"Carpe Diem" - Erlebnispädagogik als Bildungskonzept und Persönlichkeitstraining


Examensarbeit, 2007

59 Seiten, Note: 3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Erlebnispädagogik im historischen Rückblick
2.1 Die Vordenker Jean- Jacques Rousseau und Henry David Thoreau
2.2 Kurt Hahn und die Erlebnistherapie
2.3 Erlebnispädagogik im Zwanzigsten Jahrhundert

3. Didaktik und Methodik der Erlebnispädagogik
3.1 Lernen durch Erlebnisse – Was ist Erlebnispädagogik?
3.2 Didaktische Ansätze
3.3 Die methodischen Prinzipien der Erlebnispädagogik

4. Erlebnispädagogische Praxisbeispiele
4.1 Herausforderung Seilgarten
4.2 Das Element Wasser
4.3 Der Berg ruft
4.4 Der Stadt- Dschungel – „City bound“

5. Eine Kinder - Ferienfreizeit im erlebnispädagogischen Kontext
5.1 Die Planungsphase
5.1.1 Anmeldung, Bus, Fähre und Übernachtung:
5.1.2 Lagerleitung, Betreuerstab, Planung:
5.1.3 Vorhut, Einkauf, Dekoration Innen- und Außenbereich
5.1.4 Vortreffen, Zimmerverteilung, Gruppeneinteilung:
5.2 Die Durchführung
5.2.1 Der Tagesablauf:
5.2.2 Das Freizeitprogramm:
5.2.3 „Der Tag der Revolution“:
5.3 Nach der Freizeit ist vor der Freizeit
5.3.1 Das Nachtreffen:
5.4 Der pädagogische Blickwinkel

6. Erlebnispädagogik in der Kritik

7. Resümee

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Anhang

1. Einleitung

In unserer Gesellschaft, die durch ihren hochtechnisierten Alltag und ihre explosionsartig wachsende Digitalisierung geprägt ist, in der die fortschreitende Globalisierung für den Einzelnen (Ich verwende durchgängig die männliche Form, um die Lesbarkeit des Textes nicht zu beeinträchtigen. Die weiblichen Personen sind dabei selbstverständlich mitgedacht.) kaum noch überschaubar ist, aber individuelle Risiken beinahe ausgeschlossen sind, wird dem Erleben von besonderen Ereignissen eine stetig wachsende Bedeutung zugemessen.

Die Erlebnispädagogik dient dabei als Möglichkeit, einen Einstieg zu diesen Erlebnissen zu finden, die sozialen Kompetenzen zu schulen und den Alltag selbstverantwortlich zu meistern. Sie fordert und fördert das Individuum in unserer Gesellschaft und zeigt ihm parallel dazu, dass es innerhalb einer Gruppe nicht allein dasteht. Durch die Nähe zur Natur werden ökologisches Denken und Handeln und der bewusste Umgang mit der eigenen Umwelt positiv gefördert.

Im ersten Kapitel der vorliegenden Hausarbeit wird ein kurzer historischer Überblick über die Entstehungsgeschichte der Erlebnispädagogik gegeben, die ihren Ursprung in einigen Grundgedanken Platons oder durch Jean-Jacques Rousseau hatte, der im 18. Jahrhundert in seinem Buch „Emile oder über die Erziehung“ erstmals in schriftlicher Form für eine „natürliche Erziehung“ plädierte. Auch die reformpädagogischen Ansätze von Henry David Thoreau, der hundert Jahre später die Gedanken Rousseaus weitergeführt hat und die des deutschen Kurt Hahn, der oft in der Literatur als „Vater der deutschen Erlebnispädagogik“ bezeichnet wird, werden dargelegt. Ein kurzer Einblick in die Geschichte der Erlebnispädagogik von 1945 bis dato, soll dieses Kapitel abschließen. Die Erlebnispädagogik besitzt vielerlei Facetten und auch ebenso viele Ansätze. Einen vollständigen Überblick über alle ihre Vertreter ist deshalb kaum möglich und auch nicht beabsichtigt. Vielmehr wurde auf ihre Wichtigkeit, im Rahmen der pädagogischen Handlungsfelder, wert gelegt.

Die Didaktik und Methodik der Erlebnispädagogik ist der Schwerpunkt des nächsten Abschnitts, der auch eine Begriffsklärung beinhaltet. Die praktische Ebene wird beleuchtet, das Lernen und der Lernprozess und die Beziehungssysteme zwischen den Akteuren und den Betreuern der Maßnahmen. Welche Ziele verfolge ich als Teilnehmer oder als Leiter und wie kann ich diese erreichen? Welche Verfahrensweisen bieten sich an, welche Aktions- oder Handlungsformen? Ist die gewählte Sozialform ideal und passt der zeitlich gesetzte Rahmen? Gerade wenn professionelle pädagogische Arbeit geleistet werden soll, ist eine gute Vorbereitung Voraussetzung für ein gutes Gelingen.

Des Weiteren folgen Praxisbeispiele für die Erlebnispädagogik. Die Nähe zur Natur und zu den drei Elementen Luft, Wasser und Erde waren bei der Auswahl entscheidende Faktoren. Dass Erlebnispädagogik aber nicht nur im „Grünen“ stattfinden muss, zeigt das Beispiel „City – bound“. Eine ausführliche Beschreibung und der erlebnispädagogische Ansatz einer (von mir geleiteten) Kinderferienfreizeit auf der niederländischen Insel Ameland, bilden den Abschluss dieser Einheit.

Kann die Erlebnispädagogik uns von allen pädagogischen, gesellschaftlichen und politischen Problemen befreien? Ist sie der Schlüssel zum Glück, oder einfach nur eine Modeerscheinung, die von allzu aktiven Reformpädagogen als Allheilmittel eingesetzt wird? Mit dieser Thematik möchte ich die Arbeit abschließen und meinen Standpunkt darlegen: „Gut ist der, der Gutes tut“ (Forrest Gump).

2. Die Erlebnispädagogik im historischen Rückblick

2.1 Die Vordenker Jean- Jacques Rousseau und Henry David Thoreau

Die Historie der Erlebnispädagogik genau zu datieren, ist ein schwieriges Unterfangen, setzt sie sich letztendlich aus psychologischen, pädagogischen und philosophischen Teilen zusammen. Sie ist kein neuzeitlicher reformpädagogischer Ansatz, sondern eine schon in der Antike bestehende Erziehungsmethode, die versucht hat, neben existenten Lehrmeinungen, andere Wege zu gehen. Dabei vertreten Fischer und Ziegenspeck die Auffassung, dass man bei der Suche nach den Ursprüngen der Erlebnispädagogik dort fündig wird, wo es um den Aspekt des Erfahrungslernens geht. Die ersten Vordenker der Erlebnispädagogik finden sich dabei im antiken Griechenland. Aristoteles vertrat die Meinung, dass Leben dem „ersten unbeweglichen Beweger“(Schott, S. 35) zugesprochen werden muss und Platon war der Ansicht, dass man auch über sportliche Fähigkeiten verfügen muss, um eine „innere und äußere Wohlgestimmheit“ zu erlangen (Wikipedia, 15.08.06). Allerdings waren diese körperlichen Ertüchtigungen, in Kombination mit dem Erwerb von kognitivem Wissen, nur einer bestimmten Oberschicht vorbehalten.

Die Erziehung im Mittelalter, die sich vornehmlich um religiöse Vollkommenheit des Individuums und die Missionierung der heidnischen Welt sorgte, öffnete sich nur zu einem geringen Teil einer größeren Bevölkerungsschicht. So war das Schulwesen zunächst nur von der Geistlichkeit getragen und somit ebenfalls ständisch gebunden und erst ein stetig steigender Anstieg des „Weltlichen“ verhalf der Unterschicht zu Bildung und Wissen, die aus historischer Sicht mit der Reformation und der deutschen Übersetzung der Bibel durch Martin Luther ihren damaligen Höhepunkt fanden, was die christliche Erziehung anbelangt. Der Humanist Erasmus von Rotterdam vertrat den Standpunkt, dass „körperliche und intellektuelle Ausbildung“ kaum voneinander zu trennen seien, wenn es um das Ziel einer kompletten Persönlichkeitsausbildung gehe (Schott, S. 203).

Die Brücke zur Erlebnispädagogik im heutigen Sinne, schlägt die Epoche der Aufklärung, vorrangig das Konzept und die Theorien von Jean- Jacques Rousseau (1712 – 1778), der in seinem Buch „Emile oder über die Erziehung“ für eine „Natürlich Erziehung“ plädierte. „Rousseaus Denken zeichnet sich, wie sein Lebensstil, durch Sprunghaftigkeit und Intuition aus“, beschreiben Heckmair und Michl den „Bewunderer der Natur und Prediger der Einfachheit“ (S.17), der seinen Lebensmittelpunkt kontrovers zu seiner geistigen Einstellung wählte, in dem er tagelang die Freuden der Gastronomie und des Glückspiels genoss, er aber im übertragenden Sinne, die „zurück zur Natur“ – Philosophie vertrat. Dennoch haben seine Überlegungen die spätere Entwicklung der Pädagogik stark beeinflusst, beziehungsweise die Erlebnispädagogik fundiert und geprägt. Seine beiden schriftlichen Hauptwerke „Der Gesellschaftsvertrag“ und „Emile oder über die Erziehung“, die beide 1762 erschienen sind, sind dabei eng miteinander verknüpft. Bei seiner Suche nach einem gerechteren und besseren Staat, fordert er einen Wandel im Erziehungsstil der damaligen Epoche, um einen „neuen Menschen“ (Heckmair, Michl, S. 18) zu „erziehen“, der sich dem Mehrheitswillen unterordnet und seine natürliche Freiheit aufgibt, aber im Gegenzug den Schutz und die Geborgenheit der Gemeinschaft gewinnt. Dabei ist ihm aber nicht die Erziehung zum guten Staatsbürger das primäre Ziel, sondern vielmehr das Handeln im Sinne der Natur, die für das Individuum wegweisend sein sollte. Dabei spielt der Pädagoge eine untergeordnete Rolle. Er soll kein reines Wissen vermitteln, sondern die Erziehung durch Dinge oder die Natur ermöglichen, sie stärken und negative Einflüsse darauf verhüten (Heckmair, Michl, S. 19). Die Erziehung durch den Menschen hat das einzige Ziel, die Erziehungsgewalt der Natur und der Dinge zu stärken und negative Einflüsse wie Wissenschaft, Gesellschaft und Zivilisation zu mindern oder zu verhüten.

Die fiktive Romanfigur Emile soll sein Wissen eigenständig, durch autarke Erlebnisse erwerben. Das Lernen aus Erfahrung steht im Vordergrund. Ein wissenschaftlicher Hintergrund ist nicht existent, sondern wird vom Zögling, bei Bedarf, neu erfunden. Deshalb bedarf es auch keiner Formelsammlungen für ein „zufriedenes“ Leben oder Lehrbücher – Emile liest nur „Robinson Crusoe“ von Daniel Defoe. Vielmehr setzt Rousseau auf ein inneres Bedürfnis nach Bewegung und Handlung, kombiniert mit Erlebnissen und Erfahrungen, die für den Erzieher zum Unterrichtsprinzip werden sollen. „Leben ist nicht atmen, leben ist handeln“ (Heckmair, Michl, S. 19) und der Mensch soll „die natürlichen Folgen seiner Handlungen am eigenen Leib erfahren“ (Heckmair, Michl, S. 20), sind zwei der wichtigsten Thesen Rousseaus. Negative Folgen von unpassenden Handlungen führen zu einem freien Menschen.

Neben dem Erlebnis ist die Unmittelbarkeit, das unmittelbare Erleben durch die Sinne, eine zweite Säule der Erziehungstheorie Rousseaus. Der Drang des Kindes, alles zu berühren, zu schmecken, zu sehen oder zu hören, eröffnet ihm Dinge selbst zu erfahren. Größen, Gewicht, Oberflächen, warm oder kalt, hart oder weich, führen zu eigenen Vorstellungen und Werten, folglich zu einer aktiven und sinnlichen Wahrnehmung seiner Umwelt und Lebenssituation.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Rousseau Erlebnisse und Erfahrungen als notwendige Lernprinzipien ansieht, die durch unmittelbare Sinneswahrnehmungen und nicht durch das Vorwissen anderer Personen gemacht werden, wobei der Pädagoge nur begleitend dem Zögling zur Seite steht.

Während Rousseaus Theorien zeitlebens eher theoretischer Natur waren, setzte ein weiterer wichtiger Vordenker der Erlebnispädagogik seine Thesen in die Praxis um: der Amerikaner Henry David Thoreau (1817 – 1862). Vergleicht man Rousseau mit Thoreau, so fällt auf, dass beide der damals herrschenden Staatsform kritisch gegenüber standen und beide reformpädagogische Ansätze vertraten. Thoreau schrieb zwei wichtige Bücher: „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, das in der 68-er Generation großen Anklang fand oder als ständiger Begleiter im Reisegepäck von Mahatma Ghandi präsent war und „Walden oder das Leben in den Wäldern“, welches sein Leben in einer selbstgebauten Hütte am Walden – See nahe seiner Heimatstadt Concord beschrieb. Das Walden – Experiment kann aber nicht als romantischer Rückzug aus der Gesellschaft angesehen werden, sondern ist als eine radikale Auseinandersetzung mit dem „American way of life“ anzusehen.

Die Reduktion von unnötigen Bedürfnissen, der Weg zur Einfachheit und Freiheit, die Erforschung der Natur und diese als Lehrmeisterin des Individuums sind die Basis und die Motive der Theorie von Thoreau. Im Zeitalter der amerikanischen Industrialisierung, des rasanten technischen Fortschritts und der immer größer werdenden Bedeutung der Naturwissenschaften im Alltag, setzte Thoreau einen Gegenpol und wurde so zu einem Vater der Ökologiebewegung, zum Mentor des zivilen Ungehorsams, zum Beobachter der Natur und zum Lehrer der Einfachheit und Einsamkeit (Heckmair, Michl, S. 24). Rousseaus Erziehung ohne Erzieher aufgreifend, war es das Ziel Thoreaus, eine ursprüngliche und unmittelbare Hinwendung zum Leben ohne Mittler zu erreichen. Der Verlust der Unmittelbarkeit durch den Zeitgeist, Luxus und Bequemlichkeit, ließen ihn am Walden – See nach den wirklich wichtigen und ursprünglichen Bedürfnissen des Menschen suchen. Die Bedürfnisse bezogen sich dabei auf die geistige und die materielle Ebene. Während die endlose Spirale von industriell suggerierten Bedürfnissen immer mehr Arbeit nach sich zog, um mehr Geld zu verdienen, damit diese befriedigt werden konnten und noch mehr neue Bedürfnisse geweckt wurden, wird nach Thoreau, die geistige Ebene vernachlässigt. Das ist ein Grund dafür, das Thoreau als Leiter einer Privatschule nicht das große Geld verdienen, sondern seine Ideale und pädagogischen Ideen als Partner seiner Schüler vermitteln möchte. In den zweieinhalb Jahren, die er am Walden – See verbringt, versucht Thoreau seine Erziehungstheorie an sich selbst auszuprobieren. „Jedes Kind fängt im gewissen Sinne die Welt von vorne an und ist am Liebsten im Freien, selbst bei Nässe und Kälte“ (Heckmair, Michl, S. 29). Reale Situationen, Lernen durch Versuch und Irrtum, Erfahrungen und Unmittelbarkeit sind dabei die entscheidenden Faktoren, die für Thoreau zu einer Therapie gegen seine Depressionen wurden und ihn letztlich heilten. Neben der Natur, die als Lehrmeisterin jederzeit und kostenfrei dem Einzelnem zur Verfügung steht, setzte sich Henry David Thoreau für die Schaffung einer Volkshochschule ein, um den Bürgern seiner Heimatstadt Concord eine breit gefächerte Bildung vermitteln zu können. Seiner Ansicht nach, war Bildung immer Weltsicht und weitaus wertvoller als Gebäude oder Denkmäler.

2.2 Kurt Hahn und die Erlebnistherapie

Kurt Hahn (1886 – 1974) gilt in der Bundesrepublik als „Vater der Erlebnispädagogik“ und ist ein anerkannter Reformpädagoge, obwohl er kein Studium der Pädagogik vorweisen konnte. Er leitete von 1920 bis 1933 das Landerziehungsheim Schule Schloss Salem. Im britischen Exil gründete er 1934 die „British Salem School“, nachdem er in Deutschland aufgrund seiner reformpädagogischen Ansätze und seiner jüdischen Abstammung nicht mehr sicher war. Gemeinsam mit dem Reeder Laurence Holt gründete Hahn die „Outward Bound“ in Aberdovey (Wales), eine Bildungsstätte für 16 – 20 jährige Schüler, in der ausschließlich kurzzeitpädagogische Kurse durchgeführt wurden. Outward Bound ist ein Begriff aus der englischen Seefahrt: ein Schiff kann, zu großer Fahrt ausgerüstet, auslaufen. Dieses Bild wurde von Kurt Hahn in die Pädagogik übertragen: der junge Mensch, der die Kindheit hinter sich gebracht hat und auf der Schwelle zum Erwachsensein steht, soll auf eine aktive und verantwortungsbewusste Lebensführung vorbereitet werden. Dabei wandte sich Hahn mit seiner Pädagogik gegen die von ihm in der Gesellschaft beobachteten „Verfallserscheinungen“ der damaligen Zeit:

- dem Mangel an menschlicher Anteilnahme,
- dem Verfall körperlicher Tauglichkeit,
- dem Mangel an Initiative und Spontaneität,
- und dem Mangel an Sorgsamkeit.

Mit einem erlebnistherapeutischen Konzept sollten diese Krankheiten der Gesellschaft bekämpft werden, um so heilenden Kräften zur Entfaltung zu verhelfen (Heckmair, Michl, S. 38). Die Adressaten seiner Kurse waren zeitlebens Jugendliche, bei denen anfangs vor allem das körperliche Training im Mittelgrund stand. Später, in Aberdovey, versuchte Hahn mit vier Elementen seiner „Erlebnistherapie“ den „Verfallserscheinungen“ entgegenzuwirken:

- „das körperliche Training“, bei dem leichtathletische Übungen und Natursportarten, wie Bergsteigen, Segeln, Wandern oder Kanufahren, zum Programm gehörten

- „der Dienst am Nächsten“, expliziert von seinen Schülern, je nach Standort als Küstenwache, Seenotretter oder Bergwacht

- „das Projekt“, einer Aufgabenstellung mit hoher, aber erreichbarer Zielsetzung bei selbständiger Planung und Durchführung im handwerklich– technischen oder künstlerischen Bereich. Das Projekt sollte thematisch und zeitlich abgegrenzt sein

- „die Expedition“, wo das körperliche Training in Form von mehrtägigen Bergtouren, Segeltörns oder Floßfahrten um lebenspraktische Alltagserfahrungen erweitert wird. Dazu gehört zum Beispiel Zeltbau, Logistik, Versorgung und Entsorgung.

Die Wirksamkeit der Erlebnistherapie hängt dabei, laut Hahn, von der Intensität und der Qualität des Erlebten ab. Eine hohe Intensität hinterlässt tiefere Spuren im Bewusstsein, als oberflächliches Wahrnehmen und lässt sich als „heilsame Erinnerungsbilder“ (Kurt Hahn, 1945) auch nach Jahren noch abrufen. Die wichtigsten Handlungsfelder seiner Erziehung sind die Natur- und Kulturlandschaften, wobei Ernsthaftigkeit und Unmittelbarkeit der Situation, Vorraussetzung und Bedingung Hahnscher Pädagogik sind.

Kurt Hahn beobachtete und begleitete zeitlebens das Landerziehungsheim Schule Schloss Salem. Die von ihm entwickelten sieben „Salemer Gesetze“ bilden heute noch die Basis für die Erziehung, sowohl in diesem Internat, als auch in der „British Salem School“ in Gordonstoun:

1. Gebt den Kindern Gelegenheit, sich selbst zu entdecken
2. Lasst die Kinder Triumph und Niederlage erleben
3. Gebt den Kindern Gelegenheit zur Selbsthingabe an die gemeinsame Sache
4. Sorgt für Zeiten der Stille
5. Übt die Phantasie
6. Lasst die Wettkämpfe eine wichtige, aber keine vorherrschende Rolle spielen
7. Erlöst die Söhne und Töchter reicher und mächtiger Eltern von dem entnervendem Gefühl der Privilegiertheit

Diese Grundregeln gelten auch für die zehn United World Colleges, einer Gruppe von internationalen Schulen, die im Laufe der Jahre von Hahn gegründet wurden. Es gibt ca. 50 weitere Schulen, die von den Erziehungstheorien Kurt Hahns beeinflusst sind und die sich im „Round Square Movement“ zusammengeschlossen haben.

2.3 Erlebnispädagogik im Zwanzigsten Jahrhundert

„Ein Gramm Erfahrung ist besser als eine Tonne Theorie“, dieses Zitat von John Dewey (1859 – 1952) steht symptomatisch für die Erlebnispädagogik des letzten Jahrhunderts. Der wohl bedeutendste amerikanische Reformpädagoge gilt in den USA als Begründer des handlungs- und erfahrungsorientierten Lernens. Seine pädagogischen Theorien und auch die Denkansätze der deutschen Pädagogin Minna Specht (1879 – 1961), wirkten sich nachhaltig auf die globale Entwicklung der Pädagogik aus. Dewey verzichtete auf einen moralisch- ideologischen Überbau, was ihn von anderen Reformpädagogen unterschied. Wachstum und Entwicklung sind die zentralen Begriffe in seiner Theorie, „Learning by Doing“ die Schlagworte, die sein Verständnis von Theorie, Handeln und Erfahrungen sammeln verdeutlicht. Im Gegensatz zu Kurt Hahn, möchte Dewey seine Schüler nicht in ein vorgegebenes Schema pressen oder zu funktionierenden Erwachsene erziehen, die den Erwartungen des Erziehers entsprechen. Die subjektive Entfaltung des Individuums ist ihm wichtig. Der Pädagoge hat die Aufgabe, Anreize, Impulse und Lerngelegenheiten für den Schüler, zu schaffen. In Rousseau hat Dewey sein geistiges Vorbild, auf das er sich immer wieder bezieht. Im Unterschied zu den pädagogischen Theorien Rousseaus, geht er nicht von einem Nebeneinander von Natur, Dingen und Menschen aus, sondern von einer Wechselwirkung dieser drei Komponenten (Heckmair, Michl, S. 47). Dewey wird in der heutigen Literatur als Schulreformer und Mitentwickler der Projektmethode genannt.

Die erste deutsche Reformpädagogin und ehemalige Leiterin der Odenwaldschule in Heppenheim, Minna Specht, entwickelte das Unterrichtsprinzip der Selbsttätigkeit, dass in der heutigen Entwicklung der offenen Unterrichtsformen und der Methodik eine große Rolle spielt. Der noch heute gültige Begriff des „Entdeckendes Lernen“ und das exemplarische Lernen, in dem wichtiges von unwichtigem Wissen getrennt werden soll, sind wichtige Säulen der aktuellen Unterrichtsmethodik.

Die Erlebnispädagogik nach dem Zweiten Weltkrieg war zunächst geprägt von Verboten und Einflussnahme der alliierten Besatzungsmächte. Es gab ein „Umerziehungsprogramm“ für Jugendliche, um alte nationalsozialistische Denkweisen und Prägungen zu durchbrechen oder aufzulösen. Es gab ein Uniformverbot und Vorbehalte gegen Gruppierungen, die diese äußerlichen Kennzeichnungen zur Schau trugen, wie beispielsweise die Pfadfinder. Die Organisationsstrukturen waren aufgebrochen und nicht mehr in der Lage, ein Freizeitprogramm zu gestalten, dass die Kinder faszinierte. Das Angebot an Abenteuer und Erlebnis kam nur sehr zögerlich in Schwung. Christliche Verbände und die schon erwähnten Pfadfinder begannen erst in den 60- er Jahren mit Zeltlagern und der „Verschickung“ von Kindern und Jugendlichen ein „erlebnispädagogisches“ Freizeitprogramm auf die Beine zu stellen. Die Zeltlager hatten allerdings keine pädagogischen Beweggründe, sondern fanden aus Mangel an Alternativen im Freien statt. Auch Sportvereine erweiterten ihr Angebot und es begann eine Normalisierung in Hinsicht auf Erleben und Handeln im Freizeitbereich, wobei pädagogische Überlegungen bis dorthin nur eine Nebenrolle spielten. Helfende Organisationen, wie zum Beispiel das Rote Kreuz, griffen in ihren Satzungen die Hahnsche Erlebnistherapie mit ihren vier Elementen – zum Beispiel der Dienst am Menschen – zwangsläufig auf.

Aufgrund der Liberalisierung des Erziehungsstils Ende der Siebziger Jahre und der Öffnung des Unterrichts zu mehr Selbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit, veränderte sich der Anspruch an die Erlebnispädagogik. Mangelte es anfangs noch an Material, Räumlichkeiten und Anbietern, entstanden nun vielerorts Jugendclubs oder Jugendzentren, die den Nutzern ein immer breiter gefächertes Angebot an Aktivitäten boten. Diverse Schulreformen, in Bezug auf Unterrichtsprinzipien und Didaktik, schufen eine neue Art von Leben und Lernen für Schüler und Erzieher. In den 80- er Jahren verlagerten sich die Aktivitäten zurück in die Natur. White- Water- Rafting, Freeclimbing oder Biking sind die Trends, die aus den USA importiert werden und die einen kontinuierlichen Zuwachs an Aktiven vorweisen können.

Das Interesse an den erlebnispädagogischen Angeboten ist in den letzten zwei Jahrzehnten stetig gestiegen. Die Veränderungen in unserer Gesellschaft, seien es die immer größer werdende Medienpräsenz in den deutschen Wohnzimmern, das Internet, der technische Fortschritt oder die Veränderung der Familiensituation – immer höhere Scheidungsrate und damit verbunden mehr Alleinerziehende, Emanzipation der Frau, mehr Schlüsselkinder durch Berufstätigkeit beider Elternteile, etc. – fordern förmlich ein Freizeitangebot, das ein aktives Erleben ermöglicht. Reale „Action“ zum Abbau von Alltagsmonotonie oder Schulstress, Gruppenzugehörigkeit gegen Einsamkeit oder einfach die Suche nach Bestätigung sind Faktoren für die Erhöhung von Angebot und Nachfrage nach erlebnispädagogischen Maßnahmen. Der „Spaß an der Sache“ ist bei der Auswahl der Aktivitäten ein wichtiges Kriterium, aber auch kognitive Lernziele (Umweltkunde), affektiv- emotionale Ziele (Versagensängste), motorische Lernziele (Schulung der Fein- oder Grobmotorik) oder soziale Lernziele (Verantwortung der Gruppe gegenüber) spielen eine übergeordnete Rolle (Schott, S.218).

3. Didaktik und Methodik der Erlebnispädagogik

3.1 Lernen durch Erlebnisse – Was ist Erlebnispädagogik?

Abenteuersituationen, die sich vom Alltäglichen abheben, bieten die Möglichkeit, Eingefahrenes oder Altvertrautes in Frage zu stellen und neu zu erleben (Deutsche Wanderjugend). Der zentrale Begriff bei allen erlebnispädagogischen Ansätzen ist das „Erlebnis“. Dabei sind Erlebnisse Bewusstseinsvorgänge, in denen der Mensch tief innerlich und ganzheitlich von der Sinn- und Wertfülle einer Sache ergriffen wird (Wikipedia, 15.08.06). Sie sind, im Gegensatz zu Ereignissen, subjektive und individuelle Eindrücke des Individuums und nicht auf Gruppen übertragbar. Umso größer die Intensität des Erlebten, desto größer ist der bleibende Eindruck, war die Überzeugung von Kurt Hahn. Der Begriff „Erlebnis“ gewinnt in der heutigen Gesellschaft immer mehr an Bedeutung und wird für alles Erdenkliche verwendet. Es entstehen Erlebnisparks, Erlebnisbäder oder Erlebnisreisen und der Erlebniswert ist dem Nutzer oftmals wichtiger als der Gebrauchswert von Gegenständen oder Dienstleistungen. Die Risikobereitschaft ist im Vergleich zu früheren Zeiten enorm angestiegen und es werden immer neue „Kicks“ gesucht und gefunden.

Eine einheitliche Definition der Erlebnispädagogik ist in der Fachliteratur nicht zu finden. Wie sollte sie auch existieren, ist das Erlebnis doch durch Individualität und subjektivem Empfinden gekennzeichnet. Diverse Ansätze von Definitionen, die den grundlegenden Theorien und Gedanken nahe kommen, werden von Heckmair und Michl in ihrem Buch „Erleben und Lernen“ kurz aufgeführt und beschrieben (Heckmair, Michl, S. 90ff). Eine Schwierigkeit resultiert aus der Tatsache, dass der Begriff Erlebnispädagogik von vielen Experten mit dem Erfahrungslernen oder dem handlungsorientierten Lernen gleichgesetzt wird. Aus diesem Grund findet man eher Definitionsversuche, die Erlebnispädagogik so beschreiben, wie sie nicht ist, beziehungsweise was ihr fehlt. So ist sie nicht automatisch dem Extremsport, Sportunterricht und Freizeitsport gleichzusetzen oder einem Überlebenstraining ohne pädagogischen Ansatz. Erlebnispädagogik wird häufig in der Literatur durch Schlagwörter umschrieben:

- Learning by Doing
- Erleben und Lernen
- Gemeinschaftserlebnis
- Grenzsituationen
- Ganzheitlichkeit
- Aktion und Reflektion
- Praktische Erfahrungen und Bewährung statt theoretischer Belehrung
- Auseinandersetzung mit Räumen

Der Bundesverband für Erziehungshilfe beschreibt in ihrem Abschlußbericht im Jahr 1991 den Begriff „Erlebnispädagogik“ wie folgt: „Sie ist ein Menschenbild, eine Herausforderung an das Denken, Fühlen und Handeln der Pädagogen. Sie kann überall stattfinden und ist nicht untrennbar mit Segelschiffen, Wüsten, Urwäldern oder Berge verbunden. Sie ist eine Herausforderung für jeden Teilnehmer wie Leiter.“ Daraus folgt, dass die Erlebnispädagogik nicht bedingungslos an die Natur gebunden ist und somit die Theorien Rousseaus oder Thoreaus nicht als zwanghaft für das Erleben von Ereignissen im erlebnispädagogischen Sinne sind (Reiners, S.19).

Einen Definitionsversuch gibt es von Heckmair und Michl, der den Begriff der Erlebnispädagogik wie folgt eingrenzt : „Erlebnispädagogik im engeren Sinne ist ein vorrangig außerschulischer Bildungsansatz mit handlungsorientierten Methoden, in dem durch Gemeinschaft in ungewöhnlichen Umfeldern/ Umständen neue Raum- und Zeitperspektiven erschlossen werden, die einem pädagogischen Zweck dienen“ (Reiners, S.20). Dieser Versuch umschreibt die pädagogischen Ansätze mehrerer Theoretiker und die gebräuchlichsten Umschreibungen und Schlagwörter.

3.2 Didaktische Ansätze

Ein erfolgreiches professionelles Unterrichten verlangt eine klare strukturelle Linie. Das gilt natürlich auch für die Erlebnispädagogik. Ziele und die Abfolge von Ereignissen oder Impulsen müssen festgelegt, die einzelnen Prozess-Schritte überlegt und das Ergebnis kontrolliert und reflektiert werden. Um ein Gelingen von erlebnispädagogischen Maßnahmen vorauszusetzen, geht man von folgenden Annahmen aus:

- Das Entwickeln eigener Lösungsstrategien ist lehrreicher als die Darreichung von Lösungen und Methoden.
- Menschen unterschätzen oftmals ihr eigenes Können. Sie besitzen mehr Ressourcen und Wissen als sie glauben.
- Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen ist keine Frage des Alters.
- Intensive, kurzfristige Erlebnisse können bleibende Eindrücke hinterlassen.
- Stress und gemeinsam Erlebtes können das Individuum stärken
- Das Selbstwertgefühl ist ein entscheidender Faktor für die Entwicklung eines Menschen.

In der Erlebnispädagogik unterscheidet man zwischen dem spezifischen, nicht- spezifischen und metaphorischen Lernen. Das erste beschreibt das Erlernen nach vorgegebenen Lösungswegen, welches nicht unbedingt für einen alltäglichen Gebrauch verfügbar und nicht dauerhaft abrufbar sein muss. Eigene Lösungsstrategien und Wege kennzeichnen das nicht- spezifische Lernen, bei dem der Teilnehmer beispielsweise eigene Methoden der Konfliktlösung entwickelt. Dabei muss immer eine Unter- oder Überforderung des Teilnehmers vermieden werden, er sollte aber die Möglichkeit besitzen, seine eigene Leistungssteigerung oder Lernerfolge zu überprüfen. Er muss sein neues Wissen transferieren und generalisieren können.

Das Verhältnis zwischen Lehrendem und Lernenden ist im Vorfeld eher distanziert. Der Erzieher verfügt über Fachwissen, soll animieren, Risiken minimieren und den Überblick bewahren. Der Teilnehmer soll aber nicht durch ein Programm geführt oder „bespaßt“ werden, sondern Ziel des Erlebnispädagogen sollte es sein, diese Distanz abzubauen und den Lernenden zur Selbsttätigkeit zu ermutigen. Entscheidungen des Betreuers müssen den momentanen Situationen und der Zielgruppe angepasst werden. Manche Impulse und Entscheidungen, die in der Anfangsphase getroffen werden müssen, trifft der Lehrende stellvertretend für die Teilnehmer, denen es in dieser Phase an Hintergrundwissen, Kenntnissen und Erfahrung fehlt. Diese sollen im Verlauf der erlebnispädagogischen Maßnahmen erst erworben werden und der Betreuer übernimmt dann eine begleitende Funktion, bis der Lehrende und der Lernende gleichberechtigt agieren (Reiners, S.25). Je kompetenter und sicherer ein Teilnehmer wird, desto mehr Verantwortung wird ihm übertragen. Die Outward Bound Schulen unterteilen ihre Kurse in fünf Phasen (Reiners, S.25f):

1. Die Trainingsphase, in der der Betreuer Sicherheitsvorschriften, Philosophie, Handlungsregeln der Einrichtung vorstellt, Ziele der Maßnahmen und Erwartungsebene benennt und die Teilnehmer anleitet. Diese Phase ist oft von Aktionen, die Teamarbeit und Entwicklung von Selbstvertrauen verlangen, geprägt.

2. Die Expedition, die nach Anleitung und Einführung in einem kürzeren zeitlichen Rahmen stattfindet. Dabei durchlaufen die Teilnehmer eine Reihe anspruchsvoller sportlicher Aktivitäten. Das kommunikative Element wird gestärkt und es wird möglichst viel Verantwortung an die Gruppe übergeben.

3. Das Solo, dient als Zeit der Erholung, Reflexion und Isolation, kann aber auch als Kontrast zur Expedition genutzt werden.

4. Die Abschlussexpedition ist mehrtägig und findet ohne Begleitung des Lehrenden in Kleingruppen statt. Dadurch wird die Selbstverantwortlichkeit innerhalb der Gruppe gestärkt. Die Auswahl der Aktivitäten muss aber den Teilnehmern angepasst sein, um eine Unter- oder Überforderung zu vermeiden.

5. Die Abschlussphase endet mit einem Marathon oder einer ähnlichen Aktivität. Sie soll es dem Teilnehmer ermöglichen, eigene psychologische und physische Grenzen kennen zu lernen.

Positive soziale Erfolgserlebnisse hängen von einem positiven Gruppenklima ab. Konflikte stören sowohl die Kommunikation, die Harmonie innerhalb der Gruppe, als auch einen reibungslosen Ablauf der Maßnahme. Deshalb muss der Betreuer die Interaktion innerhalb der Gruppe objektiv beobachten, beurteilen und gegebenenfalls intervenieren. Er muss sich immer wieder auf seine Zielgruppe neu einstellen und eine Beziehung zu ihr aufbauen. Jede Gruppe setzt sich aus diversen Individuen zusammen, deren Vorwissen, Möglichkeiten, Voraussetzungen oder Bedürfnisse völlig unterschiedlich sein können. Das Ziel des Betreuers ist es aber nicht, alle Teilnehmer von Unikaten zu Duplikaten zu formen, vielmehr soll er jeden nach seinen Fähigkeiten fördern und fordern, um für die gesamte Gruppe möglichst ein hohes Lernziel zu erreichen. Das Erziehungsziel Hahns, den Einzelnen zu einem mündigen Staatsbürger zu erziehen, wird in mehrere individuelle Persönlichkeitsmerkmale gesplittet (Reiners, S.33):

- Entwicklung von Eigeninitiative, Spontaneität, Kreativität, Selbstbewusstsein, Selbstwertgefühl, Selbstvertrauen, realistisches Selbstbild, Überprüfung von Wertesystem, Selbstverantwortung.

- Die Förderung sozialer Kompetenzen, wie Teamfähigkeit, Rücksichtnahme, Kommunikationsfähigkeit, Mitgefühl, Hilfsbereitschaft, Konfliktbewältigung.

- das Wachsen eines ökologischen Verständnisses und Bewusstseins.

Manche dieser Lernziele werden im Lernprozess verwirklicht – zum Beispiel, die Entwicklung eigener Lösungsstrategien, andere können als Produkt des Prozesses angesehen werden – zum Beispiel, die Steigerung des Selbstwertgefühls.

3.3 Die methodischen Prinzipien der Erlebnispädagogik

Die Methodik kann als Verfahrensweise verstanden werden, mit denen Lern- und Lehrprozesse fachmännisch und planmäßig gesteuert, entworfen oder aufbereitet werden. Die Methodik der Erlebnispädagogik unterliegt ähnlichen Prinzipien, wie der Schulunterricht. Der Professor der Pädagogik Werner Wiater (geb. 1946), definierte Unterrichtsprinzipien wie folgt: „Unterrichtsprinzipien sind für alle Fächer geltende Grundsätze oder Handlungsregeln der Unterrichtsgestaltung. Ihre Beachtung vergrößert oder sichert die Qualität des Unterrichts.“ Der an der Universität Augsburg lehrende Schulpädagoge nennt acht Prinzipien der methodischen Gestaltung (Seminar Unterrichtsprinzipien,

I. Höltje, SoSe 2005):

1. Selbsttätigkeit
2. Differenzierung
3. Veranschaulichung
4. Motivierung
5. Ganzheit
6. Zielorientierung
7. Strukturierung
8. Ergebnissicherung

Das Prinzip der Selbsttätigkeit setzt sich aus mehreren Komponenten zusammen und ist mehr als eine motorische Bewegung. Sie erfordert Eigenverantwortung über den Lernprozess und die Methodik, wobei das selbständige Erfahren dabei im Vordergrund steht. Bei der Auswahl der Arbeitsmittel sollte der Betreuer beachten, dass die Materialien selbständig bearbeitbar, in einem einwandfreien Zustand und verständlich sind und dass diese allen sicherheitstechnischen Vorschriften entsprechen. Sie müssen zeitlich überschaubar sein und die Möglichkeit der Selbstkontrolle und der Selbstverantwortung einräumen. Die Herausforderungen an die Teilnehmer müssen dem Niveau der Gruppe angepasst sein und sollten als subjektiv schwer, jedoch nicht als unlösbar gesehen werden. Die Grenze des Machbaren sollte also nicht überschritten, aber doch erkundet und erkannt werden. Das Erleben muss ganzheitlich sein, das heißt, die aktionalen, emotionalen und kognitiven Lernebenen müssen aufeinander abgestimmt sein und strukturiert auf das angestrebte Ziel hinarbeiten. Für ein Gelingen der Maßnahmen ist eine hohe Eigenmotivation des Individuums, beziehungsweise der Gruppe, Voraussetzung. Die Motivation kann durch den Betreuer gesteigert werden, durch von außen gesetzte Reize und Impulse. Aus diesen oben genannten Prinzipien lässt sich ablesen, dass das Verhalten und die Situationen der Teilnehmer im Fokus der erlebnispädagogischen Aktivitäten stehen und sich die Zielsetzung nach den Bedürfnissen, dem Leistungsvermögen und den individuellen Problemen des Einzelnen richtet (Reiners, S.36).

Man unterscheidet in der Erlebnispädagogik zwischen direkten und indirekten Aktionsformen, in denen ein Betreuer handelt.

Dabei können die Übergänge fließend sein und deshalb schwer von einander trennbar. Die Gruppe muss erstmal mit der Herausforderung vertraut gemacht, Regeln müssen erstellt und Ziele ausgegeben werden. Das soziale Gefüge der Teilnehmer ist noch nicht aufgebaut, der Einzelne muss seine Stellung innerhalb dieser Gruppe erst noch finden. Die „neue Umgebung“ wird erkundet und sich mit ihr vertraut gemacht. Der Sicherheitsaspekt, Verhaltensregeln, Gebote und Verbote müssen geklärt und angesprochen werden. Der Betreuer muss sich mit seinen eigenen und den Kompetenzen des Einzelnen auseinandersetzten und mit Hilfe dieser, die Rahmenbedingungen, Grenzen und Ziele der Gruppe feststecken. Die physische Sicherheit der Teilnehmer muss, zu jedem Zeitpunkt der erlebnispädagogischen Maßnahme, gewährleistet sein. Alle diese Faktoren fordern ein aktives Handeln des Betreuers, der somit direkt in das Geschehen eingreift.

Die zweite Phase beinhaltet die Animation und Motivation der Teilnehmer durch den Betreuer, die anfangs immer noch stark von der direkten Einflussnahme des Leitenden abhängig sind. Durch die Animation kann das Interesse an der Aktion geweckt werden. Dabei spielt die Aussicht auf die Befriedigung wichtiger Bedürfnisse und Erfolgserlebnisse eine wichtige Rolle (Reiners, S. 42). Der Teilnehmer soll dazu bewegt werden, eigene Grenzen zu überwinden, Ängste abzubauen oder mögliche Lernchancen zu nutzen. Die Eigenmotivation kann durch äußere Reize oder durch das Erreichen eigener Ziele gesteigert werden. Im Verlauf der Maßnahme tritt die Einflussnahme durch den Betreuer immer weiter in den Hintergrund. Eigeninitiative wird von der Gruppe und den einzelnen Teilnehmer gefordert. Ein direktes Eingreifen wird von eine Begleiten und Beobachten verdrängt. Es kommt zu einer Gruppenselbststeuerung, bei der die Selbsttätigkeit und Eigenverantwortlichkeit immer stärker in den Vordergrund treten. Der Betreuer arbeitet unterstützend, ermutigend und nicht mehr steuernd. Die Teilnehmer sollen eigene Lösungswege und Strategien entwickeln und nicht von Anweisungen und dem Wissen des Leiters abhängig sein. Mögliche Konsequenzen von Fehlverhalten, falsch getroffenen Entscheidungen oder Konfliktsituationen sollen eigenverantwortlich erkannt und getragen werden, ohne dass die Betreuer den Sicherheitsaspekt aus den Augen verlieren dürfen.

Das aktive Intervenieren des Betreuers ist erforderlich, wenn Situationen eskalieren, Teilnehmer in eine psychisch oder psychologisch gefährliche Lage geraten oder Konflikte entstanden sind, die innerhalb der Gruppe nicht gelöst werden können. Nach Dewey ist es die Aufgabe eines Projektleiters, abzulesen, in welche Richtung sich ein Erlebnis entwickelt und, falls nötig, dementsprechend einzugreifen. Den Handlungs- und Entscheidungsspielraum der Gruppe muss dann der Teamleiter einschränken, also steuernd zu intervenieren.

Welche Medien zum Einsatz kommen, hängt letztendlich von der Maßnahme ab, die durchgeführt wird. Es gibt Medien, die sich für die Einzelarbeit anbieten (zum Beispiel das Kajakfahren), für andere Sozialformen wie Paar- oder Gruppenarbeiten, aber auch Medien, die für diverse Formen gleich geeignet sind. Klettertouren bieten sich zum Beispiel an, eigene körperliche Grenzen kennen zulernen – Einzelarbeit - und dabei durch andere Personen und Seile abgesichert zu werden – Paararbeit -, um mit der gesamten Gruppe ein Ziel zu erreichen – Gruppenform. Die Auswahl der Medien kommt auf den methodischen Schwerpunkt und die entsprechende Präsentation der Maßnahme an (Reiners, S.46ff). Die Einzelarbeit, bei der der Teilnehmer sich mit einem Gegenstand, einem Lerninhalt oder Sachverhalt beschäftigt, wird von Reiners als zweipolige Interaktion bezeichnet. Der Aktive steuert sein Arbeitstempo und seine Lösungsansätze für ein eventuell bestehendes Problem selbsttätig. Die Eigenverantwortlichkeit, das erstrebte Ziel zu erreichen, ist hoch. Ein Praxisbeispiel für die zweipolige Interaktion ist das Free- climbing, bei dem der Erfolg stark vom Einsatzwillen und dem Geschick des Einzelnen abhängt, damit er den Berg bis zum Gipfel ersteigen kann. Er muss sich mit seinen Ängsten auseinandersetzen und seine Grenzen überwinden. Die Auseinandersetzung mit einem oder mehreren Partnern, auf kommunikativer Ebene, wird als dreipolige Interaktion bezeichnet. Es muss ein Vertrauensverhältnis innerhalb der Gruppe geschaffen werden, damit es zu einem produktiven Austausch und einem effektiven Handeln kommen kann. Die Möglichkeiten der Interaktion sinken jedoch für das Individuum, je höher die Anzahl der Mitglieder ist, deshalb sollte darauf geachtet werden, dass jeder die Chance hat, seine eigene Meinung einzubringen und Stellung zu Sachverhalten und Handlungsabläufen zu nehmen. Die Fähigkeiten und Kompetenzen des einzelnen Teilnehmers müssen dabei zielgerichtet eingesetzt werden. Die Routenplanung, für einen gemeinsamen Gipfelaufstieg in den Bergen oder ein Reflexionsgespräch, wären ein Praxisbeispiel für diese Methode. Ist der Betreuer ein Kommunikationspartner oder Moderator, leitet er die Maßnahme oder wertet er sie aus, spricht Reiners von einer vierpoligen Interaktion (S.53). Der Leiter wird unmittelbar tätig und greift in den eigenverantwortlichen, selbsttätigen Prozess ein. Das Intervenieren bei Differenzen innerhalb der Gruppe, die Anleitung im Vorfeld oder die Leitung einer Diskussionsrunde sind als Beispiele zu nennen. Teamteaching ist das Kennzeichen der fünfpoligen Interaktion, das heißt, die Teilnehmer werden von mehreren Betreuern unterstützt, die entweder aus gleichen oder ähnlichen Fachbereichen stammen und gemeinsam über Abläufe und Situationen entscheiden, oder aus völlig verschiedenen, um so diverse Blickwinkel auf die Aktionen zu bekommen oder flexibler Handeln zu können. Der Mitarbeiterkreis kann sich austauschen und beraten, im Vorfeld, im Verlauf und nach Beendigung der Maßnahmen.

Erlebnispädagogische Aktionen oder Events sind nicht an einheitliche, zeitliche Rahmen gekoppelt, es wird aber vorausgesetzt oder erwartet, dass sie die Prinzipien der Ganzheit, Strukturierung und Zielorientierung erfüllen. Fehler in der Planung können zu späteren Misserfolgen und Enttäuschungen führen, die das Erreichen des Ziels unmöglich machen. Einzelne Etappen des Lernprozesses müssen aufeinander aufbauen, der zweite Schritt darf nicht vor dem ersten getan werden. Die organisatorischen und finanziellen Mittel bestimmen oftmals den Zeitrahmen der Aktionen. Ein Segeltörn zu allen nordfriesischen Inseln ist an einem Tag nicht zu schaffen, erlebnispädagogische Maßnahmen für straffällig gewordene Jugendliche wären nicht effektiv, sie würden die Prinzipien der Ganzheit und Zielorientierung nicht erfüllen. Die Ernsthaftigkeit, die entscheidend für ein intensives Erleben ist, würde verloren gehen.

4. Erlebnispädagogische Praxisbeispiele

4.1 Herausforderung Seilgarten

Die Erlebnispädagogik ist in ihren Möglichkeiten sehr vielfältig, das Angebot an Aktivitäten, durch die stetig wachsende Nachfrage in den letzten Jahren, immens gestiegen. In dem folgenden Kapitel werden einige dieser Angebote, mit ihren Reizen und Herausforderungen, vorgestellt.

Das Abenteuer Seilgarten ist in den Vereinigten Staaten von Amerika verwurzelt und seit einigen Jahren auch europaweit in mehreren Dimensionen präsent. Man unterscheidet und kombiniert Hoch- und Niederseilgärten und trennt zwischen stationären oder mobilen Anlagen. Ein Hochseilgarten besteht aus mehreren zwölf bis fünfzehn Meter hohen Elementen, die durch Drahtseile, Seilrutschen oder Hängebrücken miteinander verbunden sind. Die verschiedenen Komponenten können von einzelnen oder mehreren Personen gleichzeitig genutzt werden. Da es in der Bundesrepublik noch keine einheitlichen Gesetze und TÜV- Vorschriften in Bezug auf Instandhaltung, Aufbau oder Sicherheit für Seilgärten gibt, ist die Benutzung immer mit einem gewissen Risiko verbunden. Es gibt bis dato auch noch keine allgemeingültigen Vorschriften zur Trainerausbildung, aber seit 1997 den eingetragenen Verein GRCA (German Ropes Course Association), in dem sich Institutionen, Verbände und Einzelpersonen zusammengeschlossen haben, die stationäre oder mobile Seilgärten betreiben. Diese haben Standards entwickelt, die eine aktuelle Basis für eine professionelle Arbeit mit Seilgärten bieten. Da die Seilgärten sehr unterschiedlich aufgebaut sind und nicht alle Betreuer den gleichen Wissens- und Ausbildungsstand haben, ist die Einweisung in die Benutzung der Aktionen sehr divergent, das heißt, von unterschiedlicher Qualität und Dauer. Weitere Nachteile sind die enormen Kosten, die bei dem Bau und in der Unterhaltung einer solchen Anlage entstehen. Nutzt man bei der Gestaltung der Attraktionen schon vorhandene Elemente, wie zum Beispiel freistehende Bäume als Masten, kommt noch eine ökologische Dimension dazu. Durch Sicherheitshaken, Schrauben oder Schlingen um den Stamm können Verletzungen der Flora hervorgerufen werden, entstehender Lärm kann die Fauna maßgeblich beeinflussen.

Seilgärten dienen in der Jugendarbeit, oder bei Klassenausflügen, der Förderung des sozialen Lernens. Sie wirken in der psychologischen Therapie unterstützend beim Abbau von Ängsten und der Steigerung des Selbstvertrauens und der Motivation. Firmen nutzen den Teambuildingcharakter und die Region zieht einen touristischen Nutzen aus dem Angebot. Gemeinschaftliche Problemlösungen regen die Kommunikation an und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und die meiner Partner muss aufgebaut oder gesteigert werden. Der Transfer in den Alltag gelingt aber nur, wenn die Aktion pädagogisch aufbereitet und reflektiert wird.

Im Vergleich zu stationären Anlagen, sind die pädagogischen Möglichkeiten bei mobilen Aufbauten variantenreicher (Heckmair, Michl, S. 211f) und können somit besser auf das Ziel abgestimmt werden. Sie können den Anforderungen entsprechend auf- und abgebaut werden und bestehen vornehmlich aus Balancierstrecken. Die Phase des Aufbaus kann schon im Zuge der pädagogischen Maßnahme genutzt werden. Heckmair und Michl beschreiben folgende Aufgabenstellung, die an eine beliebige Gruppe gestellt werden könnte: Über einen Bach soll eine Seilbrückenkonstruktion erbaut werden, die es allen Teilnehmern ermöglicht, trockenen Fußes das andere Ufer zu erreichen. Ein Teil der Gruppe ist nicht mehr mobil. Es muss also auch eine passive Beförderungsmöglichkeit entwickelt und installiert werden. Die zur Verfügung stehenden Materialien sind genau definiert, können aber der Gruppe angepasst, das heißt beliebig verringert oder erweitert werden. Die Problemlöseaufgabe wird in einen festen Zeitrahmen gesetzt. Diese Herausforderung verlangt von den Teilnehmern Kommunikationsbereitschaft, eigenes und gemeinsames Handeln und Planen. Der Einzelne muss seine eigenen Erfahrungen einbringen, Kompromisse schließen und sein vorhandenes Wissen weitergeben. Der Betreuer hat die Aufgaben zu kontrollieren, ob die Sicherheitsvorschriften beachtet werden und ein gefahrloses überqueren der Brücke möglich ist und gegebenenfalls bei auftretenden Problemen zu intervenieren. Eine gute Ausbildung, Hintergrundwissen und Erfahrung des Betreuers ist dabei vorausgesetzt.

Abb.1, Beispiel für einen Hochseilgarten

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

4.2 Das Element Wasser

Zu den klassischen Medien der Erlebnispädagogik gehört das Segeln, historisch bedingt durch die Zusammenarbeit von Kurt Hahn mit Laurence Holt, einem britischen Seefahrer und Reeder. Aber auch Canoeing, Kajakfahren oder Rafting erfreuen sich in den letzten Jahrzehnten steigender Beliebtheit.

Die langfristig angelegten Segeltörns mit straffällig gewordenen Jugendlichen, fordern den Einzelnen und verlangen ein Zusammenhalt der Gruppe. Ihr pädagogischer Nutzen und ihre Notwendigkeit sind aber gesellschaftlich sehr umstritten. Die Törns sind oftmals langfristig angelegt und werden durch eine Stammbesatzung des Bootes und mehrere Betreuer begleitet. Die Kommunikationskompetenz und das Sozialverhalten der Teilnehmer sollen durch das Bordleben geschult werden. Die Enge auf dem Schiff lässt keinen Raum für ein Zurückziehen oder Alleingänge und die meist spartanische Ausstattung erfordert ein hohes Maß an körperlichem und mentalem Einsatz der Teilnehmer.

Canoeing oder Kajakfahren findet man als Touren in ruhigen Gewässern, oder im Wildwasser. Je nach pädagogischer Zielsetzung unterscheiden sich die Angebote erheblich voneinander, in der Theorie und in der Praxis. Wandertouren sind eher langfristig, Wildwasserfahrten kurzfristiger angelegt. Korrektes manövrieren durch die Stromschnellen muss erst erlernt werden, das ruhige Gleiten auf einem Binnenkanal ist, vom Lernprozess aus gesehen, oftmals einfacher für die Teilnehmer umzusetzen.

Das Erleben von Gemeinschaft ist bei beiden Arten eher zweitrangig, abgesehen von Routenplanung, Abendgestaltung und Reflexion der Maßnahme, Hilfestellungen von Gruppenmitgliedern sind beim Kentern des Bootes aber unbedingt erforderlich. Die Planungen im Vorfeld müssen gut strukturiert sein. Diese können von der Leitung komplett übernommen werden, es bietet sich aber an, die Gruppe mit einzubeziehen. Das stärkt die Eigenverantwortlichkeit, Selbstvertrauen und Selbsttätigkeit des Individuums.

Beim Rafting überwiegt das Gruppenerlebnis, die individuelle Leistung steht im Hintergrund. Ein Zusammenarbeiten der einzelnen Teilnehmer ist erforderlich, um das Boot sicher durch Rapids (Stromschnellen) zu steuern. Aufgrund des starken Auftriebs des Bootes ist weniger körperliches und technisches Können verlangt und auf eine langwierige Vorübung kann verzichtet werden. WildWater- Rafting ist eine kurzfristig angelegte Maßnahme, die mit einem hohen Risikofaktor verbunden ist und deshalb gut geschultes Begleitpersonal erfordert, die sich mit der Technik des Schlauchbootfahrens, den individuellen Eigenschaften des Gewässers und den Risiken auskennen. Die Risiken können sehr vielfältig sein: In Zimbabwe wird unterhalb der Viktoria- Wasserfälle Rafting, unter eher kommerziellen Gesichtspunkten, von mehreren Veranstaltern angeboten. Bei der einstündigen Einführung, bei der es in erster Linie um den richtigen Umgang mit dem Material geht, wird auch auf die Gefahren des Raftings hingewiesen. Es sterben jährlich mehrere Menschen beim Schlauchbooten auf diesem schwierig zu befahrenden Fluss, entweder durch Ertrinken, Kopfverletzungen durch scharfkantige Felsen oder durch Krokodile (eigene Rafting- Tour, 1993).

Es wird zwischen einer aktiven und einer passiven Teilnahme unterschieden. Bei der ersten Form muss der Teilnehmer selbst paddeln und ist durch Fußschlingen mit dem Schlauchboot verbunden. Das Boot wird durch einen Steuermann am Heck gelenkt. Bei der passiveren Variante sitzt der Steuermann in der Mitte des zu navigierenden Schlauchbootes und er ist der Einzige an Bord, der mit Paddeln ausgerüstet ist. Die Teilnehmer lenken durch die Verlagerung ihres Körpergewichtes. Es gibt eine Halteleine, aber keine Schlingen am Boden.

Abb.2, WildWater - Rafting auf dem Inn

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Die Touren bieten die Möglichkeit, die unberührte Flora und Fauna dieser Gewässer aus neuen Blickwinkeln, zu beobachten und zu genießen. Ökologisches Lernen, der richtige Umgang mit der Natur oder der Eingriff des Menschen in das Ökosystem Wasser wären Lernziele, die unter erlebnispädagogischen Aspekten relevant sein könnten. Die sozialen Komponenten spielen eine untergeordnete Rolle, der Spaß steht im Vordergrund und überlagert die Möglichkeit, individuelle Leistungen einzubringen (Heckmair, Michl, S.191). Eine Form der Selbstbestätigung fehlt, Selbstvertrauen und Verantwortlichkeit der Gruppe gegenüber werden aber gesteigert. Aus psychologischer Sicht können Ängste abgebaut werden, durch die hohen Risiken aber auch neue entstehen, deshalb ist eine professionelle Betreuung ratsam.

4.3 Der Berg ruft

Natursportarten sind so verschieden in ihren Voraussetzungen und Möglichkeiten, wie die Elemente, die zur Durchführung der Maßnahmen von Nöten sind. Auch der alpine Bereich stellt da keine Ausnahme. Es sind zwei unterschiedliche Ansätze im erlebnispädagogischen Bereich zu finden: das Bergwandern/Trekking und das Klettern/Freeclimbing.

Trekkingtouren und Bergwanderungen gehören zu den ältesten erlebnispädagogischen Unternehmungen. Die deutsche Wanderjugend, die Anfang des letzten Jahrhunderts gegründet wurde, die Pfadfinder oder die kirchlichen Jugendgruppen machten diese „sportliche Aktivität für Jedermann“ nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik populär. Das beliebte Wandern ist aber im Medienzeitalter in den Hintergrund gedrängt worden. Das Verlangen der Jugendlichen nach Aktion und Abenteuer, ist beim Durchqueren der Lüneburger Heide nur schwerlich zu stillen, es verspricht wenig Spektakuläres oder Spannendes. Die Trekkingtouren haben einen eher meditativen Charakter und gelten als Gegenpol und Ausgleich für die heutige, schnelllebige Zeit. Beobachtungen in der Natur, die Landschaft oder einfach nur die Ruhe genießen, sind Merkmale des Wanderns. Mentale Stärke, Ausdauer und Geschicklichkeit sind gefordert und nicht die physische Kraft des Einzelnen. Eine gleichberechtigte Gruppe, die sich nach der Geschwindigkeit des langsamsten Teilnehmers richten muss, kann aufgrund des geringen Materialsaufwandes und der niedrigen körperlichen Voraussetzungen, auch langfristig angelegte Routen problemlos bewältigen. Die Teilnehmer können in die Planung der Strecke mit einbezogen werden. Ein spezielles Fachwissen muss nicht vorhanden sein, sondern wird im Lauf der Maßnahme erworben (Heckmair, Michl, S.176ff).

Die körperlichen Grundlagen beim Freeclimbing sind denen des Bergwanderns divergent. Kondition und Konstitution der Teilnehmer müssen gut ausgebildet sein, damit eine Kletterwand oder ein steiler Berggipfel erklommen werden kann. Der Umgang mit der Angst, Selbstvertrauen und Verantwortungsbewusstsein sind drei entscheidende, mentale Faktoren. Das Überkopfhängen an Felsvorsprüngen, das Sichern der anderen Teilnehmer und letztendlich das Erreichen des gesteckten Ziels, sind hier zu nennen. Es erfordert ein hohes Maß an Selbstkontrolle und Mut, sich an Vorsprüngen abzuseilen, sich selbst nicht zu überfordern und dem sozialen Druck nicht nachzugeben, sondern sich seinen eigenen körperlichen Grenzen zu unterwerfen.

Abb.3, Freeclimbing auf Sardinien

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Mitbestimmungsrechte, das heißt Routenwahl oder Auswahl der Materialien, sind beim Klettern stark eingeschränkt. Die benötigten Hilfsmittel sind aus sicherheitstechnischen Aspekten vorgeschrieben, die Wahl der Route oftmals naturgegeben, wobei es in Hallen die Möglichkeit gibt, aus verschiedenen Schwierigkeitsstufen, sich die passende auszuwählen. Künstliche Kletterwände transportieren den Adrenalinkick aus den Alpen immer öfter auch in die deutschen Städte. Der Bezug zur Natur geht dadurch zwar verloren, ein „intensives Erleben“ aber bleibt und somit der Bezug zur Erlebnispädagogik. Die Konzentration muss permanent hoch sein, sei es bei der Suche nach Halt und festen Tritt beim Aufstieg, oder beim Sichern des Abstieges anderer Teilnehmer. Vertrauen in sich selbst und zu den Begleitern, die absichern, muss aufgebaut werden. Eine gute Vorbereitung und Anleitung durch geschultes Personal, vermindern das Risiko eines Absturzes und garantieren die sicherheitstechnischen Abläufe. Gesetzlich verboten ist das private Fassadenklettern, bei dem Gebäude oder Denkmäler erstiegen werden. Diese publikums- und werbewirksamen Aktionen müssen von Behörden genehmigt sein und dürfen nur von Kletterprofis mit jahrelanger Erfahrung durchgeführt werden. Als erlebnispädagogische Maßnahme, eignet sich diese Form des Kletterns, aufgrund des hohen Risikos nicht.

4.4 Der Stadt- Dschungel – „City bound“

Dass Erlebnispädagogik nicht nur in der freien Natur stattfinden muss, zeigt uns die immer größer werdende Anzahl an städtischen Kletterparks. Einprägende Erlebnisse, Kreativität und selbsttätige Handlungen im erlebnispädagogischen Zusammenhang, sind durchaus auch in Städten möglich. Kommunikationskompetenz, Teamfähigkeit und kognitives Wissen können erworben und geschult werden. Die Stadt kann mit anderen Augen neu entdeckt, die Umwelt interessanter gestaltet und der normale Alltag „anders“ erlebt werden. „City Bound“ will das ganzheitliche Lernen durch zielgerichtetes Handeln fördern. Sie fordern die Teilnehmer auf, mit fremden Personen zu kommunizieren und neue „bekannte“ Lebenswelten in Eigenregie zu erschließen. Vorurteile und Ängste können abgebaut und der Blick für das soziale räumliche Umfeld geschärft werden.

Die vielseitigen Möglichkeiten, erlebnispädagogisch zu handeln, sind der Anreiz der städtischen Aktionswelt. Gesellschaftsspiele werden zu realen Schauplätzen und Handlungen, eine Stadtralley zeigt mir neue, vorher unbekannte Seiten meiner Stadt, oder der Umgang mit U- Bahn und Stadtplan wird erlernt, beziehungsweise trainiert. Die körperliche Fitness kann durch Treppensteigen, Fahrradfahren oder Jogging gesteigert werden. Das Abenteuer wird in die Stadt verlegt. Zwei erlebnispädagogische Maßnahmen werden im Folgenden kurz beschrieben:

Das ABC- Spiel wird von mehreren Kinderfreizeiten auf der Insel Ameland, Niederlande, gespielt. Eine Gruppe von etwa fünfzig Kindern wird in zehn Kleingruppen aufgeteilt. Diese erhalten ein Din- A4 Blatt, auf dem das Alphabet senkrecht aufgelistet ist. Hinter jedem Buchstaben befinden sich drei Kästchen. Im ersten tragen die Kinder ein, was sie ertauscht haben, im zweiten wo sie es erworben haben und im letzten, müssen die Tauschpartner unterzeichnen. Alle Gruppen starten mit einem, gleichen Tauschgut, zum Beispiel einem Ei. Dieses muss nun in einer anderen Freizeit oder einem Geschäft gegen einen anderen Gegenstand getauscht werden. Gelingt ihnen der Handel, wird unter dem Anfangsbuchstaben der neuen Dinge die Tauschware eingetragen, die Adresse notiert und der Handelspartner unterschreibt. Ziel des Spiels ist es, möglichst alle Buchstaben des Alphabets zu „ertauschen“. Die Regeln des Spiels sind einfach und verständlich:

- kein Handel mit Privatpersonen,
- kein Geld zum Kauf der Waren benutzen,
- jeder Handelspartner darf nur einmal in Erscheinung treten
- jeden Buchstaben nur einmal benutzen,
- und die Gruppe muss zusammen bleiben.

Die Teilnehmer müssen die Problematik kommunikativ lösen. Es erfordert Selbstbewusstsein und Mut, fremde Freizeiten zu betreten, um dort nach Tauschwaren zu fragen. Mit Hilfe eines Stadtplanes können sie sich orientieren, der Umgang mit diesem Medium wird vorher geübt. Die Kinder haben keine öffentlichen Verkehrsmittel oder Fahrräder zur Verfügung, das bedeutet, sie müssen die Strecken zu Fuß erledigen. Mit der Zusatzaufgabe, es dürfen nur Lebensmittel ertauscht werden, kann nach dem Spiel ein Picknick organisiert werden. Die Teilnehmer sind bei der Durchführung selbsttätig und handeln Eigenverantwortlich. Da sie ohne Betreuer unterwegs sind und es für das Spiel nur eine kurze Anleitung zum Ablauf, aber nicht zum Handeln gibt, müssen sich die Kinder eigene Lösungswege und Strategien erarbeiten. Der zeitliche Rahmen wird im Vorfeld gesetzt, die Spielvorbereitungszeit für die Übungsleiter und der Materialaufwand sind sehr gering.

Ein weiteres Spiel, das sich im erlebnispädagogischen Sinn eignet, mit Kindern oder Jugendlichen auf den Pfaden Hahnscher Erlebnistherapie zu wandeln, ist die Umsetzung des Gesellschaftsspiels „Scotland Yard – Auf der Jagd nach Mister X“ von der Firma Ravensburger (1983). Dieses Spiel wird in mehreren Großstädten, von diversen Organisationen, angeboten. Ein Anbieter ist zum Beispiel City Bound Berlin e.V., ein gemeinnütziger Verein, der seit 1993 im Bereich des erlebnisorientierten Lernens arbeitet. Die selbstdefinierten Ziele des Vereins lauten, ihren Teilnehmern deutlich zu machen, dass selbstbestimmtes Handeln spannend ist und Spaß macht. Dabei sollen nachhaltige Lernprozesse in Gang gesetzt werden, indem die Teilnehmer der Kurse und Aktionen nichtalltägliche Situationen bewusst erleben und sich selbstgewählten Herausforderungen stellen.

Eine genaue Beschreibung findet man auch in dem Buch „Abenteuer in Bewegung“, herausgegeben von der deutschen Wanderjugend (S. 95ff).

Ein „realer“ Mister X wird von mehreren Kleingruppen, die die Detektive spielen, kreuz und quer durch eine beliebige Stadt verfolgt. Voraussetzung für diese Stadt ist ein gut ausgebautes, öffentliches Nahverkehrsnetz, mit U- Bahn oder Straßenbahn, Omnibussen und Taxis. Auf die Mietwagen kann man aus Kostengründen verzichten. Die Teilnehmer dürfen nur zum Umsteigen zu Fuß gehen, alle anderen Strecken müssen mit dem Nahverkehr zurückgelegt werden. Das Ziel des Spiels ist es, den mysteriösen „Mister X“ zu fangen, je nach Absprache einmal oder mehrfach. Dieser ist durch ein spezielles Merkmal gekennzeichnet, zum Beispiel durch einen bunten Hut oder einen Trenchcoat, der farbig markiert ist. Wird er von einer vollständigen Gruppe entdeckt oder entdeckt er die Jäger, darf er den Bahnsteig nicht verlassen. Er kann sich hinter Fahrplantafeln oder Werbung verstecken, Verfolgungsjagden auf Bahnsteigen sind aber strengstens untersagt. Wird er gefunden, melden er sich und die erfolgreichen Detektive telefonisch bei der Einsatzzentrale (Spielleitung). Danach zieht er weiter und bekommt einige Minuten Vorsprung. Die Jagd beginnt erneut. In regelmäßigen Abständen meldet sich der Gejagte in der Zentrale, um seinen Aufenthaltsort preiszugeben. Die Jäger können diesen Ort telefonisch erfragen, ebenfalls in vorher festgelegten Abständen.

Die Teilnehmer dürfen sich nicht trennen, aufteilen oder mit anderen Gruppen verbünden. Sollte jemand die Gruppe verlieren, muss er sich bei der Spielleitung per Handy melden und wird dann zu einem Ort geschickt, zu dem auch der Rest seiner Gruppe telefonisch gelotst wird. Jeder Teilnehmer muss die Möglichkeit besitzen, zu telefonieren, entweder per Handy, mit Kleingeld oder mit einer Telefonkarte, die Nummer der Einsatzleitung muss allen bekannt sein. Die einzelnen Gruppen sind mit einer günstigen Tageskarte und einem Plan des Verkehrsnetzes unterwegs. Auf diesem Plan ist auch das Spielfeld markiert, das nicht verlassen werden darf. Auf ihm wird auch der letzte Standort von „Mister X“ gekennzeichnet und die nächste Route geplant, um ihm den Weg abzuschneiden.

Die Teilnehmer müssen sich an allgemeine Sicherheits- und Verhaltensregeln halten. Bahngleise dürfen nur an den dafür vorgesehenen Stellen überquert, Passanten nicht belästigt und die Spielregeln eingehalten werden. Das Spiel ist gut geeignet, einen ersten Eindruck einer unbekannten Stadt zu bekommen, zum Beispiel auf Klassenfahrten oder Reisegruppen. Die Spieler sollten von einer erwachsenen Person begleitet werden, die sich um die Einhaltung der Regeln kümmert und im Notfall intervenierend eingreifen kann. Die Routenplanung und die Wahl der Verkehrsmittel sollten aber von den Teilnehmern ausgehen, damit das Prinzip der Selbsttätigkeit gegeben ist. Das erfolgreiche Orientieren in einer unbekannten Umgebung stärkt das Selbstbewusstsein, die Angst vor der großen Stadt wird spielerisch abgebaut.

„City – bound“ Veranstaltungen sind vielfältig in ihren Möglichkeiten und Anforderungen. Die Philosophie Rousseaus oder Thoreaus, die Naturverbundenheit als Axiom, werden durch den städtischen „Spielplatz“ zwar ersetzt, die Prinzipien der Selbsttätigkeit, Ernsthaftigkeit und Eigenverantwortlichkeit sind aber gegeben. Die städtischen Aktionen sind oftmals nicht so kostenintensiv. Sie sind zeitlich überschaubarer und verlangen nicht so viel Vorplanung, wie manche Expeditionen, die in der freien Natur stattfinden. In der Stadt kann bei auftretenden Problemen flexibler gehandelt werden, zum Beispiel sind die Wege zu Ärzten oder zu Lebensmittelgeschäften kürzer oder Ersatzteile können schneller besorgt werden.

5. Eine Kinder - Ferienfreizeit im erlebnispädagogischen Kontext

5.1 Die Planungsphase

5.1.1 Anmeldung, Bus, Fähre und Übernachtung:

Die katholische Kirchengemeinde St. Altfrid in Gifhorn bietet seit 35 Jahren diverse Freizeiten für ihre Gemeindemitglieder und andere interessierte Personen an. Eine dieser Freizeiten findet jährlich in den Sommerferien auf der niederländischen Nordseeinsel Ameland statt. Sie ist für 50 Kinder im Alter von 8 – 10 Jahren ausgelegt und dauert inklusive An- und Abreise 18 Tage.

Die Anmeldung der Kinder wird über das Gemeindebüro gesteuert. Sie werden ab dem 1. Februar gesammelt und sind mit einer Anzahlung von 50,- Euro verbunden. Der Gesamtpreis von zurzeit 400,- Euro, ist einen Monat vor Beginn der Freizeit fällig. Da diese Freizeit im Raum Gifhorn sehr bekannt und beliebt, die Teilnehmerzahl aber beschränkt ist und es keine Selektion innerhalb der Anmeldung gibt, ist ein frühzeitiges Anmelden nötig. Es gibt deshalb eine relative Sicherheit was Kostendeckung, Planung und Durchführung der Freizeit betrifft.

Der Transfer Richtung Ameland und retour erfolgt durch einen Reisebus und mehrere Kleinbusse. Er dauert ca. sechs Stunden. Um auf die Insel zu gelangen, bedarf es außerdem noch einer 45 minütigen Fahrt mit einer Autofähre. Sowohl die Busse, als auch die Fähre, müssen ca. fünf Monate vor Fahrtbeginn gebucht werden. Die Kosten werden durch die Teilnehmer getragen.

Die Unterbringung der Kinder erfolgt in einem festen Haus mit insgesamt acht Schlafräumen. Ferner verfügt dieses über einen Speisesaal, eine Großküche, zwei große Badezimmer mit jeweils zwei Toiletten, zwei Duschen und mehreren Waschbecken. Es befindet sich ein integrierter Betreuerraum im hinteren Trakt des Hauses, mit angeschlossenen Lager- und Schlafräumen. Die Zimmer der Kinder sind mit Etagenbetten und Regalen ausgestattet und bieten Platz für 2x16, 2x8 und 2x4 Personen. Weiterhin verfügt das Haus über ein großes Außengelände mit eigenen Fußballplatz, Volleyballfeld, Schaukeln, Freiflächen und Sitzgelegenheiten, die die Kinder eigenverantwortlich nutzen können.

Das Haus liegt zentral im größten Ort (Nes) der Insel Ameland. Die Unterbringung ist im Teilnehmerbetrag inbegriffen. Das Freizeithaus wird ein Jahr vor Beginn der Freizeit gebucht und 1/5 der zu erwartenden Unterbringungskosten angezahlt. Die Betreuer und die Küchenfrauen schlafen außerhalb des Freizeithauses in Zweibettzimmern. Die Lagerleitung ist permanent vor Ort. Jede Nacht sind abwechselnd zwei Betreuer als Nachtwache eingeteilt, die in einem den Kindern bekannten Raum übernachten. Sie sind bei auftretenden, nächtlichen Problemen die Ansprechpartner für die Teilnehmer, kümmern sich um die medikamentöse Versorgung und sind für das morgendliche Wecken zuständig

Abb. 4, Die Unterkunft, Frontansicht

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.1.2 Lagerleitung, Betreuerstab, Planung:

Die Planung und Durchführung der Freizeit obliegt der Lagerleitung und dem Betreuerstab. Ein erstes Rahmenprogramm inklusive Themenfindung, wird vier Monate vor Beginn der Reise erstellt, nachdem die Lagerleitung die Begleitpersonen ausgewählt haben. Diese müssen sich ein halbes Jahr vor Fahrtbeginn mündlich bewerben. Die Lagerleitung besteht aus drei erfahrenen, ehemaligen Betreuern (Zwei Pädagogen, eine dreifache Mutter). Das gesamte Team besteht aus 14 Erwachsenen, die alle einen Jugendgruppenleiterausweis besitzen und Erfahrung im Umgang mit Kinder- und Jugendgruppen (Sportvereine, Kirchengemeinden, Deutsches Rotes Kreuz, etc.) haben sollten. In den vergangenen Jahren bestand das Betreuerteam jeweils aus elf ehemaligen „Ameländern“ und drei neuen Mitgliedern.

Die Kinderfreizeit findet jedes Jahr unter einem wechselnden Motto statt, das für die Verlaufsplanung eine große Rolle spielt. So bleiben zwar die Großaktionen in ihrem Ablauf unverändert und bekommen nur eine andere Bezeichnung, die einzelnen Spiel- und Bastelangebote aber werden dem jeweiligen Motto angepasst, zum Beispiel Federkopfschmuck basteln zum Thema Indianer. Bekannte und neue Großaktionen (Nachtwanderung, Inselrallye, Olympiade, etc.), Spiele, Bastelvorschläge und sonstige Aktionen werden im Vorfeld gesammelt, thematisch angepasst und schließlich in ein vorläufiges Programm gebracht. Die Feinplanung erfolgt dann vor Ort, da einige Aktionen von äußeren Gegebenheiten abhängig sind (Gezeiten, Wetter, etc.). Vor Ort werden auch die Vorschläge der Kinder integriert. Die kreativen Ideen und Impulse der Teilnehmer sind eine Quelle für immer neue Spiel- oder Bastelaktionen, die Sicherheitsaspekte müssen dabei aber gewahrt sein.

5.1.3 Vorhut, Einkauf, Dekoration Innen- und Außenbereich

Die Planung im Vorfeld wird abgeschlossen mit dem Einkauf der Verpflegung und der Bastelmaterialien. Für den Essensplan ist das Küchenpersonal zuständig, zurzeit zwei Damen aus der Gemeinde, die mehrjährige Freizeiterfahrung besitzen und somit kindgerecht kochen können. Bis auf die frischen Lebensmittel wie z.B. Salat und Obst, werden alle benötigten Sachen vor der Abfahrt eingekauft und einen Tag vor Anreise der Kinder und Betreuer, durch fünf Erwachsene (Vorhut) zum Haus transportiert und eingeräumt. Diese Gruppe kümmert sich auch um die Gestaltung der Innenräume und den Aufbau diverser Spiel – und Rückzugsmöglichkeiten im Außengelände. So werden themengebunden z.B. mehrere Zelte aufgebaut (Thema Indianer, ein Friedhof zum Thema Vampire oder ein Magierturm für alle Hexenmeister und Zauberer). Der Speisesaal wird im Laufe der Freizeit von den Kindern gestaltet, mit Dekorationsmaterialien, die die Kinder in Verschnittgruppen selbst gebastelt haben.

5.1.4 Vortreffen, Zimmerverteilung, Gruppeneinteilung:

Von den vorhandenen Schlafräumen werden insgesamt fünf Zimmer durch die Kinder belegt. Ein Raum dient als Krankenzimmer, eins der Aufbewahrung von Werkzeugen und eins als Betreuerübernachtungsmöglichkeit. Die Schlafräume werden sowohl geschlechterspezifisch, als auch möglichst nach Altersgruppen aufgeteilt. An den Türen hängen für die Kinder und Betreuer themengestaltete Belegungspläne. Die Verteilung erfolgt durch die Lagerleitung vor Ort bevor die Kinder die Insel erreichen, es besteht aber die Möglichkeit, die Zimmer zu tauschen. Die Kinder können bereits vor der Abfahrt Wünsche äußern, mit wem sie ein Zimmer teilen und mit wem sie in einer Gruppe sein möchten. Bei der späteren Einteilung wird dann versucht, auf möglichst alle Wünsche einzugehen.

Die Einteilung der fünf einzelnen Gruppen (á zehn Kinder) erfolgt bereits beim Vortreffen. Dabei wird auf eine gleichmäßige Verteilung von Geschlecht und Alter geachtet. Diese Gruppen suchen sich am ersten Tag der Ferienfreizeit einen zum Thema passenden Gruppennamen aus, kreieren einen Schlachtruf und gestalten ein gemeinsames Plakat, passend zu ihrem Namen. In dieser Zusammenstellung wird gegessen und sie sind bei einigen Veranstaltungen ein Team. Jede dieser fünf Gruppen hat zwei feste Betreuer, die an ihren freien Tagen durch so genannte Joker vertreten werden.

Das Vortreffen findet ca. zwei Monate vor der Abfahrt mit den Kindern und deren Erziehungsberechtigten in Räumlichkeiten der Kirchengemeinde statt. Dabei werden sowohl das Konzept, das Haus, das Betreuerteam und das aktuelle, jährlich wechselnde Thema vorgestellt. Mit den Eltern werden organisatorische und auch rechtliche Dinge besprochen. Es gibt eine Material- und eine Bekleidungsliste, die für die Kinder verbindlich sind. Dazu gehören zum Beispiel Sonnencremé, Badesachen, Discooutfit und Fahrradhelm, die im Laufe der Freizeit wichtig werden. Auch eine zum Thema passende Verkleidung sollte zur Ausrüstung gehören. Die Eltern müssen im Vorfeld eine „Elternerklärung“ abgeben, in der sie die Betreuer und die Lagerleitung über eventuelle Krankheiten, Besonderheiten wie Bettnässen oder Schlafwandeln, über die Schwimmerfahrungen ihrer Kinder und über ihre Erreichbarkeit während der Freizeit informieren.

Abb. 5, Schlafraum der Mädchen unter dem Aspekt der „Eigenverantwortlichkeit“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.2 Die Durchführung

5.2.1 Der Tagesablauf:

Der allgemeine Tagesablauf der Freizeit ist durch einige Rahmenzeiten festgelegt. Diese sind zwar im Prinzip flexibel, falls es bei einigen Großaktionen oder Basteinheiten zu Verschiebungen kommt, sie sollen den Kindern aber vor allem als feste Orientierungspunkte dienen. Der Tagesablauf des letzten Jahres ist als Anlage beigefügt. Der Tagesdienst, der unter Anderem für das Tisch decken, den Abwasch und diverse Tagesansagen zuständig ist, wechselt täglich, so dass jede Gruppe drei- bis viermal für einen hoffentlich reibungslosen Tagesablauf zuständig ist.

Abb. 6, Kinder beim Tagesdienst

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.2.2 Das Freizeitprogramm:

Zum Rahmenprogramm der Ferienaktion gehören, je nach Wetterlage, fünf bis zehn Großaktionen, die die Kinder in ihren eigenen, in Kleingruppen oder als Einzelperson erleben. Diese Spiele sind langjährig erprobt und werden durch Ideen neuer Betreuer im Detail immer wieder verändert oder neu gestaltet. Eine dieser Aktionen („Der Tag der Revolution“) wird im Folgenden noch näher dargestellt.

Der höchste Zeitanteil während der Freizeit entfällt auf die so genannten Verschnittgruppen. Dazu gehören diverse Bastel- und Spielangebote, die dem Oberthema angepasst werden und der Kreativität der Kinder freien Lauf lassen sollten, verschiedene Sport- und Strandaktivitäten, Fahrradtouren oder Museumsbesuche. Diese Beschäftigungen werden vor- oder nachmittags vorgestellt. Jeweils zwei bis drei Betreuer suchen sich eine Aktivität aus, beschreiben diese in kurzen Worten den Kindern und diese wählen sich ihr Programm aus. Dabei ist die Teilnahme für die Kinder verpflichtend.

Eine reine Gruppenarbeit findet eher selten statt, um den Kindern mehr Wahlmöglichkeiten in Bezug auf ihre Freizeitgestaltung und Mitstreiter zu bieten. Allerdings sitzen die einzelnen Gruppen beim Essen an einem gemeinsamen Tisch, so dass es für die Kinder einen „familiären“ Bezugspunkt gibt.

5.2.3 „Der Tag der Revolution“:

Eine der bei den Kindern beliebtesten Großaktionen ist „Der Tag der Revolution“, bei dem die Teilnehmer, also die Kinder, für einen bestimmten Zeitraum den Tagesablauf in Eigenregie und in Eigenverantwortung gestalten dürfen/müssen. Die Aktion startet am Tag vor der eigentlichen Revolution mit der Wahl eigener Kinderbetreuer, die am selben Abend eine so genannte Betreuerrunde abhalten. In dieser Runde, die zusammen mit der erwachsenen Lagerleitung stattfindet, werden allgemeingültige Regeln festgelegt, an die sich die Kinder am nächsten Tag halten müssen. Die Lagerleitung (drei Personen) bleibt während der Aktion in einem Raum der Freizeit, um in Notfällen tätig zu werden und das Mittagessen zuzubereiten, sie bleiben ansonsten aber im Hintergrund. Die restlichen Erwachsenen haben an diesem Tag frei und dürfen erst gegen Abend wieder auf dem Gelände erscheinen.

Die Kindergruppenleiter wählen am Vorabend eine eigene Lagerleitung und besprechen in ihrer Betreuerrunde den folgenden Tagesablauf. Dazu gehören die Essenszeiten, der Putzplan, das Spiel- und Bastelangebot und das „Willkommensspiel“ für die Erwachsenen, das aus Erfahrung oftmals in einer Wasserschlacht endet. Dabei sind die Gestaltung und das Angebot der Spiele und Bastelaktionen sehr kreativ und für die Erwachsenen spannend. Die Ideen der Kinder werden gesammelt und Neues in direkter oder leicht veränderter Form für spätere Aktionen übernommen. Somit ist dieser Tag auch ein Kreativpool für folgende Freizeiten. Was jedes Jahr aufs Neue erstaunt, ist der reibungslose Ablauf dieser Großaktion. Es gibt zwar regelmäßig Akzeptanzprobleme in Bezug auf Lagerleitung – Kinderbetreuer – „normaler Teilnehmer“, die aber innerhalb der Gruppe kommunikativ gelöst werden. Die im Haus verbliebenen Erwachsenen müssen nur selten schlichtend einschreiten. Die Reflexion des Tages, am darauf folgenden Morgen, tendiert immer zum Positiven, was Verlauf des Tages und Angebot der Kinderbetreuer betrifft. Negativ beurteilen die Kinder das Gebären der von ihnen gewählten Betreuer, die ihre Machtkompetenzen oftmals „gefühlt“ ausnutzen. Dabei spielt oftmals der Neidfaktor eine Rolle, die Stellung und die Akzeptanz innerhalb der Gruppe ist einigen Kindern sehr wichtig.

Abb. 7, „Tag der Revolution“ – Rückkehr der Betreuer

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

5.3 Nach der Freizeit ist vor der Freizeit

5.3.1 Das Nachtreffen:

Ähnlich dem Vortreffen gibt es zwei Monate nach Beendigung der Ferienfreizeit ein ca. dreistündiges Nachtreffen in den Räumlichkeiten der Kirchengemeinde, zu dem alle Teilnehmer und die Erziehungsberechtigten der Kinder eingeladen werden. Dabei soll das Erlebte reflektiert, Kontakte und Freundschaften gepflegt und Eltern, in Form einer Diashow, über den Verlauf der Freizeit informiert werden. Die Kinder können ihre eigenen Photos präsentieren und nachbestellen, Verbesserungswünsche äußern und eine Photo– CD erwerben. Außerdem können erste Voranmeldungen und Themenvorschläge für das nächste Jahr abgegeben werden.

5.4 Der pädagogische Blickwinkel

Bei unserer Kinderfreizeit steht sicherlich Spiel und Spaß im Vordergrund. Und doch lassen sich einige Abenteuer und Aktionen finden, die durchaus den Theorien der Erlebnispädagogen entsprechen: Rousseaus Naturgedanke wird in Waldspielen, am Watt oder beim Fahrradfahren aufgegriffen, Thoreaus Verzicht auf Luxus und Bequemlichkeit ist räumlich gegeben und John Deweys handlungsorientiertes Lernen findet sich in den spielerischen Großaktionen oder beim Basteln wieder. Die Erlebnistherapie von Kurt Hahn besitzt mehrere Schnittpunkte. Alle vier Elemente seiner Therapie, mit der er den „Verfallserscheinungen“ der damaligen Zeit entgegenwirken wollte, sind auch Teile des Angebotes der Kinderfreizeit:

- das körperliche Training findet sich auf unserem Fußballplatz, bei Bewegungsspielen, Volleyball oder Fahrradfahren wieder,
- der Dienst am Nächsten beim Abwasch, Putzen oder beim Sanitätsdienst,
- das Projekt in diversen Großaktionen und gemeinsamen Spielen und Bastelnachmittagen,
- und letztlich die Expedition, wo man den „Tag der Revolution“ einordnen könnte.

Die Intensität und die Qualität der Erlebnisse sind subjektive Eindrücke der einzelnen Teilnehmer. Das aber bleibende Erinnerungen durch Erlebtes zurückbleiben, wird beim Nachtreffen deutlich, wenn die Kinder die Freizeit Revue passieren lassen. Unmittelbarkeit und Ernsthaftigkeit der Situation werden thematisch eingebunden, die Eigenverantwortlichkeit und Kommunikationskompetenz gefordert und geschult. Die „Salemer Gesetze“ bilden die Grundlage der Aktivitäten auf der Insel, auch wenn nicht jede Maßnahme einen beabsichtigten pädagogischen Hintergrund hat.

Die Kinder werden in den knappen drei Wochen rund um die Uhr betreut. Die Spiele, Sport- und Bastelaktivitäten werden durch die Betreuer angeleitet und teilweise begleitet. Die erwachsenen Personen nehmen aber nicht aktiv Einfluss auf Ablauf und Durchführung der Maßnahmen, sondern intervenieren nur in Fällen, wo Sicherheitsaspekte es erfordern oder Konflikte entstehen, die von den Kindern nicht mehr eigenständig gelöst werden können. Die relativ hohe Personenzahl an Teilnehmern und Begleitern und die Zimmerbelegung durch mehrere Personen sind für den Großteil der Kinder eine völlig neue Erfahrung, die sie verarbeiten müssen. Durch den Wandel der Familie im Medienzeitalter, in der viele als Einzelkinder aufwachsen und es immer mehr alleinerziehende Eltern gibt, müssen Kommunikationskompetenzen und soziales Verhalten trainiert und gefordert werden. Die Selbstverantwortung hat keine Präferenz, aber Selbstbewusstsein stärken und eigenständiges Handeln fördern, sind Aufgaben der Ferienfreizeit. Die ungewohnte Umgebung, die Sprache und das fremde Land sind für viele schon ein Abenteuer, das erforscht und erlebt werden muss.

Abb. 8, Floßfahrt mit Hindernissen

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Der Kreativität der Kinder sind kaum Grenzen gesetzt. Durch das Einbinden der Freizeit in ein bestimmtes Thema, wird die Phantasie der Teilnehmer angeregt. Die freie Wahl der Verschnittgruppen ermöglichen, aktiv zu werden, bei Dingen, die eigenes Interesse wecken oder eigenen Talenten entsprechen. Dabei ist die Teilnahme an den Veranstaltungen und dem Tagesprogramm verpflichtend, es besteht aber die Möglichkeit der freien Wahl, bei welcher Aktivität ich letztlich mitmache. Es gibt immer sportliche, kreative oder naturverbundene Maßnahmen, die parallel zueinander angeboten werden.

6. Erlebnispädagogik in der Kritik

Die Erlebnispädagogik bietet mit all ihren Facetten viele Möglichkeiten, in pädagogischen Handlungsfeldern tätig zu werden. Die Verknüpfung von Gemeinschaft, Natur, Bewegung und Erlebnis lässt sich in vielen pädagogisch angelegten Aktivitäten wiederfinden. Die „zurück zur Natur“ Philosophie von Jean- Jacques Rousseau ist Bestandteil vieler Wandertouren oder Kajakfahrten, Thoreaus Einfachheit ist in jedem Zeltlager wieder zuerkennen. Die Teilnehmer werden zu selbsttätigem Handeln animiert, können ihr Selbstvertrauen auf- und Ängste abbauen, die Kommunikationsfähigkeit steigern und ihre Sozialkompetenzen erweitern. Sie bietet Action und nicht „alltägliche Langeweile“. Die Computergeneration wird wieder in Bewegung versetzt, die körperliche Fitness gesteigert und die Phantasie der Kinder oder Jugendlichen wird angeregt. Die reformpädagogischen Ansätze der Erlebnispädagogik haben Einzug in den Alltag der heutigen Generation gefunden, in der Gestaltung der Freizeit, sowie in den Schulen, bei der Planung von Projektwochen oder Klassenfahrten. Sie kann als Gegenpol für die eingezäunten und asphaltierten Spielplätze und Pausenhöfe der Großstädte angesehen werden, die aggressionsfördernd auf Kinder wirken können (Perschke, S.10). Die Erlebnispädagogik hinterlässt bleibende Eindrücke, sei es durch Erleben oder handlungsorientiertes Lernen. Sie ist ein Konzept, mit dem man dem tristen Alltag entfliehen kann, sowohl als Teilnehmer, als auch als Betreuer.

Aus all diesen Gründen boomt die Erlebnispädagogik seit Mitte der Achtziger Jahre. Seilgärten, Kletterstationen oder Erlebnisbäder sprossen wie Pilze aus dem Boden. Aber parallel zu den immer weiter ansteigenden Angeboten, fanden sich auch immer mehr Kritiker dieser Reformpädagogik.

Der diplomierte Sozialpädagoge Thomas Schott geht in seinem Buch „Erlebnispädagogik“ von vier wichtigen Charakteristika aus, die das Erlebnis als Mittel der Pädagogik erschweren (S.163ff). Zunächst nennt er die Nichtverfügbarkeit eines Erlebnisses, das durch Zufälligkeit und spontan entsteht und nicht durch Lehrer, Betreuer oder durch Eigeninitiative hervorgerufen wird. Es können lediglich die Rahmenbedingungen für die Entstehung geschaffen oder erschwert werden. Das zweite Problem ist die Subjektivitätskomponente. Für Schott existiert eine subjektive Erlebnisfähigkeit, das bedeutet, jedes Individuum empfindet Situationen anders, mit mehr oder weniger tiefen Eindrücken. Der dritte Punkt ist der Seltenheitscharakter eines Erlebnisses und der letzte die Manipulation durch das Erlebnis, mit dem der Betreuer Einfluss auf den Teilnehmer, im guten und im schlechten Sinne, ausüben kann. Letzteres wurde im Nationalsozialismus zu nutzen versucht, wo gerade dem Gemeinschaftserlebnis eine große Bedeutung beigemessen wurde.

Heckmair und Michl betrachten die kritischen Ansätze zur Erlebnispädagogik ausführlicher und differenzierter (S. 224ff). Sie widersprechen der These von T. Ewald, dass sie sich in den Neunzigern den historischen „pädagogischen“ Theorien der Nazizeit angleicht und diese wieder aufgreift. Ewald gibt zu bedenken, dass aus seiner Sicht zwar die Ganzheitlichkeit gegeben ist, die Erlebnispädagogik aber das Erziehungsziel zur politischen Mündigkeit vermissen lässt. Es wird nur der Erlebnishunger der Teilnehmer und Betreuer gestillt und gesellschaftliche Defizite zu beheben versucht. Für Heckmair und Michl hängt die Qualität einer erlebnispädagogischen Maßnahme aber nicht von ihrem historischen Bezug ab, stattdessen hat ein gesellschaftlicher Wandel politischer Aktivität stattgefunden. Anstelle von Podiumsdiskussionen und politischer Stammtische, finden sich immer mehr Interessierte, die sich vor Ort aktiv für den Naturschutz einsetzen.

Auch die Frage des Transfers in den Alltag der Teilnehmer wird diskutiert. Für beide Autoren sind dabei die Außenbezüge und Umwelteinflüsse entscheidend für die erlebnispädagogischen Aktivitäten. Die Komplexität der gestellten oder spontan auftretenden Aufgaben fordern den Einzelnen oder die Gruppe auf, kreative, systematische oder spontane Lösungsstrategien zu entwickeln. Sie sind in ihrer Unmittelbarkeit real existent und konkret fassbar und können somit in den Alltag transferiert werden.

Ein weiterer Kritikpunkt in der pädagogischen Debatte ist die langfristige Wirkung des Handelns, in Richtung auf die definierte Zielvorgabe. Empirische Belege lassen sich in der Wissenschaft kaum finden. Bei einer Befragung von 2500 Probanden im Jahr 1990, fanden Jagenlauf und Bress heraus, dass 70 % der Befragten, einer erlebnispädagogischen Maßnahme einen „starken“ Einfluss auf ihre persönliche Entwicklung attestierten, 50% waren nach Jahren immer noch der Meinung, dass diese Aktivitäten ausschlaggebende Ursache für ihr späteres, individuelles und soziales Verhaltens waren.

Das Kontra- Argument, dass die Erlebnisse nur subjektive Eindrücke bei Individuen hinterlassen, ist für Heckmair und Michl kein Widerspruch zur pädagogischen Arbeit. Die Ziele der handelnden Personen, zum Beispiel die Steigerung des Selbstbewusstseins oder der Konfliktlösungsfähigkeit, sind auch nicht bei allen Beteiligten gleichzusetzen, eher ist sie für die individuelle Persönlichkeitsentwicklung nutzbar.

Männliche und konservative Werte dominieren die Erlebnispädagogik. Diese These wird allein schon durch Minna Specht widerlegt, die in Zusammenarbeit mit Kurt Hahn die Philosophie der modernen Erlebnispädagogik entscheidend mitgeprägt hat. Durch die Liberalisierung des Erziehungsstils in den Siebzigern, der Emanzipationsbewegung der Frau in den Achtziger- und Neunziger Jahren und dem damit folgenden Wandel der Familienform, sind Mädchen und Frauen inzwischen nicht nur politisch, sondern vor allem gesellschaftlich gleichgestellt.

Der Mensch hat in der unberührten Natur nichts zu suchen, denn sein Eingreifen hinterlässt eine Spur der Zerstörung. Diese harte Kritik der Ökologen, die die Informationen über die Natur lediglich über Medien vermitteln möchten, übersieht dabei die Tatsache, dass gerade der direkte Umgang mit der Materie zum Nachdenken und Handeln animiert. Kognitives Wissen, die Achtung und der Respekt vor der Natur und das verantwortungsbewusste Bewegen in dieser Umgebung, werden in den erlebnispädagogischen Maßnahmen gefördert.

In der Öffentlichkeit steht die Erlebnispädagogik durch ihren hohen Kostenfaktor in der Kritik. Bei der Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher wurde, in den Achtzigern und Neunzigern, vermehrt auf die erlebnispädagogischen Theorien Kurt Hahns gesetzt. Bei Segeltouren sollte die Kommunikationskompetenzen, das Gemeinschaftsgefühl und die Sozialisation gefördert werden. Diese Törns sind allerdings sehr kostenintensiv und der pädagogische Effekt nur schwer nachzuvollziehen oder zu beweisen. Auch die Unterbringung in ausländischen Einrichtungen oder zum Beispiel, als Arbeitskräfte auf Bauernhöfen in Polen, wo die Jugendlichen betreut werden, sind in der Öffentlichkeit kritisch betrachtet worden. Der Kosten – Nutzen Faktor für die Gesellschaft, ist für Laien kaum nachzuvollziehen und wurde in der Vergangenheit durch die Medien sehr einseitig kritisiert (Fall des Serienstraftäters Mehmet in München). Die Erlebnispädagogik wird als „Urlaub auf Staatskosten“ tituliert, die Finanzierung trägt der Steuerzahler.

Erlebnispädagogik muss aber nicht teuer sein. Nehmen wir das Beispiel „Scotland Yard – Auf der Suche nach Mister X“. Dieses Spiel wird von Citybound Berlin e.V. angeboten und kostet für 30 Teilnehmer 230,- Euro, bei einer Spieldauer von ungefähr vier Stunden. Umgerechnet sind das 1,91 Euro pro Spieler/pro Stunde, ein durchaus finanzierbarer Rahmen.

7. Resümee

Die Erlebnispädagogik, als Gegenpol zur heutigen Lebenseinstellung vieler Kinder und Jugendlicher zu nutzen, halte ich für ein probates Mittel. Der Ruf nach Action und Abenteuer, die Bewegungsarmut der Computergeneration, die Langeweile im Unterricht oder die Flucht aus dem Alltäglichen, alle diese Faktoren lassen sich durch die Erlebnispädagogik stillen. Sie lässt sich in der Schule und in der Freizeit einsetzen, in der Jugendarbeit, Jugendsozialarbeit, Erziehungshilfe oder in der Resozialisierung straffällig gewordener Jugendlicher. Sie ist zeitlich flexibel und in ihren Möglichkeiten sehr variabel. Kognitives Wissen und Kommunikationskompetenzen können erworben, Selbsttätigkeit, Eigenverantwortlichkeit und Selbstbewusstsein erhöht werden, es kann zu einer Motivationssteigerung führen oder einfach nur zu mehr körperlicher Fitness. Es gilt aber dabei zu beachten, dass nicht jede Aktivität außerhalb des normalen, alltäglichen Rahmens, einer erlebnispädagogischen Maßnahme gleichzusetzen ist. Es gibt einige methodische und didaktische Bedingungen, die meines Erachtens erfüllt werden müssen:

- die Maßnahmen müssen überschaubar und nachvollziehbar sein (Strukturierung, zeitlich begrenzt, Echtheit),
- selbsttätiges Handeln steht im Vordergrund,
- der Gruppe individuell angepasst sein (Differenzierung),
- gut vorbereitet und durchdacht sein (Sicherheitsaspekt),
- der Förderung sozialer Kompetenzen dienen (Teamfähigkeit, Kommunikation, etc.),
- finanzierbar sein,
- allen Beteiligten Spaß machen
- und bleibende Eindrücke hinterlassen.

Die Kinderfreizeit auf der Insel Ameland, die ich seit 21 Jahren als Betreuer und Leiter begleite und durchführe, erfüllt einen Großteil dieser Bedingungen. Der erlebnispädagogische Aspekt wurde mir aber erst im Verlauf der Ausarbeitung der Hausarbeit bewusst. Den zwar ungewollten, aber vorhandenen, engen Bezug zur Erlebnistherapie Kurt Hahns, sehe ich für mich als treibende Kraft, diese Freizeit auch in den nächsten Jahren anzubieten, um Kindern aus sozial und finanziell schlechter gestellten Familien die Möglichkeit zu bieten, intensive Erlebnisse zu erfahren und bleibende Eindrücke zu erwerben. Denn wie sagte schon der deutsche Philosoph Johann Gottlieb Fichte (1762 – 1814): „Handeln, das ist, wozu wir da sind!“ (Zitat Nr.: 4429

Literaturverzeichnis

H.G. Bauer: „Erlebnis- und Abenteuerpädagogik – Eine Entwicklungsskizze“, R. Hampp Verlag, München und Merning, 2001, 6. Auflage

W. Dewald, L. Kraus, M. Schwiersch: „Missgeschicke – Eine Sammlung erlebnispädagogischer Praxisfälle“, Eigenverlag DKS, Pfronten, 2003

B. Heckmair, W. Michl: „Erleben und Lernen – Einführung in die Erlebnispädagogik“, E. Reinhardt Verlag, München und Basel, 2004, 5. Auflage

A. Metz / M. Lölkes / J. Bertram: „Abenteuer in Bewegung - Praxishandbuch zur Erlebnispädagogik“, Deutsche Wanderjugend, Kassel

A.S. Neill: „Die grüne Wolke – den Kindern von Summerhill erzählt“, Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg, 1987

H. Perschke / P. Flosdorf: „Sicherheitsstandards in der Erlebnispädagogik – Praxishandbuch für Einrichtungen und Dienste in der Erziehungshilfe“, Juventa Verlag, Weinheim und München, 2003

A. Reiners: „Erlebnis und Pädagogik“, Sandmann, München, 1995

J.J. Rousseau: „Emile oder über die Erziehung“, P. Reclam Junior Verlag, Stuttgart, 2004

T. Schott: „Kritik der Erlebnispädagogik“, Ergon Verlag, Würzburg, 2003

H.D. Thoreau: „Walden oder Leben in den Wäldern“, Zürich,1971

J. Ziegenspeck: „Erlebnispädagogik – Rückblick, Bestandsaufnahme, Ausblick“, Lüneburg, 1992

www.wikipedia.de, Zugriff am 15.08.2006

www.erlebnispädagogik.de, Zugriff am 25.09.2006

www.philofex.de, Zugriff am 25.09. 2006

www.ameland-ferien.de, Zugriff am 12.10.2006

www.cityboundberlin.de/Angebote/Aktionen__Kurse/Stadtspiele/stadtspistadtspiele.html, Zugriff am 20.10.2006

www.cityboundberlin.de/Wir_uber_uns/wir_uber_uns.html, Zugriff am 20.10.2006

Abbildungsverzeichnis

Abb.1, Seite 37: www.hochseilgarten-bau.de/frame_seite.htm, Zugriff am 14.10.2006

Abb.2, Seite 40: www.fun-rafting.at/inn.html, Zugriff am 14.10.2006

Abb.3, Seite 43: www.sardinien.com/sport/free.htm, Zugriff am 15.10.2006

Abb. 4, Seite 51: www.ameland-tips.de/beijaard_nes/index.html, Zugriff am 2.11.2006

Abb. 5, Seite 56: www.ameland-ferien.de, Zugriff am 2.11.2006

Abb. 6, Seite 57: Privatphoto, 10.07.2005

Abb. 7, Seite 60: www.ameland-ferien.de, Zugriff am 3.11.2006

Abb. 8, Seite 63: Privatphoto, 20.08.2006

Anhang

Spezieller, allgemeiner Tagesablauf auf Ameland

Tagesablau f

l2.45h Tisch decken macht der neue Tagesdienst l3.00h Mittagessen, danach Leistungsabwaschen der Tagesdienstgruppe (Lollies verteilen nicht vergessen) l3.30h -l4.30h Kiosktime (Uhrzeit variabel...) l3.30h Betreuerrunde (Tagesdienst passt auf die Kinder auf, und erzählt Lügengeschichten, Protokoll anfertigen, im Betreuerraum aushängen und dem Tagesdienst evtl. erläutern, der sich aber selbstständig informiert und Entscheidungen akzeptiert, sich später rächen kann (man macht manchmal ganz neue Knoterfahrungen),...)

ab l5.00h Programm (vorherige Ansage wieder verkleidet und themenbezogen,...) l8.l5h Tisch decken, des geübten Tagesdienstes l8.30h Abendessen, danach Einsatz des Tagesdienstes zwecks Geschirreinigung ab 19.30h Abendaktion 2l.00h Abendrunde vom Nachdienst vorbereitet, danach Kinder ins Bett scheuchen, 2l.45h Gutenachtgeschichte, Küsse vor der Geschichte nicht vergessen, jeder liest, in jedem Zimmer mal vor, wer fertig ist mit vorlesen oder gar nicht lesen brauchte, verhält sich ruhig auf dem Flur bis auch die letzte Wahnsinnsgeschichte zu ende ist 22.00h Betreuer aus den Zimmern raus und Nachtruhe -

Nachtdienst:

Für Ruhe sorgen, damit die Betreuer sich in Ruhe unterhalten können

Bettenkontrolle" (nicht das sich ein Kind im Bett geirrt hat, gab's schon...)

Frühstückstische decken Morgenrunde vorbereiten Tagesplantafel künstlerisch gestalten Küche aufräumen, abwaschen, Tisch decken, einen Lobbrief an die Küche (damit die Küchenfrauen nicht streiken) Zähne putzen nicht vergessen und im Kiosk schlafen (Finger weg vom Mitbetreuer/-in) Fahrtauglichkeit 8.l5h mit Pauken und Trompeten die Kinder aus dem Bett holen (sonntags evtl. erst 8.45h) 8.45h Morgenrunde (singen besser nicht, sonst aber immer, Kinder und Betreuer themenbezogen auf den Tag einstimmen, wer zu spät kommt, abwaschen schön), danach Frühstück Tagesdienst:

Kinder mit Nutella, Marmelade, etc. beladen und aufdecken lassen .Verschnittgruppenerläuterung und Aufteilung der Kinder, Geschirr abwaschen, nasse Geschirrhandtücher auf die Leine hängen, Ausfegen (Schlafräume, Flure, Essraum)

Toiletten putzen, wischen, Toilettenpapier nachfüllen)

Mülleimer ausleeren Großputz: alle Räume wischen ab l0:00 h Programm, danach hat der Tagesdienst frei... " Die „Freibetreuer" sind zum Mittagessen am nächsten Tag wieder ausgeruht zur Stelle, begrüßen alle Kinder besonders die eigene Gruppe und geben wieder Vollgas...

Erklärung:

Hiermit versichere ich, dass ich die vorliegende Arbeit selbständig verfasst und keine anderen, als die von mir angegebenen Hilfsmittel benutzt habe.

Gifhorn, 26. November 2006

Matthias Walden

Ende der Leseprobe aus 59 Seiten

Details

Titel
"Carpe Diem" - Erlebnispädagogik als Bildungskonzept und Persönlichkeitstraining
Hochschule
Technische Universität Carolo-Wilhelmina zu Braunschweig
Note
3
Autor
Jahr
2007
Seiten
59
Katalognummer
V111494
ISBN (eBook)
9783640095452
ISBN (Buch)
9783640117383
Dateigröße
794 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Carpe, Diem, Erlebnispädagogik, Bildungskonzept, Persönlichkeitstraining
Arbeit zitieren
Matthias Walden (Autor:in), 2007, "Carpe Diem" - Erlebnispädagogik als Bildungskonzept und Persönlichkeitstraining, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/111494

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