Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Situation zu Beginn des Jahrhunderts
2.1 Situation in der Kolonie
2.2 Situation in England
3 Entwicklung in den Chesapeake-Bay-Kolonien
3.1 1616-1661
3.2 1662-1685
3.3 1686-1700
4 Entwicklung des Tabakkonsums in England
4.1 Soziolkulturelle Aspekte
4.1.1 Die Maskulinität des Tabaks
4.1.2 Der Tabakkonsum unter den Frauen
4.2 Fiskalische Eingriffe
4.2.1 Regentschaft König Jakobs I & VI 1603-1625
4.2.2 Regentschaft König Karls I 1625-1649
4.2.3 Regentschaft Oliver Cromwells, Karls II und Jakob II & VII 1649-1701
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
1 Einleitung
Tabak ist die weltweit am weitesten verbreitete, nicht essbare Feldfrucht und wird in mehr als achtzig Ländern angepflanzt.1 Die ursprünglich aus Amerika stammende Pflanze wurde gegen Ende des 15. Jahrhunderts von den Spaniern erstmals nach Europa gebracht und verbreitete sich von der Iberischen Halbinsel innerhalb kürzester Zeit in Europa und durch die weiteren Entdeckungsfahrten um den ganzen Globus.2 Heutzutage dominieren im Tabakdiskurs medizinische und soziologische Argumente, doch diese Seminararbeit soll die historische und ökonomische Perspektive auf den Tabak bedienen. Wenn heute in politischen Diskussionen von der Tabakindustrie die Rede ist, wird damit der „Hauptfeind der öffentlichen Gesundheit“ assoziiert.3 Als die Pflanze in Europa ankam, sah man in ihr das genaue Gegenteil, nämlich ein nahezu universell einsetzbares Allheilmittel. Doch nicht nur aus medizinischen Gründen wurde Tabak an den Adelshöfen Europas angebaut, auch als Zierpflanze erfreute sich das Gewächs in diesen Kreisen großer Beliebtheit.4 Von den beinahe hundert bekannten Tabakarten sind es fast ausschließlich die Nicotina tabacum und die Nicotina rustica, die zu kommerziellen Zwecken gepflanzt und geerntet werden. Diese Arten weisen wiederum Varietäten auf, welche nach den Blattformen und den verschiedenen Methoden der Trocknung unterschieden werden. Die dominante Sorte am Weltmarkt ist der sogenannte VirginiaTabak, welcher circa fünfzig Prozent des weltweit produzierten Tabaks ausmacht.5 Auch wenn heute China der mit Abstand größte Tabakproduzent der Erde ist, verweist der Name des VirginiaTabaks auf seine nordamerikanischen Ursprünge. Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts beschränkte sich der Tabakanbau im großen Stil auf die europäischen Kolonien in Nord und Südamerika.6
Das Konsumverhalten von Tabak in Europa veränderte sich im Laufe der Jahrhunderte kontinuierlich7, doch eine Betrachtung des Konsums über den gesamten Zeitraum der letzten knapp fünfhundert Jahre würde den Rahmen dieser Arbeit sprengen. Also wird ein geographischer und zeitlicher Fokus auf den Tabak in England im 17. Jahrhundert gelegt. In diesem Zeitabschnitt stieg der Pro-Kopf-Konsum von Tabak in England um mehr als das zweihundertfache8, weshalb sich eine genauere Untersuchung dieser frühen Phase des Tabaks als Genussmittel anbietet. Darüber hinaus war England als Kolonialmacht der Chesapeake-Bay-Kolonien (Virginia und Maryland) einer der Hauptimporteure von virginianischem Tabak.9 Die Seminararbeit setzt sich also mit den Wechselwirkungen zwischen der tabakproduzierenden Kolonie und dem Mutterland England auseinander, in welchem die Nachfrage nach Tabakprodukten im 17. Jahrhundert so drastisch stieg. Hierbei sollen fiskalische Eingriffe, wie beispielsweise Steuern und außenpolitische Konflikte, welche mit dem Tabakhandel in Verbindung stehen, ebenso beleuchtet werden, wie die Veränderung des Konsumverhaltens in der Bevölkerung. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt jedoch auf der Seite des Konsums. Die anderen benannten Faktoren sollen lediglich den Kontext skizzieren, in welchem dieser stattfindet. Als Forschungsfrage lässt sich demnach folgende Formulierung nennen: Wie wirkte sich die Wechselwirkung zwischen England und seiner Chesapeake-Bay-Kolonie auf den englischen Tabakkonsum im 17. Jahrhundert aus? Zur Beantwortung dieser Forschungsfrage stützt sich diese Seminararbeit auf eine intensive Literaturrecherche.
Das Argument oder die Hypothese, welche an dieser Stelle vorab in den Raum gestellt wird, besagt, dass die initiative Produktion von Tabak in der Kolonie ausschlaggebend für den Anstieg und die Veränderung des Konsums war und nicht umgekehrt. Um diesbezüglich zu argumentieren, ist die Arbeit so gegliedert, dass nach dem einführenden Kapitel die Situation zu Beginn des 17. Jahrhunderts in der Kolonie sowie im Mutterland England beschrieben wird, um den Kontext zu umreißen. Darauf folgt ein Kapitel, welches nun die Veränderungen im Raum Virginia beleuchtet, um zu zeigen, wie der Tabak sich als Nutzpflanze durchsetzte und zum treibenden Wirtschaftsfaktor der Region wurde und welche Auswirkungen dies auf die Landwirtschaft und die Gesellschaft hatte. Im nächsten Abschnitt soll der Tabak in England thematisiert werden. Angefangen von Handelsbilanzen über fiskalische Eingriffe bis hin zur Art des Konsums sollen in diesem Hauptteil analysiert werden. Bei der Frage, welche Gesellschaftsschichten in England Tabak wie konsumiert haben, ist die kulturhistorische Perspektive auf die Thematik von großer Relevanz. Nach den beiden beschreibenden Kapiteln wird im Fazit versucht, die Verflechtungen der beiden Regionen zu interpretieren um so die aufgestellte Hypothese unterstreichen, beziehungsweise gegebenenfalls widerlegen zu können. Außerdem soll dieser abschließende Teil die Seminararbeit in kurzer Zusammenfassung abrunden.
2 Situation zu Beginn des Jahrhunderts
2.1 Situation in der Kolonie
Im April 1607 landeten drei Schiffe der Virginia Company of London mit einer Besatzung von 105 Männern an der Chesapeake-Bay, einer langgestreckten Meeresbucht im Osten Nordamerikas, um dort eine englische Kolonie zu errichten. Es brachen 143 Siedler zu dieser Reise auf, doch nur etwa zwei Drittel erreichten das Ziel lebendig. Sie setzten sich zu einem großen Teil aus Mitgliedern des englischen Landadels, Soldaten und Handwerkern zusammen. Frauen und Kinder sollten zu einem späteren Zeitpunkt nachgeholt werden, sobald die Siedlung gesichert war. Von diesen 105 Siedlern überlebten gerade 53 das erste Jahr in der neuen Welt. Ziel dieser Mission war in erster Linie, eine dauerhafte Besiedlung vorzubereiten und Gold und Silber zu finden. Die ersten Jahre und Jahrzehnte waren jedoch geprägt von Hungersnöten, Krankheiten und kriegerischen Auseinandersetzungen mit der indigenen Powhatan-Konföderation, welche in diesem Gebiet ansässig war.10 Nachdem die Kolonialisten die ersten Lebensmittelengpässe durch Handel mit der indigenen Bevölkerung (und Beraubung dieser) bewältigen konnten und die Siedlung Jamestown befestigt und militärisch gesichert hatten, begannen sie 1610 mit dem Anbau von Tabak.
Kultiviert wurde jedoch nicht die von den Einheimischen gerauchte Sorte Nicotina rustica, sondern die aus Trinidad eingebrachte Sorte Nicotinia tabacum, was sich als großer Erfolg herausstellte.11 Das feuchtheiße Klima und die Bodenbeschaffenheit boten gute Bedingungen für das gedeihen der Pflanze. Da durch den intensiven Anbau der Boden rasch ausgelaugt wurde, benötigten die Tabakbauern trotz anfänglich geringer Anbauflächen relativ viel Land, um langfristig vom Tabakanbau leben zu können. Die Qualität der Tabakblätter hing zu einem beträchtlichen Teil von der Pflege der Pflanze ab, weshalb ein hoher Personalaufwand betrieben werden musste, um eine gewinnbringende Ernte einfahren zu können.12 Problematisch war diesbezüglich, dass die Sterblichkeit in der Bevölkerung durch Unterernährung und das Grassieren verschiedene Krankheiten extrem hoch blieb. Nur durch die kontinuierliche Sendung neuer Siedler durch die Virginia Company of London blieb die Kolonie bestehen. In der Zeit von 1607 bis 1622 immigrierten mehr als 7000 Menschen in die Chesapeake-Bay-Kolonien. Als es 1622 zum „Großen Massaker“, einer kriegerischen Auseinandersetzung zwischen den Kolonialisten und den Ureinwohnern kam, zählte die Bevölkerung nur mehr 1200 Menschen. Nach diesen Kämpfen stand die Virginia Company of London vor dem Ruin und die Englische Krone übernahm die direkte Herrschaft über die Kolonie13. Neben Tabak waren auch mit Wein und Seide Anbauversuche gestartet worden, welche aber auf dem Gebiet von Virginia relativ schnell wieder aufgegeben wurden. Der Export von Tabak stellte somit von Beginn an die Grundlage der wirtschaftlichen Existenz der Kolonie dar.14
2.2 Situation in England
Im auslaufenden 16. und bis zur Hälfte des 17. Jahrhunderts brachte ein starkes Bevölkerungswachstum in England einige Probleme mit sich. Lebten um 1600 noch circa vier Millionen Menschen auf dem englischen Teil der Insel, so wuchs diese Zahl bis ins Jahr 1640 auf 5,4 Millionen. Die Einwohnerzahl stieg jedoch schneller, als die Lebensmittelproduktion und somit kam es hier zu Engpässen und Hungersnöten. Durch Steigerung der landwirtschaftlichen Produktion konnten diese Schwierigkeiten relativ rasch überwunden werden. Die Lebensmittelpreise blieben jedoch sehr hoch und durch die Inflation sank den Lebensstandard der Teile der Bevölkerung, die einer Lohnarbeit nachgingen. Durch das Bevölkerungswachstum wurde nicht nur Nahrung knapper, sondern auch Land und Arbeitsplätze. Zur Jahrhundertwende war Arbeitslosigkeit in England weit verbreitet. Der größte Teil der arbeitenden Menschen war im landwirtschaftlichen Sektor beschäftigt, wodurch saisonabhängig die Zahl der Beschäftigungslosen sprunghaft anstieg. Den größten Industriezweig stellte die Textilindustrie dar, in der etwa 200 000 Menschen Arbeit fanden.15 Diese schwierigen wirtschaftlichen Bedingungen bildeten die Grundlage für die beginnende Emigration vieler junger Männer in Richtung der neuen Kolonien jenseits des Atlantiks.16
In ebendiese wirtschaftlich so Herausfordernde Periode fällt auch der Beginn der Etablierung des Tabaks als Genussmittel in England. Nachdem der Tabak Ende des 15. Jahrhunderts via Spanien nach Europa gelangt war, erreichte er England in den 1560er Jahren. Vorerst als Zierpflanze und medizinisches Allheilmittel betrachtet, begann mit Ende des 16. Jahrhunderts der Konsum des Tabaks zu Genusszwecken. Damit war der Tabak die erste einer Reihe von Drogen, welche aus dem Ausland nach England importiert worden waren und eine Transformation vom Heil- zum Genussmittel durchliefen. Ihm folgten der Tee, der Kaffee, Kakao, gebrannte Spirituosen und Opium.17 Im Jahr 1603, dem ersten Jahr mit diesbezüglich ausreichender Datenlage, importierte England 25 000 Pfund Tabak aus Spanien. Wie hoch der Anteil des im Eigenanbau produzierten Tabaks war, ist vom heutigen Standpunkt aus schwer nachzuvollziehen.18 Die Engländer übernahmen die Konsumgewohnheiten aus Amerika, welche sie in diversen Entdeckungsfahrten beobachten konnten. Dabei ist die üblichste Vorgehensweise, dass die Tabakblätter getrocknet, zerkleinert und schließlich in Pfeifen geraucht wurden. Das Rauchen wurde in den frühen Jahren auch als „Tabaktrinken“(drinking tobacco) bezeichnet. Am weitesten verbreitet waren dazu Keramikpfeifen, welche mit steigender Nachfrage im Laufe des 17. Jahrhunderts in Massen und sehr günstig in England produziert wurden.19 Um 1600 war der Tabak ein Luxusprodukt, das lediglich einer kleinen Oberschicht zugänglich war und innerhalb dieser fast ausschließlich von Männern konsumiert wurde. Für ein Pfund spanisch-amerikanischen Tabak bezahlte der Endverbraucher durchschnittlich 1£ 10S20, wobei ein Arbeiter üblicherweise nicht mehr als 8 Pence verdiente.21
König Jakob (James) I von England und VI von Schottland, welcher 1603 den Thron bestieg und das Land absolutistisch regierte, war ein ausgesprochener Gegner des Tabaks. Im Jahr nach seiner Machtübernahme verfasste und veröffentlichte er mit dem Counterblaste to Tobacco ein Pamphlet, in dem er nicht nur den Tabak, sondern auch die vermeintlichen Männer, die ihn in England salonfähig gemacht hatten, auf religiöser, medizinischer, moralischer und politischer Ebene angriff.22 Diese Aversion gegen das Genussmittel drückte sich nicht nur dieser kritischen Schrift aus. Der König führte auch eine „Sündensteuer“ auf importierten Tabak ein und versuchte später Einfluss auf die Agrarproduktion in den Chesapeake-Bay-Kolonien nehmen, indem er die Produktion von Seide und Wein subventionierte. Die virginianischen Tabakbauern ließen sich davon jedoch nicht umstimmen und folgten weiter ihrem eingeschlagenen Weg. Weder kam es zum Versuch mit der Zucht der Seidenwürmer zu beginnen, noch schaffte es der Weinanbau eine Rolle im transatlantischen Handel zu spielen.23 Die Gründe für diese tabakfeindliche Haltung König Jakobs I & VI liegen zum einen in der wirtschaftlichen und politischen Situation, in der sich England zu diesem Zeitpunkt bezüglich des Tabaks befand. So lag es alles andere als im Interesse der Englischen Krone, dass sich Spanien mit Tabakexporten am englischen Konsum bereichern konnte. Auch die persönliche Fehde des Königs mit dem Seefahrer Sir Walter Raleigh, welcher den Tabak auf seiner Überfahrt nach Roanoke für sich entdeckte und für das exotische Ritual des Pfeiferauchens in England eine Art Vorbildfunktion einnahm, spielte in der Schrift eine nicht zu übersehende Rolle.24
Trotz aller Abneigung gegen den Tabak, arrangierte sich König Jakob I & VI mit Blick auf die finanziellen Vorteile, die er für den Staat mit sich brachte, damit. Die Erhöhung der Tabaksteuer, auf die im Kapitel 4.2 detaillierter eingegangen wird, von lediglich 2 Pence unter der Regierung Elisabeth I auf 6 Shilling 8 Pence pro Pfund Tabak unter Jakob I &VI zeigte nicht nur die Einstellung des Fiskus zur Genusspflanze. Darüber hinaus führte diese viel zu hohe Besteuerung zu einer Steigerung des Selbstanbaus (Zentrum dafür war das englische Gloucestershire) und zu einem Aufblühen des Schwarzmarktes.25 Die Steuer wurde später auf 2 Shilling pro Pfund Tabak gesenkt, um dem entgegenzuwirken. Die Region Gloucestershire blieb trotz zwischenzeitlichen Anbauverboten noch jahrzehntelang im Tabakgeschäft, bis der Druck, den der immer günstiger werdende Tabak aus Übersee auf die einheimischen Produzenten ausübte, zu groß wurde und sie den Tabakanbau aufgaben.26 Die hohe Besteuerung trug in Kombination mit den zu Beginn des 17. Jahrhunderts hohen Rohtabakpreisen ihren Teil dazu bei, dass das Rauchen einen für die meisten unbezahlbaren Luxus darstellte. Das Tabaktrinken durch Keramikpfeifen war im England des beginnenden 17. Jahrhunderts also eine vom Königshaus nicht gern gesehene, jedoch medizinisch vertretbare und höchst modische Freizeitbeschäftigung.27
Bezüglich der gesundheitsfördernden Wirkung stellten sich jedoch noch zu Beginn des Jahrhunderts kritische Stimmen ein. Neben dem bereits erwähnten Counterblaste to Tobacco veränderten auch Publikationen von Ärzten den Diskurs um den Tabak. Die Sachlage war damals alles andere als klar, doch eine Veränderung der Konnotation des Tabaks vom Allheilmittel zum potenziell gefährlichen Suchtmittel begann sich langsam anzudeuten.28 Mit der Transformation vom Medikament zum Genussmittel wandelte sich auch die moralische Sichtweise auf den Tabak. Vor allem der exzessive Genuss, welcher sich um die Jahrhundertwende auch stärker in die Öffentlichkeit verlagerte, ging mit scharfer Kritik einher. Der häufig gemeinsame Konsum von Tabak und Alkohol untermauerte die Kritik der Tabakgegner, dass es moralisch verwerflich sei, zu rauchen und es mit einem Sittenverfall einherginge. Nichtsdestotrotz stiegen die Verkaufszahlen von Tabakprodukten kontinuierlich an, welche trotz gesundheitlicher Bedenken von Experten nach wie vor in Apotheken vertrieben wurden.29
3 Entwicklung in den Chesapeake-Bay-Kolonien
Bereits wenige Jahre nach den ersten Kultivierungsversuchen war Tabak zur vorherrschenden Nutzpflanze in dieser Region geworden. Der Anbau war zu Beginn äußerst lukrativ, da der geerntete und getrocknete Tabak in England hohe Preise erzielte. Die Landwirtschaft war klein strukturiert und außer dem Tabak wurde lediglich Mais zur Selbstversorgung angebaut. Die Siedler konzentrierten sich und ihre Arbeitskraft auf die Tabakproduktion, weshalb sämtliche Fertigwaren aus dem Mutterland importiert werden mussten. Auch die Hoffnung der Virginia Company, dass sich in der Kolonie eine stabile, hierarchische Gesellschaft entwickeln würde, blieb vorerst unerfüllt. In den ersten Jahrzehnten lebten die Tabakproduzenten verstreut entlang der Flüsse und waren dort relativ schwer zu regieren.30 Da sowohl der Tabakanbau als auch die Ernte sehr arbeitsintensiv waren, waren Arbeitskräfte ein kritischer Faktor in der Produktion. Bis in das letzte Viertel des Jahrhunderts waren es in der Regel englische Grundherren, welche auf ihrem Land ebenfalls englische Bedienstete anstellten.31 Das System sah so aus, dass die Bediensteten, wenn sie in der Kolonie ankamen, üblicherweise vier bis sieben Jahre Vertraglich verpflichtet für einen Grundherren arbeiten mussten, um danach ihr eigenes Stück Land zur Bewirtschaftung kaufen zu können. Zu den Anfangszeiten war dieser Einsatz von billigen europäischen Arbeitskräften auf den Tabakfeldern ein verlockendes Modell für viele Menschen, die in England in Armut lebten.32 Der amerikanische Wirtschafts- und Sozialhistoriker Russel Menard teilt die Entwicklung der Tabakproduktion in den Chesapeake-Bay-Kolonien im 17. Jahrhundert in drei Phasen ein33, in welche nun auch dieses Kapitel gegliedert ist.
3.1 1616-1661
Diese erste Phase ist geprägt von einem drastischen Preisverfall des Tabaks und der relativ klein strukturierten Produktion ohne Sklavenarbeit. Im Jahr 1616 startete der Export der Virginia Company of London mit lediglich tausend Pfund Tabak. Der Handel verlief nach dem Konsignationssystem, in welchem der Produzent bis zum Verkauf der Ware in England im Besitz seiner Ware blieb. Das bedeutete, dass die virginianischen Tabakbauern das Risiko währende des gesamten Transportes trugen und die Handelspartner sich lediglich um den profitablen Verkauf sorgen mussten, für den sie eine Kommissionsgebühr, eine Art Provision in der Höhe von 2,5 Prozent des Verkaufspreises erhielten. Oftmals profitierten die Kaufleute doppelt von diesem transatlantischen Handel, indem sie für die Rückfracht in die neue Welt englische Fertigwaren luden, welche in den Kolonien verkauft wurden und ihnen somit erneute Provisionen einbrachte.34
Das folgende Diagramm zeigt sehr anschaulich den Preisverfall des Tabaks und den Anstieg des Exports aus der Chesapeake-Bay-Kolonien, welcher direkten Rückschluss auf die produzierte Menge ermöglicht. Wurden 1616 wie bereits erwähnt etwa tausend Pfund Tabak exportiert, waren es 14 Jahre später 300.000 Pfund und 1640 über eine Million. Der Preisrückgang verhält sich proportional zum wachsenden Angebot. Der Markt für Tabak in England florierte zwar und die Nachfrage nach Tabakprodukten stieg stetig an, doch konnte diese Entwicklung mit dem Produktionstempo der Kolonie nicht mithalten.35 Durch das wachsende Angebot an Tabak fiel der Preis immer weiter, was jedoch durch eine Steigerung der Produktivität ausgeglichen werden konnte. Die von einem Arbeiter beziehungsweise einer Arbeiterin geerntete Menge an Tabak verdreifachte sich während der ersten Hälfte des Jahrhunderts. Durch die damit verbundenen sinkenden Produktionskosten war es den Tabakpflanzern nach wie vor möglich, vernünftige Gewinne einzufahren.36
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1.1 Menard, Russel: Plantation Empire. How Sugar and Tobacco Planters Built Their Industries and Raised an Empire. In: Agricultural History, 81(3), S. 311.
In den 1620er Jahren fanden die Tabakproduzenten in Virginia einen sehr vielversprechenden Markt für ihren Tabak in England vor. Während die Preise in diesem Zeitabschnitt zwar fielen, doch dennoch hoch blieben konnten manche von ihnen beträchtliches Vermögen mit dem Verkauf der Pflanze verdienen. Dieser Wertschöpfung lag jedoch die Ausbeutung der englischen Vertragsarbeiter zugrunde, welche ihre vertraglich festgelegte Dienstzeit häufig nicht überlebten. Durch Verbesserungen der Arbeits- und vor allem Lebensbedingungen in der Kolonie stieg die Lebenserwartung im Laufe der Jahrzehnte und damit auch die Möglichkeiten der einfachen Arbeiter, welche ihr Glück in der Neuen Welt suchten. Die Preise, die für den Tabak in England erzielt wurden, fielen zwar weiter, der Anbau blieb vorerst aber noch profitabel. Außerdem stand durch die Verdrängung der indigenen Bevölkerung mehr nutzbares Land zur Verfügung, wodurch es auch leistbarer wurde. Auch die Kolonialisierung Marylands spielte diesbezüglich eine Rolle. So stieg der Zahl derer in der Bevölkerung, die nach abgeleisteter Dienstzeit ihr eigenes Stück Land kaufen und selbst Vertragsarbeiter beschäftigen konnten, in diesen frühen Jahrzehnten der Kolonie stetig an.37
[...]
1 Vgl. Hengartner, Thomas: Tabak. In: Hengartner, Thomas & Merki, Christoph Maria (Hrsg.), Genussmittel. Ein kulturgeschichtliches Handbuch. Frankfurt/New York: Campus Verlag 1999, S. 169.
2 Vgl. Ebda., S. 173f.
3 Vgl. Jacob, Frank: Tobacco. In: Kaller, Martina & Jacob, Frank (Hrsg.), Transatlantic Trade and Global Cultural Transfer since 1492. More than Commodities. London: Routledge Verlag 2019, S. 69f.
4 Vgl. Sandgruber, Roman: Bittersüße Genüsse. Kulturgeschichte der Genussmittel. Wien/Köln/Graz: Hermann Böhlaus Verlag 1986, S. 91.
5 Vgl. Hengartner, Tabak, S. 169.
6 Vgl. Ebda, S. 183.
7 Vgl. Tanner, Jakob: Rauchzeichen. Zur Geschichte von Tabak und Hanf. In: Hengartner, Thomas & Merki, Christoph Maria (Hrsg.), Tabakfragen. Rauchen aus kulturwissenschaftlicher Sicht. Zürich: Chronos Verlag 1996, S. 15.
8 Vgl. Shammas, Carole: The Pre- Industrial Consumer in England and America. Oxford: Oxford University Press 1990, S. 79.
9 Vgl. Schnurmann, Claudia: Europa trifft Amerika. Zwei alte Welten bilden eine neue atlantische Welt, 1492-1783. Berlin: LIT Verlag 2009 S. 170f.
10 Vgl. Horn,James: Transformations of Virginia. Tobacco, Slavery and Empire. In: The William and Mary Quarterly, 68(3), S. 327f.
11 Vgl. Schnurmann, Europa trifft Amerika, S. 170.
12 Vgl. Beck, Thomas: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche. In: Schmitt, Eberhart (Hrsg.), Dokumente zur Geschichte europäischer Expansion. Band 4. München: C. H. Beck Verlag 1988, S. 544f.
13 Vgl. Berg, Manfred: Geschichte der USA. In: Gall, Lothar, Hölkeskamp, Karl-Joachim & Patzold, Steffen (Hrsg.), Oldenbourg Grundriss der Geschichte. Band 42. München: Oldenbourg Wissenschaftsverlag 2013, S. 6.
14 Vgl. Beck, Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, S. 544f.
15 Vgl. Morgan, Kenneth O.: The Oxford History of Britain. Oxford: Oxford University Press 2001, S. 327ff.
16 Vgl. Ebda., S. 337.
17 Vgl. Pollard, Tanya: The Pleasures and Perils of Smoking in Early Modern England. In: Gilman, Sander L. & Xun, Zhou (Hrsg.), Smoke. A Global History of Smoking. London: Reaktion Books Verlag 2004, S. 38.
18 Vgl. Goodman, Jordan: Tobacco in History. The Cultures of Dependence. London/New York: Routledge Verlag 1993, S. 56.
19 Vgl. Pollard, The Pleasures and Perils of Smoking in Early Modern England, S. 38.
20 1£ (Pound Sterling) = 20S (Shilling) = 240d (Pence)
21 Vgl. Goodman, Tobacco in History, S. 61.
22 Vgl. Ziser, Michael: Sovereign Remedies. Natural Authority and the "Counterblaste to Tobacco". In: The William and Mary Quarterly, 62(4), S.719ff.
23 Vgl. Ebda., S. 726.
24 Vgl. Ziser, Sovereign Remedies, S. 723.
25 Vgl. Williams, A. R.: The Gloucestershire Tobacco Trade. In: The Virginia Magazine of History and Biography, 79(2), S. 147.
26 Vgl. Ebda., S. 148.
27 Vgl. Dean, David: Law-Making and Society in Late Elizabethan England. The Parliament of England 1584-1601. Cambridge: Cambridge University Press 2002, S. 90.
28 Vgl. Rowley, Anthony R.: How England Learned to Smoke. The Introduction, Spread and Establishment of Tobacco Pipe Smoking in England before 1640. University of York 2003, S. 99.
29 Vgl. Rowley, How England Learned to Smoke, S. 109f.
30 Vgl. Kulikoff, Allan: Tobacco and Slaves. The Development of Southern Cultures in the Chesapeake. Chapel Hill: University of North Carolina Press 1986, S. 31.
31 Vgl. Walsh, Lorena: Plantation Management in the Chesapeake, 1620-1820. In: The Journal of Economic History, 49(2), S. 393f.
32 Vgl. Berg, Geschichte der USA, S. 6.
33 Vgl. Wetherell, Charles: Boom and Bust in the Colonial Chesapeake Economy. In: The Journal of Interdisciplinary History, 15(2), S. 188.
34 Vgl. Beck, Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, S. 545.
35 Vgl. Menard, Russel: Plantation Empire. How Sugar and Tobacco Planters Built Their Industries and Raised an Empire. In: Agricultural History, 81(3) S. 310ff.
36 Vgl. Walsh, Plantation Management in the Chesapeake, 1620-1820. S. 394f.
37 Vgl. Kulikoff, Allan: The Colonial Chesapeake: Seedbed of Antebellum Southern Culture?. In: The Journal of Southern History, 45(4), S. 515.