Deutsche Geschichtswissenschaft im „Dritten Reich“ kann neuen Erkenntnissen entsprechend
nicht mehr nur als reine „Legitimationswissenschaft“ abgetan werden. Es gilt daher,
die Politisierung und Geisteshaltung der Historiker, sowie deren Mobilisierung und
Selbstmobilisierung zu erforschen, ebenso den tatsächlichen Tatbeitrag zu den nationalsozialistischen
Verbrechen zu ermitteln1. In den Fokus geraten hierbei besonders auch Forscher,
die nach dem Zweiten Weltkrieg schnell wieder Einfluss gewonnen hatten und die
Geschichtswissenschaften der BRD mitbegründeten, wie Theodor Schieder oder Werner
Conze. Über Ersteren ist seit 1992 bekannt, dass er Deportationen für über 100.000 Polen
vorschlug und auch die „Entjudung“ Restpolens forderte2. Im Sommer 1997 machte der
Historiker Jürgen Kocka die NS-Vergangenheit von Historikern zum Gegenstand einer
Tagung in der „Berliner Arbeitsstelle für vergleichende Gesellschaftsgeschichte“. Folgekonferenzen
waren der für das Thema äußerst aufschlussreiche Historikertag in Frankfurt
am Main im Herbst 1998. Im März des Jahres 1999 folgte eine Tagung, bei welcher von
der Heinrich Böll Stiftung zusammen mit der Europa-Universität Viadrina (Frankfurt an
der Oder) ein Kolloquium zum Thema „Historiker und Nationalsozialismus“ veranstaltet
wurde3. Anhand der starken Rezeption des Themas in Wissenschaft, Internet4 und Presse
manifestiert sich auch das öffentliche Interesse, ebenso offenbaren sich aber auch viele
Kontroversen und neue Fragen. Die F.A.Z brachte es wie folgt auf den Punkt: „Der laufende
Streit bezeugt das Bemühen der Historikerzunft, zur Geschichte ihres Faches und damit
zu sich selbst ein Verhältnis zu finden“5. Da der Themenkomplex einen beträchtlichen
Umfang aufweist, sind auch die meisten Forschungen spezieller Art, d.h. ist gibt nur wenige
Arbeiten, welche alle oder wenigstens die wichtigsten Aspekte ganzheitlich umfassen.
Genau dies soll mit dieser Arbeit versucht werden. Sie soll einen Einblick in die Situation
und den Auftrag der Geschichtswissenschaften im „Dritten Reich“ geben, ohne sich in
allzu detaillierte wissenschaftliche Erkenntnisse zu verlieren, allerdings auch ohne die
wichtigsten Thesen zu vernachlässigen. Am Ende sollen eindeutige Aussagen darüber getroffen
werden, inwieweit Historiker in die nationalsozialistischen Verbrechen „verstrickt“
bzw. schuldig waren und ob eine Kooperation „vorprogrammiert“ war.
[...]
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Situation der Geschichtswissenschaften im „Dritten Reich“
- Das Verhältnis der Historiker zum Nationalsozialismus
- Der Stand der Forschung zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“
- Auftrag der Geschichtswissenschaften im „Dritten Reich“
- Geschichtsbild, Ost- und Westforschung
- „Kämpfende“ Geisteswissenschaften und die „Aktion Ritterbusch“
- Schluss
- Anmerkungsverzeichnis
- Literaturverzeichnis
- Anlagen
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Arbeit befasst sich mit der Situation und dem Auftrag der Geschichtswissenschaften im „Dritten Reich“. Sie untersucht die Rolle der Historiker im Nationalsozialismus, ihre Beweggründe zur Zusammenarbeit und ihren tatsächlichen Beitrag zu den nationalsozialistischen Verbrechen. Die Arbeit analysiert das nationalsozialistische Geschichtsbild und die spezifischen Forschungsbereiche wie die Ost- und Westforschung. Sie beleuchtet die innerdisziplinären Divergenzen und die „Kämpfenden“ Geisteswissenschaften. Ziel ist es, die Verstrickung der Historiker in die nationalsozialistischen Verbrechen zu beleuchten und zu untersuchen, ob eine Kooperation „vorprogrammiert“ war.
- Das Verhältnis der Historiker zum Nationalsozialismus
- Der Stand der Forschung zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“
- Das nationalsozialistische Geschichtsbild und die Ost- und Westforschung
- Die „Kämpfenden“ Geisteswissenschaften und die „Aktion Ritterbusch“
- Die Verstrickung der Historiker in die nationalsozialistischen Verbrechen
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung stellt die Relevanz des Themas „Historiker und Nationalsozialismus“ dar und erläutert die Forschungslücken und die Notwendigkeit einer umfassenden Analyse. Sie skizziert den Aufbau der Arbeit und die zentralen Fragestellungen.
Kapitel II.1. beleuchtet das geistige Verhältnis der Historiker zum Nationalsozialismus. Es werden zwei Hauptströmungen in der Forschung vorgestellt: Die erste sieht eine eher geringe Verflechtung zwischen Historikern und dem Regime, die zweite konstatiert ein Einschwenken auf voller Linie und die „Selbstgleichschaltung“ zugehöriger Institutionen. Die Arbeit analysiert die Beweggründe der Historiker für ihre Zusammenarbeit mit dem Regime, unter anderem die Ablehnung der Weimarer Republik und die Sehnsucht nach einem starken Staat.
Kapitel II.2. untersucht den Stand der Forschung zum Zeitpunkt der „Machtergreifung“. Es wird analysiert, inwieweit der damalige Forschungsstand auf den Nationalsozialismus „vorbereitet“ war und ob er ihn sogar vorbereitet hat. Die Arbeit beleuchtet die Rolle des traditionalistischen Wissenschaftsverständnisses und die Kritik an der ideologischen Einflussnahme der Nationalsozialisten auf die Wissenschaft.
Kapitel III.1. stellt das nationalsozialistische Geschichtsbild der Zeit dar und erklärt die Eigenheiten und Relevanz der Ost- und Westforschung. Es wird die Rolle der Geschichtswissenschaft bei der Legitimierung der deutschen Herrschaftsansprüche und der Ausgrenzung anderer Völker beleuchtet.
Kapitel III.2. befasst sich mit den innerdisziplinären Divergenzen und den speziellen, auf den „Kriegseinsatz“ zugeschnittenen Geschichtswissenschaften. Es wird die „Aktion Ritterbusch“ analysiert, die die Mobilisierung der Geisteswissenschaften für den Kriegseinsatz zum Ziel hatte.
Schlüsselwörter
Die Schlüsselwörter und Schwerpunktthemen des Textes umfassen die Geschichtswissenschaften im „Dritten Reich“, das Verhältnis der Historiker zum Nationalsozialismus, die „Machtergreifung“, das nationalsozialistische Geschichtsbild, die Ost- und Westforschung, die „Kämpfenden“ Geisteswissenschaften, die „Aktion Ritterbusch“ und die Verstrickung der Historiker in die nationalsozialistischen Verbrechen.
- Quote paper
- Christian Hauck (Author), 2007, Situation und Auftrag der Geschichtswissenschaften im "Dritten Reich", Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/114843