Surrealistische Wirkungsmittel in Michael Endes „Der Spiegel im Spiegel - Ein Labyrinth“. Theodor W. Adornos Ästhetikbegriff als Basis der Überlegungen


Akademische Arbeit, 2018

23 Seiten, Note: 12


Leseprobe


INHALT

1. EINLEITUNG
1.1. Ziel, Leitfragen und Gliederung der Arbeit

2. MICHAEL ENDES BEZIEHUNGEN ZUM SURREALISMUS

3. „DER SPIEGEL IM SPIEGEL“: ÄSTHETIK UND BEZIEHUNGEN ZUR GESELLSCHAFT
3.1. Genre und Textsorte
3.2. Erzählstruktur
3.3. Surreale Bildsprache
3.4. Gesellschaftliche Kritik im „Spiegel im Spiegel“
3.5. Michael Endes Gegenmodell zur „erzieherischen“ Literatur

4. THEORETISCHE GRUNDLAGE
4.1. Kritische Theorie und die surrealistische Bewegung
4.2. Überlegungen zur Theoretischen Grundlage
4.3. Ergänzungen zur Theoretischen Grundlage

5. „IM KLASSENZIMMER REGNETE ES UNAUFHÖRLICH“ IM LICHTE ADORNOS ÄSTHETIK-BEGRIFF
5.1. Handlungsablauf
5.2. Surreale ästhetische Wirkungsmittel
5.2.1. Das Klassenzimmer
5.2.2. Traumwandeln: das Spiel als Emanzipation und künstlerische Schöpfung
5.2.3. Das Seiltänzerkostüm des Knaben
5.3. Zusammenfassung

6. FAZIT

LITERATUR

1. EINLEITUNG

Als der Autor von „Momo“ und der „Unendlichen Geschichte“ ist Michael Ende (1929-1995) wahrscheinlich hauptsächlich als Fantasy- und Kinderbuchautor berühmt. Doch, er war ein Mensch mit vielen Ausdruckformen. Er hat auch Gedichte, Theaterstücke und Lieder geschrieben, die alle bei einem „Umgang mit der nichtalltäglichen Wirklichkeit“ gekennzeichnet sind (Zurfluh 25.8.88).

Michael Ende hatte viele Quellen der Inspiration. Sein langjähriger Lektor erzählt über den Autor: „In seinem Kopf tummelten sich Søren Kirkegaard neben Rudolf Steiner, William Shakespeare neben Jorge Luis Borges, Michelangelo neben Salvador Dalí“ (Hocke 2009: 02:46).

Der Kürze wegen wird in dieser Arbeit nur einen kleinen Aspekt von Michael Endes Oeuvre präsentiert: das Verhältnis zum Surrealismus. Michael Ende war Sohn des surrealistischen Maler Edgar Ende, und er hat der surrealistischen Bewegung viel zu verdanken in intellektueller und künstlerischer Hinsicht.

In dem 1984 erschienen Buch, „Der Spiegel im Spiegel - ein Labyrinth“, findet der Leser viele surrealistische Züge. Das Werk ist Edgar Ende gewidmet und beinhaltet achtzehn von dessen Zeichnungen. Genau wie die Bilder des Vaters haben die Geschichten einen dunklen, rätselhaften Inhalt und eine verzerrte Ästhetik. Dies macht das Buch scheinbar unzugänglich und unbegreiflich.

In diesem Zusammenhang erhebt sich die Frage, inwieweit ein Werk wie „Der Spiegel im Spiegel“ sich eigentlich interpretieren lässt. Eine literaturwissenschaftliche Analyse folgt einen kausalen, sachlich begründeten Vorgang, dem die traumhaften Texte des Buches geschickt entschlüpfen.

Gerade die entfremdende Unnahbarkeit der Ästhetik ist aber die eigentliche Intention des Werks. Micheal Ende entfaltet eine surreale Formsprache, um dem Leser „zu einem freien Spiel einzuladen bei dem Vorstellungs- oder Bewußtseinsinhalte ständig aufgelöst oder verwandelt werden“ (Zurfluh 25.8.88).

Entfremdung durch bizarre ästhetische Elemente ist ein zentraler Kunstgriff des Surrealismus. Das Ziel ist, den Leser zu schockieren und eine logisch-kausale Interpretation des Werks zu erschweren. Damit wird die Fantasie aktiviert und die Vernunft wird in den Hintergrund gezwungen. Hier werden die Prägungen der surrealistischen Bewegung auf Michael Endes Welt- und Kunstauffassungen deutlich. Er sah die Dominanz kausal-logischer Denkweisen in der Gesellschaft als eine geistliche Sackgasse. Durch seine schriftstellerische Tätigkeit suchte er die Kluft zwischen rationaler Vernunft und Fantasie zu überbrücken, um die inneren Bereiche der Menschen zu emanzipieren.

1.1. Ziel, Leitfragen und Gliederung der Arbeit

Dieser Arbeit stellt den „Spiegel im Spiegel“ in einen größeren gesellschaftlichen und künstlerischen Zusammenhang. Basis der Überlegungen ist Theodor W. Adornos Ästhetikbegriff. Adorno betrachtet die entfremdende Ästhetik der modernen Kunst als eine potenzielle Ablehnung der gesellschaftlichen Ordnung. Hier sind Adornos Ansichten in Übereinstimmung mit den der Surrealistenbewegung. Sie suchte, durch eine Emanzipation der Fantasie, die etablierten Normen herauszufordern. Die Kunst sei, so Adorno, einen potenziell „ästhetisch gestalteten“ Protest (Schou 2010). Adornos Theorien sind hier angemessen, da sie das Innere eines Werks mit der Welt verbindet.

Im Mittelpunkt der vorliegenden Arbeit steht also die Beziehung zwischen dem Inhalt und der surrealistischen Ästhetik des „Spiegels im Spiegel“. Auch Michael Endes Beziehungen zum Surrealismus, zur Kunst und zu der Welt seiner Zeit sind ein zentraler Schwerpunkt. Die Zielformulierung lautet:

Ziel dieser Arbeit ist es, die surrealistische Formsprache des „Spiegels im Spiegel“ als ästhetisch gestaltete gesellschaftlicher Kritik im adornoschen Sinne zu untersuchen.

Eine Erzählung, „Im Klassenzimmer regnete es unaufhörlich“, wird analysiert und interpretiert unter besonderer Berücksichtigung der Weltbilder und Literaturauffassungen des Autors. Zwei Leitfragen begleiten deshalb die Arbeit:

Welche Vorstellungen suchte der Autor durch ästhetische Mittel beim Leser hervorzurufen? Und, aus einer breiteren Perspektive, zu welchen gesellschaftlichen Neuordnungen möchte er inspirieren?

Um die Probleme zu behandeln, werden zunächst Michael Endes Beziehungen zur surrealistischen Bewegung berührt. Darauf aufbauend wird im zweiten Kapitel den „Spiegel im Spiegel“ präsentiert. Die Formsprache, die Themen und das Verhältnis zur Gegenwart werden diskutiert. Das dritte Kapitel ist der theoretischen Grundlage der Arbeit gewidmet. Im Mittelpunkt der Arbeit steht die Analyse und Interpretation der Erzählung „Im Klassenzimmer regnete es unaufhörlich“ im vierten Kapitel. Ein Fazit beschließt die Arbeit.

2. MICHAEL ENDES BEZIEHUNGEN ZUM SURREALISMUS

Das Elternhaus Michael Endes war von den künstlerischen und spirituellen Weltanschauungen seiner Eltern stark geprägt. Sein Vater, der Maler Edgar Ende (1901-1065), wird von Hartlaub (1954) als „Vertreter des romantischen Surrealismus“ bezeichnet. Seine fantastische Kunst war durch ein lebenslanges Interesse für philosophische und religiöse Fragen geprägt, und seine Inspirationsquellen umfassen Steiners Anthroposophie und Alfred Momberts „kosmische Stimmungslyrik“ (Hartlaub 1954: 295).

Als Kind verbrachte Michael Ende viel Zeit im Atelier des Vaters. Seine Auffassung von der Kunst als ein notwendiges Gegengewicht zum Realismus bezieht sich von großem Umfang zu seinem Vater. In einem Brief an Werner Zurfluh (25.8.88) schreibt er selbst von seiner Weltanschauung:

„Vergessen Sie […] nicht, daß ich in Malerateliers aufgewachsen bin als Sohn eines Surrealisten, was von Haus aus schon dazu predestiniert, das Wunderbare und Geheimnisvolle für wesentlich wichtiger zu halten, als alle banalen Erklärungsversuche der Exegeten“.

Obwohl Edgar Ende nur eine sporadische Beziehung zum französischen Surrealismus hatte (Hocke & Kraft), hat er viele Ansichten mit dieser Gruppe gemeinsam. Der Surrealismus entstand als literarische Bewegung im Kielwasser des Ersten Weltkrieges. Dem ersten hochtechnologischen Krieg der Weltgeschichte folgte eine Auffassung von Wissenschaft und Vernunft als die Ursachen für die Kriegswirren unter europäischen Intellektuellen und Künstler. Die Surrealisten hielten es für notwendig, die menschliche Vernunft zu dämmen: „der Feind ist in der Literatur der Realismus und in den Wissenschaften der Positivismus“, so Paardekooper (2006:262, meine Übersetzung).

Der Gründer der surrealistischen Bewegung, André Breton, war stark vom Marxismus, der Psychoanalyse und okkulten Systemen beeinflusst. Von seinen künstlerischen Vorbildern, die Dichtern Comte de Lautréamont (1846-80) und Arthur Rimbaud (1854-91), stammte seine Vorstellung vom Künstler als ein visionärer Rebell, der gegen die Gesellschaft war (Dempsey 2004). Die Bewegung hatte die Aufwertung und Emanzipation des Unbewussten als ihr Ziel. Für sie stellten Träume und Mythen Bereiche des Wundervollen, le merveilleux, dar (Paardekooper 2006). Eine Aufwertung und Befreiung dieser Bereiche könnten, in eine neue, „überwirkliche“, surreale

Welt, leiten, und damit eine „gesellschaftliche Neuordnung“ schaffen (Mohs 2010:2).

Der Automatismus war ein surrealistisches Verfahren, wodurch der Künstler versuchte, in einem unbewussten Trance-Zustand zu schreiben oder zu malen. Damit sollte der Künstler, ohne die Kontrolle der Logik, seine Kunst schöpfen können (Bradley 1999).

Auch Edgar Ende beschäftigte sich mit den Inneren und Surrealen Welten. Seine Werke bilden eine geistliche Welt ab ohne logischen oder empirisch erfahrbaren Sinn (Hartlaub 1954). Edgar Endes Arbeitsweise entsprach dem Automatismus der Surrealisten. Durch meditative, anthroposophische Übungen malte er seine Bilder in einem tranceähnlichen Zustand (Ebd.). Seine Kunst ist durch ihre fragmentierten, oft verzerrten, Traumbilder gekennzeichnet. Die Motive sind oft leere Landschaften voller Trauer und versteinerte Figuren. Die vertraute Welt ist in Einzelteile aufgelöst und wieder in bizarren und unerklärlichen Zusammenstellungen wieder zusammengefügt.

Dieses sogenannte poetische Bild war ein zentraler Kunstgriff der surrealistischen Kunst, der darauf zielte, den Empfänger zu schockieren und verwirren. Um diesen Effekt zu schaffen, musste die Einzelteile vertraut sein. Deshalb malte die Surrealisten oft realistisch und dichteten mit intakter Syntax. Die entstehende Entfremdung verhinderte eine logische, analytische Interpretation des Werks (Bradley 1999).

Der Gebrauch von poetischen Bildern und einer verzerrten, traumhaften Erzählstruktur ist ein zentrales Wirkungsmittel des „Spiegels im Spiegel“. Im nächsten Kapitel wird einen Überblick über das Werk gegeben.

3. „DER SPIEGEL IM SPIEGEL“: ÄSTHETIK UND BEZIEHUNGEN ZUR GESELLSCHAFT

„Der Spiegel im Spiegel“ war mehr als zehn Jahre unterwegs. Michael Ende selbst erwähnt, dass er das Buch vor der „Momo“ (1973) begonnen habe, und, dass es erst nach der „Unendlichen Geschichte“ (1979) fertig geschrieben sei (Zurfluh 25.8.88). In Bezug auf die Form ähnelt das Werk nicht den beiden anderen Büchern. Die zugrunde liegenden Gedanken und Absichten der drei Werke sind aber in hohem Maße dieselbe. Michael Endes Themenkreis zentriert sich immer in irgendeiner Form um Freiheit, Fantasie und Menschlichkeit in einer zunehmend entfremdeten Welt.

3.1. Genre und Textsorte

Der „Spiegel im Spiegel“ besteht aus dreißig losen zusammenhängenden Prosatexten variierender Länge. Hinsichtlich des Genres ist es nicht von einem der wohlbekannten Fantasy- oder Märchenromane Michael Endes die Rede. Das Buch besteht aus einer Mischung von Fantastik, Märchen und absurden Geschichten, die in realen und irrealen Welten stattfinden. Eine Bestimmung der Textsorte wird gleichweise etwa diffus. Laut Steiert (2012) können die Geschichte als eine Mischung aus Kurzgeschichten, Parabeln und Novellen bestimmt werden. In der vorliegenden Arbeit wird den „Spiegel im Spiegel“ als ein Stück surrealistische, fantastische Literatur betrachtet. Die einzelnen Texte werden einfach „Erzählungen oder Geschichten“ benannt.

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Details

Titel
Surrealistische Wirkungsmittel in Michael Endes „Der Spiegel im Spiegel - Ein Labyrinth“. Theodor W. Adornos Ästhetikbegriff als Basis der Überlegungen
Hochschule
Aalborg Universitet  (Institut für Germanistik)
Note
12
Autor
Jahr
2018
Seiten
23
Katalognummer
V1154327
ISBN (eBook)
9783346554550
ISBN (Buch)
9783346554567
Sprache
Deutsch
Schlagworte
surrealistische, wirkungsmittel, michael, endes, spiegel, labyrinth, theodor, adornos, ästhetikbegriff, basis, überlegungen
Arbeit zitieren
Stine Lykke Olsen (Autor:in), 2018, Surrealistische Wirkungsmittel in Michael Endes „Der Spiegel im Spiegel - Ein Labyrinth“. Theodor W. Adornos Ästhetikbegriff als Basis der Überlegungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1154327

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