Das Burnout-Syndrom bei Lehrkräften


Examensarbeit, 2007

168 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Vorwort

Einleitung

1 Lehrerpersönlichkeit
1.1 Einleitung
1.2 Begriffsklärung
1.3 Das Modell von Gudjons
1.3.1 Grundtendenz Distanz
1.3.2 Grundtendenz Nähe
1.3.3 Grundtendenz System/ Ordnung
1.3.4 Grundtendenz Freiheit/ Spontaneität
1.3.5 Zusammenfassung
1.4 Persönlichkeitsmerkmale von Lehrern
1.5 Motive der Berufswahl
1.6 Exkurs: Narzissmus bei Lehrern
1.7 Zusammenfassung

2 Belastungen des Lehrers
2.1 Einleitung
2.2 Begriffsklärung
2.3 Das Beanspruchungsmodell von Rudow
2.4 Das AVEM von Schaarschmidt
2.4.1. Die 11 Dimensionen und die Sekundärfaktoren
2.4.2 Die verschiedenen Muster des AVEM
2.5 Belastungsfaktoren: Übersicht
2.6 Belastungsfaktor Arbeitsaufgaben und schulorganisatorische Bedingungen
2.6.1. Arbeitsaufgaben
2.6.2 Arbeitszeit
2.6.3. Unterrichtsfach
2.6.4 Klassengröße
2.6.5 Klassenzusammensetzung
2.6.6 Schulgröße
2.6.7 Schultyp
2.6.8 Ausbildung
2.6.9 Weiter- und Fortbildungsmaßnahmen
2.6.10 Unterrichtspausen
2.6.11 Belastungen durch verschiedene Teiltätigkeiten
2.6.12 Lehrmittel
2.6.13 Gesundheitliche Belastung der Lehrer
2.6.13.1 Belastung durch Stehen
2.6.13.2 Belastung durch Sitzen
2.6.13.3 Klima
2.6.13.4 Stimmbelastung
2.7 Arbeitshygienische Bedingungen
2.7.1 Lärm
2.7.2 Klassenraumgröße
2.7.3 Unterrichtsfachspezifische Belastungsfaktoren
2.8 Soziale Arbeitsbedingungen
2.8.1 Umgang mit den Schülern
2.8.1.1 Belastung durch die Schüler
2.8.1.2 Gewalt und Drogen in der Schule
2.8.2 Umgang mit Kollegen, Schulleitern, Schulaufsicht und Verwaltung
2.8.2.1 Umgang mit Kollegen
2.8.2.2 Umgang mit der Schulleitung
2.8.2.3 Umgang mit der Schulaufsicht
2.8.2.4 Umgang mit der Schulverwaltung
2.8.3. Umgang mit den Eltern
2.9 Gesellschaftlich- kulturelle Bedingungen
2.9.1 Ideologische Normen
2.9.2 Kulturelles Berufsbild und Berufsimage
2.9.3 Berufsstatus
2.9.4 Jugendkultur
2.10 Exkurse
2.10.1 Belastung und Alter
2.10.2 Geschlechtsunterschiede hinsichtlich der Belastung
2.10.3 Die Belastung der Sportlehrer
2.11 Zusammenfassung

3 Das Burnout- Syndrom
3.1 Einleitung
3.2 Geschichte des Burnout- Syndroms
3.3 Burnout- Syndrom - Definitionen
3.4 Abgrenzung zu verwandten Konstrukten
3.4.1 Stress
3.4.2 Depression
3.4.3 Arbeitsunzufriedenheit
3.4.4 Überdruss
3.4.5 Angst
3.5 Die Symptome des Burnout- Syndroms
3.6 Erklärungsmodelle zum Burnout- Syndrom
3.6.1 Übersicht
3.6.2 Persönlichkeitszentrierte Ansätze
3.6.2.1 Burnout- Modell nach Meier (1983) – Burnout als Erwartungs- Wirklichkeitsdiskrepanz
3.6.2.2 Modell nach Burisch (1994) – Burnout als gestörte Handlungsepisode
3.6.2.3 Modell nach Freudenberger (1974) – Burnout als Überanstrengung
3.6.2.4 Modell von Edelwich und Brodsky (1984) – Burnout als Prozess fortschreitender Desillusionierung
3.6.2.6 Merkmale der Persönlichkeit, die das Ausbrennen fördern
3.6.2.7 Zusammenfassung zu „Persönlichkeitszentrierte Erklärungsansätze“
3.6.3 Sozial-, arbeits- und organisationspsychologische Ansätze
3.6.3.1 Modell nach Maslach und Jackson (1984)- Burnout als Folge emotionaler Überbeanspruchung
3.6.3.2 Das „Soziale Kompetenz-Modell“ des Burnouts von Harrison (1983)
3.6.3.3 Das „Stressmodell“ des Burnout von Eisenstat und Felner (1983)
3.6.3.4 Phasenmodell des Burnouts nach Golembiewski und Munzenrieder (1981)
3.6.3.5 Modell Pines, Aronson und Kafry (1980) - Überdruss und Burnout
3.6.3.6 Das „Kybernetische Modell“ des Burnout von Heifetz und Bersani (1983)
3.6.3.7 Integratives Model von Cherniss (1980) – Burnout als verloren gegangene Wirksamkeit
3.6.3.8 Situationale Bedingungen, die fördernd auf das Burnout- Syndrom wirken
3.6.3.9 Zusammenfassung: Sozial-, arbeits- und organisationspsychologische Ansätze
3.6.4 Zusammenfassung aller Erklärungsmodelle
3.7 Der Verlauf des Burnout -Syndroms
3.8 Messinstrumente des Burnout- Syndroms
3.8.1 Das MBI (1981)
3.8.2 Der Fragebogen nach Knauder (1996)
3.8.3 Die SBS-HP (1981)
3.8.4 Die Überdruss-Skala (1983)
3.8.5 Mess- Instrument AVEM

4 Entspannung als präventive und intervenierende Maßnahme gegen Burnout
4.1 Einleitung
4.2 Organisationsbezogene Hilfsmöglichkeiten
4.2.1 Reduzierung der Arbeitsbelastung
4.2.2 Gestaltung der Arbeitsumgebung
4.2.3 Fort- und Weiterbildungsmöglichkeiten
4.2.4 Anregung
4.2.5 Verbesserung des Lehrer-Images
4.3 Individuelle Hilfsmöglichkeiten bei dem Burnout- Syndrom
4.3.1 Enttabuisierung
4.3.2 Identifizierung von Stressquellen
4.3.3 Grenzen setzen
4.3.4 Realistische Ziele
4.3.5 Soziale Unterstützung
4.3.6 Zeitmanagement
4.3.7 Selbstakzeptierung
4.3.8 Psychotherapie
4.3.9 Entspannungsmöglichkeiten
4.4 Entspannung als Maßnahme gegen das Burnout- Syndrom
4.4.1 Einleitung
4.4.2 Autogenes Training
4.4.2.1 Entstehung
4.4.2.2 Voraussetzungen
4.4.2.3 Organisation
4.4.2.4 Durchführung
4.4.2.5 Wirkungen
4.4.3 Progressive Muskelentspannung
4.4.3.1 Entstehung
4.4.3.2 Voraussetzungen
4.4.3.3 Organisation
4.4.3.4 Durchführung
4.4.3.5 Wirkungen
4.4.4 Hatha-Yoga
4.4.4.1 Allgemein
4.4.4.2 Organisation
4.4.4.3 Vorrausetzungen für die Yoga-Übungen
4.4.4.4 Durchführung
4.4.4.5 Wirkung
4.4.5 Zusammenfassung Entspannungsmethoden

Ausblick

Literaturverzeichnis

Anhang

Anhang 1: Das Persönlichkeitsmodell von Dieterich (1983)

Anhang 2: Symptome des Burnout, klassifiziert in sieben Kategorien nach Burisch (1994)

Anhang 3: Der MBI (1981) von Maslach

Anhang 4: Der SPS- HP (1981)

Anhang 5: Die Überdruss-Skala (1983)

Vorwort

„Wer je ein ausgebranntes Gebäude gesehen hat, der weiß, wie verheerend so etwas aussieht.

Ein Bauwerk, eben noch von pulsierendem Leben erfüllt, ist nun verwüstet.

Wo früher Geschäftstätigkeit herrschte, finden sich jetzt nur noch verkohlte Überreste von Kraft und Leben.

Ein paar Ziegel und Zementbrocken mögen stehengeblieben sein, ein paar leere Fensterrahmen.

Vielleicht ist sogar die äußere Hülle des Gebäudes noch erhalten.

Wer sich jedoch hineinwagt in die Ruin, wird erschüttert vor dem Werk der Vernichtung stehen.“ [1]

In zahlreichen Praktika habe ich Lehrer erlebt, über die hinter vorgehaltener Hand gesagt wurde, dass sie das Burnout- Syndrom haben. Wenn ich fragte, was das Burnout- Syndrom genau sei und was man dagegen unternehmen könnte, erntete ich meist Achselzucken. Alternativ bekam ich Antworten wie „Irgendwann brennt in der Schule jeder aus!“ oder „Der verträgt den Beruf halt nicht!“.

Einleitung

Auch in seriösen Zeitungen sind immer häufiger Aufmacher wie „Lehrer als Risikogruppe“[2] oder „Die Ausgebrannten“[3] zu lesen. Diese Problematik ist höchst aktuell, wie zahlreiche wissenschaftliche[4], populär wissenschaftliche[5] oder sonstigen[6] Veröffentlichungen zeigen. Die teilweise plakativen Überschriften kommen nicht von ungefähr - Lehrkräfte sehen sich in ihrem Beruf immer größeren Belastungen ausgesetzt. Verschiedene Studien[7] zeigen, dass der Lehrberuf wesentlich belastender ist als große Teile der durch Vorurteile über die „faulen Säcke“ (Altbundeskanzler G. Schröder) geprägten Öffentlichkeit erkennen wollen. Folge der Belastungen kann das Burnout- Syndrom sein.

Das Burnout-Syndrom kann durch bestimmte Persönlichkeitsmerkmale hervorgerufen werden, daher wird in dieser Arbeit zuerst die Persönlichkeit der Lehrkräfte analysiert. Vor der genauen Betrachtung des Burnout-Syndroms werden die Belastungen des Lehrberufs, die ebenfalls Burnout-Syndrom auslösend sein können, dargestellt. Abschließend folgen eine Vorstellung von Entspannungsmöglichkeiten für die betroffenen bzw. gefährdeten Lehrkräfte, da es „schlicht an Erholungsmöglichkeiten“[8] für Lehrkräfte mangelt.

Die Ergebnisse dieser Arbeit sind:

(1) Trotz zahlreicher charakteristischer Persönlichkeitsmerkmale gibt es nicht die typische Lehrerpersönlichkeit.
(2) Im Lehrberuf treten zahlreiche den Lehrer belastende Situationen auf.
(3) Lehrkräfte können von dem Burnout-Syndrom betroffen sein, wenn bei ihnen eine Kombination aus speziellen Persönlichkeitsmerkmalen und bestimmten Berufsbedingungen auftritt.
(4) Entspannungsverfahren bieten sich als präventive und rehabilitative Maßnahme gegen das Burnout- Syndrom an.

In dieser Arbeit wird die maskuline Form „Lehrer“ verwendet. Diese umfasst auch das weibliche Geschlecht.

1 Lehrerpersönlichkeit

1.1 Einleitung

In der Züricher Weltwoche schreibt Herzog[9] folgendes über den Beruf des Lehrers:

„Wahrscheinlich gibt es nicht viele Berufe, an die die Gesellschaft so widersprüchliche Anforderungen stellt: Gerecht soll er sein, der Lehrer und zugleich menschlich und nachsichtig, straff soll er führen, doch taktvoll auf jedes Kind eingehen, Begabungen wecken, pädagogische Defizite ausgleichen, Suchtprophylaxe und Aids-Aufklärung betreiben, auf jeden Fall den Lehrplan einhalten, wobei hochbegabte Schüler gleichermaßen zu berücksichtigen sind wie begriffsstutzige. Mit einem Wort: der Lehrer hat die Aufgabe, eine Wandergruppe von Spitzensportlern und Behinderten bei Nacht durch unwegsames Gelände in nordsüdliche Richtung zu führen, und zwar so, dass alle bei bester Laune gleichzeitig an drei verschiedenen Zielorten ankommen.“

Der Lehrer und seine Persönlichkeit: Wer ist der Bergführer, der an der Tafel steht?

Diese Frage haben sich nicht nur Generationen von Schülern gestellt, sondern sie ist auch Gegenstand von diversen wissenschaftlichen Untersuchungen.

Hier soll nach einer begrifflichen Klärung ein Modell von Gudjons (2003) zur Lehrerpersönlichkeit vorgestellt werden.

Anschließend werden die Persönlichkeitsmerkmale und die Berufswahlmotive der Lehrer analysiert.

Abschluss des Kapitels bildet ein Exkurs zum Narzissmus bei Lehrern.

1.2 Begriffsklärung

Zuerst soll der Begriff Persönlichkeit an sich definiert werden:

„[…] die überdauernden Eigenschaften eines Menschen, die ihn von anderen unterscheiden und die in charakteristischen Reaktionen auf Situationen zum Ausdruck kommen.“[10]

Mit „überdauernd“ ist gemeint, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen schwer verändern lässt. Mit „charakteristischen Reaktionen auf Situationen“ wird bei einem Lehrer darauf hingewiesen, dass er in bestimmten Situationen beispielsweise im Klassenzimmer so reagiert, dass der von ihm erwünschte Effekt bei den Schülern eintritt. Dies kann er zum Beispiel durch Erfahrung, aus Büchern oder von anderen Kollegen gelernt haben.

Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in der Gesellschaft herrscht das Bild vor, dass der Lehrer eine „Persönlichkeit“ sein muss. Damit wird aber ein positiver und starker Mensch assoziiert.

Gudjons[11] schreibt ironisch von einer

„’echten’ Lehrerpersönlichkeit, souverän, voller Autorität, aber auch voll Güte, Milde und Weisheit, durchsetzungsfähig ebenso wie voller Verständnis usw., kurz: jemand, zu dem man aufschaut und den man noch lange in Erinnerung behält“.

Müller- Fohrbrodt[12] meint in diesem Zusammenhang, dass nach der Meinung der Öffentlichkeit der Lehrer ein Mensch mit übermenschlichen Eigenschaften sein soll.

Schreiber-Neumann[13] führt den Begriff „Lehrerenthusiasmus“ ein, mit dem unter anderem Begeisterung und Leidenschaft verknüpft werden. Er gibt folgende Adjektive an, die anregend auf die Schüler wirken:

„expressiv, energievoll, vital, […], eindrucksvoll, stimulierend, aktiv, […], interessant, animierend, originell, schwungvoll“.

Nach Miethling[14] wird der Zugang des Lehrers zum Schüler durch die in der Persönlichkeit verbliebene Kindlichkeit dargestellt. Dies fördert einerseits das Verhältnis Lehrer – Schüler, anderseits kann sich der Lehrer dadurch in seiner Identität als Volljähriger und Pädagoge gefährdet sehen.

Rousseau[15] schreibt hierzu: „Erinnert Euch, dass man selber erzogen sein muss, ehe man einen Menschen zu erziehen wagt.“

Ein Lehrer und seine Persönlichkeit sollten also gereift sein, wenn er Schüler unterrichten und erziehen will.

Schreckenberg[16] meint, dass die Persönlichkeit eines Menschen und damit die Anlage bestimmt, ob er ein guter oder schlechter Lehrer wird. Spranger[17] stimmt mit dieser Meinung überein, denn ein guter Lehrer muss „ein geborener Erzieher oder Erzieher von innerer Berufung sein“. Der Antrieb des geborenen Erziehers ist demnach die „pädagogische Liebe“. Nach Spranger[18] sollten die Persönlichkeitsstrukturen der Lehramtsstudenten im Zentrum ihrer Ausbildung stehen. Diese kann aber nur helfen, die Wirkungsmöglichkeiten der Persönlichkeit zu entfalten. Schreckenberg[19] schreibt hierzu: „Keine Lehre - sei sie akademisch- wissenschaftlich oder anders - kann die Persönlichkeit des zukünftigen Lehrers verändern“. Es können nach Schreckenberg[20] aber Einstellungen erlernt werden. Dieser Prozess benötigt viel Zeit, der in der begrenzten Zeit des Studiums nicht zu bewerkstelligen ist. Weiter „liegt der fatale Irrtum zugrunde, die Qualität des Lehrers hänge vor allem von den intellektuellen Fähigkeiten ab“[21]. Nach der Meinung des Autors liegen die Ursachen von Misserfolgserlebnissen im Beruf häufig in nicht veränderbaren Persönlichkeitsstrukturen.

Schreckenberg führt weiter die „prägende Kraft der Lehrerpersönlichkeit an“[22]. Der Lehrer und damit seine Persönlichkeit wirkt weniger durch das, was er lehrt, sondern durch das was er ist.

Es bleibt aber festzuhalten, dass es nicht „die“ Lehrerpersönlichkeit gibt.

„Jeder Lehrer und jede Lehrerin ist eine Persönlichkeit“.[23]

1.3 Das Modell von Gudjons

Ein Modell der Persönlichkeit, sei es vom Lehrer oder dem Angehörigen einer anderen Berufssparte, ist höchst komplex und schwer in einem überschaubaren Rahmen darzustellen. Dieterich et al. (1983)[24] haben es mit dem System der persönlichkeitsbedingten Erziehungswirkung, welches höchst komplex ist, versucht (s. Anhang 1).

Hirsch[25] charakterisiert sehr ausführlich sechs Lehreridentitätstypen, die sie anhand von Berufsbiographien in Verknüpfung mit „gezielten Fragen zu Ausbildungsgang und Berufswahlmotiven, […], zur Entwicklung der beruflichen Kompetenzen, zu Höhe- und Tiefpunkten, zur Berufsmobilität, zum sozialen Umfeld, zu Einstellungen und Selbstbild“[26] erstellt hat. Als Probleme stellen sich hier das „Schubladendenken“ bei der Einordnung der Persönlichkeit in bestimmte Typen und die mangelnde Aktualität der ausgewerteten Daten dar.

Gudjons (2003)[27] schlägt ein relativ einfaches Modell zur Beschreibung der Lehrerpersönlichkeit vor, das deshalb in diesem Rahmen dargestellt werden soll. Es basiert auf einem Konzept von Riemann (1975)[28]. Die Persönlichkeit ist geprägt von vier Grundtendenzen (s. Abb. 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 1 Grundtendenzen der Persönlichkeit nach Gudjons, H. (2003), S.13

Das Grundbedürfnis nach „Nähe“, das vor sozialer Isolierung schützt, hat das Bedürfnis nach „Distanz“ als Gegenpol, welches vor dem Einverleiben und der Abhängigkeit bewahrt.

Der Neigung zu „Ordnung / System“, die vor Chaos und Unsicherheit bewahrt, steht die Sehnsucht nach „Freiheit / Spontaneität“, die vor der Einengung und dem „Zwang der bitteren Notwendigkeit“[29] schützt, gegenüber

Diese Grundtendenzen liegen jeweils am Ende eines Koordinatenkreuzes und widersprechen sich.

Die zwei Achsen mit den vier Grundtendenzen beschreibt Gudjons[30] als „Speichen“ eines Rades. Menschen, bei denen die vier Speichen gleich lang sind, bezeichnet er als ausgeglichene Persönlichkeiten.

Bei unterschiedlich langen Speichen ist der Mensch „um so weniger integriert“[31].

In diesem System werden nicht bestimmte festgeschriebene Typen, diese Einteilung ist fast immer falsch, sondern vier Grundtendenzen beschrieben, die in jedem Menschen vorzufinden sind. Die meisten Lehrer tragen alle vier Grundtendenzen in sich.

Extreme Ausprägungen der einzelnen Grundtendenzen können zu bestimmten Krankheitsbildern wie unter anderem dem Burnout- Syndrom führen.

1.3.1 Grundtendenz Distanz

Kommt ein Mensch einem anderen Menschen zu nahe - er übertritt damit eine unsichtbare Grenze- so wird dies von Persönlichkeiten mit einer ausgeprägten Grundtendenz „Distanz“ als Bedrohung empfunden. Diese Angst nimmt Emotionen und Gefühle aus den Beziehungen. Sie werden rational betrachtet.

Persönlichkeiten mit einer großen Grundtendenz „Distanz“ führen meist sehr unterkühlte Beziehungen. Die Nähe, aber auch die Liebe der Mitmenschen, wird mit einer Angst vor extremer Vereinnahmung erlebt. Diese Menschen benötigen den Abstand zu ihren Mitmenschen als eine Art Selbstschutz.

Dies alles kann zur Isolation dieser Persönlichkeit führen.

Lehrer mit der Grundtendenz „Distanz“ bezeichnen sich als „hart, aber gerecht“. Aggressionen werden auf andere Menschen, in der Schule sind dies Kollegen und Schüler, projiziert.

Er hat Probleme, Zuwendungen von Schülern anzunehmen. Als Beweggrund eines Geschenkes von einem Schüler sieht er beispielsweise dessen schlechtes Gewissen. Aus Angst verletzt zu werden geht er keine Nähe zu den Schülern ein.

Er bewertet die Leistungen seiner Schüler äußerst sachlich. Seinen Unterricht hält er meist frontal, neuere Unterrichtsformen sieht er aus einem konservativen Blickwinkel.

Die Grundtendenz „Distanz“ „befähigt durchaus auch positiv zur Unabhängigkeit, Selbstständigkeit, oft zu einer hohen Sachkompetenz, zu Durchblick und Klarheit“[32]. Seine Schüler empfinden zwar keine Sympathie für ihn, sie haben aber Respekt vor ihm.

Einem Lehrer mit dieser Persönlichkeit fällt es schwer, mit den Gefühlen der Schüler umzugehen und ihnen die wichtige emotionale Wärme zu geben.

Gudjons[33] vermutet, dass Lehrer mit einer ausgeprägten Grundtendenz „Distanz“ häufig naturwissenschaftliche Fächer unterrichten und die Rolle des Fachlehrers bevorzugen.

1.3.2 Grundtendenz Nähe

Jeder Mensch hat das Bedürfnis nach Nähe. Er will geliebt und angenommen werden. Diese Bedürfnisse äußern sich manchmal in der nicht bewusst wahrgenommenen Angst verlassen zu werden oder nicht geliebt zu werden.

Bei Persönlichkeiten mit der ausgeprägten Grundtendenz „Nähe“ wird diese von der Angst vor Unbeliebtheit überlagert. Sie wollen es allen möglichst ohne Konflikte „recht“ machen. Das Nein- Sagen gehört nicht zu ihren Stärken. Ihren Mitmenschen Leid zuzufügen bereitet ihnen selbst Schmerzen.

Sie fühlen sich für alles verantwortlich. Aggressionen werden im Gegensatz zu Persönlichkeiten mit ausgeprägter Grundtendenz „Distanz“ auf sich selbst projiziert. Sie haben kein Ventil, an dem sie ihre Emotionen und Gefühle „rauslassen“ können. Die Folge davon können Depressionen sein.

Solche Lehrer-Persönlichkeiten haben Angst davor, bei den Schülern unbeliebt zu sein. Die Nähe zu den Schülern wird als eine Existenzberechtigung gesehen. Die Wahl der Methoden in ihrem Unterricht ist abhängig von deren Beliebtheit bei den Schülern. Die Bewertung der Schüler ist äußerst „human“ und so geartet, dass der Schüler damit zufrieden ist. Sie können sich gut in die Lage der Schüler versetzen, sie besitzen ein hohes Maß an Empathie. Die Schüler bekommen von ihnen ein Gefühl der Wärme und Geborgenheit.

Bei Lehrern mit einer ausgeprägten Grundtendenz „Nähe“ besteht aber auch die Gefahr, dass sie von ihren Schülern ausgenutzt werden.

Weiter neigen sie dazu, sich selbst zu überfordern, da sie sich ständig an anderen orientieren und gleichzeitig Angst haben, nicht mehr geliebt zu werden.

Gudjons[34] vermutet „im Nähebedürfnis überhaupt eine unbewusste, aber starke Wurzel für die Wahl des Lehrer/inberufs“.

Lehrer mit der ausgeprägten Grundtendenz „Nähe“, so nimmt er weiter an, unterrichten tendenziell eher als Klassenlehrer und in unteren Klassenstufen.

Die Grundtendenz „Nähe“ in nicht extremer Form ist meiner Meinung nach unabdingbar für den Beruf des Lehrers. Den Schülern muss die Möglichkeit zur liebenden Identifikation mit ihrem Lehrer gegeben werden. Dies ist essentiell für ihre Entwicklung.

1.3.3 Grundtendenz System/ Ordnung

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 2 Lehrer Lämpel in „Max und Moritz“ von Busch, W. (1979), S. 27

Ein gewisses Maß an Ordnung und System ist für jeden Menschen notwendig, um den Alltag zu bewältigen.

Einer Persönlichkeit mit ausgeprägter Grundtendenz zu „System / Ordnung“ widerstrebt das Chaos. Sie sichert sich gern gegenüber allen Risiken ab und plant alle Abläufe äußerst genau. Sie entwickelt gewisse Rituale und Zwangshandlungen, die ihr das Gefühl der Kontrolle vermitteln.

Im Extrem kann ein Zwang zu Systemen, Ordnungen und Regeln zu einer Angst vor neuen und unbekannten Dingen führen. Die Persönlichkeit begegnet ihnen gegenüber eher unflexibel und wenig spontan.

Ein Lehrer mit ausgeprägter Grundtendenz zu „System und Ordnung“ will unter allen Umständen die Situation kontrollieren, was er mit akribischer Planung zu erreichen versucht. Auf Ungeplantes reagiert er mit Kontrollmechanismen wie Strafen. Eine solche Lehrerpersönlichkeit verbietet sich selbst Aggression.

Mit den Schülern einer anderen Generation mit anderen Werten und Einstellungen kommt er nicht immer zurecht. Seine Beziehungen zu den Schülern sind geprägt von Anonymität, Kargheit und Starrheit.

Liebe, Gefühle und Anerkennung gegenüber den Schülern macht er abhängig von deren erbrachten Leistungen. Seine Beurteilungen erfüllen in höchstem Maße die Ansprüche an Exaktheit und Korrektheit.

Diese Berechenbarkeit macht es für die Schüler einfach, den Lehrer einzuschätzen. Er vermittelt Halt und Sicherheit. Er führt die Schüler und an ihm können sie sich orientieren.

Lehrer mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Grundtendenz „System / Ordnung“ sind die Lehrer, die jahrzehntelang die Schule bevölkerten. Exemplarisch sei hier der Lehrer Lämpel in Buschs[35] „Max und Moritz“ genannt (s. Abb.2).

1.3.4 Grundtendenz Freiheit/ Spontaneität

Zu jeder Persönlichkeit gehören auch der Drang und die Sehnsucht nach Freiheit bzw. der Wille und die Bereitschaft zu spontanem Handeln. Dies führt zu „Angst vor Einengung, Festlegung, vor dem Unausweichlichen, dem Starren, aber auch vor dem Stück unveränderbarer Realität in unserem Leben.“[36]

Persönlichkeiten mit der extremen Ausprägung der Grundtendenz „Freiheit/ Spontaneität“ geben sich im Umgang leger, sind großzügig und nehmen viele Situationen nicht mit dem nötigen Ernst wahr. Sie verfügen über ein mitreißendes Temperament und viel Phantasie.

Lehrerpersönlichkeiten mit einer starken Ausprägung dieser Grundtendenz halten spannenden und fesselnden Unterricht, der oft improvisiert und nicht sehr sorgfältig geplant ist. Die zeitliche Einteilung des Unterrichts funktioniert oft nicht, alles ist je nach Ausprägung mehr oder weniger chaotisch. Der Stoff wird nie bis in die Tiefe behandelt.

Solche Lehrerpersönlichkeiten pflegen zwar relativ enge Beziehungen zu den Schülern. Beziehungen zu so genannten Problem-Schülern werden aber vermieden. Weiter ist Selbstkritik nicht ihre Stärke.

Die Lockerheit dieser Lehrer deutet nach Riemann[37] auf eine „Illusion ewiger Jugend“ hin.

Sie handeln oft unkonsequent und nicht eindeutig. „Das ‚seelische Aprilwetter’ wirkt chaotisierend auf die Kinder.“[38] Ihr Unterricht ist eine Show. Ein gewisses Geltungsbedürfnis spielt hier eine Rolle (s. auch Kapitel 1.6). Aggressionen gegen sich und die Schüler sind nicht tiefgreifend und lang anhaltend. Vor allem diese Grundtendenz führt zu Reibungserscheinungen mit dem starren Schulsystem in Deutschland mit seinen überalterten Kollegien und steckengebliebenen Reformen.

Insgesamt fasst Gudjons[39] zusammen,

„finden wir hier die Offenheit für Neues, Wendigkeit, Kontaktfreude, Darstellungsfähigkeit – aber auch Schauspielerei, verdrängte Unsicherheit und auch eine inadäquate Einschätzung der Realität von Schule, die Fluchttendenzen begünstigen kann“.

1.3.5 Zusammenfassung

Alle Grundtendenzen sind bei den meisten Lehrern in unterschiedlicher Ausprägung vorzufinden. Die Mehrzahl wird eine leichte „Schlagseite“ in Richtung einer Tendenz haben. Lehrer-Persönlichkeiten, bei denen alle Speichen gleich lang sind, dürften selten zu finden sein. Ein komplett rundes Rad kann auch nur maschinell hergestellt werden, Lehrer sind keine Roboter!

Nach Gudjons[40] „herrscht heute bei vielen Lehrer/innen eine ausgeprägte Nähe-Tendenz vor“.

Ebenso ist bei den heutigen Lehrern die Grundtendenz „Freiheit/ Spontaneität“ stärker ausgeprägt als früher.

Die stärkere Ausprägung dieser beiden Grundtendenzen deutet auf folgende Grundgefühle der Lehrer hin: Sie fühlen sich als Objekt in der Schule und können bzw. wollen die Schulrealität nicht akzeptieren.

1.4 Persönlichkeitsmerkmale von Lehrern

Nachdem theoretisch erörtert wurde, wie ein Lehrer sein könnte und zwischen welchen Extremen er auf den beiden Achsen „Distanz“ und „Nähe“ bzw. „Ordnung / System“ und „Freiheit / Spontaneität“ schwankt, stellt sich die Frage, wie sich die genauen Merkmale der Persönlichkeit des Lehrers beschreiben lassen.

Die wissenschaftliche Meinung hierzu ist nicht einheitlich. Weiter ist zu bedenken, dass es nicht „den“ Lehrer und „die“ Lehrerpersönlichkeit gibt.

Es sollen nun ausgewählte empirische Ergebnisse dargestellt werden.

Krainz[41] ermittelte folgende Persönlichkeitsmerkmale der Lehrer: “

1. Starke Sozialbezogenheit, Zugehörigkeit zur sozialen Lebensform.
2. Eine positive pädagogische Einstellung und ein starkes Interesse für den heranwachsenden Menschen, seiner Bildung und Erziehung.
3. Eine geringe Neigung für praktische manuelle Tätigkeiten, aber auch kein besonders ausgeprägtes wissenschaftliches Interesse.
4. Eine Abneigung gegenüber Verwaltungs- und Büroarbeiten sowie ein Desinteresse für gesellschaftlich- wirtschaftliche Belange.
5. Deutlich ausgeprägte künstlerische Neigungen, besonders musikalische Interessen.
6. Tendenzen zu kompensierten manischen Verhaltensweisen sowie eine etwas übertriebene Selbsteinschätzung.“

Liebhardt[42] fand bei Lehrern ausgeprägte Werte bei den Merkmalen Autoritarismus, Dogmatismus und Egozentrismus. Weiter folgerte er, dass wegen der Realitätsferne des Beruf des Lehrers vor allem konservative, autoritäre, für neue Ideen wenig aufgeschlossene Männer diesen Beruf wählen. Bei weiblichen Lehrern fand er keine so erheblichen Werte.

Müller – Fohrbrodt[43] widerspricht diesen Ergebnissen, sie findet keine überdurchschnittlich hohen Werte hinsichtlich Autorität oder Dominanz. Nach Scheller[44] sind bei Lehramtsstudenten folgende Ausprägungen der Persönlichkeitsmerkmale anzutreffen: niedrige Leistungsmotivation, geringe Intelligenz, geringe geistige Flexibilität, geringes Anspruchsniveau, wenig Selbstsicherheit.

Nach Leeds[45] hingegen sind angehende Lehrer zurückhaltender, freundlicher und optimistischer als Studenten einer Vergleichsgruppe.

Adorno[46] beschreibt Lehrer als Menschen mit neurotischen Zügen, die Angst vor dem „richtigen“ Leben haben und ihre eigenen Schwächen durch Drangsalierungen gegenüber ihren Schülern zu kompensieren versuchen.

Neuere Ergebnisse von Mayr[47] widersprechen dem. Danach sind Lehrer überdurchschnittlich intelligent, ausgeprägt feinfühlig und extravertiert. Sie besitzen jedoch eine hohe Bereitschaft sich unterzuordnen, was aus einem niedrigen Selbstwertgefühl resultieren könnte.

Nach Hemmer[48] findet sich bei vielen Lehramtsstudentinnen das „Helfer-Syndrom“.

1.5 Motive der Berufswahl

Ist es schon früh abzusehen, wer mit welchen Persönlichkeitsmerkmalen den Lehrberuf ergreift?

Havers und Innerhofer[49] sehen bei den Schülern, die sich später für den Lehrberuf entscheiden, einen Zusammenhang zu den Leistungen in der Schulzeit - je schlechter die Abiturnote, desto wahrscheinlicher entscheidet sich derjenige für den Lehrberuf. Nach Holland[50] hingegen haben zukünftige Lehramtsstudenten in den Hauptfächern Mathematik, Deutsch und Englisch bessere Zensuren im Abitur als ihre gleichaltrigen Mitschüler.

Hemmer[51] schreibt, dass zwei Merkmale auf viele Lehramtsstudenten zutreffen - die innere Unsicherheit und die Scheu vor Risiko (welches das angestrebte Beamtentum minimiert).

Im Gegenteil hierzu fand Müller- Fohrbrodt[52] keine signifikanten Unterschiede hinsichtlich der Persönlichkeitsmerkmale zwischen Lehramtsstudenten und einer Vergleichsgruppe. Sie sind laut der Autorin weder ängstlicher noch ich- schwächer als Studenten anderer Studiengänge.

Nach einer Befragung von Oestereich[53] sind folgende Motive die wichtigsten bei der Berufswahl der zukünftigen Lehrer:

(insgesamt 16 Motive, n=257, Mehrfachnennungen möglich)

1. Weil ich gern mit Kindern und Jugendlichen zusammen bin (n= 197)
2. Weil man als Lehrer eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe hat (n= 152)
3. Weil die Tätigkeit interessant, vielseitig und abwechslungsreich ist (n= 133)
4. Weil ich gerne Wissen in meinem Wahlfach vermitteln möchte (n=95)
5. Weil ich in meiner Schulzeit schlechte Erfahrungen gemacht habe und es besser machen möchte (n = 85)“.

Flaake[54] fand heraus, dass 45 % derjenigen, die ihren Lehrberuf wieder wählen würden, eine gute Schulzeit hatten. Lediglich 26 %, die ihren Beruf nicht noch einmal ergreifen würden, sahen ihre eigene Schullaufbahn positiv.

1.6 Exkurs: Narzissmus bei Lehrern

Die Charaktereigenschaft Narzissmus[55] wird bevorzugt Lehrern vorgeworfen. Solche selbstsüchtigen Motive findet man natürlich nicht nur bei Lehrern. Es ist jedoch zu bedenken, dass Lehrer sich diese Charakterschwäche, wenn sie in extremer Ausprägung vorliegt, wegen ihrer erzieherischen Verantwortung nicht leisten sollten.

Es muss jedoch nach Schmidbauer[56] zwischen gesundem und krankem Narzissmus unterschieden werden. Gesunder Narzissmus ist aufgabenorientiert und sieht durchschnittliche Leistungen als Grundlage für Spitzenleistungen. Kranker Narzissmus hingegen ist erfolgsorientiert und lehnt Durchschnittsleistungen ab.

Narzissmus kann auch zu ausgeprägtem Geltungsstreben führen. Nach Hemmer[57] ist dies vor allem bei männlichen Lehrern ein unbewusstes Berufswahlmotiv. Er vermutet, dass sie sich erhoffen, bei Schülern eher als bei Erwachsenen ihr Streben nach Geltung befriedigen zu können. Die Chance zur Selbstdarstellung ist vor der Klasse, da sie vom Lehrer abhängig und meist unwissender ist, wesentlich größer als vor Erwachsenen, die unabhängig und vom Wissensstand gleichauf sind.

Ein Lehrer mit narzisstischen Persönlichkeitszügen fürchtet die Bedeutungslosigkeit. Deshalb strebt er, dies gilt aber nicht nur für ihn, sondern für alle anderen Menschen auch, nach Anerkennung und Bewunderung.

Seine menschlichen Beziehungen versucht er zur Selbstbestätigung zu nutzen. Er geht davon aus, im zwischenmenschlichen Kontakt potentiell verletzt zu werden. Dies versucht er durch Dominanz und Sozialprestige zu kompensieren. Gleichberechtigte soziale Beziehungen sind schwierig, da narzisstische Lehrer unfähig sind Schwächen zu zeigen.

Weiter ist anzumerken, dass narzisstische Persönlichkeiten überall dort anzutreffen sind, wo ein ungleiches Machtverhältnis, wie z.B. zwischen Behörde und Bürger oder Vorgesetzter und Untergebener herrscht. Dies ist beim Lehrberuf auch so.

Ein narzisstischer Lehrer transferiert seine Ich-Idealvorstellungen und Allmachtsfantasien in seine besten Schüler. Schlechte Leistungen akzeptiert er nicht.[58]

Meiner Meinung nach ist es eine sehr gewagte These, dass Lehrer Narzissten sind, da dies nicht statistisch, was zugegebenerweise ziemlich schwer ist, bewiesen wurde. Dies trifft wohl aber nicht auf die Mehrheit der Lehrer zu.

1.7 Zusammenfassung

(1) Diverse Modelle versuchen sich an der Beschreibung der Lehrer-Persönlichkeit. Gudjons (2003)[59] geht dabei von vier Grundtendenzen „Distanz“, „Nähe“, „System / Ordnung“ und „Freiheit/ Spontaneität“ aus.
(2) Bei Lehrern sind die Grundtendenzen „Nähe“ und „Freiheit/ Spontaneität“ besonders ausgeprägt.
(3) Es gibt zahlreiche Persönlichkeitsmerkmale, die typisch für Lehrer sind.
(4) Schon bei der Berufswahl lassen sich einige typische Persönlichkeitsmerkmale erkennen.
(5) Teilweise herrscht bei Lehrern ein bedenklicher Narzissmus, er ist aber nicht prägend für diese Berufsart.
(6) Insgesamt ist zu sagen, dass es den typischen Lehrer und die damit verbundene Persönlichkeit nicht gibt. Lediglich bestimmte Tendenzen können Lehrer charakterisieren.

2 Belastungen des Lehrers

2.1 Einleitung

In einer Studie des BLLV von Hüfner[60] (2003) wurden 3.438 Personen untersucht. Danach schätzen 28,0% der Lehrer ihre beruflichen Belastungen als „sehr stark“ und 54,3% der Lehrer als „stark“ ein. Lediglich 15,0% der befragten Personen fühlen sich „etwas belastet“ und 2,7% „gering belastet“.

In diesem Kapitel soll nun die Belastungssituation des Lehrers dargestellt werden.

Zuerst wird der Begriff „Belastung“ erklärt. Rudows anschließend erläutertes Belastungs-Beanspruchungsmodell soll dann das theoretische Verständnis der Belastung bei Lehrern vermitteln.

Das Instrument AVEM von Schaarschmidt, das Verhaltens- und Erlebensmerkmale in Bezug auf Arbeit und Beruf untersucht, wird danach vorgestellt.

Anschließend werden die einzelnen Belastungsfaktoren in den Kategorien Arbeitsaufgaben und schulorganisatorische Bedingungen, schulhygienische Bedingungen, soziale Bedingungen und gesellschaftlich- kulturelle Bedingungen erörtert.

Als Exkurs folgt eine Betrachtung der signifikanten Zusammenhänge zwischen Alter und Belastung sowie zwischen Geschlecht und Belastung.

Weiter wird noch die besondere Belastungssituation der Sportlehrer näher dargestellt.

2.2 Begriffsklärung

Als erstes soll der Begriff „Belastung“ definiert werden:

Belastungen sind „Beeinträchtigungen der individuellen Befindlichkeit und Stimmung, der Erlebnis-, Verarbeitungs- und Handlungsmöglichkeiten einer Person in einer gegebenen Situation, die subjektiven Leidensdruck hervorrufen. Belastung ist also der Zustand des Erleidens von Beeinträchtigungen und Mangelzuständen, das Erleben von negativen Veränderungen oder Einbußen an […] positiven Erlebnis- und Handlungsmöglichkeiten.“[61]

Belastung wird also individuell erlebt und erlitten, sie ist folglich subjektiv.

Redeker[62] geht noch weiter: „Arbeitstätigkeiten und Arbeitserfahrungen im Lehrberuf […] werden dann als Belastung empfunden, wenn sie eine Frustration elementarer Wünsche bedeuten“.

Im Zusammenhang mit Belastung wird häufig der Begriff „Stress“ genannt bzw. fälschlicherweise als Synonym verwendet.

„Stress tritt dann auf, wenn eine Person ein Missverhältnis zwischen einerseits Anforderungen und Ansprüchen und andererseits Handlungsmöglichkeiten erfährt und zugleich die Folgen dieses Missverhältnisses als bedrohlich erlebt“[63].

Die Unterscheidung zwischen Stress und psychischer Belastung fällt vor allem in der Praxis schwer. K. Ulich[64] sieht „Stress als eine akute, über das sonst erfahrene Maß hinausgehende Belastung“.

Faltermaier[65] erkennt Belastung als ein Person-Umwelt-Verhältnis. Die Umwelt umfasst hierbei die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Person.

Umweltbedingungen, die den Lehrer als Belastung beeinflussen, sind in der Schule als Institution, in den Arbeitsanforderungen und in der Arbeitsorganisation zu sehen. Diese sind natürlich subjektiv, die Korrektur einer Probe beispielsweise ist für den einen Lehrer eine große Belastung, der andere sieht sie als eine willkommene Abwechslung und als nicht belastend an.

„Aus potentiellen Stressoren werden erst durch die individuelle kognitive Bewertung und Bedrohung aktuelle Stressoren.“[66]

2.3 Das Beanspruchungsmodell von Rudow

Rudow (1994) hat ein Belastungs-Beanspruchungsmodell zu dem Beruf des Lehrers konzipiert (s. Abb. 3), das nun detaillierter vorgestellt werden soll, um das theoretische Verständnis der Belastung im Lehrberuf zu verbessern.[67]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 3: Belastungs-Beanspruchungsmodell nach Rudow, B. (1994), S.46, modif.

Rudow versteht unter objektiver Belastung Faktoren der pädagogischen Tätigkeit, die unabhängig von der Person wirken, die aber möglicherweise Beanspruchungen für den Lehrer darstellen.

Die subjektiven Belastungen entstehen durch die Bewertung und die Widerspiegelung der objektiven Belastungen. Die Belastungsfaktoren sind, wie in den Kapiteln 2.6 bis 2.9 näher dargestellt, in die Kategorien Arbeitsaufgaben und schulorganisatorische Bedingungen, schulhygienische Bedingungen, soziale Bedingungen und gesellschaftlich- kulturelle Bedingungen unterteilt. Weiter unterscheidet Rudow[68] zwischen vordergründig kognitiver Belastung, also der Schwierigkeit der Aufgabe und der vordergründig emotionalen Belastung, also den angenehmen bzw. unangenehmen Gefühlen bei der Aufgabenerfüllung.

Bei der Tätigkeit des Lehrers tritt auf jeden Fall die psychophysische Belastung auf. Diese Beanspruchung erfährt der Lehrer als psychische Anspannung und in somatischen Veränderungen (darunter fällt beispielsweise das Herz-Kreislaufsystem).

Rudow hält in diesem Zusammenhang fest, dass Beanspruchungsfolgen nicht nur negativ sein müssen, es sind durchaus positive Beanspruchungsfolgen möglich. Nach dem Modell von Rudow kann Beanspruchung zu Stress, Überforderung etc. führen. Beanspruchung kann aber auch positive Wirkungen wie Freude und Zufriedenheit auslösen. Bei positiven Beanspruchungsfolgen zeigen die Lehrer als Reaktion Wohlbefinden und geistige Aktivität. Sie empfinden die Beanspruchung als Herausforderung, sind aber nicht überfordert. Belastung bewerten sie positiv. Dabei erwerben sie wirksame Handlungsmuster, verfügen über emotionale Stabilität, was wiederum ihre Handlungskompetenz und psychische Gesundheit stärkt. Bei negativen Beanspruchungsfolgen reagieren die Lehrer unmittelbar vor allem mit Stress und Ermüdung, was zu chronischem Stress und Übermüdung führen kann. Dies beeinträchtigt wiederum die Handlungskompetenz und die psychische Gesundheit. Nach Rudow[69] können Ermüdungsanzeichen aber auch eine Chance sein, Überbeanspruchung zu vermeiden und dann zu intervenieren.

K. Ulich[70] sieht an dem Modell von Rudow als Problem, dass es „nicht nach verschiedenen Tätigkeitsbereichen, in denen ja durchaus unterschiedliche subjektive Belastungen auftreten können“, differenziert. Teilweise sehen manche Lehrkräfte die Vorbereitung auf den Unterricht als Belastung an, andere wiederum sind gestresst vom Halten des Unterrichts.

K. Ulich[71] schreibt weiter, „dass die berufliche Gesamtbelastung der einzelnen Lehrer/innen sich als Saldo positiver und negativer Beanspruchungserscheinungen ergibt“.

2.4 Das AVEM von Schaarschmidt

Schaarschmidts Instrument AVEM (Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster) untersucht Verhaltens- und Erlebensmerkmale in Bezug auf Arbeit und Beruf.

Intention des Verfahrens ist es, diese Verhaltens- und Erlebensweisen gegenüber der Arbeit hinsichtlich gesundheitlicher Gesichtspunkte und den sich daraus ergebenden psychosomatischen und psychischen Risiken zu untersuchen.

Dieses Instrument soll hier anfangs vorgestellt werden, da die Ergebnisse der Untersuchungen Schaarschmidts, die auf dem AVEM basieren, wichtiger Bestandteil in den nachfolgenden Ausführungen in Bezug auf die Belastung der Lehrer, aber auch auf das Burnout- Syndrom sind.[72]

2.4.1. Die 11 Dimensionen und die Sekundärfaktoren

Das AVEM besteht aus 11 Dimensionen mit jeweils 6 Items[73], also insgesamt 66 Items. Auf diese Fragen kann auf einer 5-stufigen Skala geantwortet werden („trifft völlig zu“ bis „trifft überhaupt nicht zu“).

Die 11 Dimensionen

1. Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit (=Stellenwert der Arbeit im Leben des Befragten)
2. Beruflicher Ehrgeiz (=Motivation im Beruf aufzusteigen)
3. Verausgabungsbereitschaft ( =Bereitschaft, sich für den Beruf zu verausgaben)
4. Perfektionsstreben (=Arbeitsleistung bestmöglich erbringen)
5. Distanzierungsfähigkeit (=Fähigkeit zur psychischen Erholung von der Arbeit)
6. Resignationstendenz bei Misserfolg (=sich schnell mit Misserfolgen abfinden und dann aufgeben)
7. Offensive Problembewältigung (=Problem aktiv und optimistisch angehen)
8. Innere Ruhe und Ausgeglichenheit (=innere Stabilität und psychisches Gleichgewicht)
9. Erfolgserleben im Beruf (=beruflich Erreichtes stimmt zufrieden)
10. Lebenszufriedenheit (=Zufriedenheit mit der Gesamtsituation)
11. Erleben sozialer Unterstützung (=Gefühl der sozialen Geborgenheit)

Die Reliabilität des AVEMs liegt je nach Merkmalsdimension zwischen .78 und .87.

Die 11 Dimensionen werden in einer faktorenanalytischen Strukturierung in drei Sekundärfaktoren „Arbeitsengagement“, „Widerstandskraft“ und „Emotionen“ unterteilt.[74]

Sekundärfaktor 1: Arbeitsengagement

Das Optimum hinsichtlich des Engagements in der Arbeit liegt bei einem wohldosierten Einsatz der individuellen Kräfte mit Abgleich der persönlichen Schwerpunkte.

Zu dem Arbeitsengagement gehören die Dimensionen „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit“, „Beruflicher Ehrgeiz“, „Verausgabungsbereitschaft“, „Perfektionsstreben“ und „Distanzierungsfähigkeit“.

Sekundärfaktor 2: Widerstandskraft

Auch bei der Widerstandskraft spielt die „Distanzierungsfähigkeit“ eine wichtige Rolle. Weitere Items sind die „offensive Problembewältigung“, die „Resignationstendenz bei Misserfolg“ und die „Innere Ruhe“ und „Ausgeglichenheit“.

Sekundärfaktor 3: Emotionen

Zu diesem Faktor gehören die Items Erfolgserleben im Beruf, Lebenszufriedenheit und Erleben sozialer Unterstützung. Sie beschreiben die Gefühle der befragten Person.

2.4.2 Die verschiedenen Muster des AVEM

Neben der Möglichkeit, über die einzelnen Dimensionen Auskunft zu geben, treten bei der näheren Betrachtung der Dimensionen vier verschiedene Muster auf.

Die untersuchten Personen werden in „Gesundheitsmuster“ (Muster G), „Schonungsmuster“ (Muster S), „Typ-A Verhaltensmuster“ (Risikomuster A) und das „Burnout-Muster“ (Muster B) eingeordnet. Die untersuchten Personen müssen nicht unbedingt ganz klar in ein Muster eingeordnet werden können, in der Realität kommt es durchaus zu Mischformen.

Muster G

Diejenigen Personen, die in das Muster G eingeordnet werden können, zeichnen sich durch ein großes berufliches Engagement und durch ein positives Lebensgefühl aus. Trotz ihres engagierten Auftretens im Beruf können sie, wenn nötig, zu ihrem Beruf Distanz bewahren. Sie sind widerstandsfähig gegenüber Belastungen. Sie haben hohe Werte in den Dimensionen „Beruflicher Ehrgeiz“, „Erleben sozialer Unterstützung“, „Lebenszufriedenheit“ und „Erfolgserleben im Beruf“. In den Dimensionen „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit“, „Verausgabungsbereitschaft“ und „Perfektionsstreben“ weisen sie hingegen nur mittlere Werte auf.

Dieses Muster, das Schaarschmidt[75] „Gesundheitsmuster“ nennt, ist das Muster, das für Lehrer als ideal angesehen wird. Es sagt jedoch nichts über die sachliche Kompetenz bzw. die didaktischen und methodischen Fähigkeiten aus.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 4 : Muster G nach Schaarschmidt, U. (2004), S.29

Muster S

Nach diesem Muster zeigt die Person ein Schonungsverhalten gegenüber ihrer Arbeit. In den Dimensionen „Perfektionsstreben“, „Verausgabungsbereitschaft“, „Bedeutsamkeit der Arbeit“ und „Beruflicher Ehrgeiz“ zeigt sie wenig bis gar keine Ausprägungen. Sie hat allerdings die höchsten Werte in der Dimension „Distanzierungsfähigkeit“. Da sie wegen des reduzierten Einsatzes im Beruf zu wenig Erfolg kommt, hilft ihr dies, ihre Gesundheit zu erhalten. Sie hat daher auch eine hohe Lebenszufriedenheit. Das reduzierte Engagement weist aber nicht auf Resignation hin. Der Übergang des Musters S zum Risikomuster B ist abhängig von der Distanzierungsfähigkeit und der persönlichen Widerstandskraft der Person.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 5 Muster S nach Schaarschmidt, U. (2004), S.29

Ein Lehrer, der in dieses Muster passt, weist keine sehr hohe Motivation und Eigeninitiative auf, die ein Lehrer unbedingt braucht.

Risikomuster A (Typ-A Verhaltensmuster)

Personen dieser Gruppe zeigen überhöhtes Engagement im Beruf, das bis zur Selbstüberforderung reicht. Sie weisen die höchsten Werte in den Dimensionen „Bedeutsamkeit der Arbeit“, „Verausgabungsbereitschaft“ und „Perfektionsstreben“ auf. Alarmierend ist jedoch der niedrigste Wert in der „Distanzierungsfähigkeit“. Da diese Personen schlecht Probleme ausblenden können, haben sie auch eine verminderte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen. Sie verfügen weiter über niedrige Werte in der Dimension „Innere Ruhe“ und „Ausgeglichenheit“ und hohe Werte in der Dimension „Resignationstendenz“. Zu denken geben auch die niedrigen Werte im „Erleben sozialer Unterstützung“ und in „Lebenszufriedenheit“. Sie empfinden aber nach dem Muster G am meisten Erfolg im Beruf.

Bei diesem Muster geht die übermäßige Überlastung zu Lasten der persönlichen Erholung bzw. Entspannung und des privaten Bereichs.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 6 Muster A nach Schaarschmidt, U. (2004), S.29

Risikomuster B (Burnout-Muster)

Die charakteristischen Zeichen dieses Musters sind niedrige Werte in den Dimensionen „Offensive Problembewältigung“, „Innere Ruhe und Ausgeglichenheit“, ausbleibendes „Erfolgserleben im Beruf“ und „Lebenszufriedenheit“. Weiter verfügen die Personen dieses Musters über eine hohe „Resignationstendenz bei Misserfolg“. Ihr Arbeitsengagement ist reduziert, was sich in ihrem geringen „Beruflichen Ehrgeiz“ und der geringen „Subjektiven Bedeutsamkeit der Arbeit“ ausdrückt. Dieses Muster entspricht einer fortgeschrittenen Phase bzw. Stadium des Burnout- Syndroms.

Schaarschmidt[76] schreibt zu diesem Muster:

„Solche Lehrer fühlen sich kaum (noch ) in der Lage, einen lebendigen Unterricht durchzuführen […]. Hier muss in der Tat die berufliche Tauglichkeit in Frage gestellt werden.“

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb.7 Muster B nach Schaarschmidt, U. (2004), S.29

Musterwechsel

Schaarschmidt[77] überprüfte in einer längsschnittlichen Untersuchung im Abstand von drei Jahren (1998-2001) die Musterzugehörigkeit der Personen. Im gleichen Muster waren 64,2% der befragten Personen. Lediglich ein Drittel hatte also das Muster gewechselt (s. Abb.8).

So veränderten sich die Personen in Muster B kaum.

In Muster G blieben weniger Personen, die meisten Personen wechselten in Muster A. Auch bestand eine hohe Quote derjenigen, die von Muster S nach Muster B wechselten.

Es kann also festgehalten werden, dass der Wechsel eher in Richtung problematischer Muster als hin zu gesünderen Mustern geschieht.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abb. 8 Musterwechsel nach Schaarschmidt, U. (2004), S.94, modif.

2.5 Belastungsfaktoren: Übersicht

Die Belastungsfaktoren der Lehrertätigkeit lassen sich in die Kategorien Arbeitsaufgaben und schulorganisatorische Bedingungen, schulhygienische Bedingungen, soziale Bedingungen und gesellschaftlich- kulturelle Bedingungen (s. Tab. 1) einteilen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 1: Belastungskategorien im Lehrerberuf angelehnt an Rudow, B. (1994), S.60

Bei der Auflistung ist zu beachten, dass Belastung als subjektiv angesehen werden muss. „Selbstverständlich bleibt es denn dennoch möglich und sinnvoll, grundlegende Belastungsbedingungen und –potentiale zu ermitteln, so z.B. den anspruchsvollen und offenen Arbeitsauftrag der Lehrer/innen und die unklaren, z.T. widersprüchlichen Anforderungen, die an sie gestellt werden. Nur darf von solchen Bedingungen nicht umstandslos auf tatsächliche subjektive Belastungen geschlossen werden, die sich […] nur im konkreten Einzelfall nachweisen lassen.“[78]

Es gibt nicht die Belastung im Beruf des Lehrers. Es treten immer Mehrfachbelastungen auf. Die Tätigkeit ist durch mehrere verschiedene Belastungsfaktoren geprägt, die sich hinsichtlich der Dauer und der Intensität ihres Auftretens unterscheiden.

Die aufgeführten Belastungsfaktoren erheben nicht den Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Kategorien werden nun näher dargestellt.

2.6 Belastungsfaktor Arbeitsaufgaben und schulorganisatorische Bedingungen

2.6.1. Arbeitsaufgaben

Die fünf Aufgaben des Lehrers nach dem „Katalog der Berufsaufgaben der Lehrer“ des Deutschen Bildungsrates[79] sind:

- Lehren

Mit „Lehren“ ist nicht nur die Vermittlung von Kenntnissen und Fertigkeiten gemeint, sondern auch das Wecken von Verständnis für das Gelernte und das Sichtbarmachen von Zusammenhängen. Wichtig ist außerdem die Vermittlung von Methoden zur Aneignung von Wissen.

- Erziehen

Der Lehrer soll dem Schüler Hilfe zur persönlichen Entfaltung und Selbstbestimmung geben und ihn zu freiem und verantwortungsbewusstem Handeln erziehen. Der Schüler soll zu Kritik fähig sein und sich der Entscheidungsschwierigkeiten bewusst werden.

- Beurteilen

Der Lehrer soll die Leistungen seiner Schüler gerecht messen und möglichst nach den Gütekriterien der pädagogischen Diagnostik Validität, Objektivität und Reliabilität beurteilen.

- Beraten

Der Lehrer soll die Schüler in den Bereichen Erziehungs-, Bildungs-, Schullaufbahn- und Berufsberatung beraten.

- Innovieren

Neben dem kritischen Aufnehmen neuer methodischer, didaktischer und curricularer Ansätze soll der Lehrer auch neue Bildungsinhalte entwickeln und an der Bestimmung von Bildungszielen mitwirken.

Fuchs[80] hat zu den fünf Aufgaben zwei weitere Aufgaben hinzugefügt:

- Beaufsichtigen

Der Lehrer soll die Schüler vor Schaden bewahren und sie beschützen. Natürlich soll er auch verhindern, dass die Schüler anderen Mitmenschen und Dingen Schaden zufügen.

- Verwalten

Er soll unterrichtsunabhängige sowie unterrichtsabhängige Verwaltungsaufgaben erfüllen.

All diese Aufgaben gehören fest zu dem Anforderungsprofil des Lehrerberufs und sind damit grundlegende Belastungsfaktoren.

2.6.2 Arbeitszeit

Die Arbeitszeit der Lehrer ist ein stark diskutiertes Thema. Die Öffentlichkeit sieht die Lehrer teilweise als „vielbeneidete Inhaber eines bequemen Halbtagsjobs, dessen Probleme hauptsächlich um die Gestaltung ausgedehnter Ferien und eine gepflegte Rückhand beim Tennisspiel kreisen.“[81]. Die Lehrer dagegen sehen sich als „Fußabstreifer der Nation, den alle treten“[82], die unter anderem dort arbeiten, wo andere Menschen ihre Freizeit verbringen, nämlich zuhause. Für den Unterricht selbst benötigen die Lehrer weniger als die Hälfte ihrer Arbeitszeit (s. Tab. 2). Daneben müssen Lehrer nachmittags zuhause arbeiten, sei es um eine Stunde vorzubereiten oder zu korrigieren. Dies wird von der Öffentlichkeit oftmals unterschätzt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tab. 2 Verteilung der Arbeitszeit nach Engelhardt, G. (1982) und Häbler, W. & Kunz, A. (1985) in Ulich, K. (1996), S.51.

Die häufig kritisierte Anzahl der Ferienwochen verbringen viele Lehrer zumindest teilweise ebenfalls mit Arbeit zuhause für die Schule. Untersuchungen (s. Tab. 3) zeigen, dass Lehrer nicht weniger, sondern mehr als der durchschnittliche Arbeitnehmer arbeiten. Hübner[83] kommt auf eine durchschnittliche Anzahl von 46,3 Stunden pro Woche, verteilt auf das Jahr sind dies 40,7 Stunden pro Woche. Teilzeitlehrer arbeiten nach Hübner[84] relativ gesehen noch mehr als Vollzeitlehrer. Demnach arbeiten beispielsweise Grundschullehrer mit Vollzeit 46 Stunden pro Woche, Lehrer mit einer halben Stelle kommen auf 32,6 Stunden pro Woche. Bei Teilzeitlehrern finden sich nach Schaarschmidt[85] weniger Lehrer im Muster G und mehr Lehrer im Muster B als bei Vollzeitlehrern. Gründe dafür dürften sein, dass sich Teilzeitlehrer nach Hübner[86] gründlicher auf ihre Stunden vorbereiten, die emotionale Belastung im Vergleich nicht viel geringer ist und sie nach Schaarschmidt[87] die emotionale Unterstützung der sozialen Kontakte im Kollegium nicht im gleichem Umfang haben.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

* eine 38,5-Stunden-Woche führt im öffentlichen Dienst zu einer Jahresarbeitszeit von 1.702 Stunden

Tab.3 Jährliche Arbeitszeit der Vollzeitlehrkräfte (6500 Lehrer an 184 Schulen) in den einzelnen Schulformen in Nordrhein-Westfalen (Stunden pro Schuljahr) nach Mummert + Partner (1998), Quelle: http://www.tresselt.de/arbzeit.htm, modif.

2.6.3. Unterrichtsfach

Wendt und Schaarschmidt[88] geben die höchsten Belastungswerte für Deutsch- und Kunstlehrer an. Bei der Fächerkombination dieser beiden Fächer sind bei Schaarschmidt 37 % im Burnoutmuster. Bei Lehrern, die Sport, aber nicht als einziges Fach unterrichten, sind 31 % im Schonungsmuster. Bei der Fächerkombination Deutsch mit einer Fremdsprache sind 31 % im Muster A.

Nach Rudow[89] sind hingegen die Lehrer der Fächer Kunst, Musik, Hauswirtschaft und Sport weniger belastet. Er schließt dies aus der geringen Unterrichtsvorbereitung im Vergleich zu anderen Fächern. Weiter vermutet er, dass Fächer wie z.B. Mathematik, „welche besonders transparente, konkrete Lern- bzw. Lehraufgaben aufweisen […], eine geringe Belastung“[90] sind.

2.6.4 Klassengröße

Die Anzahl der Schüler einer Klasse ist ein großer Belastungsfaktor für den Lehrer. Je mehr Schüler in einer Klasse sind, desto größer werden soziale Probleme wie z.B. Disziplinschwierigkeiten. Weiter fehlt dem Lehrer bei großen Klassen „Zeit für eine intensive pädagogisch- psychologische Arbeit mit einzelnen Schülern oder Schülergruppen, die besonders begabt sind oder Lern- bzw. Verhaltensschwierigkeiten zeigen“[91]. In einer BLLV-Studie (2003) zu der Lehrerbelastung von Gerhard Hüfner gaben die Lehrer an, dass zu große Klassen sie „stark“ (M= 2,85) belasten.[92]

2.6.5 Klassenzusammensetzung

Die immer heterogeneren Klassenstrukturen werden nicht nur an Hauptschulen immer mehr zu einem Belastungsfaktor für den Lehrer. Die Schüler kommen vor allem im städtischen Bereich aus vielen verschiedenen Kulturkreisen. Sie bringen unterschiedlichste Voraussetzungen hinsichtlich Bildung, Sprachen und Erziehung mit. Diese Schüler zu einer homogenen Klasse zu formen ist eine schwierige Aufgabe und Belastung für den Lehrer.

2.6.6 Schulgröße

Die Größe einer Schule, gemessen an der Schüleranzahl, ist ein weiterer großer Belastungsfaktor. Je größer eine Schule ist, über desto mehr Belastungsquellen verfügt sie. Laut der Studie von Hüfner[93] steigt die Arbeitsbelastung von Lehrern kontinuierlich mit der Anzahl der Klassen in der Schule.

2.6.7 Schultyp

Lehrer an Haupt- und Förderschulen sind auf Grund der anstrengenderen Schülerklientel mehr belastet als beispielsweise Gymnasiallehrer. So fanden Häbler und Kunz[94] heraus, dass Lehrer der Grund- und Hauptschule durch mangelnde Motivation und Konzentrationsfähigkeit ihrer Schüler wesentlich stärker belastet sind als ihre Kollegen an Gymnasium oder Realschule.

Völlig gegensätzliche Ergebnisse veröffentlichte Hübner[95]:

Die Belastung der Haupt-und Realschullehrer in Berlin ist gegenüber den Belastungen der Lehrer an anderen Schularten am geringsten - nur ein Drittel der Lehrer dieser Schularten fühlt sich belastet. Am stärksten belastet sind nach dieser Studie Gesamtschullehrerinnen mit 52,7%, am wenigsten belastet sind männliche Grundschullehrer mit 11,4 %.

[...]


[1] Freudenberger, H.-J. (1980), S. 13

[2] vgl. Finetti, M. (2006), S.5

[3] vgl. Spiewak, M. (2006), S.47

[4] vgl. u.a. Schröder (2006), Körner (2003)

[5] vgl. stern GESUND LEBEN 1/2007

[6] vgl. u.a.Spiewak, M., S. 47, Finetti, M., S.5

[7] vgl. u.a. Schaarschmidt (2004), Körner (2003)

[8] Schaarschmidt, U. (2006) in Spiewak, M. (2006), S.47

[9] Herzog, V. (1988) in Schröder, M. (2006), S.146

[10] Schreckenberg, W. (1984), S.91

[11] Gudjons, H. (2003), S.12

[12] vgl. Müller- Fohrbrodt, G. (1973) , S.89

[13] Schreiber-Neumann, W. (1989), S. 10

[14] vgl. Miethling, W.D. (1992), S.17

[15] Rousseau, J.-J. (1989), S. 74

[16] vgl. Schreckenberg, W. (1984), S.18

[17] Spranger E. (1980) in Schnitzer, A. (1980), S.35

[18] vgl. ebd., S.35 ff

[19] Schreckenberg, W. (1984), S.75

[20] vgl. ebd., S. 85

[21] ebd., S.19

[22] ebd., S.91

[23] Gudjons, H. (2003), S.12

[24] vgl. Dieterich, R. et al. (1983), S.17 ff

[25] Hirsch, G. (1990), S. 89 ff

[26] Hirsch, G. (1990), S. 89

[27] vgl. Gudjons, H. (2003), S.12 ff

[28] vgl. Riemann, F. (1975)

[29] Gudjons, H. (2003), S.13

[30] ebd. , S.14

[31] ebd., S.14

[32] Gudjons, H. (2003), S.15

[33] vgl. ebd., S.14

[34] Gudjons, H. (2003), S.16

[35] vgl. Busch, W. (1979), S. 27

[36] Gudjons, H. (2003), S.16

[37] Riemann, F. (1975), S.97

[38] Gudjons, H. (2003), S.18

[39] ebd., S.19

[40] Gudjons, H. (2003)., S.19

[41] Krainz, E. (1958) in Gröschel, H. (1980), S.27

[42] vgl. Liebhardt, H. (1970) in Gröschel, H. (1980), S.27

[43] vgl. Müller – Fohrbrodt, G. (1973), S.97

[44] vgl. Scheller, I. (1970) in Gröschel, H. (1980), S.27

[45] vgl. Leeds, B. (1956) in Gröschel, H. (1980), S.27

[46] vgl. Adorno, Th. W. (1965) in Müller- Fohrbrodt, G. (1973), S.30

[47] vgl. Mayr, J. (1994), S.8ff

[48] vgl. Hemmer, K. (1984), S. 265 ff

[49] vgl. Havers, N. & Innerhofer, P. (1983) in Mayr, J. (1994), S. 47

[50] vgl. Holland,H. (1985) in Mayr (1994), S. 61

[51] vgl. Hemmer, K. (1984), S. 16

[52] vgl. Müller- Fohrbrodt, G. (1973), S.122

[53] Oestereich, C. (1987) in Mayr, J. (1994), S. 25

[54] vgl. Flaake, K. (1989), S.155

[55] Narzissmus= „Charaktereigenschaft, die sich durch ein geringes Selbstwertgefühl bei gleichzeitig übertriebener Einschätzung der eigenen Wichtigkeit und dem großen Wunsch nach Bewunderung auszeichnet.“ (Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Narzissmus)

[56] vgl. Schmidbauer, W. (1977), S.211

[57] vgl. Hemmer, K. (1984), S.118

[58] vgl. ebd., S.110

[59] vgl. Gudjons, H. (2003), S.12 ff

[60] vgl. Hüfner, G. (2003), S.16 - 19

[61] Ulich, D. et al. (1985), S. 74

[62] Redeker, S. (1993), S.173

[63] Ulich, D. et al. (1985), S. 22

[64] Ulich, K. (1996), S.65

[65] vgl. Faltermaier, T. (1988) in Brüderl, L. (1988), S. 46 -62

[66] Ulich, K. (1996), S.65

[67] vgl. Rudow, B. (1994), S.42 ff

[68] vgl. Rudow, B. (1994), S.60 ff

[69] vgl. ebd., S.42 ff

[70] Ulich, K. (1996), S.73

[71] ebd., S.73

[72] vgl. Schaarschmidt, U. & Fischer, A. (1996)

[73] Items = Fragen

[74] vgl. Schaarschmidt, U. & Fischer, A. (1996), S.5

[75] Schaarschmidt, U. (2004), S.29

[76] Schaarschmidt, U. (1994), S.39

[77] vgl. Schaarschmidt, U. (2004), S. 92 ff

[78] Ulich, K. (1996), S.64

[79] vgl. Deutscher Bildungsrat (1970)

[80] vgl. Fuchs, A.K. (1981) in Berndt, J., Busch, D.W. & Schönwälder, H.G. (1981), S.181 ff

[81] Dieterich,R. et. al (1983), S.13

[82] Combe, A. (1996) in Körner, S. (2003), S.63

[83] vgl. Hübner, P. (1995), S.6 ff

[84] vgl. ebd.

[85] vgl. Schaarschmidt, U. (2004), S. 76

[86] vgl. Hübner, P. (1995), S.6 ff

[87] vgl. Schaarschmidt, U. (2004), S, 77

[88] vgl. Wendt, W. (1997), S.20 ff. bzw. Schaarschmidt, U. (2004), S.76

[89] vgl. Rudow, B: (1994), S.60 ff

[90] ebd., S.63

[91] Rudow, B: (1994), S.64

[92] vgl. Hüfner, G. (2003), S. 16 -19

[93] vgl. ebd.

[94] vgl. Häbler, W. & Kunz, A. (1985), S. 20 ff

[95] vgl. Hübner , P. (1995)

Ende der Leseprobe aus 168 Seiten

Details

Titel
Das Burnout-Syndrom bei Lehrkräften
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1,0
Autor
Jahr
2007
Seiten
168
Katalognummer
V114042
ISBN (eBook)
9783640143047
ISBN (Buch)
9783640143559
Dateigröße
3705 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Burnout-Syndrom, Lehrkräften, Thema Burnout
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Ferdinand Falkenberg (Autor:in), 2007, Das Burnout-Syndrom bei Lehrkräften, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114042

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Titel: Das Burnout-Syndrom bei Lehrkräften



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