Regierungsbildung und Parteiensystem in der Republik Griechenland – zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit


Hausarbeit (Hauptseminar), 2007

27 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


INHALT

I. Einleitung

II. Hauptteil
1. Regierungsbildung gemäß der Verfassung vom 11. Juni 1975
1.1 Der Ministerpräsident
1.2 Der Ministerrat
1.3 Sonstige verfassungsrechtliche Mechanismen: Regierung und Parlament
2. Die Verfassungswirklichkeit der Regierungsbildung
2.1 Die Regierungsmehrheit
2.2 Regierung und Parlament
2.3 Das Parteiensystem
2.3.1 Die Parteien und deren ideologische Anordnung
2.3.2 Sitzverteilungen und gebildete Regierungen seit 1990

III. Schlussteil

IV. Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Mit dem Jahre 1981 ist Griechenland, die Hellenische Republik (Eλληνική Δημοκρατία), Mitglied der Europäischen Union, nachdem bereits 1952 mit seiner Aufnahme zur NATO eine engere Bindung an den Westen erreicht werden konnte.

Griechenland stand nach dem Fall Konstantinopels ab 1453 unter osmanischer Herrschaft, bis die Erste Griechische Republik durch den Unabhängigkeitskampf gegen die Türken am 25. März 1821 eingeleitet wurde. Letzterer endete schließlich durch das von Frankreich, Großbritannien und Russland diktierte Londoner Protokoll vom 22. Januar bzw. 3. Februar 1830. Eben diese drei Großmächte wählten in der Folgezeit Otto von Wittelsbach zum ersten neuzeitlichen König von Griechenland, der von 1833-1843 in einer absoluten Monarchie regierte und dessen Amtsantritt gleichzeitig das Ende der Ersten Griechischen Republik bedeutete. Ab dem Jahre 1844 herrschte weiterhin Otto I., nun in einer konstitutionellen Monarchie, welche jedoch im Oktober 1862 durch einen Putsch beendet wurde. Es folgte die Regentschaft des dänischen Prinzen Wilhelm Georg als König Georg I. und die Einführung einer auf Volkssouveränität basierenden Verfassung im Jahre 1864. Der Monarch stimmte 1875 der Einführung des Parlamentarismus in Griechenland zu. Im August 1910 wurden in Folge eines militärischen Staatstreichs (Putsch von Goudi) Wahlen ausgerufen. Diese konnte der Gründer und Führer der Liberalen Partei (Fileleftheron Komma) Eleftherios Venizelos für sich entscheiden. Indem Georg I. am 5. März 1913 ermordet wurde, gelangte dessen Sohn Konstantin I. auf den Thron. Die kommende Zeit war geprägt von der Auseinandersetzung zwischen Venizelos und dem König, was schließlich in einer Staatskrise mündete, die wiederum ihren negativen Höhepunkt in der kleinasiatischen Katastrophe fand. Im Jahre 1924 wurde nach mehreren Thronwechseln und zunehmenden innenpolitischen Schwierigkeiten die Zweite Griechische Republik ausgerufen, welche bis 1935 andauerte. Nach einem Staatsstreich übernahmen schließlich Ioannis Metaxas und Georg II. das angeschlagene parlamentarische Regierungssystem und funktionierten es 1936 mit einer Verfassungsänderung zu einem diktatorischen System um. Jenes blieb bis zum 29. Januar 1941, dem Tode Metaxas, bestehen. Es folgte die Besatzungszeit deutscher Truppen bis zum 12. Oktober 1944. Der vergangene Zweite Weltkrieg ging daraufhin nahtlos in einen Bürgerkrieg (1944-1949) über. Nachdem die Folgejahre von politischer Instabilität geprägt waren, übernahm eine Gruppe von Obristen am 21. April 1967 durch einen Militärputsch die Regierung. Dieses diktatorische Regime trat dann am 23. Juli 1974 aus Kriegsängsten zurück, nachdem ein von ihnen geplanter Staatsstreich gegen den zyprischen Staatspräsidenten Makarios gescheitert war. Es war schließlich der aus dem Paris Exil zurückgekehrte ehemalige Ministerpräsident[1] Konstantinos Karamanlis, der am 24. Juli 1974 erneut die Regierungsaufgabe für Griechenland übernahm. Ende 1974 wurden freie Wahlen durchgeführt, womit die Entstehung der heutigen Dritten Republik Griechenlands besiegelt war. Die parlamentarische Demokratie fand durch ein Referendum ihren Einzug in das politische System Griechenlands und durch Karamanlis konnte schließlich am 11. Juni 1975 die griechische Verfassung in Kraft treten.

Vorliegende Arbeit wird sich, bezogen auf die Dritte Republik Griechenlands, mit zweierlei beschäftigen. Zum einen finden die für die Regierungsbildung essenziellen Bestimmungen in der griechischen Verfassung ihre Erwähnung, zum anderen soll das Parteiensystem näher beleuchtet werden. Der erste Teil führt deshalb die für die Regierungsbildung notwendigen, verfassungsrechtlichen Vorgaben auf. Außerdem werden daraufhin weitere durch die Verfassung geregelten Mechanismen zwischen Regierung und Parlament erläutert, die das parlamentarische System Griechenlands auszeichnen. Anschließend setzt diese Arbeit die erwähnten verfassungsrechtlichen Regeln der Regierungsbildung in Beziehung zur Verfassungswirklichkeit. In diesem zweiten Teil wird zudem das hellenische Parteiensystem näher erläutert, indem einführend die historischen Bedingungen für seine Herausbildung aufgeführt werden, ehe die Parteien zusammen mit ihrer Genealogie und ideologischen Anordnung ihre Erwähnung finden. Schließlich wird die Sitzverteilung der Parteien mit den tatsächlich gebildeten Regierungen im nationalen Parlament seit 1990 dargestellt.

II. Hauptteil

1. Regierungsbildung gemäß der Verfassung vom 11. Juni 1975

Da die Wähler in Griechenland, wie in einer parlamentarischen Demokratie üblich, über die Abgeordneten der Parteien des Parlaments auf die Regierungsbestellung Einfluss nehmen, soll an dieser Stelle zunächst eine Beschreibung der griechischen Staatsform und des Wahlsystems vorangehen, ehe auf die einzelnen regierungskonstituierenden Mechanismen innerhalb der Verfassung Bezug genommen werden kann. Es sei hier darauf hingewiesen, dass hinsichtlich des Wahlsystems auch andere Quellen neben der griechischen Verfassung herangezogen werden. In Bezug auf letztere ist zudem vorneweg noch zu sagen, dass „eine große Anzahl der Artikel, […] dem alten, 1911 und 1952 revidierten Verfassungswerk von 1864“[2] entstammt. Außerdem wurde sie nach ihrem Inkrafttreten 1975 zweimal revidiert: so geschehen, am 12. März 1986 und am 6. April 2001.[3]

Allgemein handelt es sich bei der Staatsform Griechenlands um eine „republikanische parlamentarische Demokratie“[4]. Auf Grundlage der Volkssouveränität (Art. 1 II) geht nach sozial- und rechtsstaatlichen Prinzipien alle Gewalt vom Volke aus (Art. 1 III). Die Wahlen zum griechischen Parlament (Vouli) „werden gleichzeitig im ganzen Staatsgebiet abgehalten“ (Art. 51 IV). Das Parlament findet seine Zusammensetzung, indem seine „Abgeordneten […] in unmittelbarer, allgemeiner, geheimer Wahl von den wahlberechtigten Bürgern gewählt“ werden, welche der Wahlpflicht[5] unterliegen (Art. 51 V), wobei die genauen Bestimmungen ein Gesetz regelt (Art. 51 III). Auch das Wahlsystem wird nach einem Gesetz bestimmt (Art. 54 I). So ist die Hellenische Republik „im heutigen Wahlgesetz […] in 56 Wahlkreise bzw. -bezirke eingeteilt, die wiederum zu 13 größeren Wahldistrikten zusammengefasst werden“[6]. In den Wahlkreisen werden 288 der insgesamt 300 zur Verfügung stehenden Abgeordnetensitze vom Bürger über Parteilisten gewählt[7], wobei der Wähler gegebenenfalls „seine Präferenz für einen bestimmten Abgeordnetenkandidaten – […] auch abweichend von der Reihenfolge auf der Parteiliste[8] – durch ein Kreuz neben dessen Namen“[9] ausdrücken darf. Die Anzahl der zu verteilenden Mandate hängt „von der Zahl der in einem Wahlkreis registrierten Bürger ab und schwankt daher zwischen 38 (Athen B) und je einem Mandat (in sechs Wahlkreisen)“[10] (Art. 54 II). Diese „288 Sitze werden nach einem dem Hagenbach-Bischoff-Wahlmodus folgenden Mischsystem in drei Runden verteilt“[11]. Die restlichen „zwölf Parlamentarier werden landesweit auf Grundlage einer […] Staatsliste nach dem Verhältniswahlrecht bestimmt“[12], indem „die Sitze entsprechend dem allgemeinen Wahlerfolg der Parteien verteilt werden“ (Art. 54 III). Schließlich ist im griechischen Wahlmodus zudem eine „3%-Klausel eingebaut“[13].

Auf die Weise gelangen die Politiker als Abgeordnete in die griechische Vouli. Sie sind es, die schließlich dafür verantwortlich sind, den griechischen Staatspräsidenten auf „fünf Jahre“ (Art. 30 I) ins Amt zu heben. Er, das Staatsoberhaupt, „ist das oberste politische Schiedsorgan“ (Art. 30 I) und bildet gemeinsam mit der Regierung[14] „die vollziehende Funktion“ (Art. 26 II), sowie „die gesetzgebende Funktion“ zusammen mit dem Parlament (Art. 26 I). Die Bedingungen zur Kandidatur für dieses Amt sind erfüllt, wenn man „mindestens seit fünf Jahren griechischer Staatsbürger und väter- oder mütterlicherseits griechischer Abstammung ist, sein vierzigstes Lebensjahr vollendet hat und das Wahlrecht zum Parlament besitzt“ (Art. 31). Die Wahl zum Staatspräsidenten „erfolgt in namentlicher Abstimmung in einer Sondersitzung“ (Art. 32 I) und gilt als geglückt, wenn sich zwei Drittel aller Abgeordneten auf einen Kandidaten vereinen. Im Falle eines Scheiterns wird die Wahl nach fünf Tagen wiederholt. Sollte es erneut zu keiner zwei Drittel Mehrheit kommen, wird die Wahl abermals nach fünf Tagen wiederholt, wobei die Person zum Präsidenten der Republik ernannt wird, welche die Stimmen von drei Fünfteln aller Abgeordneten bekommen hat (Art. 32 III). Sollten alle drei bisherigen Abstimmungen nicht die erforderlichen Mehrheiten zustande bringen, wird die Vouli innerhalb von zehn Tagen aufgelöst. Das aus den neuen Parlamentswahlen hervorgehende Parlament wählt dann bei seinem ersten Zusammentreffen in namentlicher Abstimmung und mit einer drei Fünftel Mehrheit aller Abgeordneten seinerseits den Staatspräsidenten. Ein Nichtglücken dieser Abstimmung führt zu einer erneuten Wahl innerhalb von fünf Tagen, wobei nun gewählt ist, wer die absolute Mehrheit aller Abgeordneten auf sich vereinen kann. Ist auch dieser Versuch erfolglos, so wird schließlich innerhalb weiterer fünf Tage mit relativer Mehrheit zwischen den Kandidaten mit den meisten Stimmen entschieden (Art. 32 IV). Auf diese Weise gelangt der Staatspräsident in sein Amt, für das er einmal wiedergewählt werden darf (Art. 30 V).

Resümierend lässt sich die Delegationskette zur Regierungsbildung in Griechenland also wie folgt zusammenfassen: die griechischen Bürger wählen in ihren Wahlkreisen die Abgeordneten, aus denen sich schließlich das griechische Parlament zusammensetzt. Die so genannte Vouli ist weiterhin für die Wahl des Staatspräsidenten, dem Staatsoberhaupt Griechenlands, verantwortlich. Nun folgt die eigentliche Bildung der Regierung, worin der Staatspräsident den entscheidenden formellen Beitrag leistet: er ernennt sowohl den Ministerpräsidenten, als auch die weiteren Mitglieder der Regierung (Art. 37 I). In dieser Bestimmung hat er jedoch keinerlei Einflussmöglichkeiten auf die jeweiligen Kandidaten.

1.1 Der Ministerpräsident

Nach Artikel 37 Absatz II wird der Vorsitzende der Partei vom Staatspräsidenten zum Ministerpräsident ernannt, die im Parlament über die absolute Mehrheit der Sitze verfügt. Somit entscheidet das Parlamentswahlresultat über den zum Regierungschef zu ernennenden Kandidaten. Die Wähler stimmen also zunächst für eine Partei und deren Parteichef, um jenen in das Amt des Ministerpräsidenten zu heben. Der Volkswille steht dementsprechend in unmittelbarem Zusammenhang mit der Vergabe des Regierungschefpostens, was als Ausdruck der Volkssouveränität zu bewerten ist (Art. 52). Wurde die Ernennung des Ministerpräsidenten mit Erfolg vollzogen, so werden, wie bereits angedeutet, auf dessen Vorschlag weiterhin „die übrigen Mitglieder der Regierung“ (Art. 37 I) durch den Staatspräsidenten ernannt.

[...]


[1] Zur terminologischen Problematik in der Verwendung des Begriffs „Ministerpräsident“ für den Regierungschef in Griechenland, vgl.: Steffani, Winfried: Ministerpräsident und/oder Premierminister?, in: Dürr, Tobias/Walter, Franz (Hrsg.): Solidargemeinschaft und fragmentierte Gesellschaft: Parteien, Milieus und Verbände im Vergleich – Festschrift zum 60. Geburtstag von Peter Lösche. Opladen 1999, S. 239/240. Anm.: Diese Arbeit folgt in jener Terminologie dennoch der verwendeten deutschen Übersetzung der griechischen Verfassung, es sei denn, es werden andere Texte wörtlich zitiert.

[2] Zervakis, Peter A.: Das politische System Griechenlands, in: Ismayr, Wolfgang (Hrsg.): Die politischen Systeme Westeuropas, 3. akt. und üb. Aufl.. Opladen 2003, S. 687.

[3] Ebd., S. 690.

[4] Verfassung der Republik Griechenland, in: Verfassungen der EU-Mitgliedsstaaten, 6. erw. Aufl.. München 2005, S. 197: Art. 1. I.

Anm.: Die aus der Verfassung zitierten Artikel werden im Folgenden der Arbeit in Klammer hinter den entnommenen Stellen aufgeführt.

[5] „Von der Wahlpflicht entbinden hohes Alter (über 70 Jahre), medizinisch attestierte Krankheiten oder eine Entfernung von über 200 km vom eigenen […] Wahlkreis. Wer nicht wählt dem drohen zwar bis zu 18 Monate Haft, allerdings wird diese Regelung nicht mehr angewandt“ (Zervakis, Peter A.: Das politische System Griechenlands, S. 693 (Fußnote)).

[6] Zervakis, Peter A.: Das politische System Griechenlands, S. 706.

[7] Griechische Botschaft: Der Staat. Unter: http://www.griechische-botschaft.de/publikationen/Staat_2005.pdf vom 22.09.2006, S. 3.

[8] Es handelt sich um eine „lose gebundene Liste“, vgl.: Nohlen, Dieter: Wahlrecht und Parteiensystem, 3. vl. überarb. Aufl.. Opladen 2000, S. 95.

[9] Zervakis, Peter A.: Das politische System Griechenlands, S. 707.

[10] Ebd., S. 706/707.

[11] Ebd., S. 707.

[12] Ebd., S. 707.

[13] Ebd., S. 707.

[14]Doppelte Exekutive“: Die Amtsfunktionen des Staatsoberhauptes und des Regierungschefs werden von zwei Personen wahrgenommen, vgl.: Steffani, Winfried: Gewaltenteilung und Parteien im Wandel. Opladen/Wiesbaden 1997, S. 134.

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Regierungsbildung und Parteiensystem in der Republik Griechenland – zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Parteiensysteme und Regierungsbildung in den Staaten der EU-25
Note
2,7
Autor
Jahr
2007
Seiten
27
Katalognummer
V117684
ISBN (eBook)
9783640200580
Dateigröße
794 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Parteiensystem, Griechenland, Verfassung, Verfassungswirklichkeit, Regierungsbildung, Partei, Regierung, Nea Dimokratia, PASOK, griechisch
Arbeit zitieren
Sebastian Schoener (Autor:in), 2007, Regierungsbildung und Parteiensystem in der Republik Griechenland – zwischen Verfassung und Verfassungswirklichkeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/117684

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