Die wohlfahrtsstaatlichen Systeme Deutschlands und Schwedens

Ein Vergleich der Arbeitsmarktintegration von Müttern


Bachelorarbeit, 2021

91 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Fragestellung
1.2 Stand der Forschung
1.3 Methodischer Zugang
1.4 Aufbau

2 Konzeptioneller Rahmen und theoretische Einbettung
2.1 Wohlfahrtsstaatliche Grundmodelle
2.2 Feministisch-kritische Perspektive

3 Deutschland
3.1 Deutschland: ein konservativ-korporatistisches Modell
3.2 Die ökonomische Funktionalität der Familie
3.3 Tatsächliche Effekte der Teilzeit

4 Schweden
4.1 Schweden: Ein sozialdemokratisches Modell
4.2 Die Trendwende der 1970er Jahre
4.3 Emanzipation als Sicherheit

5 Analyse der staatlichen Systeme Deutschlands und Schwedens
5.1 Vergleiche der sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen
5.2 Anreize und Restriktionen
5.3 Einfluss der Kultur auf das Wohlfahrtsstaatsmodell

6 Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1: Zusammenhang der einzelnen Dimensionen innerhalb eines Wohlfahrtsstaates 17

Abb. 2: Steuerungsinstrumente der deutschen Familienpolitik 27

Abb. 3: Abhängig erwerbstätige Frauen nach Beschäftigungsumfang in absoluten Zahlen, Teilzeitquote in Prozent von 1993 bis 2018 29

Abb. 4: Steuerungsinstrumente der schwedischen Familienpolitik 38

Abb. 5: Erwerbstätige Frauen in Schweden im Alter von 16 bis 64 Jahren, 1000er nach Arbeitsstunden pro Woche, von 2005 bis 2020 40

Abb. 6: Frauenerwerbsquote von Deutschland und Schweden im Alter von 15 bis 64 46

Abb. 7: Zusammengefasste Geburtenrate Deutschland und Schweden 1960 bis 2020 47

Abb. 8: Teilzeitbeschäftigung in Prozent an der Gesamtbeschäftigung, von Frauen in Deutschland und Schweden im Alter von 15 bis 64 Jahren 51

Tabellenverzeichnis

Tab. 1: Familienmodelle mit Einfluss der kulturellen Ebene

Tab. 2: Deutsche Bevölkerung nach Bildungsabschluss im Alter von 16 bis 74 Jahren in Prozent

Tab. 3: Schwedische Bevölkerung nach Bildungsabschuss im Alter von 16 bis 74 Jahren in Prozent

1 Einleitung

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Rolle der Frau in der deutschen und in der schwedischen Gesellschaft signifikant gewandelt, von der traditionellen Hausfrau zu einem sich selbstverwirklichenden Individuum auf dem Arbeitsmarkt. Eine Erwerbstätigkeit ist heutzutage ein fester Bestandteil der weiblichen Lebensrealität (BMFSFJ 2017). Zugleich sehen sich Frauen jedoch mit Restriktionen auf dem Arbeitsmarkt konfrontiert, welche teilweise durch institutionelle und kulturelle Rahmenbedingungen geschaffen werden. Diese Rahmenbedingung haben auf Frauen einen signifikanten Einfluss auf bei der Wahl ihrer Lebensmodelle (Frodermann et al. 2013, S. 645). Um die daraus resultierenden sozialen Ungleichheiten - beispielsweise die Doppelbelastung von Frauen durch Mutterschaft und Erwerbstätigkeit - zu überwinden, greifen die Wohlfahrtsstaaten auf Maßnahmen zur Förderung von Frauen zurück (Sperlich et al. 2011; Peuckert 1996, S. 112 f.). Dieser Befund wirft Fragen danach auf, inwiefern Mütter durch wohlfahrtsstaatliche Arrangements unterstützt oder gehemmt werden und wie Mütter nach einer Erwerbspause wieder in den Arbeitsmarkt integriert werden können.

Diese Bachelorarbeit verfolgt das Ziel, zu analysieren, welche Folgen die Ausgestaltung von Familienpolitik auf die Erwerbsintegration von Müttern hat. Dies soll exemplarisch am Beispiel der Länder Deutschland und Schweden nachvollzogen werden. Der Schwerpunkt dieser Arbeit ist ein systematischer Vergleich, wodurch geklärt werden soll, wie die Länder auf nahezu identische Problemlagen innerhalb ihrer jeweiligen wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen reagieren. Dabei gilt es zu beachten, dass es nicht ausschließlich die Familienpolitik ist, welche maßgebend für die Erwerbsintegration von Müttern ist (Kolberg und Uusitalo 1992, S. 84). Auch der Einfluss der Familienpolitik und der Arbeitsmarktpolitik sowie das Verhältnis der individuellen Geschlechterregime werden als maßgebende Faktoren berücksichtigt. Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher, den kulturellen Einfluss auf die Konzipierung von Geschlechterregimen zu durchleuchten und zu analysieren, inwiefern das Geschlechterregime ein Teilaspekt für die Erwerbsintegration von Müttern am Arbeitsmarkt sein kann. Als Explanans der Forschung dient das Steuerungsinstrument Anspruch auf Teilzeit entsprechend der Dimension Zeit- Leistungen. Die exemplarisch gewählten Länder Deutschland und Schweden bieten Instrumente mit sehr ähnlichen Rahmenbedingungen an, um Familien die Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienleben zu ermöglichen.

1.1 Fragestellung

Der Wohlfahrtsstaat kann einen signifikanten Einfluss auf das soziale Handeln von Frauen haben (Ullrich 2003). In Deutschland sind Ehe und Familie institutionalisiert und agieren als sachliche und persönliche Hilfsleistungen neben Staat und Markt. Auf den ersten Blick mag dies als geschlechterneutral erscheinen, doch wird dadurch eine „no-choice“-Situation und ein Abhängigkeitsverhältnis produziert sowohl für Mütter, welche die Pflege- und Sorgearbeit übernehmen, als auch für Mütter in atypischen Arbeitsverhältnissen (Langan und Ostner 1991, S. 302 f.; Kuller 2008, S. 199). Langan und Ostner (1991) führen aus, dass dies zu einer Segmentation des Arbeitsmarktes und zeitgleich zu divergenten Lebens- und Erwerbschancen geführt habe und dass Frauen als Ressourcen zur Lösung vielfältiger Probleme funktionalisiert worden seien. Insbesondere würden Frauen als die Gebärerinnen der zukünftigen Generationen der Fertilitätssicherung dienen. Zudem haben sie den lange bekannten Fachkräftemangel im Bereich der Pflege auffangen, indem sie als gering oder unbezahlte Betreuerinnen von Hilfsbedürftigen und Kindern agieren. Für den Arbeitsmarkt wären sie zeitgleich sowohl als aktives Arbeitspotenzial als auch als stille Arbeitsmarktreserve geblieben. Eichhorst und Thode (2003) verweisen in diesem Zusammenhang darauf, dass Sozialpolitik zwar bestehende Ungleichheiten ausgleichen könnte, doch hätten getroffene Maßnahmen und Bemühungen häufig in weiteren beziehungsweise verlagerter Ungleichheit resultiert (Eichhorst und Thode 2003, S. 7). Es hat den Anschein, in Schweden sei man ähnlichen Probleme mit anderen Maßnahmen begegnet (Palme, J. et al. 2002). Daraus ergibt sich die Forschungsfrage: Welche Folgen haben wohlfahrtsstaatliche Arrangements auf die Arbeitsmarktpartizipation von Müttern? Die Forschungsfrage soll mittels eines internationalen Vergleiches der wohlfahrtsstaatlichen Systeme von Deutschland und Schweden beantwortet werden.

1.2 Stand der Forschung

Im Bereich der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung mit familienpolitischem Bezug und besonderem Fokus auf die Rolle der Frau beziehungsweise Mutter existieren bereits einige Forschungsansätze. Diese weisen einen Querschnittscharakter auf, da sie diverse Politikfelder berühren. Überschneidungen finden sich beispielsweise bei Politikfeldern, wie der Arbeitsmarkt-, Sozial-, Steuer- oder Gesundheitspolitik. Diese Überschneidungen bieten den Vorteil, dass die Probleme analytisch aus differenten Perspektiven betrachtet werden können. Die vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung ist abhängig von ihrem nationalen Kontext zu betrachten, da inhaltliche Schwerpunkte aufgrund sozio-kultureller und ökonomischer Bedingungen signifikant variieren können. So legt der deutsche Sozialstaat einen besonderen Fokus auf die monetäre Absicherung und den Erhalt des Lebensstandards. Diese Definition bedingt demnach einen nationalen Bias der selektiv ausgewählte sozialpolitische Maßnahmen zum Hauptinhalt des Wohlfahrtstaates erhebt. Dies kann als Ausdruck einer vielfachen geschlechterpartikularen Perspektive gedeutet werden. Dominierend in der Pluralität der diversen Herangehensweisen der Wohlfahrtsstaatenforschung sind besonders zwei Ausgangsperspektiven, zum einen die traditionelle, konventionelle Wohlfahrtsstaatenforschung und zum anderen die feministische Staatenanalyse (Kulawik 2005).

G0sta Esping-Andersen (1990) entwickelte eine der prominentesten Methoden der Klassifizierung wohlfahrtsstaatlicher Regimemodelle nach ihrer individuellen Leistungslogik. Da dieses Modell wenig geschlechtersensiblen war, gab es viel Kritik von Wissenschaftler*innen, welche die Rolle der Frau nach Esping­Andersens Verständnis der Dekommodifizierung als unzureichend betrachteten (Becker 2000). Die Rolle des Geschlechts der Individuen im Sozialstaat ist für einen längeren Zeitraum kein relevanter Untersuchungsgegenstand gewesen und erfuhr erst seit Beginn der 1970er Jahren vermehrt Aufmerksamkeit. Forschungsansätze mit einem feministischen Schwerpunkt entwickelten sich anfänglich nicht mit einer vergleichenden Herangehensweise. Da dem grundlegenden Modell von Esping­Andersen also eine „Geschlechtsblindheit“1 vorgehalten werden kann, ist es notwendig, weitergehende beziehungsweise ergänzende Forschungsperspektiven in Betracht zu ziehen. Esping-Andersen ergänzte seine Theorie mit dem Konzept der Defamilisierung. Der Grad der Defamilisierung beschreibt, in welchem Umfang private Haushalte, zusätzlich zu dem bereits bestehenden Wohlfahrtsgenerierungen durch marktmäßige oder staatliche Dienstleistungen, die wohlfahrtsstaatliche Abdeckung unterstützen (Halwachs 2010, S. 51; Esping-Andersen 1999). Seit den 1990er Jahren expandierte die vergleichende Wohlfahrtsstaatenforschung mit einer geschlechtersensiblen Perspektive (Pierson 2000). Trotzdem liefert die Einordnung in das Regimemodell nach Esping-Andersen ein Grundverständnis dafür, wie Deutschland und Schweden von ihrer Funktionslogik und ihren Strukturprinzipien her wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen implementierten und an welchem Leitmotiv diese orientiert sind.

Wissenschaftlerinnen wie Nina Oelkers und Martina Richter (2010) befassten sich mit der Entwicklung „post-wohlfahrtsstaatlicher“ Familienarrangements auf dem Gebiet der Geschlechtergerechtigkeit. Mit Blick auf die Intersektionalität erforschen Katrin Menke und Ute Klammer (2017), wie mittels familienpolitischer Leistungen die Erwerbstätigkeit und Eigenständigkeit von Frauen gefördert werden können. Familienarrangements und die Geschlechterverhältnisse innerhalb einer Familie seien determinierend für eine Un- oder Abhängigkeit und der damit einhergehenden Un- oder Sicherheit, welche unmittelbar mit der Emanzipation der Frau verknüpft seien. Die Position des Wohlfahrtsstaates sei deshalb so bedeutend, da dieser ein hohes Maß an Einfluss auf Familienarrangements und die Geschlechterverhältnisse nehmen könne (Nadai und Nollert 2015; Dackweiler 2008). Die Erwerbstätigkeit von Frauen in Geschlechterregimen ist in post­wohlfahrtsstaatlichen Systemen von Bedeutung, dabei ist insbesondere dezidierend, aus welchen Gründen und wie Frauen entscheiden, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Dafür können private Faktoren sowie staatliche Restriktionen oder Impulse maßgebend für die Entscheidung sein. Auch nach längeren Bestreben Chancengleichheit für Frauen herzustellen, scheint es de facto so zu sein, dass Frauen, wenn sie einer Erwerbstätigkeit nachgehen, nicht von ihren Sorge- und Haushaltspflichten entlastet werden (Lewis 1992; Ruf 1991). In der vorliegenden Arbeit sind die Restriktionen und Anreize das Hauptinteresse der Analyse. Des Weiteren wird untersucht, ob sich in Deutschland und Schweden eine Homologie nachweisen lässt.

Auch in der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung wird die Verbindung zwischen der Frauenerwerbstätigkeit und den jeweiligen Geschlechterregimen untersucht. Dort steht vor allem die Frage im Fokus, welche Strategien zur Förderung der Erwerbstätigkeit in den jeweiligen Ländern verfolgt werden, um gegebenenfalls Korrelationen zwischen den Geschlechterregimen identifizieren zu können. Als Standardlektüre zählt das Werk von Inga Halwachs (2010), in dem die Autorin drei ausgewählte Repräsentanten europäischer Wohlfahrtsstaaten miteinander vergleicht und am Beispiel von deren individuellen Geschlechterregimen analysiert, wie diese durch ihre Strategien Frauen und deren Erwerbstätigkeit fördern. Auch fragt sie, ob Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern durch die politischen Maßnahmen beeinflusst, verschärft oder abgebaut würden. Zu Beginn der feministischen Forschung auf internationaler Ebene wurden Bemühungen angestellt, den als vermeintlich geschlechtsneutral erscheinenden patriarchalen Wohlfahrtsstaat zu untersuchen (Pateman 1988). Dies sollte durch eine Analyse von sozial-, arbeits- und familienpolitischen Regulierungen und deren Einfluss auf die weibliche Erwerbsbiografie sowie deren Auswirkungen auf das Abhängigkeitsverhältnis von Frauen geschehen (Fraser und Gordon 1993).

Karin Böllert und Catrin Heite (2011) befassen sich mit der Fragestellung, wie durch sozialpolitische Regelungen Geschlechterverhältnisse konstruiert werden, und analysieren, welche wohlfahrtsstaatlichen Instrumente für die Sozialpolitik eines Landes zur Verfügung stehen, um Einfluss auf die Lebensentwürfe von Frauen und Männern zu nehmen. Sie betonten dabei die Inkonsequenz einer einheitlich ausgestalteten Sozialpolitik innerhalb eines Wohlfahrtsstaats. Die Betrachtung sozialpolitischer Regelungen wirft die Frage auf, in welcher Beziehung die Geschlechterverhältnisse zum Sozialstaat stehen und mit welchen geschlechtersensiblen Maßnahmen der vorsorgende Sozialstaat zukünftig handeln könnte (Stiegler 2011). Um die Forschungsfrage nach der Erwerbsintegration von Müttern in einem entsprechendem Rahmen beantworten zu können, gilt es auch zu verstehen und zu erläutern, inwieweit die Kultur einen Einfluss auf die sozialpolitischen Regelungen und dominierenden Geschlechterverhältnisse innerhalb eines Wohlfahrtsstaates hat beziehungsweise haben kann (Pfau-Effinger 2000).

Weiterhin sind Mary Langan und Ilona Ostner (1991) sowie Jane Lewis und Ilona Ostner (1994) zu nennen, die in der international vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung tätig sind und in ihren Arbeiten geschlechterpolitische Maßnahmen ausführen. Sie bringen durch ihre Werke eine kritische Perspektive in die Betrachtung internationaler Systeme ein, indem sie postulieren, dass Ungleichheiten innerhalb eines Sozialstaates, welche aus ungleichen Verhandlungen und Ressourcenverteilung resultieren, die eigentlich einen Ausgleich als Intention haben, nur weiter Ungleichheiten schaffen. So würden in westlichen Ländern eher Frauen als Männer, durch rechtliche Regulierungen und politische Maßnahmen vom Arbeitsmarkt ferngehalten. Einen ähnlichen Ansatz verfolgt auch Birgit Pfau-Effinger (2000) in ihrem Werk „Kultur und Frauenerwerbstätigkeit“. Sie vergleicht die Frauenerwerbstätigkeit in einem internationalen Kontext, ergänzt ihre Analyse jedoch durch den Einfluss der Kultur auf die Ausgestaltung der Erwerbstätigkeitsarrangements. Dabei wird die Handlungsdynamik zwischen Kultur, Struktur und den Institutionen betrachtet. Alle drei Einflussbereiche werden zur Erklärung von Entwicklungen herangezogen. Die vorliegende Bachelorarbeit wird einen vergleichbaren Ansatz verfolgen.

1.3 Methodischer Zugang

Als leitende Vorlage dienen dafür, in Anlehnung an Giovanni Sartoris Werk „Comparing und Miscomparing“ (Sartori 1991), folgende drei Fragen: „Warum vergleichen?“, „Was ist vergleichbar?“ und „Wie wird verglichen?“. So ist das Hauptziel des Vergleichens zu kontrollieren, ob die aufgestellt Hypothese beziehungsweise Fragestellung falsifiziert oder verifiziert werden kann. Um die Kontrolle mittels eines empirischen Zusammenhangs belegen zu können, müssen entsprechende Kontextvariablen konstant festgelegt werden, um mit deren Hilfe zwischen weiteren Variablen differenzieren zu können (Fischer 2019, S. 40 f). Im Hinblick auf andere Methoden mag diese Form der Kontrolle eher schwächer ausgeprägt sein, doch in der Sozialwissenschaft hat die Methode des experimentellen Ablaufs eine begrenzte Anwendbarkeit und statistische Forschungen benötigen einen großen Umfang der gesamtbefragten Personen. Damit eröffnet sich das Problem, eine kleine Größe der Grundgesamtheit, die Gesamtheit der Menge aller zu untersuchenden Objekte, und gleichzeitig viele unterschiedliche Variablen als Antwort zu haben (Lijphart 1971, S. 686).

Zu der ersten Frage - „Warum vergleichen?“ - gibt Sartori eine unmittelbare Antwort: „Kontrolle“ (ebd., S. 244). Der reine Vergleich als Methode ermögliche eine Analyse mit einer Vielzahl an Faktoren und gestatte es somit, konkretere Aussagen über spezielle Rahmenbedingungen eines politischen Systems zu treffen. Eine Schwierigkeit dieser Methode liegt in der stark begrenzten messbaren Größe der Gesamtheit (Schmid 2010, S. 41). Doch gibt es für die geschilderte Problematik adäquate Gegenstrategien (Janoski und Hicks 1994; Vis 2007). Es können die Unterschiede und Gemeinsamkeiten der diversen wohlfahrtsstaatlichen Arrangements analysiert werden, dabei muss berücksichtig werden, dass jedes System eigene und spezifische Entscheidungsbedingungen hat, welche in den institutionellen Strukturen eingebettet sind und die beim Vergleich reflektiert werden müssen. Daher können spezifische Herangehensweisen bestimmter Länder nicht eins zu eins für ein anderes Land übernommen werden, vielmehr können sie nur Diskussionsanstöße oder Impulse für sozialpolitische Reformdebatten liefern (Heinze et al. 1999; Sartori 1991, S. ff.). Aus einer allgemeineren Idee für soziale Sicherheit wird die Umsetzung von jedem Land unterschiedlich interpretiert und realisiert. Durch eine solche Vielfalt wird die Vergleichbarkeit und Übertragbarkeit erschwert. Das bedeutet konkret, dass zu Beginn des Vergleiches Grenzen gezogen werden müssen, um zu einer nachhaltigen Schlussfolgerung zu gelangen (Schmid 2010, S. 36). Die Frage der Methodik wird in dem Unterkapitel 5.1 aufgegriffen, um die Gemeinsamkeiten der wohlfahrtsstaatlichen Arrangements aufzuzeigen.

Innerhalb der zweiten Frage - „Was ist vergleichbar?“ - erläutert Sartori, welche Einheiten, - diese beziehen sich hier auf ein ganzes System, auch subsystemisches Segment genannt (LaPalombara 1968, S. 123) - und welche Kriterien für einen systematischen Vergleich ausgewählt werden können. Ein Sprichwort besagt „Du kannst Äpfel nicht mit Birnen vergleichen“. Sartori stimmt dem nicht zu und stellt die Gegenfrage, ob sie bereits verglichen wurden, um eine solche Aussage tätigen zu können. Nach seiner Auffassung können zwei noch so unterschiedlich erscheinende Objekte miteinander verglichen werden, sofern sowohl Teilaspekte ihrer individuellen Eigenschaften verglichen werden, welche sich ähneln, als auch jene, welche keine Ähnlichkeiten aufweisen. Werden sinnvolle und tatsächliche Vergleiche zwischen Entitäten angestellt, kann eine Aussage getroffen werden, bis zu welchen Teilen sie Eigenschaften gemeinsam und zu anderen Teilen nicht gemeinsam haben (Sartori 1991, S. 245 f.). In der vergleichenden wohlfahrtsstaatlichen Forschung kann eine Vielzahl an Variablen und Dimensionen innerhalb des politischen Systems als Erklärungsansatz dienen, um die homogenen oder kontrastierenden Anteile zu beschreiben. Davon kann eine Dimension mit kritischer Perspektive auf den Umgang mit Reformen, Krisen oder Kontinuitäten und deren Auswirkungen auf die Länder gelegt werden. Es kann ebenso eine Abwanderung von wohlfahrtsstaatlichen Handlungsansätzen erfolgen, welche direkte Auswirkungen auf arbeits- und wirtschaftspolitische Diskurse haben (Schmid und Niketta 1998; Frech und Schmid 2004; Butterwegge 2018). Des Weiteren kann die Frage nach den Grenzen wohlfahrtsstaatlicher Konzepte und daraus resultierenden sozialen Ausgrenzungen gestellt werden (Dörre 2006).

Die Eigenschaften, welche für den Vergleich festgelegt werden, müssen nach folgenden Kriterien sorgsam ausgesucht werden: Erstens der Grad der „Engstirnigkeit“ (Sartori 1991, S. 247) während der Untersuchung, welche nur ein einziges Land untersuchen und im Verlauf der Forschung die allgemein als gültig erklärte Theorie oder den vergleichenden Analyserahmen der Kategorien ignorieren und stattdessen eine zugeschnittene Terminologie entwickeln kann. Das zweite Kriterium ist die „Fehlklassifizierung“ (ebd., S. 248), die als unmittelbare Folge der Engstirnigkeit oder durch Erstellung von Pseudoklassifizierungen eintreten kann. Eine solche Fehlentscheidung kann dadurch verursacht werden, dass ausschließlich von einem einzigen Kriterium abgeleitet wird. Drittens definiert Sartori den Grad, der die detailliert „abgestufte Betrachtungsweise“ (ebd., S. 248 f.) bestimmt, statt einer einfachen Kategorisierung. Darunter versteht er, in welchem Umfang ein unkritischer Umgang mit der Betrachtungsweise erfolgt. Unterschiede sollten in der Regel als Unterschiede in einer abgestuften Betrachtungsweise aufgefasst werden. Dafür sollte eine kontinuierliche einer dichotomen Behandlung vorgezogen werden. Als viertes und letztes Kriterium ist die „konzeptuelle Dehnung“ zu verstehen (ebd., S. 249): Das Vergleichen von Trugschlüssen und Vergeblichkeit, welche aus einer unzureichenden Definition und begrifflicher Dehnung resultieren (Sartori 1970). Dies kann an dem Begriff des Pluralismus verdeutlicht werden. Sollten von Grund auf alle Gesellschaften als pluralistisch erklärt werden, kann die Verallgemeinerung, dass Pluralismus mit der Demokratie steht und fällt, nicht als gültig erklärt werden (Sartori 1991, S. 249). Die zweite Frage wird im Unterkapitel 3.2 beziehungsweise 4.2 Anwendung finden. Dafür wird ein spezifisches Steuerungsinstrument der jeweiligen Familienpolitik ausgewählt, um einen sinnvollen Vergleich zwischen den Entitäten anstellen zu können.

Die dritte und abschließende Frage Sartoris lautet „Wie wird verglichen?“. Damit wird die Frage, nach dem zu verwendenden Forschungsdesign gestellt, also wie eine Fallauswahl getroffen wird und welche Anzahl für die Beantwortung der jeweiligen Forschungsfrage oder -hypothese benötigt wird. Das Forschungsdesign wird insbesondere von Komparatisten angewendet, um Analogien in politischen Systemen, welche kontrastieren, zu finden. Weisen die politischen Systeme merkbare Unterschiede auf, wird der Versuch angestellt, im jeweiligen Kontext Analogien zu finden (Dogan und Pélassy 1984, S 127). Dafür bedarf es der Festlegung einer abhängigen und einer unabhängigen Variable. Die abhängige Variable dient dabei nicht als Erklärungsfaktor (Hague und Harrop 2001, S. 74), da diese das Phänomen repräsentiert, welches es zu erklären bedarf (Jahn 2006, S. 233). Durch Festlegung einer unabhängigen Variable, welche als Erklärung der abhängigen Variable dient, muss berücksichtigt werden, dass die Auswahl stark von einem Selektionseffekt betroffen sein kann (Geddes 1990).

Die vorliegende Arbeit wird der dritten Frage Sartoris ihre Hauptaufmerksamkeit widmen und verfolgt eine „Most similar Systems“-Forschungsstrategie, da Deutschland und Schweden eine relative Homogenität gemeinsamer Attribute aufweisen (Przeworski und Teune 1970, S. 31 ff.).

Im nächsten Schritt wird die Frage gestellt, welche Folgen die individuelle Ausgestaltung sozial- und geschlechtspolitischer Maßnahmen auf die Erwerbstätigkeit von Müttern2 hat. Durch das Hervorheben der politischen Prozesse und Strukturen in Deutschland und Schweden mit Hilfe des Vergleichs, wird es ermöglicht, die politische Kultur als eine Variable in der Analyse heranzuziehen (Waschkuhn 2007, S. 418 f.). Dabei werden die Verbindungen zwischen den zentralen Institutionen für die Geschlechterordnung und die soziale Ordnung als Merkmale wahrgenommen. Als zentrale Institutionen werden in dieser Arbeit der Wohlfahrtsstaat, die Familie beziehungsweise der private Haushalt und der Arbeitsmarkt, welcher in unmittelbarer Verbindung mit dem Bildungs- und Ausbildungssystem steht, betrachtet (Pfau-Effinger 2000, S. 68 ff.).

1.4 Aufbau

Im zweiten Kapitel erfolgt zuerst eine Erläuterung der theoretischen Einbettung beziehungsweise eine Erklärung zu dem begrifflichen Verständnis, welches der Arbeit zugrunde liegt. Dazu wird das wohlfahrtsstaatliche Typologie-Modell von G0sta Esping-Andersen (1990) als Grundlage für die Wahrnehmung wohlfahrtsstaatlicher Strukturprinzipen und Funktionslogiken dienen. Da die Theorie von Esping-Andersen in puncto Dekommodifizierung als unzureichend und realitätsfern kritisiert wird, erfolgt durch eine feministisch-kritische Perspektive eine Ergänzung, um eine geschlechtersensible Alternative mit weitergefassten Erklärungsansätzen für die Analyse der Länder Deutschland und Schweden zu ermöglichen.

In Kapitel drei wird Deutschland beschrieben, eingeordnet und konkrete Instrumente, welche für den „Ist-Zustand“ verantwortlich sind, identifiziert. Es erfolgt eine theoretische Einführung und systemische Charakterisierung des wohlfahrtsstaatlichen Regimes Deutschlands nach Esping-Andersen mit der ergänzenden Perspektive von Ann Shola Orloff (1993). Zudem werden die Steuerungsinstrumente familienpolitischer Leistungen detektiert und beschrieben. Eines dieser Instrumente wird im Verlauf der Analyse als unabhängige Variable für den Vergleich herangezogen. Das abschließende Unterkapitel liefert eine erste Einordnung der Ergebnisse aus den vorherigen Erläuterungen.

Kapitel vier ist analog zu Kapitel drei aufgebaut. Zuerst findet eine theoretische Einordnung des schwedischen wohlfahrtsstaatlichen Regimes mithilfe der feministisch ergänzenden Perspektive statt. Es werden die Steuerungsinstrumente der Familienpolitik vorgestellt und dient als Explanandum der folgenden Analyse. Abschließend erfolgt eine erste Einordnung der Ergebnisse.

Das fünfte Kapitel widmet sich der Analyse der staatlichen Systeme von Deutschland und Schweden. Der Schwerpunkt wird die Bewertung der Ergebnisse und ihrer Folgen für Mütter sein, die vergleichend zusammengefasst werden. Das erste Unterkapitel stellt die sozio-ökonomischen Rahmenbedingungen für Mütter in den entsprechenden Ländern dar, um anschließend deren Anreize und Restriktionen zu identifizieren. In dem abschließenden Unterkapitel 5.3 wird erläutert, welchen Einfluss die Kultur auf das jeweilige Wohlfahrtsstaatenmodell hat und welche weiteren Faktoren dadurch bedingt in einer Wechselseitigkeit zueinanderstehen. Im sechsten Kapitel erfolgt eine abschließende Bilanz der Untersuchungsergebnisse.

2 Konzeptioneller Rahmen und theoretische Einbettung

In diesem Kapitel erfolgt eine Einführung in das theoretische Begriffsverständnis der Arbeit. Im ersten Unterkapitel wird auf die Theorie der Wohlfahrtsstaaten­Regimetypologie nach G0sta Esping-Andersen eingegangen. Das zweite Unterkapitel nimmt eine kritisch-feministische Perspektive dieser Theorie gegenüber ein, um so die Rolle der Frau in der Theorie von Esping-Andersen zu hinterfragen. Die theoretischen Annahmen von Esping-Andersen ermöglichen eine erste Einordnung, wie die Frau mit ihrer Rolle als Mutter im Wohlfahrtsstaat wahrgenommen wird und welche Aufgaben ihr zugeschrieben werden.

2.1 Wohlfahrtsstaatliche Grundmodelle

Wohlfahrtsstaat bedeutet in kapitalistischen Demokratien, Gesetze, Verordnungen und Verfassungen zu erlassen, welche eine umfassende Intervention in die Dimensionen Gesundheit, Wohnen, Einkommenssicherung und Bildung darstellen, mit der Intention soziale Sicherheit vor Armutsrisiken wie Erwerbslosigkeit, Alter oder Krankheit präventiv für alle Gesellschaftsmitglieder zu gewährleisten. Ebenfalls ist es das Ziel eines Wohlfahrtsstaates, ein Mindestmaß an sozialer Gerechtigkeit und Gleichheit in Bezug auf Lebens- und Teilhabechancen zu gewährleisten. Dem liegt der gesellschaftliche Übereinkommen zugrunde, dass ein Solidaritätsprinzip gegenüber sozial Benachteiligten bestehen muss (Ritter 1991; Schmidt 2001). Somit soll den Bürger*innen eine menschenwürdige Existenz auf entsprechendem Zivilisationsniveau gewährleistet werden, sodass niemand aus sozialen Gründen von der Teilhabe am politischen und gesellschaftlichen Leben ausgeschlossen wird. Die wohlfahrtsstaatliche Politik übernimmt also eine zentrale Funktion der Vergesellschaftung von Bürger*innen (Giddens 1995, S. 332 f.). Zur Erforschung wohlfahrtsstaatlicher Systeme besteht eine Vielzahl an theoretischen Möglichkeiten. Eine der bekanntesten Regimetypologien, um eine Klassifizierung eines Systems vorzunehmen, ist das Wohlfahrtsstaatenmodell nach G0sta Esping­Andersen (1990).

In der Studie „Three Worlds of Welfare Capitalism“ entwickelt der dänische Politikwissenschaftler und Soziologe G0sta Esping-Andersen drei Wohlfahrtsstaatenregime, welche er als sozialdemokratisch, liberal und konservativ-korporatistisch identifiziert. Diese Differenzierungen entstehen hinsichtlich ihrer Prinzipien der Stratifizierung und Berechtigung, welche in unterschiedliche Arrangements zwischen Staat, Familie und Markt resultieren. Unter der Stratifizierung versteht Esping-Andersen die Auswirkung und Reaktionen eines Wohlfahrtsstaates auf die sozialen Ungleichheiten innerhalb der Gesellschaft. Dabei betont er auch zusätzlich, dass der Wohlfahrtsstaat ein eigenes System der Stratifizierung sei (Esping-Andersen 1990, S. 23 ff.).

In seiner ersten Version des Werks spezifiziert er den Begriff des Wohlfahrtsstaates. Ziel dessen ist, die Gewährung sozialer Rechte. Eine besondere Bedeutung nimmt das Verhältnis von Markt und Staat in der Wohlfahrtsproduktion ein, da dies den Status und Umfang sozialer Bürgerrechte verdeutlicht (Marshall 1950). Dies beinhaltet den Aspekt der Dekommodifizierung, also das Verhältnis von Individuen gegenüber dem Markt. Zusätzlich postuliert Esping-Andersen, dass die Form einer sozialen Stratifizierung in sozialen Staatsbürgerschaften fest implementiert sei. Dies bedeutet, dass jeder Bürgerstatus, welcher jede*r einzelne*n zugeschrieben wird, in einem „konkurrierenden Verhältnis zu dessen Klassenzugehörigkeit oder gesellschaftlicher Stellung“ steht (Esping-Andersen 1990, S. 35). Esping-Andersen fordert, dass der Wohlfahrtsstaat als eine Schnittstelle zwischen Staat, Markt und Familie betrachtet werden sollte (ebd., S. 35 f.). Dekommodifizierung bedeutet, dass den Empfänger*innen nicht­marktförmige, alternative Mittel der Wohlfahrtsproduktion bereitgestellt werden. Dies kann sich entweder auf den Status einer Person oder die erbrachten Dienstleistungen beziehen. Diese machen das Maß des Verteilungsumfanges aus, welcher vom Markt entkoppelt ist. Die Dekommodifizierung betrachtet Esping­Andersen als ein sozialistisches Paradigma, welches die Emanzipation von der Marktabhängigkeit darstellt. Der sozialistische Ansatz wird besonders deutlich durch die Qualität und Ausgestaltung der dadurch gegeben sozialen Rechte. Im Kontrast dazu positioniert sich das konservative Modell, welches in Abhängigkeit von der Familie, der Autorität oder der Moral steht Marktabhängigkeit, sondern vielmehr eine individuelle Unabhängigkeit symbolisieren soll. Auch verglichen mit dem liberalen Modell bemüht sich das sozialdemokratische Modell um die Institutionalisierung und Maximierung von Rechten. Die Dekommodifizierung soll eine Entproletarisierung des Status der Arbeiter*innen ermöglichen, indem das Verhältnis von Arbeiter*in zur Arbeit sich den Lebensrealitäten von privilegierten Gesellschaftsgruppen annähert (wie beispielsweise Beamt*innen). Die Dekommodifizierung ist in den gegenwärtigen Wohlfahrtsstaaten unterschiedlich ausgeprägt und wird durch die jeweiligen vorherrschenden Modelle begünstig beziehungsweise geschmälert (ebd., S. 36 ff.).

Unter liberalen Wohlfahrstaaten werden Regime verstanden, welche niedrige universelle Transferleistungen, bedarfsgeprüfte Sozialleistungen und begrenzte Sozialversicherungsprogramme aufweisen. Das Strukturprinzip ist dem Beveridge- Modell3 zugeordnet. Diese sind an die weniger gut bezahlte Arbeiterschicht gerichtet. Die Reichweite sozialer Normen wird stark durch traditionelle Normen und Werte einer liberalen Arbeitsethik begrenzt. Die Zugangsvoraussetzungen für Sozialleistungen sind streng bemessen und in der Regel stigmatisierend für die bedürftige Person. Die Leistungen selbst sind tendenziell gering ausgerechnet. Es findet eine passive Form der Förderung seitens des Staates gegenüber dem Markt statt, da private Sicherungsformen aktiv subventioniert werden, doch darüber hinaus geringfügig Leistungen seitens des Staates erfolgen. Es wird also eine Armutsvermeidung durch individuelle Eigenverantwortung angestrebt. Der Grad der Dekommodifizierung ist in diesem Regimemodell eher gering. Die Stratifizierung führt zu einer Zweiteilung der Gesellschaft, da durch die marktförmig differenzierte Wohlfahrt eine Schichtungsordnung entsteht (Esping­Andersen 1990, S. 26 f.).

Als konservativ-korporatistische Regime werden Wohlfahrtsstaaten gewertet, welche vorrangig versuchen den Statusunterschied zu erhalten, die Rechte sind also status- und klassengebunden. Im Gegensatz zu dem liberalen Wohlfahrtsstaatenmodell ist die Effizienzbesessenheit und Kommodifizierung nicht vorherrschend und die allgemeine Gewährleistung sozialer Recht nicht in Frage gestellt. Das Strukturprinzip lässt sich dem Bismarck-Modell zuordnen. Der Markt ist nicht Hauptproduzent*in sozialer Leistungen, vielmehr ist die Familie für die Absicherung verantwortlich. Der Staat greift erst dann ein, wenn die Selbsthilfefähigkeit der Familie erschöpft ist. Dies wird zusätzlich durch das Subsidiaritätsprinzip begünstig. Das ist darauf zurückzuführen, dass in konservativ-korporatistischen Modellen die Kirche einen größeren Einfluss hat, welche an die Aufrechterhaltung traditioneller Familienbilder appelliert, die nur langsam und schwer zu verändern sind. Familienpolitische Leistungen bemühen sich darum, dass Frauen einer Mutterschaft nachkommen. Auf der anderen Seite werden Frauen in Mutterschaft üblicherweise aus der Sozialversicherung ausgeschlossen, wenn diese (auf Grund dessen) nicht erwerbstätig sind beziehungsweise sein können. Die Stratifizierung wird besonders merkbar in der Segmentierung nach Stauts und Beruf. Der Grad der Dekommodifizierung ist medioker ausgeprägt (Esping-Andersen 1990, S. 27).

Das dritte Regimemodell ist der sozialdemokratische Wohlfahrtsstaat. Hier wird besonders das Prinzip des Universalismus und der Dekommodifizierung sozialer Rechte gefördert und auf die breite Mittelschicht ausgedehnt. Das Strukturprinzip ist, wie bei dem liberalen Modell, dem Beveridge-Modell zuzuordnen. Anders als bei den liberalen und konservativ-korporatistischen Modellen spielt der Dualismus zwischen Markt und Staat eine untergeordnete Rolle. Trotz der Unterschiede zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen wird ein soziales Sicherungssystem angestrebt, welches alle auf einem gleich hohen Niveau absichert. Die Stratifizierung ist die Nivellierung sozialer Ungleichheiten. Demnach sind die Ansprüche an die sozialen Leistungen und Dienste sehr hoch, da die Versorgungsleistungen der Arbeiterklasse zugutekommen, doch gleichzeitig auch der Mittelschicht und der Schicht der Wohlhabenden, die entsprechenden Rechtsansprüche haben. Durch das universalistische Versicherungssystem sind alle Personen aus allen Gesellschaftsklassen einbezogen, gleichwohl orientieren sich die Leistungen an dem bisherigen Erwerbseinkommen. Der Grad der Dekommodifizierung ist hoch (Esping-Andersen 1990, S. 27).

Die Klassifizierung durch Esping-Andersen soll eine erste Einordnung der wohlfahrtsstaatlichen Systeme von Deutschland und Schweden ermöglichen, um zu verdeutlichen, welche Rahmenbedingungen die jeweiligen Systeme für die Erwerbsintegration von Müttern bieten. Die dominierende Funktionslogik und das Strukturprinzip sind ausschlaggebend dafür, nach welchen Leitmotiven wohlfahrtsstaatliche Maßnahmen in den Ländern etabliert werden.

2.2 Feministisch-kritische Perspektive

Das Modell von Esping-Andersen bietet eine breite Grundlage an Klassifizierungsoptionen, allerdings fehlt dem Regimemodell eine gendersensible Perspektive. Der Begriff der Dekommodifizierung4 ist unzureichend ausgelegt und bedarf einer Konkretisierung. Esping-Andersen orientiert sich an den Annahmen von T.H. Marshall (1950), welcher dem Verhältnis von Staat und Markt eine bedeutende Aufgabe zuschreibt. Die Kritik äußert, dass die Institution der Familie in die wechselseitige Betrachtung der Wohlfahrtsproduktion mit aufgenommen werden. Die Rolle der Frau beziehungsweise Mutter wird im genannten Modell gänzlich ignoriert. Esping-Andersen beschreibt Wohlfahrtsstaaten aus einer verallgemeinernden menschlichen, dabei aber geschlechtsblinden Perspektive (Gerhard 1996; O'Connor 1996; Lewis 1992; Langan und Ostner 1991). Zusätzlich ergänzen einige Kritker*innen, dass berücksichtigt werden muss, wie die unterschiedlichen Ausprägungen der Familienrollenbilder durch ideologische Vorstellungen der jeweiligen Länder beeinflusst werden (Dackweiler 2008, S. 523). Die Abbildung 1 verdeutlicht diese Annahmen, dass ein Wohlfahrtsstaat eine allumfassende Sphäre darstellt, in der weitere Teildimensionen vorzufinden sind. Ein Wohlfahrtsstaat sollte also, für eine hinreichende Betrachtung, nicht losgelöst von dem Einfluss der Arbeitsmarkt- und Familienpolitik sowie des vorherrschenden Geschlechterregimes5 betrachtet werden (Kolberg und Uusitalo 1992, S. 84). Dieser Bachelorarbeit liegt somit das Verständnis zugrunde, dass alle einzelnen Institutionen und Akteur*innen, welche das soziale Handeln, also Prozesse, formen und beeinflussen, in einer Wechselwirkung zueinander betrachtet werden müssen. Die Rolle der Frau kann nicht gänzlich losgelöst von den diversen Politikfeldern betrachtet werden, vielmehr sollte stets im Bewusstsein bleiben, dass die Politikfelder sich begünstigen, beeinflussen und auch einschränken können. Das wechselseitige Verhältnis der Politikfelder und des dominierenden Geschlechterregimes sind beeinflusst durch den Wohlfahrtsstaat und üben gleichermaßen Einfluss auf diesen aus. Im Zuge der vorliegenden Arbeit ist eine alleinige Betrachtung der Länder Deutschlands und Schwedens nur durch das Regimemodell von Esping-Andersen nicht ausreichend. Aufgrund dessen wird das Modell komplementiert durch die theoretischen Annahmen von Ann Shola Orloff (1993) und Birgit Pfau-Effinger (1999). Diese ermöglichen eine Betrachtung der Systeme mit der beschriebenen Wechselwirkung und den Einfluss auf die individuellen Lebensrealitäten der Frauen.

Abbildung 1 Zusammenhang der einzelnen Dimensionen innerhalb eines

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: Eigene Darstellung; Daten entnommen aus: (Halwachs 2010, S. 23)

Ann Shola Orloff (1993) veröffentlicht in ihrem Artikel „Gender and the Social Rights of Citizenship” einen konzeptionellen Rahmen, welcher für eine Analyse von genderbezogenen Maßnahmen der sozialen Wohlfahrtssicherung dient. Ihrer Ansicht nach wirken sich sozialstaatliche Leistungen auf die materielle Situation von Frauen aus, indem diese Geschlechterbeziehungen prägen, politische Partizipation und Konflikte strukturieren und zur Mobilisierung und Bildung von Interessen und Identitätswahrnehmung beitragen. Um auf diesen Argumenten aufbauen zu können, bedarf es einer Erweiterung von drei Dimensionen, um das Geschlecht in die Analyse rekonstruiert einfließen zu lassen(Orloff 1993).

Die erste Dimension ist die der Staat-Markt-Beziehung. Diese muss um den Faktor Familie erweitert werden, da einige Länder die Bereitstellung von Wohlfahrt für die Familie anteilsmäßig organisieren. Wohlfahrt wird somit zur Dimension der Staat-Markt-Familie-Beziehung. Die zweite Dimension ist die der Stratifizierung. Auch sie bedarf einer Erweiterung, um die Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse durch die soziale Versorgung des Staates, besonders bei der Handhabung von unbezahlter und bezahlter Arbeit, bewerten zu können. Die dritte und letzte Dimension ist die Grundannahme über die Dekommodifizierung und die daraus resultierende Aufteilung der Haus-, Sorge- und Pflegearbeit zwischen den Geschlechtern und ebenso die Auswirkung der Arbeit, welche auf Männer und Frauen abfällt. Für die Dekommodifizierung werden zwei weitere Teildimension vorgeschlagen. Erstens, dass Frauen der Zugang zu bezahlter Arbeit nicht verwehrt werden darf, und zweitens, dass die Fähigkeit einen autonomen Haushalt zuführen, gegeben sein muss (ebd.).

In ihrem Werk „Defizite der Theoriebildung zu den Grenzen der wohlfahrtsstaatlichen Geschlechterpolitik“ entwickelt Birgit Pfau-Effinger (1999) ein Modell, dessen Erklärungsansätze sich auf den Einfluss gründen, den kulturelle Grundlagen auf die Rollenverteilung und Erwerbsbiografie von Frauen beziehungsweise Müttern haben. Laut Pfau-Effinger ergibt sich der Anspruch aus einer theoretischen Eingrenzung des Diskurses, damit mögliche Defizite bei der Theoriebildung verringert werden können.

Um internationale Differenzen in der Geschlechterpolitik erklären zu können, müsse ein allgemeiner Rahmen festgelegt werden, der diverse Faktoren systematisch miteinander in Verbindung setzt. Um eine Entwicklung in der wohlfahrtsstaatlichen Politik nachhaltiger wahrnehmen zu können, solle dieser Rahmen theoretisch reflektiert werden. Dies ermögliche, Erklärungsansätze wie Prozesse eines Wandels von politischen Inhalten systematisch vergleichen und erklären zu können. Politische Maßnahmen nähmen wiederum unmittelbaren Einfluss auf die Individuen der Gesellschaft und deren soziales Handeln.

Wohlfahrtsstaaten setzten demnach zentrale Rahmenbedingungen. Frauen richteten ihr Verhalten und Erwerbsverhalten nicht nur an den Anreizen und Restriktionen politischer Inhalte aus, sondern auch an den jeweiligen kulturellen Bedingungen des Landes (Pfau-Effinger 2000). Doch sind kulturelle Leitbilder und der Wohlfahrtsstaat als solches nicht allein verantwortlich für das soziale Handeln.

[...]


1 Der Begriff „Geschlechtsblindheit“ ist durch den „normalen Androzentrismus“ geprägt. Dieser besagt, dass die Männlichkeit als grundgebende Norm in der Politikwissenschaft angesehen wird. Ansätze, bei der die Frau und das Geschlecht im Vordergrund der Forschung stehen, sind eine Abweichung dazu (Sauer 2001, S. 86).

2 Mütter sind die Zielgruppe diese Abschlussarbeit. Damit sind ausschließlich Cis-Frauen gemeint, welche in einer vermeintlich traditionellen Familienkonstellation leben und die Kinder geboren haben. Alleinerziehende und Mütter mit Migrationshintergrund sind in dieser Analyse nicht inkludiert, da diese als Zielgruppe einer eigenständigen Arbeit dienen könnten.

3 Bevor das Modell von Esping-Andersen weitläufige Anwendung fand, wurden Wohlfahrtsstaaten anhand der Anspruchsvoraussetzungen wie der Leistungsdichte und der Art sozialer Leistungen (Finanzierung und Erbringung) voneinander unterschieden (Schmid 2002, S. 86). Im Wesentlichen gab es zwei solcher Systeme, dabei wurden, das Beveridge- und das Bismarck'sche-Modell unterschieden.

4 Am Begriff und der Deutung der Dekommodifizierung wurde einige Kritik geäußert. Besonders bei der Formulierungswahl wurden mehre alternative Ansätze vorgeschlagen. Ruth Listner (1994) behauptet, der Begriff „Familialization/Defamilialization“ sei eine treffendere Beschreibung, da dieser beschreibt, bis zu welchem Grad Individuen einen akzeptablen Lebensstandard halten können. Steven Saxonberg (2013) schlägt vor, dass eher von „Genderization/Degenderization“ gesprochen werden sollte. Sophie Mathieu (2016) widerlegt alle vorherigen Vorschläge und behauptet, es müsse der Begriff „Demotherization“ gewählt werden. Dies würde die Rolle von Müttern in dem System passender beschreiben.

5 Das Geschlechterregime umfasst die institutionellen Rahmenbedingungen und soziale Leistungen, welche im wechselseitigen Verhältnis von Familie, Staat und Markt bilden. Es sagt auch aus, wie die stratifizierende Wirkung und die normativen Zuschreibungen in den Geschlechterverhältnissen von Frauen und Männern ausgestaltet sind, sowie die machtpolitischen Begebenheiten, welche dadurch resultieren (Kulawik 2005, S. 8).

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Die wohlfahrtsstaatlichen Systeme Deutschlands und Schwedens
Untertitel
Ein Vergleich der Arbeitsmarktintegration von Müttern
Hochschule
Fachhochschule Bonn-Rhein-Sieg in Sankt Augustin
Note
1,0
Autor
Jahr
2021
Seiten
91
Katalognummer
V1162245
ISBN (eBook)
9783346563835
ISBN (Buch)
9783346563842
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ausgezeichnet mit "Beste Bachelorarbeit mit Genderbezug" der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg
Schlagworte
Vergleichende Wohlfahrsstaatenforschung, Geschlechtergerechtigkeit, Arbeitsmarktintegration von Müttern, Sozialpolitik, Wohlfahrtsstaat, Internationale Wohlfahrtsstaaten, Systemischer Vergleich, Teilzeit, Erwerbsquote, Geschlechtliche Segregation Bildungsniveau von Frauen
Arbeit zitieren
Saskia Peek (Autor:in), 2021, Die wohlfahrtsstaatlichen Systeme Deutschlands und Schwedens, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1162245

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