Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
1.1. Zielsetzung
1.2. Herangehensweise
2. Hauptteil
2.1. Persönliche und soziale Identität
2.2. Identitätskonstruktion in den sozialen Medien
2.3. Auswirkung der Online-Identität auf die Offline-Identität
3. Schluss
Bibliografie
1. Einleitung
Wie der französische Soziologe ,Jean-Claude Kaufmann‘ hervorhebt, dass die Suche nach Selbst allgegenwärtig ist und niemand sich der entziehen kann, so ist auch die Diskussion des Begriffs ,Identität‘ sowohl im wissenschaftlichen als auch im Alltagsdiskurs weitgehend verfolgt. Identität ist im Allgemeinen die Art und Weise, wie wir uns selbst sehen und im Gegenzug wie auch andere Menschen in der Gesellschaft uns sehen. Die Identität wird vom Individuum gepflegt, indem er/ sie einige Definitionen über sich selbst lagert, die ja sein/ihr ,Selbst‘ konstituieren. Jedoch kann die Identität einer Person sich nicht in der Isolation durchsetzen, vielmehr ist sie auf die anderen insofern angewiesen, als ihre Identität charakterisierende Definitionen von anderen akzeptiert und gesichert werden. Dennoch ist die Identität ein individuelles oder subjektives Konzept, wie Kaufmann meint. Das heißt, sie ist für jeden einzigartig, und daher kann sie unter verschiedenen Personen nicht dasselbe sein. Wie eine Person unterschiedliche Beschreibungen für sich selbst besitzt, so ist auch ihre Identität auf unterschiedliche Kategorien differenziert, z.B. auf die Größe, Rasse oder sozioökonomische Klasse, die kulturelle oder nationale Identität, das Geschlecht u.s.w. Diese sind doch die äußeren Kategorien, über die man wenige oder keine Kontrolle hat. Die Identität umfasst auch politische Meinungen, moralische Einstellungen und religiöse Überzeugungen, die alle Entscheidungen beeinflussen, die man täglich trifft.
Die Menschen haben immer wieder diese Dimensionen des physischen sozialen Lebens auch in den Inhalten der Medien widergespiegelt, die unseren Alltag durchdringen und eine Vielzahl von Identitätenangeboten liefern. Heutzutage wird diese Funktion hauptsächlich von den sozialen Medien erfüllt, auf denen die Menschen ihre Lebens- erfahrungen und ereignisse zur Schau stellen, die in der Regel ihre Identität ausmachen, und dementsprechend führen sie eine Selbstrepräsentation durch. Die sozialen Medien bieten die Möglichkeit an, eigene Identität auszudrücken, zu erkunden und zu experimentieren: sie ermöglichen dem Einzelnen, sich mit anderen zu verbinden und interagieren und somit sich anderen zu präsentieren und zu bestimmen, wie er oder sie wahrgenommen werden möchte. Das Paradox liegt aber darin, dass in den sozialen Medien auch die anderen in großem Ausmaß in die soziale-digitale Identität einer Person eingreifen, indem sie sie Feedbacks geben können. Und das kann indirekt geschehen, indem man einen Kommentar postet oder indirekt durch die Verwendung von Tagging, eine Funktion sozialer Netzwerke, mit der man einen Freund ohne seine Zustimmung durch ein Bild, auf dem er zu sehen ist, oder einen Text, der sich auf ihn bezieht, assoziieren kann. Diese Feedbacks, je nachdem, ob sie die ausgestellte Identität der Person bestätigen oder ihr ablehnend gegenüberstehen, bestimmen dann ihre Kontinuität oder die Veränderung. Die vorhandenen digitalen Ressourcen verhelfen dementsprechend den Menschen, die Identität zu konstruieren, agieren oder zu mobilisieren. In vielen Fällen kann eine und dieselbe Person in vielen verschiedenen sozialen Netzwerken sein - Facebook für die täglichen Beziehungen, Kommunikationen oder für Meinungsäußerungen, LinkedIn für die beruflichen Zwecke, Twitter, um Gedanken und Ideen zu übermitteln usw. Die Teilnahme an verschiedenen sozialen Netzwerken und die Wahl dessen, was man in jedem einzelnen postet, schreitet zu einer Form des sozialen „Identitätsmanagements“ fort und könnte als „Personal Branding“(D. Clark und D. Smith) bezeichnet werden. Aufgrund von Personal Branding und der Fähigkeit, innerhalb der verschiedenen sozialen Netzwerke Elemente hervorzuheben, die das „Netzwerk selbst“ charakterisieren, wird für die Benutzer möglich, sich selbst und ihren Ruf innerhalb dieser Netzwerke mit wirksamen Ergebnissen sowohl auf der Beziehungs- als auch auf der professionellen Ebene zu fördern. In anderen Worten, in sozialen Netzwerken kann die Person ihre Präsentation „strategisch“ organisieren oder auf bestimmten gemeinhin akzeptierten Standards oder Codes bauen, um ein erwünschtes Selbstbild zugunsten verschiedener Interessen vermitteln, das aber nicht unbedingt völlig der Offline-Identität oder der „realen Identität“ entsprechen soll. Zielsetzung
1.1. Zielsetzung
Dem entsprechend, was oben als Anhaltspunkte aufgegriffen worden sind, könnte man im Auge behalten, dass auch in den sozialen Medien wie in der realen Welt die Identität ein Konstrukt ist, das nicht nur aus eigenen Bedürfnissen sondern aus der Bewertung von anderen her zustande gebracht wird. Jedoch gibt es zweifellos einen Unterschied zwischen der realen Welt und der technologischen Welt, was weiter im Hauptteil behandelt wird. Im Hinblick darauf ist es anzunehmen, dass die reale Identität und die Offline-Selbstdarstellung nicht unbedingt sich miteinander übereinstimmen sollen. Und das hat mir eigentlich den Anstoß gegeben, mich mit der Identitätsfrage im Kontext der sozialen Medien zu beschäftigen, denn das ist nicht durchaus gleich wie die Offline-Identität; die Online-Identität hat ihre eigene Konstruktions- arten und Bedingungen und sie beeinflusst auch das reale Leben und die Identität einer Person.
In diesem Zusammenhang ist das Ziel meiner Arbeit darauf gerichtet, zu untersuchen, warum die Menschen das Bedürfnis verspürt, eine Online Identität zu konstruieren und auf welche Art und Weise sie eine Selbstpräsentation vorführen, und ob sie dabei eine völlige Agenz haben. Außerdem geht diese Arbeit auch auf die Frage ein, was für Auswirkungen die digitale Identität auf die offline Identität und Leben der Menschen haben oder ob sie überhaupt einen Einfluss auf die offline Identität des Menschen übt.
1.2. Herangehensweise
Die vorliegende Arbeit wird in drei Teilen geglidert: Einleitung, Hauptteil und Schluss. Zuallererst wird eine ,Einleitung‘ zu dem Thema gegeben, wobei die Zielsetzung, Herangehensweise auch vorgestellt werden. Der Hauptteil wird dann in drei Unterteilen aufgeglidert. Im ersten Unterteil mit dem Titel , Persönliche und Soziale Identität‘ werden zwei sozio-psychologischen Theorien der Identität, eine von ,Tajfel und Turner‘ und andere von ,Jean-Claude Kaufmann‘ herangezogen, um einen Überblick darüber zu geben, was unter Identität zu verstehen: wie sie sich bildet und welche Funktion sie erfüllt. Der zweite Untertteil heißt ,Identitätskonstruktion in den sozialen Medien‘, wobei es mit den ersten zwei Forschungsfragen auseinandergesetzt wird. Im dritten Unterteil mit dem Titel ,Auswirkung der Online-Identität auf die Offline Identität‘ wird die dritte Forschungsfrage beantwortet. Bei der Beantwortung aller Forschungsfragen wird ein Bezug auf verschiedene Forschungsergebnisse/Forscher und Medientheoretiker genommen. Die Arbeit endet dann mit dem dritten Teil der Arbeit d.h. dem Schluss.
2. Hauptteil
2.1. Persönliche und soziale Identität
Bevor zu analysieren, wie das Individuum in der technologischen Welt bzw. in den sozialen Medien seine Identität konstruiert und wie diese Online-Identität seine Offline-Identität oder sein Offline/reales Leben beeinflusst, ist es einschlägig dafür eine Grundlage zu schaffen. Als die Grundlage dient hierbei die theoretischen Rahmen der Identitätskonstruktion oder eher der Selbstrepräsentation. Der theoretische Ansatz der Identität, auf die es in dieser Arbeit zurückgegriffen wird, ist die ,Theorie der sozialen Identität‘, die von den sozialpsychologen ,Henri Tajfel‘ und ,John Turner‘ in den 1970er bzw. 1980er Jahren vorgeschlagen wurde. Sie ist eine sozialpsychologische Theorie, der zufolge das Selbst bzw. das Selbstkonzept aus einer ,persönlichen Identität‘, die die eigentümlichen Merkmale wie z.B. körperliche Attribute, Fähigkeiten, psychologische Eigenschaften, Interessen usw. umfasst, und aus einer ,sozialen Identität‘ besteht. Die soziale Identität wird von Tajfel und Turner als ein Gruppenprozess erklärt wird. Das bedeutet, sie gehen davon aus, dass der sozialen Identität ein Prozess der „Entpersönlichung oder Depersonalisation“ zugrundeliegt: die Individuen identifizieren sich in Bezug auf die sozialen Gruppen wie Organisationszugehörigkeit, Religionszugehörigkeit Geschlecht und Altersgruppe u.s.w., denen sie gehören oder in denen sie interagieren, und dementsprechend sind sie ein Teil ihres Selbstkonzepts1 Damit wird betont, dass die Identität eines Individuums nicht in der Isolation sich entwickelt, sondern die Identitätsarbeit, wie Jean-Claude Kaufmann in seinem Buch ‚Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität‘ behauptet, steht unter Beobachtung der Beteiligten oder der Mitglieder der Gruppen und wird von ihnen als positiv oder negativ sanktioniert. In dieser Hinsicht benutzt er den Begriff „Kollektive Identität“2. Tajfel skizziert eine kognitive Komponente nämlich ,soziale Kategorizierung‘, zwei evaluative , nämlich ,sozialer Vergleich‘, und ,Selbstwertgefühl‘, als drei Prämisse oder Grundprinzipien der sozialen Identität:
Soziale Kategorisierung: Ähnlich wie andere Entitäten in der Umgebung, kategorisieren die Menschen auch sich in Gruppen, um ihr Verständnis der Welt zu vereinfachen und ihre soziale Interaktion zu strukturieren. Tajfel und Turner erklären diesen Prozess folgendermaßen: Soziale Kategorisierungen wirken als kognitive Werkzeuge, die die soziale Umwelt aufteilen, klassifizieren und ordnen und damit dem Individuum viele Formen soziales Handelns ermöglichen. Sie schaffen und definieren den Platz des Individuums in der Gesellschaft. Basierend auf Gruppenkategorisierung werden einerseits Unterschiede zwischen Kategorien (Interklassenunterschiede) betont, und dementsprechend zeigen die Menschen die Verhaltensweise wie Diskriminierung. Anderseits werden die Unterschiede zwischen Mitgliedern innerhalb derselben Kategorie (Interklassenunterschiede) unterschätzt oder eingeschränkt, was die Verhaltensweise wie Solidarität ergibt. Man könnte also andere Menschen als Gruppenmitglieder mögen, aber gleichzeitig nicht unbedingt als einzelne Personen. Eine solche Art der Identifikation kann auch zur Verinnerlichung und Befolgung von Gruppenwerten und Normen und somit zur Homogenität in Einstellungen und Verhalten führen. Wenn diese soziale Kategorisierungen von allen Gruppenmitgliedern geteilt werden, funktionieren sie als „soziale Stereotypen“ und helfen, ihr Verhalten zu interpretieren, erklären und sogar zu rechtfertigen3.
Sozialer Vergleich: Sozialer Vergleich ist eine Art des Verhaltens, die durch soziale Kategorisierung ausgelöst wird. Um seinen Platz in der Gesellschaft und die Angemessenheit seiner Zugehörigkeit zu seiner Gruppe zu bestimmen, bewertet das Individuum seine eigene soziale Kategorie im Vergleich zu anderen Gruppen. Die Soziale Identitätstheorie geht davon aus, dass wir nicht nur uns selbst und andere kategorisieren, sondern wir bewerten auch diese Kategorien. Der soziale Vergleich findet in der Regel mit den Gruppen statt, die der eigenen Gruppe ähnlich sind und sich auf Dimensionen bezieht, die auch eigene Gruppe ausmachen. Je näher die anderen Gruppen der Gruppe eines bestimmten Menschen in Bezug auf die Dimensionen sind, auf denen er konkurriert, desto relevanter wird der soziale Vergleich und desto mehr braucht und will er ein positives Ergebnis. Das Ergebnis des sozialen Vergleichs bestimmt weitgehend die Über- oder Unterlegenheit der Gruppe des Menschen und damit seine soziale Identität und Selbstwertgefühl. Die anderen Motive, in denen der Intergruppenvergleich verwurzelt sind, könnten Selbsterkenntnis oder Selbstverwirklichung sein. Laut Tajfel und Turner gibt es drei Prämissen für den sozialen Vergleich: erstens müssen Individuen ihre Gruppenzugehörigkeit als Teil ihres Selbstkonzepts verinnerlicht haben; sie müssen mit ihrer Ingroup identifiziert sein, zweitens muss die Situation den sozialen Vergleich zulassen. Drittens, die Outgroup muss in Bezug auf Ähnlichkeit und Nähe relevant sein4.
Selbstachtung/ Selbstwertgefühl: Wenn die Unterlegenheit der eigenen Gruppe nicht geleugnet werden kann, verlassen die Mitglieder möglicherweise die Gruppe und schließen sich einer anderen Gruppe mit höherem Status an. Diese Strategie basiert sich auf der Glaubensstruktur der sozialen Mobilität. Oder sie verdankt sich der Glaubensstruktur des sozialen Wandels, was Strategien wie sozialen Wettbewerb und soziale Kreativität impliziert5.
Durch die Hervorhebung der Möglichkeit der sozialen Mobilität haben Tajfel und Turner auf die einheitliche Richtlinie hingedeutet, die fast alle psychologische, soziale oder sozial-psychologische Identitätstheorien voraussetzen, und die heißt, die Flüssigkeit der Identitätskonstruktion: Tajfel und Turner konstatieren, dass die definierenden Merkmale der Gruppen, ihre Beziehungen zu anderen Kategorien und abschließend das Selbstkonzept des Individuums sich immer wieder verändern. Aus diesem Grund ist die Motivation zur Wiedererlangung einer positiven sozialen Identität immer im Prozess vorhanden6 (258-59). In der gleichen Linie behauptet Kaufmann, dass Identität immer ein subjektives Konstrukt ist. Die Subjektwerdung oder die Bestimmung des Selbst steht eben doch im Zusammenhang mit strukturellen und kulturellen, geschichtlichen und traditionellen Gegebenheiten. Entweder passen die Individuen sich an diese unfreiwillige und unbewusste Prägungen oder wehren sie sich gegen sie. Kaufmann meint, dass das Ego versucht, die zersplitterten Teiles seines Lebens zusammenzufügen, damit daraus ein sinnvolles Bild von Selbst entstehen kann. Diese Identität nennt er die biografische und narrative, die das Handeln des Egos ausmacht. Diese Arbeit am Selbst ist für Kaufmann nicht nur eine kognitive, sondern auch eine emotionale, da das Individuum sich in der Situation des Handelns und Seins auch wohlfühlen muss. Der Antrieb für diese Arbeit am Selbst ist also die Wahrung und Achtung des Selbst. Kaufmann behauptet, dass das Individuum sich ständig in der Selbstfragung und der Reflexion über eigenes Handeln, eigene Position und eigenes Dasein befindet7.
Außerdem manifestiert sich heute die postmoderne Pluralität und Fragmentierung über alle Dimensionen des Lebens und die Identität bleibt davon nicht verschont: eine Person kann unterschiedliche Identitäten haben, abhängend von Kontexten und Menschengruppen, unter denen er oder sie sich befindet. Im Grunde genommen gibt es keine einheitliche , apriori und kohärente Identität, sondern sie wird durch soziale und Diskurs Prozesse konstruiert. In dieser Hinsicht bezeichnet Judith Butler die Identität spezifisch in Bezug auf Geschlechtsidentität als „performativ“.
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1 E. Ashforth, Blake und Mael, Fred (1989): ,Social Identity Theory and the Organization’, The Academy of Management Review, S.256.
2 Hoffmann, Dagmar (2008): ,Rezension : Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität‘, Forum Qualitative Sozialforschung.
3 E. Ashforth, Blake und Mael, Fred (1989): ,Social Identity Theory and the Organization’, The Academy of Management Review, S.258.
4 Ebd.
5 E. Ashforth, Blake und Mael, Fred (1989): ,Social Identity Theory and the Organization’, The Academy of Management Review, S.260.
6 E. Ashforth, Blake und Mael, Fred (1989): ,Social Identity Theory and the Organization’, The Academy of Management Review, S.258-259.
7 Hoffmann, Dagmar (2008): ,Rezension : Die Erfindung des Ich. Eine Theorie der Identität‘, Forum Qualitative Sozialforschung.