Die Geschichte der Rußlanddeutschen, ihrer spezifischen Familienstrukturen und deren Bedeutung für die Integration


Seminararbeit, 2008

28 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Einleitung

2. Geschichtlicher Hintergrund
2.1 Deutsche Auswanderung
2.2 Das Ende der Privilegiertheit
2.3 Der I. Weltkrieg
2.4 Die Zeit nach der Oktoberrevolution
2.5 Die Stalin-Ära
2.6 Der II. Weltkrieg
2.7 Die Zeit des Kalten Krieges
2.8 Aussiedlung in die Bundesrepublik Deutschland

3. Ausreisemotive

4. Erwartungen an die Aufnahmegesellschaft Deutschland

5. Die rußlanddeutsche Familie
5.1 Die Sprache
5.2 Das Geschlechterverhältnis
5.3 Die Erziehung
5.4 Die Familie als ökonomisches Gefüge
5.5 Die Religion

6. Schluß

7. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Etwa seit den 50er Jahren des 20. Jahrhunderts reisen vermehrt deutschstämmige Menschen, Nachfahren deutscher Auswanderer, dauerhaft aus der Sowjetunion bzw. seit 1992 aus deren Nachfogestaaten, der GUS (Gemeinschaft unabhängiger Staaten), in die Bundesrepublik Deutschland ein, wo sie als "rußlanddeutsche Spätaussiedler" oder auch einfach "Rußlanddeutsche" gelten. Nach der Gründung der Bundesrepublik Deutschland 1949 schuf der Parlamentarische Rat den Artikel 116, Abs. 1, Grundgesetz - die Geburtsstunde des Deutschen im Sinne des Grundgesetzes. Der Artikel unterschied zwischen deutschen Staatsangehörigen und anderen Personen deutscher Volkszugehörigkeit. Diesen so genannten "Statusdeutschen" stehen bis heute nach der Aufnahme in die Bundesrepublik Deutschland alle in der Verfassung garantierten Rechte zu und sie haben das Recht, die vollwertige deutsche Staatsbürgerschaft anzunehmen.. Dieser Anspruch ist seit 1953 gesetzlich im Bundesvertriebenengesetz und im Lastenausgleichsgesetz geregelt.1

Aufgrund der beschwerten bis nicht gegebenen Möglichkeit einer Ausreise aus der Sowjetunion wanderten zwischen 1949 und 1987 lediglich etwa 110.000 Menschen in die Bundesrepublik aus. Nach dem Fall des eisernen Vorhangs und der Auflösung des Ostblocks stieg diese Zahl jedoch stark an. Bis heute sind seitdem über 1,9 Millionen Rußlanddeutsche aus der ehemaligen Sowjetunion in die Bundesrepublik Deutschland eingereist.2 Fielen die zahlenmäßig wenigen Aussiedler zu Zeiten des bestehenden Ostblocks kaum auf, änderte sich dies ab 1991 schlagartig und die Rußlanddeutschen gerieten in Anbetracht der explosionsartig angestiegenen Einwanderungszahl verstärkt in den Fokus der Betrachtung.

Deutschland ist damit bis heute vor vielschichtige Fragen und Problematiken der Integration gestellt, wie sie Einwanderungen dieses Ausmaßes in dicht besiedelte Länder immer mit sich bringen. Ein besonderes Augenmerk gilt es vor allem auf die Herkunftssozialisation und den sicherlich einmaligen geschichtlichen Hintergrund der Rußlanddeutschen zu richten, ohne dessen Kenntnis es wohl kaum möglich ist zu verstehen, warum Hunderttausende bereit sind, alles aufzugeben und zu verlassen um "als Deutsche unter Deutschen" leben zu können. Unter anderem auf die spezifische Rolle der Familie und der Familientradition muß in diesem Zusammenhang eingegangen werden, zumal viele Rußlanddeutsche oft im kompletten Familienverband nach Deutschland übersiedeln und dieser sowohl im Herkunftsland als auch in der Aufnahmegesellschaft ein wichtiger sozialer Faktor ist.

2. Geschichtlicher Hintergrund

2.1 Deutsche Auswanderung

Die ersten Anfänge der deutschen Siedlung im Osten liegen bereits im

10. Jahrhundert (wobei "deutsch" sich dabei auf Menschen aus dem Heiligen Römischen Reich Deutscher Nationen bezieht, dessen Ostgrenzen zu dieser zeit die Elbe und die Saale bildeten). Die friedliche etappenweise Ausdehnung des Reiches nach Osten aufgrund von Landmangel kann als erste deutsche Ostbewegung aufgefaßt werden. Sie kam im 14. Jahrhundert zum erliegen.

Durch die Öffnung Rußlands Ende des 17. Jahrhunderts durch Zar Peter I. begann die systematische Einwanderung deutschsprachiger Siedler. Der Zar bewunderte die westliche, besonders deutsche, Technik und Kultur und wollte der russischen Gesellschaft durch die Etablierung einer deutschen Funktionselite in Rußland, bestehend aus Offizieren, Wissenschaftlern, Ärzten, Handwerkern und Baumeistern, einen Modernisierungsschub geben.

In den Jahren 1762/63 erfolgte eine zweite Anwerbung Deutscher seitens Zarin Katharina II. Diesmal handelte es sich hauptsächlich um Menschen bäuerlicher Herkunft, da das Ziel der Anwerbung die Besiedlung der Steppenregionen an der mittleren Wolga und später der Schwarzmeerregion war. Als Umsiedlungsanreiz wurden den Auswanderern zahlreiche Privilegien zugesprochen, wie etwa die freie

Religionsausübung, Steuerbefreiung, Selbstverwaltung, Befreiung vom Militärdienst und eigener Landbesitz. Aufgrund zahlreicher ungünstiger Umstände, u.a. einer völlig anderen landwirtschaftlichen Situation als der gewohnten, kam es anfangs unter den Siedlern zu hohen Verlusten und Schwierigkeiten. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts hatte sich die Situation in den Kolonien stabilisiert. Die Auswanderer lebten nach deutschen Traditionen in geschlossenen Siedlungen, die, dank fortschrittlicher Produktionsweisen, Fleiß und Disziplin, rasch expandierten. Beziehungen zu anderen Bevölkerungsgruppen bezogen sich aber vorerst hauptsächlich auf den Handel. Sprachliche Barrieren, sozialisatorische Unterschiede und unterschiedliche Glaubensbekenntnisse (evangelisch - russisch/orthodox) hatten eine weitgehende Isolation zur Folge. Jedoch gab es keine nennenswerten Spannungen.

2.2 Das Ende der Privilegiertheit

Zur Mitte des 19 Jahrhunderts hin entwickelte sich die deutsche Minderheit zu einer wirtschaftlich und finanziell einflußreichen Gruppe. Im Gegensatz zu ihrem wirtschaftlichen Aufschwung entwickelte sich die politische und rechtliche Situation der Rußlanddeutschen jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Die Bauernbefreiung aus der Leibeigenschaft durch Alexander II. 1861 hatte nicht die erhoffte Freiheit der Bauern gebracht, da die Besitzverhältnisse des Adels nicht angetastet wurden und die Bauernschaft in eine tiefe Krise geriet. Indirekt verloren dadurch auch die Rußlanddeutschen ihr Privileg des Status der freien Bauern, da der Status der russischen Bauern dem ihren formalrechtlich angeglichen wurde.

Hinzu kam in dieser Zeit die Erstarkung des Deutschen Reichs, wodurch die Rußlanddeutschen den aufkommenden nationalistischen Ideen des Panslawismus willkommene Angriffspunkte als vermeintliche "Vorposten des mächtigen Deutschen Reichs" und "Vaterlandsverräter" boten. Die Gründung des Deutschen Kaiserreichs 1871 führte schließlich dazu, daß den Rußlanddeutschen mehr und mehr ihrer einstigen Privilegien aberkannt und sie den Russen rechtlich angeglichen wurden. Die Selbstverwaltung wurde aufgehoben und die Kolonien unter russische Verwaltung gestellt. Dadurch wurde Deutsch als Amtssprache abgeschafft und der Zwang zur Erlernung der russischen Sprache einführt. 1874 wurde die Befreiung vom Militärdienst aufgehoben, was erstmals Rußlanddeutsche zur Auswanderung (nach Amerika) bewegte. Die Angst vor weiteren Russifizierungswellen war groß. 1887 wurde der Erwerb von Land, der Grundbesitz und das Wahlrecht für nationale Minderheiten beschnitten. Die langsam einsetzende soziale Integration war komplett abgebrochen und strikter Isolation gewichen.

2.3 Der I. Weltkrieg

Wirtschaftlich erging es den Rußlanddeutschen jedoch weiterhin den Umständen entsprechend und im Vergleich zur restlichen Bevölkerung gut. (Was wiederum zu keinem unerheblichen Sozialneid in der russischen Bevölkerung führte.) Das änderte sich jedoch endgültig mit Ausbruch des ersten Weltkriegs, da sie einer Nation angehörten, die gegen das russische Zarenreich Krieg führte. 1915 kam es zum ersten mal zu kollektiven Zwangsmaßnahmen gegen ganze Siedlergruppen auf Grund ihrer Herkunft in Form von Enteignung und Deportation aller in Grenznähe zu Polen lebenden Deutschen nach Osten ins Landesinnere bis nach Sibirien. Die Schulen der Rußlanddeutschen wurden geschlossen, öffentlich Deutsch zu sprechen und rußlanddeutsche Zeitungen wurden verboten.

2.4 Die Zeit nach der Oktoberrevolution

In der Zeit nach der Oktoberrevolution 1917 entspannte sich die Situation vorübergehend wieder, die Liquidationsgesetze wurden für nichtig erklärt und die Mehrheit der vormals als zarentreu und unpolitisch geltenden Rußlanddeutschen wandten sich, vom Zarismus enttäuscht und verraten, den revolutionären Bolschewiki zu.

Bis zum ersten Weltkrieg gab es in Rußland keine übergreifende deutsche Interessensvertretung, die Rußlanddeutschen lebten über das Land verteilt, weitestgehend ohne Verbindung untereinander, und es wurde auch keine Notwendigkeit darin gesehen, die gesamtrussischen Parteien bildeten eine ausreichende politische Plattform. Erst durch die nationale Unterdrückung unmittelbar vor und während des ersten Weltkriegs entstand unter den Rußlanddeutschen das Bedürfnis nach einer eigenen, nationalen Vertretung auf Parteienebene, woraus der "Allrussische Verband der russischen Deutschen und Mennoniten" hervorging. Die Ziele des Verbandes bewegten sich auf der Ebene des Minimalkonsens, den Forderungen nach wirtschaftlicher und kultureller Autonomie und der Wiederherstellung ihrer Bürgerrechte.

1918 forderten die Rußlanddeutschen die Gründung einer autonomen Republik im Wolgagebiet im russischen Föderationsstaat. Dieser Forderung gaben die Bolschewiki (inzwischen KPdSU) statt, und so wurde 1924 die "Autonome Sozialistische Sowjetrepublik der Wolgadeutschen" (ASSR NP) unter deutscher Verwaltung und mit deutscher Amtssprache gegründet. Auch in anderen Teilen der Sowjetunion wurden größere zusammenhängende deutsche Siedlungsgebiete zu Bezirken zusammengefaßt, die innerhalb der jeweiligen sowjetischen Republik begrenzte Autonomie genossen.

2.5 Die Stalin-Ära

Als 1928 von dem seit 1922 amtierenden Generalsekretär des Zentralkomitees der KPdSU Josef Stalin der bis dahin ökonomisch gestalteten Politik mit der Proklamierung des ersten Fünfjahresplans ein Ende gesetzt wurde, war es auch mit der vorübergehend guten Stellung der Rußlanddeutschen in der Sowjetunion vorbei. Stalins Ziel war es, die rückständige russische Industrie auf schnellstem Wege auszubauen um mit den westlichen Wirtschaftsmächten aufzuschließen. Das dafür notwendige Kapital sollte mangels ausländischer Investitionen durch Agrarproduktion und deren Export gegen Devisen beschafft werden. Dieser Aufgabe war die russische Landwirtschaft, die überwiegend durch Klein- und Kleinstbetriebe geprägt war, nicht gewachsen. Daher wurde durch die "Revolution von oben" eine verschärfte Kollektivierung der Landwirtschaft betrieben, die Betriebe innerhalb kürzester Zeit genossenschaftlich organisiert oder zu Kolchosen zusammengefaßt, worunter vor allem die Bauern im Schwarzmeergebiet, die zu bescheidenem Wohlstand gekommen und an Privatbesitz gewöhnt waren, litten. Aus ihren Reihen regte sich Widerstand gegen Stalins Maßnahmen, dem er mit der gnadenlosen Ausrottung der Klasse der wohlhabenden Bauern durch Deportationen in den Ural, nach Kasachstan und nach Sibirien begegnete. Ein Großteil der fünf Millionen Deportierten, unter ihnen etwa 50.000 Rußlanddeutsche, kam in Zwangsarbeitslagern um. Etwa 14.000 deutsche Bauern versuchten über Moskau ihre Ausreise zu erzwingen, was zunächst an der mangelnden Aufnahmewilligkeit des durch die Wirtschaftskrise gebeutelten Deutschlands scheiterte. Erst als die russische Geheimpolizei androhte, die Ausreisewilligen in ihre Dörfer zurückzubringen, wurde 5.583 von ihnen die Einreise bewilligt.

Die überhastete, schlecht geplante Kollektivierung schritt weiter voran, besonders stark in der Wolgaregion - mit katastrophalen Auswirkungen. In der Hungersnot von 1932/33 kamen in der gesamten Sowjetunion schätzungsweise 5 bis 11 Millionen Menschen um, darunter auch etwa

300.000 Rußlanddeutsche. Währenddessen schritt die erneute Marginalisierung der Rußlanddeutschen, nach wenigen "Blütejahren" in der "Autonomen Wolgarepublik", mit der neuerlichen Abschaffung der Bürgerrechte der Rußlanddeutschen, dem Verbot der deutschen Sprache, der Schließung der Schulen und der Aufhebung der Selbstverwaltung weiter fort. Auch dem Kampf gegen Religion und Kirche, das "Opium des Volkes", nahm sich das stalinistische Regime an. Geistliche wurden verhaftet, religiöse Zeitschriften und die Ausübung religiöser Riten wurde verboten, Kirchen wurden zerstört oder die Gebäude einer anderen Nutzung zugeführt. Dies traf besonders die Rußlanddeutschen hart, zumal Religion und Kirche neben der meist von ihr geführten Schule einer der zentralen gemeinschafts- und identitätsstiftenden Grundpfeiler des Rußlanddeutschtums war.

Nach der Machtergreifung Adolf Hitlers in Deutschland 1933 erreichte die Bekämpfung der Rußlanddeutschen mit weiteren Deportationen, Verhaftungen, Säuberungswellen und Liquidationen eine neue Qualität.

[...]


1 Vgl.: Heinz Ingenhorst 1997: 76-77

2 Vgl.: http://www.stmas.bayern.de/migration/aussiedler/aussstat.pdf

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Die Geschichte der Rußlanddeutschen, ihrer spezifischen Familienstrukturen und deren Bedeutung für die Integration
Hochschule
Universität Duisburg-Essen  (Erziehungswissenschaften)
Veranstaltung
Familie aus interkultureller Perspektive
Autor
Jahr
2008
Seiten
28
Katalognummer
V114330
ISBN (eBook)
9783640158591
Dateigröße
509 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
keine Benotung, da Hausarbeiten im Studiengang Erziehungswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen nicht benotet werden, jedoch sehr positive Resonanz seitens der Dozentin
Schlagworte
Geschichte, Rußlanddeutschen, Familienstrukturen, Bedeutung, Integration, Familie, Perspektive, Russland, Verfolgung, Einwanderung, Auswanderung, Einwanderer, Spätaussiedler
Arbeit zitieren
Moritz Zinkernagel (Autor:in), 2008, Die Geschichte der Rußlanddeutschen, ihrer spezifischen Familienstrukturen und deren Bedeutung für die Integration, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114330

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