Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1 Einleitung
2 Krankheitsbild der ADHS
2.1 Symptome
2.2 Diagnose
3 Medizinisch-biologische Perspektive auf ADHS
3.1 Atiologie aus medizinisch-biologischer Perspektive
3.2 Medikamentose Behandlung
4 Psychoanalytische Betrachtungsweise auf ADHS
4.1 Atiologie aus psychoanalytischer Perspektive
4.2 Psychoanalytische Interventionen bei ADHS
5 Diskussion der Ergebnisse
5.1 Symptomverstandnis
5.2 Atiologische und therapeutische Unterschiede
6 Fazit
Literaturverzeichnis
6.1 Bucher
6.2 Zeitschriften
1 Einleitung
Die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung ist eine der am haufigsten diagnostizierten psychischen Storungen bei Kindern und Jugendlichen, wobei die Pravalenz auf ca. 5% weltweit geschatzt wird. Obwohl viele Menschen weltweit an der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung leiden, ist trotz intensiver Forschung in den letzten Jahrzehnten immer noch nicht vollstandig geklart, welches die Ursachen der Entstehung von ADHS sind. Der aktuelle Stand der Forschung zeigt derzeit, dass ein Zusammenspiel mehrere Variablen von Genetik, Umwelt und neurobiologischen Faktoren die Storung hervorrufen bzw. begunstigen. Aufgrund der pluralen Erklarungsweisen haben unterschiedliche Disziplinen, kontroverse Therapieformen entwickelt. Dabei beschreibt der Kinder- und Jugendpsychiater Peter Riedesser ADHS als „eine der groBten Kontroversen in der Geschichte der Kinder- und Jugendpsychatrie“ (Riedesser, 2006, S.111). Im Rahmen dieser Hausarbeit mochte ich mich dieser Thematik naher widmen und zwei der vielleicht kontroversesten diskutierten Ursachen und deren Therapieformen im Kinder- und Jugendalter naher beleuchten. Zum einen, die im Diskurs am prominentesten vertretene Sicht der Medizin, welche die atiologische Erklarung aufgrund eines Neurotransmitter- Defizites im Frontalhirn sieht. Zum anderen, die psychoanalytische Kinder- und Jugendpsychologie, welche die Ursache der Entstehung von ADHS im Zusammenhang mit schmerzlichen Erfahrungen im Kleinkindalter erklart. Dabei kann die Psychoanalyse auf verschiedenste Theorien, wie der Ich-Psychologie, sowie Objektbeziehungstheorie als auch Bindungstheorie zuruckgreifen. Resultierend aus den unterschiedlichen Atiologie Modellen entstehen auch dementsprechend kontrare Behandlungsformen. Daraus ergibt sich schlieBlich meine Fragestellung, inwiefern sich die Atiologie von der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung im Kinder- und Jugendalter aus medizinisch- biologischer, sowie psychoanalytischer Sichtweise unterscheiden und welche Therapieformen sich daraus ergeben? Im Fazit soll es dann darum gehen, die beiden Sichtweisen in einen sinnvollen Kontext zu stellen und eventuelle daraus sich ergebenden Therapieansatz zu erlautern.
2 Krankheitsbild der ADHS
Im ersten Teil dieser Seminararbeit wird das Krankheitsbild der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung anhand ihrer Kernsymptome Unaufmerksamkeit, Hyperaktivitat und Impulsivitat naher erlautert. Im Anschluss erfolgt eine kurze Beschreibung des diagnostischen Prozesses.
2.1 Symptome
Eine hyperkinetische Storung weist drei Kernsymptome auf: Unaufmerksamkeit, Hyperaktivitat und Impulsivitat. Unaufmerksamkeit tritt dabei einzeln in Erscheinung. Hyperaktivitat und Impulsivitat gehen hingegen miteinander einher (vgl. Garislow, 2016, S. 21).
Bei Kindern und Jugendlichen mit einer Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitatsstorung auBert sich Unaufmerksamkeit in Form einer erhohten Fluchtigkeitsfehlerquote, Ablenkbarkeit, Vergesslichkeit sowie Schwierigkeiten sich zu organisieren. Hyperaktivitat und Impulsivitat zeigen sich in einem starken Bewegungsdrang, extremer Ruhelosigkeit, exzessiven Reden sowie der mangelnden Fahigkeit abzuwarten. Diese Symptome treten gerade in Situationen mit hoher Eigenkontrolle besonders zum Vorschein und werden dadurch oft als sozial unangemessen angesehen (vgl. Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 157).
2.2 Diagnose
Zur Erfassung der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung gibt es unterschiedliche Klassifikationssysteme. In Deutschland werden Diagnosen auf Basis des ICD-10 erstellt. In wissenschaftlichen Arbeiten hingegen gilt in den meisten Fallen der DSM-V als Ausgangspunkt fur die Diagnostik (vgl. Garislow, 2016, S. 23).
Bedeutend fur die Diagnostik ist, dass die Kernsymptome, welche durchaus im Kindesalter normal sind, in einer deutlich erhohten Intensitat auftreten als bei Kindern im selben Entwicklungsalter. Dabei ist jedoch zu bemerken, dass es keine spezifischen medizinischen oder psychologische Verfahren gibt, welche mit Sicherheit aussagen konnen, ob eine hyperkinetische Storung vorliegt. Aus diesem Grund spricht man auch von ADHS als Wahrscheinlichkeitsdiagnose (Schramm, 2016, S.37ff).
Gibt es den Verdacht auf eine Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung, so mussen alle Symptome erfasst und zu anderen Storungen abgegrenzt werden (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 19). Dies benotigt eine sogenannte Differentialdiagnostik, welche hauptsachlich von Arztinnen und Psychotherapeutinnen durchgefuhrt wird. Zunachst wird eine storungsspezifische Exploration herangefuhrt, die das Verhalten des Kindes in unterschiedlichen Situationen beobachtet. Dies geschieht vorwiegend durch das nahere Umfeld, z.B. Eltern, Lehrerinnen, Gleichaltrige etc. Daneben wird in Gesprachen mit Eltern die Entwicklungsgeschichte aufgearbeitet und die psychosozialen Rahmenbedingungen des Kindes werden geklart (Schramm,2016, S.37).
In vielen Fallen tritt ADHS nicht singular auf, sondern geht mit Komorbiditaten einher. Um diese zu erkennen, aber auch zur Klarung, ob andere psychische Erkrankungen fur die Kernsymptomatik verantwortlich sind, mussen neuropsychologische Tests durchgefuhrt werden. Darunter fallen Intelligenz-, Leistungs- und Entwicklungsdiagnostik (vgl. Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 157). AuBerdem muss auch eine facharztliche Behandlung erfolgen, um eine physische Erklarung fur die Symptomatik auszuschlieBen (Schramm, 2016, S.43).
3 Medizinisch-biologische Perspektive auf ADHS
Die medizinisch-biologische Perspektive zieht neuroanatomische und neurochemische Erklarungsursachen fur die Entstehung der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung vor. Inwiefern sich aufgrund dieser Atiologie eine Pharmakotherapie ableiten lasst, wird im Anschluss erlautert. Dabei wird auch die Wirkweise sowie der Nutzen und Konsum von Stimulanzien mitberucksichtigt.
3.1 Atiologie aus medizinisch-biologischer Perspektive
Die neurobiologische Perspektive auf die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung geht davon aus, dass diese uberwiegend vererbt wird. So zeigen Zwillingsstudien, teilweise eine mehr als doppelt so hohe Konkordanzrate im Vergleich zu mono- und dizygoten Zwillingen (vgl. Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 161).
Neuroanatomische Untersuchungen zeigen, dass es bei Kindern mit einer hyperkinetischen Storung Unterschiede im Frontalhirn gibt. Davon ist sowohl der Blutfluss als auch der Glukosestoffwechsel betroffen. Dies tritt vor allem beim prafrontalen Cortex, welcher Handlungsplanungen und kognitive Steuerung durchfuhrt, in Erscheinung. Aber auch auf den Corpus striatum trifft dies zu, ein Hirnareal, das fur Aufmerksamkeits- und Verhaltensregulationen verantwortlich ist (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 31).
Des Weiteren legen molekulargenetischen Untersuchungen dar, dass es bei Kindern mit einer Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung mutierte Gene innerhalb des Dopamin- Systems gibt, die eine veranderte Transmitterregulation herbeifuhren (vgl. Garislow, 2016, S. 66).
Neurochemische Studien zeigen dabei, dass ein Ungleichgewicht der Neurotransmittersysteme im Frontalhirn in Verbindung mit ADHS stehen. Dabei spielen dopaminerge Nervenfasern eine Rolle, welche fur die Regulation motorischer Aktivitat sowie fur Aufmerksamkeits- und Impulskontrollsteuerung verantwortlich sind (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 31).
3.2 Medikamentose Behandlung
Bei der Behandlung von ADHS aus der medizinisch-biologischen Perspektive ist zu bemerken, dass diese multimodal sein sollte. Dies meint, dass die Therapie sowohl aus der Behandlung mit Stimulantien, sowie aus Verhaltenstherapie und Psychoedukationen besteht (vgl. Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 161).
Betrachtet man die Rolle der Medizin in diesem Diskurs naher, so wird ersichtlich, dass die psychotherapeutischen Interventionen eine eher untergeordnete Rolle spielen. So erhalten nur ca. 50% der mit ADHS-diagnostizierten Kinder eine Behandlung mit Stimulanzien, ohne dabei lernpsychologisch oder psychotherapeutisch gefordert zu werden (Haubl & Liebl, 2008, 675).
Den Leitlinien entsprechend, wird als erstes Medikament Methylphenidat verwendet. Dabei handelt es sich um eine schnell wirksame Stimulanz, deren Wirkung nach ca. 20-30 Minuten eintritt und uber eine Dauer von 3-4 Stunden anhalt. Den gleichen Wirkstoff gibt es auch in einer retardierten Form, die die Wirkdauer von Methylphenidat verlangert (vgl. Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 165). Der Wirkmechanismus wird dadurch erklart, dass Methylphenidat in den Dopamin Stoffwechsel eingreift. Dabei wird die Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin gehemmt, sodass mehr Dopamin im synaptischen Spalt zur Verfugung steht (vgl. Garislow, 2016, S.138).
Die Medikation auBert sich in einer Verbesserung der Kernsymtomatik. Die Hyperaktivitat nimmt dabei ab, wobei Bewegungsablaufe organisierter und zielgerichteter ausgefuhrt werden konnen. Zudem verbessert sich die Feinmotorik. Auch Impulsivitat wird vermindert. Dies sieht man daran, dass Konfliktsituationen, vor allem innerhalb der Familie, aber auch mit anderen Sozialkontakten verringert werden. Die Kinder drangen sich weniger in den Vordergrund und konnen sich sozial angepasster verhalten. Im schulischen Kontext wird vor allem die Verbesserung der Aufmerksamkei t ersichtlich (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 134f.).
Bei Methylphenidat handelt es sich um ein gut erforschtes Medikament fur Kinder- und Jugendliche. Es treten aber auch Nebenwirkungen auf. Im Kindes- und Jugendalter zeigen diese sich vor allem in Form von Appetitsmangel, Traurigkeit, Dysphorie, sprachlichem Ruckzug und Schlafstorungen. Aus medizinischer Perspektive werden diese jedoch als unproblematisch im Vergleich zum therapeutischen Nutzen eingeschatzt (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 132-135).
Auch kommt es bei ca. einem Drittel aller Menschen vor, dass sie gar nicht auf Methylphenidat reagieren (vgl. Garislow, 2016, S. 138). In diesem Fall konnen auch andere Medikamente zum Einsatz kommen. Aus der Gruppe der Stimulanzien wird in Deutschland ebenfalls D, L-Amphetamin verschrieben. Dieses wirkt ahnlich wie Methylphenidat durch die Dopamin-Erhohung im synaptischen Spalt. Aber auch Atomexetin - ein selektiver Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer aus der Gruppe der Antidepressiva, oder Clonidin, welches eigentlich zur Behandlung von Bluthochdruck eingesetzt wird, werden teilweise verwendet (Quaschner, Theisen & Becker, 2011, S. 165).
Zusammenfassend ist festzustellen, dass die medikamentose Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung mit Stimulantien oder anderen Medikamenten keine Heilung der Erkrankung erzielt. Jedoch konnen sich sehr schnell Erfolge einstellen (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 136). Dies gilt vor allem fur ADHS-Symptome im Kontext Schule, sowie dem allgemeinen Verhalten des Kindes als auch fur die Lebensqualitat der Eltern (vgl. Garislow, 2016, S. 139). Jedoch sollte nicht verschleiert werden, dass Kinder langfristig padagogisch-psychologische Hilfen brauchen (vgl. Brandau, Pretis & Kaschnitz, 2020, S. 136).
4 Psychoanalytische Betrachtungsweise auf ADHS
Betrachtet man die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung aus psychoanalytischer Sicht, ist zu bemerken, dass ihr Krankheitsbild gar nicht als nosiologische Einheit gesehen wird. Vielmehr werden die Symptome, unter der Bezeichnung ADHS konstruiert, obwohl jedes Symptom eine einzelne pathogene Einheit darstellt. Die betroffenen Bereiche entwickeln sich in der Beziehung mit fruhen „parental figures" (vgl. Riedesser, 2006, S. 113f.). Wie die Krankheit, wird auch die Diagnose nicht einheitlich gesehen. Aus diesem Grund betrachtet die Psychoanalyse die Aufmerksamkeitsdefizithyperaktivitatsstorung als ein komplexes Phanomen, das aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden muss (vgl. Leuziger-Bohleber et al., 2007, S.359f). Im Folgenden werden unterschiedliche Erklarungsmodelle der Atiologie vorgestellt, angefangen mit der Ich-Psychologie, der Objektbeziehungstheorie, sowie der Bindungstheorie.
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