld des Begehrens nach Anbindung und der Regung zur Autonomie. Man könnte das auch zum Einen mit Kontaktbedürfnis, beschützt werden, Anteilnehmen, Anerkennung bekommen, Teil von etwas sein wollen, etc. umschreiben und zum Anderen unbeeinflusst, frei sein, etwas allein können, allein zurecht kommen, herausstechen, besser sein oder einen Wert an sich selbst haben wollen, etc..
„Der Mensch ist ein nach Autonomie und Verbundenheit strebendes Wesen. […] Der Mensch will möglichst frei sein […], hat aber gleichzeitig das Bedürfnis nach Rückgebundenheit […]. Damit muss man dann klarkommen und muss das in ein Gleichgewicht bringen.“ (Studentin E).
Dieser Aspekt lässt sich meines Erachtens als Ergänzung des Spannungsfeldes der Determiniertheit und Freiheit des Menschen sehen. Denn es ist Eines aus einer objektiven, also äußeren Perspektive zu sagen, der Mensch ist frei und determiniert. Was anderes ist es, den Menschen aus subjektiver, also innerer Perspektive das Bedürfnis nach Freiheit und Bindung äußern zu hören. Der Unterschied, der darin liegt, lässt sich vielleicht mittels des Beispiels der Sterblichkeit veranschaulichen. Da ist es eine objektive Tatsache, dass der Mensch sterblich ist. Deswegen hegt der Mensch aber nicht zeitgleich auch das Bedürfnis sterben zu können. Der erstere Fall betrifft den Menschen in seiner Gesamtheit und ist vom Einzelnen unbeeinflussbar, der zweite Fall betrifft den jeweils Einzelnen und unterliegt zum Teil seinem Einfluss oder ist zumindest wandelbar und wechselhaft. Im gleichen Sinne kann das Bedürfnis der einzelnen Menschen nach Teilhabe und Autonomie als Ergänzung zum objektiven Spannungsfeld des Teil- und Einheit-Seins des Menschen gelten.
Neben diesen gegenläufigen Tendenzen, denen der Mensch nach Ansicht der Befragten ausgesetzt ist, lassen die Überlegungen weiterhin auf die Befähigung des Menschen schließen, sich abhängig von der jeweiligen situationsbedingten Einsicht in das eigene Funktionieren (die eigenen inneren Mechanismen) selbst steuern zu können. D.h. der Mensch wird in einem jeweiligen Kontext je freier und erhält damit mehr Möglichkeiten zur Einflussnahme, desto eingehender er sich mit den spezifischen und situationsbedingten Wirkmechanismen auseinandergesetzt hat.
„Ich glaube, dass wenn man sich genauer betrachten könnte, dass man herausfinden würde, dass es da viele Regelmäßigkeiten wie Mechanismen gäbe. […] Einfach dadurch dass sie zu viele Dinge ausblenden oder für nicht wichtig oder für zu kompliziert halten, um sich damit auseinander zu setzen, häufig in so einem Fahrwasser sind und sich überhaupt nicht, obwohl sie es zum Teil könnten, wirklich steuern. […] Ich weiß nicht, wo es anfängt, aber ich glaub, dass der Mensch vielmehr Möglichkeiten hat, als er nutzt.“ (Studentin H).
„[I]ch meine, jeder kann darüber nachdenken oder kann herausfinden, warum was wie ist, zumindest kann er sich auf den Weg machen, und das erwarte ich auch“ (Studentin Y).
„Der Mensch hat also grundsätzlich ein Mindestmaß an Freiheit, nur kann der Mensch je nach Umständen freier oder weniger frei agieren […]. Also ist der Mensch an sich eine Ausgestaltungsform von unendlicher Möglichkeit.“ (Student R).
„Ich glaube natürlich schon, dass es auch Menschen gibt, die etwas mehr Freiheitsgrade haben, als andere. Aber […] ich glaube, es ist falsch zu denken, nur weil man anders ist, dass der Mensch weniger oder schlechter ist, ich würde da keine Wertigkeit sehen, sondern ich habe ein anderes Handwerkszeug. Ich habe andere blinde Flecken“ (Studentin T).
Diese Befähigung nutzt der Mensch nach Ansicht zweier Befragten aber entweder kaum oder eher in destruktivem Sinne. Die anderen Befragten enthalten sich hierzu eines wertenden Kommentars.
„[I]ch glaube dennoch, dass die Menschen relativ frei sein könnten, wenn sie es denn wollten. Vielleicht können sie es nicht, weil sie es nicht wollen. Ich weiß nicht, wo es anfängt, aber ich glaub, dass der Mensch vielmehr Möglichkeiten hat, als er nutzt.“ (Studentin H).
„Was seine Stellung im Universum oder in der Schöpfung betrifft, ist der Mensch aber eher eine Fehlgeburt, eine ungewöhnliche, aber nur eine Möglichkeit unter vielen, und wird sich wahrscheinlich bald selbst auslöschen. Wir stehen uns doch ziemlich selbst im Weg. [… A]ber jetzt nicht nur, ich mir selber, sondern wir uns alle irgendwie. Im Grunde genommen geht es darum, also wir kriegen diese Chance, woher auch immer ja, […] und wir haben eigentlich nur die Aufgabe es uns gut gehen zu lassen, und denen um uns herum. Und wenn wir das wirklich einfach betreiben, dann kann eigentlich auch nichts schief gehen. In dem Moment, wo er halt einsieht, dass es für alle das Beste ist, für jeden etwas Gutes zu machen, weil vielleicht jeder davon profitiert, kann es auch recht gut funktionieren.“ (Studentin T).
6.3.6.2 Zu den Auswirkungen bei den Befragten selbst
Das jeweils eigene Menschenbild wirkt sich bei drei von fünf Befragten auf die Erwartungen gegenüber anderen Menschen aus. In erster Linie und zunächst meist instinktiv wird im Umgang mit anderen deren freier Wille angenommen und insofern auf sie reagiert. Mit gewissem Abstand und eher reflexiv wird dann die Bedingtheit durch biologische und soziale Einflüsse und Gegebenheiten im Umgang mitberücksichtigt.
Die deutlichste auf den freien Willen fokussierte Erwartung zeigt Studentin H. „Die Menschen sind selbstverantwortlich für die meisten Dinge und deshalb erwarte ich eine Konsequenz, die selten gegeben ist. [… W]enn man sagt, ich hab mich aus dem und dem Gründen für das entschieden, dann ist meine Forderung, du musst dich in allen anderen Lebensbereichen, die von der Struktur her genauso sind, auch so entscheiden.“ (Studentin H). Hierin steht sie in der Tradition der Aufklärung, die gemäß dem Aufsatz von Kant 1784 in der Berlinischen Monatszeitschrift, den Menschen aufruft, sich seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit zu entledigen. „AUFKLÄRUNG ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Mutes liegt, sich seiner ohne Leitung eines andern zu bedienen. Sapere aude ! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung.“ (Kant 1784, S.481) [34] .
Grundsätzlich dieselbe Erwartung, wenn auch abgemilderter oder mit dem bewussten Versuch größere Rücksicht bezüglich der Bedingtheit des Menschen zu üben, äußern Studentin Y und Studentin E. „Ich werte schon, aber versuche dann nicht beim Bewerten zu bleiben, sondern dann nach möglichen Gründen zu suchen. Dennoch denke ich, man kann sich irgendwann aber mal entscheiden, […] der Mensch ist vielleicht geprägt, […] ist zwar ein reaktives Wesen, aber man kann sich auch entscheiden, was man gerne möchte […], jeder kann darüber nachdenken oder kann herausfinden, warum was wie ist, zumindest kann er sich auf den Weg machen, und das erwarte ich auch“ (Studentin Y).
„Mein erster Impuls ist es zu sagen, du hast einen freien Willen, also entscheide dich so und so. Aber ich versuche diesen Begrenztheitsaspekt immer zu sehen. Ich glaube mein Handeln ist immer davon geleitet, dass ich primär davon ausgehe, der Mensch ist ein autonomes Wesen und so begegnet er mir auf gleicher Ebene als frei handelndes Wesen. [… D]ann versuche ich wieder die Begrenztheit, diese Dimension mit einzubauen, also ihm die Haltung entgegenzubringen, die Begrenzung ist nun mal da, dafür kann der andere nichts. Das ist für mich ein ständiger arbeitsreicher energieintensiver Prozess.“ (Studentin E).
Die letzten zwei Befragten, Student R und Studentin T, sehen die Auswirkungen ihres Menschenbildes ebenfalls in ihren Erwartungen. Doch richten die sich ihren Aussagen zufolge zunächst einmal auf die Erwartungen an sich selbst. D.h. sie lassen ihr Verständnis, dass der Mensch frei und determiniert zugleich sei, auf ihr Bild von sich selbst wirken. Und entsprechend den Ansprüchen an sich selbst betonten sie dann die Selbstverantwortung jedes Einzelnen. Dies drückt sich dann im Sinne einer größeren Nachsicht, wie die mit sich selbst, mehr als ein Recht aus, mithin auch so sein zu sollen und zu dürfen, wie der Einzelne nun mal sei. „Ich denke, dass […] ich mich durch mein Bild vom Menschsein damit angefreundet habe, dass ich mich anderen Menschen gegenüber vielfältig verhalten kann, dass ich diese Vielfältigkeit, auch dieses Schwanken oder dieses sich Verändern in meinem Verhalten durchaus mit Selbstbewusstsein und ohne Scham vertrete, dass ich ohne Selbstzweifel einfach der bin, wer ich in jedem Augenblick auch immer sein mag, und das auch vertrete, dass ich so bin, […] und in ähnlich hohem Maße akzeptiere ich auch oder gehe damit um, dass andere Menschen ebenfalls sich jeweils unterschiedlich verhalten, also es keine starre Art gibt, wie sie sind, sondern mal so und mal so, […] dass ich offen bin für Erklärungen, warum jemand so ist, wie er ist und mich auch offen damit auseinander setze […]. Zusammenfassend resultiert aus diesem Menschenbild eine gewisse Offenheit, gewisse Neugierde anderen Menschen gegenüber.“ (Student R).
„[D]ieses Mitschwingen, Mitfühlen, Handreichen, zu versuchen in ne Gleichschwingung zu kommen, dass man die Person ein Stück weit auch tragen, ziehen und mitnehmen können, ich denke, dass mir das in bestimmten Phasen auch eher gelingt, [...] wenn ich mit Freunden spreche, wenn ich im Kinderheim arbeite […] wenn ich dann im Privaten bin, sind die Menschen total präsent, und alles andere verschwindet dahinter, dann sind sie auch ganz wichtig, und ich denke, da arbeite ich dann sehr intuitiv […], ich glaube, ich habe nicht das Recht ihm die moralische Verantwortung zuzuschreiben, sondern meine Aufgabe ist es sozusagen, die Techniken auch zu kennen und ihm einen Weg aufzumachen, dann letztendlich, ob er den dann ergreift oder nicht, liegt dann in seiner Verantwortung. Ich glaube nicht, dass wir per se eine Pflicht zur Entwicklung haben, also zur Selbstentwicklung, […] es ist nicht ihre Pflicht, dass anzunehmen. [… W]as ich wirklich ein bisschen mehr gelernt hab ist, dass wirklich jeder die Freiheit hat, sich selbst zu entscheiden, […] ich denke das war für mich ganz wichtig, dieser Schritt, wirklich den anderen auch so zu lassen, wie er ist,[…] jedem das Recht zuzugestehen, das find ich ganz wichtig.“ (Studentin T).
Man könnte hier in Anlehnung an Kant schlussfolgern, dass die letzteren zwei Befragten von der Unmündigkeit des Menschen, mithin von der Epoche der Moderne, Abstand nehmen. „Kant wird nie müde hervorzuheben, dass seine eigene Zeit – die Moderne – keine aufgeklärte ist, sondern eine der Aufklärung; […] eine Übergangsperiode“ (Heller 1995, S.146). Sie gehen mehr von der Mündigkeit des Menschen aus, in die hineinzureden der jeweils andere weniger ein Recht hat, als vielmehr die Aufgabe sie respektvoll zu verstehen oder nachzuvollziehen.
6.3.6.3 Zu den Auswirkungen auf Psychologen allgemein
Lassen sich die Auswirkungen des Menschenbildes auf Erwartungen und den Umgang mit Menschen aber generalisieren? Kann also eine psychologische Theorie, und insofern auch ihr innewohnendes Menschenverständnis, über ihre menschlichen Vertreter mittelbare Auswirkungen auf andere Menschen haben?
Hierzu kristallisieren sich zwei gegensätzliche Positionen unter den befragten Psychologiestudenten heraus, die sich meiner Ansicht nach aber nur in einem Punkt unterscheiden. In der bejahenden Position wird der Einfluss des Menschenbildes eines jeweiligen Repräsentanten auf seinen Umgang betont. In der verneinenden Position dagegen wird der Einfluss des Menschenverständnisses der Theorie auf das Menschenbild seiner Repräsentanten bezweifelt. Es ist also die Vermittlerrolle des Repräsentanten, die so von dem Verneiner nicht gesehen wird. „Ich glaube einfach nicht, dass diese Psychologen, die ich jetzt kenne, wirklich ein so dezidiertes, also die haben ein anderes, ein unbewusstes Menschenbild, das ist eigentlich das Problem. […] Also ich glaube nicht, dass die einzelnen Psychologen sich an dem Menschenbild ihrer Richtung orientieren, sondern jeder hat sein eigenes, ganz unabhängig von der psychologischen Theorie, der man sich verpflichtet fühlt. [… Aus meiner Erfahrung heraus] korrespondiert das [Menschenverständnis der Theorie] überhaupt nicht [mit dem Verhalten der Therapeuten].“ (Studentin T).
Es ist demnach nicht der Einfluss auf den Umgang mit Menschen, den die Menschenbilder ausüben, dem widersprochen wird. Diesen haben alle fünf Befragten grundsätzlich bejaht. „Die haben natürlich enorme Auswirkungen. Weil das ja nicht nur umfasst, wie derjenige auf andere Personen zugeht, sondern natürlich auch, wie diejenigen dann wieder darauf reagieren. Das ist ja der Wahnsinn, was das für Auswirkungen hat. Das ist eben die Herausforderung, weil man mit den verschiedenen Menschenbildern aufeinander trifft und jeder hat andere Ideen, Forderungen oder Erwartungen, und man muss sich doch irgendwie zusammenfinden. Wenn ich beispielsweise Psychotherapie mache, dann gehe ich mit meinem Menschenbild völlig anders daran, als wahrscheinlich jemand, der Psychoanalytiker oder Verhaltenstherapeut ist. […] Durch das Menschenbild begrenzt man sich ja auch, weil, indem man ein Menschenbild hat, gibt man sich Struktur, das ist ein und dasselbe“ (Studentin H).
„Das wirkt sich schon aus. Wenn ich mal von dem Tiefenpsychologischen ausgehe, […] wenn man sagt, jemand ist in der Abwehr, und dass ist alles unbewusst, dann entmündigt man den Menschen […], dann darf man eigentlich nur Verständnis haben […]. Man meint, man erkennt einen unbewussten Prozess, den der andere nicht sieht […. D]ieses Menschenbild [… der] Lerntheorien […] guckt in bestimmte Bereiche nicht, schaut nicht genauer hin, und ich finde, dass ist für die Menschen an sich nicht so gut. […] Und bei den Systemikern, das Konstruktivistische, finde ich positiv dass das alles ein System ist und alles miteinander zusammenhängt. Was ich aber schwierig finde, zum Teil ist dieses grundsätzlich systemische, dass ich nur einmal richtig schütteln brauch und dann ordnet sich das schon irgendwie und wie sich das dann ordnet, ist dann gut. Da lässt man die Leute zu allein. [… S]ind die Menschen nicht viel komplexer, als dass sie durch so einen Handstreich so radikal verändert werden könnten? Es kann sich ja auf eine neue Art und Weise ordnen, aber die bringt ja vielleicht auch Probleme mit sich.“ (Studentin Y).
„Ich glaube, dass die Menschenbilder ein ganz wesentlicher Faktor sind und mit das Verhalten von Menschen, anderen Menschen gegenüber ausmacht. Einfach weil es einen wesentlichen Faktor im Erleben der anderen Menschen bedeutet, ich begegne Menschen mit einer Erwartung entsprechend meines Menschenbildes […]. Deswegen denke ich, dass den Menschenbildern eine ganz bedeutende, ganz bedeutsame Rolle zufällt, da sie das Fundament all dessen, was darauf aufgebaut wird, bilden“ (Student R).
„Im Allgemeinen glaube ich, dass das Menschenbild, das du hast, dein Handeln ganz massiv leitet. Ich würd sagen zu 80 %, es bleibt noch ein Rest von 20 % übrig, was du an Unvorhergesehenem hast, wo du plötzlich so Aha-Erlebnisse haben kannst. Aber ich glaub zu 80 % determiniert dein Welt- und Menschenbild deinen Umgang mit anderen Menschen. Da kann man schauen, wer hat hier welches Menschenbild und warum handelt er so und so.“ (Studentin E).
„Aber es gibt auch Psychologen, von denen ich wirklich dieses professionelle Menschenbild gesehen habe, das sind auch Leute, die ich eher respektiere“ (Studentin T).
Allen fünf Positionen ist die Herausstellung der zentralen Bedeutung des Menschenverständnisses gemeinsam. Zudem wird die Wichtigkeit sich in der Arbeit mit Menschen seines Menschenbildes bewusst zu sein betont. „[I]ch begegne Menschen […] und unterteile sie in solche, die diesen Erwartungen entsprechen und solchen, die diesen Erwartungen nicht entsprechen. […] In der Hinsicht denke ich, versuchen die verschiedenen psychologischen Richtungen Menschen in Schemata zu passen, nicht so zu sehen, wie sie sind, sondern zu dem zu machen, oder dem Bild vom Menschen anzupassen, dem die Tendenz inne wohnt oder die Implikationen im Verhalten innewohnt, die Menschen zu reduzieren, zu verkleinern und dementsprechend auf sein wahres Selbst nicht adäquat einzugehen […]. Die psychologischen Richtungen mit ihren reduzierten oder begrenzten Menschenbildern entsprechen in gewissem Sinne dem Gleichnis des auf Sand gebauten Hauses, was letztendlich am Ende in sich zusammenfallen muss.“ (Student R).
„Wenn Du ein sehr reflexives Menschenbild hast, gesteht dir dein Menschenbild an und für sich zu relativ unvoreingenommen auf die Leute zuzugehen und dieses Spannungsfeld zu sehen, in welchen Bezügen er steht […], die Dimension Offenheit wird durch die Reflexivität deines Menschenbildes erhöht. […] Wenn Du aber ein Menschenbild hast, das sehr stark in die Richtung geht, der Mensch ist absolut autonom, Umwelteinflüsse spielen fast keine Rolle, der Mensch tritt mir hier aus freiem Willen entgegen, verkleinert sich der Spielraum dessen, was man dem anderen zugesteht, wie er zu sein hat. Dadurch hast du ganz schnell die Leute in eine Kategorie geschaufelt. Dann müsstest du dem Bettler sagen, du hättest Millionär werden können, du hast keine Entschuldigung dafür, dass du auf der Straße sitzt. Wenn du aber gewisse Begrenztheiten siehst, z.B. mit Elternhaus, kannst du sagen, okay, die Chance, dass du Millionär wirst, ist relativ gesehen viel geringer als die von einem aus einem guten Elternhaus, du hast vielleicht die Möglichkeit, aber die Wahrscheinlichkeit ist nicht sehr groß.“ (Studentin E).
„Ich glaube, wenn die nämlich hingingen, und sich wirklich mal ein Kopf darüber machen würden, was sie eigentlich von Menschen denken, dann würden sie sehr profitieren für ihre Arbeit.“ (Studentin T).
6.3.6.4 Offene Fragen
In einer zusammenfügenden Gesamtschau, wie auch der meinen, bleibt es kaum aus, dass neben den ausgeführten integrierfähigen Aspekten, auch Aspekte unausgeführt bleiben, die nicht so offensichtlich zusammengehen.
Wie verhält es sich z.B. mit der moralischen Verantwortung des Menschen? Wie lässt sie sich im Spannungsfeld von der Freiheit des Menschen und seiner Begrenzung verstehen? Kann der Mensch nun für seine Taten verantwortlich gemacht werden oder nicht? Inwieweit darf der Therapeut noch für die Taten seiner Klienten Verständnis haben und ab welchem Punkt sollte er sich abgrenzen?
Oder wie ist es mit der Religiosität des Menschen bestellt, gibt es einen Gott, auf den der Mensch immer bezogen bleibt oder ist der Mensch auf sich allein gestellt? Und welche Folgen hat das für den Menschen, wie wirkt es sich auf sein Wesen aus und inwieweit sollte dieses Thema im Rahmen einer Therapie eine Rolle spielen?
Oder um die unterschiedlichen Weltbilder aufzugreifen: Ist der Mensch nun Mittelpunkt oder nur ein Teil unter vielen der Schöpfung? Welchen Unterschied würde das machen? Müssten wir dann alle Tiere und Pflanzen ehren, ebenso wie die Hinduisten ihre Rinder?
Liegt dem Menschen eine Möglichkeit zur selbst verwirklichenden Entwicklung zu Grunde oder bleibt ihm nur das lebenslange Kreisen in der ewigen Wiederkehr des Immergleichen? Gibt es, wie von den humanistischen Psychologen proklamiert, Grund zur Hoffnung, oder ist nicht vielmehr freudscher Pessimismus angesagt?
Über diese und unendlich viel weitere Aspekte des Menschen lässt sich trefflich streiten und wird auch gestritten. Ebenso wie das über in erster Linie organisatorische und in zweiter Linie politische Fragen wie der Verteilung von Forschungsgeldern, Besetzungen von Lehrstühlen, Zusammensetzungen von Lehrmaterialien usw. geschieht.
Wenn man also den Bedürfnissen der hier vorgestellten Psychologiestudenten nachkommen möchte, wie ließe sich das realisieren? Wie kann man die Streitpunkte unter einen die unterschiedlichen Standpunkte miteinander verbindenden Hut und in ein einheitliches Konzept der Psychologie bringen?
Dazu werde ich in der abschließenden Diskussion und dem dann folgenden Ausblick noch einige Überlegungen skizzieren.
7 Diskussion
Wovon also gehen Menschen aus, bevor sie den Pfad der Erklärungssuche für das menschliche Erleben und Verhalten beschreiten? Da hat sich ein Bezug zu mehreren Faktoren gezeigt, wie in den Porträts des 5. Kapitels zu sehen war. Es gibt einmal die Abhängigkeit von den Vorstellungen, die sich den angehenden Studenten dieser Wissenschaft, beispielsweise über Publikationen, Erfahrungen oder Berichten aus zweiter und dritter Hand, von der Psychologie bis zum Studiumsbeginn ergeben. Zum anderen kommen meist auch pragmatische persönliche Gründe zum tragen, sei es der Wunsch des Erwerbs einer Qualifikation, um nachher einer bestimmten Tätigkeit nachgehen zu können, sei es die Hoffnung Werkzeuge an die Hand zu bekommen, um adäquater mit Menschen umgehen zu lernen oder die generelle Neugierde mehr über Menschen zu erfahren, sowie das spezifische Interesse, einen bestimmten Menschen besser zu verstehen.
Da es unterschiedliche Voraussetzungen sind, die künftige Psychologen dazu anregen, diese Profession zu wählen, was ist ihre gemeinsame Grundlage oder wie könnte und sollte diese aussehen? Was liegt dann dem Erleben und Verhalten der Psychologen, die diese Profession schließlich ausüben, zu Grunde? Es sind nicht so sehr trennende Prämissen oder Ansprüche, die ich in den verschiedenen Psychologien in Kapitel 3 gefunden habe, als vielmehr jeweilige Einschränkungen auf bestimmte Aspekte. Die Grundlage, auf der die psychologische Arbeit aller Richtungen mehr oder weniger aufbaut oder mal hatte aufbauen wollen, lässt sich wie folgt verallgemeinern:
- Den Absichten sowohl der aspektfokussierten, als auch der ganzheitlichen Psychologen ist es am dienlichsten, die Ergründung des eigenen Menschenbildes der Forschung und der Arbeit mit Menschen voranzustellen. Die Klärung der eigenen Vorstellungen erleichtert die Einnahme einer zwecks Intersubjektivität von sich selbst distanzierende Metaperspektive.
- In der Hinwendung auf das Untersuchungsobjekt liegt dem Erleben und Verhalten der Psychologen die Beschränktheit der eigenen Wahrnehmung zu Grunde. D.h. ob ein Psychologe sich entscheidet, einzelne Aspekte des Menschen oder den Menschen als Zusammenspiel dieser Aspekte zu betrachten, so handelt es sich jeweils sowohl um ein Herausgreifen eines bestimmten Bereichs des Menschen, als auch um ein Weglassen eines anderen. Demnach ist es förderlich, in der Forschung und in der Arbeit mit Menschen jederzeit die begrenzte Anwendbarkeit der jeweiligen Erkenntnisse bewusst zu halten.
- Daraus ergibt sich, dass zu jedem herausgehobenen Aspekt oder Bereich komplementäre Aspekte oder Bereiche existieren, die ein Verstehen der jeweiligen Sachverhalte vertiefen helfen. Insofern erfordern z.B. grundlegende Funktionsmechanismen bei Lebewesen zum Verständnis des Menschen auch die Beachtung der allein menschlichen Fähigkeiten. Und ebenso braucht der Blick auf die rein menschlichen Eigenschaften die Ergänzung durch die allen Lebewesen zugrunde liegenden Mechanismen. Der Kreis zum Verständnis eines Sachverhaltes schließt sich in der psychologischen Betrachtung also erst im Verstehen auch der komplementären Komponenten. Als Beispiel sei hier auch die Dynamik des Menschen angeführt, die jeweils, wie von Eva Jaeggi (1995) beschrieben in kausaler, intentionaler und sinnverstehender Weise betrachtet werden könne, die aber erst in der Gesamtschau der Betrachtungen eine Erklärung ihrer verschiedenen Ausformungen liefert.
Die einzelnen Psychologen und die von ihnen vertretenen Richtungen werden diesen Grundsätzen nicht immer gerecht, zumal diese als Kodex nicht wirklich schriftlich fixiert sind. Das zeigt sich in den Ernüchterungsbekundungen der befragten Psychologiestudenten. In ihren, im Laufe ihres Studiums von der Psychologie als Wissenschaft und in der Praxis, gewonnenen Eindrücken, wie in Kapitel 6.2 gezeigt, erlebten die Studenten die Psychologie als sehr heterogen und in sich getrennt.
Ihre aus enttäuschten Erwartungen resultierenden Anliegen an die Psychologie zeigt aber zudem ihre Nähe zu den oben formulierten Grundsätzen. Die Schlussfolgerung aus den Überlegungen der befragten Studenten in Kapitel 6.3 zeigt die Zustimmung zum ersten der oben formulierten Grundsätze. Das wird deutlich in ihrer Annahme, dass sich das Menschenbild der einzelnen Richtungen zumindest dann auf die Forschung und die Arbeit mit Menschen der einzelnen Psychologen auswirke, wenn diese sich mit ihrem eigenen Verständnis auseinandersetzen. Das geschilderte Bewusstsein der Begrenztheit einzelner Wahrnehmungen und ihre Angewiesenheit auf Komplementarität lassen ihr Wunsch nach mehr Einheit und Bezug der psychologischen Richtungen aufeinander, sowie ihr Vorsatz sich nicht auf eine Richtung, eine Theorie oder eine Lehre beschränken lassen, als vielmehr die verschiedenen Ströme der Psychologie als einen Pool komplementärer Versatzstücke benutzen zu wollen, durchblicken. Ebenso weist ihre Betonung der Bedeutsamkeit, in der Erforschung des Menschen dessen Referenzrahmen im Blick zu behalten, in diese Richtung, oder dass die praktische Anwendung und ihre Rückwirkungen auf die Theorien, einen wesentlichen Teil der Psychologie ausmachen sollten.
Bleibt nun die Andeutung zu klären, ob wir in der Psychologie im Raum der abendländisch-westlichen Welt tatsächlich vor einem grundlegenden Paradigmenwechsel stehen? Sie kam einmal in der Darlegung des anthropozentrischen und holistischen Weltbildes in Kapitel 3.1.1.2 vor und zum anderen zum Ende des Vergleichs der Auswirkungen des jeweils eigenen Menschenbildes in Kapitel 6.3.6.2.
Es geht also um die Frage, ob ein Wandel stattfinden wird:
- einmal im Erleben einer Subjekt-Objekt Spaltung der Menschen und ihrer äußeren Einflüsse zum Erleben einer Subjekt-Objekt Einheit,
- zum anderen vom Umgang mit den Menschen als solche, denen Mündigkeit unterlegt wird, zum Umgang mit dem Menschen als jemandem, dem seine Mündigkeit zugestanden wird.
Die Möglichkeit eines solchen Wandels werde ich mittels einer, in der Einleitung angekündigten, integrativen Überbrückung von Gegensätzen in den psychologischen Schulen durch die Suche nach einer gemeinsamen Basis veranschaulichen.
Hierzu stütze ich mich in den folgenden Passagen auf Sigbert Geberts Ausführungen zu Martin Heideggers philosophischer Anthropologie. [35]
Sigbert Gebert interpretiert die philosophische Anthropologie Heideggers so, dass ein dem Menschen angemessenes Menschenverständnis die Subjekt-Objekt Spaltung verneinen sollte, nach der die einzelnen Subjekte als getrennt voneinander, als auch getrennt von anderen Objekten betrachtet werden würden. Heidegger sehe den Menschen nicht als isoliert, als außerhalb stehend und nach Aufhebung der Trennung trachtend, sondern sehe ihn innerhalb, als inneren Teil der Welt, des Seins, als deren Teilnehmer. „Der Mensch ist [...] immer schon bei und mit dem Anderen.“ (Gebert 1995, S.13).
Die Gemeinschaft, deren Teil der Einzelne ist, lässt sich in Anlehnung an den sozialen Konstruktionismus als eine eigene Welt des in ständigem wechselseitigem Austausch stehenden Miteinanderagierens veranschaulichen. Es stellt wie die Neuronen im Gehirn ein kaum entflechtbares Gewirr von Verknüpfungen dar, das als Ganzes funktioniert. Doch Heideggers Theorie geht darüber hinaus und stellt die menschliche Gemeinschaft vom Anthropozentrismus abrückend in die Natur, in das Sein überhaupt, also außerhalb eines je denkbaren Dualismus. Alles steht miteinander in Verbindung und kann nicht als getrennt voneinander betrachtet werden. [36] Doch ist der Mensch deshalb nicht wie bei Kenneth Gergen nur die Summe seiner Beziehungen (Zielke 2007, S.121), sondern kann vielmehr als eine Art Holon (Wilber 2006, S.55ff.) gesehen werden, also als eine Wesenheit, die sowohl Einheit als auch Teilheit ist. Nur insofern ist es zu verstehen, dass der Mensch trotz seiner grenzenlosen Verbundenheit sich zeitgleich auch als isoliert wahrzunehmen vermag. „Zu den meisten Menschen vollzieht sich das Miteinander im Modus des Nebeneinanderhergehens, des Einander-nichts-Angehens, woraus der Schein der Notwendigkeit einer nachträglichen Überbrückung von einem Ich zu einem Anderen entsteht.“ (Gebert 1995, S.13).
Dass der Mensch sich als getrennt von den Anderen erlebt, unterliegt ähnlichen, wenn auch umgekehrten Gründen, aus denen er seine inneren Systeme, im Sinne eines Selbst, als Ganzes erlebt. Heidegger versucht das nachzuweisen, wenn er erklärt, dass der konkrete Mensch nicht als ein Was, als ein bestimmtes Wesen zu fassen ist, „[j]ede Antwort hierauf abstrahiert von den vielfältigen Möglichkeiten des wirklichen Menschen und kommt zu einem Abstraktum, das mit einer als wesentlich angesehenen „Eigenschaft“ bestückt wird“ (Gebert 1995, S.14) [37] , dass der Mensch also immer nur als Teil seiner Selbst, ja im Blicke eines oder weniger Aspekte von ihm gesehen werden kann. Dieser Umstand erklärt sich vielleicht daraus, dass die Sprache, zur Erfassung des Menschen als Ganzes, nicht hinreicht. Insofern muss auch das sprachliche Denken zu kurz greifen. Wie auch das Ganze, von dem der Mensch Teil ist, im sprachlichen Denken nicht konkret zu werden vermag. Es somit in seiner Unbestimmtheit dem Einzelnen als zu komplex erscheinen kann und also von ihm nicht gedacht wird.
Der Mensch als Holon gleicht hier vielleicht einer bestimmten Bruchzahl, z.B. 1/100, die viel kleiner und somit überschaubarer erscheinen mag als die Zahl 1 oder gar erst die Zahl 100 oder 1000000, und dennoch unterscheidet sie sich in Bezug auf die mathematische Größe ∞ (Unendlich) nicht in ihren Zählschritten von jeder anderen Zahl dorthin.
Daran mag es liegen, dass es den meisten Menschen als vorstellbar erscheint, dass der einzelne Mensch als in sich geschlossene Einheit existiere, während die Vorstellung, die ihn umgebende Umwelt existiere ebenfalls als in sich geschlossene Einheit, ihnen wegen der Abstraktheit dieser Vorstellung als abwegig vorkommt. „Alle am Menschen, dem Dasein, herausstellbaren Charaktere sind keine an ihm vorhandene Eigenschaften, sondern ihm angehörige Weisen zu sein. Der Mensch ist Möglichkeit, Seinkönnen “ (Gebert 1995, S.14f) [38] .
Der Zweiheit des Holons, Einheit und Teilheit zugleich zu sein, entsprechen die zwei Seinscharaktere des Daseins. Insofern existiert es sowohl als hervorgebracht und als hervorbringend. Hervorgebracht, im Bilde des Kindes, das von seiner Mutter geboren wird, also das Dasein, das sich in der Welt mit anderen befindend antrifft. Hervorbringend, im Bilde der Mutter, die ihr Kind gebärt, also das Dasein, das frei ist, insofern es in den Grenzen seiner Möglichkeiten selbst etwas zu erschaffen vermag. „In dieser seiner Geworfenheit muß es existieren, d.h. sich um sein Sein sorgen, und zwar indem es sich auf Möglichkeiten entwirft. Die Freiheit des Daseins liegt darin, sich als geworfener Entwurf auf Möglichkeiten entwerfen zu können.“ (Gebert 1995, S.15). Und eben diese Zweiheit des Erschafftwordenseins und des Erschaffens charakterisiert sowohl die menschliche Gemeinschaft als auch die Natur an sich.
Daher glaube ich mich mit Gebert übereinstimmend, wenn ich davon ausgehe, dass alles Beschreibbare am Menschen mögliche Aspekte seines Seins sind, ich sie mithin also notwendige, aber lange nicht hinreichende Bedingungen ansehe, um den Menschen in seinem Wesen adäquat zu beschreiben. Eine Annäherung des Menschenverständnisses an das Wesen des Menschen könnte dann beispielsweise so aussehen, dass man die Wesensprinzipien, ähnlich der heisenbergschen Unschärferelation [39] , sowohl als Einheit, als Getrenntheit und als Komplementarität existierend akzeptiere, insofern sie eben bezogen auf den jeweiligen Blickwinkel jeweils das eine oder andere sein können. Somit vermag dann der Mensch widerspruchsfrei sowohl frei, determiniert und in determinierten Grenzen frei zu sein. Diese Beschreibungen des Menschen können dann immer sowohl zutreffen als auch nicht, da sie Momentaufnahmen sind, also lediglich Aspekte des Menschen erfassen. Sie finden als eine von vielen Möglichkeiten ihren sichtbaren Ausdruck und können jederzeit anderen Möglichkeiten ihren Platz wieder räumen.
Die Möglichkeit, dass ein jeder Mensch dann nicht grundsätzlich moralisch immer voll verantwortlich ist, mag da zunächst als Erleichterung erscheinen. Sie verliert diesen entlastenden Charakter aber, sobald diese moralische Verantwortung als in ständigem Wandel begriffen wird. D.h. sie ist nicht statisch und somit planbar, gestaltet sich nicht vorhersehbar, sondern erfährt vielmehr z.B. während einer solchen Überlegung und mithin auch durch sie bereits Umformungen, durch die sie etwaigen Versuchen, sich auf sie einzustellen, immer einen Schritt voraus bleibt.
Desgleichen verhält es sich mit dem angenommenen oder verneinten Bezug des Menschen auf eine höhere Seinsform. Auch hier lässt sich denken, dass ein Sowohl-als-auch, dies besser charakterisiere, als ein Entweder-oder. Insofern ist es vorstellbar, dass wenn der Mensch in seiner holonschen Art, sowohl unabhängig von etwaigen Bezügen, z.B. auf Gott, moralisch empfinden und sinnvoll zu existieren vermag, er das gleichfalls in seiner Teilhaftigkeit in dieser Form nicht kann.
Ebenso ist die Entwicklung des Menschen sowohl eine sich selbstvollziehende, als auch von außen gelenkte, insofern auch die Natur und ihre innewohnenden Mechanismen holonsche Daseinsform besitzen, die je nach Perspektive als vollziehende oder vollzogene Gestalt auftreten.
Dieselben Prinzipien finden auch bei den anderen noch offenen Streitfragen Anwendung.
Insofern komme ich zu dem Schluss, dass die theoretische Grundlage, auf der sich ein Paradigmenwechsel vollziehen kann, bereits existiert. Ob der folgende Schritt des Vollzugs nun aber in nächster Zeit, in ferner Zukunft oder möglicherweise gar nicht erfolgen wird, bleibt angesichts der Vielfältigkeit an Ausgestaltungsmöglichkeiten des Daseins offen.
8 Pragmatischer Ausblick
Wie nun aber könnte ein auf ein solch weit gefasstes Menschenverständnis begründetes Erleben und Verhalten in der Psychologie aussehen?
Hier möchte ich sowohl auf Kants kategorischen Imperativ, als auch auf Ausführungen bezüglich der Verhaltensgrundlagen für den postmodernen Menschen zu sprechen kommen und diese schließlich in mögliche Verhaltensgrundlagen für eine postmoderne Psychologie bzw. Therapieform münden lassen.
8.1 Verhaltensgrundsätze bei Kant
In seiner Grundlegung zur Metaphysik der Sitten erschafft Immanuel Kant unter der Voraussetzung, dass der Mensch ein Mindestmaß an Möglichkeit zu einem freien Willen besitze, ein Gerüst auf deren Grundlage alle Menschen in welcher Möglichkeitsausgestaltung ihres Wesens sie auch immer sich befänden, ein Maßstab hätten, nachdem sie ihr Handeln auf Augenhöhe zu allen anderen Menschen ausrichten könnten.
Im Kern geht es Kant darum, einer moralischen Grundlage, hier zu verstehen als idealer Verhaltensmaßstab, deren absolute Verbindlichkeit zu begründen. „[D]er kategorische Imperativ [...,] das unbedingte Gebot [läßt] dem Willen kein Belieben [..., führt] mithin allein diejenige Notwendigkeit bei sich [...], welche wir zum Gesetze verlangen.“ (Kant 1999, S.41).
Als maßgeblich für dieses Gesetz, das wie folgt lautet: „ [H]andle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, daß sie ein allgemeines Gesetz werde. “ (Kant 1999, S.42) [40] , betont Kant in seiner Vorrede zur „Kritik der reinen Vernunft“ die Unterscheidung in zwei Quellen der menschlichen Erkenntnis: die sinnliche Wahrnehmung und den Verstand. Aufbauend auf dieser Unterscheidung begründet er die Möglichkeit der Koexistenz der Freiheit des Willens in der Verstandeswelt, bei ihm intelligibele Welt genannt, und des von Naturgesetzen affizierten [41] Willens in der Sinnenwelt.
Wenn der Mensch aber sowohl freien, als auch auferlegten Antrieben unterliege, wie steht es dann mit der Verursachung, wie kann der Mensch dann selbst wirkende Ursache sein, also mittels der Vernunft seinen Willen regieren, ohne letztendlich immer der Kausalität der Naturgesetze, die als bestimmende Ursache anzusehen sei, zu folgen?
Kants Beweisführung und Argumentation liegt der Gedanke zugrunde, dass im menschlichen Erkenntnisprozess die Sinnlichkeit und der Verstand aufeinander angewiesen, also nicht voneinander getrennt zu denken seien, die Erkenntnis als Wirkung sich aber nicht nach den Gegenständen als Ursache richte, sondern die Gegenstände als Wirkung der Erkenntnis folgten, deren Verursachung in der Verstandeswelt liege (Kant 1998, S. 28). Daher ist für ihn auch denkbar, dass die für die Moral unablässige Freiheit des Willens in der intelligiblen Welt „als Eigenschaft eines Wesens, dem ich Wirkungen in der Sinnenwelt zuschreibe“ (Kant 1998, S.29) existiere. Die Koexistenz des Willens bestehe demnach darin, dass in der Verstandeswelt der Wille frei sei, er daneben aber auch, als Teil der sinnlichen Welt, von dieser affiziert bleibe. Insofern spricht Kant der menschlichen Seele zu, „ihr Wille sei frei, und er sei doch zugleich der Naturnotwendigkeit unterworfen, d.i. nicht frei, ohne in einen offenen Widerspruch zu geraten“ (Kant 1998, S.28).
Wäre diese Unterscheidung nicht getroffen und somit Freiheit auch nicht denkbar, dann müsste die Freiheit und mit ihr die Moral den Naturgesetzen Platz machen. Ist sie aber getroffen, so liegt der Weg für die Unterbrechung der Kausalkette von Ursache und Wirkung für den Menschen im Bereich seiner Möglichkeiten, und er kann sich durch die Freiheit und Autonomie des Willens befähigen, sich selbst das Gesetz zu geben, mithin sich für sich selbst zur ersten Ursache zu machen.
Dieser Grundstein für eine sittliche Weltweisheit ist die Basis für die Möglichkeit eines kategorischen Imperativs, der als Imperativ der Sittlichkeit eine genötigte Handlung aus Achtung vor dem selbstgegebenen Gesetz ist, da er als objektiv-notwendig erkannt und ohne Beziehung auf einen Zweck, nur um des Gesetzes willen vollzogen wird.
Warum sich der Wille freilich nötigen solle ein Gesetz zu befolgen, das er sich zwar selbst auferlegt hat, aber der seinen durch die Sinnenwelt hervorgerufenen Bedürfnissen doch widerspreche, hierzu behilft sich Kant des synthetischen Satzes.
Nach seiner Argumentation zähle sich der Mensch in den vernünftigen Aspekten seiner Wesensart zur intelligiblen Welt. Allein als Teilhaber dieser Welt kann er selbst Verursacher seines Willens sein. „Als bloßen Gliedes der Verstandeswelt, würden also alle meine Handlungen dem Prinzip der Autonomie des reinen Willens vollkommen gemäß sein“ (Kant 1999, S.79).
Die Autonomie des Willens ist dabei die Beschaffenheit des Willens, wodurch der Wille sich selbst zum Gesetz wird. Sein Prinzip ist: Wähle so, dass die Maximen dieser Wahl im eigenen Wollen als allgemeines Gesetz mit inbegriffen sind. „[D]ie Tauglichkeit der Maxime eines jeden guten Willens, sich selbst zum allgemeinen Gesetze zu machen, ist selbst das alleinige Gesetz, das sich der Wille eines jeden vernünftigen Wesens selbst auferlegt“ (Kant 1999, S.69).
Da die intelligible Welt aber den Grund und die Gesetzte der Sinnenwelt enthalte und dem freien Willen unmittelbar gesetzgebend sei, „so werde ich mich als Intelligenz, obgleich andererseits wie ein zur Sinnenwelt gehöriges Wesen, dennoch dem Gesetze [...] der Vernunft und also der Autonomie des Willens unterworfen erkennen, folglich die Gesetze der Verstandeswelt [...] als Pflichten ansehen.“ (Kant 1999, S.80).
Insofern sei der Mensch durch den Aspekt seines Wesens, der zu freien Entscheidungen befähigt ist, Teilhaber an der allgemeingesetzgebenden Welt, „wodurch, wenn ich solches allein wäre, alle meine Handlungen der Autonomie des Willens jederzeit gemäß sein würden “ (Kant 1999, S.80) [42] . Nur dadurch ist der synthetische Satz und gleichsam der kategorische Imperativ möglich. Das heißt, das moralische Gesetz ist nur soweit Nötigung, wie der Mensch Teilhaber der Sinnenwelt ist, entspricht ansonsten aber seinem eigenen notwendigen Wollen.
Anders ausgedrückt, solange der Mensch in seiner Unmündigkeit, und als Menschheit in der Epoche der Moderne, verharre, werde er zur Befolgung des moralischen Gesetztes genötigt, was ihm in seiner Unfreiheit insofern ja entspreche. „Kant wird nie müde hervorzuheben, dass seine eigene Zeit – die Moderne – keine aufgeklärte ist, sondern eine der Aufklärung; […] eine Übergangsperiode“ (Heller 1995, S.146). Sobald er sich aber als Mündig wähle, entspreche ihm auch die Befolgung des moralischen Gesetzes, weshalb er sich frei und als Miterschaffer derselben für sie entscheide.
8.2 Verhaltensgrundsätze der Postmoderne
Während die Naturgesetze, mithin die Wissenschaft als solche, im modernen Weltbild noch Absolutheitsanspruch stellen, wobei sie um die grundlegende Definition und Setzung bestimmter Tatsachen nicht herumkommen, ist das postmoderne Weltbild geprägt von der Unausschließbarkeit des möglichen Anderen, von Kontingenz [43] , von Unvorhersagbarkeit. Sobald der Mensch in der Lage ist, Kausalitäten aus den Angeln zu heben, wird alles unsicher, allein daran lässt sich dann noch festhalten.
Darum liegt der Kern der postmodernen Verhaltensgrundsätze darin, diese grundlegende Unsicherheit in unser Geschick zu verwandeln. Frei nach Schillers Niemand muss müssen ließe sich auch sagen, besteht der Wendepunkt zwischen dem Ausgeliefertsein an die Unsicherheit, und dem, die Unsicherheit als Gefährten zur Seite haben, darin, sich aktiv und umfassend für ein Leben mit der Unsicherheit zu entscheiden. „Ein Individuum hat seine oder ihre Kontingenz in sein oder ihr Geschick verwandelt, wenn diese Person zu der Überzeugung gekommen ist, das Beste aus seinen oder ihren praktisch unendlichen Möglichkeiten gemacht zu haben.“ (Heller 1989, S.291-322) [44] .
Es geht im Wesentlichen darum, von dem abzulassen, was den Menschen aus dem Gleichgewicht, aus dem Gleichtakt, Gleichklang mit seiner Umgebung hat heraustreten lassen, den anthropozentrischen Blick auf die Welt zu verlieren, der Bemächtigungstendenz zu widerstehen, vermeintliche angeeignete Vorteile gegenüber anderen als Austritt aus gleicher Ebene zu begreifen, um ins Glied, auf Augenhöhe, in die Wechselseitigkeit einzukehren und sich und andere Sein – ihm seine Eigenverantwortung zugestehen und ihn in seiner Ausformung dieser zu respektieren - zu lassen. „Ein Bewusstsein der Kontingenz macht nicht stark: Wer es erlangt, gewinnt dadurch keinerlei Vorteil gegenüber den [… Anderen]. Es führt nicht zur Herrschaft und [...] läuft [...] auf die Förderung von Koexistenz hinaus; die einzige Lage, deren Stabilität, ja, Permanenz sie zuläßt.“ (Bauman 1996, S.289).
Ist der Mensch aber seiner vorhergehenden Möglichkeiten, sich in der gekannten Welt an vorhandenen Mustern zu orientieren, beraubt, so entspricht dies in etwa einem Besuch in einem gänzlich unbekannten Land mit einer nicht zu verstehenden Kultur und Sprache. Als Fremder, der neuen sich erschließenden Welt gegenüber, bedarf der Mensch des freundschaftlichen Haltes Mitleidender, um nicht in unsichere Apathie zu verfallen. Er braucht die Gemeinschaft anderer, ähnliche Unsicherheit erfahrender Menschen, die ihn mit, so wie er sie, stützen. „Sie bedürfen ihrer jeweiligen Heilmittel als eines Schutzes vor ihren inneren Dämonen; [...] um sie [die Kontingenz (Anm. d. Autors)] zu akzeptieren und sie auf diese Weise zu zähmen und zu domestizieren, so daß man mit ihnen in Frieden zusammenzuleben kann.“ (Bauman 1996, S.300f.) [45] . Der Mangel an objektiverer Orientierung für den Einzelnen lässt sich mit einem Drahtseilakt über einem Abgrund vergleichen, der nur durch ein soziales Netz ein Stück weit abgesichert zu werden vermag.
Der Einzelne verliert mit der Kontingenz seine lerntheoretische Grundlage, d.h. die Vorbilder für seine Handlungen büßen ihre absolute Legitimität ein. Die Anschauung des Grundes des eigenen Handels kann sich nur noch nach innen richten. In Anlehnung an den Ausspruch Kennedys, dass der Einzelne nicht danach fragen solle, was der Staat für ihn, sondern was er für den Staat tun könne, liegt die Freiheit des Einzelnen nun darin, dass er nur in sich selbst zu finden vermag, was er zu einem gegenseitig unterstützenden Gemeinschaftsleben beizutragen hat. Er kann der Ungewissheit bezüglich der Anderen nicht entfliehen, und bleibt darauf angewiesen, auf die aus dem Vertrauensvorschub resultierenden Rückwirkungen des Systems zu vertrauen. „Wichtig ist die Überzeugung, daß die Wahrheit und das Gute für sich selbst Sorge tragen werden, wenn wir nur für politische Freiheit sorgen.“ (Rorty 1989, S.144).
Die Orientierung nach innen bedeutet nach außen hin zugleich ein Ablassen von der Bevormundung Anderer. Es erschließt sich daraus kein Recht, welches es einzufordern gilt, wenn man selbst sich einzugliedern versucht, also Teilhaftigkeit anstrebt. „Die Bevorzugung der eigenen, gemeinschaftlichen Lebensform muß deshalb immun gegen die Versuchung eines kulturellen Kreuzzugs sein.“ (Bauman 1996, S.286), mithin schließt es die Anerkennung mit ein, „daß es andere Orte und andere Zeiten gibt, die mit gleicher Rechtfertigung (oder gleichem Mangel an guten Gründen) von Mitgliedern anderer Gesellschaften bevorzugt werden können“ (Bauman 1996, S.285).
Die Sprache der Kontingenz ist freundlich und lädt zur Freundlichkeit ein. Die Hoffnung, dass das Angebot zur Gegenseitigkeit angenommen wird ist sein einziges Mittel, der Weg dorthin gepflastert mit Geduldsproben, die darin liegen die Spannung auszuhalten, andere Auslegungen der Welt zu würdigen und gleichzeitig die eigene Position gegen Anfeindungen zu wahren.
In der Erinnerung daran, dass das Einzigartige universal ist, dass das Verschiedensein bewirke, dass die Menschen sich ähneln, muss das Ungleiche in seiner Andersartigkeit und in den Wahlen, die es immer auch treffen mag, respektiert werden.
8.3 Mögliche Verhaltensgrundsätze einer postmodernen Psychologie
Wenn ich als Psychologe aber den jeweiligen Klienten Sein lasse, also ihn in seiner Selbstbestimmung und deren Auswirkungen respektiere, regt sich in mir die Frage nach dem Inwiefern, denn Respekt kann auf vielerlei Weise erwiesen werden. Ich kann jemanden in aufrechterhaltender Weise respektieren, ihm das Gefühl geben, dass er sein Optimum erreicht habe, ihn darin würdigen. Ich kann aber auch den von ihm beschrittenen Weg respektierend begleiten und ihn würdigend anregen, weiter auf ihm zu verweilen. Oder ich kann seine Bemühungen respektieren, seine zu tragenden Lasten und die ihn hindernden Bedingungen in meiner Würdigung berücksichtigen, und ihm infolgedessen meine Hilfe anbieten, meinen Rat oder meine Begleitung in der Bewältigung seines möglichen Auftrags an mich. „Die Psychologie ist von ihrem Ursprung her eine Disziplin, die an den Chancen und Notwendigkeiten eines sich selbst reflektierenden Subjekts ansetzt.“ (Keupp 1994, S.157).
Respekt bedeutet aber auch, sich gewahr zu halten, dass es nicht meine Wirklichkeit ist, auf die der Klient eine Orientierung bedarf, sondern die seine, die in seiner inneren Struktur nicht äquivalent zu meiner ist. Dieser Respekt kann sich am effektivsten im aufmerksamen Zuhören und Verstehen-Wollen ausdrücken. In seinem Artikel „Acknowledging unique others...(2005)“ legt John Shotter dar, warum es so wichtig ist, die jeweiligen Kommunikationspartner in ihrer einzigartigen Bewusstheit anzuerkennen und entsprechend mit ihnen umzugehen. „Sobald ich Blicke mit einer anderen Person austausche, und ich sie als auf eine bestimmte Weise auf mich gerichtet fühle (so wie sie sich auf die gleiche Weise angesehen empfindet), wird eine kleine moralische und politische Welt zwischen uns errichtet. Wir sehen uns gegenseitig erwartungsvoll an, mit Ahnungen, einige geteilt, andere nicht, entstanden aus dem, was wir bis dahin in unserem Leben erlebten. […] Noch eine weitere Form von Leben bildet sich zwischen uns heraus, eine gemeinsame oder geteilte Form von Leben mit ihrem eigenen einzigartigen Charakter und ihrer eigenen einzigartigen Welt, in dessen Bestimmungen wir uns für die Dauer der Begegnungen Dinge gegenseitig bedeuten können. Aber wir sind einander auch innerhalb dieser Welt ‚gegenwärtig’ wie wir sind, und haben […] ‚Einblick’ ineinander. Wenn es aber ein Fremder ist, mit dem wir in Kontakt treten, so schauen wir [oft] schnell wieder weg, aus Furcht, dass wir unnötigerweise zu viel von uns selbst offenbaren.“ (Shotter 2005, S.1f.) [46] . Dem liegt zu Grunde, dass Menschen neben anderen Bedürfnissen auch davon geleitet würden, von anderen Menschen in ihrer eigensten Wesenheit gesehen und akzeptiert zu werden. „Zu einem Teil verdanken wir dem [Einblick anderer in uns] unser wirkliches Wesen, unsere Identität.“ (Shotter 2005, S.2).
Dem sei aber nur nachzukommen, wenn von einer wissenschaftlich objektiven Betrachtung abgerückt würde, die sich aus empirischen Gründen eben nicht getraue diese Wesenheit in Augenschein zu nehmen, und mit dem Behaviourismus hinter die Behauptung flüchte, das Innere des Menschen sei dem äußeren Betrachter verschlossen. In seinen „Philosophischen Untersuchungen“ widerspricht Wittgenstein dieser landläufigen Meinung, dass das „Innenleben“ eines Menschen anderen Menschen aufgrund der Art der Innerlichkeit unzugänglich bleibe, „Erstens ist, wie gesagt, die Rede vom „Inneren“, […] nichts Gegebenes, sondern eine Metapher, ein Bild, deren Sinn und Herkunft erst noch zu klären ist; Zweitens ist uns das „Innere“ eines Menschen durchaus nicht prinzipiell verborgen, sondern sehr oft wissen wir zweifelsfrei von den Gefühlsregungen eines anderen [man denke nur an Babys und Kleinkinder: Welche/r Mutter/Vater würde sagen, das Innenleben ihres/seines Kindes bliebe ihr/ihm gänzlich verborgen (Anmerkung des Autors)]: Gefühle und Gedanken können genauso gut offenbar wie verborgen sein; und Drittens ist das „Innere“ nicht deshalb verborgen, weil es „innen“ ist, sondern umgekehrt verwenden wir das „Innere“ als Bild dafür, dass wir […] uns in Menschen nicht auskennen, und uns dann deren Gedanken und Gefühle verborgen sind: […] Es gibt den unverkennbaren Ausdruck der Freude und das Gegenteil. Unter diesen Umständen WEISS man, dass er Schmerz, oder keinen hat; unter jenen ist man unsicher. […] Der Grund der Verborgenheit „innerer“ Vorgänge liegt in den jeweils besonderen Umständen, und nicht in der scheinbaren Tatsache, „dass es eben innere Vorgänge sind“.“(Wittgenstein 1984, S.45ff) [47] .
Die wissenschaftliche Betrachtung ist monologisch und geht nur in eine Richtung, „eine andere Person [bleibt] gänzlich und lediglich ein Gegenstand des Bewusstseins und nicht ein anderes Bewusstsein. Keine Resonanz wird von ihr erwartet, welche irgendetwas in der Welt meines Bewusstseins ändern könnte“ (Bakhtin 1984, S.292f.). Dagegen versucht Kommunikation, indem sie sich nicht in dem einen oder anderen Kommunikationspartner allein begründet, das miteinander und gegenseitig offen zu teilen, worin sie übereinkommen können. Insofern ist der Mensch auf Kommunikationspartner und auf deren Bereitschaft mit ihm eine gemeinsam geteilte Wirklichkeit einzugehen, die neben dem sich Öffnen, auch das sich Einlassen auf die Offenheit des anderen beinhaltet, angewiesen, auf deren Basis ein Erkennen der jeweils anderen Wesenheit möglich wird. So entsteht eine gemeinsame „Spielwiese“ und Wirklichkeit, und insofern Verständigung.
John Shotter plädiert daher in Anlehnung an Goffmann für folgende Kommunikationsregeln:
1. Wir sollten damit beginnen das Andere und die Anderen um uns herum nicht mehr im Hinblick auf uns bekannte lösbare Probleme zu betrachten. Vielmehr sollten wir anfangen, das ins Blickfeld zu ziehen, was wir weder kennen noch wissen, und vielleicht niemals vollständig zu wissen in der Lage sein werden.
2. Danach sollten wir in eine dialogisch-strukturierte Beziehung mit ihnen ‘eintreten’, d.h. wir sollten uns soweit dem anderen ‘öffnen’, um in der Lage zu sein, spontan von ihnen ‘angerührt’ zu werden.
3. Wir sollten uns mit ihnen einfühlend und verantwortungsbewusst - im Sinne der grundlegendsten Zusammenhänge, der Möglichkeiten und auch ihrer Reaktionen auf unsere eigene Bedingtheit identifizieren - ohne die wir nicht ‚gegenwärtig’ mit ihnen (oder ihnen gegenüber) zu sein vermögen.
4. Wir sollten den anderen aber nicht lediglich ‘folgen’, sondern ihnen auch Möglichkeiten bieten uns zu ‘folgen’.
(Shotter 2005, S.13).
Das Hauptaugenmerk eines Therapeuten/Beraters läge insofern darauf, mit dem Klienten eine geteilte soziale Wirklichkeit zu errichten, in der beide Beteiligten sowohl Experten für ihre eigenen Angelegenheiten, als auch interessierte Laien für die Angelegenheiten des Anderen zu sein vermögen. Das macht es dem einen möglich etwas, das dem anderen unbemerkt blieb, anzusprechen, und dem anderen es anzuerkennen. Auf dieser Ebene könnte der Therapeut/Berater sich dann mit dem Klienten über dessen Angelegenheiten austauschen.
9 Schlussbetrachtung
Abschließend seien weitere Untersuchungsmöglichkeiten zum vorliegenden Thema angeregt.
Zunächst einmal ließe sich bezüglich der Menschenbilder abklären, ob es den reinen Vertreter einer bestimmten Lehre überhaupt noch gebe, und welche Konsequenzen gezogen werden müssten, wenn er nicht mehr so häufig vorkäme. Dann könnte man untersuchen, inwiefern das Menschenbild von Psychologen und den Theorien, die sie vertreten, übereinstimmten. Und wenn sie sich nicht deckten, ob das vernachlässigbar sei oder doch ein Problem für die einzelnen Richtungen darstellte.
Ein anderer wichtiger Aspekt wäre sicherlich den Dialog zu suchen mit den unterschiedlichen Vertretern psychologischer Lehren. Zu erforschen, ob sie tatsächlich die unterschiedlichen Lehrmeinungen für unvereinbar hielten oder ob es nicht einige Anknüpfungspunkte gäbe, auf denen aufbauend weitere Gemeinsamkeiten eruiert werden könnten.
Interessant fände ich auch z.B. eine repräsentative Untersuchung darüber durchzuführen, was sich Normalbürger von der Psychologie erhoffen, erwarten und welche Aufgaben sie den Psychologen mit auf den Weg gäben. Oder spezieller, zu erheben, was sich psychologisch interessierte Menschen, Psychologiestudenten und Vertreter verwandter Studiengänge und Wissenschaften dächten, inwiefern sich die Psychologie optimieren ließe, welche Anregungen also eine stärkere Demokratisierung der Psychologie liefern könnte.
Gerade im Hinblick der aktuellen Veränderungen des Psychologiestudiums ließe sich eventuell evaluieren, inwiefern die Veränderungen Verbesserungen des Lehrstoffes, größere Zufriedenheit und mehr Erfolg, wie auch immer das definiert würde, zeitige. Weiterhin, ob das Studium sich bezüglich eines möglicherweise heraufziehenden Paradigmenwechsels in den Wissenschaften von der Moderne zur Postmoderne eher weiter den gegenwirkenden Kräften oder doch stärker den antreibenden Gruppierungen annähere.
Konkreter gälte es sicher zu untersuchen, inwiefern postmoderne Therapieformen tatsächlich einen Fortschritt zu den modernen Varianten darstellten. Ob die postmoderne Würdigung des Menschen neben dem Beratungs- und Therapiekontext überhaupt in die Forschung passe, oder ob forschenden Psychologen doch weiterhin mehr damit gedient wäre, wenn „ sich Menschen im Experiment nur verabredungsgemäß wie Organismen verhalten. “ (Holzkamp 1973, S.261).
Zum Abschluss möchte ich betonen, dass ich trotz der vielen Kritikpunkte, die sich im Laufe dieser Arbeit an die Psychologie, wie sie sich aktuell darstellt, richteten, ich sie dennoch weiterhin für wichtig halte, ihr ein enormes Potential, für Menschen etwas Positives zu bewirken, zuspreche und hoffe, dass sie, wenn auch vielleicht weiterhin zunächst einmal am Rande, Entwicklungen zulasse, die sie ihrem Auftrag möglicherweise näher bringe.
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[...]
[1] Hervorhebungen im Original (H.i.O.)
[2] Qualitatives und Quantitatives Paradigma
[3] H.i.O.
[4] Bezeichnet ursprünglich den Verlust der Sonderstellung der Erde, d.h. die Verneinung eines Mittelpunktstatus im Universum. Seit Kant sich in der Vorrede zur zweiten Auflage der Kritik der reinen Vernunft darauf bezieht, symbolisiert die Kopernikanische Wende auch den Beginn der Erkenntnisgewinnung über den Fokus auf die menschlichen Erfahrungen, und die daraus resultierende Emanzipierung des Menschen im Wissenserwerb von Gott.
[5] Der hier zu sehende Unterschied liege den Autoren zufolge im Prozesscharakter der Auffassungen über den Menschen, der in der Bezeichnung Menschenverständnis, aber nicht in der Bezeichnung Menschenbild inbegriffen sei. – Ich werde die Begriffe im weiteren Text aufgrund der allgemeinen Gebräuchlichkeit des Begriffes Menschenbild dennoch synonym verwenden.
[6] Zusammensetzung, Verknüpfung, Verbindung
[7] Grund, Ursache, Vorausgegangenes oder Prämisse
[8] H.i.O.
[9] Der Mensch versteht sich selbst als den Mittelpunkt der weltlichen Realität.
[10] Die Elemente eines Systems – einer „Ganzheit“ oder „Gestalt“ – sind durch die Strukturbeziehungen vollständig bestimmt.
[11] Gemeint ist ein passives Zulassen der Verbundenheit mit dem Ganzen, welche durch Aktivität, die Vereinzelung befördert, nicht erreicht werden kann.
[12] H.i.O.
[13] Das wäre aus meiner Sicht eine Frage der Wissenschaftstheorie an die Psychologie, die Frage nach den geeigneten Kategorien einer Abgrenzung der innewohnenden Menschenbilder und deren Konsequenz für die wissenschaftliche Qualität der Hypothesenbildung einer bestimmten psychologischen Richtung.
[14] Klammern im Original
[15] H.i.O.
[16] H.i.O.
[17] H.i.O.
[18] H.i.O.
[19] H.i.O.
[20] H.i.O.
[21] Der Funktionale Materialismus besagt, dass mentale Zustände funktionale Zustände sind, die auf verschiedene Weise realisiert werden können (beim Menschen sind es Hirnzustände). Problem: Etwas könnte dieselben funktionalen Eigenschaften haben wie ein Schmerz, ohne ein Schmerz zu sein – dann könnte aber Schmerz nicht essentiell ein funktionaler Zustand sein.
[22] Klammern im Original
[23] H.i.O.
[24] Hervorhebungen und Klammern im Original
[25] H.i.O.
[26] H.i.O.
[27] Defizienz drückt einen allgemeinen Mangelzustand aus, der meist im genetischen Sinne verwendet wird.
[28] H.i.O.
[29] H.i.O.
[30] Der Fragebogen findet sich in der Anlage.
[31] Die Originalaussagen, die meine Zusammenfassung der Stellungnahmen illustrieren sollen, habe ich in den folgenden Abschnitten der besseren Lesbarkeit wegen in verkleinerter Schriftgröße abgebildet.
[32] H.i.O.
[33] In der intelligiblen Welt sind die Bewohner als von jeglichen Neigungen frei und einzig und allein von der Vernunft bestimmt zu denken.
[34] H.i.O.
[35] Aufgrund des Bezuges von Gebert auf den umstrittenen Philosophen Martin Heidegger positioniere ich mich hier zu diesem. Ich möchte Agnes Heller zu seiner problematischen Verstrickung in den Nationalsozialismus zitieren, die ähnlich wie Hannah Arendt nahe legt, zwischen Person und Werk zu trennen. „Tatsächlich ist kein positiver, thetischer Zusammenhang zwischen Heideggers Philosophie und seiner moralischen Inkompetenz nachweisbar. Die Nazis haben Heidegger nicht […] für ihre Zwecke benutzt [...], und ich meine, daß sie damit […] Urteilsvermögen bewiesen [hinsichtlich der Verbindungsmöglichkeit zwischen Heideggers Werk und der nationalsozialistischen Ideologie (Anm. des Autors)]“ (Heller 1995, S.106). Ebenso möchte ich auf Jean-Paul Sartre verweisen, der trotz seines Wissens um Heideggers undurchsichtige Position zum Nationalsozialismus dessen Werk ins Französische übersetzte und so seinen Landsleuten zugänglich machte. Ich bin also der Ansicht, dass ähnlich wie bei anderen Denkern vor und nach ihm, auch Heidegger zwar letztlich als am Praxistransfer seiner theoretischen Gedanken gescheitert gelten muss. Das bedeutet für mich jedoch nicht, dass jeder seiner Gedanken korrumpiert ist, sondern vielmehr einer Überprüfung bedarf und durchaus die Möglichkeit bietet, die als noch lose sich erwiesenen Fäden aufzugreifen und sinnvoll weiterzustricken.
[36] An dem Punkt müsste man Heidegger sicherlich fragen, ob er mit seinem Widerspruch, bezüglich einer Verantwortung am Nationalsozialismus, diesem Punkt seiner Theorie nicht widerspreche.
[37] H.i.O.
[38] H.i.O.
[39] Die prinzipielle Unmöglichkeit zwei Messgrößen eines elementaren Teilchens, wie Ort und Impuls, gleichzeitig genau zu bestimmen.
[40] H.i.O.
[41] Nach Kant werden die Sinne von den Gegenständen affiziert, das erkennende Subjekt wird affiziert oder affiziert sich selbst (im Selbstbewusstsein), wobei es sich leidend, rezeptiv verhält.
[42] H.i.O.
[43] die Möglichkeit des Anders-Seins
[44] H.i.O.
[45] H.i.O.
[46] H.i.O.
[47] H.i.O.
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