Faktizität und Geltung. Welches Bild zeichnet Jürgen Habermas von Grund- und Menschenrechten?


Hausarbeit, 2021

20 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Grundlegende Begrifflichkeiten
2.1 Das kommunikative Handeln
2.2 Die kommunikative Vernunft
2.3 Die Lebenswelt

3 Das Recht als Kategorie der Vermittlung

4 Zentrale Prinzipien

5 Grund- und Menschrechte bei Habermas

6 Ein praktisches Beispiel
6.1 Das Szenario
6.2 Betrachtung mit Habermas
6.3 Kritische Betrachtung

7 Fazit

8 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Jürgen Habermas präsentiert in seinem Werk „Faktizität und Geltung“ eine Systemtheorie, welche grundlegende Mechanismen demokratischer Rechtsstaaten darlegen soll. Dabei analysiert Habermas das Spannungsverhältnis zwischen normativer Geltung und faktischen Zwängen vor dem Hintergrund von sich verändernden Einflüssen freiheitsbestimmender Institutionen (vgl. Habermas 1998, S. 42–44). In diesem Zusammenhang lokalisiert Habermas die Demokratie und den Rechtsstaat als zueinander widersprüchliche Prinzipien, da sich das Prinzip des Rechtsstaats auch ohne demokratische Prinzipien umsetzen ließe (vgl. Habermas 1998, S. 104). Eine Schlüsselposition in Habermas Werk nimmt dabei das von ihm postulierte Diskursprinzip ein, welches von ihm weiterführend auf den Bereich des modernen Rechts angewandt wird (vgl. Habermas 1998, S. 138f.). Das moderne Recht wiederum wird in Habermas Ausführungen als stabilisierendes Element zwischen den beiden Prinzipien Demokratie und Rechtsstaat angesehen. Folglich wird es auf die Frage der Legitimität untersucht (vgl. Habermas 1998, S. 42f.). Als ein besonderes Kennzeichen modernen Rechts sieht Habermas dabei den exponierten Status von subjektiven Rechten, die jeden individuellen Rechtsträger mit unveräußerlichen Abwehrrechten und negativen Freiheiten ausstatten (vgl. Habermas 1998, S. 109f.). Diese Rechte stoßen in der praktischen Lebenswelt jedoch auf Widersprüche und Konflikte, insofern diese in bestimmten Situationen gegeneinander abgewogen werden müssen oder nicht zur Geltung kommen. Vor diesem Hintergrund soll die Frage beantwortet werden, wie sich mit Habermas staatliche Güterabwägungsentscheidungen bei Grundrechten bewerten lassen und ob eine solche Bewertung sinnvoll ist.

Dazu sollen die voraussetzungsreichen, eingangs dargestellten Zusammenhänge näher erläutert werden, um im Anschluss die Rolle der Grund- und Menschenrechte bei Habermas rekonstruieren zu können. Dabei soll ein praktisches Beispiel herangezogen werden, um einen Bezug zur Lebenswirklichkeit herzustellen zu können. Am Ende dieser Arbeit soll eine kritische Betrachtung von Habermas Sichtweise stehen.

2 Grundlegende Begrifflichkeiten

Im folgenden Abschnitt sollen zunächst einige Schlüsselbegriffe von Habermas erläutert werden, welche grundlegend für das Verständnis der habermasschen Theorie sind. Dabei soll sich diese Arbeit auf ausgewählte Theoriestücke konzentrieren, welche für die vorangestellte Fragestellung relevant sind. Hierzu gehören die Konzepte des kommunikativen Handelns und der kommunikativen Vernunft, sowie der Begriff der Lebenswelt.

2.1 Das kommunikative Handeln

Im Zentrum von Habermas Überlegungen steht die Kommunikation. Habermas sieht die Sprache und in diesem Sinne die Kommunikation als grundlegendes Instrument gesellschaftlicher Handlungsentscheidungen und somit sozialer Ordnung, wie er es bereits in seinem 1981 erschienen Werk „Theorie des kommunikativen Handelns“ darlegte. In diesem Abschnitt sollen

relevante Aspekte des Konzeptes des kommunikativen Handelns grob skizziert werden, um den Einstieg in Habermas weitere Überlegungen zu ermöglichen.

Dass es zu kommunikativem Handeln kommt, sei eine Notwendigkeit der Bedürfnisbefriedigung innerhalb einer Gesellschaft, denn diese setze voraus, dass eine Koordination durch gegenseitige Absprache stattfindet (vgl. Habermas 1981, S. 370). Habermas nähert sich seiner Konzeption über den Bezug zu prominenten Vertretern alternativer und gleichsam ergänzender Handlungskonzeptionen, welche das teleologische, das normenregulierte und das dramaturgische Handeln sind (vgl. Habermas 1981, 126-128). Hier soll jedoch nur das teleologische bzw. strategische Handeln kurz erwähnt sein, da sich Habermas an zahlreichen Stellen in seinem Werk „Faktizität und Geltung“ auf dieses bezieht.

Teleologisches Handeln beruht demnach auf der Verwirklichung zweckgebundener Nutzen für einen Akteur, welcher durch die Wahl und Anwendung geeigneter Mittel erreicht wird. Hierbei wird eine ökonomisch orientierte Abwägung von Handlungsentscheidungen vorgenommen. Wird die erwartete Handlung mindestens eines weiteren Akteurs mit einbezogen, so handele es sich um ein strategisches Handeln (vgl. Habermas 1981, S. 129).

Allerdings sind für Habermas alle drei Handlungskonzepte unzureichend, stattdessen konkretisiert er die Vorteile seiner Konzeption des kommunikativen Handelns gegenüber den übrigen Konzeptionen, indem er sowohl die Rolle der Sprache, als auch der Lebenswelt, in den Fokus stellt. Denn die Sprache, so Habermas, habe nur beim kommunikativen Handeln einen unverkürzten Charakter innerhalb der intersubjektiven Verständigung. Er begründet dies mit der Feststellung, dass sich alle Gesprächsteilnehmer in einem Aushandlungsprozess befinden, dessen Resultat eine gemeinsame Situationsdefinition sei. Diese gemeinsame Situationsdefinition vereine dabei verschiedene weltliche Dimensionen, indem die Gesprächsteilnehmer sowohl die subjektive, als auch die soziale und die objektive Welt mit einbeziehen müssen, um zu einem Ergebnis kommen zu können (vgl. Habermas 1981, S. 142). Mit der subjektiven Welt meint Habermas hier sowohl die Innenwelt des Individuums als Ergebnis akkumulierter Erlebnisse, als auch den Mangel an Gemeinsamkeiten gegenüber der sozialen und der objektiven Welt. Unter der sozialen Welt sind nach Habermas alle durch das Individuum als legitim erachteten sozialen Beziehungen zu verstehen. Die objektive Welt beinhaltet für Habermas hingegen alle externen Tatsachen, die als wahr gelten können (vgl. Habermas 1981, S. 84).

2.2 Die kommunikative Vernunft

Habermas Idee der kommunikativen Vernunft kann auch als eine Vorstellung eines ideal geführten Diskurses verstanden werden. Sie erwächst nicht nur aus seiner Konzeption des kommunikativen Handelns, sondern auch aus Habermas Bestandsaufnahme, dass historische Auffassungen des Vernunftbegriffes einen Plausibilitätsverlust erlitten haben. Die praktische Vernunft, wie etwa Kants kategorischer Imperativ, habe stets Normen und Regeln vorgegeben, könne aber, aufgrund ihres starken subjektiven Bezuges und den idealisierten normativen Anforderungen, keine Anwendung mehr in modernen komplexen Gesellschaften finden (vgl. Habermas 1998, S. 15). Vor dem Hintergrund schlechter Alternativen und einem Spannungsverhältnis zwischen der Politik- und Rechtstheorie, etabliert Habermas die Idee der kommunikativen Vernunft als Lösungsansatz (vgl. Habermas 1998, S. 17).

Diese unterscheide sich von der praktischen Vernunft dadurch, dass „[…] sie nicht länger dem einzelnen Aktor oder einem staatlich-gesellschaftlichen Makrosubjekt zugeschrieben wird. Es ist vielmehr das sprachliche Medium, durch das sich Interaktionen vernetzen und Lebensformen strukturieren, welches kommunikative Vernunft ermöglicht“ (Habermas 1998, S. 17–18). Es handelt sich hierbei also nicht um eine normative Vorgabe für Handlungen, oder um eine individuelle Fähigkeit eines einzelnen Subjektes, wie es die praktische Vernunft beinhaltet, sondern viel mehr um idealisierte Regeln der Kommunikation, welche rein pragmatisch aus dem Akt der Kommunikation selbst hervorgehen und nicht zu bestimmten Handlungen motivierend wirken. In dem Moment, in welchem die Verständigung das Ziel ist, müssen sich demnach alle Gesprächsteilnehmer auf gewisse Voraussetzungen der Kommunikation einlassen und diese akzeptieren. Dies beinhalte zum Beispiel das Zugeständnis von Autonomie und den Anspruch auf Wahrhaftigkeit aller am Diskurs teilnehmenden Subjekte, sowie auf die Wahrheit aller objektiven Äußerungen (vgl. Habermas 1998, S. 18). Das seien die Rahmenbedingungen, denen jeder Gesprächsteilnehmer in einer „[…] schwachen transzendentalen Nötigung“ (Habermas 1998, S. 18) unterliegt, sollen kritisierbare Äußerungen ernsthaft argumentativ ausdiskutiert werden. Dies bedeutet für Habermas eben nicht strategisch, dramaturgisch oder normenreguliert zu handeln, denn das wäre beispielsweise auch ohne die Anerkennung der Autonomie der übrigen Gesprächsteilnehmer möglich, sondern kommunikativ zu handeln und die Vernunft aufzubringen, die Regeln der Kommunikation zu akzeptieren und sich auf die Qualität der hervorgebrachten Argumente zu konzentrieren (vgl. Habermas 1998, S. 18). So sollte jeder Diskussionsteilnehmer dem Ergebnis zwanglos zustimmen können, da das Prinzip des besseren Arguments gilt, nach welchem auch die eigene Position immer kritisch hinterfragt und im Zweifel untergeordnet werden muss (vgl. Habermas 1998, S. 133). Nur unter dieser Voraussetzung sei ein Diskurs überhaupt erst möglich und nur dann macht er für Habermas auch einen Sinn, was zugleich eine objektive Rationalität und eine öffentliche Vernunft mit sich bringe (vgl. Habermas 1998, S. 18–19).

Damit sich kommunikative Vernunft entwickeln kann, seien jedoch nicht nur die Teilnehmer, sondern auch die Diskurse selbst an Idealisierungen gebunden. Denn da jeder lokale Diskurs auf das Ergebnis abzielt, durch einen Konsens zu Gültigkeitsansprüchen und somit zu Wahrheiten zu gelangen, sei im Idealfall die maximal mögliche Anzahl an Diskussionsteilnehmern mit einzubeziehen und der somit potentiell entgrenzte Diskurs könnte ad infinitum geführt werden. Denn Habermas definiert im Einklang mit Peirce den Begriff der „[…] Wahrheit als rationale Akzeptabilität, d.h. als die Einlösung eines kritisierbaren Geltungsanspruches unter den Kommunikationsbedingungen eines im sozialen Raum und in der historischen Zeit ideal erweiterten Auditoriums urteilsfähiger Interpreten“ (Habermas 1998, S. 30). Deshalb müsse es zwangsläufig dazu kommen, dass der Diskurs aus praktischen Gründen abgebrochen und positives Recht etabliert wird, um politisch entscheidungsfähig zu bleiben. „Mit der Positivität des Rechts ist die Erwartung verbunden, daß das demokratische Verfahren der Rechtsetzung die Vermutung der rationalen Akzeptabilität der gesatzten Normen begründet“ (Habermas 1998, S. 51).

2.3 Die Lebenswelt

Als Lebenswelt wird bei Habermas das bezeichnet, was in Gesellschaften nicht kritisch hinterfragt wird, weil es den Prozess des kommunikativen Handelns bereits durchlaufen hat, durch erneute Handlungen reproduziert wird und als unbewusst gefestigtes Wissen gegeben ist. Sie werde sowohl durch autoritäre Institutionen, wie beispielsweise die Kirche, als auch durch kulturelle Traditionen, Prägungen und Moralvorstellungen charakterisiert. „Die Lebenswelt, von der Institutionen einen Bestandteil bilden, rückt als ein durch kommunikatives Handeln reproduzierter Zusammenhang ineinander verschränkter kultureller Überlieferungen, legitimer Ordnungen und personaler Identitäten vor Augen“ (Habermas 1998, S. 40). Dadurch, dass sie nicht hinterfragt wird, bilde sie zugleich die Grenzen des Diskurses, das bedeutet, sie entlastet den Diskurs insofern, als dass bestimmte Gegebenheiten erst gar nicht den anspruchsvollen Prozess des Diskurses durchlaufen müssen. Es sei ein Wissen, auf das jeder zurückgreift, ohne sich dessen bewusst zu sein und das deshalb auch nicht falsifiziert werden kann, weshalb es sich auch nicht um Wissen im klassischen Sinn handele. Dieses Merkmal drückt zugleich das Defizit aus, welchem die Lebenswelt unterliegt (vgl. Habermas 1998, S. 38). Allerdings bedeute dies nicht, dass ein Hinterfragen prinzipiell nicht möglich ist. In dem Moment, in dem dieses Wissen hinterfragt wird, werde es wieder Gegenstand des kritischen Diskurses und ist fortan nicht mehr Bestandteil der Lebenswelt. „Das Hintergrundwissen kann nicht als solches falsifiziert werden; es zersetzt sich, sobald es, indem es thematisch wird, in den Strudel von Problematisierungsmöglichkeiten hineingerät“ (Habermas 1998, S. 39).

3 Das Recht als Kategorie der Vermittlung

In modernen Gesellschaften steige nach Habermas das Dissensrisiko, da sich diese immer weiter pluralisieren und an Komplexität gewinnen. Es komme zu einer vermehrten „[…] Individualisierung von Lebensgeschichten […], die die Zonen der Überlappung oder der Konvergenz lebensweltlicher Hintergrundüberzeugungen schrumpfen lassen“ (Habermas 1998, S. 42). Außerdem sei eine Folge dieser Pluralisierung, dass es „[…] eine Vervielfältigung funktional spezifizierter Aufgaben, sozialer Rollen und Interessenlagen [gibt], die kommunikatives Handeln aus engumschrieben institutionellen Bindungen in erweiterte Optionsspielräume entläßt und in wachsenden Bereichen interessegeleitetes, individuell erfolgsorientiertes Handeln zugleich freisetzt und erforderlich macht“ (Habermas 1998, S. 42). Durch die Abnahme der Bedeutung der Lebenswelt und der archaischen Institutionen komme es zu einem Anwachsen der Anforderungen an den Diskurs und das kommunikative Handeln und zu einem quantitativen Anstieg strategisch handelnder Akteure. Dies beinhalte unter den Bedingungen der kommunikativen Vernunft die drohende Überforderung demokratischer Diskurse, da ihre Grenzen weiter aufgeweicht, sie endlos ausgeweitet werden und somit ergebnislos bleiben könnten.

[...]

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Faktizität und Geltung. Welches Bild zeichnet Jürgen Habermas von Grund- und Menschenrechten?
Hochschule
Gottfried Wilhelm Leibniz Universität Hannover  (Philosophie)
Veranstaltung
Seminar: Habermas: Faktizität und Geltung
Note
1,3
Autor
Jahr
2021
Seiten
20
Katalognummer
V1165083
ISBN (eBook)
9783346572417
ISBN (Buch)
9783346572424
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Menschenrechte, Volkssouveränität, Habermas, Lebenswelt, kommunikative Vernunft, kommunikatives Handeln, Recht, Grundrechte, Corona Maßnahmen
Arbeit zitieren
Malte Scholz (Autor:in), 2021, Faktizität und Geltung. Welches Bild zeichnet Jürgen Habermas von Grund- und Menschenrechten?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/1165083

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