Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1 Einleitung
2 Psychoonkologie
2.1 Psychoonkologische Intervention
2.2 Onkologische Datenlage
3 Der Resilienzbegriff
3.1 Grundlagen des Resilienzkonzeptes
3.2 Protektive Faktoren in diversen Resilienzmodellen
3.3 Resilienzfaktoren
4 Exkurs: Psychosoziale Faktoren in der Krebsprävention
5 Fazit
6 Literaturverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
1 Einleitung
„In den Tagen nach der Diagnose stand ich wie neben mir [...]. Im einen Moment konnte ich es einfach nicht glauben, im anderen hatte ich eine Panikattacke und schnappte nach Luft. Der Alltag schien plötzliche Lichtjahre entfernt von mir stattzufinden.“ (Krebspatient zit. n. Krebsliga Schweiz, 2014, S. 13).
Mehr als ein Drittel der an Krebs erkrankten Patient:innen weisen innerhalb der ersten fünf Jahre nach der Diagnose Symptome psychischer Krankheiten auf (Michell et al., 2011, S. 160). Darunter fallen z.B. solche einer Depression oder Angststörung, bei welchen es sich u.a. um Interessenverlust, vermindertes Selbstwertgefühl, Panikattacken oder gar Suizidalität handeln kann (DGPPN, BÄK, KBV & AWMF, 2015, S. 30ff.). Eine Krebsdiagnose kann durch das Erleben von intraindividuellen Konflikten begleitet werden, die die Bedrohung des eigenen Lebens und den Verlust der Autonomie betreffen können (Wirsching et al., 1990, S. 25). Selbst bei Patient:innen, die sich unmittelbar nach ihrer Diagnose zunächst angstfrei und hoffnungsvoll präsentieren, besteht die Gefahr, dass eine bewusste oder unbewusste Umkehr jener Konflikte ins Gegenteil vorgenommen wird, was mit einer Abwehrreaktion verglichen werden kann (Wirsching et al., 1990, S. 25f.).
Dennoch scheint es im persönlichen Umgang mit solch lebensbedrohlichen Belastungssituationen Divergenzen zu geben: Die „Widerstandsfähigkeit eines Individuums“ im Zusammenhang mit „kritische[n] Lebensereignisse[n]“ (Warner, 2014, S. 1419) scheint auch bei objektiv gleicher Belastung nicht analog verteilt.
In diesem Kontext tritt das Konzept der Resilienz in Erscheinung, welches im Rahmen dieser Ausarbeitung näher beleuchtet werden soll. Da sich diverse protektive Faktoren positiv auf die Entwicklung und den Erhalt von Resilienz auswirken können (Ludolph, Kunzler, Stoffers-Winterlink, Helmreich & Lieb, 2019, o.S.), ist das Ziel dieser gesundheitspsychologischen Ausarbeitung, jene Schutzfaktoren abzubilden und hinsichtlich ihrer möglichen Relevanz im Kontext einer onkologischen Diagnose bzw. Therapie darzustellen. Hierfür soll zunächst ein Überblick über das Fachgebiet der Psychoonkologie gegeben werden, welcher über relevante Termini, Studien und Statistiken informiert. Daraufhin wird der Themenkomplex Resilienz, unter Berücksichtigung diverser definitorischer Eingrenzungen sowie der bereits erwähnten protektiven Faktoren aufgegriffen. Diese Faktoren werden unter besonderer Berücksichtigung der Forschungsfrage: „Welche Relevanz hat Resilienz im Kontext der Psychoonkologie?“, in Relation zu den psychischen Herausforderungen einer Krebserkrankung gesetzt. Ein Exkurs in den Bereich der psychoneuroimmunologischen Forschung berücksichtigt abschließend die nicht zu vernachlässigende bio- bzw. neuropsychologische Komponente der aktuellen Krebspräventionsforschung.
2 Psychoonkologie
Die Disziplin der Psychoonkologie berücksichtigt onkologische Erkrankungen aus der behavioralen, psychischen, sozialen, ethischen, psychobiologischen sowie psychiatrischen Perspektive und verschreibt sich somit der multidisziplinären Krebsbehandlung (Watson & Dunn, 2016, o.S.; IPOS, 2017, S. 2). Im Fokus stehen die sozialen Ressourcen der Krebspatient:innen, u.a. im Rahmen der „Prävention [...], Behandlung, Rehabilitation [oder] Palliativbetreuung“ (AWMF, DKG & DKH, 2014, S. 24).
Somit vereint die Psychoonkologie als medizinisch-psychologische Fachdisziplin die Interferenzen physischer Erkrankungen mit den damit einhergehenden psychischen Belastungen.
2.1 Psychoonkologische Intervention
Als wichtigste und herausragende Aufgabe der psychoonkologischen Intervention gilt der Support der Belasteten in allen Phasen der Erkrankung (AWMF, DKG & DKH, 2014, S. 25). Die erforderlichen fachübergreifenden Expertisen im Rahmen der Behandlung von Krebspatient:innen ermöglichte die Gründung der sog. internationalen Psycho-Onkologie-Society (im Folgenden: IPOS). Diese hat sich aus interdisziplinärem Fachpersonal zusammengeschlossen und widmet sich der Betreuung von Krebserkrankten sowie deren Angehörigen, verschreibt sich aber insbesondere auch der psychoonkologischen Forschung (IPOS, 2017, o.S.)
Auch wenn es sich hierbei nicht um das primäre Ziel der Psychoonkologie handelt, wird der Zusammenhang zwischen psychoonkologischer Intervention und der Überlebensdauer der Patient:innen kontrovers diskutiert und seit jeher mit diversen Studien versucht, zu be- respektive widerlegen (Tschuschke, 2001, S. 230).
Dieser, eventuell lebensverlängernde Einfluss kann grundsätzlich nur bei Existenz ausreichend zugrundliegender Daten bestimmt werden, was bspw. auf Befunde von Mammakarzinomen zutrifft: Studien und entsprechende Replikationsstudien lassen in diesem Fall nicht darauf schließen, dass psychoonkologische Interventionen geeignet sind, um die Lebensdauer bei (metastasierten) Brustkrebspatient:innen zu verlängern (Faller, 2016, S. 524).
Als gesichert gilt jedoch der positive Einfluss psychoonkologischer Betreuung auf die psychische Verfassung von Krebspatient:innen: Diverse Studien postulieren, dass eine fachgerechte psychoonkologische Intervention zur signifikanten Stress- und Angstreduktion, zur Verbesserung von Coping-Strategien oder Verringerung von Fatigue beitragen kann (Tschuschke, 2011, S. 134).
Die Inanspruchnahme psychoonkologischer Betreuung ist trotz ihrer Evidenz abhängig von bestimmten Faktoren. Männer, Personengruppen mit geringerem sozialen Status oder niedrigem Bildungsstand sowie Minoritäten sind im Kontext der psychoonkologischen Versorgung unterrepräsentiert (Mehnert-Theuerkauf, Müller, Lehmann & Koch, 2006, S. 214).
Die Ungleichheit in der Inanspruchnahme supportiver Leistungen betrifft jedoch auch allgemeine Rehabilitationsmaßnahmen. Entsprechende Kausalitäten hierfür wurden bislang nur marginal erforscht (Ernstmann, Gloede & Pfaff, 2016, S. 89).
2.2 Onkologische Datenlage
Bereits seit vielen Jahren gehören Krebserkrankungen zu den Haupttodesursachen weltweit. Allein in Deutschland wurden im Jahr 2017 zirka 490.000 Krebserkrankungen diagnostiziert (RKI, 2021, o.S.).
Hochrechnungen lassen erahnen, dass bis zum Jahr 2035 weltweit mehr als 24 Millionen Personen pro Jahr eine Krebsdiagnose erhalten werden, was einem Anstieg von etwa sechs Millionen Diagnosen jährlich im Vergleich zum Jahr 2018 entspräche (Ferlay et al., 2019, S. 1941ff.). Unter Berücksichtigung der hier relevanten statistischen Parameter, wie bspw. der demografischen Entwicklung Deutschlands, sinkt die Mortalität insgesamt (RKI, 2019, o.S.). Dieser Rückgang impliziert wiederum einen ansteigenden Bedarf der Betreuung der (überlebenden) Erkrankten, die auch die psychische Versorgung miteinschließt. Bereits hieraus ergibt sich die Relevanz psychoonkologischer Interventionen im Allgemeinen – und ferner dem daraus resultierende Forschungsbedarf in diesem Fachgebiet.
Bezüglich der Entstehung onkologischer Krankheiten wird von einer sog. multifaktoriellen Genese ausgegangen (Tschuschke, 2011, S. 19). Das bedeutet, dass neben den Umweltfaktoren, die eine Krebserkrankung begünstigen können – wie bspw. Tabakkonsum, Ernährung oder UV-Strahlung als prominente somatische Risikofaktoren für eine Krebserkrankung (Jochem & Leitzmann, 2016, S. 103) – auch psychosoziale, immunologische, endokrine sowie genetische Faktoren relevant für die Entstehung von Tumoren sein können (Tschuschke, 2008, S. 823ff.). Kontrovers diskutiert wird die Existenz einer sog. Stress-Persönlichkeit, die bestimmte Charaktereigenschaften als begünstigend für die Entstehung von Krebserkrankungen rubriziert (Scholz, 2011, S. 38).
Als evident hingegen gilt, dass die psychische Verfassung während der Therapie den Krankheitsverlauf beeinflussen kann: Studien zeigen, dass u.a. das Leiden unter Depressionen mit einem erhöhten Risiko eines Rezidivs einhergehen können (Scholz, 2011, S. 39).
Folglich scheinen psychische Widerstandskraft oder Resilienz relevante Konstrukte im Zusammengang mit psychoonkologischer Intervention zu sein, weshalb sich das folgende Kapitel diesem Themenkomplex widmet.
3 Der Resilienzbegriff
Auch wenn Resilienz regelmäßig als erfolgsversprechende Charaktereigenschaft in den Fokus gerückt wird, sollte das Konzept der Resilienz nicht als erstrebenswerte Schlüsselqualifikation im Rahmen der Selbstoptimierung trivialisiert werden (Fooken, 2016, S. 29).
Bei Resilienz handelt es sich um ein „multidimensionales hypothetisches Konstrukt“ (Fooken, 2016, S. 31), welches durch ein „positives Menschenbild, das die Bedeutung von sozialen Verhältnissen, mental-kognitiven Strukturen, Handlungsfähigkeit sowie Gen-Umwelt-Interaktion betont“ (Fooken, 2016, S. 13), charakterisiert ist. Vereinfacht dargestellt bedeutet dies, dass i.d.R. eine traumatische Erfahrung impliziert wird, deren Bewältigung bis hin zur „Widerherstellung normaler Befindlichkeit“ (Warner, 2014, S. 1419) als Resilienz gilt. Diese Erfahrungen können sowohl biologischer, psychisch relevanter oder sozialer Natur sein (Fooken, 2016, S. 31).
Folglich scheint nachvollziehbar, dass Panter-Brick und Leckmann im Zusammenhang mit ihrer definitorischen Eingrenzung von Resilienz postulieren, dass es sich hierbei um einen Prozess handele, in dem „biologische, psychosoziale, strukturelle und kulturelle Ressourcen“ nutzbar gemacht werden müssten (Panter-Brick & Leckmann, 2013, S. 333). Gleichzeitig erscheint eine Differenzierung in externale und internale Kriterien der Resilienz sinnvoll: Hier wird zwischen dem Maßstab differenziert, welcher zu Grunde liegt. So kann Resilienz anhand der Anpassung des Individuums an die Umwelt oder durch die Angleichung an die inneren Befindlichkeiten gemessen werden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 9).
Resilienz im Sinne einer „posttraumatischen Reifung“ (Fooken, 2013 zit. n. Fooken, 2016, S. 15) beschreibt sogar eine mentale und persönliche Weiterentwicklung durch die langfristige Bewältigung der in Rede stehenden traumatischen Erfahrungen (Fooken, 2016, S. 15). Auch bei onkologischen Krankheiten konnte diese „posttraumatische Reifung“ partiell in Form einer langfristig positiven Entwicklung durch Bewältigung der Stressorexposition beobachtet werden (Jim & Jacobsen, 2008, S. 414ff.).
3.1 Grundlagen des Resilienzkonzeptes
Neben der definitorischen Eingrenzung des Resilienzbegriffes, erscheint eine prägnante Auseinandersetzung mit dem Entstehungskontext und der aktuellen Entwicklung des Konzeptes obligatorisch.
Relevant im Zusammenhang mit dem Konzept der Resilienz ist der Neologismus „Salutogenese“, welcher durch den Medizinsoziologen Antonovsky geprägt wurde (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 13). Die Salutogenese beschäftigt sich, entgegen der sog. Pathogenese, mit den Bedingungen der Gesundheit und des Wohlbefindens sowie mit den hiermit zusammenhängenden Schutzfaktoren (Bengel, 2014, S. 1444). Somit stimmen die Konzepte der Salutogenese und der Resilienz bzgl. ihrer methodischen Zielrichtung überein, wobei die Salutogenese als zentrale theoretische Grundlage der Gesundheitsförderung gesehen werden kann (Faltermaier, 2021, o.S.). Antonovsky prägte auch die unmittelbar mit der Salutogenese zusammenhängende Begrifflichkeit der „Kohärenz“. Das „Kohärenzgefühl“ bezeichnet ein „Gefühl der Zuversicht“, basierend auf den Komponenten Verstehbarkeit, Handhabbarkeit und Sinnhaftigkeit (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 14). Das „Gefühl der Verstehbarkeit“ bezeichnet die Erwartbarkeit und Erklärbarkeit zukünftiger Ereignisse, der „inneren und äußeren Umwelt“ (Faltermaier & Dietrich, 2014, S. 892). Handhabbar können Situationen aufgrund der Existenz entsprechender Ressourcen sein, um den aus den Ereignissen resultierenden Anforderungen gerecht zu werden. Als sinnhaft können die genannten Ereignisse durch eine Relevanzverleihung empfunden werden, die ein persönliches Engagement implizieren (Faltermaier & Dietrich, 2014, S. 892). Nach Antonovsky geht ein hohes Kohärenzgefühl mit positiver und ein niedriges Kohärenzgefühl mit negativer Gesundheit einher (Faltermaier, 2021, o.S.). Somit beschreibt Antonovsky die theoretischen Voraussetzungen für psychische Widerstandskraft. Diese sind jedoch nicht vollkommen analog zu jenen, die Resilienz im heutigen Kontext als Eigenschaft ausmachen und können daher nicht einfach übertragen werden.
Resilienz und ihre Entwicklung wird durch diverse Schutz-, aber auch Risikofaktoren beeinflusst, welche miteinander interagieren. Entsprechende, im Rahmen der Forschungen entwickelte Resilienzmodelle untersuchen insbesondere diese Wechselwirkungsprozesse, um dadurch Erkenntnisse über Resilienz fördernde bzw. hemmende Einflussfaktoren zu gewinnen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 19). Da die Risikofaktoren als „krankheitsbegünstigende, risikoerhöhende und entwicklungshemmende Merkmale“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 20) definiert werden, fokussiert der folgende Abschnitt – unter besonderer Berücksichtigung der Fragestellung und Zielrichtung dieser Ausarbeitung – die Schutzfaktoren.
3.2 Protektive Faktoren in diversen Resilienzmodellen
Schutz- oder protektive Faktoren können dazu beitragen, die im Kontext der Resilienz angeführte Widerstandskraft gegenüber Belastungssituationen zu unterstützen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 9). Dabei bezieht sich ihre protektive Wirkung auf bereits vorhandene oder noch erlernbare Ressourcen innerhalb, oder bereits vor der konkreten Belastungssituation. Es existieren zahlreiche Modelle von Schutz- und Risikofaktoren, die unterschiedliche Klassifizierungen vornehmen und die wirkenden Interaktionsmechanismen mit verschiedenen Hypothesen zu erklären versuchen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 19). So kann bspw. eine Differenzierung der protektiven Faktoren in personale, soziale oder allgemeine Faktoren (Werner & Smith, 2001, S. 141ff.) oder auch die eine Unterteilung in individuelle Merkmale, Merkmale der Familie und Merkmale des sozialen Umfelds vorgenommen werden (Fooken, 2016, S. 33). Das bereits definierte „Kohärenzgefühl“ wird in manchen Modellen als personale Ressource; stabile emotionale Beziehungen zu Eltern oder anderen relevanten Bezugspersonen als soziale Ressource gewertet (Short & Weinspach, 2007, S. 31). Ferner existieren auch Schutzfaktoren, die das biologische Geschlecht betreffen: Vermehrt wird das weibliche Geschlecht als ein protektiver Faktor definiert, wobei auch hier diverse innerfamiliäre Wechselwirkungen miteinbezogen werden müssen. Bei diesen handelt es sich bspw. um die unterschiedlichen Erziehungsorientierungen innerhalb der Familie, wie das Aufwachsen in einem klar strukturierten Haushalt mit einem dominanten männlichen Identifikationsmodell, was sich positiv auf die kindliche Resilienz von Jungen auswirkt. Dahingegen profitieren Mädchen hinsichtlich ihrer Resilienz eher von der Verbindung von Unabhängigkeit bei gleichzeitiger Unterstützung einer weiblichen Fürsorgeperson (Richter-Kornewitz, 2011, S. 248).
Die jeweiligen Differenzierungen werden fortwährend überarbeitet bzw. erweitert und eine finale Klassifizierung erscheint – insb. vor dem Hintergrund der sich in Richtung Intervention und Prävention entwickelnden Resilienzforschung – zunehmend obsolet (Fooken, 2016, S. 33).
3.3 Resilienzfaktoren
Aufgrund der Vielzahl der Resilienzmodelle sollen an dieser Stelle primär jene Schutzfaktoren genauer vorgestellt werden, die aufgrund ihrer Empirie und unter Berücksichtigung der Zielrichtung dieser Ausarbeitung als besonders adäquat gelten können.
Hierbei scheint die Differenzierung der Schutzfaktoren durch Wustmann (2004) geeignet, welche zunächst ebenfalls die bereits erwähnte Unterteilung in personale und soziale Ressourcen vornimmt. Anzumerken ist jedoch die zusätzliche Klassifizierung von sog. Resilienzfaktoren, die den personalen Ressourcen untergeordnet werden. Diese Resilienzfaktoren nehmen bei der Bewältigung diffiziler Lebensumstände eine herausragende Rolle ein (Wustmann, 2004, S. 46) und sind somit präziser sowie im Kontext der hier in Rede stehenden Fragestellung besonders für die Bewertung psychoonkologisch relevanter Schutzfaktoren geeignet.
Als erster Resilienzfaktor wird die Selbst- und Fremdwahrnehmung angeführt, da die protektive Funktion derer als empirisch erwiesen gilt (Bengel, Meinders-Lücking & Rottmann, 2009, o.S.). Die Selbstwahrnehmung kann in die Konstrukte Selbst-Konzept , Selbst-Wahrnehmung im engeren Sinne und Selbst-Reflexivität unterteilt werden (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 43). Insbesondere die Sensibilität für Wahrnehmungsinformationen des eigenen Körpers bzw. körperlicher Zustände kann im Rahmen einer onkologischen Diagnose von Bedeutung sein: Die Wahrnehmung und Lokalisierung von – aber auch der Umgang mit – physischen Schmerzen sind unvermeidlicher Bestandteil von Krebsbehandlungen. Jedoch gehört auch die Fähigkeit der Reflexion negativer psychischer Empfindungen, welche aufgrund der emotional belastenden Diagnose und Therapie implizit auftreten, zur Selbstwahrnehmung und verleiht dem hier in Rede stehenden Resilienzfaktor Relevanz.
Als ein weiterer Resilienzfaktor gilt die Selbststeuerung. Hierbei steht die Regulation von verschiedenen Gefühlszuständen im Fokus (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 46). Dabei geht es auch um die Bewältigung negativer Gefühle und sowie um eine selbstbestimmte Affektwahrnehmung. Die Anwendung dieser Kompetenzen auf den Umgang mit schwerwiegenden gesundheitlichen Diagnosen kann sich dadurch widerspiegeln, dass bspw. die durch die Diagnose erfahrene Trauer als Gefühl wahrgenommen und akzeptiert werden kann. Negative Gefühlszustände können bei resilienten Personen als solche perzipiert und im weiteren Verlauf verarbeitet werden, da Personen mit Selbststeuerungskompetenzen eher Strategien zum Umgang mit negativen Gefühlen erlernen können (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 46).
Weiterhin gilt die Selbstwirksamkeit oder Selbstwirksamkeitserwartung als in Längsschnittstudien empirisch belegter Resilienzfaktor (Bender & Lösel, 1998, S. 119ff.). Diese unterscheiden sich trotz ähnlicher Semantik von den zuvor genannten insbesondere durch den Aspekt des Vertrauens in das eigene Handeln: So wird Selbstwirksamkeit als „Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten [...] ein bestimmtes Ziel auch durch Überwindung von Hindernissen erreichen zu können“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 47) definiert. Dabei verursacht die Erwartung des Effekts der eigenen Handlung bereits Unterschiede im Herangehen und im weiteren Verlauf auch in der Bewältigung der Situation (Wustmann, 2005, S. 197). Diesbezüglich prägend sind primär individuelle Erfahrungen einer Person, insbesondere in der Kindheit (Wustmann, 2005, S. 195ff.).
Das Zusammenspiel aus „internaler Kontrollüberzeugung und einem realistischen Attribuierungsstil“ (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 47) führt zur individuellen Überzeugung – unter Berücksichtigung der Ursache des Problems – über ausreichend Kompetenzen zur jeweiligen Problemlösung zu verfügen.
Als ein weiterer Resilienzfaktor gelten soziale Kompetenzen (Wustmann, 2005, S. 197). Als ein Element sozialer Kompetenzen gilt die emotionale Kompetenz, zu der die bereits genannte Emotionsregulation, aber auch ihr Ausdruck zählt (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 50). Hierunter kann auch die Kommunikation negativer Gefühle, wie im Kontext einer Krebsdiagnose, in einem sozialen Gefüge subsummiert werden. Weiterhin zählt die Selbstbehauptung zu den Elementen sozialer Kompetenzen (Fröhlich-Gildhoff & Rönnau-Böse, 2011, S. 50), welche insbesondere in Situationen relevant werden könnte, in denen ein/e Patient:in gegenüber Angehörigen, Pflegepersonal oder Ärzt:innen Wünsche und Forderungen adäquat auszudrücken vermag.
Weiterhin muss auch die Stressbewältigung hinsichtlich der Resilienzfaktoren genannt werden. Ein grundsätzlich relevantes Moment ist hier die Auswirkung von sog. krebsinduziertem Disstress auf den Genesungsverlauf, welche bereits in einer Vielzahl von Studien untersucht wurde. So gelten Krebserkrankungen sogar als eigener Risikofaktor für stressassoziierte psychische Krankheiten (Ludolph, Kunzler, Stoffers-Winterlink, Helmreich & Lieb, 2019, o.S.). Eine Studie zur psychischen Belastung von Krebspatient:innen, die speziell an Brustkrebs oder gynäkologischen Tumoren erkrankt waren, zeigte, dass zirka 70 bis 80 Prozent der Patient:innen an Disstress litten (Krebs, 2019, S. 293ff.). Die Intensität des Disstress‘ scheint dabei von den gesundheitlichen Prognosen sowie individuellen Merkmalen abzuhängen (Herschbach & Dinkel, 2014, S. 18; Mehnert zit. n. Zimmermann, 2018, S. 178).
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