Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Historischer Kontext von Politik als Beruf
3. Begriffsdefinitionen
3.1 Gesinnungsethik
3.2 Verantwortungsethik
3.3 Vergleich der beiden Ethiken
4. Max Webers Kritik
4.1 Kritik an der Gesinnungsethik
4.2 Kritik an der Erfolgsethik
4.3 Ergebnis und Diskussion
5. Zusammenfassung, Fazit und Ausblick
Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Was ist ein ‚guter‘ Politiker? Diese Frage, auf die es freilich unterschiedliche Antworten gibt, beschäftigte auch den deutschen Soziologen Max Weber, der zugleich einer der wichtigsten Wegbereiter der Politikwissenschaft zu Beginn des 20. Jahrhunderts war (vgl. Anter 2005: 123). Kurz nach dem Ersten Weltkrieg meinte er, mit seiner Rede Politik als Beruf darauf Antworten liefern zu können. Dabei entwickelte er ausführliche Überlegungen zu einer sogenannten Gesinnungsethik und einer Verantwortungsethik. Weber unterschied zwar schon davor zwischen verschiedenen Arten ethischen Handelns (vgl. Waas 1995: 44), jedoch gilt Politik als Beruf als einer der wirkungsmächtigsten Texte Webers (vgl. Anter 2005: 123), in denen er auch Definitionen zu ‚Politik‘ und ‚Staat‘ liefert, daher wird er in dieser Hausarbeit besonders im Fokus stehen.
Die Fragestellung, der in der vorliegenden Arbeit nachgegangen wird, lautet: Wie ist das Verhältnis zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik bei Max Weber? Dabei sollen zwei Hypothesen verifiziert beziehungsweise falsifiziert werden. Die erste Hypothese lautet: Gesinnungs- und Verantwortungsethik sind keine absolut gegensätzlichen Pole. Die zweite lautet: Weber übt vor allem Kritik an der Gesinnungsethik und zieht ihr die Verantwortungs-ethik vor. Diese Hypothese ist insofern von Interesse, als sie zur Beantwortung der Frage beiträgt, wie für Weber der ideale Politiker zu sein hat.
In dieser Hausarbeit wird mit der Analyse auf Basis von Literaturauswertung vorgegangen. Zuerst wird geklärt, in welchem historischen Kontext Politik als Beruf entstanden ist, um Webers Thesen besser nachvollziehen zu können. Danach erfolgen Definitionen der Begriffe ‚Politik‘ und ‚Staat‘ sowie der Phrase der ‚Entzauberung der Welt‘, die für das Verständnis der Ethiken Webers grundlegend sind. Es folgen Definitionen der Gesinnungs- und Verantwortungsethik. Anschließend werden sie miteinander verglichen. Für die Untersuchung, welche Ethik Weber insgesamt bevorzugt, lohnt sich auch die Auseinandersetzung damit, inwiefern er Kritik an der Gesinnungsethik und außerdem an der Erfolgsethik, die er von der Verantwortungsethik abgrenzt, übt. Danach soll resümiert werden, welche Ethik Weber bei einem Politiker präferiert. In diesem Zusammenhang soll auch kurz die soziale Herkunft Webers beleuchtet werden, da hier mögliche Gründe für seine Entscheidung ersichtlich werden. Schließlich wird dargestellt, welche Eigenschaften einen idealen Politiker Weber zufolge ausmachen. Im abschließenden Fazit wird geklärt, ob die Hypothesen verifiziert oder falsifiziert werden können und es werden die wichtigsten Punkte der Einstellung Webers zu den Ethiken genannt.
2. Historischer Kontext von Politik als Beruf
Vor der inhaltlichen Auseinandersetzung mit Webers Rede Politik als Beruf wird sie zuerst in ihren historischen Kontext eingebettet, um zu verstehen, vor welchem Hintergrund sie entstanden ist.
Weber hielt seine Rede am 28.01.1919 vor Münchener Studenten (vgl. Waas 2007: 496). Zu diesem Zeitpunkt befand sich das Deutsche Reich im Übergang vom wilhelminischen Kaiserreich zur Weimarer Republik, bedingt durch die Novemberrevolution von 1918. Es kann von bürgerkriegsähnlichen Zuständen gesprochen werden, die in der unmittelbaren Zeit nach der Niederlage im Ersten Weltkrieg herrschten (vgl. Anter 2005: 126).
1919 übernahm Weber die Professur für Gesellschaftswissenschaft, Wirtschaftsgeschichte und Nationalökonomie an der Ludwig-Maximilians-Universität München (vgl. Kaesler 2014: 7). Zuvor, im November 1918 erhielt er vom bayerischen Landesverband des Freistudentischen Bundes, in dem liberales, sozialistisches und pazifistisches Gedankengut vertreten waren, das Angebot, zur Veranstaltungsreihe Geistige Arbeit als Beruf einen Vortrag zum Thema Politik als Beruf zu halten (vgl. Waas 1995: 23-24). Wegen seines politischen Engagements erschien Weber dem Verband als besonders geeignet (vgl. Waas 1995: 27). Weber schlug erst den liberalen Politiker Friedrich Naumann vor, dieser lehnte jedoch ab und somit erklärte sich Weber doch zu der Rede bereit (vgl. Schluchter 2009: 88). Damit wollte er auch verhindern, dass Kurt Eisner von der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD), bereits als Ersatzredner angefragt, einen Vortrag über Politik als Beruf halten konnte (vgl. Waas 1995: 28), welcher Weber als Inbegriff eines Gesinnungsethikers galt, worauf in 4.1 genauer eingegangen wird.
3. Begriffsdefinitionen
Um eine Grundlage für die Definitionen von Gesinnungs- und Verantwortungsethik zu schaffen, werden erst einmal die Begriffe ‚Politik‘ und ‚Staat‘ nach Weber sowie die Phrase der ‚Entzauberung der Welt‘ definiert, da sie für die folgenden Kapitel von Bedeutung sind.
Politik definiert Weber als Machtstreben. Machtverteilungs-, Machterhaltungs- und Machtverschiebungsinteressen spielen in der Politik die zentrale Rolle. Macht kann entweder Mittel zum Zweck sein oder sie kann aufgrund des Status, den der Inhaber mit ihr erreicht, als erstrebenswert angesehen werden (vgl. Weber 2002: 513-514).
Der Staat verfügt laut Weber über das „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Weber 2002: 513). Menschliche Gesellschaften, die Gewaltsamkeit als Mittel nicht kennen, nennt er Anarchien (vgl. Weber 2002: 513). Für Weber ist ein Staat ein „auf das Mittel der legitimen […] Gewaltsamkeit gestütztes Herrschafts verhältnis von Menschen über Menschen“ (Weber 2002: 514).
Die ‚Entzauberung der Welt‘ setzte mit dem Entstehen der modernen Wissenschaft ein (vgl. Schluchter 2009: 10). Der Mensch sieht die Welt demnach von Naturgesetzen beherrscht (vgl. Barrelmeyer, Kruse 2012: 113). Laut Weber gebe es daher keine „geheimnisvollen unbere-chenbaren Mächte“, sondern es lassen sich „alle Dinge – im Prinzip – durch Berechnen be-herrschen “ (Schluchter 2009: 12). Die Politik hat sich als eine eigene Wertsphäre im Prozess der ‚Entzauberung der Welt‘ herausgelöst. Gegenüber Religion, Wissenschaft und Ethik ist sie relativ autonom, wodurch vor allem zwischen Politik und Ethik ein problematisches Verhältnis herrscht (vgl. Schluchter 1971: 27). Der Mensch ist jedoch dazu geneigt, an Werte, in denen er einen Sinn für sein Leben sucht, zu glauben und so entstehen unterschiedliche ethische Linien, wie etwa die Gesinnungs- und Verantwortungsethik (vgl. Fiedler 2004: 59).
3.1 Gesinnungsethik
Anhand dieser Bezeichnung wird schnell ersichtlich, mit was ein Gesinnungsethiker seine Handlungen rechtfertigt: Mit seiner Gesinnung. Damit ist das Ideal gemeint, an dem er sich bei seinem Handeln orientiert (vgl. Leister 1978: 67). Nach Weber lehnt er jede „sittlich ge-fährliche[n] Mittel“ (Weber 1994: 81) zur Erreichung seiner Ziele ab. Der Idealismus dieses Gesinnungsethikers wird auch an seiner Auffassung deutlich, aus Gutem könne nur Gutes und aus Bösem nur Böses folgen (vgl. ebd.). Jedoch gibt es genauso Gesinnungsethiker, die bereit sind, ihre Ziele mit sittlich verwerflichen Mitteln zu erreichen (vgl. Waas 1995: 30). Beiden Arten von Gesinnungsethikern ist gemein, dass sie nicht bereit seien, die Verantwortung für die Folgen ihres Handelns zu übernehmen. Sie präferierten es, diese einer höheren Instanz, zum Beispiel einem Gott, zuzuschreiben, der eine verdorbene und von Torheit regierte Welt zulasse (vgl. Leister 1978: 67). Mit Webers Worten formuliert ist bei Misserfolg nach Ansicht des Gesinnungsethikers die Welt „zu dumm oder zu gemein für das, was er ihr bieten will“ (Weber 2002: 556). Daran wird deutlich, dass es ihm nicht reicht, als Einziger seine Gesinnung zu vertreten, er möchte sie auch in anderen wecken (vgl. Leister 1978: 98), was als Absolutheitsanspruch seiner Ideale interpretiert werden kann (vgl. Leister 1978: 91). Beispiele für Gesinnungsethiker seien etwa Wehrdienstverweigerer, Pazifisten und Mitglieder religiöser Sekten, die Weber als „unpolitische Heilige“ (Spaemann 1984: 55) gelten. Gesinnungsethiker, für die der Zweck die Mittel heiligt, seien beispielsweise gewaltbereite Revolutionäre (vgl. Waas 1995: 30), womit Weber auf die Novemberrevolution anspielt. Dazu mehr in 4.1.
3.2 Verantwortungsethik
Ein prototypischer Verantwortungsethiker hingegen bedenkt stets die Folgen seines Handelns und trifft anhand dieser seine Entscheidungen, wodurch er sich besonders als Politiker eigne (vgl. Spaemann 1984: 53). Nach Weber jedoch gefährdet das politische Handeln, welches mit dem Mittel der Gewaltsamkeit arbeitet, das „Heil der Seele“ (Weber 2002: 553), das sich auch als Gesinnung bezeichnen lässt (vgl. Leister 1978: 68). Webers Definition zufolge bedeutet Politik Machtstreben. Wer aber über Macht verfügt, muss sich der Verantwortung bewusst sein, die mit ihr einhergeht und je größer die Macht ist, je mehr Kompetenzen der Inhaber hat, desto schwerer ist die Verantwortung (vgl. Waas 1995: 55). In der Politik werde sich auf „diabolische Mächte“ (Weber 1994: 112) eingelassen und dem Verantwortungsethiker muss es gelingen, „sich ihrer korrumpierenden Wirkung“ (Weber 1994: 112) zu entziehen. Wohl aus diesem Grund findet sich auf Webers Manuskriptzettel zu Politik als Beruf der Begriff „Verantwortungspolitik“ (Waas 1995: 55) in Abgrenzung zur reinen Machtpolitik. Die verantwortungsethische Maxime lässt sich folgendermaßen formulieren: „Du sollst so handeln, daß du, wenn immer du das Mittel der Gewalt anwendest, um dem Übel zu widerstehen, das daraus entstehende Unrecht vor dir selbst mußt verantworten können“ (Leister 1978: 88). Der Verantwortungspolitiker trifft also die Entscheidung, wann der Zweck die Mittel der Macht heiligen kann (vgl. Leister 1978: 89). Er bedenkt sowohl Realisierungschancen als auch Folgen seiner Handlungen (vgl. Schluchter 1971: 27). Er arrangiert sich damit, dass er in der Politik mit unbequemen Tatsachen konfrontiert werden kann und versucht nicht, seinen Willen um jeden Preis durchzusetzen (vgl. Weber 1994: 114).
3.3 Vergleich der beiden Ethiken
Mit der Gesinnungs- und Verantwortungsethik stehen sich zwei Ethiken gegenüber. Eine legt mehr Wert auf moralische Gebote und moralische Selbstbestimmung, die andere folgt eher politischen Geboten und sieht das Kollektiv im Vordergrund (vgl. Weber 1994: 96), denn das Handeln des Verantwortungspolitikers hat nicht nur Auswirkungen auf ihn, sondern auf eine ganze Gemeinschaft. Für manche Gesinnungsethiker, für gewaltbereite Revolutionäre zum Beispiel, heiligt der Zweck immer die Mittel, während dies beim Verantwortungsethiker nicht der Fall ist, er bedenkt den Erfolgswert einer Handlung (vgl. Fiedler 2004: 59). Weber zufolge ist sich der Gesinnungsethiker bei negativen Folgen seiner Handlungen keiner Verantwortung bewusst, sondern schiebt sie auf die von, seiner Meinung nach, Dummheit regierte Welt. Es lässt sich sagen, dass der Verantwortungsethiker über einen realistischeren Blick verfügt, denn er weiß, dass Menschen nicht immer gütig und erst recht nicht vollkommen sind (vgl. Weber 1994: 80). Er fühlt sich nicht in der Lage, die Verantwortung für die Folgen seines Handelns, soweit sie voraussehbar sind, anderen aufzubürden (vgl. Weber 1994: 80). Insgesamt ist erkennbar, dass Weber mit Gesinnungs- und Verantwortungsethik auch zwischen Ideal- und Realpolitik, zwischen Idealismus und Realismus unterscheidet (vgl. Waas 1995: 18).
Allerdings wird die Ansicht vertreten, dass diese Unterscheidung heutzutage stark simplifizierend gebraucht wird (vgl. Narr 2002: 118), obgleich Weber selbst in Politik als Beruf betont, Gesinnungsethik sei nicht mit Verantwortungslosigkeit und Verantwortungsethik nicht mit Gesinnungslosigkeit identisch (vgl. Weber 1994: 79). Verantwortungsethiker sind sich des Wertes einer Gesinnung bewusst, jedoch stehen sie der Handlungsweise, die aus reinem Idealismus erfolgt, kritisch gegenüber (vgl. Leister 1978: 100). Allerdings liegt die Vermutung nahe, dass die von Narr (2002: 118) erwähnte simplifizierende Unterscheidung daher kommt, dass Weber in Politik als Beruf starke Kritik an der Gesinnungsethik übt, wodurch der Eindruck entsteht, er lehne gesinnungsethisches Handeln per se ab. Doch dazu mehr in 4.1.
Noch vor Politik als Beruf, nämlich in seinem Wertfreiheitsaufsatz von 1917, schreibt Weber, dass es nicht nur eine richtige Ethik gebe (vgl. Waas 1995: 48). Generell kann es mehr als eine moralisch richtige Handlung in einer Situation geben (vgl. Waas 1995: 17). Demnach ist es ihm wichtig, dass ein Verantwortungspolitiker ethische Werte nicht vollständig außenvor lässt (vgl. Weber 1994: 96). Am Ende von Politik als Beruf fasst er zusammen: Sie seien keine absoluten Gegensätze, „sondern Ergänzungen, die zusammen erst den echten Menschen ausmachen, den, der den ‚Beruf zur Politik‘ haben kann “ (Weber 2002: 554).
4. Max Webers Kritik
Bei der Ergründung des Verhältnisses zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik lohnt es sich auch, der Frage nachzugehen, was Weber an den Ethiken kritisiert. So wird deutlich, welche Ethik er für einen Politiker vorzieht. Damit verbunden stellt sich die Frage, über welche weiteren Eigenschaften ein idealer Politiker nach Weber verfügen sollte. Diese wird im letzten Punkt beantwortet.
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